Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
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Sehr verehrte Leserinnen und Leser, liebe Freunde und Wohltäter des Heiligen Landes! W enn Sie jetzt unser Heft in den Händen Todesjahr Jesu, die „Geißelungssäule“ und halten, fällt Ihnen sicher auf, dass sich die Passionskrippe in Sexten/Südtirol unter- das Design und die Schriftart etwas streichen das. Der Artikel unserer Reihe über geändert haben, während die Größe und der die Begegnung zwischen Franziskus und dem Umfang des Heftes völlig gleichgeblieben S ultan schließt diese Serie ab und stellt uns sind. Es war das gemeinsame Anliegen der nun auch den Dialogpartner, nämlich den deutschsprachigen Kommissare des Heiligen Sultan al Kamil ausführlich vor. Landes, das Wesentliche beizubehalten und nur wenig zu ändern. Ein Hochglanzprodukt in Ja, am Ende „läuft alles auf Ostern aus“ – größerem Format würde sicher mehr E indruck auch im Heft, denn Sie sehen auf der Rück- machen, aber wir wollen bewusst sparsam seite ein Bild der „Reiderschen Tafel“ aus dem sein und finanzielle Mittel lieber für die Arbeit Bayerischen Nationalmuseum in München. im Heiligen Land einsetzen. Wir haben kein Dieses kleine Kunstwerk verdient in der Tat Redaktionsteam und keine aufgeblasene Ver- große Beachtung, ist es doch wohl die ältes- waltung, aber es ist immer eine Freude am te Darstellung der „Edicola“, des Grabbaues Heft zu arbeiten, weil so viele Menschen mit- in Jerusalem. Um das Jahr 400 in Italien ent- machen; die Mitbrüder die Artikel verfassen, standen, war diese wunderschöne Elfenbein- Fotos zur Verfügung stellen, die Freunde die arbeit wohl an dem Einband eines liturgischen Korrektur lesen und Ideen beisteuern – und Buches befestigt. Sie können unten rechts Sie: die Leser, von denen wir freundlich und anfangen und das Bild „lesen“ – von den Frau- kritisch begleitet werden. Das alles macht en am Grab, über den Engel und die Wächter unser Heft aus und an dieser Stelle einen herz- bis zur Figur des Auferstandenen der förm- lichen Dank für diese gute Zusammenarbeit! lich in den Himmel „aufsteigt“. In der oberen linken Ecke wächst ein prächtiger Baum aus Das erlaubt mir auch, Sie mit diesen Zeilen dem Grab empor und zwei Vögel finden dort hinzuweisen auf die Palmsonntagskollekte ihre Nahrung; ein Sinnbild für die Kirche, die und auf die Sammlungen, sei es an den „Heili- aus dem leeren Grab emporwächst und geis- gen Gräbern“ oder in den Kartagen in den Got- tige Nahrung gibt. Auf ganz wenigen Zenti- tesdiensten. Auf der Vorderseite finden Sie ein metern ist hier unser Glaube an die Auferste- Foto einer besonderen Palmsonntagsprozes- hung eingefangen. Am Ende „läuft alles auf sion in Jerusalem: schon am Tag vor der gro- Ostern aus“! ßen Prozession von Betfage über den Ölberg in die Heilige Stadt versammelt sich eine rie- sige Gemeinschaft von indischen Gläubigen Im Namen der deutschsprachigen Kommissare um die gleiche Prozession zu halten, denn am des Heiligen Landes grüße ich Sie und wün- Sonntag selbst ist es ihnen kaum möglich, sche Ihnen ein gesegnetes Osterfest, Ihr wegen des israelischen Arbeitstages. Das ist auch eine Facette unseres pastoralen Wirkens: die Sorgen für die „Arbeitsimmigranten“. So ist dieses Heft auch in der Spannung zwi- schen Palmsonntag und dem Osterfest: das
Inhalt Der jüdische Kalender und das Todesjahr Jesu Gregor Geiger OFM Seite 4 Die Geißelungssäule in der Grabeskirche Noel Muscat OFM Seite 11 Heiliges Land in Südtirol – Die Passionskrippe von Anton Stabinger in Sexten II. Teil P. Gottfried Egger OFM Seite 16 Malik al-Kāmil Der unbekannte Sultan Aquilino Castillo OFM Seite 26 Titelbild: Palmprozession der indischen Gemeinschaft. © Petrus Schüler Rückseite: Auferstehung und Himmelfahrt Christi, Reidersche Tafel. © Bayerisches Nationalmuseum München 1/20203
