FRAGT DOCH UNS! schulpraxis 3/ 17 - Bildung Bern
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schulpraxis 3/ 17 schulpraxis 1 / 15 FRAGT DOCH UNS! niemand kann genauer sagen, was er braucht, als Da er muss “man personlich ja echt was machen Die Eltern der und so viel selbst in betreuten Person haben die Hand nehmen. mich gerühmt und mir Das gesagt,ist ja richtig dass ich es gut gemachtanstrengend. habe. Ich finde nicht Teilweise so gut, dass waren die Rucksäcke manchmal ein bis 18 Kilo schwer. paar mit ihrem Fürs Wandern Pultnachbarn ist das eher viel. blödeln. Pädagogische Zeitschrift Bildung Bern
2 3 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 Junge Ideen gegen alte Lösungen «Wenn ich jetzt beginnen würde, alles, was mich am Ideenbüro fasziniert und was ich bewundere, aufzuschreiben, wäre selbst ein AO-Format noch zu klein», schreibt Timo in seinem Beitrag über das Ideenbüro. Seite 4 L.E.B.E.N in Karlsruhe L.E.B.E.N ist ein ungewöhnliches Projektfach. Paul kam im Oktober neu an die Schule und konnte damit genau nichts anfangen. So etwas gab es in seiner alten Schule nicht. Also fragte er ein paar Mitschüle- 27. Dezember 2017 Editorial rInnen, die besonders engagiert wirken. 107. Jahrgang Liebe Leserin Seite 9 Eine Beilage der «Berner Schule» Lieber Leser Für Mitglieder Bildung Bern im Jahresbeitrag inbegriffen «Wir haben andere Vorstellungen oder haben in ge- Fast wie eine Familie: Herausgeber wissen Bereichen mehr Ahnung. Wir kommen auch Bildung Bern die Lerngruppe Monbijoustrasse 36 auf Ideen, die Erwachsenen nicht in den Sinn kommen, Eine Lerngruppe in Elsau ist ein Zusammentreffen von SchülerInnen 3011 Bern da wir manchmal auch sehr simpel denken», sagt die Tel. 031 326 47 47 aus verschiedenen Jahrgängen. Sie tauschen Lernmethoden aus, Neuntklässlerin Lara in dieser schulpraxis. Diese Ausga- Fax 031 326 47 48 holen und geben sich gegenseitig Tipps. Die Lerngruppen werden von www.bildungbern.ch be stellt Kinder und Jugendliche ins Zentrum, die das (Bereich Pädagogik) Besondere ihrer Schule, ihre Art zu lernen, eine be- Jugendlichen selber geleitet. Sie fühlen sich fast an wie eine Schulhausfamilie. Redaktion stimmte Unterrichtsmethode oder eines ihrer Projekte Seite 11 Franziska Schwab vorstellen. Sie alle – oder ihre KollegInnen – hätten dies franziska.schwab@bildungbern.ch eigentlich an der Tagung «Fragt doch uns!» getan. Die Stefan Wittwer Weiterbildungsveranstaltung musste aber leider – man- Das Ganze als stefan.wittwer@bildungbern.ch gels TeilnehmerInnen – abgesagt werden. Gruppe gemeistert Layout / Grafik Ganz so fraglos wollten wir hingegen nicht aufgeben Anna Katharina Bay-Dübi, annakatharina.bay@bildungbern.ch und die jungen Menschen trotzdem zu Wort kommen Eine Gruppe Jungen, die in Münsingen ein Verantwortungs-Projekt lassen. Daher dieses Heft. gemeistert hat, ist stolz, dass sie finanziell nicht im Minus endete, Korrektorat Weshalb fragen wir Erwachsenen die Kinder und niemand ausstieg und dass sie es ohne Handys geschafft hat. Renate Kinzl Jugendlichen eigentlich nicht öfter? Fragen eröffnen Seite 15 Bestellungen und Räume, die gefüllt werden können. Adressänderungen Ausgaben der «schulpraxis» können Menschen zu helfen bei der Geschäftsstelle Bildung Bern oder auf ist eigentlich immer gut www.bildungbern.ch/publikationen/ schulpraxis/schulpraxis-online für Fr. 8.– Franziska Schwab Alisa wurde von den Kindern mit einer Umarmung begrüsst. (inkl. MwSt., plus Porto) bestellt werden. Die Verbindung war gleich da. Alisa half ihnen zu lernen, Druck und Anzeigenmarketing Bilder auszuschneiden und beantwortete Fragen. Stämpfli AG Das Sozialprojekt Fly ist eine super Erfahrung. Seite 27 Bilder Shutterstock, fotolia, zVg
4 5 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 Ich würde die Schule zum Ideen- Bildungs-Lern-Büro umwandeln Timo ist ein Reisefan, Philosoph, Sprücheklopfer, Naturliebhaber, Weltverbesserer, Comic-Zeichner und hat jeden Tag 1000 Ideen. Nicht zuletzt deshalb ist er auch im Ideenbüro aktiv. Warum sonst noch, sagt er im Interview. viel zu wenig konfrontiert wird, obschon es unglaublich wichtig für unsere Zukunft wäre. Im Ideenbüro kann man seiner Fantasie freien Lauf lassen, und das gefällt mir. niemand kann genauer sagen, Was gefällt dir besonders? was er braucht, Ich glaube, was mich am Ideenbüro am meis- ten fesselt, ist die Tatsache, dass es das glei- “ er personlich. als che Lebensziel hat wie ich, und zwar anderen Menschen zu helfen, ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und damit die Welt ein bisschen besser zu machen. Mein grösster Wunsch wäre es, die ganze Welt als Freund Timo, kannst du uns das Ideenbüro (IB) zu haben, und ich denke, das IB ist genau der Timo und Gabriel vom rat haben zukommen lassen, oder auf unse- Wem empfiehlst du das Ideenbüro? erklären? richtige Weg dazu. Ideenbüro in Biel ren Vortrag in der La Werkstadt in Biel/Bienne. Das Ideenbüro ist eine Anlaufstelle für alle Der Grundgedanke, der sich hinter diesem sprechen am Bilingue- Aber vor allem beeindruckt mich, wie weit Art von Problemen, von kleinen Zickenstreiten Projekt verbirgt, ist ein Programm zur För- Was passt dir nicht? Morgen gegen die wir bereits gekommen sind, wenn man be- über mittelgrosse Klassendelikte bis hin zu derung von Zusammenarbeit, Gestaltungs- Das ist eine sehr schwierige Frage, welche ständige Feindschaft denkt, dass wir vor ca. 1½ Jahren noch nie grossen Schulberatungen. Genauso verhält es kompetenzen und Selbstverantwortung bzw. ich eigentlich glaube, nicht beantworten zu der Welschen und etwas vom IB gehört hatten. sich auch mit den Fragestellern, egal, ob gross Partizipation von Jugendlichen und Kindern in können, da mir wirklich auch nach langem Deutschen an. oder klein, jung oder alt, jeder mit Problemen, Schulen. Ältere Schüler stehen jüngeren bei Grübeln nichts einfällt, was mir am Ideenbü- Briefkastenadresse: Kannst du uns ein Beispiel eurer welche ihm die Lebensfreude verderben, ist Problemen zur Seite und beraten sie, sodass ro nicht passen sollte. Das einzige, was ich briefkasten@ Arbeit nennen, das dir besonders aufgefordert, sich ans IB zu wenden. sich dann in gemeinsamer Arbeit kreative Lö- vielleicht ein ganz klein wenig kritisiere, wo- ideenbuero.ch Eindruck gemacht hat? sungen entwickeln. für das IB aber eigentlich überhaupt nichts Im Zusammenhang mit einem unserer mo- Wer könnte davon wohl nicht Wichtig: Das IB ist ein Freiraum – des Ver- kann, ist, dass es in manchen Schulen nicht mentan grössten Projekte, dem Bilingue- profitieren? trauens und der Offenheit –, also nicht obli- zur Schulzeit abgehalten wird, sondern zum Projekt, das wir ins Leben riefen, um Mass- Wenn es einen Menschen auf diesem Plane- gatorisch und wird grösstenteils von den Kin- Beispiel über den Mittag. nahmen gegen die ständige Feindschaft der ten gibt, der vollkommen frei von Problemen, dern selbständig geleitet und geführt. Was mich persönlich jetzt zwar nicht son- Welschen und Deutschen in unserer Schule Schwierigkeiten oder Hindernissen ist, was ich derlich stört, jedoch bei meinen Mitschülern zu ergreifen, und das bereits viele Erfolge ver- glaube mit an die 100% Wahrscheinlichkeit Warum findest du das Ideenbüro gut? dazu geführt hat, dass sie nach und nach die zeichnet, wurden wir an eine Versammlung abstreiten zu können – denn es ist allgemein Wenn ich jetzt beginnen würde, alles, was Lust verloren. der Verantwortlichen für Bilingueismus in Biel bekannt, dass es ohne Probleme auch keine mich am Ideenbüro fasziniert und was ich eingeladen, und als wir dann so vor diesen Lösungen gibt –, dann wäre er der einzige. bewundere, aufzuschreiben, wäre selbst ein Worauf bist du besonders stolz? Erwachsenen sprachen, welche uns gespannt Papier vom Format A0 noch zu klein, um al- Zum Beispiel auf unsere Kampagne zum lauschten – ich sprach deutsch und mein Angenommen, du müsstest etwas am les unterzubringen. Kurz gesagt, lernt man Schutz der Natur, im Rahmen derer wir eine Freund Gabriel französisch –, hatte ich das Ideenbüro verändern. Was wäre es? im IB mit Sachen umzugehen, mit welchen Karten-Zeichnen-Aktion organisiert, Unter- Gefühl, etwas bewirken zu könne. Das war Wie bei Frage 4 fällt mir nichts Richtiges ein, man, wie ich finde, im normalen Schulalltag schriften gesammelt und diese dem Bundes- ein wahnsinniges Gefühl! was es am Ideenbüro zu verbessern gäbe.
