Fleischkonsum in Deutschland: Ethische, soziale und ökologische Konsequenzen unserer Ernährungsweise Einführung - NABU

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Fleischkonsum in Deutschland: Ethische, soziale und ökologische Konsequenzen unserer Ernährungsweise Einführung - NABU
Fleischkonsum in Deutschland:
Ethische, soziale und ökologische Konsequenzen unserer
Ernährungsweise

Einführung
Mit seiner Aussage „Der Mensch ist, was er isst“ vertrat   Ist diese Entwicklung noch ethisch vertretbar, ge-
der Philosoph Ludwig Feuerbach bereits Mitte des 19.       schweige denn nachhaltig, und welche Konsequenzen
Jahrhunderts die Auffassung, dass die Ernährung eine       hat dies für den Verbraucher und unseren Planeten?
große Bedeutung für die kulturelle Identität des Indivi-   Wir brauchen ein kritischeres Verhalten beim Fleisch-
duums besitzt. Feuerbach behauptete, dass Revolutio-       konsum, das mit einer Rückbesinnung auf eine flä-
näre nur mit der richtigen Nahrung obsiegen könnten:       chengebundene, naturverträgliche Tierhaltung in der
„Wer nur Pflanzenkost genießt, ist auch nur ein vege-      Landwirtschaft verbunden ist.
tierendes Wesen, hat keine Tatkraft.“ Rund 150 Jahre
später scheinen die Verbraucher diesem Rat zu folgen:      Vom Sonntagsbraten zum omnipräsenten
Im Jahr 2010 wurden 88,2 kg Fleisch pro Kopf in            Konsumgut
Deutschland verzehrt, was ca. 240 g pro Tag bedeutet1.
                                                           Die Ernährung der Deutschen hat sich in den Jahren
Deutschland hat sich zu einer Nation von Fleischessern     nach dem 2. Weltkrieg stark verändert. In der Phase
gewandelt. Die Industrialisierung der Landwirtschaft       des Wiederaufbaus herrschte zunächst ein grundsätzli-
hat mit enormem Tempo die traditionellen Strukturen        cher Mangel an Lebensmitteln, der allerdings relativ
der Viehhaltung verdrängt. Stattdessen bestimmen           schnell – und dies gilt speziell auch für die DDR2 – mit
zunehmend „Tierfabriken“ bzw. Mastanlagen sowie            der sich intensivierenden Industrialisierung der Land-
riesige Schlachthöfe die Szenerie. So nahm im Septem-      wirtschaft, überwunden wurde. Letztere ist auch ur-
ber 2011 im niedersächsischen Wietze der größte Ge-        sächlich für einen Trend, der kaum noch zu stoppen
flügelschlachthof Deutschlands seinen Betrieb auf,         scheint: die Lebensmittel werden verhältnismäßig
angestrebt wird eine wöchentliche Gesamtkapazität          immer günstiger. So sank der Anteil der Ausgaben für
von 2,59 Millionen Hähnchen – das sind 27.000 Tier-
schlachtungen in der Stunde.

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                                                             In der DDR wurde der Westen in Sachen Fleischkonsum sogar
1
                                                           übertroffen und der Verbrauch von Fleisch wurde zwischen
 BMELV (2011): Statistisches Jahrbuch über Ernährung,      1955 und 1989 von 45 kg auf 100,2 kg pro Jahr und Kopf mehr
Landwirtschaft und Forsten 2010. Bremerhaven:              als verdoppelt; aus Annette Kaminsky, Illustrierte
Wirtschaftsverlag                                          Konsumgeschichte der DDR, S. 48
Fleischkonsum in Deutschland: Ethische, soziale und ökologische Konsequenzen unserer Ernährungsweise Einführung - NABU
NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland

Nahrungsmittel am Haushaltseinkommen in Deutsch-                     Diese positiven Aspekte kehren allerdings ins Gegen-
land auf unter 15 Prozent in 2008 - 1950 lag dieser                  teil, wenn zu viele Fleischwaren die Ernährungsweise
Anteil noch bei ca. 40 Prozent3. Die Globalisierung                  bestimmen. Dies liegt vor allem daran, dass Fleisch
trägt ihren Teil zu dieser Entwicklung bei und insbe-                einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren enthält,
sondere billige Fleisch- bzw. Wurstwaren, egal ob                    die nur in geringen Mengen dem Körper zugeführt
importiert oder in Deutschland produziert, sind aus                  werden sollen. Im Gegensatz dazu können ungesättigte
den Supermärkten nicht mehr wegzudenken. Der                         Fettsäuren, die sehr wichtig für den Stoffwechsel sind,
besondere Fleischgenuss in Form des Sonntagsbratens                  nicht in großen Mengen zur Verfügung gestellt werden
wurde vom omnipräsenten, jederzeit möglichen Ange-                   (was allerdings abhängig von Tierart und Haltung ist).
bot an Fleisch- und Wurstwaren abgelöst. Currywurst,                 Bei übermäßigem Fleischkonsum führt dies zu typi-
Döner, Hamburger, Bulette, Leberkäsebrötchen, oder                   schen Wohlstands- oder Zivilisationskrankheiten wie
Bratwurst sind aus deutschen Städten und hungrigen                   Bluthochdruck, Gicht, Altersdiabetes oder Fettleibig-
Köpfen nicht mehr wegzudenken. Mit dem Wohlstand                     keit. Nur ein gelegentlicher Fleischverzehr kann also als
einer Gesellschaft steigt also gleichzeitig auch die Nach-           gesund bezeichnet werden. Nach einer Studie der
frage nach Fleisch, und da der westliche Lebensstil für              American Dietetic Association (ADA) sind bei fleisch-
viele Bewohner der Entwicklungs- und Schwellenlän-                   loser Ernährung die Risiken, an Zivilisationskrankhei-
der Vorbildcharakter besitzt, greift diese Entwicklung               ten zu erkranken5, erheblich geringer.
weltweit um sich. Experten rechnen mit einer weltwei-
                                                                     Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE)
ten Verdoppelung des derzeitigen Fleischverbrauchs
                                                                     empfiehlt dem Verbraucher, nur zwei bis drei Mal in
bis 2050 (momentan liegt dieser bei 284 Millionen
                                                                     der Woche Fleisch oder Wurstwaren zu verzehren –
Tonnen pro Jahr)4. Seit 1950 ist er bereits um das
                                                                     insgesamt höchstens 600 Gramm. Eine vernünftig
Sechsfache gestiegen.
                                                                     geplante vegetarische Ernährung kann den Körper
                                                                     ebenso mit den nötigen Nährstoffen versorgen. So
Fleisch – ein Stück Lebenskraft?
                                                                     kann das ausschließlich im Fleisch vorkommende
Fleisch- und Wurstwaren sind wichtige Lieferanten                    zweiwertige Eisen durch eine kombinierte Nahrungs-
von Nährstoffen (Eiweiß, Vitamine und Mineralstof-                   aufnahme eisenreicher, vegetarischer Lebensmittel
fe). In der Nationalen Verzehrsstudie des Bundesland-                (dreiwertiges Eisen) zusammen mit Lebensmitteln,
wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2008 heißt es:                  welche die Eisenaufnahme fördern, kompensiert wer-
„Fleisch ist eine bedeutende Quelle für B-Vitamine                   den6. Alle weiteren notwendigen Nährstoffe können
(B6, B12, Niacin) sowie Eisen, Zink, Selen und Kalium.               durch vegetarische Lebensmittel gleichwertig wie durch
Zusätzlich ist die Bioverfügbarkeit der Mineralstoffe in             Fleischkonsum aufgenommen werden.
Fleisch und Fleischprodukten höher als in Getreide
                                                                     In diesem Kontext sollten die weiteren negativen Aus-
und anderen pflanzlichen Lebensmitteln. Ferner ent-
                                                                     wirkungen auf die menschliche Gesundheit nicht
hält Fleisch hochwertiges Protein und trägt damit zur
                                                                     verschwiegen werden, die sich durch den Verzehr von
Proteinversorgung bei.“ Die gute Verwertbarkeit der
                                                                     Fleisch aus der Massentierhaltung ergeben. So wird den
im Fleisch enthaltenen Mineralstoffe wie Eisen oder
                                                                     Tieren, egal ob Geflügel, Rind oder Schwein, schon
Zink ist unbestritten.
                                                                     beim geringsten Verdacht eines Krankheitsfalls in
                                                                     hohen Mengen Antibiotika durch die Futteraufnahme

                                                                     5
3                                                                      Position of the American Dietetic Association: Vegetarian
  http://de.statista.com/statistik/daten/studie/75719/umfrage/       Diets. J Am Diet Assoc. 2009;109:1266-1282
ausgaben-fuer-nahrungsmittel-in-deutschland-1900-bis-2008/           6
                                                                       Claus Leitzmann und Markus Keller, Vegetarische Ernährung,
4
  How to feed the World in 2050. FAO. 2009                           2. Aufl. 2010, S. 214-222