Der jüdische Kalender und das Todesjahr Jesu Gregor Geiger OFM W enn wir uns für das Todesjahr Jesu inte- beispielsweise auf dem Dachboden einen Brief, ressieren, haben wir im Neuen Testa- über dem steht: Sonntag, den 8. Juni 196#; bei ment einige allgemeine Angaben, die es der letzten Ziffer des Jahres ist die Tinte verlau- erlauben, das Jahr einzugrenzen, und wir haben fen. Daraus kann ich ableiten, dass dieser Brief eine Datumsangabe: Jesus wurde an einem im Jahr 1969 geschrieben wurde, denn in jenem Pesach-/Pascha-Fest, das auf einen Freitag fiel Jahrzehnt fiel dieser Tag nur in diesem Jahr auf (so die „synoptischen“ Evangelien, also Matthäus, einen Sonntag. Markus und Lukas), gekreuzigt oder am Tag vor Auf den ersten Blick sind wir beim Todesjahr einem Pesach-Fest, ebenfalls an einem Freitag Jesu in einer ähnlichen Situation: Pesach ist am (so das Johannesevangelium). Keines der Evan- 15. Nisan; der Monat Nisan ist der erste Früh- gelien nennt freilich ein Jahr. lingsmonat und er beginnt, wie jeder jüdische Zur allgemeinen Eingrenzung stehen uns diese Monat, mit dem neuen Mond. – Das Pesach-Fest Angaben zur Verfügung: Die Amtszeit des Pon- wird also am ersten Frühlingsvollmond gefeiert, tius Pilatus (26–36 n. Chr.); der Beginn der Tätig- daher feiern wir bis heute Ostern am Sonntag keit Johannes’ des Täufers (Lk 3,1): „im fünfzehn- nach dem ersten Frühlingsvollmond. ten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius“ (28/29 n. Chr.); die Altersangabe Jesu zu Beginn Unterschiede zwischen seiner öffentlichen Wirksamkeit „etwa dreißig Jahre“ (Lk 3,23); die 46-jährige Bauzeit des Tem- den Evangelien pels (Joh 2,20; Baubeginn: etwa 20 v. Chr.) sowie Wie erwähnt, machen die Evangelisten verschie- die Bekehrung des Paulus (etwa 34 n. Chr.). Auf dene Angaben. Für diese Unterschiede gab und ein präzises Jahr kommt man dadurch nicht; die gibt es mehrere Erklärungen, ohne dass man ersten und letzten Amtsjahre des Pilatus sind eine allgemein anerkannte Lösung gefunden unwahrscheinlich. hätte. Alle vier Evangelien bezeichnen den Tag der Die Datumsangaben der Evangelien Kreuzigung Jesu auf Griechisch als paraskeué. Dieses Wort bedeutet „Vorbereitung“. Im Neuen Vielversprechender scheinen die Datumsanga- Testament kommt es ausschließlich in den Pas- ben der Evangelien. Entscheidet man sich für sionserzählungen vor. eines der beiden Daten, kann man so argumen- Die übliche jüdische Bezeichnung für den Frei- tieren: Wenn ich ein Datum, eine Wochentags- tag ist „Sabbats-(Vor-)Abend“ oder „sechster Tag“ angabe und einen eingegrenzten Zeitraum habe, (so bis heute in Israel), der Ausdruck „Vorberei- kann ich daraus das Jahr berechnen. Ich finde tung“ kann als „Vorbereitung(stag des Sabbats)“, 41/2020
Todesjahr Jesu Todesjahr Jesu Eine babylonische Keilschrifttafel aus der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. mit einem astronomischen Text zur Kalenderberechnung. © Irakisches Nationalmuseum Baghdad, Foto: P. Gregor Geiger 1/20205
IM LAND DES HERRN als „Rüsttag“, verstanden werden. Der Evangelist reich an theologischen Aussagen (die orthodoxe Markus fügt entsprechend hinzu (15,42): „das ist Tradition nennt den Evangelisten Johannes den prosabbaton“, also „Vor-(Tag vor dem) Sabbat“, „Theologen Johannes“), die oft in Symbolen aus- und Lukas schreibt (23,54): „kurz bevor der Sab- gedrückt sind. Daher habe Johannes die Todes- bat anbrach“. stunde Jesu auf den Zeitpunkt „verlegt“, zu dem Manche Ausleger versuchen, den Widerspruch im Tempel die Pascha-Lämmer geschlachtet zwischen den Evangelien mit der Annahme zu wurden. Diese Meinung war bei den Bibelwis- lösen, Johannes meine mit „Vorbereitung“ nicht senschaftlern des vergangenen Jahrhunderts die Vorbereitung auf den Sabbat, sondern die sehr weit verbreitet, zumal bei einem Tod Jesu auf das Pascha-Fest, also keinen bestimmten vor dem Beginn des Pascha-Festes das Letzte Wochentag. Dafür spricht der Ausdruck in Joh Abendmahl kein Paschamahl (zu Beginn, also 19,14: paraskeué tu Pascha, „Vorbereitung des nach unserem Empfinden am Vorabend des Pascha“. Freilich, für 19,31, „dieser Sabbat war Festes) sein kann. Inzwischen ist man vorsichti- nämlich ein großer Feiertag“, muss man zur ger, zumal der Evangelist Johannes, gleichwohl etwas weit hergeholten Deutung greifen, dass das jüngste der Evangelien, Detailkenntnisse von „Sabbat“ hier nicht Samstag bedeute, sondern Jerusalem zur Zeit Jesu zeigt. allgemein „Festtag“, eine Bezeichnung, die im Eine weitere Hypothese besagt, die Evangelien Judentum nicht üblich ist. folgten verschiedenen Kalendern, einerseits dem Eine verbreitete Lösung für die unterschiedli- pharisäischen, andererseits dem sadduzäischen chen Daten ist die: Das Johannesevangelium ist oder dem der Essener. Moderne Mitteleuropäer wundern sich vielleicht darüber, dass ein Fest nach zweierlei Kalendern, also an zwei verschie- denen Tagen gefeiert worden sein soll. Wer aber heute um Ostern oder um Weihnachten das Hei- lige Land besucht, wird feststellen, dass Christen verschiedener Konfessionen diese Feste auch in der Gegenwart problemlos an unterschiedlichen Tagen feiern. Mit dieser Erklärung mag