6 7 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 15 Wenn ich je tz t beginnen würde, Wir Jungs wählten zuerst einen alles, was mich am Ideenbüro fasziniert und was ich be wundere, aufzus chreiben, typischen Frauenberuf aus wäre s elbst ein Papier vom Format A0 noch zu klein. Jonas und Vivienne, Oberstufenschüler und Oberstufenschülerin aus Aarwangen, haben beim Projekt Avanti mitgemacht. Beide möchten die Erfahrung nicht missen. Doch wenn ich, wie Sie es in Ihrer Frage for- damit sie mich kennenlernen konnten. Ich mulieren, keine andere Wahl hätte, als etwas musste einiges mehrmals erklären. Auch mei- zu verändern, dann würde ich zusätzlich zu nen Namen musste ich zwei-, dreimal sagen, den Ideenbüros in den Schulen auch noch bis sie ihn aussprechen konnten. mehr öffentliche IBs einrichten, genau wie Gabriel und ich das bereits, sozusagen als Pi- Die Eltern der Worauf bist du stolz? oniere, in La Werkstadt in Biel gemacht haben. betreuten Person haben Am letzten Abend, an einer Geburtstagsfeier, So haben auch wirklich alle die Möglichkeit, Timo hat jeden Tag 1000 Ideen. Mindestens. Antworten auf ihre Probleme zu erhalten, und mich gerühmt und mir gesagt, lernte ich auch die Familie einer Behinderten kennen. Das fand ich sehr cool. Die Eltern der ausserdem gibt es in der Öffentlichkeit viele dass ich es gut gemacht betreuten Person haben mich gerühmt und mir andere Problemgebiete, von welchen man in serdem wäre das Ausschliessen von Kindern den Schulen nie etwas hört. bei Themen, welche sie betreffen, sowieso ein habe. gesagt, dass ich es gut gemacht habe. wenig unfair, denn niemand kann genauer sa- Was hat dir besonders Eindruck Du könntest eine Schule beraten, als Ex- gen, was er braucht, als er persönlich. Was wir gemacht? perte, die das Ideenbüro auch umsetzen übrigens im Laufe unserer Arbeit auch schon Die behinderten Kinder konnten sehr gut arbei- möchte. Wie würdest du beraten? oft entdecken konnten, zum Beispiel, als wir ten. Sie brauchten ein wenig Zeit, bis sie in der Eigentlich würde ich gar nicht allzu viel sa- auf Anfrage einer verzweifelten Lehrerin ei- Arbeit drin waren, aber dann klappte es super. gen, sondern, nachdem ich die Grundlagen ne Klassenberatung zum Thema stilleres und Wie funktioniert das Avanti-Projekt? Wir gingen Äpfel auflesen und sortierten sie, der Beratung und die verschiedenen Formu- konzentrierteres Arbeiten durchführten, bei Jonas: Wir Jungs wählten einen typischen Frau- für Most. Sie machten es fast noch besser als lar-Konzepte erklärt hätte, den Kindern und der am Schluss auskam, dass wir einfach die enberuf aus, schauten in der Region, was es so die Erwachsenen. ihren eigenen Ideen den Vortritt geben. So Schüler selbst fragen mussten, was sie dazu gibt, und fragten an. Dann gingen wir schnup- entstehen viel persönlichere IBs, und kein Ge- benötigten. Aber natürlich gibt es auch The- pern. Wem empfiehlst du das Projekt? fühl der Einschränkung entsteht. Übrigens ist men, bei denen es sogar besser ist, die Kinder Allen 7.-Klässlern. Es ist eine gute Sache. Man dies auch die Idee unseres neusten Projekts nicht miteinzubeziehen. Welchen Beruf hast du ausgewählt? sieht auch in andere Berufe hinein und nicht zur Herstellung von «Starter-Packs», welche Fachmann Betreuung für Behinderte. nur in für Jungs typische wie Automech und so. man an interessierte Schulen schicken kann, Stell dir vor, du bist der König der Schu- welche dann selbst ein IB bei sich einrichten len und kannst alles tun, was du willst. Wie war diese Erfahrung? Wer könnte nicht davon profitieren? können. Das wäre sehr hilfreich bei unserem Wie würdest du die Schulen sofort ver- Recht cool. Man sah in den Beruf hinein. Zu junge Leute oder diejenigen, die schon wis- Vorhaben, das Ideenbüro international zu ma- ändern? Es war nichts Alltägliches. Meine Betreuungs- sen, in welche Richtung es geht. Es ist ein Ein- chen. Ich würde danach streben, dass man in der person war ein Mann. Ein cooler Typ. stieg in die Berufswahl. Schule viel mehr seine eigenen Ideen ausleben Sollte man die Kinder und Jugendlichen darf, und selbständiges Arbeiten viel mehr Hat dir etwas nicht gepasst? Angenommen, du bist König der Schule, mehr und öfter fragen, was sie eigent- fördern. Alles hat mir gefallen. Aber man brauchte sehrwas würdest du in Aarwangen verän- lich tun möchten? Kurz gesagt, ich würde die Schule zum viel Geduld. dern? Auf jeden Fall. Wenn Kinder selbst entschei- Ideen-Bildungs-Lern-Büro umwandeln! ;) S Den Schwimmunterricht für die Oberstufe den können, was sie gerne tun möchten, sind Warum? wieder einführen. Der Kanton wollte das Geld sie auch mit viel mehr Herzblut dabei, und aus- Interview Christiane Daepp Ja, die Behinderten brauchten am Anfang Zeit, nicht mehr geben für die Stunde.
