Mensch und Gesundheit - Forschung am Paul Scherrer Institut - Paul Scherrer Institut (PSI)

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Mensch und Gesundheit - Forschung am Paul Scherrer Institut - Paul Scherrer Institut (PSI)
Mensch und Gesundheit
      Forschung am Paul Scherrer Institut
Mensch und Gesundheit - Forschung am Paul Scherrer Institut - Paul Scherrer Institut (PSI)
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Inhalt

 4   Für die Gesundheit                           20 Verschiedene Einblicke in
		   4    Proteine und Krebstherapie              		 die Strukturen des Lebens
		   4    Neue Technik für neue Einblicke         		   20 Dynamik der Lungenbläschen
		   4    Lebenswissenschaften am PSI in Zahlen   		   21 Biopolymere für die Ernährungsindustrie
                                                  		   21 Einblick in die Zelle
 6 Strukturen des Lebens
		 erforschen – neue                              22 Erfolgsgeschichte
		 Medikamente entwickeln                         		Protonentherapie
                                                  		 22    Erste Patientenbehandlung
 8   Maschinen des Lebens                         			      vor über 30 Jahren
                                                  		 23    Patientenbehandlung und Forschung
		 8      Proteine verstehen –
                                                  			      Hand in Hand
			       Medikamente entwickeln
		 8      Proteine überall
                                                  24 Aus der Forschung in
10 Eine biotechnologische                         		 die Wirtschaft
		Revolution                                      		 – Zusammenarbeit mit der
                                                     Industrie und Spin-offs
12   Strahlende Medikamente
		   13   Schilddrüsenkrebs gezielt bekämpfen
                                                  26   Hand in Hand mit der Industrie
		   13   Mitten in den Kern                      		 27    Medikamente aus der PSI-Forschung
		   13   Blick in den Organismus                 		 27    Besseres Röntgen
		   13   Versorgung der Aargauer Spitäler        		 27    Technischer Spezialist für
                                                  			      Protonentherapie

14 Modernste Technik für
		 Forschung und Therapie                         28 Innovationen zur
                                                  		 Ausgründung nutzen
                                              		 28        Medikamente entwickeln und testen
16 Mit grossen Geräten das
                                              		 28        Durch «Founder Fellowship» des
		 Kleinste sichtbar machen                   			          PSI gefördert
		 16 Am Teilchenbeschleuniger die Strukturen 		 28        Besseres Röntgen
			   des Lebens entschlüsseln                		 28        Nutzer aus der Industrie unterstützen
		 17 Entwicklungen aus dem PSI machen
			   neue Einblicke möglich
                                                  31		 Das PSI in Kürze
                                                  		 31 Impressum
18 Der Schweizer Ansatz:                          		 31 Kontakte
		 hohe Qualität

                                                                                                   3
Mensch und Gesundheit - Forschung am Paul Scherrer Institut - Paul Scherrer Institut (PSI)
Für die Gesundheit

Wenn Forschende in Pharmaunternehmen         weise aufklären. Intensiv am PSI unter-      Fortschritt der Medizin beitragen kann,
heutzutage neue Medikamente entwi-           sucht wurden unter anderem die Proteine,     zeigt die Protonentherapie. Als diese Be-
ckeln, stützen sie sich auf detaillierte     die den Sehprozess sowie die Zellteilung     handlungsmethode in den 1980er-Jahren
wissenschaftliche Erkenntnisse über die      kontrollieren.                               entwickelt wurde, verfügte das PSI als
Ursachen hinter einzelnen Krankheiten.       Ein zweiter Forschungsschwerpunkt am         einzige Einrichtung in der Schweiz über
Das PSI trägt auf mehrfache Weise zu         PSI liegt in der Entwicklung von Radio-      einen dafür geeigneten Protonenbe-
diesem Wissen bei. PSI-Forschende un-        pharmazeutika. Diese Medikamente, die        schleuniger, der für die Physikforschung
tersuchen zum einen Grundstrukturen          meist aus einer Kombination von einem        gebaut worden war. An diesen wurde ein
des Lebens und entwickeln darauf auf-        Biomolekül, das sich an Tumorgewebe          Behandlungszentrum angebaut und man
bauend Ansätze für neue Behandlungs-         anreichert, mit einem radioaktiven Isotop    begann, auf dem Gelände des PSI krebs-
methoden. Zudem entwickeln sie Radio-        bestehen, werden in Spitälern für die        kranke Menschen mit Protonen zu behan-
pharmaka – radioaktive Medikamente,          Diagnostik und Therapie von Krebs ein-       deln. Heute werden hier jährlich Hunderte
mit denen sich bestimmte Tumore loka-        gesetzt.                                     Patientinnen und Patienten behandelt,
lisieren und präzise zerstören lassen.                                                    darunter sehr viele Kinder. Das PSI ist
Gleichzeitig stehen die schweizweit ein-                                                  zudem führend bei der Weiterentwicklung
zigartigen Grossforschungsanlagen des        Neue Technik für neue                        dieser innovativen Behandlungsme-
PSI auch den Forschenden von Hochschu-                                                    thode.
                                             Einblicke
len und Industrieunternehmen offen, die                                                   Auf den folgenden Seiten erfahren Sie
hier Strukturen lebenswichtiger Biomo-       Doch der Beitrag des PSI zum Verständnis     mehr über die Geheimnisse des Lebens,
leküle und medizinischer Wirkstoffe un-      von Lebensvorgängen reicht weit über die     die am PSI aufgeklärt werden, und den
tersuchen. So steckt in vielen Forschungs-   eigene Forschung hinaus: Zahlreiche ex-      Nutzen dieser Forschung für zukunftswei-
ergebnissen und Therapien Dritter auch       terne Fachleute auf den Gebieten der         sende Anwendungen in der Medizin.
ein Stück PSI.                               Biologie und Biochemie führen Experi-
Darüber hinaus gibt es noch Patientinnen     mente an den Grossforschungsanlagen
und Patienten, die ganz unmittelbar von      des PSI durch. Darunter sind neben For-
der Arbeit des PSI profitieren: Menschen,    schenden von Universitäten auch solche
die an bestimmten Krebserkrankungen          aus grossen Pharmafirmen oder aus jun-
leiden, und die direkt auf dem Instituts-    gen Biotech-Unternehmen – von denen
gelände mit der präzisen und schonen-        manche direkt aus dem PSI heraus ge-
den Protonentherapie behandelt werden.       gründet worden sind.
                                             In Wechselwirkung zwischen eigener For-
                                             schung und Ingenieurskunst treiben Fach-
Proteine und Krebstherapie                   leute des PSI die Entwicklung dieser
                                             Anlagen so voran, dass sie auch in
In der Grundlagenforschung des PSI spielt    Zukunft den medizinischen Fortschritt          Lebenswissenschaften
eine der essentiellen Klassen von biolo-     sichern werden. So macht der neue              am PSI in Zahlen
gischen Grundbausteinen die Hauptrolle:      Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL
                                                                                            Seit 1984 wurden am PSI mehr
Proteine, hochkomplexe Biomoleküle, die      es möglich, nicht nur statische Bilder von
                                                                                            als 8000 an Krebs erkrankte
praktisch alle Stoffwechselvorgänge so-      Proteinen aufzunehmen, sondern auch
                                                                                            Personen mittels der ultragenauen
wie die Zellteilung in allen Formen des      die ultraschnellen Veränderungen der
                                                                                            Protonentherapie behandelt,
Lebens kontrollieren und ausführen. Bei      Proteinmoleküle nach ihrer Aktivierung         darunter 500 Kinder.
Menschen und Tieren bilden sie auch das      zu messen, und auf diese Weise einen
Stützgerüst der Zelle und transportieren     Film über die Proteinaktivierung zu dre-       Der Anteil der Lebenswissenschaften
Stoffe im Inneren der Zelle. Immer wieder    hen – und das mit einer Auflösung, bei         am Budget des PSI macht 24 Prozent
                                                                                            aus.
sorgen PSI-Forschende für Aufmerksam-        der die einzelnen Atome der Proteine
keit in Fachkreisen, weil sie Proteine in    sichtbar sind.                                 Seit 2002 wurden an der SLS mehr als
nie zuvor gesehenem Detaillierungsgrad       Wie die Grundlagenforschung anderer            5600 Proteinstrukturen entschlüsselt.
beschreiben und so deren Funktions-          Fachgebiete auf erstaunliche Weise zum

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Untersuchungen an den Grossfor-
schungsanlagen des PSI tragen zu
unserem Wissen über die Strukturen
des Lebens bei und schaffen die
Grundlagen für neue Medikamente.

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Strukturen des Lebens erforschen –
neue Medikamente entwickeln

                           Auch heutzutage verbringen Forschende in den
                           Lebenswissenschaften einen grossen Teil ihrer Zeit
                           im Labor.