es eventuell gelingen, die Angaben in den Evangelien in Einklang zu bringen. Um aus dem Datum auf ein bestimm- tes Jahr zu schließen, hilft sie aber nicht weiter. Über Unterschiede zwischen sadduzäischem und pharisäischem Kalender wissen wir so gut wie nichts, nicht einmal, ob sie sich tatsächlich unterschieden. Der essenische Kalender ver- hieß nach der Entdeckung der Qumranschrif- ten (seit 1947) eher eine Lösung. Die französi- sche Exegetin Annie Jaubert schlug 1957 diese Lösung vor; der Benediktiner Bargil Pixner von der Dormitio-Abtei in Jerusalem griff sie auf und verfeinerte sie. Aber auch hier bleibt das Kreuzigung mit Maria und Johannes Problem: Wir wissen zwar relativ viel über den (dem „Theologen“), Spinges in Südtirol. essenischen Kalender, aber einige Details blei- © Petrus Schüler ben ungeklärt, so dass man auch hier an Gren- 61/2020
Todesjahr Jesu Todesjahr Jesu zip auf Julius Cäsar zurückgeht (der „juliani- sche Kalender“) ist „solar“ (von lateinisch sol, „Sonne“), weil die Jahreslänge mit dem Stand der Sonne übereinstimmt. Ein Sonnenjahr dau- ert etwa 365,25 Tage. Als man im 16. Jahrhun- dert feststellte, das diese Zahl nicht ganz genau ist und dass sich das Sonnenjahr inzwischen vom Kalenderjahr um zehn Tage unterschied, ordnete Papst Gregor XIII. eine Kalenderreform an. Im Jahr 1582 folgte auf den 4. Oktober der 15. Oktober. Um Sonnenjahr und Kalenderjahr künftig in Einklang zu halten, sind beispiels- weise die Jahre 1900 oder 2100 keine Schalt- jahre. Dies ist unser „gregorianischer Kalender“. Andere Kalender sind „lunar“ (von lateinisch luna, „Mond“), so der muslimische. Das islami- sche Jahr besteht aus zwölf Mond-Monaten, die beginnen, wenn der neue Mond sichtbar wird. Es ist also um etwa zehn Tage kürzer als das Sonnenjahr und das gregorianische Jahr. Mus- limische Feste „wandern“ daher durch das Jahr. Im Jahr 2020 wird der Fastenmonat Ramadan Ort der Kreuzigung Jesu, etwa am 23. April beginnen (das genaue Datum Grabeskirche Jerusalem. © Petrus Schüler hängt davon ab, wann der Mond sichtbar wird, was nicht in der ganzen Welt am gleichen Tag zen stößt, wenn ein genaues Datum zu berech- sein muss), während der Ramadan vor zehn Jah- nen ist. ren im Herbst war und in zehn Jahren im Winter Wie auch immer, der offenbare Widerspruch sein wird. der beiden Evangelien kann nicht abschließend erklärt werden und er wird es vielleicht nie. Sonnen- und Mond-Kalender D i e a l l e r m e i s te n d e r weltweit einst und heu- te benutzten Kalender kalkulieren die Zeit im Zusammenhang entwe- der mit der Sonne oder mit dem Mond. Mittelalterlicher Wandkalender, SS. Quattro Coronati, Rom. Der moderne westliche © Petrus Schüler Kalender, der im Prin- 1/20207
IM LAND DES HERRN Der (spätere) jüdische Kalender sind festgelegt, die von zwei Monaten im Herbst variieren nach einem vorgegebenen Schema. In Der jüdische Kalender ist „luni-solar“, das heißt, 19 Jahren gibt es einen festen Zyklus von sieben Mondphasen und Sonnenstand werden in Ein- Schaltjahren, in welchen vor dem Frühlings- klang gebracht. Das erreicht man dadurch, dass und Pesach-Monat Nisan der zusätzliche Monat in Schaltjahren ein zusätzlicher Monat einge- eingeschoben wird. schoben wird. Das jüdische Jahr 5779, das am 29. Allerdings folgt der jüdische Monat nicht immer September 2019 zu Ende gegangen ist, war bei- dem tatsächlich sichtbaren Mond, sondern es spielsweise so ein Schaltjahr. gibt Verschiebungen, um beispielsweise zu ver- Heute basiert das jüdische Jahr nicht auf der meiden, dass Pesach oder der Versöhnungstag Beobachtung von Mondphasen und Sonnen- Jom Kippur auf Freitag oder auf Sonntag fällt, stand, sondern es wird berechnet. Wir wis- dass also diese Feste unmittelbar vor oder nach sen nicht, wann diese Form des Kalenders in dem Sabbat kommen. Gebrauch kam. Nach jüdischer Tradition wird sie Aus dem eben Gesagten wird deutlich, dass die Hillel II. zugeschrieben (Mitte des 4. Jh. n. Chr.), Zeitangabe der Synoptiker, Pesach am Freitag, sie ist aber erst zur Zeit des Maimonides (12. Jh.) nach dem heutigen jüdischen Kalender unmög- sicher nachweisbar. Auf alle Fälle wurde er Jahr- lich wäre. Das nun ist aber kein Argument gegen hunderte nach der Zeit Jesu eingeführt und die Datumsangabe der Synoptiker. Diese Ver- wohl nicht in allen weit verstreuten jüdischen schiebungen waren damals nicht in Gebrauch Gemeinden gleichzeitig. und, vor allem, der Kalender beruhte nicht auf Nach diesem Kalender können die Monate 29 Berechnung (wozu man in der Antike durchaus oder 30 Tage lang sein (eine Mondphase beträgt schon fähig war), sondern auf der Beobachtung etwa 29,5 Tage). Die Längen der meisten Monate des Mondes und der Jahreszeiten. Grab des Maimonides in Tiberias. © Petrus Schüler 81/2020