                                                                 2
NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland

verabreicht, um Epidemien unter den Tieren zu ver-                     mästet, anschließend zu den Schlachthöfen transpor-
hindern. Dies wird in einer aktuellen Studie aus                       tiert und am Fließband getötet und verarbeitet.
Nordrhein-Westfalen bestätigt, wonach 96 Prozent der
                                                                       Am Beispiel des Werdegangs eines Masthuhns wird
Hähnchen in der Mast mit Antibiotika behandelt
                                                                       klar, dass diese Art der industriellen Nahrungsmittel-
wurden7. Die massive Verabreichung kann zur Bildung
                                                                       produktion inzwischen wohl jeden Bezug zu einer
multiresistenter Keime führen, die die Wirksamkeit
                                                                       artgerechten Tierhaltung verloren hat: In der konven-
von Antibiotika in der Humanmedizin erheblich be-
                                                                       tionellen Hühneraufzucht sehen die Tiere nie das
einträchtigen. Ebenso bieten Massentierhaltungsbe-
                                                                       Tageslicht. Sie wachsen zu Tausenden in klimatisierten
triebe einen optimalen Nährboden für Krankheitserre-
                                                                       und künstlich beleuchteten Hallen ohne Fenster auf.
ger, die durchaus von den Tieren auf den Menschen
                                                                       Dabei teilen sich rund 25 Tiere einen Quadratmeter
übertragbar sind und weltweite Pandemien auslösen
                                                                       und stehen somit ständig unter Stress. Selbst in den
können. Erinnert sei in diesem Kontext nur an die
                                                                       Schlafzeiten kommen die Tiere aufgrund des perma-
Vogel- (H5N1-Virus) oder die Schweinegrippe
                                                                       nenten Körperkontakts zu den Artgenossen selten zur
(H1N1-Virus).
                                                                       Ruhe. Den Stress erhöht zudem noch die Tatsache,
                                                                       dass die Hühner in den Anlagen nicht ihren natürli-
Am laufenden Band
                                                                       chen Bedürfnissen, wie beispielsweise Scharren und
Die Beweggründe für eine fleischlose Ernährung liegen                  Picken, nachkommen können und sich stattdessen
lediglich für jeden fünften Vegetarier in der eigenen                  gegenseitigen angreifen und verletzen. Um dies zu
Gesundheit, für 63 Prozent der Befragten spielen mo-                   unterbinden, werden daher bereits den Küken die
ralische Bedenken die größte Rolle8. Die Motive rei-                   Schnabelspitzen knapp unterhalb der Nasenöffnung
chen von der Ablehnung der Tötung von Lebewesen                        gekappt – dabei ist der Schnabel ein stark durchblute-
bis hin zur Ablehnung der Umstände bei Tiertranspor-                   tes, sensibles Tastorgan. In vielen Anlagen werden die
ten oder in der Massentierhaltung. Viele Menschen                      Küken inzwischen innerhalb von rund 38 Tagen zur
distanzieren sich immer mehr von der herkömmlichen                     Schlachtreife gemästet, obwohl sie eigentlich eine Le-
Aufzucht und dem Schlachten von Tieren. Je weiter                      benserwartung von 10-15 Jahren haben. In dieser
das Bewusstsein bzw. das Wissen über Herkunft sich                     kurzen Zeit steigt ihr Anfangsgewicht von 45 g um das
aus den Köpfen der Konsumenten entfernt, desto                         35-fache, ihr Schlachtgewicht liegt dann bei ca. 1,5 kg.
einfacher und bedenkenloser fällt wohl auch die Kon-                   Ein längeres Leben wird schon allein deswegen un-
sumentscheidung für Fleisch.                                           möglich, da die in der Hühnchenmast verwendeten
Die in der Massentierhaltung verwendeten Tiere wer-                    Zuchtrassen hauptsächlich Brustmasse aufbauen und
den so gezüchtet, dass sie große Mengen an Fleisch                     ihr Körperbau für einen derartig schnellen Gewichts-
liefern bzw. viele Eier legen. Sie werden in einer extrem              aufbau nicht geeignet ist: Ihre Füße leiden unter dem
unnatürlichen Umgebung gehalten, die ihren artge-                      enormen Gewicht, die Hühner können kaum das
rechten Bedürfnissen nicht entspricht. Es fehlt Tages-                 Gleichgewicht halten und kippen regelrecht nach vor-
licht, frische Luft und vor allem genügend Auslauf,                    ne. Die gestressten, teilweise unter Knochenbrüchen
kurz: alles, was dazu beitragen könnte, dass die Tiere                 oder entzündeten Wunden leidenden Tiere werden
weniger krankheitsanfällig sind und es ihnen gut geht.                 nun in engen Käfigen zu den Schlachtanlagen trans-
Sie werden auf schnellste Weise zur Schlachtreife ge-                  portiert. Viele der Tiere überleben bereits den Weg
                                                                       vom Mastbetrieb zum Schlachthof nicht. Dort verbrin-
                                                                       gen die Tiere zunächst Zeit unter beruhigendem Blau-
7
                                                                       licht. Anschließend werden sie kopfüber an entspre-
  Evaluierung des Antibiotikaeinsatzes in der Hähnchenhaltung.
Landesamt für Natur, Umwelt- und Verbraucherschutz NRW.                chende Apparaturen zu Beginn der Schlachtstraße
2011                                                                   gehängt, wo sie maschinell mit Hilfe von CO2 oder
8
  http://www.vegetarierstudie.uni-jena.de/ (Stand 7. April 2011)

