Die Schweizer Avantgarde und das Bauhaus - 22.11. 23.11. 24.11. Museum für Gestaltung Zürich - Erich Schmid
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Die Schweizer Avantgarde und das Bauhaus Wechselwirkungen Transferprozesse Rezeption 22.11. 23.11. 24.11. Museum für Gestaltung Zürich
Rezeption das Bauhaus Die Schweizer Transferprozesse Avantgarde und Wechselwirkungen
Internationale Tagung 22. bis 24. November 2018 Tagungsort Museum für Gestaltung Zürich Ausstellungsstrasse 60 8031 Zürich Veranstalter Titularprofessur für Architekturgeschichte der Moderne Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) Departement Architektur ETH Zürich www.heinze-greenberg.arch.ethz.ch Organisation Ita Heinze-Greenberg Gregory Grämiger Lothar Schmitt Unterstützung Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) Departement Architektur der ETH Zürich Schweizerischer Nationalfonds SNF Ernst Göhner-Stiftung Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung Ulrico Hoepli-Stiftung
Programm Do Donnerstag, 22.11.2018 17:30 Begrüssungen 18:00 Abendvortrag von Annemarie Jaeggi Direktorin Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Berlin Bauhaus heute: Relevanz und Kommerzialisierung Fr Freitag, 23.11.2018 09:00 Begrüssung und Einführung in die Tagung Session 1: Rezeption und Aneignung Moderation: Britta Hentschel 09:30 Ute Poerschke Funktionsverständnisse der Moderne 10:00 Bruno Maurer Sigfried Giedion und das Bauhaus 10:30 Matthias Noell Vermittlungskonzepte der section allemande in Paris 1930 und ihre Kommunikation in die Schweiz 11:00 Claude Lichtenstein Bauhaus Dessau 1926 – Kunstgewerbeschule Zürich 1933: Blick auf und hinter die Architekturen 11:30 Round Table 12:30 Mittagspause
Session 2: Basel – Dessau – Moskau Moderation: Gregory Grämiger 14:00 Urs B. Roth «ABC Beiträge zum Bauen» vs. Bauhaus 14:30 Sibylle Hoiman Hannes Meyer und das Bauhaus – Versuch einer kritischen Rezeptionsgeschichte 15:00 Tatiana Efrussi «luxusbedarf statt volksbedarf»? Hannes Meyer, Hans Schmidt and the Problem of the Soviet Apartment 15:30 Round Table 16:30 Kaffeepause 17:00 Das Neue Bauen im Film Präsentation und Diskussion von zeitgenössischem Filmma- terial zur Thematik. Gäste: Andres Janser und Erich Schmid, Moderation: Jacqueline Maurer
Sa Samstag, 24.11.2018 Session 3: Form und Gestaltung Moderation: Lothar Schmitt 09:00 Christoph Wagner Schweizer Wurzeln am Bauhaus? Johannes Itten und Paul Klee 09:30 Arthur Rüegg Vom Coop-Interieur zum «wohnbedarf» 10:00 Patrick Rössler Brüder im Geiste: Bauhaus-Typografie und Schwei- zer Grafik – Herbert Bayer und Herbert Matter 10:30 Stanislaus von Moos Bauhaus Reloaded: Asger Jorn vs. Max Bill 11:00 Round Table 12:00 Mittagspause
Session 4: Transferprozesse und Netzwerke Moderation: Niklas Naehrig 13:30 Gregory Grämiger Konrad von Meyenburg, Hannes Meyer und die Basler Siedlungsreformbewegung 14:00 Lothar Schmitt Xanti Schawinsky und das Abschiedsfest des Weimarer Bauhauses 14:30 Dieter Schnell Zur Rezeption des Bauhauses in der Schweiz in den 1920er Jahren 15:00 Ita Heinze-Greenberg: Bauhäusler in der Emigration. Die Schweiz als Zwischenstation, Exil und Heimat 15:30 Round Table 16:30 Kaffeepause 17:00 Führung durch Gebäude und Sammlung Arthur Rüegg und Ruggero Tropeano
Die Schweizer Avantgarde und das Bauhaus Rezeption, Wechselwirkungen, Transferprozesse Die Schweizer Moderne gilt allgemein als moderate, austarierte Ver- bindung zwischen traditionellen und progressiven Standpunkten. Im zeitgenössischen Diskurs wurde die eigene Positionierung oft durch Abgrenzung gegen radikalere Ansätze definiert, die vor allem am deut- schen Bauhaus verortet wurden. Dass an dieser Institution bisweilen Schweizer den fortschrittlichen Ton angaben, wird dabei oft überse- hen. Die Schweizer Bauhaus-Debatte Die Geburtsstunde der modernen Schweizer Architektur wird gerne in das Frühjahr 1923 datiert. Damals versammelte sich die Basler und Zürcher Avantgarde in einer von Paul Artaria errichteten Holzhütte auf dem Tessenberg über dem Bielersee, um sich auf eine gemeinsame Stossrichtung zu verständigen. Die Klaviatur des hier eingeläuteten Schismas zwischen Modernen und Traditionalisten erweiterte sich nur wenige Wochen später um die Stimme des Generalbasses. Im Sommer 1923 reiste der Schweizer Kunsthistoriker Sigfried Giedion zur ersten Leistungsschau des vier Jahre zuvor gegründeten Bauhau- ses in Weimar. Für den mit einer Arbeit über den spätbarocken und romantischen Klassizismus frisch Promovierten wurde der Besuch der deutschen Kunstreformschule zu einer Art «Damaskuserlebnis». Die Bekehrung machte aus Giedion nicht nur einen emphatischen Rezen- senten der Weimarer Veranstaltung, sondern darüber hinaus zu einem der wichtigsten Propagandisten und Historiographen der modernen Kunst und Architektur schlechthin. In der Schweiz stiess Giedions rundweg positiver Beitrag über «Bau- haus und Bauhauswoche in Weimar», der im Septemberheft 1923 der Zeitschrift Werk erschien, eine anhaltend kontroverse Debatte um die deutsche Institution an. Als markanter Gefechtsgegner Giedions po- sitionierte sich der «knochige Eidgenosse» Peter Meyer, Mitarbeiter der Schweizerischen Bauzeitung und späterer Redaktor des Werk. Mit beispielloser Vehemenz polemisierte der Publizist in zahlreichen Ar- tikeln gegen das Bauhaus. Seine provokanten wie geistreichen, stets 9