Todesjahr Jesu Todesjahr Jesu Der jüdische Kalender zur Zeit Jesu man den Mond von einem Punkt aus beobachte- te, von dem aus der westliche Horizont tiefer lag Solange der Tempel in Jerusalem stand (bis zur (so auf den Hügeln westlich von Jerusalem, z. B. Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr.), in Emmaus-Qubeibeh). wurde in Jerusalem beobachtet , wann die Der Schaltmonat wurde zur Zeit des jüdischen schmale Sichel des neuen Mondes („Neulicht“ Tempels so festgelegt: Zum Pesach-Fest gehör- genannt) zum ersten Mal am westlichen Himmel te die Darbringung der ersten reifen Gerste (die kurz nach Sonnenuntergang sichtbar war. Dann Getreideernte beginnt im Heiligen Land meh- begann der neue Monat. Wenn dagegen der rere Monate früher als in Mitteleuropa). War am Mond aufgrund von Wolken, Dunst oder Wüsten Anfang eines Monats absehbar, dass die G erste staub nicht sichtbar wurde, begann man den zur Monatsmitte noch nicht reif sein würde, neuen Monat nach dem erklärte man diesen 30. Tag des Vormonats. Monat zum Schaltmo- Das Neulicht ist sehr nat; Nisan, der Pesach- kompliziert zu berech- Monat, war dann einen nen. Unter „Neumond“ Monat später. versteht die moderne Astronomie die „Kon- Das Todesjahr junktur“ zwischen Sonne und Mond, das Jesu heißt, Sonne, Mond Es ist also nicht kor- u n d E rd e s te h e n i n rekt, für die Bestim- einer Linie, der (nicht mung des To desjah- sichtbare) Mond zieht, res Jesu einfach den von der Erde aus gese- mittelalterlichen und h e n , vo r d e r S o n n e modernen jüdischen vorbei. Meist tut er das Kalender zurückzu- etwas nach oben oder r e c h n e n . Tr o t z d e m unten versetzt; stehen w u rd e n s o l c h e Ve r- die drei Gestirne tat- suche unternommen, sächlich in einer Linie, Haggadah („Pessach-Anleitung“), mit ganz unterschied- gibt es eine Sonnen- Süddeutschland Anfang 15. Jahrhundert, lichen Ergebnissen (sie finsternis. Das Neulicht Israel- Museum Jerusalem. © Petrus Schüler reichen vom Jahr 27 t r i t t s p ä te r au f . D i e bis 36), so schon die Zeitspanne zwischen Neumond und Neulicht Kirchenväter Tertullian und Hyppolyt (beide ist, je nach Standort und Jahreszeit sehr unter- Anfang des 3. Jh.) – sie kamen auf das Jahr 29 schiedlich, zwischen 16 und 69 Stunden (fast – oder der spanische Bischof Paul von Burgos drei Tage!). Moderne Technik erlaubt es zwar, (1353–1435), ein konvertierter Jude. Er kam zu diese Zeitspanne für einen bestimmten Ort rela- dem Ergebnis, Jesus sei am Samstag (also nach tiv genau zu berechnen. Ob dann aber der Him- der Zeitangabe des Johannes), den 4. April 33, mel tatsächlich klar und der Mond sichtbar ist, gekreuzigt worden – eine Kreuzigung am Freitag ist damit natürlich nicht gesagt. Ja, es ist sogar (Synoptiker) kommt ja nach dem oben Gesagten möglich und überliefert, dass der Mond schon nicht in Frage. vor dem berechneten Datum gesehen wurde, Die modernen Wissenschaftler sehen in der entweder weil es besonders klar war oder weil Regel das Problem, dass wir nicht wissen, ob 1/20209
IM LAND DES HERRN es im Todesjahr Jesu vor dem Nisan einen Daten, die auf einen Samstag fallen, können dem Schaltmonat gab. Das zweite Problem, dass Johannesevangelium entsprechen, solche an auch der genaue Monatsanfang unbekannt einem Freitag den Synoptikern. ist, wird oft übergangen. Die Tabelle auf die- Das Ergebnis ist mager, aber gleichzeitig viel- ser Seite stellt alle in Frage kommenden Daten sagend: Für das johanneische Datum kommen zusammen, ausgehend vom 15. Nisan, dem folgende Jahre in Betracht: 27, 29, 30, 32, 33, 34 Pascha-Fest. und 36, für das der ersten drei Evangelien: 27, 28, Die erste Spalte legt den späteren jüdischen 30, 31, 33, 34, 35 und 36. Kein einziges Jahr kann Kalender zugrunde. Eingeklammerte Daten ganz ausgeschlossen werden. sind die des vorausgehenden oder des folgen- Die Datums- und Wochentagsangaben der Evan- den Monats, die bei unterschiedlichen Schalt- gelien genügen also nicht, um einer der beiden monaten (eventuell schon im vorigen Jahr) in Angaben der Evangelien den Vorzug zu geben, Frage kommen. Die weiteren Spalten gehen vom und sie genügen nicht, um das Jahr, in dem berechneten Neulicht aus. Jesus gekreuzigt worden ist, zu rekonstruieren. 