Fleischkonsum in Deutschland: Ethische, soziale und ökologische Konsequenzen unserer Ernährungsweise Einführung - NABU
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Fleischkonsum in Deutschland: Ethische, soziale und ökologische Konsequenzen unserer Ernährungsweise Einführung Mit seiner Aussage „Der Mensch ist, was er isst“ vertrat Ist diese Entwicklung noch ethisch vertretbar, ge- der Philosoph Ludwig Feuerbach bereits Mitte des 19. schweige denn nachhaltig, und welche Konsequenzen Jahrhunderts die Auffassung, dass die Ernährung eine hat dies für den Verbraucher und unseren Planeten? große Bedeutung für die kulturelle Identität des Indivi- Wir brauchen ein kritischeres Verhalten beim Fleisch- duums besitzt. Feuerbach behauptete, dass Revolutio- konsum, das mit einer Rückbesinnung auf eine flä- näre nur mit der richtigen Nahrung obsiegen könnten: chengebundene, naturverträgliche Tierhaltung in der „Wer nur Pflanzenkost genießt, ist auch nur ein vege- Landwirtschaft verbunden ist. tierendes Wesen, hat keine Tatkraft.“ Rund 150 Jahre später scheinen die Verbraucher diesem Rat zu folgen: Vom Sonntagsbraten zum omnipräsenten Im Jahr 2010 wurden 88,2 kg Fleisch pro Kopf in Konsumgut Deutschland verzehrt, was ca. 240 g pro Tag bedeutet1. Die Ernährung der Deutschen hat sich in den Jahren Deutschland hat sich zu einer Nation von Fleischessern nach dem 2. Weltkrieg stark verändert. In der Phase gewandelt. Die Industrialisierung der Landwirtschaft des Wiederaufbaus herrschte zunächst ein grundsätzli- hat mit enormem Tempo die traditionellen Strukturen cher Mangel an Lebensmitteln, der allerdings relativ der Viehhaltung verdrängt. Stattdessen bestimmen schnell – und dies gilt speziell auch für die DDR2 – mit zunehmend „Tierfabriken“ bzw. Mastanlagen sowie der sich intensivierenden Industrialisierung der Land- riesige Schlachthöfe die Szenerie. So nahm im Septem- wirtschaft, überwunden wurde. Letztere ist auch ur- ber 2011 im niedersächsischen Wietze der größte Ge- sächlich für einen Trend, der kaum noch zu stoppen flügelschlachthof Deutschlands seinen Betrieb auf, scheint: die Lebensmittel werden verhältnismäßig angestrebt wird eine wöchentliche Gesamtkapazität immer günstiger. So sank der Anteil der Ausgaben für von 2,59 Millionen Hähnchen – das sind 27.000 Tier- schlachtungen in der Stunde. 2 In der DDR wurde der Westen in Sachen Fleischkonsum sogar 1 übertroffen und der Verbrauch von Fleisch wurde zwischen BMELV (2011): Statistisches Jahrbuch über Ernährung, 1955 und 1989 von 45 kg auf 100,2 kg pro Jahr und Kopf mehr Landwirtschaft und Forsten 2010. Bremerhaven: als verdoppelt; aus Annette Kaminsky, Illustrierte Wirtschaftsverlag Konsumgeschichte der DDR, S. 48
NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland Nahrungsmittel am Haushaltseinkommen in Deutsch- Diese positiven Aspekte kehren allerdings ins Gegen- land auf unter 15 Prozent in 2008 - 1950 lag dieser teil, wenn zu viele Fleischwaren die Ernährungsweise Anteil noch bei ca. 40 Prozent3. Die Globalisierung bestimmen. Dies liegt vor allem daran, dass Fleisch trägt ihren Teil zu dieser Entwicklung bei und insbe- einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren enthält, sondere billige Fleisch- bzw. Wurstwaren, egal ob die nur in geringen Mengen dem Körper zugeführt importiert oder in Deutschland produziert, sind aus werden sollen. Im Gegensatz dazu können ungesättigte den Supermärkten nicht mehr wegzudenken. Der Fettsäuren, die sehr wichtig für den