8 9 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 15 Ich schein an einer echt ausserge- wöhnlichen Schule zu sein! L.E.B.E.N. ist ein ungewöhnliches Projektfach an der Ernst-Reuter- Gemeinschaftsschule in Karlsruhe. Paul kam im Oktober neu an die Ernst- Reuter-Schule und kann mit dem Fach L.E.B.E.N. gar nichts anfangen. So etwas gab es in seiner alten Schule nicht. Er hat beschlossen, mal ein paar Mitschülerinnen zu fragen, die besonders engagiert wirken. Vivienne, wo gingst du schnuppern? Warum? Paul: Wie soll ich denn so einen Job finden? Vivienne: Ich ging als Milchtechnologin in die Es braucht Respekt. Man kann ja nicht einfach Hab ich noch nie gemacht sowas! Dorfchäsi. hingehen und sagen: Ich komme jetzt arbeiten. Michelle: Die Lehrer haben bestimmt noch Da muss man ein Meilensteineheft, in dem die einzelnen ja echt was machen Wie hat es dir gefallen? Wenn du Königin der Schulen wärst. Schritte zum V-Job erklärt werden. Wir hatten Gut. Es hat mir weitergeholfen. Milch braucht Was würdest du befehlen? dafür in Lernstufe 6 einen Workshop in Ko- man ja fast immer. Es ist jetzt aber nicht der Tests abschaffen! Ich mache mir immer mega und so viel selbst in operation mit dem Jubez, einem Kultur- und die Hand nehmen. Beruf, den ich erlernen würde. Druck. Jugendzentrum in der Stadt, und eine sogar eine Lesepatenausbildung mit Frau Demendi Was hat dir besonders gut gefallen? Interview Adrian Struchen Das ist ja richtig aus dem Büro für Mitwirkung und Engagement anstrengend. Joghurt verpacken. Aber ich war recht erstaunt, der Stadt. weil eigentlich alles mit Maschinen läuft. Leonie: Kannst ja auch mal die anderen Jungs AVANTI fragen, wo die sind. Jonas ist im Gnadenhof für Was hat dir weniger gepasst? Tiere und Daniel im Seniorenheim. Vielleicht Am Freitagabend bei der Vorstellung unserer Die Schulprojektwoche AVANTI ermöglicht können die dir auch noch ein paar Tipps geben. im Rahmen des Lehrplans 21 einen starken Projekte musste ich auf der Bühne stehen. Ich Paul: Habt ihr das Fach eigentlich auch schon Einstieg in die Berufliche Orientierung. Fragen hätte es besser gefunden, wenn jemand ande- der Laufbahn- und Lebensplanung werden in der 5. und 6. Klasse gehabt? Da muss man ja res auf die Bühne gestanden wäre. Aber Lara mit Genderfragen verknüpft. Durch Kennen- Paul: Hey ihr, ich hab keinen Plan. Die Leh- echt was machen und so viel selbst in die Hand und ich waren halt Moderatorinnen. lernen geschlechtsuntypischer Berufsfelder rerin von L.E.B.E.N. hat mir gesagt, ich soll nehmen. Das ist ja richtig anstrengend. und Lebensentwürfe erweitern Jugendliche ih- mir einen ausserschulischen V-Job suchen. Ich Michelle: Das ist ja gerade das Gute. Ich kann Worauf bist du stolz? ren Erfahrungshorizont und werden befähigt, dachte, ich soll hier lernen und nicht arbeiten. selbst was tun und bewirken. In der 5. Klas- einen reflektierten Berufsentscheid anzu- Dass ich Ihnen (dem Lehrer, Anm. der Red.) in Ich kenn nur einen V-Mann aus Krimis. Was ist se haben wir einen Talentemarkt gemacht, da streben. AVANTI ist als fünftägiges Modul einer Führung durch die Chäsi zeigen konnte, konzipiert, das sich in gemeinsame wie auch denn ein V-Job und wie soll ich das machen? konnten wir den anderen unsere Talente bei- was wir gemacht haben und wie das alles läuft. separate Module für SchülerInnen strukturiert. Leonie: Also ein V-Job ist ein Verantwor- bringen! tungsjob. Wir müssen uns eine Institution su- Leonie: Am schönsten sind die Nimm2-Akti- Was war für dich besonders eindrück- www.schulprojektavanti.ch chen, in der wir uns engagieren können. Jeden onen. Da hat mich doch mal Chiara so gelobt, lich? Dienstag bekommen wir von der Schule dafür weil ich ihr geholfen habe! Die Chäsi hat einen Laden. Dort geht alles Zeit von 14.30 bis 16 Uhr. Das Ding ist aber, wir Paul: Hmmm, Nimm2 ess ich auch gerne. Hat schnell. Das hätte ich nicht so erwartet. bekommen kein Geld dafür, sondern machen auch jeder 2 gekriegt? es ehrenamtlich. Unser Ziel ist, die Einrichtung Leonie: Eins darf man da immer behalten, Wenn du Projektexpertin wärst, was zu entlasten, Frau Koch sagt immer, wir sol- aber eins gibt man an jemanden ab, den man würdest du empfehlen? len die S(tellt euch vor), A(ktiv sein), H(ört zu), loben will! Den Lehrern würde ich sagen, sie sollen für Fir- N(ehmt Geduld mit), E(rgänzt positiv), also die Michelle: Und von unserem innerschulischen men schauen. Es gibt Familien, die keine Kon- SAHNE auf dem Kuchen sein, ein Gewinn für V-Job hast du noch gar nicht erzählt. Ich war takte haben. Und: Die Kinder sollen es ernst die Institution. Jeder kann sich aussuchen, wo nämlich Freudebereiter, und du? nehmen. er hin will. Ich bin im Kindergarten bei uns um Leonie: Ich war im Dekoteam für den Inpu- die Ecke. traum. Gern hätte ich bei den 5er-Paten noch
10 11 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 2 / 17 Die Lerngruppe ist wie eine Schulhausfamilie Zoé, Céline, Andrina, Alessio, Yves und Joël sind LerngruppenleiterInnen an der Oberstufe Elsau-Schlatt. Sie sagen im Interview, wie man in der Lerngruppe zusammen lernen kann. Das Fach L.E.B.E.N. ist dafür da, zu lernen, Verantwortung zu übernehmen, und ausserdem lernt man in diesem Fach ganz praktische Dinge fürs Leben. mitgemacht. Die durften der Lerngruppe 5 die einmal pro Woche in einer Pause eine Rückmel- Essensregeln zeigen und ihnen beim Logbuch dung an die Lerngruppenleitung. Sie besuchen helfen. Schade, dass wir gerade nichts mehr die Lerngruppen kurz und beobachten uns. En- von der Flüchtlingsschule gehört haben. Die de Quartal erhält jede Gruppe vom Coach eine Spieleaktion war auch schön. Rückmeldung und wir erhalten Punkte für die Paul: Ihr habt ja echt schon viel gemacht. Rangliste. Das Verhalten der Gruppe, ob man Dann werde ich mir mal einen V-Job suchen. einander zuhört und einander respektiert, wird Vielleicht kann ich ja was mit Naturschutz ma- bewertet. Alle Lerngruppen treffen sich einmal chen. Ich hab schon mal bei Dreck-Weg-Aktio- Es geht um Wirksamkeit pro Woche gleichzeitig während einer Lekti- nen mitgeholfen. on. Jede Woche präsentiert ein Mitglied ein Michelle: Wenn du noch andere Ideen hast, Mein Name ist Novalee und ich darf Gästen Highlight der vergangenen Woche. Die Gruppe oft das neue Fach mit anderen Mitschülern für andere coole Sachen in der Schule, kannst beurteilt dies mit einem Kriterienraster. präsentieren. L.E.B.E.N. ist ein neues Fach du ja nächste Woche mal zum «Roten Salon» an der Ernst-Reuter-Schule. Wir, die jetzi- kommen, da können sogar deine Eltern mit. gen Schüler der Lerngruppe 7, sind die erste Was sind LerngruppenleiterInnen? Da treffen sich Lehrer, Eltern und Schüler und Klasse, die Pioniere, sagt Herr König-Kurowski Wir LerngruppenleiterInnen führen die Lern- überlegen sich Aktionen für die ERS. Daraus ist immer, die das Fach L.E.B.E.N. kennengelernt gruppe und sind Ansprechpartner für die Mit- letztes Schuljahr die Ideenpoolparty entstan- haben. Jetzt sind wir fast schon Profis. Das glieder der Lerngruppe. Diese wissen, dass sie Fach L.E.B.E.N. findet einmal in der Woche den. Der megagrosse Talentemarkt, bei dem auf uns zukommen können, wenn sie Fragen statt. In der 5. und 6. Klasse hat man Verant- Schüler, Lehrer und Eltern Workshops für alle wortungsjobs in der Schule. In der 7. Klasse haben. angeboten haben. sieht es ein bisschen anders aus, denn man Paul: Danke, das reicht erst mal. Da bin ich sucht sich ausserschulische Verantwortungs- Wie leitet ihr konkret? jetzt erst mal beschäftigt. Ich schein ja an einer jobs. In einem Verantwortungsjob lernt man Die Lerngruppen Was ist eine Lerngruppe? Wir haben ein vorgegebenes Programm, das echt aussergewöhnlichen Schule zu sein! S Verantwortung für sich und andere zu über- kommen super Ein Zusammentreffen von Schülerinnen und von den Lehrpersonen zusammengestellt wird. nehmen und spürt dabei, dass man schon miteinander aus. Schülern aus verschiedenen Jahrgängen. Wir Es hat immer etwas zu tun mit dem, was in echt was bewirken kann. Leute, die neu an Leonie Spiess und Michelle Gruber unsere Schule kommen, fragen oft, wofür ist Was sie zusammen können Lernmethoden austauschen, gegen- der Schule läuft, zum Beispiel mit Berufswahl. das Fach L.E.B.E.N. und was ist das Besonde- erreichen, ist schon seitig Tipps holen und geben. Wir machen Einmal pro Quartal gibt es einen Wettbewerb. re? Das Fach L.E.B.E.N. ist dafür da, zu lernen, toll. Präsentationen, geben uns gegenseitig Rück- Verantwortung zu übernehmen, und ausser- meldungen, formulieren persönliche Ziele und Wie werdet ihr geschult? dem lernt man in diesem Fach ganz praktische Gruppenziele. In der Lerngruppe fühlen wir uns Geschult wird vor allem, wie man die SMART- Dinge fürs Leben. Ich finde, wir können stolz sehr wohl, sie ist ein wenig wie eine Schulhaus- Ziele aufschreibt. Schulungen gibt es, wenn es auf uns sein, was wir schon alles bewirkt ha- ben. Auch bin ich dadurch viel selbstbewuss- familie. nötig ist. Wenn den Lehrpersonen auffällt, dass ter geworden. Das Besondere an diesem Fach die LerngruppenleiterInnen etwas verbessern ist, dass es nicht um Noten geht, sondern Wie funktioniert sie? können. darum, was ich tun und bewirken kann. Von jedem Jahrgang sitzen zwei Schülerinnen, www.ers-karlsruhe.de also insgesamt sechs oder sieben, in der Grup- Was sind SMART-Ziele? pe. Jede Gruppe hat eine Leitung, meistens je- Jeder Buchstabe bedeutet etwas. Das S steht Geschrieben von Novalee Fürst mand aus der 3. Sek. Die Lehrpersonen geben für spezifisch, M für messbar, A für anspruchs-