15. Nisan (Späterer) 1 Tag vor dem Berechnetes 1 Tag nach dem im Jahr jüdischer berechneten Neulicht berechneten Kalender Neulicht Neulicht 27 [12.3., Mi] 12.3., Mi 13.3., Do 14.3., Fr 10.4., Do 10.4., Do 11.4, Fr 12.4., Sa [10.5., Sa] 10.5., Sa 11.5., So 12.5., Mo 28 [1.3., Mo] 29.2., So 1.3., Mo 2.3., Di 30.3., Di 30.3., Di 31.3., Mi 1.4., Do [29.4., Do] 28.4., Mi 29.4., Do 30.4., Fr 29 [19.3., Sa] 19.3., Sa 20.3., So 21.3., Mo 17.4., So 17.4., So 18.4., Mo 19.4., Di 30 [8.3., Mi] 8.3., Mi 9.3., Do 10.3., Fr 6.4., Do 6.4., Do 7.4., Fr 8.4., Sa [6.5., Sa] 6.5., Sa 7.5., So 8.5., Mo 31 27.3., Di 27.3., Di 28.3., Mi 29.3., Do [26.4., Do] 25.4., Mi 26.4., Do 27.4., Fr 32 [17.3., Mo] 15.3., Sa 16.3., So 17.3., Mo 15.4., Di 14.4., Mo 15.4., Di 16.4., Mi [15.5., Do] 13.5., Di 14.5., Mi 15.5., Do 33 [6.3., Fr] 5.3., Do 6.3., Fr 7.3., Sa 4.4., Sa 3.4., Fr 4.4., Sa 5.4., So [4.5., Mo] 3.5., So 4.5., Mo 5.5., Di 34 23.3., Di 24.3., Mi 25.3., Do 26.3., Fr [22.4., Do] 22.4., Do 23.4., Fr 24.4., Sa 35 [14.3., Mo] 13.3., So 14.3., Mo 15.3., Di 12.4., Di 12.4., Di 13.4., Mi 14.4., Do [12.5., Do] 11.5., Mi 12.5., Do 13.5., Fr 36 [2.3., Fr] 2.3., Fr 3.3., Sa 4.3., So 31.3., Sa 31.3., Sa 1.4., So 2.4., Mo [30.4., Mo] 30.4., Mo 1.5., Di 2.5., Mi 101/2020
Die Geißelungssäule in der Grabeskirche Noel Muscat OFM I n der Erscheinungskapelle (Sakraments- von Bordeaux geht hervor, dass es auf dem Zion kapelle) der Franziskaner, nördlich des mehrere Erinnerungsstätten an die Passion Jesu Grabes Christi in der Grabeskirche, steht gab: das Haus des Kajaphas mit der Geißelungs- in einer Nische zwischen Altar und Tür ein Teil säule und das Prätorium, also den Palast des einer dunkelroten Säule aus Porphyr, einem Pilatus. Gestein vulkanischen Ursprungs. Seit vie- len Jahrhunderten wird sie als die Säule verehrt, an welche Jesus während seiner Geißelung gefesselt worden sei. Nach römischem Brauch konnten zum Tod Verurteilte vor einer Kreuzigung gegei- ßelt (ausgepeitscht) werden, damit sie viel Blut verloren und so der Tod am Kreuz beschleunigt wurde. In Apg 5,40 findet sich dagegen ein Beispiel für eine Geißelung der Apostel, die jedoch vom Hohen Rat der Juden verhängt wurde und die nicht mit der Todesstrafe verbunden war. Die Berichte der Evangelien über die Gei- ßelung Jesu erwähnen keine Säule. Die Tradition, dass Jesus während seiner Gei- ßelung an eine Säule gefesselt gewesen sei, ist jedoch schon sehr alt. Der älteste Beleg dafür findet sich im Bericht des anonymen Pilgers von Bordeaux (333 n. Chr.): „Steigt man auf den Zion, kann man das Haus des Priesters Kajaphas sehen, wo die Säule ist, an welche Jesus gebunden war, während er gegeißelt wurde.“ Das Haus des Kajaphas wurde in den ers- ten christlichen Jahrhunderten auf dem Geißelungssäule in der Erscheinungskapelle der Westhügel Jerusalems gezeigt, dem (christ- Grabeskirche. © Petrus Schüler lichen) Zion. Aus dem Zeugnis des Pilgers 1/202011
IM LAND DES HERRN Dort wurde in byzantinischer Zeit (4.–7. Jh.) des Kajaphas, wo Petrus den Herrn verriet, am eine große Kirche (Hagia Sion) errichtet, die Osthang des Zionshügels. Eine Beschreibung der Jungfrau Maria geweiht war. Sie vereinigte Jerusalems aus den Jahren 1131–43 kennt eine mehrere für Christen heilige Orte, darunter das veränderte Tradition: Nach ihr sei Jesus, nach Obergemach (der Abendmahlssaal) und den Ort seiner Gefangennahme in Getsemani, vom Haus der Entschlafung Mariens. Diese Basilika wurde des Hohenpriesters Hannas in das des Kajaphas im Jahr 614 von den Persern zerstört, später aber „bei der Säulenhalle des Tempels“ und von dort wieder aufgebaut. Um das Jahr 685 berichtet der auf den Zion gebracht worden, „zum Ort des Pilger Arkulf, dass dort, neben den Steinen, mit Steinpflasters (Lithostrotos)“. Dieser Platz war denen Stephanus gesteinigt wurde, auch die Gei- möglicherweise einfach ein gepflasterter Hof ßelungssäule aufbewahrt wurde. bei der Marienkirche auf dem Zion. Zur Kreuz- Eine anonyme Lebensbeschreibung von Kaiser fahrerzeit gehörte dieser Bereich den Augusti- Konstantin (8.–10. Jh.) beschreibt diese Kir- ner-Chorherren. che. Darin war, auf der rechten Seite, das „Haus Ein namentlich nicht bekannter Pilger aus der Apostel“, also der Abendmahlssaal, auf der dem Jahr 1160 lokalisiert das Prätorium links linken die Porphyr-Säule, an die Jesus während (nördlich) der Zionskirche in einer Kapelle und der Geißelung gefesselt war. Möglicherweise war erwähnt eine zweite Kirche, die an den Ort erin- diese ursprünglich eine der Säulen aus dem Ein- nere, wo der Herr gegeißelt und mit Dornen gangsbereich der Zionskirche. gekrönt wurde und wo das Haus des Kajaphas Während der Kreuzfahrerzeit werden die Erwäh- gewesen sei. Ihre Ruinen sind heute in der arme- nungen der Geißelungssäule zahlreicher. Um nischen Erlöser-(Salvator-)Kirche auf dem Zion, 1106/08 sieht der russische Abt Daniel das Haus die bis heute auch „Gefängnis Christi“ heißt. Erste Station der Täglichen Prozession an der Geißelungssäule. © Petrus Schüler 121/2020