Stoffwechsel sind, besondere Fleischgenuss in Form des Sonntagsbratens nicht in großen Mengen zur Verfügung gestellt werden wurde vom omnipräsenten, jederzeit möglichen Ange- (was allerdings abhängig von Tierart und Haltung ist). bot an Fleisch- und Wurstwaren abgelöst. Currywurst, Bei übermäßigem Fleischkonsum führt dies zu typi- Döner, Hamburger, Bulette, Leberkäsebrötchen, oder schen Wohlstands- oder Zivilisationskrankheiten wie Bratwurst sind aus deutschen Städten und hungrigen Bluthochdruck, Gicht, Altersdiabetes oder Fettleibig- Köpfen nicht mehr wegzudenken. Mit dem Wohlstand keit. Nur ein gelegentlicher Fleischverzehr kann also als einer Gesellschaft steigt also gleichzeitig auch die Nach- gesund bezeichnet werden. Nach einer Studie der frage nach Fleisch, und da der westliche Lebensstil für American Dietetic Association (ADA) sind bei fleisch- viele Bewohner der Entwicklungs- und Schwellenlän- loser Ernährung die Risiken, an Zivilisationskrankhei- der Vorbildcharakter besitzt, greift diese Entwicklung ten zu erkranken5, erheblich geringer. weltweit um sich. Experten rechnen mit einer weltwei- Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) ten Verdoppelung des derzeitigen Fleischverbrauchs empfiehlt dem Verbraucher, nur zwei bis drei Mal in bis 2050 (momentan liegt dieser bei 284 Millionen der Woche Fleisch oder Wurstwaren zu verzehren – Tonnen pro Jahr)4. Seit 1950 ist er bereits um das insgesamt höchstens 600 Gramm. Eine vernünftig Sechsfache gestiegen. geplante vegetarische Ernährung kann den Körper ebenso mit den nötigen Nährstoffen versorgen. So Fleisch – ein Stück Lebenskraft? kann das ausschließlich im Fleisch vorkommende Fleisch- und Wurstwaren sind wichtige Lieferanten zweiwertige Eisen durch eine kombinierte Nahrungs- von Nährstoffen (Eiweiß, Vitamine und Mineralstof- aufnahme eisenreicher, vegetarischer Lebensmittel fe). In der Nationalen Verzehrsstudie des Bundesland- (dreiwertiges Eisen) zusammen mit Lebensmitteln, wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2008 heißt es: welche die Eisenaufnahme fördern, kompensiert wer- „Fleisch ist eine bedeutende Quelle für B-Vitamine den6. Alle weiteren notwendigen Nährstoffe können (B6, B12, Niacin) sowie Eisen, Zink, Selen und Kalium. durch vegetarische Lebensmittel gleichwertig wie durch Zusätzlich ist die Bioverfügbarkeit der Mineralstoffe in Fleischkonsum aufgenommen werden. Fleisch und Fleischprodukten höher als in Getreide In diesem Kontext sollten die weiteren negativen Aus- und anderen pflanzlichen Lebensmitteln. Ferner ent- wirkungen auf die menschliche Gesundheit nicht hält Fleisch hochwertiges Protein und trägt damit zur verschwiegen werden, die sich durch den Verzehr von Proteinversorgung bei.“ Die gute Verwertbarkeit der Fleisch aus der Massentierhaltung ergeben. So wird den im Fleisch enthaltenen Mineralstoffe wie Eisen oder Tieren, egal ob Geflügel, Rind oder Schwein, schon Zink ist unbestritten. beim geringsten Verdacht eines Krankheitsfalls in hohen Mengen Antibiotika durch die Futteraufnahme 5 3 Position of the American Dietetic Association: Vegetarian http://de.statista.com/statistik/daten/studie/75719/umfrage/ Diets. J Am Diet Assoc. 2009;109:1266-1282 ausgaben-fuer-nahrungsmittel-in-deutschland-1900-bis-2008/ 6 Claus Leitzmann und Markus Keller, Vegetarische Ernährung, 4 How to feed the World in 2050. FAO. 2009 2. Aufl. 2010, S. 214-222 2
NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland verabreicht, um Epidemien unter den Tieren zu ver- mästet, anschließend zu den Schlachthöfen transpor- hindern. Dies wird in einer aktuellen Studie aus tiert und am Fließband getötet und verarbeitet. Nordrhein-Westfalen bestätigt, wonach 96 Prozent der Am Beispiel des Werdegangs eines Masthuhns wird Hähnchen in der Mast mit Antibiotika behandelt klar, dass diese Art der industriellen Nahrungsmittel- wurden7. Die massive Verabreichung kann zur Bildung produktion inzwischen wohl jeden Bezug zu einer multiresistenter Keime führen, die die Wirksamkeit artgerechten Tierhaltung verloren hat: In der konven- von Antibiotika in der Humanmedizin erheblich be- tionellen Hühneraufzucht sehen die Tiere nie das einträchtigen. Ebenso bieten Massentierhaltungsbe- Tageslicht. Sie wachsen zu Tausenden in klimatisierten triebe einen optimalen Nährboden für Krankheitserre- und künstlich beleuchteten Hallen ohne Fenster auf. ger, die durchaus von den Tieren auf den Menschen Dabei teilen sich rund 25 Tiere einen Quadratmeter übertragbar sind und weltweite Pandemien auslösen und stehen somit ständig unter Stress. Selbst in den können. Erinnert sei in diesem Kontext nur an die Schlafzeiten kommen die Tiere aufgrund des perma- Vogel- (H5N1-Virus) oder die Schweinegrippe nenten Körperkontakts zu den Artgenossen selten zur (H1N1-Virus). Ruhe. Den Stress erhöht zudem noch die Tatsache, dass die Hühner in den Anlagen nicht ihren natürli- Am laufenden Band chen Bedürfnissen, wie beispielsweise Scharren und Die Beweggründe für eine fleischlose Ernährung liegen Picken, nachkommen können und sich stattdessen lediglich für jeden fünften Vegetarier in der eigenen gegenseitigen angreifen und verletzen. Um dies zu Gesundheit, für 63 Prozent der Befragten spielen mo- unterbinden, werden daher bereits den Küken die ralische Bedenken die größte Rolle8. Die Motive rei- Schnabelspitzen knapp unterhalb der Nasenöffnung chen von der Ablehnung der Tötung von Lebewesen gekappt – dabei ist der Schnabel ein stark durchblute- bis hin zur Ablehnung der Umstände bei Tiertranspor- tes, sensibles Tastorgan. In vielen Anlagen werden die ten oder in der Massentierhaltung. Viele Menschen Küken inzwischen innerhalb von rund 38 Tagen zur distanzieren sich immer mehr von der herkömmlichen Schlachtreife gemästet, obwohl sie eigentlich eine Le- Aufzucht und dem Schlachten von Tieren. Je weiter benserwartung von 10-15 Jahren haben. In dieser das Bewusstsein bzw. das Wissen über Herkunft sich kurzen Zeit steigt ihr Anfangsgewicht von 45 g um das aus den Köpfen der Konsumenten entfernt, desto 35-fache, ihr Schlachtgewicht liegt dann bei ca. 1,5 kg. einfacher und bedenkenloser fällt wohl auch die Kon- Ein längeres Leben wird schon allein deswegen un- sumentscheidung für Fleisch. möglich, da die in der Hühnchenmast verwendeten Die in der Massentierhaltung verwendeten Tiere wer- Zuchtrassen hauptsächlich Brustmasse aufbauen und den so gezüchtet, dass sie große Mengen an Fleisch ihr Körperbau für einen derartig schnellen Gewichts- liefern bzw. viele Eier legen. Sie werden in einer extrem aufbau nicht geeignet ist: Ihre Füße leiden unter dem unnatürlichen Umgebung gehalten, die ihren artge- enormen Gewicht, die Hühner können kaum das rechten Bedürfnissen nicht entspricht. Es fehlt Tages- Gleichgewicht halten und kippen regelrecht nach vor- licht, frische Luft und vor allem genügend Auslauf, ne. Die gestressten, teilweise unter Knochenbrüchen kurz: alles, was dazu beitragen könnte, dass die Tiere oder entzündeten Wunden