auch politisch-ideologisch konnotierten Attacken konnten sich mitun- ter in deftige Sprüche versteigen: «Der Bauhaus-Homunkulus mit dem Grammophon ist ein Scherz, aber kein Kulturziel.» Die beiden Kontrahenten Giedion und Meyer stehen exemplarisch für die Polarisierung in der Wahrnehmung des Bauhauses, über die sich die Schweizer Moderne selbst zu definieren suchte. Diese genu- in helvetische Bauhaus-Kontroverse scheidet bis heute die Schweizer Fachwelt in ihrem Urteil über die derzeit international gefeierte Schu- leinrichtung im Nachbarland. Was dabei häufig übersehen wurde und wird, ist die Tatsache, dass hier bisweilen Schweizer den progressi- ven Ton angaben. Schweizer Lehrer am Bauhaus Zu den Künstlern der ersten Stunde, die Walter Gropius 1919 in Wei- mar um sich scharte, gehörte Johannes Itten. Wenngleich nur knapp vier Jahre am Bauhaus tätig, so war das in seinem Vorkurs angewand- te pädagogische Konzept von nachhaltiger Prägung. Ittens Anleihen bei der Ernährungs-, Atem- und Harmonielehre der Mazdaznan-Be- wegung zogen etliche Anhänger esoterischer Lehren an. Itten selbst engagierte sich nach seinem Weggang vom Bauhaus kurzzeitig im Ma- zdaznan-Zentrum Herrliberg, bevor er sich wieder der Lehrtätigkeit zuwandte. Ab 1938 war er in einflussreichen Positionen in der Schweiz präsent, unter anderem bis 1953 als Direktor der Kunstgewerbeschule in Zürich. Wie Itten stammte auch Paul Klee aus dem Kanton Bern. Er unterrich- tete über zehn Jahre am Bauhaus in Weimar und in Dessau. Als Form- meister begleitete er die Arbeit in unterschiedlichen Werkstätten und entwickelte eine durch die praktische Lehrtätigkeit informierte Bildne- rische Gestaltungslehre. Seine nachfolgende Professur an der Düs- seldorfer Kunstakademie kündigten die Nationalsozialisten nach zwei Jahren auf. Die Rückkehr an seinen Geburtsort Bern Ende 1933 wurde für den Künstler, dessen Vater es verpasst hatte, für ihn die Schweizer Staatsbürgerschaft zu beantragen, zum «Exil in der Heimat». Der dritte prominente Schweizer im Bauhaus-Kollegium war Han- nes Meyer, der 1927 von Gropius berufen wurde, um zusammen mit seinem Büropartner, dem ebenfalls in Basel gebürtigen, an der ETH 10
ausgebildeten Hans Wittwer, die lang überfällige Architekturklasse aufzubauen. Im folgenden Jahr trat Meyer die Nachfolge Gropius’ als Direktor der Schule an, einen Posten, den er bis 1930 innehielt. Abge- sehen von seinen spektakulären, zusammen mit Wittwer entwickelten Entwürfen für die Petersschule in Basel und den Völkerbundpalast in Genf, war Meyer bekannt für eines der radikalsten Manifeste neuer Produktkultur, das ausgerechnet in der bürgerlich-demokratischen Schweiz entwickelt worden war: Sein Coop-Interieur von 1926 war eine radikale Absage an jegliche Form bourgeoisen Lebensstils. Mehr als ein Vorschlag zur Inneneinrichtung war es ein Manifest für ein neu- es Prinzip des Wohnens. Der Kritiker Adolf Behne kommentierte da- mals: «Extreme. Ein modernes Zimmer, das nicht nach jedermanns Geschmack sein wird.» Das Prinzip Coop, die Idee einer kollektiven Gestaltung, nahm er mit ans Bauhaus Dessau. In den kurzen Jahren seines Wirkens stellte er die Schule gewissermassen auf den Kopf: Dem Gropius’schen Konzept der Werkstätten als von Künstlern inspi- rierte Laboratorien mit eindeutiger Hierarchie, setzte er mit einer kla- ren Bewegung von unten nach oben die Entwicklung neuer Standards für den «Volksbedarf» entgegen. Unter Meyers Ägide wurden weitere Schweizer als Gastdozenten ans Bauhaus berufen, so der eingangs erwähnte Architekt Paul Artaria. Er gehörte wie Hannes Meyer, Emil Roth und Mart Stam der avantgar- distischen Basler Gruppe ABC an. Zusammen mit seinem Büropartner Hans Schmidt zählte er zum Architektenkollektiv, welches die Werk- bundsiedlung Neubühl errichtete. Mit Konrad von Meyenburg brachte Meyer einen gelernten Maschinenbauingenieur ans Bauhaus, der über die industrialisierte Landwirtschaft zur modernen Siedlungsreformbe- wegung gefunden hatte. Von Meyenburgs Konzept eines naturgegebe- nen Funktionalismus hatte grossen Einfluss auf das Denken des jungen Meyer ausgeübt. Die starke Schweizer Präsenz unter den Lehrkräften des Bauhauses wirkte wie ein Sog auf junge Eidgenossen. Die Zahl der Studierenden aus der Alpenrepublik stieg unter Meyers Direktorat sprunghaft auf 24 an. Über den gesamten Zeitraum von 1919 bis 1933 immatrikulierten sich circa 40 Schweizer am Bauhaus. Das sind bei einer Zahl von total 1200 Schülern, die am Bauhaus in Weimar, Dessau oder Berlin ihre 11
Ausbildung erhielten, zwar nicht mehr als 4 Prozent, zahlenmässig aber dennoch die grösste Gruppe ausländischer Studenten. Bauhaus-Schüler in der Schweiz Mit der auf Druck der Nationalsozialisten erfolgten Selbstauflösung des Bauhauses im August 1933 begann das Kapitel seiner Diaspora und des in der Folge entstehenden globalen Netzwerkes der Bauhäus- ler. Wenig bekannt ist, dass Ludwig Mies van der Rohe, der die Schule 1932 als Privatunternehmen von Dessau nach Berlin transferiert hatte, im Spätsommer 1933 ein letztes «Entwurfssemester» in der Schweiz anberaumte. Für den kombinierten Urlaub-und-Freizeit-Aufenthalt wählte er nicht Ascona, wo sich Walter Gropius mit seinem Schwei- zer Schüler Xanti Schawinsky und anderen Bauhäuslern gern zur Sommerfrische getroffen hatte, sondern Lugano. In Mies’ Begleitung befanden sich seine damalige Lebensgefährtin, die Designerin Lilly Reich, sowie die letzten fünf verbliebenen Studenten des Bauhauses, darunter die beiden Schweizer Paul Naeff und Ettore Burzi. So sind die letzten, von Bauhausschülern gezeichneten und von Mies kritisch begutachteten Entwürfe in die Schweizer Landschaft bei Lugano ein- gebettet. Über diese beredte historiographische Fussnote hinaus spielte die Eidgenossenschaft als neutrales Land eine wichtige Rolle als Exilort. Für die aktive Flüchtlingshilfe stehen das Engagement Max Bills sowie die mit der Werkbund-Siedlung Neubühl assoziierten Gruppen linkso- rientierter Architekten und antifaschistischer Literaten. Die Bauhäus- ler im Besitz eines roten Passes waren in der Regel bereits nach Ab- schluss ihrer Ausbildung in die Heimat zurückgekehrt und hatten sich in den Bereichen Architektur, Möbeldesign, Gebrauchsgrafik, Kunst und Theater positioniert. Die Liste eidgenössischer Architekten mit Bauhausdiplom um- fasst eine Reihe namhafter Protagonisten des Neuen Bauens in der Schweiz. In Basel schlossen sich Giovanni Panozzo und Ernst Egeler mit Paul Artaria der antifaschistischen Künstlergruppe 33 an. Ihr ehe- maliger Mentor Hannes Meyer, inzwischen als Stadtplaner in Mexiko tätig, lobte die eigenständige Linie ihrer Architektur, die eine Synthe- se zwischen Moderne und vernakularer Bautradition anstrebte. Zum 12