12 13 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 Wir haben die Pulte nicht so wie früher – das wäre blöd Die 1. bis 3. Klasse aus Schüpfen, mit Lehrerin Nina Luyten, besteht aus 19 Kindern. Sie arbeitet seit etwa einem Jahr mit dem Churermodell. Timo, Livio, Carmen, Ilse, Ben und Ron sagen, wie sie den Unterricht erleben. voll, R für realistisch, T für terminiert. Wir set- sehen, wenn es klappt. Es tut gut, Verantwor- Wir können Wie müssen wir uns die Lernumgebung zen SMART-Ziele über zwei Wochen und ver- tung zu übernehmen. Die Gruppe gut zu leiten, vorstellen? suchen sie einzuhalten. Die Leiterin schreibt sie ist Ehrensache und gibt ein Erfolgserlebnis. selbst auswählen, mit Eine Lernumgebung ist zu einem Thema meh- auf, für jeden Schüler eigene Ziele, aber auch wem wir arbeiten wollen. rere Posten. Wir können selber auswählen, wel- ein Gruppenziel. Die Leitung kontrolliert, ob al- Worauf seid ihr stolz? Ich finde das gut, weil, chen Posten wir machen. Ich finde es gut, weil wenn einer nervt, muss le ihre Ziele nach SMART-Kriterien formulieren. Von den LehrerInnen wird uns ein Vertrauen wir selber auswählen. SMART zu formulieren, ist nicht ganz einfach. gezeigt. Wenn etwas positiv herauskommt, ob- Man muss es immer erklären. Wenn ein Schüler wohl am Anfang nicht alle motiviert waren, tut man nicht mehr neben Was ist eine Lernfamilie? sagt, er wolle Ende Woche im Franz-Test eine das gut. Die positive Entwicklung der Schüler dem sitzen. In der Lernfamilie sind 3 bis 4 Kinder und ein bis 6 schreiben, fragt die Leitung ihn, wie er das macht stolz. Sie reden am Schluss mehr und zwei 3.-Klässler, ein 1.-Klässler und ein bis zwei erreichen wolle. Dann diskutiert man. besser miteinander, sind am Ende stärker als 2.-Klässler. Ich finde die Lernfamilien gut, weil am Anfang. Wir kommen auch super mitein- dann lernt man die Kinder besser kennen. Die Was findet noch statt? ander aus. Lernfamilien haben alle einen Namen. Unsere Wettbewerbe. Wir können Punkte sammeln. heisst: Die 4 Pumas. Ziel jeder Gruppe ist es, möglichst viele Punkte Wie werden GruppenleiterInnen Die Älteren schauen zu den Jüngeren, und zu sammeln. Zum Beispiel am Sporttag oder ausgewählt? wenn die 1.-Klässler mal nicht weiterkom- Osterlauf. Kürzlich mussten alle Gruppen ein Die vorherigen LerngruppenleiterInnen wäh- men, können sie die Älteren fragen. Ich finde Mandala machen aus Naturmaterialien. Oder len aus. Man kann sich melden. Die 3.-Klässler Was ist der Klassenrat? das sehr gut, weil wenn jemand nicht weiter- wir machten Videos zu gewissen Themen. Die geben Empfehlungen ab. Wenn jemand nicht Wir haben an einer Wand drei Zettel. Der eine kommt, muss man nicht direkt zu Frau Luyten, Themen sind meistens so gewählt, dass die einverstanden ist mit der Wahl, wird darüber ist grün, der ist für «Das war super» und der sondern man kann die Kinder in seiner Lernfa- Gruppe zusammen etwas gestalten kann. Es gesprochen. Manchmal gibt es eine Doppel- andere ist gelb, der ist für Ideen, Vorschläge, milie fragen. ist nicht unbedingt die schlauste Lerngruppe, führung mit zwei LerngruppenleiterInnen. S Wünsche, und der letzte ist rot, der ist für Pro- die am Schluss den Pokal gewinnt, eher die bleme, Konflikte. Die drei Blätter nehmen wir in Was ist ein Lernpartner? cleverste. Wissen zählt ebenso wie Kreativität den Klassenrat. Nachher besprechen wir alles. Wir können selbst auswählen, mit wem wir und Teamgeist. Lerngruppe Elsau Ich finde den Klassenrat gut, weil dann können arbeiten wollen. Ich finde das gut, weil wenn wir die Probleme besprechen. einer nervt, muss man nicht mehr neben dem Was gefällt euch in der Lerngruppe? Während einer Wochenlektion arbeiten die sitzen. Schülerinnen und Schüler in kleinen, alters- Verschiedene Jahrgänge arbeiten zusammen. Könnt ihr etwas zum Kreis sagen? Wir dürfen auch allein arbeiten. durchmischten Gruppen selbständig zum The- Es ist cool, mit allen zu reden. Ohne Lerngrup- ma Lernen. Sie werden von einer Lernenden Im Kreis sagt die Lehrerin, was wir machen, pe hätte man diesen Kontakt nicht. Die älteren geleitet, diese wiederum von Lehrpersonen und erklärt uns die Posten. Wir machen auch Was gibt es zum Arbeitsplatz zu sagen? SchülerInnen können meistens besser helfen. Es ausgebildet und gecoacht. noch das Abschlussspiel. Das Abschlussspiel ist: Wenn wir hereinkommen, können wir uns ei- ist schön, zu sehen, wie die Lerngruppen sich Die Lerngruppe soll gegenseitiges Vertrau- Wir machen ein Spiel und irgendwann darf nen freien Platz aussuchen. Wir haben keine entwickeln und die SchülerInnen offener wer- en aufbauen und die Gruppe stärken. Jedes man gehen. Sie erklärt uns auch noch Blitz festen Plätze mehr. Das finde ich auch gut. Wir Gruppenmitglied übernimmt für sein eigenes den. Was man zusammen erreicht, ist schon und die neuen Themen. Aber wenn es nur kurz haben die Pulte nicht so wie früher, das wäre Lernen, aber auch für das Lernen der anderen toll. Es ist ein gutes Gefühl, als Gruppe ohne Mitglieder Verantwortung. geht, kann sie auch eingefroren sagen. Dann blöd. LehrerIn ein Projekt, das man selber ausge- www.oberstufe.ch müssen alle stehen bleiben, wie wir gerade sind. Wenn man immer am gleichen Ort arbeiten dacht hat, zu realisieren, und es macht stolz, zu Das finde ich praktisch. muss, wird es mit der Zeit auch langweilig. Ich
14 15 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 Wir hatten nie Hunger Das Projekt «Verantwortung» der 8. Klasse der Volksschule Münsingen war für die SchülerInnen ein voller Erfolg. Janik und Timon sagen im Interview, warum. finde nicht so gut, dass manchmal ein paar mit ihrem Pultnachbarn blödeln. Ihr habt auch noch Epochenunterricht. Ich finde nicht Was ist das? so gut, dass Eine Epoche ist immer 3 Wochen Math oder manchmal ein Deutsch. paar mit ihrem Pultnachbarn Wie geht es euch in der Schule? Mir geht es gut, weil wir beim Üben viel be- blödeln. wegen dürfen. Zum Beispiel beim Blitz kön- nen wir spazieren, das heisst, wir spazieren im Schulhaus, ein Kind sagt Rechnungen und das andere sagt die Lösung. Es geht mir gut in der Schule, weil die Leh- rerin sehr nett ist und sie Spass versteht. Ich finde auch die Epochen sehr gut, weil dann kann man an etwas dranbleiben. Würdet ihr eure Schule weiter- Foto: Timon Sigrist empfehlen? Ich würde die freie Platzwahl empfehlen, weil Das Churermodell wenn man im Math mit jemandem besser ar- beitet und im Deutsch mit jemandem, dann Zimmer umstellen: Das Schulzimmer wird zur Lernlandschaft. Der Kreis spielt eine zentrale kann man wechseln. Rolle. Die SchülerInnen wählen den Arbeits- Ja. Ich würde meine Schule empfehlen, weilplatz selber. Der Raum wirkt als 3. Pädagoge. ich es gut finde, dass wir den Platz selbst wäh- Inputs im Kreis: Jede Lektion wird mit einem Was war das Besondere an eurem len dürfen. Input im Kreis eröffnet. Dieser dauert zwi- Projekt? schen 12 und 15 Minuten. Arbeit mit Lern- Dass man selber planen musste und nicht alles Was würdet ihr verändern? aufgaben: Ein bis zwei Lernaufgaben schlies- vorgekaut wurde. Wir mussten Übernachtun- sen direkt an den Input an; mindestens ein Ich bin zufrieden. gen planen, den ÖV, die Finanzen, die Zeit und Lernangebot mit erweiterten Anforderungen, Ich würde verändern, dass wir 2 Lektionen möglicherweise ein Lernangebot, bei dem was wir alles machen wollten, zum Beispiel am Sport (am Stück) haben, dann können wir et- schwächere SchülerInnen das nötige Vorwis- Abend. Das Kochen auf Gas oder dem Feuer was länger turnen. S sen aktualisieren können. Freie Platzwahl: Die war speziell. Eine besondere Herausforderung SchülerInnen wählen das Lernangebot, den war es auch, genügend Essen zu kaufen. Interview Nina Luyten Arbeitsplatz und den/die Lernpartner. Ziel ist es, ein gutes Setting zu finden, bei dem gut Welches Projekt habt ihr gewählt? Welche Vorteile hat das Projekt? gelernt werden kann. Die Lehrperson beob- achtet und unterstützt die SchülerInnen in Wir fuhren mit dem Fahrrad von Münsingen Wir durften selber bestimmen, was wir ma- diesem Prozess und kann bewusst steuern bis nach Grönbach, Sigriswil. Von dort wan- chen wollten, die Route, das Programm. Auch wenn nötig. derten wir ins Justistal, übers Gemmenalphorn die Gruppen durften wir frei zusammensetzen. aufs Niederhorn und zurück nach Grönbach. Wir durften kaufen, was wir gern essen. Auch Mehr Informationen: www.churermodell.ch Schliesslich radelten wir mit den Velos wieder das Fortbewegungsmittel konnten wir selber nach Münsingen.