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Maschinen des Lebens                                                                          Der Rezeptor Rhodopsin hat sieben Spiralstrukturen.
                                                                                              Er befindet sich in der Zellmembran (gelber Hinter-
                                                                                              grund). Zwischen den Spiralen sieht man – ähnlich der
                                                                                              Form einer Weintraubenrispe – das Retinal, das auf
                                                                                              Licht reagiert. Der Lichteinfall bewirkt, dass das
                                                                                              Retinal seine Form verändert und dadurch mehrere
Proteine sind zentrale Bausteine jedes       Jedes Protein besteht aus einer Kette von
                                                                                              Spiralen leicht verschiebt. Dadurch kann sich aus dem
lebenden Systems. Wie winzige hochspe-       kleineren Molekülen – den Aminosäuren.           Inneren der Zelle (türkiser Hintergrund) ein G-Protein
zialisierte Maschinen erfüllen sie im le-    Die Anordnung dieser Aminosäuren ist für         (beige-grau Struktur) an den Rhodopsin-Rezeptor
benden Organismus zahllose Aufgaben:         jedes einzelne Protein in der DNA gespei-        binden. Das G-Protein initiiert einen Prozess, der dafür
Sie zerlegen Stoffe und bauen andere auf,    chert. Doch es kommt nicht alleine auf die       sorgt, dass die Information des Lichtsignals an die
bilden das Stützgerüst unserer Zellen,       Reihenfolge der Aminosäuren an. Wichtig          Nervenzellen und schliesslich ans Gehirn weiterge­
leiten Informationen innerhalb des Kör-      ist auch, dass sich diese Kette korrekt          geben wird. Dieser Vorgang passiert immer wieder und
pers weiter und sorgen dafür, dass Ener-     faltet und dabei ihre typische dreidimen-        so rasend schnell, dass unsere Augen Veränderungen
gie gespeichert und bei Bedarf wieder zur    sionale Struktur mit unterschiedlichen           in der Umwelt augenblicklich erkennen können.
Verfügung gestellt wird. Obwohl sie alle     Fortsätzen und Ausbuchtungen ausbildet.
nach dem gleichen Prinzip aufgebaut          Zudem verändern praktisch alle Proteine
sind – aus einer Kette von «standardisier-   bei der Arbeit ihre Form – sie haben also
ten» Bausteinen, den Aminosäuren –           jeweils mehr als eine Struktur. Nur wenn
können sie eine fast unvorstellbare          man die dreidimensionale Struktur des
Vielfalt an Formen haben. Am PSI ent-        Proteins kennt und weiss, wie sich diese
schlüsseln Forschende die Struktur und       verändert, kann man seine Funktion wirk-
Funktion verschiedenster Proteine und        lich verstehen.
lernen dadurch, Lebensprozesse besser
zu verstehen. Mit diesem Wissen tragen
sie auch zur Entwicklung neuer Medika-       Proteine verstehen –
mente bei.
                                             Medikamente entwickeln
                                             Am PSI untersuchen mehrere Forschungs-
Praktisch alle Prozesse in unserem Körper    gruppen den Aufbau und die Funktion von
werden von Proteinen gesteuert. Diese        Proteinen. Ein Schwerpunkt sind die so-
komplexen Biomoleküle kann man sich          genannten G-Protein-gekoppelten Rezep-
als winzige Maschinen denken, die in den     toren – Proteine, die in der Zellhülle sit-
Zellen unseres Körpers die verschiedens-     zen und dafür sorgen, dass Informationen
ten Aufgaben übernehmen. Sie machen          von aussen in die Zelle gelangen. Ein
es möglich, dass wir sehen, hören und        bekanntes Beispiel für ein solches Protein
schmecken, sie sorgen dafür, dass ver-       ist der Beta-Rezeptor des Herzmuskels
schiedene Bereiche des Körpers mitein-       – treffen Moleküle des Hormons Adrena-
ander kommunizieren und sich koordi-         lin von aussen auf solche Rezeptoren,
nieren können. Alle Nahrungsmittel wie       regen sie die Muskelzellen an, kräftiger
Zucker, Fette und Vitamine werden von        zu schlagen. Soll dieser Effekt künstlich
Proteinen auf- oder abgebaut, ebenso wie     reduziert werden, können die Rezeptoren
alle Zellbestandteile, also DNA, RNA oder    mit Hilfe eines Medikaments – eines
Proteine selbst. Auch bei allen Krankhei-    Beta-Blockers – blockiert werden. Insge-
ten sind Proteine beteiligt: So können       samt greifen mehr als 30 Prozent aller
Menschen zum Beispiel krank werden,          neu entwickelten Medikamente an Pro-           antwortlich, das dann an die Nervenzel-
wenn die Proteine ihres Körpers falsch       teinen dieser Familie an. Strukturbiologen     len im Gehirn weitergeleitet werden kann.
geformt sind oder wenn der Organismus        des PSI haben die lichtinduzierten Struk-      Die PSI-Forschenden arbeiten daran, die
von Mikroorganismen angegriffen wird,        turveränderungen in einem weiteren G-          genauen Details dieses Prozesses auf
die selbst wieder zu einem grossen Teil      Protein-gekoppelten Rezeptor, dem Seh-         molekularer Ebene aufzuklären; unter
aus Proteinen bestehen. Es ist daher nicht   pigment Rhodopsin, bestimmt. Dieses            anderem liefern die gewonnenen Erkennt-
weiter verwunderlich, dass medikamen-        reagiert auf Licht und ist für die «Überset-   nisse wichtige Informationen für die Ent-
töse Behandlungen in den meisten Fällen      zung» der physikalischen Information           wicklung neuer Medikamente gegen Er-
auf Proteine zielen.                         «Licht» in ein biochemisches Signal ver-       blindungskrankheiten.

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Mensch und Gesundheit - Forschung am Paul Scherrer Institut - Paul Scherrer Institut (PSI)
Zusammenspiel mit unterschiedlichen
                                                                                          Wirkstoffen erlaubt die Weiter- bezie-
                                                                                          hungsweise Neuentwicklung von Wirk-
                                                                                          stoffen für die Chemotherapie. Die Tubu-
                                                                                          line sind zudem die Grundlage winziger,
                                                                                          hochbeweglicher Härchen, die Einzellern
                                                                                          die Fortbewegung ermöglichen und auch
                                                                                          auf bestimmten Gewebeoberflächen zu
                                                                                          finden sind, so zum Beispiel in der Lunge,
                                                                                          wo sie Schleim nach aussen transportie-
                                                                                          ren.

                                                                                          Proteine überall
                                                                                          Proteine sind auch entscheidend für die
                                                                                          Entwicklung von Radiopharmazeutika.
                                                                                          Diese Krebsmedikamente docken gezielt
                                                                                          an Proteine an der Oberfläche von Tumor-
                                                                                          zellen an und zerstören diese durch ihre
                                                                                          Strahlung.
                                                                                          Die Forschungsanlagen des PSI, die auch
                                                                                          Forschenden aus der ganzen Welt und
                                                                                          Industrieunternehmen offenstehen, bie-
                                                                                          ten zum Teil einzigartige Möglichkeiten,
                                                                                          die Struktur und Funktion von Proteinen
                                                                                          zu bestimmen. Mitarbeitende des PSI
                                                                                          betreuen die externen Nutzerinnen und
                                                                                          Nutzer während ihrer Experimente und
                                                                                          dank dieser Erfahrung können sie die
                                                                                          Anlagen stetig weiterentwickeln.
                                                                                          Aus der zentralen Rolle, die Proteine für
                                                                                          die Wirkung zahlreicher Medikamente
                                                                                          spielen, ergibt sich auch deren wirtschaft-
                                                                                          liche Bedeutung. Zahlreiche grosse
                                                                                          Pharmaunternehmen nutzen für die Ent-
                                                                                          wicklung neuer Medikamente Erkennt-
                                                                                          nisse über die Struktur von Proteinen, die
                                                                                          sie am PSI gewonnen haben. Im Umfeld
Ein anderes Beispiel ist das Protein Tu-     Tubulinfasern bei der Zellteilung die neu-   der Proteinforschung am PSI ist zudem
bulin. Es bildet dünne Fasern, die unter-    gebildeten Chromosomen auseinander           eine Reihe von Spin-off-Unternehmen
schiedliche Funktionen in den Zellen         und verteilen sie auf die beiden neuge-      entstanden, die zum Beispiel medizini-
übernehmen. Die Fasern dienen als            bildeten Zellen. Letzteres macht man sich    sche Wirkstoffe entwickeln oder Indus­
Gleise, auf denen Substanzen innerhalb       in der Chemotherapie zunutze, indem          trienutzer bei ihren Untersuchungen am
der Zelle transportiert werden, und bilden   man diesen Prozess mit Wirkstoffen stört,    PSI unterstützen.
einen wichtigen Teil des Zellskeletts, das   die an Tubulin binden und so die Teilung
die Zelle in Form hält und die Maschinerie   von Krebszellen unterbinden. Die Aufklä-
der Zellteilung koordiniert. So ziehen       rung der Struktur der Tubuline am PSI im

                                                                                                                                   9
Mensch und Gesundheit - Forschung am Paul Scherrer Institut - Paul Scherrer Institut (PSI)
Eine biotechnologische Revolution

Gebhard Schertler ist Leiter des For-
schungsbereichs Biologie und Chemie
am PSI und Professor für Strukturbiologie
an der ETH Zürich. In diesem Interview
spricht er über die biologische Forschung
am PSI und die Zukunft der Medikamen-
tenentwicklung.

