Forschungsdaten in der historischen Geografie und Kartografie - Christian Lotz Konferenz "Forschungsdaten in der Geschichtswissenschaft" ...
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Forschungsdaten in der historischen Geografie und Kartografie Christian Lotz Konferenz „Forschungsdaten in der Geschichtswissenschaft“, Paderborn, 7./8. Juni 2018 Überarbeitete und um Erläuterungen ergänzte Präsentation (10. Juli 2018)
Gliederung I. Einleitung: Was sind Forschungsdaten in der historischen Geografie und Kartografie (im Folgenden kurz „Geo-Forschungsdaten“)? Wer erzeugt womit Geo-Forschungsdaten? II. Herausforderungen im Umgang mit Geo-Forschungsdaten: 1) Autorenschaft und Quellennachweise 2) Standardisierung und historische Territorialität 3) Standardisierung und geografische Namen 4) Recherchierbarkeit und Metadaten
Was sind Geo-Forschungsdaten? Wer erzeugt womit Geo-Forschungsdaten? - Was: Im weiteren Sinn alle raumbezogenen Informationen, also z.B. Tabellen mit Einwohnerzahlen ausgewählter Orte, Liste mit Ortsnamen, u.a.m.; im engeren Sinn raumbezogene Informationen, die sich in strukturierter Form digital speichern lassen; - Wer: Forscher, Behörden, Citizen Science - Womit: Programme zur Tabellenkalkulation, zur Erzeugung von Rastergrafiken (z.B. tiff, jpg), von Vektorgrafiken (z.B. svg), von GIS-Datensätzen (z.B. shp).
Oben links: GIMP, Rastergrafik (TIFF), Q.: http://elviscadillac.com (Bearbeitung C.L.) Oben rechts: Adobe Illustrator (freie Version CS2), Vektorgrafik (SVG) von Belgiens Grenzen, Q.: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Belgium,_ad ministrative_divisions_(provinces%2Bregions)_- _de_-_colored.svg und eigene Bearbeitung der Grenzziehung (Grenzveränderung C.L.) Unten rechts: QGIS, Geodaten (SHP) zur Erfassung des Darstellungsgebiets von Luftbildern, Q.: Herder-Institut
Bereitstellung von GIS-Daten im HGIS-Germany (Andreas Kunz, IEG-Mainz) Q.: http://www.hgis-germany.de/
Bereitstellung von GIS-Daten im Repositorium der Stanford University Q.: https://earthworks.stanford.edu/catalog/tufts-berlin-prognoseraum- neighborhoods-09
Herausforderung 1: Autorenschaft und Quellennachweise - viele verfügbare Geo-Forschungsdaten, die historische Themen abbilden, haben keine oder nur unvollständige Quellenangaben; - HistorikerInnen arbeiten in der Spannung zwischen verlockender Verfügbarkeit von Forschungsdaten (z.B. aufwändig erzeugte Verläufe historischer Grenzen) und tradierten hohen Anforderungen an Quellennachweise Warnhinweis auf der Startseite des Geo-Daten-Repositoriums der Harvard University, Q.: http://freegisdata.rtwilson.com
Herausforderung 2: Standardisierung und historische Territorialität - mit der Entstehung von Geschichtsatlanten im 19. Jh. bildet sich ein Kartenstil heraus, der Herrschaftsverhältnisse zumeist mit klaren Flächen und Grenzen darstellt; - Forschungsdiskussion seit den 1930er Jahren: Der Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit ist gekennzeichnet durch den Wandel vom Personenverbandsstaat zum institutionellen Flächenstaat (Q.: Mayer 1939); Ausprägung von klaren Grenzen im heutigen Sinne ist Prozess, der in Mitteleuropa bis ins 18. Jahrhundert andauert (Rutz 2018) - viele analoge und digitale Karten, die die politische Geschichte des Mittelalters thematisieren, zeigen jedoch trotz dieser Forschungsdiskussion klare Grenzziehungen (vgl. die folgenden Abbildungen zur Herrschaft des Deutschen Ordens); - Ursachen? Wahrscheinlich ist Prägung durch tradierte Kartendarstellungen so stark, dass sich alternative Darstellungen (z.B. Personenverbandsstaat als Netz, statt als Fläche) nicht durchsetzen; - Problem: Wenn Geo-Forschungsdaten zu Themen der mittelalterlichen Geschichte klare Grenzziehungen enthalten, erzeugen diese Daten eine digitale Fiktion von Territorialität, die der seit mehreren Jahrzehnten laufenden Forschungsentwicklung nicht gerecht wird;
Friedrich Wilhelm Putzger / Walter Leisering: Putzger Historischer Weltatlas, Berlin 1991, Karte 52 (Ausschnitt)
S. Bollmann: Der Staat des Deutschen Ordens um 1260 Q.: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschordensstaat#/media/File:Deutscher_Orden_1260.png
- nicht nur die politische Geschichte (Grenzdarstellungen) ist von solchen Herausforderungen betroffen, sondern auch andere Teildisziplinen, z.B. die Umweltgeschichte; - Geo-Forschungsdaten zu historischen Flussläufen, Küstenlinien, Landnutzungsformen (Wald, Weide, Feld usw.) müssen berücksichtigen, dass viele dieser Umweltphänomene bis ins 19. Jh. hinein durch fließende Grenzen bzw. weiche Übergänge gekennzeichnet waren; Diercke: Weltatlas, Braunschweig 2007, S. 45.