16 17 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 men, die nicht ganz gesund sind, zum Beispiel Ich wurde oft falsch verstanden Asthma haben. Teilweise waren die Rucksäcke Was würdet ihr ändern? M.S., 17, ist ein Schulabbrecher. bis 18 Kilo schwer. Wir möchten das Ganze einmal ohne Erwach- Im Interview sagt er, warum es so weit kam Fürs Wandern sene machen. Mehr auf uns selber gestellt sein. Bei der Planung wären sie noch dabei, aber und welche Art von Schule diesen Abbruch verhindert hätte. ist das eher viel. nachher nicht mehr. Dann würden wir weniger Material mit- schleppen. Teilweise waren die Rucksäcke bis 18 Kilo schwer. Fürs Wandern ist das eher viel. Nur mit einem Zelt, nur mit drei Militärplachen ginge es auch. Wir müssten dann kreativ über- legen, was möglich ist. Die Lehrpersonen soll- bestimmen. Man könnte auch mit den Inline- ten sich zu Beginn durchsetzen, wenn sie sehen, Skates gehen. dass das Projekt zu gross ist, man es nicht meis- gewehrt, wenn es für mich besonders schlimm Kindern und tern kann. Wir müssten auch eine Notlösung, war. Ich bin auch oft zu spät zur Schule ge- Worauf seid ihr stolz? eine Notroute ausdenken, für den Fall, dass kommen. Ich habe mich damals völlig in meine Wir haben das Ganze als Gruppe gemeistert, man irgendwo nicht durchfahren könnte. Jugendlichen sollte Game-Welt zurückgezogen – das war das Ein- es doch vor allem ohne Unfälle, höchstens mit kleineren Verlet- zige, das mir noch richtig Spass machte. zungen. Das ist schon toll. Und wir haben es Ihr könntet euch das Projekt ganz ohne geschafft, am Abend jeweils das Zelt aufzu- Erwachsene vorstellen? wohl sein Was haben Sie im Nachhinein für in der Schule. stellen. Dass bei der Geldplanung alles geklappt Ja, wir würden zwar gemeinsam mit Erwachse- Erklärungen für die schwierige hat und wir nicht total im Minus waren, ist nen planen, dann würden wir aber ausgesetzt. Situation in der Schule? nicht selbstverständlich. Wir sind auch stolz da- Damit wir auch mal unter uns wären. Und nicht Ich wurde oft falsch verstanden von den Mit- rauf, dass wir, wenn jemand eine Down-Phase jemanden dabei hätten, der mehr Erfahrung schülerinnen und Mitschülern, aber auch von hatte, ihn wieder motivieren konnten. Und: Wir hat. Ein Handy müssten wir schon mitnehmen. den Lehrpersonen. Ich war auch stark mit mir hatten nie Hunger. Und jemand müsste ein wenig Samariter sein, beschäftigt und hab nicht gecheckt, wie wich- etwas über Verletzungen wissen. tig die Schule für meine Zukunft eigentlich wä- Wem würdet ihr das Projekt Wie würden Sie ihre Schulerfahrungen re … weiterempfehlen? Was möchtet ihr sonst noch zum Projekt in wenigen Worten beschreiben? Sicher allen. sagen? Durch die vielen Umzüge musste ich immer Was war Ihr Anteil an den Schwierig- Es war eine super Erfahrung, die wir nicht ver- wieder in eine neue Klasse hineinkommen und keiten, was der Anteil der Schule? Warum? gessen werden. Zwar waren die drei Tage hart, hatte neben den neuen Mitschülerinnen und Mein Fehler war, dass ich den Schwierigkeiten Man lernt, richtig und selbständig zu planen. aber meistens auch schön. Fehler, die man ge- Mitschülern auch immer wieder neue Lehrper- ausgewichen bin. Da ich immer wieder eins Man übernimmt viel Verantwortung. Es ist für macht hat, wiederholt man nicht mehr. S sonen. Dies lief zu Beginn jeweils gut. Mit der aufs Dach gekriegt habe, habe ich lieber nichts alle eine super Erfahrung. Wir mussten impro- Zeit gab es aber überall ähnliche Probleme. mehr gesagt oder bin ausgewichen – ich habe visieren und schafften es, auch mal drei Tage Interview Janick Klossner Ich habe mich mit den Mitschülerinnen und mir auch keine Hilfe geholt … ohne Handy unterwegs zu sein und eben nie Mitschülern zerstritten und hatte einige oder Die Schule hat eigentlich nicht viel falsch die Mails zu checken. Man ist auf sich allein Projekt «Verantwortung» sogar alle gegen mich. Wenn ich den Clown gemacht – ich hatte einfach das Gefühl, dass gestellt. gemacht habe oder mich wehrte, bekam ich ich nichts richtig machen konnte oder gewis- Die SchülerInnen der 8. Klasse der Volksschu- Probleme mit den Lehrpersonen. Diese haben se Lehrpersonen mich aufgegeben hatten. Ich le Münsingen planten ein herausforderndes Was bedeutet Verantwortung? mich bestraft, durch Nachsitzen oder Vor-die war ein schlechter Schüler. Dann haben sie mir Projekt selbständig. Folgende Rahmenbedin- Wir waren zu sechst unterwegs. Wenn ich mü- gungen galten: Die SchülerInnen mussten drei Tür-Schicken. Ich wusste mir nicht zu helfen immer wieder gesagt «du musst lernen» – und de wurde, musste ich mich aufraffen, damit ich Tage unterwegs sein. Jede/r hatte maximal 30 und habe beschlossen, es einfach sein zu las- ich habe mir gedacht, ihr habt mir gar nichts nicht das ganze Team bremste. Jeder trug auch Franken zur Verfügung. Eine erwachsene Be- sen … zu sagen. Verantwortung für die anderen irgendwie. gleitperson – für den Notfall – war dabei, mit Handy. Niemand durfte bei Bekannten essen Was meinen Sie mit «es einfach sein Was hätte damals anders sein sollen, oder übernachten. Alle SchülerInnen mussten Wem würdet ihr das Projekt nicht lassen»? damit es gut gelaufen wäre? Tagebuch führen. Das Projekt wurde an einer empfehlen? Vernissage vorgestellt. Ich habe mich von den Mitschülerinnen und Die Lehrpersonen hätten mir nicht immer gleich Leuten, die mit Verantwortung nicht klarkom- Mitschülern zurückgezogen und mich nur noch drohen sollen, wenn ich etwas falsch gemacht
18 19 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 Es ist toll, ein Unternehmen zu gründen habe. Wenn sie mich vor die Türe schickten, Für mich gehört auch ein lockerer Einstieg zu Johanna (23-jährig), ehemalige Teilnehmerin des Company Programme hat mich das beleidigt. Ich habe das Vertrauen einer guten Schule. Nicht einfach von null auf (YES Alumni), mit Bachelorabschluss in Publizistik und Kommunika- verloren, dass man mich wirklich an der Schule hundert mit Arbeiten beginnen und dann im- wollte – auch wenn die Lehrpersonen das im- mer stur nach Stundenplan arbeiten. Mir hat tionswissenschaften an der Uni Zürich, kann YES allen empfehlen. mer wieder gesagt haben. beispielsweise gefehlt, dass wir uns zwischen- durch kurz bewegen konnten. Aus Ihrer Erfahrung – welche Anliegen Allgemein denke ich, dass es Kindern und haben Sie an die Schule, Lehrpersonen Jugendlichen doch vor allem wohl sein sollte oder das Schulsystem im Allgemeinen? in der Schule – ein Ort, wo man gerne Wichtig wäre guter, interessanter Unterricht – hingeht. S wenn es mich interessiert hat, konnte ich auch Wenn ich mit 17 Jahren gut zuhören. Zum Beispiel der Geschichtslehrer, Interview Martin Grossen besonders ein Jahr lang ein Unternehmen der konnte sehr spannend erzählen. Weiter ist mir Spass wichtig – Lehrpersonen stolz bin ich auf führe, lerne ich einiges sollten Humor verstehen, locker bleiben und das netzwerk, welches fürs Leben. auch über sich selber lachen können. ich mir aufbauen M.S. aus Thun BVS Plus konnte. M. absolvierte die Schule (1. bis 8. Klasse, an Die Berufsfachschulen mit Brückenangeboten verschiedenen staatlichen Schulen. Da er ein bieten für Jugendliche