Herr Schertler, es gehört zu den Kern-
kompetenzen des PSI, die Struktur von
Proteinen zu entschlüsseln. Was macht
Proteine so interessant?
In der Biologie stellen die Proteine die
Werkbank des Lebens dar. Sie sind Struk-
turbausteine oder aktive Werkzeuge, die
Stoffe umwandeln oder Signale weiterlei-
ten. Damit stehen sie im Zentrum unseres
Ansatzes, Lebensprozesse zu verstehen.
Es gibt den schönen Satz: «Die Sprache
des Lebens ist die Chemie». Und sehr
viele Proteine sind Katalysatoren, die
diese Chemie ermöglichen oder regulie-
ren.

Welche Bedeutung hat die Proteinfor-
schung für unseren Alltag?
Die Grundlagenbiologie wird immer rele-
vanter für die Entwicklung neuer Therapie­
möglichkeiten gegen Krankheiten. So
helfen die Erkenntnisse, die wir über den
Aufbau von Proteinen gewinnen, bessere
Medikamente zu entwickeln – zum Bei-
spiel gegen Krebs oder Augenkrankhei-
ten. Aber das Potenzial ist noch grösser:
Wir stehen am Anfang einer technologi-
schen Revolution, die man als biologi-
sches System-Engineering bezeichnen
könnte. Dabei werden Proteine zu Kom-
ponenten in neuen biologischen Regel-
kreisen. Zum Beispiel denkt man heute
über Medikamente nach, die sich mit
Licht an- oder ausschalten lassen. Das ist
momentan nur bedingt möglich, wird in
der Zukunft aber sehr wichtig werden. Das
PSI stellt dafür die Forschungs-Infrastruk-
tur zur Verfügung.

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Immer wieder fällt das Schlagwort «per-       einem grossen Testverfahren – das meist       personalisierten Medizin zu leisten.
sonalisierte Medizin», wenn es um die         für jeden Test entwickelt werden musste       Gleichzeitig werden wir neben grundle-
Zukunft der Diagnostik und Therapie           – zu untersuchen, um zufällig eine ein-       genden Fragestellungen in der Struktur-
geht. Was ist damit gemeint?                  zelne Verbindung zu identifizieren, die       biologie weiterhin Themen bevorzugen,
Personalisierte Medizin hat verschiedene      die gewünschte Wirkung zeigt. Doch die-       die Relevanz für die Pharmaindustrie
Aspekte. Zum einen ist damit eine Be-         ser «nicht-rationale» Ansatz hat sich nicht   haben, und wir werden verstärkt mit Spi-
handlung gemeint, die auf eine be-            bewährt. Es wurden Millionen investiert       tälern zusammenarbeiten. Es ist wichtig
stimmte Person zugeschnitten ist – das        – und am Ende waren die Erfolge gering.       zu verstehen, dass sich die Erkenntnis-
kann mit einem Gentest anfangen, aber         Deswegen gibt es heute eigentlich keine       weise verändert. Bis jetzt war es möglich,
auch mit der Krankengeschichte und mit        Alternative mehr zur rationalen Medika-       grosse Durchbrüche mit einzelnen expe-
bildgebendem Verfahren: etwa wenn man         mentenentwicklung, bei der man, ausge-        rimentellen Methoden alleine zu errei-
bei der Protonentherapie am PSI genau         hend von einem Zielmolekül, einen Wirk-       chen. In der Zukunft wird es immer wich-
definiert, welche dreidimensionale Zone       stoff passend entwickelt. Wir machen da       tiger, Kombinationen von mehreren
um den Tumor herum behandelt werden           gute Erfahrungen mit biologischen Wirk-       Methoden zu finden, die adäquat sind,
soll. Zum anderen will man möglichst alle     stoffen, zum Beispiel mit Antikörpern. Hat    um ein spezifisches Problem zu lösen und
Gene und Umweltfaktoren eines Men-            man nämlich erst einmal rational ein          neue Erkenntnisse zu ermöglichen. Wir
schen analysieren und so zum Beispiel         Zielmolekül als die Ursache einer Erkran-     investieren daher in ein breiteres Portfo-
erkennen, ob Krebszellen auf eine be-         kung identifiziert, kann man es mit Anti-     lio von Methoden. Zum einen hat das PSI
stimmte Hormontherapie reagieren wer-         körpern an- oder abschalten. Nachteile        in den letzten Jahren den Freie-Elektro-
den oder nicht. Für mich ist der Kern, dass   der Antikörper: Sie müssen meist injiziert    nen-Röntgenlaser SwissFEL gebaut, mit
nach einer genauen Analyse des indivi-        werden, es kann auch zu immunologi-           dem sich die Bewegung von Proteinen
duellen Patienten am Ende eine optimale       schen Reaktionen kommen. Deshalb              gewissermassen in Form molekularer
Behandlung herauskommt.                       sucht immer noch ein Grossteil der Phar-      Filme sichtbar machen lässt. Zum ande-
                                              maforschenden nach löslichen Substan-         ren wird die Strukturanalyse mittels Elek-
Und welchen Beitrag leisten Forscher am       zen, die man als Tablette einnehmen           tronenstrahlen immer wichtiger – auch
PSI für diese personalisierte Medizin?        kann. Auch hier gibt es grosse Fortschritte   hier arbeiten wir an neuen Geräten. Ein
In unserer Grundlagenforschung geht es        – einerseits durch die Strukturbiologie,      wichtiges Ziel für die Zukunft ist es, die
darum, wie Proteine miteinander zusam-        andererseits durch die Modellierung von       Struktur von Proteinen in ihrer natürlichen
menwirken. Man versucht mit einer Ana-        Proteinen am Computer. Es ist eine Kom-       Umgebung im Inneren von Zellen zu be-
lyse zu bestimmen, welches Protein bei        bination aus Erfahrung und Theorie, die       stimmen.
einer Krankheit eine zentrale Rolle spielt:   am Ende die besten Erfolge bringt.
Dieses Protein nennt man dann «Zielmo-
lekül», da es der Angriffspunkt für die       In welchen anderen Bereichen entwickelt
medizinische Behandlung wird. Die For-        das PSI eine personalisierte Medizin?
schenden bei uns am PSI spielen oft eine      Hier ist vor allem noch die Radiopharmazie
sehr wichtige Rolle, wenn ein solches         zu nennen, wo in enger Zusammen­arbeit
Zielmolekül bereits identifiziert ist und     mit Spitälern Radiopharmaka, also radio-
es danach strukturell, biophysikalisch oder   aktiv markierte Wirkstoffe, entwickelt wer-
kinetisch genauer untersucht werden soll.     den. Diese werden meist für die Diagnose
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen          von Krebserkrankungen, aber vermehrt
liefern dann Hinweise, welche Medika-         auch in der Therapie eingesetzt.
mente für die Behandlung geeignet sind.
                                              Welche Strategien verfolgen Sie darüber
Was bedeutet in diesem Zusammenhang           hinaus innerhalb der lebenswissen-
«rationale» Medikamentenentwicklung           schaftlichen Forschung des PSI? Gibt es
– und was wäre die Alternative?               eine Vision, die Ihnen den Weg weist?
Früher hat man versucht, Abertausende         Strategisch haben wir uns im Moment
chemische Verbindungen gleichzeitig in        stark darauf fokussiert, einen Beitrag zur

                                                                                                                                     11
Strahlende Medikamente

                                                                                                          Radioaktive Medikamente können vielen
                                                                                                          an Krebs erkrankten Patienten helfen.
                                                                                                          In einem besonders gesicherten Labor
                                                                                                          arbeiten PSI-Forschende an neuen
                                                                                                          Präparaten.

Sie sind manchmal die letzte Hoffnung        Obwohl sie aus der modernen Medizin          ser Reichweite. Dann können ihre Signale
bei Krebserkrankungen: radioaktive Wirk-     nicht mehr wegzudenken sind, führen sie      von empfindlichen Messgeräten ausser-
stoffe, die von selbst den Weg zu den        in der öffentlichen Wahrnehmung ein          halb des Körpers aufgefangen werden
Tumorzellen finden und den Krebs im          Schattendasein: Radiopharmaka. Das           und so Informationen über Strukturen
Inneren des Körpers bekämpfen. Andere        sind Medikamente, in die eine radioak-       und Vorgänge im Organismus liefern. Als
«strahlende Medikamente» haben sich          tive Substanz eingebaut ist, die im Körper   Träger für die radioaktive Substanz dient
als Diagnostika bewährt: Sie zeigen etwa     zerfällt und Strahlung abgibt. Eingesetzt    meist ein komplexes Biomolekül, das
im PET-Scanner an, ob das Gehirn richtig     werden können Radiopharmaka auf zwei-        gezielt bestimmte Zielmoleküle auf Tu-
funktioniert. Am PSI beschäftigen            erlei Weise: Entweder die radioaktive        morzellen ansteuert. Bei den Zielmole-
sich mehr als 25 Forschende mit Radio­       Substanz gibt in einem eng abgegrenzten      külen handelt es sich meistens um Pro-
pharmaka – sie entwickeln neue Mittel        Gebiet viel Energie ab und ist damit ge-     teine, sodass sich auch die Arbeiten in
oder stellen sie für den Einsatz in Spitä-   eignet, einen Tumor zu zerstören. Oder       der Radiopharmazie in die Proteinfor-
lern her.                                    sie strahlen nur schwach, aber mit gros-     schung des PSI einfügen.