leidenden Tiere werden weniger krankheitsanfällig sind und es ihnen gut geht. nun in engen Käfigen zu den Schlachtanlagen trans- Sie werden auf schnellste Weise zur Schlachtreife ge- portiert. Viele der Tiere überleben bereits den Weg vom Mastbetrieb zum Schlachthof nicht. Dort verbrin- gen die Tiere zunächst Zeit unter beruhigendem Blau- 7 licht. Anschließend werden sie kopfüber an entspre- Evaluierung des Antibiotikaeinsatzes in der Hähnchenhaltung. Landesamt für Natur, Umwelt- und Verbraucherschutz NRW. chende Apparaturen zu Beginn der Schlachtstraße 2011 gehängt, wo sie maschinell mit Hilfe von CO2 oder 8 http://www.vegetarierstudie.uni-jena.de/ (Stand 7. April 2011) 3
NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland einem Elektrobad betäubt werden. Dann werden sie zum Teil auch mit Gewalt, gegen zu hohe Lebensmit- durch einen Kehlenschnitt zum Ausbluten gebracht telpreise. Die für viele Menschen nicht mehr er- und in ein Brühbad getaucht, zerlegt und filetiert. Wie schwinglichen Preise für Mais und Getreide waren und oft es bei derartig maschinellen Vorgängen zu Störun- sind auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen: gen kommt und Hühner unbetäubt verbluten oder in Neben Spekulationen an den Börsen mit Lebensmit- kochendes Wasser getaucht werden, kann kaum ge- teln, klimabedingten Missernten oder der zunehmen- schätzt werden. den Nachfrage nach Energiepflanzen für Biokraftstoffe zählt auch der weltweit steigende Fleischkonsum zu Bei allen anderen Nutztieren kommt es zu ähnlichen den Ursachen. Zwar sind nach der Preisexplosion in Vorgängen im Rahmen der Mast und der Schlachtung: 2008 die Preise wieder gefallen, sie befinden sich jedoch So werden Ferkel unbetäubt kastriert, Rinder und schon wieder im Anstieg. Dies verdeutlicht beispiels- Schweine werden auf Vollspaltenböden ohne Einstreu weise die Preisentwicklung von Weizen in Europa9. gehalten oder Rinder erleiden Qualen durch unplat- zierte Bolzenschüsse des Schlachters. Dies geschieht in der Regel unter veterinärmedizinischer Aufsicht und im Rahmen geltender Tierschutzgesetze. Für die Ka- ninchenhaltung zu Erwerbszwecken existieren noch nicht einmal rechtlich bindende Vorschriften. Trotz der bekannten Mängel dieser agrarindustriellen Haltungs- und Aufzuchtmethoden wird die Errichtung von Massentierhaltungsanlagen mit schnellen Geneh- migungsverfahren begünstigt. Erst 2007 wurden die Schwellenwerte zur Anwendung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens von Mastanlagen zur Abb. 1: Entwicklung des Weizenpreises in Europa Schweine- oder Putenhaltung gemäß Bundesimmissi- onsschutzgesetz erheblich erhöht (von 2000 auf 3000 Plätze für Schweine bzw. von 20.000 auf 40.000 Plätze für Puten). Damit sind bei derartigen Vorhaben die Beteiligungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit erheblich eingeschränkt. Die wenigsten Konsumenten scheint es wirklich zu interessieren, wie heutzutage der Großteil der Nutztiere zur Fleischproduktion gehalten bzw. geschlachtet wird, während ein viel größeres Interesse am Wohlergehen von Haustieren besteht. Dieser Widerspruch lässt sich wohl durch die (emotionale) Nähe zu Haustieren erklären, da die Nutztiere kaum noch in Wohngebie- ten vorzufinden sind und damit immer weiter aus dem Abb. 2: Weizen: Globale Produktionsfläche & Ertrag Bewusstsein verdrängt werden. Ein hoher Preis für billiges Fleisch 9 Im Jahr 2008 kam es in vielen armen Ländern zu Hun- Beide Graphiken aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, Online unter:http://m.faz.net/Rub58BA8E456DE64F1890E34F4803239 geraufständen. Unzählige Menschen protestierten, F4D/Doc~E27540398C5CF4C6E8AB27299D3A421CF~ATpl~E partner~Ssevenval~Scontent.xml (Stand 7. April 2011) 4
NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland Gleichzeitig stieg der Ertrag von Weizen in den vergan- auch das ansonsten unverwertbare Grünland nutzen genen Jahren stetig. Diese Entwicklung lässt sich bei können. nahezu allen Getreidearten feststellen. Die Preise stei- Diese Situation begründet die negativen Auswirkungen gen, die Erträge auch. Doch was hat dies mit dem des weltweit rasant ansteigenden Fleischkonsums auf Fleischkonsum zu tun, insbesondere in der westlichen die Ernährungslage vor allem in Entwicklungsländern. Welt? Wie bereits angesprochen, ist vor allem die zu- Laut einer Berechnung der UN-Umweltorganisation nehmende Fleischnachfrage ein wichtiger Faktor, der (UNEP) könnten allein durch den Verzicht auf die für die Preissteigerung von Getreide verantwortlich ist. Umwandlung von pflanzlichen in tierische Produkte Neben der Biokraftstoffindustrie ist vor allem das Vieh theoretisch 3,5 Milliarden Menschen ernährt werden12. der modernen Agrarwirtschaft immer hungriger nach Schließlich werden zur Umwandlung einer pflanzli- Mais, Soja und Getreide. Selbst Wiederkäuer wie Rin- chen in eine tierische Kalorie je nach Tierart fünf bis der, die normalerweise das für Menschen nicht verdau- dreißig pflanzliche Kalorien verfüttert. liche Gras fressen, entwickeln sich somit zu direkten Nahrungskonkurrenten des Menschen. Weltweit be- Gleichzeitig verschärft die Massentierhaltung die Er- stehen jährliche Kapazitäten zur Schlachtung von nährungssituation in der Welt noch auf eine andere schätzungsweise 45 Milliarden Tieren10, die ausrei- Art. Viele Industrieländer müssen gewaltige Mengen chend Futter benötigen. In der Konsequenz wurden im an Getreide oder Ölsaaten importieren, da die Bin- Jahr 2008 222 Millionen Tonnen Soja an Tiere verfüt- nenmärkte nicht ausreichend Futtermittel bereitstellen tert11. Davon hat Europa 35 Millionen Tonnen Soja für können. Dies geschieht zumeist durch Importe aus die Viehfütterung importiert. Entwicklungs- oder Schwellenländern oder durch Ankäufe von dortigen Agrarflächen. So nimmt allein Mit jeder Stufe der Nahrungskette, also von den der Sojabedarf der deutschen Tierproduktion eine pflanzlichen Primärproduzenten an Biomasse bis hin Anbaufläche von 2,8 Millionen Hektar ein13, der größ- zum Endkonsumenten, kommt es dabei zu Energie- te Teil davon in Brasilien und Argentinien – Fläche, die verlusten, meist durch Verzehrverluste, Veratmung der heimischen Bevölkerung nicht mehr zur Nah- und Unverdaulichkeit, also durch Ausscheiden unge- rungsmittelerzeugung zur Verfügung steht. Zudem nutzter Nährstoffe. Ein Großteil der aufgenommenen führt der steigende Futtermittelbedarf oft zu einem Energie wird gar nicht in Fleisch umgewandelt und großflächigen Anbau in Monokulturen mit gentech- steht nicht mehr als Nahrung zur Verfügung. Bei den nisch veränderten Pflanzen, wodurch Böden, Gewässer Tierrassen, die für die Massentierhaltung gezüchtet und biologische Vielfalt massiv belastet werden. werden, wurden diese Verluste in der Vergangenheit zwar deutlich reduziert. Fakt ist aber weiterhin, dass ein Die intensive Fleischproduktion hat noch weitere Huhn heutzutage für die Produktion von einem Kilo- Konsequenzen für Entwicklungsländer. So stellt sich gramm