Markenzeichen des Zürcher Hans Fischlis wurde die «hölzerne Mo- derne» mit Beispielen der Mustersiedlung Gwad in Wädenswil oder dem Pestalozzi-Kinderdorf in Trogen. Ein beredtes Zeugnis seiner Verbundenheit zum Bauhaus, aber auch für den zeitgeschichtlichen Kontext gibt das Wohn- und Atelierhaus, das er ab 1936 für Oskar Schlemmer im deutschen Badenweiler nahe der Schweizer Grenze entwarf. Zeigt die erste Fassung Fischlis noch deutliche Parallelen zu seinem eigenem Wohnhaus Schlehstud in Obermeilen, entwickel- te es sich unter dem zunehmenden Druck der nationalsozialistischen Baubehörden immer mehr zu einem traditionellen Schwarzwaldhaus. Bei Fertigstellung stand Schlemmer bereits unter Berufsverbot und konnte nur noch traurig notieren: «Ein Atelier, groß und schön, ohne Sinn und Zweck.» Eine starke Bauhaus-Affinität darf der Schweizer Möbelindustrie zu- geschrieben werden, welche die unter Hannes Meyer forcierte Verbin- dung von avantgardistischer Gestaltung und standardisierter Fertigung aufnahm. Zwei Firmen sind hier als massgebend zu nennen: einmal die im Sommer 1931 von Sigfried Giedion, dem Architekten Werner Max Moser und dem Kaufmann Rudolf Graber in Zürich gegründete Wohnbedarf AG. Sie arbeitete mit Bauhäuslern wie Hans Bellmann zusammen und profilierte sich als Wegbereiter der Entwicklung und Produktion von Typenmöbeln in der Schweiz. Darüber verdient das Unternehmen Embru Erwähnung, für die sowohl Marcel Breuer als auch Gustav Hassenpflug als Entwerfer tätig wurden. Der weithin bekannteste Schweizer Bauhaus-Schüler ist zweifelsoh- ne Max Bill. Wie kein anderer prägte er das Aussenbild der Schweiz mit seinen Beiträgen in allen Sparten des Designs. In seiner Person vereint sich im besten Sinn das interdisziplinär angelegte Konzept des Bauhauses. Nach seiner Rückkehr aus Dessau gründete er zunächst ein Werbebüro, auf dessen erster Visitenkarte die Achse «Dessau – Winterthur» als Adresse firmierte. Er debütierte mit wegweisenden grafischen Entwürfen, bevor er sich als Architekt, Maler, Bildhauer und Produktgestalter einen Namen machte. Als Lehrer trug er die Ide- en des Bauhauses in verschiedene Schulen. Zum einen in die Kunst- gewerbeschule in Zürich, zum anderen in die von ihm mitbegründete und mitentwickelte Hochschule für Gestaltung Ulm, die als Versuch 13
der Wiederbelebung des Bauhauses auf deutschem Boden errichtet wurde. Die Bauhaus-Pädagogik und ihr Nachleben ist ein eigenes Kapitel, das von Johannes Itten über Hans Fischli, den Grafiker Theo Ballmer, den Designer Carl Jacob Jucker – um nur einige wenige Namen zu nennen – an die verschiedenen Schweizer Kunstschulen bis hin zu Bernhard Hoeslis «Grundkurs» am Architekturdepartment der ETH getragen wurde. Das Lehrgebäude gewinnt über das tragende ideelle Konzept hinaus seine physische Materialität im Bau der Kunstgewerbeschule in Zürich von Adolf Steger und Karl Egender. Beide waren keine Bau- haus-Schüler, doch das kurz zuvor fertiggestellte Bauhausgebäude von Walter Gropius muss ihnen als Bild im Hinterkopf gestanden ha- ben. Im Gegensatz zum Dessauer Manifest aus Stahl und Glas kommt ihr Bau jedoch bescheidener, unaufgeregter daher, ein Paradebeispiel dessen, was Jahrzehnte später als «Gute Form» von einer breiten Schweizer Öffentlichkeit getragen werden sollte. Damals jedoch wur- de die lange Planungszeit von einer erbitterten Kontroverse zwischen den Modernen und den Traditionalisten begleitet. Es war Sigfried Gie- dions unüberhörbare Stimme, welche die Entscheidung für die 1930 gefundene und kürzlich frisch sanierte Lösung herbeiführte. Dieser Aufsatz von Ita Heinze-Greenberg und Gregory Grämiger erschien am Samstag, 3. November 2018, in der Neuen Zürcher Zeitung. 14
Ute Poerschke Funktionsverständnisse der Moderne Zeitgleich mit Gründung und Genese des Bauhauses nimmt die Ver- wendung und Popularisierung des Worts «Funktion» im europäischen Architekturdiskurs rapide zu. Mit Verbreitung des Worts verblasst aber auch seine engere Bedeutung im Sinn einer Teile-Ganzes-Relation. Im Vortrag wird einführend das relativ gut fassbare Funktionsverständnis zwischen dem ersten Auftauchen des Worts «Funktion» im Architek- turdiskurs des achtzehnten Jahrhunderts bis zum Anfang der 1920er Jahre dargestellt. Anschliessend wird die Entwicklung zum zuneh- mend undurchsichtigen Modewort ab Mitte der 1920er Jahre beleuch- tet, wobei der Schwerpunkt der Untersuchung auf dem Bauhaus und der Schweizer Avantgarde liegt. Zum einen scheint es, dass gerade die Ambivalenz des Funktionsbegriffs diesen so geeignet machte, An- fang der 1930er Jahre den «Funktionalismus» zu konzipieren, der die vielfältigsten Architekturströmungen subsumierte. Andererseits aber berührt das Konzept der Funktion Grundprinzipien der Architektur und eignet sich daher immer neu als Instrument zu ihrer Kontemplation. Ute Poerschke ist Professorin und Interim Head im Department of Archi- Fr tecture an der Pennsylvania State University, USA. Sie ist Partnerin im 09:30 Architekturbüro Friedrich Poerschke Zwink Architekten Stadtplaner BDA in München. Ihre Forschungsinteressen umfassen Theorie und Geschichte des Funktionalismus, des Verhältnisses von Architektur und Technologie, sowie des Verständnisses von Architektur als Forschungsdisziplin. 15