12
Radiopharmaka werden am PSI erforscht,         rig war doch der Weg zum Medikament.          Um für einen PET-Scanner geeignet zu
weiterentwickelt und sogar hergestellt.        Zu den Herausforderungen gehörten die         sein, muss das gesuchte Radionuklid zum
Fünf Arbeitsgruppen arbeiten am Zent-          anfänglichen Nebenwirkungen des hor-          einen besondere Teilchen – Positronen
rum für radiopharmazeutische Wissen-           monähnlichen Proteins, die Anreicherung       – abstrahlen. Zum anderen sollte es lang-
schaften interdisziplinär zusammen,            des Radiopharmakons im gesunden Ge-           samer zerfallen als die zurzeit eingesetz-
welches das PSI zusammen mit der ETH           webe sowie die Notwendigkeit, das Her-        ten Radionuklide. Denn deren extrem
Zürich und dem Universitätsspital Zürich       stellungsverfahren zu optimieren.             kurze Zerfallszeit schränkt die Verteilung
betreibt. Denn physikalische, chemische,                                                     der Medikamente selbst in der kleinen
biologische, pharmazeutische und me-                                                         Schweiz ein. Die PSI-Wissenschaftler tes-
dizinische Aspekte müssen gleichermas-         Mitten in den Kern                            ten daher jetzt einen neuen Kandidaten,
sen berücksichtigt werden, wenn ein                                                          der die beiden Bedingungen erfüllt: Scan-
geeignetes Medikament für die richtige         Noch Zukunftsmusik ist der Ansatz einer       dium-44. Sie stellen den radioaktiven
Anwendung hergestellt werden soll –            anderen Forschergruppe am PSI: Ihr Ziel       Stoff her, indem sie nicht-radioaktives
zeitgenau und auf den einzelnen Patien-        ist es, radioaktive Medikamente direkt in     Kalzium-44 neunzig Minuten lang mit
ten abgestimmt. Beim Arbeiten mit              den Zellkern einer Krebszelle einzu-          Protonen beschiessen. Dazu nutzen sie
Radioaktivität müssen hohe Sicherheits-        schleusen. Die radioaktive Substanz           einen Teilchenbeschleuniger am PSI. Die
standards eingehalten werden. Ausser-          könnte dann die Erbsubstanz direkt tref-      spezielle Infrastruktur des Forschungsin-
dem ist die kurze Haltbarkeit der Medi-        fen und so verhindern, dass sich die          stituts bahnt damit möglicherweise ei-
kamente wegen des radioaktiven Zerfalls        Krebszelle weiter teilt. Es wäre ein ähnli-   nem neuen Radionuklid den Weg in sämt-
zu bedenken.                                   ches Prinzip wie bei der bisher üblichen      liche Spitäler der Schweiz, die einen
                                               Chemotherapie, nur gezielter und mit          PET-Scanner einsetzen.
                                               viel weniger Nebenwirkungen. Mit Ter-
Schilddrüsenkrebs gezielt                      bium-161 haben die Forschenden bereits
                                               ein geeignetes Radionuklid gefunden.          Versorgung der
bekämpfen
                                               Dessen Strahlung hat eine extrem kurze
                                                                                             Aargauer Spitäler
Bis ein Medikament so weit entwickelt          Reichweite und resultiert in einer hohen
ist, dass es in klinischen Studien             Energieabgabe. Nun muss das Radionu-          Für die Entwicklung neuer Radiophar-
eingesetzt werden kann, vergehen viele         klid noch mit einem passenden Protein         maka hat das PSI eine Laborinfrastruktur
Jahre. Ein erfolgreiches Beispiel ist          gekoppelt werden, das ihm den Weg             aufgebaut, die im Aargau und darüber
177Lu-PSIG-2. So heisst ein neues, am          durch die Hülle des Zellkerns bahnt.          hinaus einzigartig ist. Damit erfüllt es
PSI entwickeltes Radiopharmakon, das                                                         auch die Voraussetzungen, um das an-
sich gegen einen speziellen Krebs der                                                        derweitig entwickelte Radiopharmakon
Schilddrüse und dessen Tochterge-              Blick in den Organismus                       68Ga-PSMA herstellen zu dürfen, mit dem
schwülste richtet. Der Krebs entsteht aus                                                    es seit Neuestem die Aargauer Kantons-
den sogenannten C-Zellen der Schild-           Nach einem Radionuklid mit ganz ande-         spitäler in Baden und Aarau beliefert.
drüse – eine Radio-Jod-Therapie hilft in       ren Eigenschaften haben Radiochemiker         Mithilfe dieses Mittels können Ärztinnen
diesem Fall nicht. Seit Ende 2016 wird         des PSI gesucht, um die Verfügbarkeit         und Ärzte frühzeitig Metastasen von Pro-
das neue Präparat am Universitätsspital        von Radiopharmaka für sogenannte              statakrebs diagnostizieren und so recht-
Basel im Rahmen einer klinischen Studie        Positronen-Emissions-Tomografen, kurz         zeitig eine Behandlung einleiten. Wegen
erprobt. Es besteht aus einem kleinen          PET-Scanner zu verbessern. Mit einem          der kurzen Halbwertszeit des verwende-
Protein, das einem körpereigenen Hor-          solchen PET-Scanner lassen sich drei­         ten Isotops Gallium-68 ist 68Ga-PSMA
mon ähnelt, sowie der radioaktiven Sub-        dimensionale Bilder des Körperinneren         nur drei Stunden verwendbar und muss
stanz Lutetium-177. Das kleine Protein         anfertigen und biochemische Abläufe im        daher in der Nähe des Einsatzortes her-
dockt gezielt an Rezeptoren auf der Ober-      Organismus sichtbar machen. Man kann          gestellt werden. Mit dieser Arbeit hilft das
fläche der Tumorzellen an. Die radioak-        damit neben der Diagnose von Tumoren          PSI, einen wichtigen Engpass bei der
tive Sub­stanz, das sogenannte Radionu-        und Tochtergeschwülsten beispielsweise        Medikamentenversorgung im Aargau zu
klid, zerfällt dort und zerstört gezielt den   auch krankhafte Veränderungen im Ge-          überbrücken.
Krebs. So einfach das Prinzip, so schwie-      hirn nachweisen.

                                                                                                                                      13
Modernste Technik
für Forschung und Therapie

       Nur in Teamarbeit lassen sich die
       komplexen Experimente zur
       Bestimmung von Proteinstrukturen
       an der SLS durchführen.

14
15
Mit grossen Geräten
das Kleinste sichtbar machen

An den Grossforschungsanlagen des PSI          Am Teilchenbeschleuniger                   Aufbau von Proteinmolekülen bestim-
machen Wissenschaftlerinnen und Wis-           die Strukturen des Lebens                  men. Ende 2016 wurde der Freie-Elektro-
senschaftler Strukturen von Biomolekü-         entschlüsseln                              nen-Röntgenlaser SwissFEL eingeweiht
len und biologischen Geweben sichtbar.                                                    – hier können Forschende beobachten,
Sie helfen damit, Abläufe in Organismen        Das Röntgenlicht für solche Experimente    wie Proteinmoleküle ihre Form verändern
besser zu verstehen und schaffen Grund-        lässt sich nur an komplexen Grossfor-      und so ein besseres Verständnis von
lagen für die Entwicklung neuer Medika-        schungsanlagen erzeugen. Das PSI be-       deren Funktion gewinnen. Der SwissFEL
mente. Physikerinnen und Ingenieure            treibt zwei solche Anlagen. Im Jahr 2001   ist Vertreter eines neuartigen Typs von
arbeiten ständig daran, die Messmetho-         ging die Synchrotron Lichtquelle Schweiz   Forschungsanlage – es gibt zurzeit
den zu verbessern, sodass Forschende           SLS in Betrieb. An drei Messplätzen        weltweit nur vier weitere derartige
zunehmend anspruchsvollere Fragen              können Forschende hier im Detail den       Anlagen.
untersuchen können.

