FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 19 - MULTILATERALISMUS, WISSENSCHAFT UND DER SCHUTZ DER OZEANE
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WWW.OEAW.AC.AT FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 19 MULTILATERALISMUS, WISSENSCHAFT UND DER SCHUTZ DER OZEANE EINE POLITIKWISSENSCHAFTLICHE UNTERSUCHUNG
MULTILATERALISMUS, WISSENSCHAFT UND DER SCHUTZ DER OZEANE EINE POLITIKWISSENSCHAFTLICHE U NTERSUCHUNG VORTRAG IM RAHMEN DER KLASSENSITZUNG DER MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHEN KLASSE DER ÖSTERREICHISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN AM 16. OKTOBER 2020 ÖAW 1
VORWORT VORWORT GEORG BRASSEUR Die Mitglieder der Österreichischen senschaftlichen Forschung ein auch für Akademie der Wissenschaften sind Mitglieder der mathematisch-natur- entweder der mathematisch-natur wissenschaftlichen Klasse attraktives wissenschaftlichen oder der philo so und spannendes Thema zu wählen: phisch-historischen Klasse zugeord- „Multilateralismus, Wissenschaft und net. Ein Highlight jeder Klassensitzung der Schutz der Ozeane: Eine politik- ist der wissenschaftliche Vortrag, der wissenschaftliche Untersuchung“. neue s pannende Forschungsergeb- Da „Ozeane“, also sauberes Wasser nisse aus dem Fächer kanon der je- und Biodiversität in den Fachbereich weiligen Klasse präsentiert und zu der Klasse fallen, war das Interesse Diskussionsbeiträgen anregt. Der wis- der Klassenmitglieder hoch, insbe- senschaftliche Austausch zwischen sondere, da Maßnahmen zum Schutz den Klassen erfolgt vorwiegend nur in der Ozeane, die großteils außerhalb den Gesamtsitzungen der Akademie. des Wirkungsbereichs von Staaten lie- Georg Brasseur ist Professor für Elektri- Zur Stärkung der Interdisziplinarität gen, nur über politikwissenschaftliche sche Messtechnik und Messsignalverar- und zur Förderung klassenübergrei- Maßnahmen, wie beispielsweise inter beitung an der Technischen Universität fender wissenschaftlicher Aktivitäten nationale Abkommen, möglich ge- wurde in den Klassensitzungen im macht werden können. Erst durch die- Graz. 2012 wurde er zum wirklichen Mit- Oktober 2020 ein Experiment gestartet, se Verträge können Aktivitäten zum glied der ÖAW gewählt. Seit 2013 ist er das diesen Brückenbau vorantreiben Schutz der Ozeane gesetzt werden. Präsident der mathematisch-naturwissen- soll: Der wissenschaftliche Vortrag Die im Vortrag beleuchtete marine schaftlichen Klasse. soll aus dem Fächerkanon der jeweils Biodiversitätsforschung ist ein dyna- anderen Klasse kommen. misches Forschungsgebiet, das nur Damit hatte die Vortragende Alice durch kooperative Zusammenarbeit Vadrot – sie ist Politikwissenschaftlerin von Politik, Ökologie und Ökonomie und damit der philosophisch-histori- erfolgreich betrieben werden kann. schen Klasse zuzurechnen – die her- Ich wünsche Ihnen eine anregende ausfordernde Aufgabe, aus ihrer wis- Lektüre. ÖAW 3
EINLEITUNG EINLEITUNG GEORG BRASSEUR Ich stelle die Vortragende kurz vor. Österreichischen Biodiversitätsrates. Alice Vadrot ist Assistenzprofesso- Ich bitte Alice Vadrot um ihren Vor- rin für Internationale Politik und trag. Umwelt am Institut für Politikwis- senschaften an der Universität Wien, Visiting Research Fellow am Centre for Science and Policy der University Cambridge und Senior Fellow des Earth System Governance Project. Sie hat im Jahr 2013 zur Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik in der internationalen Biodiversitäts- politik promoviert und war 2015 bis 2018 Erwin Schrödinger Fellow des Wissenschaftsfonds. Seit 2018 leitet sie mit einem ERC Starting Grant das Projekt MARIPOLDATA, welches die Rolle des wissenschaftlichen Wissens in der Entstehung eines neuen Mee- resschutzabkommens beforscht und einen neuen multiskalaren Ansatz entwickelt, um die Schnittstelle zwi- schen Wissenschaft und Politik empi- risch zu untersuchen. Frau Vadrot ist seit 2019 Mitglied der Jungen Akade- mie und Teil des Leitungsteams des ÖAW 4
ALICE VADROT MULTILATERALIS MUS, WISSEN- SCHAFT UND DER SCHUTZ DER OZEANE EINE POLITIKWISSENSCHAFT LICHE UNTERSUCHUNG Alice Vadrot ist Politikwissenschaft- ALICE VADROT lerin und interessiert sich für globale Umweltpolitik und das Sozialstudium der Wissenschaft. Sie ist Principal Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- handelt es sich bei diesem Vortrag Investigator des ERC-Forschungspro- gen, zunächst möchte ich mich herz- um ein Experiment. Es sei das erste jektes MARIPOLDATA. 2019 wurde sie lich für die Möglichkeit bedanken, Mal, dass ein Mitglied der philoso- zum Mitglied der Jungen Akademie der hier heute vor Ihnen sprechen zu phisch-historischen Klasse im Rah- ÖAW gewählt. dürfen. Es ist mir eine große Ehre, als men der mathematisch-naturwissen- Politikwissenschaftlerin hier in der schaftlichen Klassensitzung einen mathematisch-naturwissenschaft Impulsvortrag hält. Entsprechend lichen Klasse meine Forschung vor- experimentell möchte ich meinen zustellen. Wie der verehrte Klas- Vortrag gestalten und Sie heute auf senpräsident Brasseur erwähnt hat, eine Reise mitnehmen. Eine Reise ÖAW 5
ALICE VADROT durch jene Räume, die ich empirisch im Besonderen. Aber dann auch in schaften eines Ökosystems in unter- beforsche, um eine Frage zu beant- jene Räume, in denen Daten gesam- schiedlichen Bereichen von der Küste worten, die mich seit den Anfängen melt werden und die marine Bio bis zur Tiefsee und umfasst alle meiner wissenschaftlichen Tätigkeit diversität auf Grundlage komplexer Lebensräume und Lebensformen, beschäftigt: Wie das Zusammenspiel Forschungsinfrastrukturen beobach- die sie bewohnen (Cochrane et al. zwischen Wissenschaft und Politik tet und verwaltet wird. Bevor ich 2016). Biodiversität inkludiert die die Bewältigung und auch Nicht- Sie nun in diese Räume mitnehme, Ebene der Gene, der Arten und der Bewältigung von Umweltproblemen oder anders ausgedrückt in die Fel- Ökosysteme. Wenn sie sich verän- prägt und welche Konflikte an die- der meiner empirischen Forschung, dert, verändern sich die biologischen ser Schnittstelle entstehen und den möchte ich mit der Frage beginnen, Prozesse und die daran gebundenen Umweltschutz erschweren. Kon- was die marine Biodiversität für eine sogenannten Ökosystemleistungen. kret sehe ich mir derzeit im Rahmen Politikwissenschaftlerin überhaupt Durch den Verlust der Artenvielfalt meines vom European Research interessant macht und warum ich ergeben sich ökologische und öko- Council geförderten Forschungspro- überzeugt davon bin, dass es hier nomische Konsequenzen. In den ver- jekts MARIPOLDATA1 Verhandlun- auch einer politikwissenschaftlichen gangenen Jahren ist das Wissen über gen um ein neues Abkommen zum Untersuchung bedarf. die marine Biodiversität sowie deren Schutz der marinen Biodiversität in Verlust rapide angestiegen, nicht