Fleisch 1,6 kg Futter benötigt. Schweine benö- heutzutage die Frage nach „Brust oder Keule“14 nicht tigen drei Kilogramm und Rinder sogar acht Kilo- mehr, denn sie wird täglich vom Verbraucher eindeu- gramm Futter – wobei Rinder als Wiederkäuer eben tig beantwortet. Das weiße, fettarme Fleisch der Hühnchenbrust erobert in Zeiten von „fettarmer Er- nährung“ die Herzen und Mägen der Konsumenten. In den Kühltheken der Supermärkte oder beim Metz- 10 Reiner Stadler, Die Überflieger, im sz-magazin, Online unter: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/34981/ (Stand 7.April 2011) 12 11 Hartman, G., West, E. & Herman, T. (2011): Crops that feed C. Nellmann et al, The environmental food crisis – The envi- the World 2. Soybeans - worldwide production, use, and ronment’s role in averting future food crises, UNEP 2009, S. 27 constraints caused by pathogens and pests. Food Security 3: 5- 13 FAOSTAT 2010 14 17. wie es bereits 1976 in einem Film mit Louis de Funès hieß 5
NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland ger ist daher kaum noch ein ganzes Huhn, geschweige Auch die im Rahmen der Fleischproduktion anfallen- denn dessen Extremitäten zu finden. Diese Reste über- den Emissionen haben erhebliche Auswirkungen auf schwemmen tiefgefroren und zu Dumpingpreisen die die Umwelt. Der Anbau der Futtermittel in der kon- Märkte von Entwicklungsländern. Die Exporte ruinie- ventionellen Landwirtschaft nimmt – wie bereits dar- ren nicht nur die dortigen Marktpreise für Geflügel, gestellt – enorme Flächen in Form von Monokulturen sondern auch die lokalen Geflügelzüchter. In anderen (Soja und Getreide) in Anspruch, die intensiv mit Erdteilen wird also ein hoher Preis gezahlt, damit wir Pestiziden behandelt werden. Diese belasten das für unser Fleisch wenig Geld ausgeben müssen. Grundwasser in den betroffenen Gebieten. Dazu kommen riesige Mengen an Gülle, die bei der Mast Nicht nur Kleinvieh macht Mist: Umwelt- von Nutztieren in der Massentierhaltung konzentriert belastungen durch Intensivtierhaltung vor Ort anfallen und auf Felder verbracht werden. Neben den gesundheitlichen, ethischen und sozialen Doch die Betreiber dieser „flächenunabhängigen“ Problemen verursacht oder verschärft der übermäßige Anlagen müssen bei der Genehmigung weder eigene Fleischkonsum und die dahinter stehende Agrarin- Ackerflächen zum Anbau von Futterpflanzen für ihre dustrie auch ein breites Spektrum an Umweltproble- Tiere, noch zum Ausbringen der anfallenden Gülle men: nachweisen, sondern lediglich einen Gülle-Abnehmer für einen gewissen Zeitraum. Die regional konzentrier- Trinkwasser ist ein knappes Gut. Bereits jetzt ist saube- te Ausbringung der Gülle führt zu einem Stickstoff- res Wasser in vielen Ländern (v.a. Entwicklungslän- überschuss von bis zu 300 Kilogramm pro Hektar. Ein dern) keine Selbstverständlichkeit. Lokale hydrogeolo- Teil des Stickstoffs gelangt als gesundheitsgefährdendes gische Gegebenheiten, aber auch das Agieren der Re- Nitrat ins Grundwasser oder entweicht in Form von gierung bzw. der Bevölkerung sind ausschlaggebend Lachgas mit erheblicher Klimawirksamkeit in die At- für die Verfügbarkeit von Trinkwasser. Die vorhande- mosphäre. Zudem entsteht Ammoniak, das als saurer nen Engpässe werden durch die weiter wachsende Regen wieder auf die Erdoberfläche gelangt und dort Weltbevölkerung und den Klimawandel verschärft. Bei zur Bodenversauerung beiträgt. Betrachtung des Wasserverbrauchs zur Herstellung bestimmter Waren wird