Proteine sind hochkomplexe Biomole-
küle, die zentral sind für alle Abläufe im
menschlichen Organismus. Für die Ent-
wicklung moderner Medikamente ist es
oft entscheidend, den Aufbau der betei-
ligten Proteine zu verstehen, doch sind
diese nur wenige Millionstel Millimeter
gross und deshalb zu klein, als dass man
sie mit dem Lichtmikroskop betrachten
könnte. Gegenwärtig braucht man meist
starkes Röntgenlicht, um ihre Struktur zu
entschlüsseln.
Im Experiment werden Proteine mit dem
Röntgenlicht durchleuchtet, das heisst
das Licht geht an einer Stelle hinein und
kommt an einer anderen Stelle wieder
heraus. Ein Teil des Lichts wird auf dem
Weg durch das Protein von seinem gera-
den Weg abgelenkt. Die Ablenkungen
werden von einem Detektor registriert.
Aus dieser Information lässt sich mithilfe
aufwändiger Computerprogramme der
Aufbau der Proteine bestimmen. Dabei
ist es zur Zeit nicht möglich, ein einzelnes
Biomolekül zu untersuchen – man
braucht einen Proteinkristall, in dem viele
identische Biomoleküle in einem regel-
mässigen dreidimensionalen Muster an-
geordnet sind. Die Herstellung solcher
Kristalle ist eine Kunst für sich, die For-
schende in einem Speziallabor des PSI
perfektioniert haben.

16
Das Grundprinzip hinter SwissFEL und SLS       Anlage ab – so erzeugt die SLS meistens       Entwicklungen aus
ist ähnlich: Beide nutzen aus, dass            einen quasi kontinuierlichen Lichtstrahl,     dem PSI machen neue
schnelle Elektronen Licht abstrahlen,          während der SwissFEL kurze Blitze von
                                                                                             Einblicke möglich
wenn sie auf eine gekrümmte Bahn ge-           extrem intensivem Licht abstrahlt.
zwungen werden. In beiden Anlagen              Zu den 5600 Proteinen, deren Struktur seit    Um stets mit den wachsenden Anforde-
bringt ein Teilchenbeschleuniger die Elek-     dem Start an der SLS entschlüsselt wurde,     rungen der Wissenschaftlerinnen und
tronen zunächst auf eine Geschwindig-          gehören Strukturen des Sehpigments Rho-       Wissenschaftler mitzuhalten, entwickelt
keit, die nahe an der des Lichts ist. In der   dopsin, das in unseren Augen als Licht-       das PSI kontinuierlich die Messappara-
SLS ist der Beschleuniger ungefähr kreis-      sensor wirkt. Auch der Aufbau des Ribo-       turen weiter. So wurden zum Beispiel die
förmig und hat einen Umfang von 288            soms, eines grossen und sehr komplexen        am PSI entwickelten Detektoren, welche
Metern, im SwissFEL wird ein rund 300          Biomoleküls, das in der Zelle für den Zu-     die beim Durchdringen des Proteinkris-
Meter langer Linearbeschleuniger einge-        sammenbau weiterer Proteine verantwort-       talls abgelenkten Strahlen registrieren,
setzt. Eine regelmässige Anordnung vieler      lich ist, wurde unter anderem mit Hilfe von   immer schneller und genauer.
Magnete zwingt die Elektronen dann auf         Messungen an der SLS geklärt. Für diese       Um am SwissFEL Proteine in Bewegung
eine Slalombahn und bringt sie so dazu,        Leistung bekam der Strukturbiologe Ven-       beobachten zu können, haben For-
das Licht zu erzeugen. Die Eigenschaften       katraman Ramakrishnan aus Cambridge           schende des PSI das Verfahren der seri-
des Lichts hängen von den Details der          2009 den Chemie-Nobelpreis.                   ellen Kristallografie weiterentwickelt und
                                                                                             sind führend bei der Entwicklung der
                                                                                             sogenannten zeitaufgelösten seriellen
                                                                                             Kristallografie beteiligt. Dabei werden
                                                 Damit die Grossforschungsanlagen
                                                                                             viele kleine Kristalle des gleichen Prote-
                                                 ihr volles Potential entfalten können,
                                                                                             ins nacheinander mit den extrem kurzen
                                                 entwickeln und testen Forschende
                                                                                             und intensiven Lichtpulsen des SwissFEL
                                                 zusätzliche Geräte, die an den
                                                                                             durchleuchtet. Kurz vor der Messung wird
                                                 einzelnen Experimentierstationen
                                                                                             das Protein zu leicht unterschiedlichen
                                                 zum Einsatz kommen.
                                                                                             Zeitpunkten mit Licht aktiviert. Das Pro-
                                                                                             tein befindet sich dann in jedem Kristall
                                                                                             in einer anderen Phase der Bewegung.
                                                                                             Zusammengesetzt ergeben die dabei er-
                                                                                             zeugten Bilder den gewünschten «Film».
                                                                                             So konnte ein international zusammen-
                                                                                             gesetztes Team unter der Leitung von
                                                                                             PSI-Forschern 2018 einen 3-D-Film erstel-
                                                                                             len, der wichtige Einblicke in einen der
                                                                                             schnellsten Prozesse in der Biologie
                                                                                             zeigt. Die Forscher konnten zeigen, wie
                                                                                             verschiedene Bestandteile das Bacterio-
                                                                                             rhodopsins – eines Moleküls, das ähnlich
                                                                                             wie der menschliche Sehfarbstoff von
                                                                                             Licht aktiviert wird – zusammenwirken
                                                                                             und so den Vorgang besonders effizient
                                                                                             machen. Da der SwissFEL zum Zeitpunkt
                                                                                             der Messung noch nicht fertig war, wur-
                                                                                             den die Messungen an einer vergleichba-
                                                                                             ren Anlage in den USA durchgeführt.
                                                                                             Proteinstrukturen sind nicht das einzige
                                                                                             Thema aus den Lebenswissenschaften,
                                                                                             das an den Grossanlagen am PSI erforscht
                                                                                             wird. Auch Aufbau und Funktionsweise
                                                                                             von Zellbestandteilen, biologischem Ge-
                                                                                             webe und ganzen Organen oder auch
                                                                                             Medikamente lassen sich an der SLS oder
                                                                                             der Schweizer Spallations-Neutronen-
                                                                                             quelle SINQ untersuchen.

                                                                                                                                    17
Der Schweizer Ansatz: hohe Qualität

Der Physiker Oliver Bunk, Leiter des La-    am PSI biologische Strukturen sichtbar         sind. Sie ist nicht nur für die Grundlagen-
bors für Makromoleküle und Bioimaging       gemacht werden?                                forschung, sondern auch für die Pharma-
am Paul Scherrer Institut, erklärt, warum   Mit deutlich mehr als einer Methode. In        Industrie bedeutsam. Auf einer grösseren
so viele Forschende aus den Lebenswis-      den Lebenswissenschaften gibt es inter-        Skala kann man sich bei uns aber auch
senschaften bevorzugt ans PSI kommen,       essante Phänomene auf allen Ebenen:            Gewebeproben anschauen oder man
um Experimente zu machen.                   Das fängt bei Atomen an, die sich zu           kann an lebenden Mäusen Untersuchun-
                                            komplexen Molekülen zusammenfinden,            gen durchführen, die zum Verständnis
                                            und reicht bis zu sichtbaren Phänomenen        und der Minimierung der nachteiligen
                                            wie Hand- oder Mundbewegungen. Eine            Effekte von künstlicher Beatmung bei zu
                                            wichtige Methode auf der Ebene grosser         früh geborenen Babys beitragen.
Herr Bunk, Ihr Kompetenzbereich heisst      Moleküle ist die Röntgenkristallografie.
«Makromoleküle und Bioimaging». Kön-        Sie liefert die Strukturen der Proteine, die   An der SLS durchleuchten Sie Moleküle
nen Sie erklären, mit welchen Methoden      an allen Prozessen des Lebens beteiligt        mit intensivem Röntgenlicht. Dabei müs-