Geißelungssäule Geißelungssäule Der Pilger Theoderich kennt das Haus des Kaja- (1099), es ab, sich zum König Jerusalems krönen phas und das Prätorium, wo Jesus verurteilt wur- zu lassen, nachdem er diese Säule gesehen habe, de, vor der Zionskirche. Dort befand sich zu seiner denn Jesus war hier mit Dornen gekrönt worden. Zeit die Salvator-Kirche, in der ein großes Stück Ein detailliertes Zeugnis über den Verbleib der Säule verehrt wurde, an die Jesus gebun- der Säule vom Zion stammt von Bonifatius von den wurde, nachdem er von Pilatus zur Geiße- Ragusa (Dubrovnik), Kustos des Heiligen Landes lung verurteilt worden war. Theoderich berichtet 1551–1560 und noch einmal 1562–1564 (1551 auch von Resten einer weiteren Säule, die in der wurden die Franziskaner aus dem Abendmahls- Grabeskirche verehrt wurde, und zwar im Süd- saal und vom Zion vertrieben). Er beschreibt, westen des Chorumgangs der Kreuzfahrerkirche. die Säule gehörte zur Zionskirche und wurde Sie befände sich unter einem Altar. Das bestätigt von den Christen als Geißelungssäule verehrt, der isländische Pilger Abt Nikolaus (um 1150). Er auch nachdem diese Kirche nach dem Ende der spricht über dieselbe Säule, östlich vom Hoch Kreuzfahrerzeit zerstört war. Die Türken zer- altar, und erwähnt dort auch einen „Sitz“, auf dem schlugen die Säule 1558 in Stücke, aber die „Pat- Jesus nach seiner Dornenkrönung gesessen sei. res vom Zion“ (die Franziskaner) konnten Teile Der unbekannte Autor der Lebensbeschreibung davon bergen. Ein großes Stück davon sandten Gottfrieds von Bouillon berichtet, dieser „Sitz“ sie nach Rom (in die Kirche Santa Prassede). habe die Form einer Marmorsäule gehabt und Einen anderen Teil brachten sie in die Grabeskir- sei in einer Kapelle des Chorumgangs gestanden, che und stellten sie in der Erscheinungskapelle, hinter dem Sitz des Patriarchen im Chorraum. links vom Hochaltar, auf. Ein weiterer Teil blieb Nach diesem Text lehnte Gottfried, der Anführer zunächst, in kleine Stücke zerbrochen, auf dem der Kreuzfahrer bei der Eroberung Jerusalems Zion, in der Thomaskapelle. Von dort konnte Geißelung Jesu, Keramik in der armenisch-orthodoxen Kathedrale Jerusalem. © Petrus Schüler 1/202013
IM LAND DES HERRN Säule des Judaskusses. © Petrus Schüler 141/2020
Geißelungssäule Geißelungssäule Säule in der griechisch-orthodoxen Kapelle der Grabeskirche. © Petrus Schüler Bonifatius weitere Teile einsammeln und sand- Die Franziskaner hielten die antike Verehrung te sie als Reliquien an Papst Paul IV., an K aiser der Geißelung Jesu stets aufrecht, zunächst auf Ferdinand, an König Philipp von Spanien, an dem Zion, nach ihrer Vertreibung von dort in die Republik Venedig (an den Markusdom) und der Grabeskirche. Bis heute fängt die nachmit- schließlich in seine Heimat, die Republik Dub- tägliche Prozession der Franziskaner in der Gra- rovnik. – Es sei hier nicht eingegangen auf das beskirche an der Geißelungssäule an, wo sie den Problem, dass das Säulenstück aus der Grabes- Hymnus Salve, columna nobilis singen, „Du hehre kirche dem aus S. Prassede, Rom, nicht ähnelt. Säule, sei gegrüßt“. Auch an der zweiten Säule in Ob nun Jesus während seiner Geißelung an der Grabeskirche, die der griechisch-orthodoxen, eine Säule gefesselt war oder nicht, diese Säule halten sie inne und verehren dort die Verspottung ist nicht die einzige, die im Heiligen Land die Jesu (die „Improperien“) und seine Dornenkrö- Erinnerung an Ereignisse aus den Evangelien nung, bevor sie von dort auf Golgota steigen. bewahrt. Ein weiteres Beispiel sei genannt: die Sowohl die Geißelungssäule als auch die der „Säule des Judaskusses“, in einer Nische hin- „Improperien“ sind altehrwürdige Zeugnisse für ter dem Garten Getsemani, in der Gasse, die auf die christliche Verehrung nicht in erster Linie von den Ölberg führt. Diese befand sich bis zum Steinen, sondern von Ereignissen aus der Heils- Neubau der Getsemani-Basilika in der Ruine geschichte. Sie haben einen hohen Symbolwert, der Kreuzfahrerkirche, dort, wo sich heute die sie