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NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland

einem Elektrobad betäubt werden. Dann werden sie               zum Teil auch mit Gewalt, gegen zu hohe Lebensmit-
durch einen Kehlenschnitt zum Ausbluten gebracht               telpreise. Die für viele Menschen nicht mehr er-
und in ein Brühbad getaucht, zerlegt und filetiert. Wie        schwinglichen Preise für Mais und Getreide waren und
oft es bei derartig maschinellen Vorgängen zu Störun-          sind auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen:
gen kommt und Hühner unbetäubt verbluten oder in               Neben Spekulationen an den Börsen mit Lebensmit-
kochendes Wasser getaucht werden, kann kaum ge-                teln, klimabedingten Missernten oder der zunehmen-
schätzt werden.                                                den Nachfrage nach Energiepflanzen für Biokraftstoffe
                                                               zählt auch der weltweit steigende Fleischkonsum zu
Bei allen anderen Nutztieren kommt es zu ähnlichen
                                                               den Ursachen. Zwar sind nach der Preisexplosion in
Vorgängen im Rahmen der Mast und der Schlachtung:
                                                               2008 die Preise wieder gefallen, sie befinden sich jedoch
So werden Ferkel unbetäubt kastriert, Rinder und
                                                               schon wieder im Anstieg. Dies verdeutlicht beispiels-
Schweine werden auf Vollspaltenböden ohne Einstreu
                                                               weise die Preisentwicklung von Weizen in Europa9.
gehalten oder Rinder erleiden Qualen durch unplat-
zierte Bolzenschüsse des Schlachters. Dies geschieht in
der Regel unter veterinärmedizinischer Aufsicht und
im Rahmen geltender Tierschutzgesetze. Für die Ka-
ninchenhaltung zu Erwerbszwecken existieren noch
nicht einmal rechtlich bindende Vorschriften.

Trotz der bekannten Mängel dieser agrarindustriellen
Haltungs- und Aufzuchtmethoden wird die Errichtung
von Massentierhaltungsanlagen mit schnellen Geneh-
migungsverfahren begünstigt. Erst 2007 wurden die
Schwellenwerte zur Anwendung des vereinfachten
Genehmigungsverfahrens von Mastanlagen zur
                                                               Abb. 1: Entwicklung des Weizenpreises in Europa
Schweine- oder Putenhaltung gemäß Bundesimmissi-
onsschutzgesetz erheblich erhöht (von 2000 auf 3000
Plätze für Schweine bzw. von 20.000 auf 40.000 Plätze
für Puten). Damit sind bei derartigen Vorhaben die
Beteiligungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit erheblich
eingeschränkt.

Die wenigsten Konsumenten scheint es wirklich zu
interessieren, wie heutzutage der Großteil der Nutztiere
zur Fleischproduktion gehalten bzw. geschlachtet wird,
während ein viel größeres Interesse am Wohlergehen
von Haustieren besteht. Dieser Widerspruch lässt sich
wohl durch die (emotionale) Nähe zu Haustieren
erklären, da die Nutztiere kaum noch in Wohngebie-
ten vorzufinden sind und damit immer weiter aus dem            Abb. 2: Weizen: Globale Produktionsfläche & Ertrag
Bewusstsein verdrängt werden.