18
sen Forschende aus den Lebenswissen-         Hirnforschung, etwa rund um Alzheimer          ausgenutzt werden müssen. Nichtsdes-
schaften, also zum Beispiel Biologinnen,     und Parkinson. Hier kennen viele For-          totrotz haben wir deutlich mehr Nach-
Mediziner und Pharmazeutinnen, eng mit       schende die Möglichkeiten der Röntgen-         frage, als wir befriedigen können. Man
Physikern und Ingenieurinnen zusam-          methode noch gar nicht. Aber erste Pio-        muss also regeln, wer wann messen darf.
menarbeiten. Wie ist diese Zusammen-         niere kommen zu uns – oder auch                Wir organisieren das durch ein internati-
arbeit am PSI organisiert?                   Wissenschaftler, die wir auf die neuen         onal besetztes Komitee: Zweimal im Jahr
In meinem Team an der SLS haben wir          Methoden hingewiesen haben.                    können akademische Nutzer Anträge
viele Physikerinnen und Physiker, denn                                                      einreichen. Sie müssen auf zwei bis drei
diese sind gut im Instrumentenbau. Für       Welche besonderen Leistungen bietet            Seiten beschreiben, welches Experiment
die Anwendung müssen sie sich dann           das PSI seinen externen Nutzerinnen und        sie planen. Das Komitee – es besteht aus
aber mit dem jeweiligen Fachkollegen         Nutzern – etwa im Vergleich zu ähnlichen       unabhängigen Fachexperten – begutach-
über dessen Fragestellung unterhalten        Anlagen weltweit? Warum entscheiden            tet die Anträge und erstellt ein Ranking.
und besondere Aufbauten machen: Bio-         sich Forschende gerade für das PSI?            Die Besten bekommen dann Strahlzeit an
logische Proben muss man zum Beispiel        Wir bieten an der SLS nicht alle Methoden      unserer Anlage.
oft kühlen, um Strahlenschäden zu ver-       an, aber was wir machen, versuchen wir
hindern. Oder die Proben müssen feucht       sehr gut zu machen – wir fokussieren           Und was kostet das?
bleiben. Man muss sich also über Fach-       mehr auf Qualität als auf Quantität. Nicht     Akademische Nutzer müssen nichts zah-
grenzen hinweg austauschen, um die           nur in der Instrumentenentwicklung sind        len. Dafür müssen sie hinterher die Er-
besten Experimente aufzubauen. In der        wir gut, es ist auch die gute, kollaborative   gebnisse publizieren, sodass sie der
Regel sind von unserer Seite gemischte       Nutzerbetreuung. Im anglo-amerikani-           Fachwelt frei zur Verfügung stehen. Indus-
Teams aus Physikern und Biologen vor         schen Raum wird oft nur technische Un-         trienutzer, die die Ergebnisse für sich
Ort an der sogenannten Strahllinie. Sie      terstützung angeboten, die Forschung           behalten wollen, müssen zahlen. Eine
sind Fachleute für die Untersuchungsme-      überlässt man den Nutzern. Wir dagegen         Stunde Messzeit kostet etwa 1000
thode und haben das Experiment aufge-        stellen für den Nutzerdienst Forschende        Schweizer Franken. Grosse Pharmafirmen
baut. Als Teil des Nutzerdiensts des PSI     ein, die aus eigenen Experimenten be-          buchen grosse Zeitkontingente bei uns,
arbeiten sie eng zusammen mit den For-       reits Erfahrung mit den Anlagen haben,         die sind etwas günstiger.
schenden aus dem PSI oder von ausser-        diese nun optimieren und mit den besten
halb, die bei uns Strahlzeit beantragt       Forschern der Welt kooperieren möchten,        Können Sie beispielhaft erklären, wie ein
haben, um eigene Fragestellungen zu          um die Wissenschaft voranzubringen. Sie        Experiment an der SLS typischerweise
lösen. Gemeinsam geht man dann das           haben eine hohe Eigenmotivation. Das           vorbereitet wird und wie es dann abläuft?
Experiment an.                               merkt man auch daran, dass sehr gute           Von der Idee bis zur Publikation können
                                             wissenschaftliche Publikationen dabei          leicht zwei Jahre ins Land gehen. Wenn
Wie würden Sie die Forschenden charak-       herauskommen – mehr als in vergleich-          Forschende eine Idee haben, für die ein
terisieren, die die SLS für lebenswissen-    baren Anlagen. Hohe Qualität – das ist         Umbau der Anlage zu erwarten ist, findet
schaftliche Experimente nutzen? Aus          eben der Schweizer Ansatz.                     vor Ort ein Vorgespräch statt. Sonst
welchen Bereichen kommen diese Nut-                                                         schreibt man einfach seinen Antrag und
zer? Was für Fragen bringen sie mit?         Die Messzeit an den Grossanlagen des           bekommt im Erfolgsfall innerhalb des
Viele haben sich auf Strukturbiologie        PSI ist begrenzt, aber sehr begehrt. Wie       nächsten Halbjahrs Strahlzeit zugeteilt –
spezialisiert und kommen aus dem aka-        wird entschieden, wer die Anlagen letzt-       und einen Ansprechpartner vor Ort, mit
demischen Bereich, etwa von der ETH          lich nutzen darf?                              dem man im Vorfeld telefoniert. Dann führt
Zürich und der EPF in Lausanne, die Hälfte   Wir betreiben die Strahllinien 5000 Stun-      man das Experiment durch – das kann
aber auch von ausländischen Hochschu-        den im Jahr, 220 Tage pro Jahr. Wenn wir       zwischen acht Stunden und einer ganzen
len sowie aus der Pharmaindustrie. Für       im Betrieb sind, arbeiten wir sechs Tage       Woche dauern, je nach Technik und je
diese Gruppe ist die Röntgenkristallogra-    die Woche rund um die Uhr. Denn wenn           nachdem, wie anspruchsvoll das Experi-
fie von Proteinen ein wichtiger Teil ihrer   die Experimente einmal gestartet sind,         ment ist. Es folgt die Datenauswertung.
Forschung und sie kennen sich mit der        sollte man sie nicht unterbrechen, sonst       Oft werden zusätzliche Messungen oder
Technik sehr gut aus. Wir haben aber         hat man sehr viel Neustartzeit. Und es         Laboruntersuchungen nötig, bevor die
auch spannende Projekte im Bereich der       sind teure Maschinen, die möglichst gut        Ergebnisse veröffentlicht werden können.

                                                                                                                                   19
Verschiedene Einblicke in die
Strukturen des Lebens

Den Aufbau und die Funktion von Prote-        Gewebes. Technische Voraussetzungen
inmolekülen zu bestimmen, ist das Ziel        sind neben dem besonderen Röntgen-
der meisten Forschenden, die an den           strahl zum Beispiel eine Mechanik, die
Grossanlagen des PSI die Strukturen des       die Probe nanometergenau bewegt und
Lebens untersuchen. Doch bieten die           positioniert, eine Messkammer, in der
Labore des PSI zahlreiche weitere Mög-        das Gewebe vor und während der Mes-
lichkeiten für Untersuchungen in den          sung tiefgekühlt werden kann und die
Lebenswissenschaften. Mit Röntgenlicht        Software, die die 3-D-Bilder erzeugt. Die
lassen sich zum Beispiel auch Gewebe-         neue Plattform mit dem Kürzel OMNY
strukturen in 3-D abbilden und die Vor-       ermöglicht die Untersuchung unter-
gänge in Organen sichtbar machen. Neu-        schiedlicher Gewebearten und kann so
tronen zeigen den Aufbau dünner               zum Beispiel auch für die Krebsforschung
organischer Schichten. Das kann einst         genutzt werden. Ihre Stärke bereits be-
helfen, Medikamente im Körper richtig         wiesen hat die Methode bei Untersuchun-
zu dosieren.                                  gen von Knochenstrukturen, die Hinweise
                                              für die Osteoporoseforschung geliefert
                                              haben, und bei der Untersuchung von
                                              Hirnproben, die neue Einblicke für die
Mediziner wünschen sich schon länger          Neurowissenschaften, insbesondere die
eine Methode, mit der sie Gewebestruk-        Parkinsonforschung, ermöglichen.
turen bis auf wenige Nanometer genau
dreidimensional abbilden können. Damit
liessen sich beispielsweise in Proben von     Dynamik der
Hirngewebe verklumpte Proteine abbil-
                                              Lungenbläschen
den, wie sie für degenerative Erkrankun-
gen wie etwa Parkinson typisch sind.          Wenn Kinder zu früh geboren werden,
Untersuchungen an modernen Mikrosko-          sind ihre Lungen noch nicht ausgereift.
pen liefern hier durchaus wichtige Infor-     Sie müssen dann im Brutkasten künstlich
mationen, doch müssen die Proben dafür        beatmet werden. Doch es ist nicht leicht
in einer Weise vorbereitet werden, die die    für die Neugeborenen-Mediziner, etwa
Strukturen verfälscht. Für Untersuchun-       den Luftdruck des Beatmungsgeräts rich-
gen am Lichtmikroskop müssen sie zum          tig einzustellen. Bei zu niedrigem oder zu
Beispiel eingefärbt sein, am Elektronen-      hohem Druck drohen bleibende Lungen-
mikroskop lassen sich nur sehr feine          schäden. Wissenschaftler suchen des-
Gewebescheiben untersuchen.                   halb nach Methoden, die künstliche Be-
Wissenschaftler des PSI haben in den          atmung im Tierversuch zu simulieren. Sie
letzten Jahren eine Methode entwickelt        möchten dabei am liebsten die winzigen
und perfektioniert, mit der sie detailliert   Lungenbläschen von Versuchsmäusen
die dreidimensionalen Strukturen in ei-       live und in Bewegung beobachten.
nem tiefgefrorenen Gewebe-Würfel in der       An einer Strahllinie an der SLS, die darauf
Grösse von etwa einem Zehntel Millimeter      spezialisiert ist, detaillierte 3-D-Bilder
Kantenlänge abbilden können. Dabei            verschiedener Materialien zu erzeugen,
durchleuchtet ein Röntgenstrahl aus der       sind nun erste Versuche zur Beobachtung
SLS die Probe an vielen unterschiedlichen     der Lungenbläschen gelungen. Die Wis-
Stellen. Aus den Ergebnissen der vielen       senschaftler schafften es, mit einem EKG
einzelnen Messungen bestimmt ein auf-         den Herzschlag abzuleiten und die Auf-
wändiges Computerprogramm die dreidi-         nahmen mit einem Röntgenblitz immer
mensionale Struktur des untersuchten          zu einem Zeitpunkt auszulösen, in dem