zu- internationalen Gewässern an. Da- letzt aufgrund gezielter internationa- her auch mein Titel: Multilateralis- DIE POLITIKWISSENSCHAFT- ler Forschungsprogramme und erster mus, Wissenschaft und der Schutz LICHE RELEVANZ DER MARINEN Sachstandsberichte. Zum Beispiel der Ozeane. Der Titel führt Sie durch BIODIVERSITÄT das International Census of Marine die Räume meiner Forschung, R äume Life Programme, war ein internatio- des Multilateralismus und der Marine Biodiversität umfasst, und nales Vorhaben von 2000 bis 2010, im Diplomatie, in denen ein neues Mee- hier lehne ich mich an den Anthropo- Rahmen dessen Wissenschaftlerin- resschutzabkommen entsteht, aber logen Arturo Escobar an, eine Vielfalt nen und Wissenschaftler aus 82 Län- auch in die Räume der Wissenschaft, an Bedeutungen und Interessen, die dern verschiedene Meeresregionen das Feld der Biodiversitätsforschung, in komplexer Weise auf unterschied- untersucht und insgesamt über 1.200 das eines der dynamischsten For- lichen Ebenen miteinander verbun- neue und unbekannte Arten entdeckt schungsfelder der Umweltwissen- den sind: „sites with diverging bio- haben (Costello et al. 2010). Als zwei- schaften darstellt –, im Allgemeinen, cultural perspectives and political tes Beispiel nenne ich das Global aber auch in der Meeresforschung stakes“ (Escobar 1998). Aber auch Integrated Marine Assessment, wel- aus naturwissenschaftlicher Perspek- ches mehr als 1.700 Seiten umfasst 1 Weiterführende Informationen über das Pro- tive ist marine Biodiversität divers. und an dem mehrere hundert Wis- jekt finden sich auf www.maripoldata.eu. Sie bezeichnet grundlegende Eigen- senschaftlerinnen und Wissenschaft- ÖAW 6
ALICE VADROT ler weltweit im Auftrag der Vereinten tigt sich besonders mit der marinen Auswirkungen des Klimawandels Nationen ehrenamtlich mitgearbeitet Biodiversität (Snelgrove et al. 2010). auf die Ozeane beschäftigt hat (IPCC haben, um den aktuellen Wissens- Schließlich erwähne ich den Sonder- 2019). stand über die Ozeane aufzuarbeiten bericht des Weltklimarates IPCC, der (Evans et al. 2019). Kapitel 34 beschäf- sich im vergangenen Jahr mit den Abb. 1: A graphic depicting the many methods of data collection employed during the Census of Marine Life. ÖAW 7
ALICE VADROT Diese Berichte zeigen, dass die der- Erforschung nötig sind, etwa Un- wässern zu finden sind (Blasiak et al. zeitige rapide Veränderung der Bio- terwasserfahrzeuge oder innovative 2018). Internationale Gewässer ma- diversität alle bekannten Aussterbee- schiffsgebundene und autonome Be- chen zwei Drittel der Ozeane aus und reignisse der Erdgeschichte übertrifft. obachtungssysteme sowie Mess- und sind nicht-nationalstaatliches Terri- Bereits heute sind zwei Drittel der Experimentierplattformen auf dem torium. Das heißt, marine genetische marinen Umwelt durch mensch Meeresboden, sind nicht möglich Ressourcen innerhalb dieser Zonen lichen Einfluss erheblich verändert ohne beträchtliche Investitionspro- könnten, provokant gesprochen, ei- worden (Hooper et al. 2012). Wissen- gramme in entsprechende Technolo- gentlich als Allgemeingut angesehen schaftliches Wissen über die marine gien und Dateninfrastrukturen (Vis- werden. Biodiversität, das in einer Zunahme beck 2018). Die Kluft zwischen jenen Und genau hier kommt die Politik ins begriffen ist, ist in gewisser Weise Staaten, die sich eine solche Meeres- Spiel. Denn das Seerecht unterteilt politisch, da es die Notwendigkeit forschung leisten können und jenen, das Meer in verschiedene Zonen, in politischen Handelns zum Schutz die es nicht können, wächst. denen Staaten verschiedene Rechte der Ozeane aufzeigt. Aber wissen- Gleichzeitig steigt das ökonomische haben (UNCLOS 1982). Zwei Drittel schaftliches Wissen über die marine Interesse an der marinen Biodiver- der Ozeane sind internationales Biodiversität ist auch politisch, weil sität, insbesondere an genetischen Gewässer, ein Drittel sind national- es ein knappes Gut ist. Die Datenlage Aspekten, die unter dem Begriff der staatliche Einflusszonen: nationale über die marine Biodiversität, ins- marinen genetischen Ressourcen Gewässer und Ausschließliche Wirt- besondere in der Hoch- und Tiefsee, auch zum attraktiven Forschungs- schaftszonen. Die Freiheit der Meere ist dünn (Canonico et al. 2019). Die gegenstand für viele Pharmaun- bzw. der Hohen See (mare liberum), Zwischenstaatliche Ozeanographi- ternehmen avanciert sind. Derzeit die in jenen Meereszonen gilt, die sche Kommission der UNESCO hat wurden bereits über 14.000 Patente sich jenseits der Ausschließlichen kürzlich die Dekade der Ozeanfor- auf marine genetische Ressourcen Wirtschaftszonen befinden, sichert schung erklärt und schätzt, dass über angemeldet. Das deutsche Chemie unter anderem die Freiheit der Wis- eine Million Arten im Ozean noch unternehmen BASF beispielsweise senschaft ab (UNCLOS Art. 240). Sie zu beforschen sind (IOC UNESCO besitzt schon heute 47 Prozent aller sichert aber auch die Freiheit der 2018). Nur fünf Prozent der Ozeane Patente, Universitäten besitzen nur Schifffahrt ab, die Freiheit verschie- und ein sehr viel geringerer Anteil ungefähr acht Prozent (Blasiak et al. denster Aktivitäten im und über dem des Meeresbodens, etwa 0,001 Pro- 2018). Diese Zahlen entnehme ich Meer, wie etwa die Freiheit des Über- zent, sind bisher erforscht (ebd.). aus einer Studie, die im Fachjournal flugs oder die Freiheit unterseeische Um diese Datenlücken zu schließen, Science erschienen ist und sich einen Kabel und Rohrleitungen zu legen. bedarf es bedeutsamer Investitionen. sehr spezifischen Aspekt der marinen Es gibt bereits eine Fülle internatio- Die wissenschaftlichen und techni- Ressourcen angesehen hat, nämlich naler Organisationen, die verschie schen Infrastrukturen, die zu deren all jene, die in internationalen Ge- dene Aspekte in diesen Zonen r egeln. ÖAW 8
ALICE VADROT Beispielsweise die Fischerei, die fünfziger Jahre zurückreichen, ver- würden. Auch für den Schutz und Schifffahrt, aber auch den Tiefsee abschiedet wurde, gab es weder den die nachhaltige Nutzung der mari- bergbau. Begriff Biodiversität noch war zu er- nen Biodiversität hat das Seerecht Die marine Biodiversität wurde bis- warten, dass die Errungenschaften nicht hinreichend vorgesorgt, daher her eher stiefmütterlich behandelt. der Biotechnologie ein neues Gold bemühen sich die Vereinten Natio- Das hat auch einen historischen der Ozeane zu Tage fördern würden, nen seit mehr als einer Dekade auf Grund. Denn als im Jahr 1982 die die zu Streitigkeiten über Eigentum internationaler Ebene, diese recht Seerechtskonvention nach jahrelan- zwischen Staaten des globalen Nor- lichen Lücken im Seerecht zu schlie- gen Verhandlungen, die bis in die dens und des globalen Südens führen ßen. Abb. 2: Der Plenarsaal während der BBNJ-Verhandlungen (IGC3). ÖAW 9