Herausforderung 3: Standardisierung und geografische Namen - ähnlich wie die oben geschilderte Herausforderung (2) bzgl. Grenzdarstellungen in Geo- Forschungsdaten ist auch der digitale Umgang mit geografischen Namen von Spannungen geprägt, die ihren Ursprung im 18. und 19. Jh. haben; - mit der Ausprägung „moderner“ Verwaltungen im 18. und 19. Jh. entstanden Ortsnamensverzeichnisse/ Gazetteers, die nach und nach die überlieferte Vielfalt geografischer Namen vereinheitlichen; - seit den 1980er Jahren verstärkte Forschungsdiskussion zur Bedeutung von Ortsnamen für lokale/ regionale/ nationale Identitäten (vgl. exemplarisch Rose-Redwood 2016, Jordan 2016, Lotz 2010); gerade in der Vielfalt geografischer Namen, die von verschiedenen (ethnischen, religiösen, sprachlichen) Gruppen verwendet werden, liegen Hinweise auf unterschiedliche, ggf. widerstreitende, Identitätskonstruktionen, die diese Gruppen mit einem Ort verbinden; Wie sieht Aufbau und Inhalt digitaler Ortsnamensverzeichnisse/ Gazetteers aus? - einerseits große Vielfalt an verschiedenen digitalen Gazetteers; teilweise Gazetteers zu einer Teilregion mit beeindruckender Fülle geografischer Namen; - andererseits große Gazetteers, die häufig genutzt werden, die aber in vielen Fällen nur amtliche Bezeichnungen führen, nicht aber Namen, die von amtlichen Bezeichnungen abweichen (vgl. bspw. http://gov.genealogy.net, http://www.dnb.de/gnd, http://www.geonames.org);
Oben: Deutsche Nationalbibliothek, GND, Eydtkuhnen Unten: Geschichtliches Orts- Verzeichnis (GOV), Eydtkuhnen Beide Ortsnamens- verzeichnisse weisen die verschiedenen amtlichen Namen nach. Im GOV ist für jeden Namen sogar eine Quelle hinzugefügt, so dass die Angaben nachprüfbar sind. Andere Namen oder Namensformen, die nicht amtlich sind, fehlen bislang in diesen Verzeichnissen.
Da sich der Ort Eydtkuhnen/ Чернышевское im deutsch-litauisch-russischen Grenzgebiet befindet (roter Kreis), hat er historisch nicht nur amtliche deutsche und russische Bezeichnungen, sondern auch verschiedene nicht-amtliche Bezeichnung, bspw. auf Litauisch. Solche nicht-amtlichen Bezeichnungen sind oftmals nur in kleinen (teils projektbezogenen) Verzeichnissen enthalten. Latvijas Universitate Vilnius / Goethe-Universität Frankfurt am Main: INTERAKTYVUS RYTŲ PRŪSIJOS ŽEMĖLAPIS III (2016), Eintrag EITKŪNAI, Q.: http://prusija.lki.lt
Herausforderung 4: Recherchierbarkeit und Metadaten - die meisten Repositorien, die Geo-Forschungsdaten zu historischen Themen enthalten, bieten eine geografische Suche anhand von Schlagworten und/oder geografischen Koordinaten; - EU hat für aktuelle Geo-Daten, die z.B. von den Landesvermessungsämtern erstellt werden, eine Verordnung erlassen (INSPIRE), die eine Struktur für Metadaten vorschreibt; diese Struktur umfasst auch ein Feld zur Angabe von Quellen („Quality & Validity“), so dass diese Struktur für historisch arbeitende Disziplinen sinnvoll nutzbar ist; Verordnung (EG) Nr. 1205/2008 der Kommission vom 3. Dezember 2008, bzgl. „Vorschriften für Metadaten zur Beschreibung von Geodatensätzen und -diensten“ Q.: http://inspire-geoportal.ec.europa.eu/EUOSME_GEOPORTAL/userguide/eurlex_de.htm Q.: http://inspire-geoportal.ec.europa.eu/editor/
Literatur Bahlcke, Joachim: Landesherrschaft, Territorien und Staat in der Frühen Neuzeit, München 2012. Bugeja, Michael/ Dimitrova, Daniela V.: Vanishing Act. The Erosion of Online Footnotes and Implications for Scholarship in the Digital Age 2008. Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main 1971. Harley, John B.: The New Nature of Maps. Essays in the History of Cartography, Baltimore 2001. Jordan, Peter: The Meaning of Bi- or Multilingual Naming in Public Space for the Cultural Identity of Linguistic Minorities, in: Nomina Africana. Journal of the Names Society of Southern Africa 30 (2016), 1, S. 27-44. Lotz, Christian: Roads to Revision. Disputes over Street Names Referring to the German Eastern Territories after the First and Second World Wars in the Cities of Dresden and Mainz, 1921-1972; in: Niven, Bill/ Paver, Chloe (Hg.): Memorialisation in Germany since 1945, Basingstoke 2010, S. 37-47. Mayer, Theodor: Die Ausbildung der Grundlagen des modernen deutschen Staates im hohen Mittelalter [1939]; in: Kämpf, Hellmut (Hg.): Herrschaft und Staat im Mittelalter, Darmstadt 1956, S. 284-331. Rose-Redwood, Reuben: “Reclaim, Rename, Reoccupy”: Decolonizing Place and the Reclaiming of PKOLS; in: ACME – An International E-Journal for Critical Geographies 15 (2016), 1, S. 187-206. Rutz, Andreas: Die Beschreibung des Raums. Territoriale Grenzziehungen im Heiligen Römischen Reich, Köln/Weimar/Wien 2018. Alle Websites in der Präsentation: Stand Juni 2018
Kontakt: christian.lotz@herder-institut.de
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