Ein hoher Preis für billiges Fleisch
                                                               9
Im Jahr 2008 kam es in vielen armen Ländern zu Hun-             Beide Graphiken aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, Online
                                                               unter:http://m.faz.net/Rub58BA8E456DE64F1890E34F4803239
geraufständen. Unzählige Menschen protestierten,               F4D/Doc~E27540398C5CF4C6E8AB27299D3A421CF~ATpl~E
                                                               partner~Ssevenval~Scontent.xml (Stand 7. April 2011)

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NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland

Gleichzeitig stieg der Ertrag von Weizen in den vergan-                auch das ansonsten unverwertbare Grünland nutzen
genen Jahren stetig. Diese Entwicklung lässt sich bei                  können.
nahezu allen Getreidearten feststellen. Die Preise stei-
                                                                       Diese Situation begründet die negativen Auswirkungen
gen, die Erträge auch. Doch was hat dies mit dem
                                                                       des weltweit rasant ansteigenden Fleischkonsums auf
Fleischkonsum zu tun, insbesondere in der westlichen
                                                                       die Ernährungslage vor allem in Entwicklungsländern.
Welt? Wie bereits angesprochen, ist vor allem die zu-
                                                                       Laut einer Berechnung der UN-Umweltorganisation
nehmende Fleischnachfrage ein wichtiger Faktor, der
                                                                       (UNEP) könnten allein durch den Verzicht auf die
für die Preissteigerung von Getreide verantwortlich ist.
                                                                       Umwandlung von pflanzlichen in tierische Produkte
Neben der Biokraftstoffindustrie ist vor allem das Vieh
                                                                       theoretisch 3,5 Milliarden Menschen ernährt werden12.
der modernen Agrarwirtschaft immer hungriger nach
                                                                       Schließlich werden zur Umwandlung einer pflanzli-
Mais, Soja und Getreide. Selbst Wiederkäuer wie Rin-
                                                                       chen in eine tierische Kalorie je nach Tierart fünf bis
der, die normalerweise das für Menschen nicht verdau-
                                                                       dreißig pflanzliche Kalorien verfüttert.
liche Gras fressen, entwickeln sich somit zu direkten
Nahrungskonkurrenten des Menschen. Weltweit be-                        Gleichzeitig verschärft die Massentierhaltung die Er-
stehen jährliche Kapazitäten zur Schlachtung von                       nährungssituation in der Welt noch auf eine andere
schätzungsweise 45 Milliarden Tieren10, die ausrei-                    Art. Viele Industrieländer müssen gewaltige Mengen
chend Futter benötigen. In der Konsequenz wurden im                    an Getreide oder Ölsaaten importieren, da die Bin-
Jahr 2008 222 Millionen Tonnen Soja an Tiere verfüt-                   nenmärkte nicht ausreichend Futtermittel bereitstellen
tert11. Davon hat Europa 35 Millionen Tonnen Soja für                  können. Dies geschieht zumeist durch Importe aus
die Viehfütterung importiert.                                          Entwicklungs- oder Schwellenländern oder durch
                                                                       Ankäufe von dortigen Agrarflächen. So nimmt allein
Mit jeder Stufe der Nahrungskette, also von den
                                                                       der Sojabedarf der deutschen Tierproduktion eine
pflanzlichen Primärproduzenten an Biomasse bis hin
                                                                       Anbaufläche von 2,8 Millionen Hektar ein13, der größ-
zum Endkonsumenten, kommt es dabei zu Energie-
                                                                       te Teil davon in Brasilien und Argentinien – Fläche, die
verlusten, meist durch Verzehrverluste, Veratmung
                                                                       der heimischen Bevölkerung nicht mehr zur Nah-
und Unverdaulichkeit, also durch Ausscheiden unge-
                                                                       rungsmittelerzeugung zur Verfügung steht. Zudem
nutzter Nährstoffe. Ein Großteil der aufgenommenen
                                                                       führt der steigende Futtermittelbedarf oft zu einem
Energie wird gar nicht in Fleisch umgewandelt und
                                                                       großflächigen Anbau in Monokulturen mit gentech-
steht nicht mehr als Nahrung zur Verfügung. Bei den
                                                                       nisch veränderten Pflanzen, wodurch Böden, Gewässer
Tierrassen, die für die Massentierhaltung gezüchtet
                                                                       und biologische Vielfalt massiv belastet werden.
werden, wurden diese Verluste in der Vergangenheit
zwar deutlich reduziert. Fakt ist aber weiterhin, dass ein             Die intensive Fleischproduktion hat noch weitere
Huhn heutzutage für die Produktion von einem Kilo-                     Konsequenzen für Entwicklungsländer. So stellt sich
gramm Fleisch 1,6 kg Futter benötigt. Schweine benö-                   heutzutage die Frage nach „Brust oder Keule“14 nicht
tigen drei Kilogramm und Rinder sogar acht Kilo-                       mehr, denn sie wird täglich vom Verbraucher eindeu-
gramm Futter – wobei Rinder als Wiederkäuer eben                       tig beantwortet. Das weiße, fettarme Fleisch der
                                                                       Hühnchenbrust erobert in Zeiten von „fettarmer Er-
                                                                       nährung“ die Herzen und Mägen der Konsumenten.
                                                                       In den Kühltheken der Supermärkte oder beim Metz-