das Programm «BVS Johanna, stell uns YES ganz kurz vor. somit auch mit der Verantwortung dafür wirt- Schuljahr an einer privaten Schule wiederhol- Plus» an – eine Werk-, Arbeits- und Lebens- te, hatte er mit Abschluss der 8. Klasse die YES ist eine Non-Profit-Organisation, die Wirt- schaften. Sie sind am Ende des Geschäftsjahrs schule. neun obligatorischen Schuljahre vollendet. Das Programm BVS Plus ist ein nieder- schaftsbildungsprogramme anbietet. Einerseits dafür verantwortlich, dass die Partizipations- Nach einem gewalttätigen Vorfall wurde M. schwelliges Angebot mit Fokus auf der Erar- im Corporate Volunteering, das heisst, ehren- scheine zurückbezahlt werden können, im bes- wenige Wochen vor Schuljahresende der beitung von Schlüsselkompetenzen, die für amtliche Personen aus der Wirtschaft gehen in ten Fall natürlich mit einer Dividende. Genauso 8. Klasse vom Unterricht ausgeschlossen und den Einstieg in eine Berufslehre zentral sind. die Schulklassen und unterrichten. Dies kann lässt sich der Realitätsbezug auch beim Corpo- an einen neuen Schulort versetzt. Dort sollte Die Lernenden arbeiten zu 50% in der z.B. heissen, dass ein Volunteer mit den Sekun- rate Volunteering verdeutlichen: Ein Volunteer er die 8. Klasse beenden und dann auch die 9. Schule und organisieren sich mit Unterstüt- Klasse absolvieren. Am neuen Schulort konnte darschülern Bewerbungsgespräche übt oder aus der Wirtschaft übt mit dir das Bewerbungs- zung für die anderen 50% Schnupper- und er sich in der kurzen Zeit nicht integrieren. Arbeitseinsätze. Erlebnispädagogische Se- mit Primarschülern anschaut, woher das Geld gespräch und korrigiert deine Bewerbung bzw. Somit war kein Wille mehr vorhanden, dort quenzen sind ebenso Teil des Programms. kommt. Das bekannteste Programm von YES ist gibt dir spezifische Tipps dazu. Weiter finde die 9. Klasse zu machen. Vielmehr wollte er Das Angebot richtet sich vorwiegend an das Company Programme. In dessen Rahmen ich es toll, dass YES einem europäischen und auf eigene Faust Lehrstellen suchen. Dies ent- Jugendliche aus Real- und aus Kleinklassen, gründen SchülerInnen ein reales Unternehmen, weltweiten Netzwerk angehört. Dies ermög- puppte sich als zu anspruchsvoll und M. trat die aus Verhaltens- und/oder Leistungsgrün- das ein Jahr lang geführt wird und dessen Pro- licht beispielsweise den Teilnehmenden vom in ein Motivationssemester (MOVE) ein. Dort den und/oder sprachlichen Gründen erhebli- kam es nach sieben Monaten wegen diszip- dukte vermarktet werden. Auch Messen wer- Company Programme auch internationale Er- che Probleme bei der beruflichen Integration linarischer Verstösse zum Ausschluss. Nach haben und gegenüber Gleichaltrigen stark den besucht. fahrungen (etwa an der Europäischen Handels- einem kurzen Praktikum in einem Altersheim benachteiligt sind. Sie haben in der Regel das messe im Frühling). startete M. im letzten August im BVS Plus 9. Schuljahr absolviert. Das Ziel besteht darin, Was ist das Besondere der Organisation? in Spiez. Er absolvierte erfolgreich die ersten dass die Jugendlichen nach diesem Jahr eine Ich finde es einfach super, wie realitätsnah YES ist auch eine Lebensschule? Arbeits- und Schnuppereinsätze und konnte berufliche Ausbildung mit Erfolg bestehen die Programme sind. Viele Bildungsprogram- Wenn ich mit 17 Jahren ein Jahr lang ein Un- so positive Erfahrungen in der Berufswelt und ihr Leben als Berufsleute später selbstän- sammeln. me werden eher spielerisch umgesetzt, und ternehmen führe, lerne ich einiges fürs Leben. dig gestalten lernen. Aktuell kann und will er noch weitere so fehlt oftmals der direkte Realitäts- und so- Ich selbst habe mich in diesem Jahr weiterent- Berufserkundungen machen, bevor er damit mit Anwendungsbezug. An diesem mangelt wickelt. Konkret: Anfang des Schuljahres fiel es beginnt, sich auf offene Lehrstellen zu be- es bei YES definitiv nicht. Dies kann natürlich einem noch eher schwer, etwas zu präsentieren. werben. einerseits beim Company Programme gezeigt Ende Schuljahr stand unser Team da wie Profis werden, wo die Schüler mit «echtem» Geld und und wir präsentierten unser Unternehmen, als
20 21 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 Man muss sich nicht mit anderen messen In der Gesamtschule Schüpberg wird versuchsweise ohne Noten beurteilt. Nils, Quentin und Giulia erklären, dass sie ganz gut damit leben, und warum. wäre es selbstverständlich (ok, nach so vielen oder Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden als Giulia, bitte beschreib unsere Schule. Klasse verglich jeweils, und dann hiess es, du Auftritten war es für uns auch selbstverständ- Volunteers zur Verfügung stellen können. Wir haben eine sehr schöne Schule. Ich mag lie- warst schlechter als die anderen. Das motiviert lich :-) ). Weiter lernte ich viele Basics aus der ber kleine Schulhäuser als viele Leute. Da fühle nicht, wenn man die Schlechteste ist. Arbeitswelt, die man in der Schule sonst eher Wem würdest du sie nicht empfehlen? ich mich wohler. Wir machen draussen Sport, verpassen würde: Mails schreiben, Telefona- Es gibt niemanden, dem ich das Programm das finde ich cool. Ich habe eine Kollegin, die Was könnten wir verbessern? te, ja gar Verhandlungen führen etc. Zudem nicht empfehlen könnte, sofern das Alter der hat mehr Leute in ihrer Klasse als wir in unserer Einmal pro Monat könnten wir in eine Turnhalle fordert das Programm viel Durchhaltevermö- Teilnehmenden stimmt. Das Company Pro- ganzen Schule. gehen. Ich vermisse manchmal die Ringe. gen und auch Verantwortung. Jedoch war es gramme ist mit viel Aufwand verbunden – wichtig, diese Verantwortung auch tatsächlich Aufwand, der sich definitiv ausbezahlt. Jedoch Wie findest du die Beurteilung ohne Nils, kannst du die Schule kurz zu erhalten, damit wir lernen konnten, damit braucht es viel Motivation. Man muss stets Noten? vorstellen? umzugehen. hinter seinem Unternehmen stehen und alle Ich finde es noch gut. Es ist weniger stressig. Wir haben Sport, aber keine Turnhalle. Wir «Aufs» und « Abs» irgendwie meistern können. Wir haben dafür viele Selbstbeurteilungen und sind immer draussen, haben ein megakleines Worauf bist du besonders stolz? Der Lerneffekt ist besonders bei denjenigen Lerngespräche. Schulhaus, aber einen recht grossen Pausen- Besonders stolz bin ich auf das Netzwerk, wel- sehr hoch, die dieses Durchhaltevermögen zu- platz. In unserer Schule haben eigentlich alle ches ich mir durch die Teilnahme, am Company vor nicht hatten. Ohne Motivation wird es aber Was ist gut daran? Kinder Platz. Programme von YES, aufbauen konnte. Persön- schwierig, Freude am Programm zu haben. Man kann alles sagen, was einen stört, auch liche Kontakte zu Personen aus der Wirtschaft, wenn man vor etwas Angst hat. Was heisst das? aber auch zu Gleichaltrigen bzw. -gesinnten Wenn du etwas an der Organisation Wir haben zum Beispiel ein Kind, das ein As- sind enorm wertvoll. Alleine dadurch schon, entwickeln könntest, was wäre es? Wie funktionieren die Selbst- perger-Syndrom hat. Wir versuchen halt, dass dass man erfahrene Personen um Rat fragen Grundsätzlich wäre es toll, wenn alle Schüle- beurteilungen? es allen wohl ist und niemand zum