Bruno Maurer Sigfried Giedion und das Bauhaus Seit seinem Bericht in der Zeitschrift Das Werk über die «Bauhauswo- chen» in Weimar gehörte Sigfried Giedion (1888–1968) zu den einflus- sreichsten Propagandisten der modernen Architektur. Der Besuch der Ausstellung bedeutete in der Biografie Giedions einen eigentlichen Wendepunkt. Hatte er 1922 die expressionistischen Ansätze respektive Auswüchse in der Architektur noch heftig attackiert, so überzeugte ihn nun die neue Ausrichtung des Bauhauses umso mehr. Auch in Bezug auf seine Karrieremöglichkeiten zwischen akademischer Tätigkeit und freier Schriftstellerei hatte er jetzt seine Rolle gefunden, die eine «ra- dikale Neudefinition seines Verhältnisses zur eigenen Disziplin» (S. Georgiadis) bedeutete. Giedion pflegte in der Folge einen äusserst produktiven Austausch mit Protagonisten des Bauhauses. Spätestens nach dem 2. CIAM-Kongress in Frankfurt wurde die anfänglich res- pektvoll distanzierte Beziehung zu Walter Gropius zu einer engen, für beide Karrieren folgenreiche Freundschaft zwischen «Dr. Pepp» und «Pius». Diese war allerdings für beide Seiten keineswegs exklusiv; für Giedion genauso wichtig waren die parallel dazu aufgebauten Kontak- te insbesondere zu Le Corbusier und Alvar Aalto. Dieses komplexe, oft auch konfliktreiche Nahverhältnis zu den Protagonisten der Moderne brachte Giedion schon zu Lebzeiten Kritik ein, ist wohl aber wegen der damit verbundenen Authentizität auch ein Grund für den Erfolg seiner Darstellung der Architekturmoderne. Tatsächlich war Giedion sich der Problematik einer teilnehmenden Historiographie bewusst. Diesbezüglich besonders interessant in Bezug auf Gropius ist der Briefwechsel mit Carola Giedion-Welcker, der erst kürzlich ins gta Ar- chiv gelangte. Der Beitrag wird wesentlich auf diesen und weitere teils unbekannte Originaldokumente im gta Archiv abstützen. Fr Bruno Maurer, Studium der Kunstgeschichte, Publizistikwissenschaft und 10:00 Kirchengeschichte an der Universität Zürich. 1988–1993 Assistent am Lehr- stuhl für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich. 1992–1995 Redaktor der Zeitschrift archithese. Seit 1994 Forschungskoordinator am Institut gta der ETH Zürich. 2001 zusätzlich Übernahme der Leitung des gta Archivs. Seit 2009 im Stiftungsrat der Sigfried Giedion-Stiftung. 16
Matthias Noell «Skelett eines neuen Lebens» – Vermittlungskonzepte der section allemande in Paris 1930 und ihre Kommunikation in die Schweiz Im Jahr 1930 wurde auf der Pariser Jahresausstellung der Société des artistes décorateurs auch eine Ausstellungsabteilung des Deutschen Werkbunds gezeigt. Die sogenannte section allemande wurde von ei- ner internationalen Presse teilweise ausführlich und durchaus kontro- vers besprochen. Eine Reihe von ehemaligen Bauhäuslern zeichnete für die Konzeption und Durchführung der Präsentation verantwortlich. Es waren vor allem die persönlichen Kontakte, die sich seit 1923 zwi- schen Walter Gropius und Sigfried Giedion entwickelt hatten und über Jahrzehnte Bestand haben sollten, die einen Transfer zahlreicher inno- vativer Ideen dieser Pariser Ausstellung in das Schweizer «Tagesge- schäft» der Gestaltung ermöglichten und maßgeblich zu einer Verbrei- tung moderner Wohnvorstellungen beitrugen. Der Beitrag versucht, die Rezeptionslinien und die Transformation dieses Wendepunkts in der Geschichte der Ausstellungsgestaltung zu untersuchen und stellt die Frage nach der Bedeutung des Jahres 1930 für das Verhältnis zwi- schen Schweizer Gestaltung und Bauhaus. Matthias Noell ist seit 2016 Professor für Architekturgeschichte und Ar- Fr chitekturtheorie an der Universität der Künste Berlin. Zuvor Professor für 10:30 Architektur- und Designgeschichte an der Burg Giebichenstein Kunsthoch- schule Halle. Verschiedene Tätigkeiten in den Bereichen Forschung, Lehre und Denkmalpflege u.a. am Departement Architektur der ETH Zürich, am Deutschen Forum für Kunstgeschichte, Paris, und am Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege. Publikationen vor allem zu Themen der Ar- chitektur- und Designgeschichte, Architekturtheorie und Wissenschaftsge- schichte. 17
Claude Lichtenstein Bauhaus Dessau 1926 – Kunstgewerbeschule Zürich 1933: Blick auf und hinter die Architekturen Zwei Gebäude, zwei Institutionen, zwei Temperamente: Ein kurzes, in- tensives Leben in Dessau (mit langem Nachleben), dagegen Konstanz und – plus/minus – Beständigkeit der Entwicklung in Zürich. Nervo- sität versus Betulichkeit? Die Verschiedenheit der zeitgeschichtlichen Umstände und der gesellschaftlichen Prämissen ist jedenfalls eine un- bestreitbare Tatsache. Ihr steht aber entgegen, dass die beiden Bau- ten und Institutionen beide auf ihre Art starke Behauptungen waren, deren Verwandtschaft auch weitherum empfunden wurde, und zwar sowohl der Intention nach als auch in der Wirkung. Doch welcher Art ist diese Verwandtschaft? Worin liegt sie, und wie weit geht sie? Wel- che Erkenntnisse lassen sich aus einem Vergleich der Architekturen gewinnen? Aus der Gegenüberstellung der Funktionen und der Raum- programme? Und was aus der Frage nach deren Entsprechung in den pädagogischen Ansätzen? Fr Claude Lichtenstein, geboren 1949 in Zürich. Nach humanistischem Gym- 11:00 nasium Architekturstudium an der ETH Zürich. Entwurfspraxis und publi- zistische Aktivitäten in Architekturgeschichte. 1985–2001 Kurator am Muse- um für Gestaltung Zürich sowie Dozent für Designgeschichte an der ZHdK, ab 2002 auch Dozent für Designwissenschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz sowie am Departement Architektur der ZHAW. (Mit-) Herausgeber und Autor von Publikationen und Beiträgen auf den Gebieten von Architektur, Design und Graphic Design. 18