10
   Reiner Stadler, Die Überflieger, im sz-magazin, Online unter:
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/34981/
(Stand 7.April 2011)                                                   12
11
   Hartman, G., West, E. & Herman, T. (2011): Crops that feed             C. Nellmann et al, The environmental food crisis – The envi-
the World 2. Soybeans - worldwide production, use, and                 ronment’s role in averting future food crises, UNEP 2009, S. 27
constraints caused by pathogens and pests. Food Security 3: 5-         13 FAOSTAT 2010
                                                                       14
17.                                                                       wie es bereits 1976 in einem Film mit Louis de Funès hieß

                                                                   5
NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland

ger ist daher kaum noch ein ganzes Huhn, geschweige             Auch die im Rahmen der Fleischproduktion anfallen-
denn dessen Extremitäten zu finden. Diese Reste über-           den Emissionen haben erhebliche Auswirkungen auf
schwemmen tiefgefroren und zu Dumpingpreisen die                die Umwelt. Der Anbau der Futtermittel in der kon-
Märkte von Entwicklungsländern. Die Exporte ruinie-             ventionellen Landwirtschaft nimmt – wie bereits dar-
ren nicht nur die dortigen Marktpreise für Geflügel,            gestellt – enorme Flächen in Form von Monokulturen
sondern auch die lokalen Geflügelzüchter. In anderen            (Soja und Getreide) in Anspruch, die intensiv mit
Erdteilen wird also ein hoher Preis gezahlt, damit wir          Pestiziden behandelt werden. Diese belasten das
für unser Fleisch wenig Geld ausgeben müssen.                   Grundwasser in den betroffenen Gebieten. Dazu
                                                                kommen riesige Mengen an Gülle, die bei der Mast
Nicht nur Kleinvieh macht Mist: Umwelt-                         von Nutztieren in der Massentierhaltung konzentriert
belastungen durch Intensivtierhaltung                           vor Ort anfallen und auf Felder verbracht werden.
Neben den gesundheitlichen, ethischen und sozialen              Doch die Betreiber dieser „flächenunabhängigen“
Problemen verursacht oder verschärft der übermäßige             Anlagen müssen bei der Genehmigung weder eigene
Fleischkonsum und die dahinter stehende Agrarin-                Ackerflächen zum Anbau von Futterpflanzen für ihre
dustrie auch ein breites Spektrum an Umweltproble-              Tiere, noch zum Ausbringen der anfallenden Gülle
men:                                                            nachweisen, sondern lediglich einen Gülle-Abnehmer
                                                                für einen gewissen Zeitraum. Die regional konzentrier-
Trinkwasser ist ein knappes Gut. Bereits jetzt ist saube-       te Ausbringung der Gülle führt zu einem Stickstoff-
res Wasser in vielen Ländern (v.a. Entwicklungslän-             überschuss von bis zu 300 Kilogramm pro Hektar. Ein
dern) keine Selbstverständlichkeit. Lokale hydrogeolo-          Teil des Stickstoffs gelangt als gesundheitsgefährdendes
gische Gegebenheiten, aber auch das Agieren der Re-             Nitrat ins Grundwasser oder entweicht in Form von
gierung bzw. der Bevölkerung sind ausschlaggebend               Lachgas mit erheblicher Klimawirksamkeit in die At-
für die Verfügbarkeit von Trinkwasser. Die vorhande-            mosphäre. Zudem entsteht Ammoniak, das als saurer
nen Engpässe werden durch die weiter wachsende                  Regen wieder auf die Erdoberfläche gelangt und dort
Weltbevölkerung und den Klimawandel verschärft. Bei             zur Bodenversauerung beiträgt.
Betrachtung des Wasserverbrauchs zur Herstellung
bestimmter Waren wird deutlich, wie sehr sich unser             Insgesamt macht die Tierhaltung 65 Prozent aller vom
Konsumverhalten auf die Wasserressourcen weltweit               Menschen verursachten Lachgasemissionen und 64
auswirkt. Der enorme Wasserbedarf für die Kultivie-             Prozent der Ammoniakemissionen aus. Die Studie
rung von beispielsweise Kaffee (140 l für eine Tasse),          „Livestock’s long shadow“ der UN-Ernährungs-
Baumwolle (2.000 l für ein T-Shirt) oder Reis (3.000-           organisation FAO aus dem Jahr 2009 schätzt den An-
5.000 l für 1 kg) dürfte einigen Verbrauchern bereits           teil der Tierhaltung an den gesamten Treibhausgasen
bekannt sein. Aber den wenigsten ist bewusst, dass für          auf 18 Prozent, also rund 7,5 Millionen Tonnen CO2-
die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch                  Äquivalente – das ist mehr als die Emissionen aus dem
16.000 Liter Wasser benötigt werden. Auch die Pro-              gesamten Verkehrssektor. Neben den Lachgasemissio-
duktion von einem Kilogramm Schweinefleisch ver-                nen sind die durch Verdauungsvorgänge von Wieder-
braucht stattliche 4.800 l, ca. 4.000 l ein Kilogramm           käuern verursachten Ausscheidungen von Methan (33
Hühnerfleisch. Demgegenüber benötigt Gemüse deut-               Prozent des gesamten Methanausstoßes weltweit)15
lich weniger Wasser (z.B. 1 kg Karotten 130 l, 1 kg             sowie die CO2-Emissionen klimarelevant. Letztere
Tomaten 180 l, 1 kg Kartoffeln 900 l). Eine Reduzie-            werden hauptsächlich durch die Landnutzungsände-
rung des Fleischverbrauchs wirkt sich also positiv auf          rungen verursacht. Vor allem Regenwälder in Südame-
die globalen Wasserressourcen aus.