ALICE VADROT Diese Verhandlungen zur Schließung die Effekte, die bestimmte Aktivitä- lung entsprechender Methodiken, der rechtlichen Lücken sind Objekte ten auf die marine Biodiversität in um nicht nur qualitative, sondern meiner Forschung und Ausgangs- internationalen Gewässern haben auch quantitative Daten sammeln punkt für die Untersuchung der können, abbilden und in den poli- zu können (Vadrot 2014, Hughes Frage, wie dieses Zusammenspiel tischen Entscheidungsprozess ein- und Vadrot 2019, Vadrot 2020). Ver- zwischen Wissenschaft und P olitik binden zu können. Auch hier wird handlungsräume sind sehr stark die Bewältigung oder Nicht-Bewäl- ein internationaler Prozess ange- reguliert. Sie bilden einen struktu- tigung von Umweltproblemen prägt dacht, welcher die wissenschaft rierten Rahmen der internationalen und welche Konflikte an dieser lichen Grundlagen und Gutachten Beziehungen und Diplomatie und Schnittstelle entstehen. Mit dem zu- stellvertretend für die internationale eignen sich gerade deswegen für em- künftigen Abkommen zum Meeres- Gemeinschaft bewertet. Ein weiteres pirische Untersuchungen (Chasek schutz, das seit 2018 verhandelt wird, Element des künftigen Rechtsinstru- 2001). Regierungsvertreterinnen und sollen neue Instrumente geschaffen ments betrifft die Diskrepanz zwi- -vertreter kommen zusammen, um werden, um die meeresgenetischen schen Staaten, marine Biodiversität die Umsetzung von Übereinkommen Ressourcen zu regulieren und ein zu beforschen, wobei durch Maßnah- oder Verträgen zu überprüfen und System für den Vorteilsausgleich be- men des Kapazitätsausbaus und des voranzubringen, indem sie Texte auf züglich jener Ressourcen zu etablie- Transfers von Meerestechnologien der Grundlage von Beschlüssen, die ren, die in internationalen Gewässern insbesondere Entwicklungsländer in regelmäßigen Sitzungen stattfin- wissenschaftlich untersucht und in stärker an der Erforschung der Meere den, aushandeln. Satz für Satz und weiterer Folge auch kommerziali- teilhaben sollen. eben auch Wort für Wort. Einzelne siert werden können (Tessnow-von Begrifflichkeiten, Zahlen, Formu- Wysocki und Vadrot 2020). Es geht lierungen oder sogar Satzzeichen aber auch darum, den Rechtsrahmen ETHNOGRAFIE IM werden dadurch zu Aushandlungs- für gebietsbezogene Schutzmaß- V ERHANDLUNGSRAUM objekten. Sie werden zu Trägern von nahmen und Meeresschutzgebiete Konflikten um die Abbildung von festzulegen, wie deren Auswahl, Die Verhandlungsräume, in denen Interessen, aber letztlich auch um die Designierung und Verwaltung auf multilaterale Abkommen ausgehan- Festsetzung einer neuen Ordnung. internationaler Ebene durchgeführt delt werden, sind aus politikwissen- Die soziale Ordnung im Raum über- werden kann, woher die Daten für schaftlicher Sicht wichtige Objekte setzt sich in eine politische, in Rechts- die Zuordnung dieser Gebiete kom- für die Erforschung der Dynamiken materie gegossene Ordnung, die den men sollen und welche Kriterien man zwischen Wissenschaft und Politik Meeresschutz und deren Nutzung für deren Bestimmung heranzieht. (Vadrot 2020). Ich beforsche diese in Zukunft anleiten soll. Was wir im Ein weiterer Punkt sind Umweltver- ethnografisch und arbeite unter an- Zuge der ethnografischen Forschung träglichkeitsprüfungen, um künftig derem auch an der Weiterentwick- beobachten, ist, dass es auch wissen- ÖAW 10
ALICE VADROT schaftliche Begrifflichkeiten sind, die Nennungen durch Staaten in den Sie haben diesen Begriff in ihre Rede- durch Regierungsvertreter entweder Verhandlungen, die wir vor Ort do- beiträge integriert, um darauf hinzu- strategisch verwendet oder bewusst kumentieren. Das erste Beispiel ist weisen, dass die Ozeanregionen der angezweifelt werden, um die exis- das der „Ecological Connectivity“ Erde miteinander verbunden sind tierende Ordnung zu bestätigen oder und ist interessant, weil „Ecological und Aktivitäten in internationalen sie in Frage zu stellen. Auf Grundlage Connectivity“ ursprünglich nicht im Gewässern direkte Auswirkungen unserer Daten, die wir ethnografisch Verhandlungstext vorgesehen war, auf Gewässer unter nationalstaat sammeln, gelingt es uns, einige die- aber in der ersten Verhandlungsrun- licher Einflusssphäre haben können. ser Begrifflichkeiten oder Aushand- de als wichtiges Konzept zur Anlei- Obwohl der Begriff einen wissen- lungsobjekte zu identifizieren, in- tung des Meeresschutzes durch einen schaftlichen Wert hat, der von meh- dem wir deren Verwendungsverlauf Staat in die Verhandlung eingebracht reren Forschergruppen intensiv in unterschiedlichen Versionen des wurde. Hintergrund der Debatte um untersucht wird, ist es so, dass die Verhandlungstextes nachzeichnen, diesen Begriff war, ob Küstenstaaten Anerkennung ökologischer Konnek- sowie deren Vorkommen in Stellung- mehr Rechte und Pflichten in Bezug tivität im Rahmen eines politischen nahmen oder Aussagen von Staaten auf schädliche oder wirtschaftliche Aushandlungsprozesses und der abbildend analysieren. Aktivitäten in Gebieten außerhalb ih- Erarbeitung eines neuen Rechtsrah- Nehmen wir unterschiedliche Begriff- rer nationalen Gerichtsbarkeit haben mens auch eine politische Dimension lichkeiten, zum Beispiel „Cumulative sollen. Der Begriff der ökologischen hat. Das betrifft die Durchführung Impact“, „Transboundary Impact“, Konnektivität geht davon aus, dass von Umweltverträglichkeitsprüfun- „Ecologically and Biologically Sig- unterschiedliche marine Ökosysteme gen im gleichen Maße wie die F rage nificant Areas“, „Ecosystem Appro- miteinander verbunden sind, unter nach den Pflichten und Rechten, ach“, „Climate Change“, „Ecological anderem durch migrierende Arten. die mit der Entnahme einer Wasser Connectivity“, dann zwei weitere, Wenn nun Aktivitäten außerhalb der probe in unterschiedlichen Meeres- die für unsere Fragestellung rele- Einflusszone eines Staates stattfin- zonen einhergehen. Auch aus wis- vant, aber nicht unbedingt wissen- den, die sich aufgrund der Verbun- senschaftlicher Sicht ist es schwierig, schaftlicher Natur sind, „Common denheit der Meere auch auf die na- Forschung zu marinen genetischen Heritage of Mankind“ und „Tradi- tionalen Territorien auswirken, dann Ressourcen über Wasserproben aus tional and Indigenous Knowledge“. wäre es eigentlich vernünftig, wenn bestimmten Gewässern zu lokalisie- Ich möchte Ihnen anhand von zwei diese Staaten bei Umweltverträg- ren. Auch wenn eine Wasserprobe Beispielen zeigen, wie diese Begriff- lichkeitsprüfungen auch mitreden nachweislich aus internationalen lichkeiten zu Aushandlungsobjek- könnten. Wer aber hat diesen Begriff Gewässern entnommen wurde, ist ten werden. Wir messen die Anzahl eingeführt? Es waren einerseits ein dennoch nicht auszuschließen, dass der Nennungen der Begriffe im Ver- Vertreter Eritreas und andererseits die Ressource vorher auch in natio handlungstext und die Anzahl der Delegierte der kleinen Inselstaaten. nalen Gewässern auffindbar ge ÖAW 11