Urs B. Roth «ABC Beiträge zum Bauen» versus Bauhaus Mart Stam (1899–1986), Hans Schmidt (1893–1972), El Lissitzky (1890–1941) und Emil Roth (1893–1980) sind die vier Protagonisten einer streitbaren Zeitschrift, die in unregelmässigen Zeitabständen zwischen 1924 und 1928 erscheint. Mit beissendem Spott fallen die 4 «Jungen» über die alte rührige «Bundeskunst» her, verkünden schon in der ersten Nummer den Tod der «innigst geliebten Tochter, der Architektur». Man traue der Sache noch nicht ganz angesichts der un- geheuren Restbestände an Säulen, Hauptgesimsen und anderen Aus- stattungsstücken. ABC rät zum Totalausverkauf… Das «neue bauen» soll die alte Architektur definitiv ablösen. Neues Bauen bedingt zwingend eine neue Gesinnung, neue wirtschaftliche Baumethoden, neue Baumaterialien wie Beton und Stahl. Ich werde versuchen die wichtigsten Postulate der ABC-Gruppe zu benennen und sie Positionen des Bauhauses gegenüberzustellen. Neben vielen Gemeinsamkeiten gibt es deutliche Positionsunterschiede. Stellver- tretend kann man sie am Vergleich zwischen der Weissenhofsiedlung in Stuttgart und der Werkbundsiedlung Neubühl in Zürich-Wollishofen darstellen. Im Fokus steht Emil Roth, der am wenigsten Bekannte des Quartetts. Er vertritt eisern eine radikale Position: Bauen sei rational, reiner Dienst an der Gesellschaft. Man müsse diese noble Aufgabe so gut wie möglich, gewissenhaft, sparsam und nützlich erfüllen. Ästhetik hat in dieser Betrachtung keinen Platz. Erst nach Emil Roths Tod wurden in seinem Nachlass Zeichnungen entdeckt, die eine ganz andere Per- sönlichkeit erahnen lassen. Urs B. Roth diplomierte 1973 an der ETH Zürich als Architekt. Es folgte Fr eine Assistenz am Departement Architektur der ETH Zürich am Lehrstuhl 14:00 von Heinz Ronner. 1979–1991 führte Urs B. Roth zusammen mit Xaver Nauer ein Architekturbüro. Zwischen 1981 und 1983 bearbeitete er den Nachlass seines Vaters Emil Roth am Institut gta. Von 1981 bis 2011 war er Dozent für Raum und geometrisch-konstruktives Gestalten an der Zürcher Hochschule der Künste. Seit 1991 führt er ein Atelier für Konkrete Kunst in Zürich und gestaltet als Geometrieingenieur auf der Basis mathematischer Gesetzmässigkeiten. 19
Sibylle Hoiman Hannes Meyer und das Bauhaus Versuch einer kritischen Rezeptionsgeschichte Kaum eine andere Person aus dem Kontext des Bauhauses ist so kon- trovers wahrgenommen und bewertet worden wie Hannes Meyer. Die in den Quellen fragmentarisch und zufällig überlieferten Einschätzun- gen zu Meyer als Person, Lehrer und Direktor am Dessauer Bauhaus spiegeln die divergierenden zeitgenössischen und retrospektiven Be- wertungen seines Umfelds wider. Sie werden für die wissenschaftli- che Rezeption von Person und Werk aufgegriffen und je nach Erkenntnis- interesse oder Argumentationsstrategie unterschiedlich ausgelegt. Die Unschärfe der retrospektiven Konstruktion von Vergangenheit, mit der sich die Geschichtsschreibung stets konfrontiert sieht, zeigt sich beispielhaft in den folgenden Rollenbildern, die sowohl in der zeit- genössischen Auseinandersetzung mit Hannes Meyer wie auch im Rückgriff darauf in der rezeptionsgeschichtlichen Analyse von Werk und Person geradezu stereotypisch wiederkehren und deshalb hin- terfragt werden sollen: Der «Nachlassverwalter»: Die Wahrnehmung der Meyerschen Lehrpraxis im Vergleich zu der seines Vorgängers Walter Gropius. Der Hochschulreformer: Die Veränderung des Lehr- programms aus Sicht der Studierenden. Der «Kommunist»: Meyers politische Einstellung aus der Perspektive seines Umfelds. Fr Sibylle Hoiman, Kunsthistorikerin; seit Nov. 2010 wissenschaftliche Mitar- 14:30 beiterin am Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Berlin; davor Sta- tionen u.a. an der ETH Zürich, am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris; in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Branden- burg und an der TU Braunschweig; Forschungen und Publikationen zur Geschichte und Theorie der Gartenkunst und Architektur des 18. bis 20. Jahrhunderts und zur Geschichte des Bauhauses. 20
Tatiana Efrussi «luxusbedarf statt volksbedarf»? Hannes Meyer, Hans Schmidt and the Problem of the Soviet Apartment In my presentation I will focus on Hannes Meyer’s work at the All-Uni- on Academy of Architecture. In April 1934 the Swiss architect was appointed as the head of a research section (Kabinett) on Housing, Public buildings and Interior design of this newly founded institution, and stayed in this position for about a year. Meyer administrated the activities of several research groups of his section and elaborated his own theory of the Soviet dwelling and its formal solutions. Also, he had engaged several colleagues in the design of experimental living cells. Among them were Hans Schmidt, Margarete Schütte-Lihotzky and the Bauhaus graduate Antonin Urban. Examining their designs as well as Hannes Meyer’s essays, I note the problematic social context of this work and how differently the protagonists of the «neues bauen», including Swiss ones, reacted to it. Tatiana Efrussi is an art historian and artist, currently based in Paris. In 2011 Fr she graduated from the Moscow State Lomonosov University with a paper 15:00 on the Soviet connections of the Bauhaus. In 2012 she curated an exhibition «Bauhaus in Moscow» at the Moscow VKhUTEMAS Gallery. Since 2014 she works on the dissertation entitled «Hannes Meyer – A Soviet Architect» at the Kassel University (Germany), which contextualizes Meyer’s thinking and work within the 1930s Moscow architectural scene. 21