Beispiel in kann oder einem vielleicht die Studienwahl rInnen die Chance hätten, ein Unternehmen zu Wir haben ein Blatt und beantworten Fragen. ein Behindertenheim gehen muss. einfacher fällt, wenn man mehr Leute kennt, gründen, und so bereits in der Schulzeit in die Bei den Kleineren funktioniert es mit Bildern die an diversen Universitäten der Schweiz stu- Arbeitswelt eintauchen könnten. S und Smileys. Sie können eins ankreuzen. Was bedeutet die notenfreie Schule? dieren. An der Universität war ich teils sehr Wir haben Punkte statt Noten. Also auf dem erstaunt, wie beängstigend für viele Mitstu- Interview Noémie Sasse Gibt es andere Vorteile? Blatt steht etwa 40 von 40 Punkten statt eine 6. denten das Präsentieren ist. Da hat man mit Wenn man früher das Zeugnis hatte und man etwas Übung schon einen ziemlichen Vorteil. sah, dass man schlechter war als im letzten, Gibt es andere Beurteilungsinstrumente? Zudem gehe ich unterdessen offen und selbst- machte man sich so richtige Vorwürfe. Wir haben ein Anforderungsprofil, das ist mehr bewusst auf neue Personen zu und finde sehr Wirtschaft und Bildung vernetzt bei den Grossen wichtig und später für die Leh- schnell Kontakte. Lernst du trotzdem noch genügend? re. Es gibt das Lerngespräch. Dann haben wir YES ist eine Non-Profit-Organisation, die Ja, für mich macht es keinen Unterschied, ob auch noch viele Selbstbeurteilungen. Und wir Wirtschaftsbildungsprogramme anbietet. Das Wem kannst du eure Organisation man Noten oder Punkte hat. haben das Portfolio, wo wir unsere Dokumente bekannteste Programm von YES ist das Com- empfehlen? pany Programme. In dessen Rahmen gründen hineinlegen können. YES kann ich jedem empfehlen, der daran inte- SchülerInnen ein eigenes, reales Unterneh- Könntest du das anderen Schulen ressiert ist, wirtschaftliche Grundzüge bereits men, das ein Jahr lang geführt wird. empfehlen? Was gefällt dir am Projekt? in der Schule zu lernen oder zu lehren. Dies www.young-enterprise.ch Ganz klar meine frühere Schule. Dort war es Ich bin nun zwei Jahre am Schüpberg, kam können Schüler sein, Lehrpersonen, Schulen immer sehr stressig mit den Noten. Die ganze gerade ins Projekt rein. Vorher war ich an einer
22 23 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 Weniger Zeitdruck. Kein Kräftemessen mehr mit den Noten. Ich habe mich wie stabilisiert, Die ganze Klasse Quentin, was bedeutet die Noten- bin ausgeglichener geworden. verglich jeweils, und dann freiheit? hiess es, du warst schlechter Wir haben keine Noten, aber trotzdem Lern- als die anderen. Das motiviert kontrollen. Es gibt Punkte. Wir kreuzen an, Adel, Lara und Alisa besuchen die 9. Klasse des Oberstufen- nicht, wenn man die was wir gut können. Wir haben ein Anforde- Schlechteste ist. zentrums Madretsch in Biel. Wieso sie gerne Fly-Jugendliche sind und rungsprofil, ein Portfolio. Wir können Sachen hineintun, die uns gefallen. Wir machen eine wie sie von ihren Einsätzen profitieren, sagen sie im Interview. Selbstbeurteilung, nach Vorträgen oder Texten. Da sagen wir, was wir besser machen könnten oder was gut war. Das Lerngespräch haben wir Schule, an der wir immer Noten hatten. Ich jede Woche einmal. finde es gut. Man kann sich nicht mit anderen messen, wenn man Selbstbeurteilung macht. Welches sind die Vorteile. Ich muss nicht fragen: Welche Note hast du? Gut ist, dass wir nicht nur auf Noten schau- Die Punkte sind nur für einen selber. en, sondern darauf, wo wir stehen. Eine Note heisst eigentlich immer mehr, als man denkt. Worauf bist du stolz? Eine Note ist überall ein wenig unterschied- Ich habe das Gefühl, ich habe Fortschritte im lich. Der Bericht ist etwas genauer. Es gibt von Lernen gemacht. Ich war nie schlecht, aber das jedem Fach einen Bericht. Man muss sich dar- Viertklasszeugnis war nicht so das beste. Das an gewöhnen. Wörter sagen besser, was man Fünftklasszeugnis war recht gut. kann und was weniger. Wie sah es aus? Könntest du die Idee weiterempfehlen? Es waren keine Noten drin, nur ein Bericht. Ja, weil man mehr sieht, was man kann und was nicht. Wie war es für dich, den Bericht zu lesen? Wo würde es allenfalls nicht Spannend, denn ich habe nicht gewusst, was funktionieren? auf mich zukommt. Es war ein Text, der mich Bei grossen Schulen wäre es schon schwieri- beschrieb. ger, könnte aber funktionieren, wenn man sich Ihr habt euch freiwillig als Fly-Jugendli- Lara: Am Anfang war ich noch viel schüch- einsetzt. S che gemeldet – was war eure Aufgabe? terner, gegen Schluss änderte sich dies, weil Wem würdest du die Idee empfehlen? Interviews Philippe Villiger Adel: Ich war in Battenberg, immer am Diens- ich auch immer mehr wusste, was zu tun war. Ich kenne jemanden, die hat jede Woche einen tag von 7 bis 10 Uhr, bei einem Flüchtling. Als Auch die Kinder wussten zu Beginn noch we- Test und viele Noten. Denen würde ich das Erweiterte notenfreie ich begann, arbeitete er an 4.-Klass-Sachen, die niger, was mit mir anfangen. Später fragten sie Projekt recht empfehlen. Sie hat ein ADHS. Es Beurteilung an der Gesamtschule anderen waren in der 6. Klasse, und wir sollten mehr nach. ist sehr schwierig für sie, sich zu organisieren. Schüpberg nacharbeiten. Adel: Der Junge und ich gingen immer in den Lara: Ich war jede Woche einmal in der Emp- Gang und arbeiteten. Er machte manchmal Wem könntest du es nicht empfehlen? Im Rahmen der Unterrichtsentwicklung und fangsstruktur, wo die meisten Flüchtlinge oder Seich, als er aber Vertrauen fasste, lief es besser. mit enorm heterogenen Bedingungen sucht Einem Streber, der jahrelang mit Noten unter- Zugezogene sind, die noch nicht gut Deutsch Er musste in den Hauptfächern nacharbeiten die Gesamtschule Schüpberg immer wieder wegs war und Wettbewerb liebt. Wenn ich ein nach neuen, innovativen Lösungen, um den können. Gegen Schluss des Praktikums konnte und das ging immer besser. Jetzt schaffte er Streber wäre, könnte ich mir das nicht so gut SchülerInnen gerecht zu werden. Aus diesen ich mit der Gruppe einen Teil des Unterrichts den Übertritt in die 7. Klasse. vorstellen. Ins Selbstbeurteilungszeug hineinzu- Bemühungen ist das Projekt der erweiterten machen und ich war bei Ausflügen dabei. kommen wäre schwierig. notenfreien Beurteilung entstanden, das für Konntet ihr den Einsatz selber wählen? die Schuljahre 2016/2017 und 2017/2018 als Alisa, du bist ganz neu? Lara: Ja. Ich war zuerst in einem Kindergarten, Schulversuch vom Erziehungsdirektor geneh- Was müssten wir ändern? Alisa: Ich werde heute meinen ersten Einsatz das wäre auch cool gewesen. Da war ich aber migt wurde. Das Projekt wurde von Lehrer Dass es andere Schulen auch übernehmen. Es Philippe Villiger im Rahmen der Masterausbil- haben, an einer 2. Klasse. nicht lange, weil ich sonst im Math gefehlt ist ein gutes Projekt. dung erarbeitet und wird mit aktueller Litera- hätte, wegen der langen Anreise. In der Emp- tur und von wissenschaftlichen Ergebnissen Adel und Lara, euer Einsatz ist bereits fangsklasse war es dann super. Was würde es bringen? unterlegt. abgeschlossen, wie lief er ab? Adel: Ich wählte einen Einsatz an meiner alten