                                                                15
                                                                   Henriette Mackensen, Die Kuh als Klimasünder?, Der
                                                                kritische Agrarbericht 2008, S. 234

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NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland

rika müssen Weideland oder Ackerflächen für Getreide                 Schlussfolgerungen
oder Ölsaaten weichen. Letztere haben aber eine deut-
                                                                     Angesichts der weltweiten Umweltprobleme, des
lich geringere CO2-Speicherkapazität als Wälder: Wäh-
                                                                     anthropogenen Klimawandels und der globalen Er-
rend Grünland eine CO2-Speicherkapazität von 8
                                                                     nährungssituation ist ein Umsteuern dringend erfor-
Tonnen pro Hektar hat, kommt Regenwald auf 200
                                                                     derlich. Dabei sollte die Macht der Verbraucher nicht
Tonnen pro Hektar. Die Produktion von tierischem
                                                                     unterschätzt werden. In einigen Regionen ist der öf-
Eiweiß verbraucht enorme Flächen, nicht nur in Süd-
                                                                     fentliche Widerstand gegen neue „Tierfabriken“ mitt-
amerika, wie an nebenstehender Grafik16 zu erkennen
                                                                     lerweile so groß, dass Investoren zunehmend verunsi-
ist. Schon jetzt beansprucht die Futtermittelproduktion
                                                                     chert sind und Kommunen oder Landkreise alle recht-
für die Viehhaltung rund 30-40 Prozent der landwirt-
                                                                     lichen Möglichkeiten ausloten, um Stallneubauten zu
schaftlichen Nutzfläche – die prognostizierte Verdop-
                                                                     verhindern. Es wird immer deutlicher, dass die anhal-
pelung des Fleischkonsums wäre dramatisch.
                                                                     tende Debatte um tierquälerische Haltungsmethoden
                                                                     Konsequenzen für einen besseren Tierschutz in der
                                                                     Landwirtschaft haben wird: Die Haltungsbedingungen
                                                                     müssen den Tieren angepasst werden, und nicht um-
                                                                     gekehrt.

                                                                     Darüber hinaus ist ein kritischeres Verhalten des Ein-
                                                                     zelnen beim Fleischkonsum erforderlich. Durch einfa-
                                                                     che und alltägliche Konsumentscheidungen – den
                                                                     persönlichen Beitrag „mit dem Einkaufskorb“ – kann
                                                                     jeder zur Verbesserung der eigenen Klimabilanz, zur
                                                                     Verringerung des ökologischen Fußabdrucks und zur
                                                                     Lösung gravierender weltweiter Probleme beitragen.