ALICE VADROT wesen wäre. Dort allerdings hätten Inselgemeinden und ihre Volkswirt- ner Verbundenheit der Ozeane auch Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaft in hohem Maße vom Ozean im Wissen ihrer indigenen und loka- schaftler vorab auf Basis gegenseiti- abhängig und gleichzeitig auch be- len Gemeinschaften vorkommt. Das ger Zustimmung die Bewilligung des sonders anfällig für die Auswirkung heißt, sie argumentieren gleichsam, Staates einholen müssen, in dessen des Klimawandels sind. Indem sie dass indigenes und lokales Wissen Territorium geforscht wird. Es hätte während der Verhandlungen auf gleichrangig gesehen werden muss das Nagoya Protokoll gegriffen, ein dieses Konzept zurückgreifen, ver- mit wissenschaftlichem Wissen und internationales Umweltabkommen, wenden sie strategisch wissenschaft- ebenfalls heranzuziehen ist, wenn das 2010 beschlossen wurde und ei- liches Wissen. Aber sie stärken hier- beispielsweise Umweltverträglich- nen Vorteilsausgleich zwischen Nut- durch nicht nur die Wissenschaft, keitsprüfungen durchgeführt oder zern genetischer Ressourcen und den sondern gleichzeitig betonen sie in Meeresschutzgebiete ausgewiesen Ursprungsländern vorsieht, um die ihren Statements, dass die Idee ei- werden. ökonomischen Gewinne, die durch die Kommerzialisierung genetischer Ressourcen entstehen, gerechter zu verteilen. Das Konzept der ökologischen Kon- nektivität hat hier eine strategische Verwendung gefunden, weil es für manche Staaten ein wissenschaftlich fundiertes Argument liefert, Elemen- te des Nagoya Protokolls auf interna- tionale Gewässer auszuweiten, also auch in internationalen Gewässern diese Form der Ausgleichszahlungen greifbar zu machen. Auch in Zusam- menhang mit Umweltverträglich- keitsprüfungen oder der Etablierung von Meeresschutzgebieten könnten Küstenstaaten eine verstärkte Aus- weitung ihrer Einflusszonen auf Grundlage der Anerkennung ökolo- gischer Konnektivität evidenzbasiert argumentieren. Jetzt ist es so, dass Abb. 3: Ina Tessnow-von Wysocki und Alice Vadrot bei den BBNJ Verhandlungen. ÖAW 12
ALICE VADROT Ich möchte jetzt zum zweiten Beispiel cen, die im Meeresboden außerhalb zept im Verhandlungstext integriert kommen. Eine Begrifflichkeit, die nationalstaatlicher Einflusssphären wird, welches absichert, dass Gewinne innerhalb der Verhandlungen zum vorkommen, unter das Gemeinsame an diesen Ressourcen global umver- Aushandlungsobjekt wurde, ist das Erbe der Menschheit (UNCLOS, Ar- teilt werden, etwa durch einen Fond, Gemeinsame Erbe der Menschheit. Es tikel 136). Entsprechend wurde eine der diese verwaltet. Das Argument, handelt sich hierbei nicht um ein wis- internationale Behörde eingerichtet, das diese Forderung unterstützen senschaftliches Konzept, sondern um die „International Seabed Authority“, soll, lautet, dass der Zugang zu die- ein Rechtsprinzip. Ich möchte es hier an die man sich als Staat oder Unter- sem Allgemeingut dadurch ungleich dennoch erwähnen, da es zu e inem ent- nehmen wenden muss, wenn man verteilt ist, dass nicht alle Staaten die scheidenden Konflikt avanciert ist, der mineralische Ressourcen im Meeres- Technologien haben, um diese Res- die konsensuelle Weiterentwicklung boden außerhalb nationalstaatlicher sourcen zu beforschen und in Wert des Verhandlungstexts behindert. Eine Rechtssysteme beforschen oder kom- zu setzen, und deren rechtliche Aner- große Anzahl an Entwicklungs- und merziell abbauen möchte. Um eine kennung als Gemeinsames Erbe der Schwellenländern setzt sich für den Ausweitung des Geltungsrahmens auf Menschheit Gerechtigkeit über einen Verbleib dieses Rechtsprinzips als tra- marine genetische Ressourcen zu er- Vorteilsausgleich schaffen könnte. gende Säule eines neuen Abkommens wirken, haben zahlreiche Staaten des zum Schutz der marinen Biodiversität globalen Südens die Integration des ein. Staatliche Akteure, wie beispiels- Prinzips mit Vehemenz gefordert, was KARTIERUNG DES WISSEN- weise Japan, die Europäische Union, aus einem Statement aus dem Jahr SCHAFTSFELDS DER MARINEN Russland, die USA und Australien 2019 hervorgeht, in dem Palästina, BIODIVERSITÄT lehnen die Integration des Begriffs in das die G77 und China vertreten hat, den Verhandlungstext ab. Was ist der also eine sehr große Gruppe an Staa- Wie verhalten sich nun jene Begriff- Hintergrund? Das Gemeinsame Erbe ten, deren Standpunt verdeutlicht: lichkeiten, die aus der Wissenschaft der Menschheit impliziert, dass Res- „We firmly reiterate that the principle kommen – insbesondere jene der sourcen außerhalb nationalstaatlicher of common heritage of mankind ökologischen Konnektivität – zum Territorien der Allgemeinheit vorbe- should guide the regime of biodiver- Wissenschaftsfeld der marinen Bio- halten und für diese erhalten werden sity in areas beyond national jurisdic- diversität selbst? Wie hat sich die- müssen (Wolfrum 1983, Hafner 2011, tion including the access and benefits ses Feld in den vergangenen Jahren Tuerk 2017). Nicht nur die jetzigen sharing of marine genetic resources“.2 entwickelt? Wie äußern sich Un- Generationen, sondern auch die zu- Das heißt, sie möchten, dass ein Kon- gleichheiten zwischen Staaten in der künftigen Generationen sollen von Beforschung der Meere, in der Ent- deren Nutzung gleichrangig profitie- wicklung dieses Forschungsfeldes 2 Ethnographische Beobachtung vom 30.08.2019, ren können. Im Seerechtsübereinkom- New York, Headquarters der Vereinten Na oder auch in der Zusammenarbeit men etwa fallen mineralische Ressour- tionen. zwischen Forscherinnen und For- ÖAW 13
ALICE VADROT schern des globalen Nordens und des ihr Buch aus den achtziger Jahren ist Mittel der gegenseitigen und sich globalen Südens? Hier müssen wir noch immer bemerkenswert aktu- entwickelnden Kontrolle darstellen den Verhandlungsraum verlassen ell. Sie argumentieren, dass Wissen- und bibliometrisch beforscht werden und einen anderen Raum betreten, schaftlerinnen und Wissenschaftler können. Das ist dieser zweite Raum, nämlich jenen, in welchem Wissen- strukturierte Welten bauen, indem von dem ich gesprochen habe. schaft entsteht und abgebildet wird: sie Text produzieren. Anders gesagt, Wie kartieren wir das Forschungs- das Labor, das Forschungsschiff, der durch den wissenschaftlichen Text feld „marine Biodiversität“? Wir Unterwasserroboter, das Teammee- bauen sie ihre täglichen Praktiken in nutzen eine bibliometrische Analyse ting, in dem eine neue Idee generiert strukturierte Welten ein (Callon, Law (Tolochko und Vadrot 2021). Die wird oder die Petrischale mit zu un- und Rip 1986). Aktivitäten, wie der Artikel, die wir untersuchen, stam- tersuchendem Material – aber auch Erwerb von