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das Herz sich in relativer Ruhe befindet,   ETH Zürich haben Fragen, zu deren Klä-
                    sodass das Bild der Lunge nicht «verwa-     rung optische Untersuchungsmethoden
                    ckelt». Länger als 1 bis 2 Millisekunden    nicht ausreichen. Sie wollen mehr über
                    darf das Röntgenlicht dennoch nicht ein-    die Eigenschaften von Biopolymeren wis-
                    wirken, sonst wird das Bild unscharf.       sen, die auf Wasser eine dünne Schicht
                    Künftig soll mit der neuen In-vivo-Mikro-   bilden – nur ein bis zwei Molekül-Lagen
                    skopie nicht nur die künstliche Beatmung    dick. Wie sich solche Schichten bei ver-
                    optimiert werden. Auch Grundfragen der      schiedenen Temperaturen, bei unter-
                    Lungenphysiologie, die schon lange ihrer    schiedlichen Säuregraden und unter der
                    Beantwortung harren, sollen geklärt wer-    Einwirkung von Verdauungsenzymen
                    den. Ebenso die Frage, was bei Krankhei-    verhalten, wurde bereits an der SINQ
                    ten wie Asthma und Lungenfibrose auf        untersucht.
                    der Ebene der Lungenbläschen schief-        Zellulose ist ein Beispiel für solch ein
                    läuft. Kooperationspartner des PSI sind     Biopolymer. Forschende wollen den
                    die Klinik für Neonatologie des Universi-   Ballaststoff chemisch so trimmen, dass
                    tätskrankenhauses Lausanne sowie Ins-       man damit Medikamente mikroverkap-
                    titute der ETH Zürich und der Universität   seln kann, sodass sie erst bei Körpertem-
                    Bern.                                       peratur ihren Wirkstoff freigeben. Ein
                                                                anderes Ziel ist es, bei fetthaltigen Nah-
                                                                rungsmitteln durch die Zugabe von Bio-
                    Biopolymere für                             polymeren zu erreichen, dass sie nicht
                                                                bereits im Magen, sondern erst im Dünn-
                    die Ernährungsindustrie
                                                                darm verdaut werden. Man fühlt sich
                    Nicht nur Röntgen-, sondern auch Neut-      dann schneller satt und nimmt insgesamt
                    ronenstrahlen kommen am PSI für Expe-       weniger Fett auf.
                    rimente aus den Lebenswissenschaften
                    zum Einsatz. Dazu wird die Schweizer
                    Spallations-Neutronenquelle SINQ des        Einblick in die Zelle
                    PSI genutzt, die sonst vor allem Materi-
                    alwissenschaftlern hilft, Einblick in die   In einem weiteren Projekt entwickeln und
                    atomare Struktur von Werkstoffen zu         bauen PSI-Forschende eine neuartige
                    nehmen. Ernährungswissenschaftler der       Apparatur, die es erstmals möglich ma-
                                                                chen wird, die Struktur biologischer Mo-
                                                                leküle an ihrem natürlichen Ort – im In-
                                                                neren der lebenden Zelle – zu beobachten.
                                                                Bei der Apparatur handelt es sich um ein
                                                                neuartiges Elektronenmikroskop, an dem
                                                                Molekülstrukturen mithilfe von Elektro-
                                                                nenstrahlen untersucht werden.

Mit einem am PSI entwickelten
Untersuchungsverfahren lassen sich
die Axone – Fortsätze, die Signale
von einer Zelle zur nächsten leiten,
hier im Bild blau – eines Mäusehirns
dreidimensional sichtbar machen.

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Erfolgsgeschichte Protonentherapie

Die Bestrahlung mit Protonen ist eine         Erste Patientenbehandlung                   Diese neue Methode macht die exakte
besonders schonende Art, bestimmte            vor über 30 Jahren                          Behandlung von tief im Körper gelegenen
Tumore zu bekämpfen. In enger Zusam-                                                      und schwer zugänglichen Tumoren mög-
menarbeit mit spezialisierten Kliniken        Am PSI begann man im Jahr 1984, Patien-     lich, wie zum Beispiel Hirntumore sowie
bietet das Zentrum für Protonentherapie       ten, die an einem Augentumor erkrankt       Tumore im Kopf-, Hals-, Becken- und Wir-
ZPT am PSI diese Krebstherapie seit 1984      waren, mit Protonen zu behandeln. Heute     belsäulenbereich. Besonders Kindern
an. Mehr als 8000 Personen, darunter          werden immer noch gut 200 Patienten mit     kommt diese Form der Protonentherapie
500 Kinder, wurden hier seitdem behan-        Augentumoren jährlich am PSI behandelt.     zugute. Ihre Organe sind sehr strahlen-
delt. Neben der Patientenbehandlung ist       Seit Ende der 1990er-Jahre hat zudem die    empfindlich und aufgrund ihrer langen
die Forschung und kontinuierliche Wei-        sogenannte Spot-Scanning-Technik, die       Lebenserwartung ist es wichtig, das Ri-
terentwicklung von Behandlungsmetho-          am PSI entwickelt wurde, die Möglichkei-    siko von Nebenwirkungen der Bestrah-
den ein wichtiger Schwerpunkt am ZPT.         ten der Protonentherapie stark erweitert.   lung zu minimieren.

Mehr als die Hälfte aller Krebserkrankun-
gen ist heute heilbar, und viele Patienten
verdanken ihr Überleben einer Strahlen-
therapie. Neben der klassischen Strah-
lentherapie mit Röntgen- oder Gamma-
strahlen gibt es die Behandlung mit
Teilchenstrahlen. Dabei kommen oft
Strahlen aus Protonen zum Einsatz. Sie
haben die Eigenschaft, dass sie den Tu-
mor sehr präzise treffen und dadurch
umliegendes gesundes Gewebe deutlich
besser schonen als andere Strahlenthe-
rapien. Denn aus physikalischen Gründen
geben Protonen ihre maximale Energie
sehr exakt an einem vorherbestimmbaren
Punkt im Gewebe ab.
Dass die Protonentherapie in der Schweiz
nicht an einer Klinik, sondern am PSI
angesiedelt ist, liegt daran, dass man hier
langjährige Erfahrung damit hat, Strahlen
aus schnellen Protonen zu erzeugen. Seit
1974 ist am PSI eine Protonenbeschleu-
nigeranlage in Betrieb, die für Experi-
mente in der Physik und in den Material-
wissenschaften genutzt wird. Sie war es
anfangs auch, die den Strahl für die Pa-
tientenbehandlung lieferte. Seit 2007 gibt
es COMET, einen extra für die Krebsthe-
rapie optimierten Beschleuniger, der von
einem Unternehmen gemeinsam mit PSI-
Forschenden entwickelt wurde.