Das Neue Bauen im Film Präsentation und Diskussion von zeitgenössischem Filmmaterial zur Thematik. Gäste: Andres Janser und Erich Schmid, Moderation: Jacqueline Maurer Bereits in der Frühphase des Films lässt sich sein enges Verhältnis zur Architektur feststellen, was sich insbesondere in den 1920ern stark weiterentwickeln sollte. Emblematische Figur dafür ist der Architekt Robert Mallet-Stevens, der seine als Décorateur für Spielfilme erlang- ten Erkenntnisse theoretisierte. Architekten nutzten die Siebte Kunst schon früh als Medium der Untersuchung und Verbreitung neuer ar- chitektonischer Ideen. Neben Le Corbusiers und Paul Chenals Archi- tecture d’aujourd’hui (1930) gehört Hans Richters Film Die Neue Woh- nung, der vom Schweizerischen Werkbund anlässlich der Woba in Basel 1930 in Auftrag gegeben wurde, zu den bekanntesten erhaltenen Produktionen. Am Bauhaus blieben László Moholy-Nagys schon davor initiierte Bestrebungen zur Schaffung einer Filmstelle erfolglos, was in der Nachkriegszeit mit der Hochschule für Gestaltung Ulm unter ihrem Gründungsrektor Max Bill und seiner Idee eines Neuen Bauhauses eine Umsetzung fand. Der Abend ist der Vermittlung von Architektur über den Film und vice versa gewidmet. Zusammen mit dem Kurator des Museums für Ge- staltung Andres Janser, der über Richters Film publiziert hat, und dem Filmemacher Erich Schmid, der den Dokumentarfilm Max Bill. Das absolute Augenmass (2008) geschaffen hat, wird anhand von Filmen aus dem Umfeld des Tagungsthemas über die Verschränkung von Ar- chitektur- und Filmforschung diskutiert. Andres Janser ist seit 2003 Kurator am Museum für Gestaltung Zürich. Zu seinen Ausstellungen und Publikationen zählen: Hans Richter: Die Neue Wohnung – Architektur. Film. Raum (mit Arthur Rüegg); Typotektur – Ty- pographie als architektonisches Bild; Haefeli Moser Steiger – Stuhl Haus Stadt (mit Sonja Hildebrand); Charlotte Perriand – Designerin, Fotografin, Aktivistin (mit Arthur Rüegg); Hochhaus – Wunsch und Wirklichkeit; Ver- brechen lohnt sich – Der Kriminalfilm; Unterirdisch – Das Spektakel des Unsichtbaren; Animierte Wunderwelten (mit Suzanne Buchan). 22
Erich Schmid ist Filmschaffender und Autor. Nach seiner journalistischen Fr Tätigkeit setzt er sich mit seinen Büchern und Dokumentarfilmen gegen 17:00 Rassismus und soziale Unterdrückung in der Schweiz ein. Zu seinen viel- fach beachteten Werken, die für ein engagiertes, politisches Kino stehen, gehört jüngst Staatenlos – Klaus Rózsa, Fotograf (2016) sowie Max Bill – Das absolute Augenmass (2008), das sich im Spannungsfeld zwischen Kunst, Ästhetik und Politik bewegt. Mit Angela Thomas lebt er in Bills Wohn- und Atelierhaus in Zumikon. Jacqueline Maurer ist Kunst- und Filmwissenschaftlerin. Nach einer wis- senschaftlichen Assistenz an der Professur für Architekturtheorie am gta doktoriert sie bei Fabienne Liptay am Seminars für Filmwissenschaft der Universität Zürich zur Verschränkung von Film-, Architektur- und Städteb- auforschung bei Jean-Luc Godard. 2017, anlässlich des 50. Jubiläums des Instituts gta, kuratierte sie mit Samia Henni, Andreas Kalpakci und Daniela Ortiz dos Santos die Ausstellung «gta Films», die Filme aus dem gta Archiv präsentierte. 23
Christoph Wagner Schweizer Wurzeln am Bauhaus? Johannes Itten und Paul Klee Dass Johannes Itten (von 1919–1923) und Paul Klee (von 1920–1931) zu den bedeutenden, stichwortgebenden Protagonisten des Bauhau- ses gehörten, ist eine Tatsache, die jeder noch so kurzen kunsthisto- rischen Darstellung zur Geschichte des Bauhauses zu entnehmen ist: Titulierte man Itten noch im Rückblick 1923 ironisch-ehrfürchtig als «der geheime Direktor», wurde Klee 1929 augenzwinkernd humorvoll als «Bauhaus Buddha» verehrt. Umso erstaunlicher ist es, wie wenig man im Einzelnen über die «Schweizer» Hintergründe und Wurzeln der künstlerischen, kunsttheoretischen und weltanschaulichen Positi- onen dieser beiden Maler am Bauhaus weiss. Der Vortrag unternimmt hierzu den exemplarischen Versuch einer Annäherung und Bestands- aufnahme, ausgehend von der neuen Quellengrundlage des schriftli- chen Nachlasses von Johannes Itten. Sa Christoph Wagner lehrt als Professor für Kunstgeschichte an der Universi- 09:00 tät Regensburg. Mit seinen Forschungen zum Bauhaus und zur Kunst der Moderne ist er international hervorgetreten. Er ist gewähltes Mitglied der Academia Europaea (London). Gastprofessuren führten ihn an die École Pratique des Hautes Études in Paris (Sorbonne), an die Universität Bern und die Universität México. Als wissenschaftlicher Kurator ist er mit den Ausstellungen «Das Bauhaus und die Esoterik» und «Kosmos Farbe: Itten – Klee» hervorgetreten. Aktuell publiziert er den neuen Catalogue raisonné zum Werk von Johannes Itten. 24
Arthur Rüegg Vom Coop-Interieur zum «wohnbedarf» Von der kunsthandwerklichen Einzelarbeit über den künstlerischen Entwurf von Gebrauchsgütern zum preisgünstigen Serienprodukt: In der Rückschau erscheint die Produktekultur des Bauhauses als nor- matives Projekt, das sich auf logische Weise in Richtung einer klas- senlosen Alltagsästhetik entwickelte. Normalisierung, Rationalisierung und Mechanisierung charakterisieren die Endstufe des «Bauhaus-De- sign», und diese Prinzipien gelten heute noch als Pfeiler der modernen Sachkultur. Es war ein Basler – der Bauhaus-Direktor Hannes Meyer aka «Co-op» –, der den radikalen Bruch mit den «inzüchtigen Theori- en» der Gropius-Zeit herbeiführte und diese letzte Entwicklungsphase initiierte. Die Studenten Carl Jucker, Max Bill, Hans Fischli und Hans Bellmann erlebten die Transformationen der Bauhaus-Idee mit und entwickelten diese später von der Schweiz aus weiter, nicht zuletzt mit didaktischen Projekten. 1931, als Sigfried Giedion zusammen mit Werner M. Moser und Rudolf Graber die Zürcher «wohnbedarf ag» gründete, rief er seinerseits zahlreiche Bauhäusler zu Hilfe. Giedion ging es nicht nur um den Werbeeffekt, sondern auch darum, zur inter- nationalen Avantgarde aufzuschliessen und die Schweizer Konsumgü- terindustrie neu zu eichen. Arthur Rüegg, geboren 1942, seit 1971 praktizierender Architekt in Zürich, Sa lehrte von 1991–2007 als Professor für Architektur und Konstruktion an der 09:30 ETH Zürich. Forschungs-, Publikations- und Ausstellungstätigkeit zu Konst- ruktion, Farbe, Fotografie, Design und zur Wohnkultur in der Moderne. He- rausgeber und Autor zahlreicher Monografien, u.a. zu Le Corbusier, Char- lotte Perriand und zur Architektur und Designgeschichte in der Schweiz. 25