Finanzmitteln, die Ver- men aus dem digitalen Repository die wissenschaftliche Publikation, in waltung von Laboren, wissenschaft- des Web of Science. Wir haben das der all diese Welten und Aktivitäten, lichem Personal und Infrastrukturen, Keyword „Marine Biodiversity“ die Wissenschaft überhaupt möglich die wissenschaftliche Zusammenar- herangezogen, aber auch eine Such- machen und ermächtigen, zusam- beit oder die Arbeitsteilung werden zeichenfolge entwickelt, die alle an- menlaufen. Diese sind durch die wis- durch das Verfassen von Publikati- deren relevanten Begrifflichkeiten senschaftliche Publikation sichtbar onen im Textdokument integriert. inkludiert. Insgesamt umfasst unser und für mich als Sozialwissenschaft- Die Darstellung der Beziehung zu Sample über 24.000 wissenschaft- lerin bibliometrisch erfassbar. anderen wissenschaftlichen Publika- liche Artikel, die von 1990 bis 2018 Auf Grundlage wissenschaftlicher tionen und zu anderen Forschenden veröffentlicht wurden, aus 153 Län- Veröffentlichungen und Texte kar- ist inhärent im wissenschaftlichen dern. 90,5 Prozent der Artikel sind tieren wir in meinem Projekt das Schreiben, etwa durch Verweise auf in Zusammenarbeit, also in Co- Feld der marinen Biodiversität und Literatur, andere Wissenschaftlerin- Autorenschaft entstanden. 9.700 sind untersuchen, wie dieses durch zeit- nen und Wissenschaftler und Ins- international, von Autoren aus ver- liche und räumliche Besonderhei- titutionen. Dieses relationale und schiedenen Ländern. Die Abstracts ten geprägt wurde. Text oder Texte strukturelle Verständnis von wissen- stammen aus 2.711 wissenschaft spielen eine besondere Rolle bei den schaftlichen Texten qualifiziert sie lichen Zeitschriften und Konferenz- Versuchen von Wissenschaftlerin- für die Analyse der Entstehung von berichten. Methodisch haben wir nen und Wissenschaftlern, ihre For- Forschungsfeldern, ihre Konstitution eine Netzwerkanalyse und Struk- schungsarbeit über die Publikation und Entwicklung in Zeit und Raum. turthemenmodellierung vorgenom- nicht nur zu dokumentieren sondern Die Vermessung der Dynamik von men. Hier sehen Sie den Anstieg der gleichsam zu ordnen – und hier leh- Wissenschaft durch Texte bietet für Publikationen. ne ich mich an die Forscher Michel Callon und seine Kollegen Zugang Callon, John Law und Arie Rip an, zu den gemeinsamen Welten, die ein ÖAW 14
ALICE VADROT Abb. 4: This figure was published in Marine Policy, 124(2), Tolochko, P and Vadrot, A.B.M., The usual suspects? Distribution of c ollaboration capital in marine biodiversity research, 104318. Interessanterweise taucht der Be- viel Autorität eine wissenschaftliche tionen, aber eine geringere Anzahl an griff „marine Biodiversität“ zwi- Publikation hat. Was Sie hier sehen Zitationen durch andere Autorinnen schen 1990 und 2018 zum ersten ist eine große Diskrepanz zwischen und Autoren. Mal verstärkt auf, nach vereinzelten verschiedenen Regionen und Län- Um nun zu verstehen, welche Rolle Nennungen in den achtziger Jahren. dern der Erde. Hier abgebildet ist die wissenschaftliche Kooperation spielt, Auch die Anzahl der Autorinnen Anzahl der Publikationen als auch haben wir den Begriff des „Koopera- und Autoren, die zu mariner Bio der Zitationen. Die USA beispiels- tionskapitals“ eingeführt (Tolochko diversität publizierten, stieg massiv weise, einzelne Länder in Europa und Vadrot 2021). Betrachtet man die an, insbesondere seit 2006. Wir haben oder Australien haben sowohl sehr unterschiedlichen Beziehungen oder versucht zu verstehen, wie das Wis- hohe Zitationen als auch Publika Kooperationen, welche innerhalb der sen global verteilt ist. Hier haben wir tionen. Es gibt interessante Fälle wie Publikationen sichtbar werden, las- sowohl die Anzahl der Publikatio- in Skandinavien mit höheren Zitatio sen sich Akteure identifizieren, die nen in den Blick genommen als auch nen und geringeren Publikationen. überproportional viel Kooperations- die Anzahl der Zitationen, die auch In China, Brasilien und Indien findet kapital anhäufen. Man sieht so, dass einen Hinweis darauf geben, wie sich ein starker Anstieg an Publika die meisten Staaten im Bereich des ÖAW 15
ALICE VADROT Wissenschaftsfelds der „marinen Bio- schern aussehen würde. Wir konnten der Forschungsaktivitäten durchaus diversität“ die USA als ihren Toppart- beispielsweise beobachten, dass die realisierbar wäre. Aufgrund der Prä- ner identifizieren. Frankreich ist an Kooperationsdichte innerhalb euro- ferenz, mit bestimmten Akteuren zu zweiter Stelle, dann Großbritannien, päischer Staaten überproportional kooperieren, bilden sich diese regio- Italien, Australien, Deutschland, hoch ist. Das ist unter anderem er- nalen Netzwerke nicht hinreichend Portugal – Länder, mit denen viele klärbar durch die zahlreichen euro- aus. Dies ist problematisch, da gerade andere Akteure in Kooperation tre- päischen Forschungsförderungspro- für den Naturschutz der Meere die ten. Was ist die Auswirkung? Auf gramme. In allen anderen Regionen, Küstenregionen miteinander koope- Grundlage der Publikationen in be- in Asien, Afrika und Lateinamerika rieren sollten, auch auf wissenschaft- stimmten Regionen haben wir unter- et cetera, findet eine deutlich ge- licher Ebene. sucht, wie ein regionales Netzwerk ringere Kooperation auf regionaler zwischen Forscherinnen und For- Ebene statt, obwohl diese aufgrund Abb. 5: This figure was published in Marine Policy, 124(2), Tolochko, P and Vadrot, A.B.M., The usual suspects? Distribution of collaboration capital in marine biodiversity research, 104318. ÖAW 16
ALICE VADROT Um zu verstehen, welche Themen be- ren, der insofern Bedeutung hat, weil DAS ZUSAMMENSPIEL ZWISCHEN forscht werden, führen wir eine The- er uns ermöglicht, die Dynamiken, WISSENSCHAFT UND POLITIK menmodellierung durch. Das domi- die wir im Verhandlungsraum sehen, VERSTEHEN UND STÄRKEN nierende Thema ist die Erforschung auch rückzukoppeln an die Dynami- genetischer Aspekte der marinen ken, die wir im Forschungsfeld der Die Verbindung dieser drei Räume Biodiversität. Dabei können wir drei marinen Biodiversität beobachten. hat zum Ziel, das Zusammenspiel genetische Cluster identifizieren. Ei- zwischen Wissenschaft und Politik nes behandelt Population, Spezies zu verstehen. Ich habe die zu Beginn und Arten, ein zweites beinhaltet As- BEOBACHTUNGSPRAKTIKEN IN gesetzte Metapher einer Reise durch pekte der Produktentwicklung und VERSCHIEDENEN REGIONEN diese Räume genutzt, um Ihnen die der Gensequenzierung und ein drit- empirischen Felder näherzubringen, tes ist stark mit taxonomischer For- Dies reicht, wie eingangs erwähnt, die mich in meiner Forschung inte- schung verbunden. Wir sehen so, wie nicht aus. Wir müssen uns auch ressieren. Letztlich ermöglicht diese sich diese unterschiedlichen Cluster mit jenen Praktiken