22
Beim Spot-Scanning – auch Pencil beam       Millimetergenau lässt sich dieses kolos-    Vor Beginn der Protonenbehandlung müs-
scanning genannt – rastert ein hochfo-      sale Gerät um den Patienten herum be-       sen Lage und Ausdehnung des Tumors
kussierter Protonenstrahl, der mit fünf     wegen. Über ein Jahrzehnt lang war die-     genau bestimmt werden. Auch dürfen die
bis sieben Millimetern Dicke etwa so        ses Verfahren nur am PSI verfügbar.         Erkrankten sich während der Bestrahlung
dünn ist wie ein Bleistift, das ganze Vo-   Mittlerweile ist es weltweit der Standard   nicht bewegen. Erwachsenen hilft dabei
lumen des Tumors Punkt für Punkt und        in der Protonentherapie.                    eine individuelle Gesichtsmaske, eine
Schicht für Schicht ab. Das Gewebe um                                                   Beissschiene oder eine genau an ihren
den Tumor herum wird dadurch kaum                                                       Körper angepasste Liege. Kleine Kinder
belastet. Entscheidend ist dabei die                                                    erhalten eine leichte Narkose, damit sie
Technik zur Lenkung des Protonenstrahls,                                                während der Dauer der Bestrahlung ganz
                                              Das PSI betreibt nicht nur das
die in einer rund 200 Tonnen schweren                                                   ruhig liegen bleiben.
                                              einzige Behandlungszentrum für
Anlage – der Gantry – untergebracht ist.
                                              Protonentherapie in der Schweiz,
                                              PSI-Forschende haben auch
                                              die Technologie hinter der Methode        Patientenbehandlung und
                                              wesentlich weiterentwickelt.              Forschung Hand in Hand
                                                                                        Neben der Behandlung von Patienten
                                                                                        arbeiten die Forschenden des ZPT in einer
                                                                                        Vielzahl von Projekten an der Weiterent-
                                                                                        wicklung des Verfahrens. Sie machen die
                                                                                        Protonentherapie damit noch sicherer
                                                                                        und effizienter und sorgen dafür, dass die
                                                                                        Behandlung für den Patienten weniger
                                                                                        belastend wird. Zudem entwickeln sie
                                                                                        neue Technologien, die den Anwendungs-
                                                                                        bereich der Spot-Scanning-Protonenthe-
                                                                                        rapie erweitern sollen. So soll eine neue
                                                                                        Bestrahlungstechnik in Zukunft erlauben,
                                                                                        mit den Protonen Tumore in solchen Or-
                                                                                        ganen zu bestrahlen, die von Natur aus
                                                                                        immer in Bewegung sind – beispielsweise
                                                                                        in der Lunge mit ihrer Atembewegung.
                                                                                        Am ZPT arbeitet eine Vielzahl von Exper-
                                                                                        ten. Verschiedene Teams kümmern sich
                                                                                        um die Wartung und Pflege der hochspe-
                                                                                        zialisierten Therapieanlagen. Regelmäs-
                                                                                        sige Qualitätschecks und Überprüfungen
                                                                                        durch das Bundesamt für Gesundheit
                                                                                        sorgen für einen reibungslosen und si-
                                                                                        cheren Betrieb. Das medizinische Fach-
                                                                                        personal ist nicht nur auf die anspruchs-
                                                                                        volle Behandlung spezialisiert, sondern
                                                                                        auch auf eine fürsorgliche Betreuung der
                                                                                        Patientinnen und Patienten. Mit Spezial-
                                                                                        kliniken in der ganzen Schweiz besteht
                                                                                        eine enge Zusammenarbeit – sowohl bei
                                                                                        der Patientenbetreuung als auch in der
                                                                                        Forschung.

                                                                                                                               23
Aus der Forschung in die Wirtschaft –
Zusammenarbeit mit der Industrie und
Spin-offs

24
Bevor Proteinmoleküle an der SLS untersucht
werden können, müssen sie zu Kristallen kombiniert
werden. Solche Kristalle herzustellen ist eine
Kunst, die Forschende in einem Speziallabor des
PSI perfektioniert haben.

                                                     25
Hand in Hand mit der Industrie

                          Eine Technik, die für Experimente an der SLS
                          entwickelt wurde, soll in Zukunft Mammografieunter­
                          suchungen ermöglichen, die eine bessere
                          Unterscheidung zwischen krankem und gesundem
                          Gewebe ermöglichen als die heutigen Verfahren.

26
Die Grundlagen für die meisten neuen          PSI-Spin-offs unterstützt. Das geht so       chen, sondern auch unterschiedliche
Medikamente oder medizinischen Geräte         weit, dass manche nur noch ihre Proben       weiche Körpergewebe gut voneinander
entstehen an öffentlich geförderten For-      einschicken und am Ende einen Bericht        abgrenzen. Der Röntgenstrahl muss dabei
schungseinrichtungen wie dem PSI. So          mit einer ausführlichen Interpretation der   durch mehrere sehr feine Gitter geleitet
untersuchen Pharmaunternehmen Wirk-           Ergebnisse erhalten.                         werden, die am PSI entwickelt und her-
stoffe an der SLS oder nutzen das am PSI                                                   gestellt wurden. Der Abstand zwischen
gewonnene Verständnis über Lebensvor-                                                      zwei «Gitterstäben» beträgt hier nur we-
gänge für die Entwicklung von Medika-         Medikamente aus der                          nige Tausendstel eines Millimeters.
menten. Andere Unternehmen profitieren                                                     In Zusammenarbeit mit dem Kantonsspi-
                                              PSI-Forschung
vom PSI, indem sie am PSI entwickelte                                                      tal Baden gelang 2011 der Nachweis, dass
Technik und Knowhow nutzen und darauf         Forschende des PSI untersuchen die mo-       sich die Methode für die Mammografie,
aufbauen.                                     lekularen Hintergründe unterschiedlicher     also die Röntgenuntersuchung der weib-
                                              Krankheiten und bestimmen Klassen von        lichen Brust, eignet. Weitere klinische
Wer beispielsweise bei einer Krebserkran-     Substanzen, mit denen sich diese Krank-      Untersuchungen haben gezeigt, dass die
kung mit Medikamenten der neuesten            heiten behandeln lassen könnten. Mit         neue Methode eine bessere Unterschei-
Generation behandelt wird, macht sich in      dieser Grundlagenforschung schaffen sie      dung zwischen gutartigen und bösartigen
der Regel nicht klar, dass bei deren Ent-     die Basis für die Entwicklung von Medi-      Veränderungen der Brust verspricht. Zu-
wicklung ein Grossforschungszentrum wie       kamenten, die dann von den Pharmaun-         sammen mit dem Elektronikkonzern Phi-
das PSI beteiligt gewesen sein könnte.        ternehmen weitergeführt wird. So baut        lips hat die Forschungsgruppe nun einen
Und doch ist es so: So gut wie alle grossen   beispielsweise eine Kooperation zwi-         ersten Prototyp für ein Mammografie-
Pharmafirmen der Welt und auch etliche        schen dem PSI und Roche auf den PSI-         Gerät gebaut, das sich für den Einsatz in
kleinere nutzen die Synchrotron Licht-        Forschungen zu angeborenen degenera-         Kliniken und Arztpraxen eignet.
quelle Schweiz SLS, um neue Medikamen-        tiven Augenerkrankungen auf. Im Rahmen
ten-Wirkstoffe zu finden oder bereits be-     der Kooperation haben die Forschenden
kannte Heilmittel in ihrer Wirkung zu         ein Verfahren entwickelt, mit dem sich       Technischer Spezialist für
optimieren. Denn unter dem fokussierten       Wirkstoffkandidaten zur Behandlung die-
                                                                                           Protonentherapie
Röntgenstrahl lässt sich deren Wechsel-       ser Krankheiten identifizieren lassen. Das
wirkung mit körpereigenen Proteinen ge-       Ziel ist dabei, Medikamente zu entwi-        Der neueste Bestrahlungsplatz Gantry 3
nau studieren. Diese enge Zusammenar-         ckeln, die den Fortschritt der Krankheiten   wurde in einer Forschungszusammenarbeit
beit zwischen dem PSI und der                 bremsen und so den Erkrankten helfen,        mit der Firma Varian Medical Systems ge-
Pharmaindustrie wird sich auch am Freie-      ihre Sehfähigkeit länger zu erhalten.        baut. Die langjährige Teamarbeit zwischen
Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL fortset-                                                  dem Industriepartner mit seinem Know-
zen. Hier wird es möglich sein, die Verän-                                                 how und dem PSI mit seiner Erfahrung aus
derungen der Moleküle während einer           Besseres Röntgen                             der Grundlagen- und angewandten For-
solchen Wechselwirkung zu verfolgen und                                                    schung für die Protonentherapie war ein
so weitere wichtige Informationen für die     Die SLS hat auch die medizinische For-       grosser Lerneffekt für beide Partner.
Optimierung der Wirkstoffe zu erhalten.       schung im Bereich der Krebsvorsorge          Im Jahr 1993 baute die Firma Schaer Proton
Alle Industriekunden tragen die Kosten        inspiriert: Physiker des PSI entdeckten      AG aus Flaach ZH mit dem PSI zusammen
für die Nutzung der Anlagen selbst. Die       kurz nach der Jahrtausendwende, wie          die weltweit erste Behandlungsanlage
Schweizer Unternehmen Roche und No-           sich eine Untersuchungsmethode, die          (Gantry 1), an der die am PSI entwickelte
vartis, die bereits seit 2002 dabei sind,     bisher nur an der Grossanlage genutzt        Spot-Scanning-Technik in der Protonen-
finanzieren an der SLS sogar eine der drei    wurde, auch auf gewöhnliche Röntgen-         therapie zum Einsatz kommt. Seit einigen
Strahllinien mit, die für die Proteinunter-   geräte übertragen lässt. Dieses soge-        Jahren stellt Schaer fast nur noch Anlagen
suchungen ausgelegt sind. Die Pharma-         nannte Phasenkontrast-Röntgen verwen-        und Komponenten für die Protonenthera-
forscher aus der Industrie werden bei der     det Eigenschaften des Röntgenlichts, die     pie her und vertreibt diese weltweit.
Durchführung, Auswertung und Interpre-        bei gewöhnlichen Röntgenuntersuchun-         So kommt die Arbeit des PSI Unterneh-
tation der Messergebnisse von Forschen-       gen unbeachtet bleiben. Damit lassen         men in der Schweiz und kranken Men-
den des PSI oder zweier spezialisierter       sich nicht nur harte Strukturen wie Kno-     schen weltweit zugute.

                                                                                                                                  27
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