deutlich, wie sehr sich unser Insgesamt macht die Tierhaltung 65 Prozent aller vom Konsumverhalten auf die Wasserressourcen weltweit Menschen verursachten Lachgasemissionen und 64 auswirkt. Der enorme Wasserbedarf für die Kultivie- Prozent der Ammoniakemissionen aus. Die Studie rung von beispielsweise Kaffee (140 l für eine Tasse), „Livestock’s long shadow“ der UN-Ernährungs- Baumwolle (2.000 l für ein T-Shirt) oder Reis (3.000- organisation FAO aus dem Jahr 2009 schätzt den An- 5.000 l für 1 kg) dürfte einigen Verbrauchern bereits teil der Tierhaltung an den gesamten Treibhausgasen bekannt sein. Aber den wenigsten ist bewusst, dass für auf 18 Prozent, also rund 7,5 Millionen Tonnen CO2- die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch Äquivalente – das ist mehr als die Emissionen aus dem 16.000 Liter Wasser benötigt werden. Auch die Pro- gesamten Verkehrssektor. Neben den Lachgasemissio- duktion von einem Kilogramm Schweinefleisch ver- nen sind die durch Verdauungsvorgänge von Wieder- braucht stattliche 4.800 l, ca. 4.000 l ein Kilogramm käuern verursachten Ausscheidungen von Methan (33 Hühnerfleisch. Demgegenüber benötigt Gemüse deut- Prozent des gesamten Methanausstoßes weltweit)15 lich weniger Wasser (z.B. 1 kg Karotten 130 l, 1 kg sowie die CO2-Emissionen klimarelevant. Letztere Tomaten 180 l, 1 kg Kartoffeln 900 l). Eine Reduzie- werden hauptsächlich durch die Landnutzungsände- rung des Fleischverbrauchs wirkt sich also positiv auf rungen verursacht. Vor allem Regenwälder in Südame- die globalen Wasserressourcen aus. 15 Henriette Mackensen, Die Kuh als Klimasünder?, Der kritische Agrarbericht 2008, S. 234 6
NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland rika müssen Weideland oder Ackerflächen für Getreide Schlussfolgerungen oder Ölsaaten weichen. Letztere haben aber eine deut- Angesichts der weltweiten Umweltprobleme, des lich geringere CO2-Speicherkapazität als Wälder: Wäh- anthropogenen Klimawandels und der globalen Er- rend Grünland eine CO2-Speicherkapazität von 8 nährungssituation ist ein Umsteuern dringend erfor- Tonnen pro Hektar hat, kommt Regenwald auf 200 derlich. Dabei sollte die Macht der Verbraucher nicht Tonnen pro Hektar. Die Produktion von tierischem unterschätzt werden. In einigen Regionen ist der öf- Eiweiß verbraucht enorme Flächen, nicht nur in Süd- fentliche Widerstand gegen neue „Tierfabriken“ mitt- amerika, wie an nebenstehender Grafik16 zu erkennen lerweile so groß, dass Investoren zunehmend verunsi- ist. Schon jetzt beansprucht die Futtermittelproduktion chert sind und Kommunen oder Landkreise alle recht- für die Viehhaltung rund 30-40 Prozent der landwirt- lichen Möglichkeiten ausloten, um Stallneubauten zu schaftlichen Nutzfläche – die prognostizierte Verdop- verhindern. Es wird immer deutlicher, dass die anhal- pelung des Fleischkonsums wäre dramatisch. tende Debatte um tierquälerische Haltungsmethoden Konsequenzen für einen besseren Tierschutz in der Landwirtschaft haben wird: Die Haltungsbedingungen müssen den Tieren angepasst werden, und nicht um- gekehrt. Darüber hinaus ist ein kritischeres Verhalten des Ein- zelnen beim Fleischkonsum erforderlich. Durch einfa- che und alltägliche Konsumentscheidungen – den persönlichen Beitrag „mit dem Einkaufskorb“ – kann jeder zur Verbesserung der eigenen Klimabilanz, zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks und zur Lösung gravierender weltweiter Probleme beitragen. Das Thema Fleischkonsum bietet viele Ansatzpunkte Abb. 