erinnern uns an das Leiden des Sohnes Gottes Todesangst-Basilika (die „Kirche der Nationen“) während seiner Passion in Jerusalem. Die Tatsache, erhebt. Sie wird besonders von den orthodoxen dass sie sich in der Grabes- und Auferstehungskir- Christen verehrt und wurde 1919 auf Geheiß che befinden, schlagen den Bogen dazu, dass das des damaligen Kustos vor dem Bau der katho- Leiden Jesu und sein Tod am Kreuz nicht das Ende lischen Getsemani-Kirche an ihren heutigen sind, sondern dass Jesus auferstanden ist und lebt. Ort gebracht, gegenüber vom Eingang der rus- Die (leicht gekürzte) Übersetzung aus dem Maltesischen sisch-orthodoxen Magdalenkirche. besorgte Gregor Geiger ofm. 1/202015
Heiliges Land in Südtirol – Die Passionskrippe von Anton Stabinger in Sexten II. Teil P. Gottfried Egger OFM D em grossartigen Krippenkünstler Anton Ölberg: Befage und Betanien, Stabinger († 1942) fiel es damals bestimmt Auftakt zur Karwoche schwer, sich von der Geburtskrippe tren- nen zu müssen. So schuf der Krippenvater eine Beginnen wir gleich mit dem Ölberg. Dort ist das weitere Krippe, die nach dreijähriger Bauzeit kleine Dorf Betfage zu sehen. Hier beginnt der 1929 fertiggestellt wurde. Dieses Mal ist es nicht Auftakt zur Passionsgeschichte. mehr eine Geburts- sondern eine Passionskrip- Noch heute zieht am Palmsonntag von Betfage pe in streng orientalischer Manier. Wie bei der aus eine große Prozession der Christen und Pil- Geburtskrippe spürt man auch hier, dass Stabin- ger des Heiligen Landes über den Ölberg. Dabei ger Kenntnisse vom Heiligen Land hat. Er kann werden die Gläubigen von Patriarchen, Kustos den Krippenbetrachter tatsächlich für einen des Heiligen Landes, Geistlichen und Franziska- kurzen, aber doch intensiven Moment an die nern begleitet. Die Prozession geht an der Todes- Orte der Passion und der Auferstehung Christi angstbasilika vorbei, zur Altstadt von Jerusalem. führen. Bei der Stabinger Krippe entdecken wir auf der Unter dieser Fastenkrippe steht eine Inschrift rechten Seite des Dörfchens Betfage Jesus und auf einem Tuch, wo Engel die Marterwerkzeuge Marta. Nach der Überlieferung soll diese Begeg- in ihren Händen tragen: Kreuz, Schweißtuch, nung zwischen Betfage und Betanien stattge- Dornenkrone etc.: „Durch dein heilig. Kreuz und funden haben. Marta erzählte dem Meister, dass Leiden, hast du die ganze Welt erlöst.“ ihr Bruder Lazarus gestorben sei. Das ist unter Wenn man die ganze Passionskrippe im Blick Joh 11,19–27 zu finden. In diesem Text hören wir hat, sieht man im Zentrum des Geschehens u. a. auch die wunderbaren Worte Jesu: „Ich bin die Heilige Stadt Jerusalem. Ihr gegenüber ist die Auferstehung und das Leben.“ Joh 11,25. der Ölberg. Stadt und Ölberg werden durch das Etwas weiter rechts, am Rand der Krippe sehen Kidrontal geteilt. wir ein kleines Kirchlein. So hat es der Krippen- 161/2020
Krippen Krippen bauer gesehen. Es ist das Kirchlein von Betanien. rundliche Kuppel. Wenn man das Gebäude des Hier befand sich das Haus der Geschwister Abendmahlssaales kennt, muss man sagen, es ist M arta, Maria und Lazarus. Maria salbte hier Stabinger gut gelungen, dieses Gebäude darzu- Jesus die Füße, vgl. Joh 12,1–7. Wahrscheinlich stellen. Es ist nicht so leicht als sakraler Bau zu ist dort unter den verschiedenen Figuren der erkennen. Interessant ist, obwohl der Krippen- auferweckte Lazarus zu sehen. bauer sowohl bei der Geburts- wie auch bei der Wir kehren wieder nach Betfage zurück. Ein Leidenskrippe mehrere Minarette als Wehrtür- wenig unterhalb des Dorfes sehen wir Jesus auf me verwendet, hier fehlt es. Die Minarette gab es einem Fohlen reitend. Die Leute breiten Tücher natürlich zur Zeit Jesu noch nicht, dennoch eig- vor ihm aus, einige haben erhobene Arme, man nen sich diese Türme gut für eine orientalische meint die Rufe der Menge zu hören: „Hosanna Landschaft. Zudem hat Stabinger bei seiner Hei- dem Sohne Davids“, vgl. Mt 21,1–10. Jesus zieht lig-Land-Reise auch viele solche gesehen, z. B. am Palmsonntag in die Heilige Stadt ein. bei der Geburtskirche von Betlehem und diverse in Jerusalem. Berg Zion: Abendmahl Nachdem die Franziskaner aus dem Abend- mahlssaal auf dem Zion 1551 vertrieben wur- Wir kommen nun zum Vordergrund auf die den, wurde das ganze Gebäude als Moschee ver- rechte Seite der Passionskrippe. Neben der Stadt wendet. Das zeigt sich auch durch die Anbrin- Jerusalem ist der Zionsberg. Hier sehen wir ein gung des Mihrab (Gebetsnische gegen Mekka typisch orientalisches Gebäude mit höcker- hin) und auch durch den Bau eines Minaretts, förmigen Dächern. Ein Dach hat eine größere das heute noch dasteht, wie eben erwähnt. Der Abendmahl, Figuren von Angela Tripi. © Stabinger 1/202017