24 25 schulpraxis 3 / 17 schulpraxis 3 / 17 Grossmutter lebt. Seine ganze Familie ist noch vielleicht, wie kann ich das sagen? Ich habe wenn ich einen Vorschlag machte, wurde er in der Heimat. Das ist sehr hart, denn es ist mich wie stabilisiert, bin ausgeglichener ge- berücksichtigt und wir schauten einmal, ob er etwas Wichtiges, dass man bei seiner Familie worden. gut oder schlecht war, und meistens kam es sein kann. Manchmal war es sehr schwierig, gut heraus. wenn sie mir etwas anvertraut hatten, darauf Hat sich deine Einstellung zur Schule Den letzten Tag vergesse ich nie. zu reagieren. Ich habe aber immer eine Lösung wegen Fly verändert? Sollte man Jugendliche öfter fragen, gefunden. Adel: Nein. Ich machte nie gross Seich. was sie tun möchten? Ich glaube, drei Kinder Lara: Bei mir änderte sich kaum etwas. Ausser, Adel: Ja, sie sind die neue Generation und man kamen zu mir, sagten, sie werden Kannst du ein Beispiel nennen? wenn andere den Lehrern immer widerspre- muss wissen, was ihnen gefällt. Aus Dingen, mich vermissen, umarmten mich Manchmal ging es um die Flucht, wie sie es ver- chen, denke ich manchmal, es würde ihnen die ihnen nicht gefallen, wird auch nichts wer- und dankten mir, dass ich arbeiten können. Ich sagte, sie sollten sich ab- guttun, mal ins Fly zu gehen und zu merken, den, denn sie machen nichts, was sie nicht bei ihnen war. lenken, mit einem Hobby beispielsweise, denn wie es ist, vorn zu stehen, wenn immer jemand wollen, oder dann machen sie es nicht gut. für mich ist Sport sehr wichtig. dreinspricht. Lara: Wir haben auch andere Vorstellungen, kommen auf andere Gedanken oder haben Alisa wird in eine Regelklasse gehen. Kannst du ein Beispiel eurer Arbeit nennen, auch in gewissen Bereichen mehr Ahnung. Schule, weil ich schauen wollte, wie sie sich Habt ihr Tipps für sie? das dir besonders Eindruck gemacht hat? Beispielsweise wenn jemand in meiner Familie entwickelt hatte. Es gab ein paar neue Schüler, Lara: Die Kinder haben mir Dinge anvertraut, Adel: Der erste Tag war der schwierigste. Sich etwas am Handy oder Computer machen will, aber einige kannte ich noch und, wie üblich die sie sonst niemandem sagten, wahrschein- durchzusetzen, war nicht einfach. Der Junge kann ich meistens helfen. Wir kommen manch- in den Bieler Schule, gab es nach wie vor den lich weil sie jung sind und ich eben auch. Ich wollte nur Seich machen. Er hat mir dann ver- mal auch auf Ideen, die Erwachsenen nicht in Kampf zwischen Deutsch- und Französisch- würde diese Dinge, ausser natürlich es ist etwas traut, und ich habe ihn belohnt mit längeren den Sinn kommen, da wir manchmal auch sehr sprachigen. ganz Schlimmes, als Geheimnis bewahren. Pausen oder einem Spiel, und dann hat er im- simpel denken. Adel: Es geht um gegenseitiges Vertrauen und mer gut gearbeitet. Warum findest du das Projekt gut? man muss sich durchsetzen können. Lara: Die Klasse war extrem musikalisch und Alisa, dein erster Einsatz ist nun vorbei, Adel: Menschen zu helfen ist eigentlich im- Lara; Ja, man muss die Balance finden zwi- deshalb ging sie einmal an ein Konzert. Ich sass wie wars? mer gut. Ich wollte mich immer für Menschen schen lieb und streng. Wenn man zu lieb ist, im Publikum, hörte zu und es war eindrücklich. Eine Kollegin von mir war bereits an dieser einsetzen und habe vor, das auch in Zukunft machen sie irgendetwas. Sie waren ganz anders als in der Schule. Es war Klasse, die Kinder wussten dies und haben zu machen. Ich möchte eine Spendenaktion schön zu sehen, dass die Musik ihnen half. Die mich bereits mit einer Umarmung begrüsst, machen für arme Menschen oder Leute, die Was habt ihr besonders in Erinnerung? Musik gab ihnen ein Stück Freiheit, sie konnten die Verbindung war gleich da. Wir machten gerade im Krieg sind. Ich finde es unfair, dass Lara: Den letzten Tag vergesse ich nie. Ich einen Moment nur an Schönes denken. Aufgaben mit Nomen, ich half Bilder auszu- viele in Luxus leben und andere kein Dach über glaube, drei Kinder kamen zu mir, sagten, sie schneiden, putzen und Fragen beantworten. dem Kopf haben. Fly half mir, damit zu starten, werden mich vermissen, umarmten mich und Wem empfiehlst du das Projekt Fly? Es ist so herzig! Mir gefällts wirklich, es ist und nun habe ich weitere Ideen. dankten mir, dass ich bei ihnen war. Gegen Adel: Ich empfehle es allen, die anderen hel- eine super Abwechslung! S Lara: Es ist toll, jemanden zu begleiten, eine Ende Jahr kam auch jemand zu mir, der sagte, fen möchten, erfahren wollen, wie man mit Beziehung aufzubauen und zu schauen, wie es dass es ihm viel besser geht, weil er nun Fuss- Menschen arbeiten kann. Auch mit sehr unter- Interview Monika Mrazeck sich anfühlt im «Lehrerleben». ball spielen kann, das machte mich ein wenig schiedlichen. Die, die einfach nicht in die Schule stolz. Auch, dass sie mir so vertraut haben, dass wollen und nichts mit anderen Menschen zu Wie ist das denn, so ein «Lehrerleben»? ich ihnen etwas beibringen konnte. Als wir ei- tun haben wollen, lassen es besser sein. Lara: In der Schule war es manchmal anstren- nen Mathtest übten, kapierte es jemand lange Fly im Pädagogischen Dialog gend, es war wichtig, viel Geduld zu haben. Es nicht. Dann haben wir weiter geübt und die Angenommen, du müsstest etwas am war sehr beeindruckend, wie offen die Flücht- Note fiel gut aus. Projekt verändern. Was wäre es? Das Sozialprojekt Fly hilft Jugendlichen ausser- halb ihrer Stammklasse Sozialkompetenzen zu lingskinder waren, sie erzählten mir auch sehr Adel: An meinem letzten Tag war es auch so, Adel: Nach dem Fest gingen alle nach Hause üben. Es kann bei schwierigen Schulsituatio- Privates. Zum Glück musste ich nicht zu Hause dass alle zu mir kamen und sagten, dass sie und alles war auf einen Schlag vorbei. Das war nen auch helfen, ein Timeout zu verhindern. korrigieren. mich vermissen werden. Das war sehr schön! schade. Das Projekt ist letztes Jahr als Good Practice – Beispiel im Pädagogischen Dialog portraitiert Lara: Wir erhielten noch ein Diplom, sonst war Hat euch das manchmal auch Inwiefern konntest du vom Projekt worden, mit besonderer Empfehlung von nichts Spezielles, das ist schade. Wir können als zu schaffen gemacht? profitieren? Experten auch Neuen noch etwas weitergeben. Erziehungsdirektor Bernhard Pulver. Der Kurz- film mit dem Titel «Zum Schluss noch dies: Adel: Der Junge vertraute mir und hat mir Din- Adel: Ich habe mich nicht sehr verändert, aber Synergien zwischen Klassen nutzen!» ist ge erzählt, die ich niemandem weitererzählen sehr viel Erfahrung sammeln können. Denkst du, Erwachsene interessiert mit vielen anderen Filmbeispielen unter durfte. Das war schön. Ich brauchte nie Hilfe Lara: Ich habe ebenfalls viel erfahren und Ge- deine Meinung? www.erz.be.ch/kurzfilme aufgeschaltet (zu- von aussen. duld und Selbstvertrauen gelernt und geübt. Adel: Vor dem Projekt nicht, aber nun den- unterst). Weitere Informationen zum Projekt: Lara: Bei mir hatte es ein sehr kleines Kind, das Ich denke, ich bin selbstbewusster geworden. ke ich schon, dass meine Meinung respektiert www.flymitrueckenwind.ch zuerst bei seiner Tante war und nun bei seiner Adel: Selbstbewusst war ich schon immer, aber wird. Sie haben uns manchmal zugehört, und
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