                                                                     Das Thema Fleischkonsum bietet viele Ansatzpunkte
Abb. 3: Flächenverbrauch für die Herstellung von
Fleischprodukten aus unterschiedlichen Nutztieren                    zur Information und zur Sensibilisierung, egal ob
                                                                     Gesundheit, Klimawandel, Tierschutz, Flächenver-
Aus der intensiven Viehwirtschaft resultiert damit ein               brauch oder Umweltbelastung. Eine breit angelegte
Verlust der biologischen Vielfalt. Die Abholzung von                 Kommunikationsstrategie könnte auch die Basis für
Urwäldern, die Überdüngung von Böden und Gewäs-                      eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber
sern, der Verlust ökologischer Rückzugsflächen in der                ordnungspolitischen und marktwirtschaftlichen In-
Agrarlandschaft sowie der zunehmende Bodenabtrag                     strumenten zur Reduzierung der Fleischerzeugung
durch Wind- und Wassererosion werden maßgeblich                      darstellen. Hierzu gehören folgende Maßnahmen, die
verursacht durch den großflächigen Anbau von Mo-                     näher in Betracht gezogen werden sollten:
nokulturen und die Ausbringung tierischer Exkremen-                  •   Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleischprodukte
te.                                                                      von 7% auf den vollen Steuersatz von 19%.
                                                                     •   Einführung einer Fettsteuer (analog zu
                                                                         Dänemark), um den Konsum von Lebensmitteln
                                                                         mit gesättigten Fettsäuren wie Butter und Fleisch
                                                                         zu reduzieren.
                                                                     •   Verschärfung der Düngeverordnung durch
                                                                         Begrenzung der Stickstoffüberschüsse auf 60
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   aus Le Monde diplomatique, Atlas der Globalisierung spezial           Kilogramm pro Hektar und Einführung einer
– Klima, S. 91, 2008

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NABU-HINTERGRUND – Fleischkonsum in Deutschland

    Flächenbindung in der Tierhaltung bei zwei               Vorrangiges Ziel sollte eine Rückbesinnung auf eine
    Großvieheinheiten pro Hektar.                            flächengebundene, naturverträgliche Viehhaltung in
•   Einführung einer Futtermittelsteuer, mit der vor         der Landwirtschaft sein. In einem System mit geschlos-
    allem die wachsenden Importe von Sojafutter-             senen Kreisläufen sind Nutztiere besonders wichtig,
    mitteln begrenzt würden und die Produktion               um die Nährstoffversorgung der landwirtschaftlichen
    heimischer Leguminosen (z.B. Ackerbohne,                 Flächen sicherzustellen. Daher verpflichtet zum Bei-
    Futtererbse, Luzerne) gefördert werden könnte.           spiel der Anbauverband Demeter seine Landwirte zur
•   Einführung einer Stickstoffsteuer, um eine sparsa-       Haltung von Tieren. Optimal für Tier, Mensch und
    mere und effizientere Nutzung von Wirtschafts-           Umwelt wäre ein reduzierter Fleischkonsum auf Basis
    dünger zu fördern.                                       von Fleisch aus biologischer Erzeugung, am besten aus
•   Kopplung sämtlicher Direktzahlungen der EU-              regionaler Herkunft, oder Wildfleisch aus nachhaltiger
    Agrarpolitik an Auflagen aus dem Bereich Tier-           Jagd. Zur Lösung einer Vielzahl von Problemen kann
    und Umweltschutz (z.B. Flächenbindung der                aber auch die konventionelle Landwirtschaft beitragen,
    Tierhaltung, Förderung tiergerechter Haltungs-           indem sie sich im Interesse der Umwelt und der Ver-
    formen, dreigliedrige Fruchtfolge mit Legumino-          braucher stärker auf „Klasse statt Masse“ und auf regi-
    sen).                                                    onale Strukturen besinnt, anstatt mit Subventionen
•   Abschaffung aller Exportsubventionen für                 und Dumpingangeboten neuen Absatzmärkten in
    Fleischprodukte.                                         Südostasien hinterherzulaufen.
•   Selbstverpflichtung öffentlicher Kantinen und
                                                             Mit einer Orientierung der Gesellschaft an nachhaltige-
    Mensen zur Reduzierung des Fleischangebots und
                                                             ren Produkten könnten zahlreiche Missstände positiv
    zur Schaffung vegetarischer Alternativen (z.B.
                                                             beeinflusst werden.
    Aktionstage wie „Donnerstag ist Veggie-Tag“).

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