3: Flächenverbrauch für die Herstellung von Fleischprodukten aus unterschiedlichen Nutztieren zur Information und zur Sensibilisierung, egal ob Gesundheit, Klimawandel, Tierschutz, Flächenver- Aus der intensiven Viehwirtschaft resultiert damit ein brauch oder Umweltbelastung. Eine breit angelegte Verlust der biologischen Vielfalt. Die Abholzung von Kommunikationsstrategie könnte auch die Basis für Urwäldern, die Überdüngung von Böden und Gewäs- eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber sern, der Verlust ökologischer Rückzugsflächen in der ordnungspolitischen und marktwirtschaftlichen In- Agrarlandschaft sowie der zunehmende Bodenabtrag strumenten zur Reduzierung der Fleischerzeugung durch Wind- und Wassererosion werden maßgeblich darstellen. Hierzu gehören folgende Maßnahmen, die verursacht durch den großflächigen Anbau von Mo- näher in Betracht gezogen werden sollten: nokulturen und die Ausbringung tierischer Exkremen- • Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleischprodukte te. von 7% auf den vollen Steuersatz von 19%. • Einführung einer Fettsteuer (analog zu Dänemark), um den Konsum von Lebensmitteln mit gesättigten Fettsäuren wie Butter und Fleisch zu reduzieren. • Verschärfung der Düngeverordnung durch Begrenzung der Stickstoffüberschüsse auf 60 16 aus Le Monde diplomatique, Atlas der Globalisierung spezial Kilogramm pro Hektar und Einführung einer – Klima, S. 91, 2008 7
NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland Flächenbindung in der Tierhaltung bei zwei Vorrangiges Ziel sollte eine Rückbesinnung auf eine Großvieheinheiten pro Hektar. flächengebundene, naturverträgliche Viehhaltung in • Einführung einer Futtermittelsteuer, mit der vor der Landwirtschaft sein. In einem System mit geschlos- allem die wachsenden Importe von Sojafutter- senen Kreisläufen sind Nutztiere besonders wichtig, mitteln begrenzt würden und die Produktion um die Nährstoffversorgung der landwirtschaftlichen heimischer Leguminosen (z.B. Ackerbohne, Flächen sicherzustellen. Daher verpflichtet zum Bei- Futtererbse, Luzerne) gefördert werden könnte. spiel der Anbauverband Demeter seine Landwirte zur • Einführung einer Stickstoffsteuer, um eine sparsa- Haltung von Tieren. Optimal für Tier, Mensch und mere und effizientere Nutzung von Wirtschafts- Umwelt wäre ein reduzierter Fleischkonsum auf Basis dünger zu fördern. von Fleisch aus biologischer Erzeugung, am besten aus • Kopplung sämtlicher Direktzahlungen der EU- regionaler Herkunft, oder Wildfleisch aus nachhaltiger Agrarpolitik an Auflagen aus dem Bereich Tier- Jagd. Zur Lösung einer Vielzahl von Problemen kann und Umweltschutz (z.B. Flächenbindung der aber auch die konventionelle Landwirtschaft beitragen, Tierhaltung, Förderung tiergerechter Haltungs- indem sie sich im Interesse der Umwelt und der Ver- formen, dreigliedrige Fruchtfolge mit Legumino- braucher stärker auf „Klasse statt Masse“ und auf regi- sen). onale Strukturen besinnt, anstatt mit Subventionen • Abschaffung aller Exportsubventionen für und Dumpingangeboten neuen Absatzmärkten in Fleischprodukte. Südostasien hinterherzulaufen. • Selbstverpflichtung öffentlicher Kantinen und Mit einer Orientierung der Gesellschaft an nachhaltige- Mensen zur Reduzierung des Fleischangebots und ren Produkten könnten zahlreiche Missstände positiv zur Schaffung vegetarischer Alternativen (z.B. beeinflusst werden. Aktionstage wie „Donnerstag ist Veggie-Tag“). 8
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