Patrick Rössler Brüder im Geiste: Bauhaus-Typografie und Schweizer Grafik – Herbert Bayer und Herbert Matter Vor etwa einhundert Jahren begann der Siegeszug des funktionalen Grafik-Designs, wesentlich befördert durch László Moholy-Nagys Überlegungen zu einer «Neuen Typographie» (1923) und das 1925 von Jan Tschichold herausgegebene Themenheft «elementare typo- graphie» des Fachblatts Typographische Mitteilungen. In der Folge machte sich insbesondere das Bauhaus um die Weiterentwicklung eines solchen Gestaltungsprogramms verdient, das sich durch einen anachsialen Satz, assymetrischen Seitenaufbau, die Verwendung seri- fenloser Schriften und Versalien, den Mut zur weißen Fläche und den Einsatz der Fotografie auszeichnete. Ihre konsequenteste Anwendung fand diese fälschlich oft nur als «Bauhaus-Typographie» bezeichne- te Gestaltung allerdings ab Mitte der 1930er Jahre in der Schweizer Grafik. Der Vortrag widmet zunächst den Wechselbeziehungen zwischen Bauhaus-Typografie und Schweizer Grafik, und vertieft diese dann am Beispiel von zwei der prominentesten Vertreter, Herbert Bayer und Herbert Matter. An ihrem Beispiel lassen sich sehr gut die vielfäl- tigen Bezüge und internationalen Rückkopppelungen im Grafik-Design der 1930er und 1940er Jahre aufzeigen. Herbert Matters innovative Entwürfe zeichnen sich durch das gekonnte Zusammenwirken von Illustration, Foto und Schrift aus und greifen dabei Anregungen aus dem Umfeld der Reklamegestaltung am Bauhaus auf. Herbert Bayer repräsentierte in seinem Verständnis von Gebrauchsgraphik als «Total Design» zweifellos ein Vorbild für Matter; umgekehrt sollte er über diesen später sagen: «I still think that he is one of the most important graphic designers of our time.» Sa Patrick Rössler ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der 10:00 Universität Erfurt mit dem Schwerpunkt Empirische Kommunikationsfor- schung/Methoden. Zahlreiche Arbeiten zur Geschichte der visuellen Kom- munikation, zur «Neuen Typografie» und zum Bauhaus. Ausstellungen und Publikationen u.a. zur Zeitschrift die neue linie und zu Herbert Bayer, zur Bauhaus-Typografie und zum funktionalen Grafik-Design der Zwischen- kriegszeit. 26
Stanislaus von Moos Bauhaus Reloaded: Asger Jorn vs. Max Bill Es gibt kaum direkte Berührungen zwischen dem Werk und der Kar- riere Max Bills (1908–1994) und jener Asger Jorns (1914–1973), ab- gesehen von einem kurzen und vehementen Briefwechsel, der 1953 einsetzte und 1956 endete, und in dessen Verlauf die beiden Künstler und Kunsttheoretiker ihre gegensätzlichen Positionen als selbster- nannte Hüter der Bauhausidee ins Feld führten. Anlass war die damals bevorstehende Gründung der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Die Bauhausidee lasse sich nicht auf pädagogische Prinzipien industriebe- zogener Formgebung reduzieren, wie sie Bill der HfG zugrundelegen wolle; sie beruhe auf dem freien Fluss künstlerischer Inspiration, so Jorn. Auf Bills Weigerung, Jorn nach Ulm zu berufen, antwortete der Letztere mit der Gründung des «Bauhaus imaginiste», einem internati- onalen Netzwerk von experimentell arbeitenden Künstlern, Schriftstel- lern und Musikern, deren Arbeit international Beachtung fand. Obwohl sie bei unterschiedlichen Denktraditionen anknüpfen, hängen beide Positionen mit wesentlichen Aspekten der von der Arts and Crafts-Be- wegung ausgehenden Kunstgewerbereform zusammen, die nach dem Ersten Weltkrieg im Bauhaus zusammengefasst wurden. Hundert Jah- re nach der Gründung des Bauhauses stellt sich die Frage, was mehr interessiert: die Gegensätzlichkeit der von den beiden Künstlern ver- tretenen theoretischen und kunstpädagogischen Konzeptionen oder deren Komplementarität in Anbetracht heutiger gesellschaftlicher He- rausforderungen an Kunst und Design. Stanislaus von Moos, Kunsthistoriker, geboren 1940 in Luzern. Verfasser Sa von Monografien über Le Corbusier (1968ff.), italienische Architektur der 10:30 Renaissance (Turm und Bollwerk, 1976), die Architektur von Venturi, Scott Brown & Associates (1987; 1999), zur Designgeschichte der Schweiz (In- dustrieästhetik, 1992). Kurator und Ko-Kurator von Ausstellungen zu VSBA, Le Corbusier, Louis Kahn und andere. 1983–2005 Professor für moderne und zeitgenössische Kunst an der Universität Zürich. 2010–2014 Gastpro- fessor an der Yale School of Architecture. 27
Gregory Grämiger Konrad von Meyenburg, Hannes Meyer und die Basler Siedlungsreformbewegung Zu den Dozenten, die Hannes Meyer nach Dessau holte, gehörte der Schweizer Maschineningenieur Konrad von Meyenburg (1870–1952). Die Freundschaft der beiden geht in die Zeit des Freidorfs zurück. Der Spatenstich der Siedlung erfolgte denn auch mit der wichtigsten Erfindung Von Meyenburgs, der sogenannten Bodenfräse. Mit diesem neuartigen landwirtschaftlichen Gerät zur Auflockerung der Erde woll- te Von Meyenburg nichts anderes als die Ernährung der Welt sichern. Über die Ernährungsfrage kam er zum Siedlungsbau, trat in engen Austausch mit der Basler Siedlungsreformbewegung und wurde schon bald einer ihrer lautesten Stimmen, die eine Typisierung, Normierung und Rationalisierung des Bauwesens propagierte. In den 1920er Jah- ren entwickelte er ein quasisakrales Theoriegebilde, das zahlreiche Stimmen der Philosophie und Wissenschaft zu einem Amalgam ver- eint. Erst diese durch ihn entdeckten zweckorientierten Prinzipien hätte Hannes Meyer auf den Weg zu einer funktionalen Architektur geführt, wie Konrad von Meyenburg in seiner keineswegs bescheide- nen Art erklärte. Sa Gregory Grämiger studierte Architektur an der ETH Zürich und promo- 13:30 vierte 2014 mit einer Arbeit über wissenschaftliche Sammlungsräume der frühen Neuzeit. Seit 2008 forscht und lehrt er am Institut für Geschichte und Theorie (gta) der ETH Zürich, von 2015 bis 2017 arbeitete er zudem am Lehrstuhl von Annette Gigon und Mike Guyer. In ausseruniversitären Arbeiten erforscht er den Einfluss von Baugesetzen auf die Architektur und das Leben und Werk des Architekten Ernest Brantschen. 28