beschäftigen, Forschung, das Zusammenspiel zwi- über die Zeit entwickelt haben. In die dazu führen, dass marine Bio schen Wissenschaft und Politik in der den vergangenen Jahren ist innerhalb diversität beobachtet und beforscht Bewältigung oder auch der Nicht- des Feldes der marinen Biodiversität werden kann. Wir müssen uns den Bewältigung von Umweltproblemen ein deutlicher Anstieg jener Cluster unterschiedlichen Infrastrukturen, zu verstehen und diese Konflikte zu verzeichnen, die sich mit Manage- die hierfür zur Verfügung stehen, zu- etwas auseinander zu ziehen, die die- ment, Umwelt und Umweltschutz wenden. Um dies zu tun, vergleichen ses Zusammenspiel zwischen Wis- befassen. Dies geschieht vor allem im wir drei Beispiele: die USA, die Euro senschaft und Politik oftmals unnötig globalen Norden. Woanders sind an- päische Union und Brasilien. Leider stören. Das Beispiel des neuen recht- dere Themen präsenter. Zwei Beispie- kann ich Ihnen hier nicht mehr lich bindenden Abkommens zum le sind uns besonders aufgefallen. sagen, weil diese Forschung erst in Schutz der marinen Biodiversität in In Lateinamerika ist die klassische den nächsten drei Jahren stattfinden internationalen Gewässern zeigt uns, Taxonomie überproportional hoch. wird und auch durch COVID-19 dass dieses Zusammenspiel zwischen Im asiatischen Raum, insbesondere etwas verlangsamt wurde. Wir wer- Wissenschaft und Politik komplex ist in China, wird überproportional viel den in diesen Staaten forschen, in und auf vielfältige W eise nicht nur ge- zur genetischen Modellierung und den Laboratorien mit den Forscherin- braucht wird, sondern poltisch-strate- zur datenintensiven Beforschung der nen und Forschern sprechen, um zu gische Bedeutung für den Schutz der marinen Biodiversität geforscht. verstehen, welche Unterschiede sich Ozeane hat und dass multilaterale So viel zu meinem Versuch, Sie in den in der Praxis der Biodiversitätsbeob- Aushandlungs prozesse durch diese zweiten Raum meiner Forschung – achtung im Meer ausbilden. mitgestaltet werden, wenn auch nicht der bibliometrischen Analyse – zu füh- immer mit der erwünschten Wirkung. ÖAW 17
ALICE VADROT Ich fasse zusammen, warum Wissen- der Freiheit der Forschung. Wie ge- DOSI, die Deep Ocean Stewardship schaft in aktuellen Verhandlungen so hen wir damit um? Eine Beobach- Initiative, die vermeiden wollen, dass wesentlich ist. Einerseits geht es um tung ist, dass die Wissenschaft in den Restriktionen im Verhandlungstext informierte Entscheidungsfindung, Verhandlungen ein Kapital ist. Zahl- festgelegt werden, die ihre Forschung zum Beispiel für die Bestimmung reiche Delegationen laden Wissen- behindern könnten. Diese vielfältige von Meeresschutzgebieten in inter- schaftlerinnen und Wissenschaftler Rolle der Wissenschaft stellt eine nationalen Gewässern, aber auch ein, um wissenschaftliche, technische Herausforderung dar, der man aus für die Durchführung von Umwelt- und rechtliche Kenntnisse inner- meiner Sicht begegnen muss, in- verträglichkeitsprüfungen. Woher halb ihrer Verhandlungsdelegation dem man für die Einbindung der sollen diese Daten kommen? Für zu bündeln. Wissenschaftlerinnen Wissenschaft internationale Räume ihre Erfassung und Bewertung wer- und Wissenschaftler bereisen diese schafft, insbesondere in Anbetracht den internationale wissenschaftlich Räume ebenfalls. Sie nehmen an der Tatsache, dass es hierbei um die glaubwürdige Gremien benötigt. Es Veranstaltungen teil, die zwischen nachhaltige Verwaltung eines Gutes geht jedoch nicht nur um die Not- den Verhandlungsterminen stattfin- geht, welches außerhalb national- wendigkeit einer informierten Ent- den, indem sie beispielsweise auf staatlicher Territorien auffindbar ist scheidungsfindung. Wir sehen auch, die Praktiken bereits existierender und für zukünftige Generationen er- dass die Wissenschaft in spezifischer wissenschaftlicher Kooperationen halten werden muss. Warum sind es Weise innerhalb dieser Verhandlun- hinweisen, sie nehmen an nationa- die Staaten, die diese Entscheidung gen umkämpft ist. Umkämpft, weil len Delegationen teil, um beratend treffen, wenn es um einen Raum es um den Kapazitätsaufbau und den tätig zu sein, aber sie setzen auch geht, der eigentlich außerhalb natio- Technologietransfer geht, und hier selbst Stellungnahmen, nachdem nalstaatlicher Einflusssphäre liegt? die Staaten des globalen Südens stets alle Staaten gesprochen haben, als Dieser Herausforderung könnte mehr wollen als die Staaten des glo- Vertreterinnen und Vertreter von begegnet werden, indem wissen balen Nordens geben können oder nichtstaatlichen oder internationalen schaftliche Expertise stärker ein ge- vielleicht wollen. Organisationen, wie beispielsweise bunden wird, indem ein unabhängi- Es geht aber letztlich darum, dass UNESCO oder ICSU, dem Internati- ges internationales wissenschaftlich- das Prinzip, welches dieses Abkom- onal Council for Science. technisches Beratungsgremium eta- men anleiten soll, für viele Wissen- Wissenschaft ist selbst eine hetero- bliert wird, welches in die Entschei- schaftlerinnen und Wissenschaftler gene Interessengruppe. Es gibt jene dungsprozesse eingebunden wird, inkompatibel ist mit der Freiheit der Wissenschaftlerinnen und Wissen- aber auch durch eine Verstärkung Wissenschaft. Wenn wir das Meer schaftler, die für progressivere Schutz- der wissenschaftlichen Zusammen- als Allgemeingut betrachten und da- maßnahmen auftreten und deren arbeit zwischen dem globalen Nor- durch die Forschung erschwert wird, Notwendigkeit anhand ihrer Daten den und dem globalen Süden und steht dies scheinbar im Konflikt mit darlegen. Es gibt auch Akteure wie der Berücksichtigung der Auswir- ÖAW 18
ALICE VADROT kungen von Kapazitätsaufbau und werden und die COVID-19 Situa- ALICE VADROT Meerestechnologietransfer. Unsere tion dadurch den positiven Effekt Daten zeigen auf, dass dies nicht hat, dass mehr und tiefergehender Es gibt die Internationale Maritime immer bilateral, sondern durchaus Austausch zwischen Staaten für den Organisation, die nach dem Zweiten auch regional gesehen werden muss, Schutz der Ozeane stattfindet. Ich Weltkrieg eingerichtet wurde, um die dass regionale Netzwerke gestärkt möchte diesen Vortrag beenden mit Schifffahrt zu regulieren. In den letz- werden müssen. Hilfreich wäre die einem großen Dank an mein Team ten Jahren wurden viele Aktivitäten Stärkung der Anerkennung wissen- (Brogat Emmanuelle, Langlet Arne, reguliert, viele Innovationen gefor- schaftlicher als auch nicht-wissen- Ruiz Silvia, Tessnow-von Wysocki dert, aber ein Problem ist einfach die schaftlicher Erkenntnisse, nicht nur Ina, Tolochko Petro), das ich hier ver- Durchsetzungskraft. Satellitensyste- auf internationaler Ebene, sondern trete. Damit möchte ich mich herzlich me erleichtern derzeit die Identifi- auch auf