Lothar Schmitt Xanti Schawinsky und das Abschiedsfest des Weimarer Bauhauses Alexander «Xanti» Schawinsky (1904–1979) wuchs in Basel und Zürich auf, bevor er eine Ausbildung in einem Kölner Architekturbüro begann. Nach kurzem Studium an der Berliner Kunstgewerbeschule wechselte er im Frühjahr 1924 ans Weimarer Bauhaus, wo er sich schnell in die Gemeinschaft integrierte. Als Mitglied von Oskar Schlemmers Büh- nenabteilung macht er bald mit eigenen Stücken auf sich aufmerksam. Und auch im Bauhausleben nimmt er rasch eine wichtige Stellung ein: Er spielt in der Bauhaus-Kapelle und wenn Bauhäusler Feste feiern oder Spässe treiben, ist Schawinsky regelmässig mit von der Partie. Das zeigen eine Reihe von Fotografien solcher Ereignisse, bei denen er meist im Zentrum des Treibens steht. Dass Schawinsky bei solchen Anlässen nicht schüchtern war, steht ausser Frage, aber reicht das aus, ihn als Klassenclown der Bauhaus- ära einzuordnen, der immer dann zur Stelle war, wenn es in Weimar oder Dessau etwas zu lachen gab? Der von ihm verfasste Text eines Stücks, das Ende März 1925 unter dem Titel «Tanz-Melo-Drama-Im- provi-Sation» beim Weimarer Abschiedsfest aufgeführt wurde, gibt Gelegenheit, seine humoristischen Ambitionen näher zu beleuchten. Dieser Text gehört zu dem im Bauhaus-Archiv aufbewahrten Teil des Schawinsky-Nachlasses, wurde im Katalog der Berliner Schawins- ky-Ausstellung von 1986 abgedruckt, aber bislang nie genauer unter- sucht. Eine Re-Lektüre des Stücks fördert überraschende literarische Quellen zutage und deutet an, wie es Schawinsky nicht nur gelang, das Netzwerk der Bauhaus-Meister zu analysieren, sondern sich dabei ihnen gegenüber gleichzeitig zu positionieren. Lothar Schmitt, geboren 1966, arbeitet seit 2012 als Fachreferent für Kunst, Sa Architektur und Archäologie an der Zentralbibliothek Zürich. Er studierte 14:00 Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Vor- und Frühgeschichte in Bonn. In Bonn war er wissenschaftlicher Mitarbeiter, bevor er 2001 als Assistent ans Institut gta der ETH Zürich wechselte. Dort ist er heute wei- terhin als Privatdozent tätig. 29
Dieter Schnell Zur Rezeption des Bauhauses in der Schweiz in den 1920er Jahren Bereits der erste längere Bericht über das Bauhaus in einer Schwei- zer Fachzeitschrift – «Bauhaus und Bauhauswoche zu Weimar» von Sigfried Giedion in Das Werk 9/1923 – löste eine kleine Kontroverse aus. Diese hatte sich aber weniger an den Aussagen über das Bau- haus selbst als vielmehr an provokativen Äusserungen des Autors über das schweizerische Architekturschaffen entzündet. Nicht nur diese Diskussion zeigt eine damals in der Deutschschweiz weit verbreitete Reserviertheit allen Formexperimenten und radikalen Architekturpo- sitionen gegenüber. Der Vortrag geht der Frage nach, woher diese Vorsichtshaltung kam und auf welche Argumente sie sich stützte. Sa Dieter Schnell ist Professor für Kulturtheorie und Denkmalpflege am 14:30 Fachbereich Architektur der Berner Fachhochschule und leitet da auch den MAS Denkmalpflege und Umnutzung. Zudem ist er Privatdozent für Kunstgeschichte an der Universität Bern. Er publiziert regelmässig über Schweizer Architektur des 18. bis 21. Jahrhunderts sowie über Fragen der Denkmalpflegetheorie. 30
Ita Heinze-Greenberg Bauhäusler in der Emigration: Die Schweiz als Zwischenstation, Exil und Heimat «was fädelst du ein? wohin schlenkerst du deine schritte?» fragt Oskar Schlemmer seine ehemalige Kollegin Gunta Stölzl Mitte Juni 1931. Die Leiterin der Bauhaus-Weberei sieht sich gezwungen, ihre langjähri- ge Verbundenheit mit dem Bauhaus aufzugeben. Ihre kurze Ehe mit dem jüdisch-palästinensischen Architekten Arieh Sharon, Schüler und Mitarbeiter von Hannes Meyer, hat sie zur staatenlosen, alleinerzie- henden Mutter und Zielscheibe puritanischer, antisozialistischer und antisemitischer Attacken gemacht. Im November 1931 geht sie nach Zürich und baut sich zusammen mit zwei Schweizer Bauhäuslern eine neue Existenz auf. Der Beitrag will die gut aufgearbeitete Biografie der einzigen Frau im Meisterrat des Bauhauses unter dem Gesichtspunkt der Migrations- forschung neu beleuchten. Aufgrund der Nachbarschaft zu Deutsch- land, einer langen Tradition aussenpolitischer Neutralität sowie der Zugehörigkeit zum gleichen Sprachraum zählte die Deutschschweiz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zu den bevorzug- ten Exilländern. Fragen, inwieweit Nicht-Schweizer Bauhäusler in der Eidgenossenschaft Zuflucht fanden, welche Netzwerke hier grif- fen, wie sich die berufliche Neuorientierung gestaltete und wie sich die Schweiz den Immigranten und Flüchtlingen gegenüber darstellte, werden vor dem Hintergrund ökonomischer, rechtlicher und soziologi- scher Aspekte angegangen. Ita Heinze-Greenberg, Titularprofessorin für Architekturgeschichte der Sa Moderne am Institut gta der ETH Zürich; zuvor Forschungs- und Lehrtä- 15:00 tigkeit an der TU München, dem Technion in Haifa, der Bezalel Akademie in Jerusalem, der Universität Augsburg und der TU Delft. Publikationen zur Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts mit Fokus auf Migrations- forschung und nation building, zuletzt über Eretz Israel als Versuchslabor europäischer Siedlungskonzepte sowie zum Projekt der Europäischen Mit- telmeerakademie. 31
Internationale Tagung 22. bis 24. November 2018 Museum für Gestaltung Ausstellungsstrasse 60 8031 Zürich 22.11. ab 17:30 Uhr 23.–24.11. ab 09:00 Uhr Organisiert durch die Titularprofessur Heinze-Greenberg für Architekturgeschichte der Moderne Institut für Geschichte und Theorie der Architektur Eidgenössische Technische Hochschule Zürich
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