lokalen, regionalen und für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. kation entsprechender Tätigkeiten, nationalen Ebenen. aber dennoch sind in vielen Berei- Um Ihnen einen Ausblick zu geben: chen der Meere nicht ausreichend Die nächste Verhandlungsrunde ist GEORG BRASSEUR Monitoring-Kapazitäten vorhanden, für 2021 angedacht. Sie wird aus- um all das Fehlverhalten in irgendei- schlaggebend dafür sein, ob und wie Vielen Dank für das Plädoyer für ner Form dokumentieren zu können. marine Biodiversität in der Hohen die Wissenschaft. Das ist wichtig in Wie ich eingangs sagte, die Schiff- See in Zukunft geschützt werden dieser Zeit. Sie haben gezeigt, dass fahrt wird bereits in diesen Gebieten wird, wie sie beforscht werden wird wir die Rechtswissenschaft für den reguliert, auch der Tiefseebergbau und welche Rolle die wissenschaft Schutz der marinen Biodiversität wird reguliert, auch beispielsweise liche Gemeinschaft dabei spielen wirklich brauchen. Dass in Gegen- die Fischerei. All diese Abkommen kann und soll. Die aktuell stattfin- den, wo wir nichts zu reden haben, haben in irgendeiner Weise eine Pas- denden Onlinedialoge bilden einen weil sie exterritorial sind, die Wis- sage zu Umweltschutz. Benötigt wird zusätzlichen Forschungsraum, der senschaft die Erkenntnisse hat, die aber ein einheitliches Abkommen, sich coronabedingt aufgetan hat. Es uns hier weiterbringen. Ich stelle welches auch die Indikatoren verein- handelt sich nicht um formale Ver- eine Frage: Man sieht so viele Tanker, heitlicht, um dieses Problem der sich handlungen, sondern um Versuche, die beispielsweise auf dem offenen überschneidenden, aber rechtlich den Dialog zwischen Staaten digital Meer ihre Laderäume spülen oder nicht wirklich durchgreifenden Insti- aufrecht zu erhalten. Wir sehen uns die 20 Prozent schwefelbehafteten tutionen aufzuheben. auch diese Räume an. Es stimmt Kraftstoff verheizen. Wann sagt man mich positiv, dass diese Räume von denen, das dürft ihr ja gar nicht? einer Vielzahl staatlicher und nicht- staatlicher Akteure aktiv genutzt ÖAW 19
ALICE VADROT PETER SCHUSTER PUBLIKUMSGAST 1 zahl an Samples in den Ozeanen in der ganzen Welt genommen. Es war Vielen Dank für Ihren schönen Vor- Danke, Frau Kollegin Vadrot, für die sehr, sehr schwierig, von den jewei- trag. Ich habe eine eher banale tech- sehr spannende Ausführung. Eine ligen Regierungen die Erlaubnis zu nische Frage. Wenn Sie Aktivitäten, Empfehlung wäre, dieselben Unter- bekommen. Oft mussten sie wochen- Kooperationen, Publikationen und suchungen anhand eines anderen lang warten, bis sie überhaupt Anker Ähnliches vergleichen, dann sehe ich Gebiets vorzunehmen, Enzymologie legen durften. Alles wurde sehr primär die Größe der C ommunity etwa oder Molekularbiologie, dann sorgfältig gemacht. Es hat sich ge- in den einzelnen Ländern. Die könnten Sie sich die Abweichungen lohnt. All die gesammelten moleku- ist in den USA sehr viel größer für die marine Biodiversität ansehen. larbiologischen Daten wurden ver als in Frankreich, England oder Schade, dass Österreich nicht tradi- öffentlicht, sind nicht patentierbar Deutschland. Wie kann man diese tionell Zugang zu den Meeren hat. und stehen der Menschheit für immer Daten normieren, um die Leistung Anton Zeilinger wird Triest zurück- zur Verfügung. Zum Beispiel sind und Kooperationen der einzelnen erobern, ich komme mit. Natürlich 35.000 verschiedene Planktonformen Wissenschaftlerin oder des einzelnen spielt sich dort wissenschaftlich alles identifiziert worden, viel mehr als Wissenschaftlers zu sehen, und nicht ab. Sie müssen nicht befürchten, dass man gedacht hatte. Jetzt kann man die des ganzen Staates? Dann wer- es Patente über Organismen gibt; diese Daten nutzen, um Verände- den die kleinen Staaten stets schlech- die kann es nicht geben. In der EU rungen wahrzunehmen. Das sind ter, also weniger aktiv, abschneiden. ist es nicht möglich, einen Organis- sehr nützliche Bioindikatoren für die mus zu patentieren, außer es ist ein Lage in den verschiedenen Regionen. genetisch modifizierter, und selbst Alles ist gut kartiert. Sie haben also ALICE VADROT dann wird es immer schwieriger. Ins- vollkommen recht, Regelungen sind gesamt müssen Patente immer neu wichtig. Gleichzeitig sollte man der Abgebildet haben wir dies durch und erfinderisch sein und sie müssen Wissenschaft keine Hindernisse die Zitationen und deren Anzahl. nützlich sein. Wenn Sie etwa in bauen, weil es, sagen wir mal von Ein nächster Schritt wäre, sich bei- Mexiko ein neues Plankton finden, unserem gemeinsamen Gesichts- spielsweise das Bruttosozialprodukt ist es Gott sei Dank verboten, das punkt aus, sehr wichtig ist, dass, be- anzuschauen oder die Anzahl der zu patentieren. Ein weiterer Punkt vor die Bolsonaros dieser Welt auf die Institutionen. Geplant haben wir sol- ist die Biodiversität, die daraus ent- Idee kommen, dass man das Wasser che Forschungen für Brasilien, die standen ist. Ich bin befreundet in dort nicht mehr berühren kann, diese USA und die EU, da für eine umfas- der Gruppe der Tara Oceans. Diese Daten gesammelt werden. Ganz im sendere Studie unsere Kapazitäten Wissenschaftler und Wissenschaft Sinne von Pater Billimek. nicht ausreichen. lerinnen haben 15 Jahre lang auf dem Segelboot eine sehr große An- ÖAW 20
ALICE VADROT ALICE VADROT riner Biodiversität erstellt, und wir wieder dadurch, dass sie ganz gezielt wählen dann von diesen 50 aus, die Forschungsprogramme ins Leben Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Ich wir kontaktieren und mit denen wir ruft und die Forscher typischerweise habe bei der Vorbereitung meines zehnstündige Interviews führen über genau auf diesen Gebieten forschen, ERC Grant mit vielen Meeresbiolo- deren Sicht auf die Entwicklung des wo sie auch Geld bekommen. Meine gen und -biologinnen gesprochen, Forschungsfeldes. Wir suchen Perso- Frage wäre, können Sie aus dieser die sagten, „the Brazilian govern- nen aus, die auch mit den Verhand- Komplexität extrahieren, wie die Zu- ment does not even allow us to take lungen vertraut sind, um parallel sammenhänge wirklich sind? Meiner a sample of water“. Einige Staaten auch die Sicht darauf, wie ein neuer Ansicht nach wäre es weitaus mehr reagieren mit einer Militarisierung Rechtsrahmen entsteht und wie sich erforderlich, diese Co-Abhängigkei- ihres Meeresraumes. Sie investieren dies auf die Forschung auswirken ten alle rauszubekommen. Arbeiten eher in die militärischen Abgren- könnte, mit abdecken zu können. Sie mit solchen Data Analytics Tools, zungsmaßnahmen als in die wis- Diese Kartierungen sind immer auch um diese Querabhängigkeiten zu fin- senschaftliche Infrastruktur. Das selektiv und problematisch und wir den? ist ein interessantes Phänomen. Ein versuchen über die Oral History In- weiterer Punkt: Es gibt viele Er- terviews auch die subjektiven Erzäh- wartungen zahlreicher Länder, die lungen mit einzubinden. ALICE VADROT wahrscheinlich nicht zu erfüllen sind. Auch das Nagoya Protokoll, Das ist ein Plan, den wir haben, ja. das ja derzeit schon für nationale Ter- PUBLIKUMSGAST 2 Eine Schwierigkeit ist, dass wir qua- ritorien gilt, liegt bei weitem hinter litative Daten und quantitative Daten den Erwartungen, die viele Länder, Danke für den sehr schönen, inte- haben. Wir haben ein System entwi- gerade Brasilien, hatten. Das ganz ressanten Vortrag. Das sind sehr ckelt, um die ethnografischen Daten große Geld wird nicht aus dieser For- komplexe Zusammenhänge, die Sie quantitativ analysieren zu können. schung zu machen sein. Trotzdem untersuchen. Verwenden Sie auch an- Wir haben eine bestimmte Matrix, sind diese historisch gewachsenen dere Data Analytics Tools, um etwa das heißt, dass wir nicht mehr alles Ungleichheiten auch in diesem Ver- auch Co-Abhängigkeiten der einzel- handschriftlich machen. Aber das ist handlungsraum so spürbar. Ein klei- nen Größen, die Sie untersuchen, zu eine große Herausforderung. Es gibt ner Hinweis noch: In der Kartierung finden? Wenn Sie zum Beispiel die verschiedene Ökonomen, die Mo- haben wir eine weitere Methode, die Wechselwirkung zwischen Wissen- delle herstellen, die aber auch dar- der Oral History Interviews, vorge- schaft und Politik untersuchen. Die an verzweifeln, diese dynamischen sehen. Wir haben mit verschiedenen Politik reagiert darauf, was die Wis- Verhandlungsräume in irgendeiner Indikatoren eine Liste mit 1.300 For- senschaft produziert. Die Politik be- Form zu modellieren, weil so viele scherinnen und Forschern zu ma- einflusst aber die Wissenschaft auch unsichere Größen damit verbunden ÖAW 21
ALICE VADROT sind, wie zum Beispiel ein Regie- schwer zu argumentieren. Haben Sie lassen. Aber ich bin mir wie gesagt rungswechsel. Als die Verhandlun- dafür einen Mechanismus gefunden, nicht sicher, ob das dann zu konkre- gen begonnen haben, war Bolsonaro so ähnlich wie Sie gesagt haben, etwa ten Schutzmaßnahmen und wirklich noch nicht an der Macht, jetzt ist er indem neue Begrifflichkeiten einge- ambitionierteren Zielen führen wird. an der Macht. Das wirkt sich vermut- führt werden? Hat Sie etwas erstaunt, Das aktuelle Problem ist, dass die lich auch aus. was eine besonders gute Argumenta- ambitionierteren Schutzforderungen tionskraft hatte, um Entscheidungen durch die Europäische Union bei- herbeizuführen in den Verhandlun- spielsweise von vielen Staaten des PUBLIKUMSGAST 3 gen? Ich weiß nicht, ob Sie das nach- globalen Südens nicht unterstützt vollziehen können. Sie haben gesagt, werden, solange nicht das Thema Gerade im Computer-Science- die Ecological Connectivity zum Bei- der marinen genetischen Ressourcen Bereich, mit den Untersuchungen zu spiel hat als Begriff eingeschlagen? vom Tisch ist. Und das ist ein Gebots- Social Media, wurden ja bereits sehr fehler des Seerechtes, aber auch von viele Methoden entwickelt. Es wäre diesem Abkommen, dass es nämlich zum Beispiel auch spannend, hier die ALICE VADROT ein Verhandlungspaket ist, in dem es Kombination anzusehen. diese unterschiedlichen Aspekte gibt. Es gibt Begrifflichkeiten, die derzeit Ich denke, man hätte vielleicht von in Zusammenhang mit der IPBES, vorneherein ein reines Schutzabkom- PUBLIKUMSGAST 4 der Intergovernmental Science- men andenken müssen, dann wären Policy Platform on Biodiversity and diese Probleme jetzt nicht so stark Vielen Dank auch von meiner Seite Ecosystem Services, eingeführt wer- im Raum. Aber ganz grundsätzlich für den schönen Vortrag. Ich habe den. Dort wird versucht, das Ver- ist mein Eindruck, dass auf dieser das Gefühl, und das finde ich auch ständnis von Natur als Ökosystem- internationalen Ebene ein Natur- gut, dass Sie so etwas wie eine Ver- dienstleistung zurückzudrängen und Gesellschaft-Verhältnis entsteht, bei haltensstudie darüber machen, wie stärker von Rechten der Natur zu welchem Natur als nicht mehr abge- solche Verhandlungen ablaufen. sprechen oder von Nature‘s Contri- koppelt von menschlichen Aktivitä- Deswegen möchte ich Ihnen eine bution to People, also diese Begriff- ten dargestellt wird. Frage stellen, die vielleicht ein biss- lichkeiten aufzumachen, inklusiv chen früh kommt in Ihrem Projekt. zu argumentieren. Aber ich bin mir Es wird oft gesagt, dass die Umwelt nicht 100 Prozent sicher, ob sich das PUBLIKUMSGAST 5 keine Lobby hat. Nationalstaatliche in eine ambitioniertere Schutzpolitik Interessen oder kommerzielle In- umsetzen wird oder nicht. Es wird Wenn Ihr fachgeografischer For- teressen haben ja eine starke Kraft, inklusiver, es wird vielleicht eine schungsraum die Arktis ist, dann ist es aber für die Umwelt ist es manchmal breite Bewusstseinsschaffung zu- ja wahrscheinlich, je mehr Sie sich dem ÖAW 22
ALICE VADROT Nordpol annähern, dass Sie mehrere werden, damit diese Umweltverträg- Ländergrenzen überschreiten. Müs- lichkeitsprüfungen gemacht werden. sen Sie da alle Anrainerstaaten um Er- Wie diese mit Angeboten aus der laubnis bitten, erstens, und zweitens, Wirtschaft und Industrie umgehen, wie verhindert man, dass die wissen- etwa wenn ein Unternehmen Ex- schaftliche Forschung für die Erschlie- pertise für die Koordinierung und ßung etwa von Bodenschätzen am Durchführung von Umweltverträg- Meeresgrund missbraucht wird? lichkeitsprüfungen sucht, um Akti- vitäten wie etwa den Tiefseebergbau wissenschaftlich zu begleiten, ist ALICE VADROT eine moralische oder ethische F rage, die jede Wissenschaftlerin und jeder Zur ersten Frage: Wir werden da si- Wissenschaftler mit sich selbst aus- cher auch mit den Staaten aushan- machen muss. Ein weiteres großes deln müssen, unter welchen Bedin- Problem ist, dass die Datenlage ohne gungen wir dort arbeiten können. Ich hin dünn ist, die Forschung teuer vermute, wir würden uns eher auf und gleichzeitig sehr viele Industrien einen Staat konzentrieren, damit wir an diesen Aktivitäten interessiert nicht mit allen anderen mitverhan- sind und dadurch Expertise aus dem deln müssen. Es ist wie gesagt noch Wissenschaftsapparat absaugen, die offen, welche Region wir uns genau dringend nötig wäre, um den Mee in Brasilien, in der EU und den USA ressschutz wissenschaftlich zu unter- anschauen. Und zur zweiten Frage; mauern und umzusetzen. Ich glaube, das ist eine sehr schwie- rige Sache, weil in vielen nationalen Gewässern bereits der Tiefseeberg- GEORG BRASSEUR bau durchaus schon begonnen hat. Hier entsteht Konkurrenz zwischen Dann sage ich noch einmal vielen der Grundlagenforschung und der Dank. Industrieforschung. Wenn diese Ak- tivitäten Umweltverträglichkeitsprü- fungen brauchen, bedeutet das, dass die Unternehmen Wissenschaftlerin- nen und Wissenschaftler abwerben ÖAW 23
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