IM LAND DES HERRN Abendmahlssaal, wie er sich heute bei einem geste ein Matzenbrot in seiner Rechten und Besuch präsentiert, ist ein gotischer Raum. Die schaut zur Höhe empor … Ausschmückung stammt aus der Zeit der Fran- Diese Krippe wurde von Anton Stabinger jun. ziskaner, die von 1333–1551 hier ihr Zentral * 1927, für die neue Krippenausstellung gebaut. kloster (Sitz des Kustos) im Heiligen Land inne- Die Tonfiguren sind von Angela Trippi, nach hatten. Dieser Ort wird für uns Christen als den einer alten sizilianischen Technik aus dem 18. Jh. Ort des Letzen Abendmahles in Verbindung angefertigt. Hier wird der Zuschauer ganz inten- gebracht, vgl. Lk 22,14 ff., aber ebenso mit dem siv in die Abendmahlsszene hineingenommen. Erscheinen des Auferstandenen, vgl. Joh 20,19 ff. Kehren wir nun wieder zur eigentlichen Pas- und der Geistsendung an Pfingsten, vgl. Apg. sionskrippe zurück. 2,1–12. In der Mitte der Krippenausstellung befindet Garten Getsemani: sich eine weitere Vitrine mit einer Abendmahls- krippe. Mir kommt sie wie eine Ergänzung zu Blutschweiß Jesu, Gefangennahme dem eben Betrachteten vor. Es ist gleichsam Nach dem Mahl und den Abschiedsreden bega- eine Innenausstattung zum Abendmahlsgebäu- ben sich Jesus und die Jünger zum Ölberg. Da de von vorhin. Die Szene spricht für sich: Man gibt es eine Grotte, wo sich Jesus immer wie- sieht Judas auf der rechten Seite von der Tisch- der zurückgezogen und wo er auch die Jünger gemeinschaft weggehen. Die Jünger schauen gelehrt hatte. Sie wird Verratsgrotte genannt. Sie konsterniert auf ihren Meister oder reden unter befindet sich unweit des Mariengrabes, dessen sich. Jesus in der Mitte hält mit einer Segens Fassade bei dieser Krippe auch zu erkennen ist. Gefangennahme © Stabinger 181/2020
Krippen Krippen In dieser Grotte ließ Jesus die Jünger zurück, Soldaten über die Zedronbrücke geschleppt. während er sich mit Petrus, Jakobus und Johan- Unmittelbar daneben im Zedrontal sind die Grä- nes in den Garten begab und Blut schwitzte, vgl. ber des Absalom, Jakobus und Zacharias deut- Mt 26,36–46. lich zu erkennen. Der Zug geht weiter Richtung Wir sehen das unten am Ölberg gleich über dem Altstadt. Zedrontal. Der Garten Getsemani mit den Oli- venbäumen und Steinen ist von einer Steinmau- Prätorium: Verurteilung, er umzäunt. Jesus steht im Getsemani in der Todesangst, verzweifelt hält er seine Hände an Geisselung, Dornenkrönung: die Brust. Ein wenig weiter links sind die schla- Ecce Homo fenden Jünger. „Könnt ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen?“ Mt 26,40. Beim Evangelisten Johannes lesen wir: „Von Kai- Danach geht die Szene gleich mit der Gefangen- phas führten sie Jesus in das Prätorium. Es war nahme Jesu weiter, die eigentlich hier so nicht früh morgens. Sie selbst betraten das Amtsge- zu sehen ist. Der gebundene Jesus wird von den bäude nicht.“ Joh 18,28. Geißelung © Stabinger 1/202019
IM LAND DES HERRN Ecce Homo © Stabinger Im Prätorium des Pilatus vollzog sich ein großer Minarett, gleichsam einer der Türme der Burg Teil der Passion Christi: hier wurde Jesus ange- Antonia. klagt, verhört, gegeißelt, mit Dornen gekrönt, Heute gelangt man vom sog. Stefanstor beim zum Kreuzestod verurteilt. Betesda Teich vorbei (S. Anna-Kirche) zum ehem. Nach Joh 19,13 „setzte sich Pilatus auf den Rich- Gelände der Burg Antonia, wo Jesus damals ver- terstuhl an den Platz, welcher Lithostrotos, auf urteilt wurde. Heute stehen m ehrere Gebäude Hebräisch Gabbata heißt.“ Das aramäische Wort auf diesem Gelände. Auf der l inken Straßen- „Gabbata“ bezeichnet ein erhöhtes Gelände. Die seite ist eine arabische Schule, die Al-Omariye- Burg Antonia mit ihren Höfen lag auf den hoch- Medresse genannt wird. Noch heute beginnen die gelegenen Teilen der Stadt. So steht bei unserer Franziskaner jeden Freitag um 15 Uhr im Innen- Krippe Pilatus mit Jesus (im roten Spottmantel) hof der Schule den Kreuzweg. Gleich daneben und Barabbas mit Soldaten auf einem Balkon. auf der rechten Straßenseite ist das Kloster der Vgl. die Bibelstellen nach Joh 18,38–19,1–5 und Franziskaner mit der Bibelschule. Sie betreu- Joh 19,12–16. Pilatus gestikuliert: Ecce Homo; en die beiden Kapellen der Verurteilung und Seht welcher Mensch, vgl. Joh 19,5. Die aufge- der Geißelung im Innenhof. Daneben im glei- brachte Menge unten ruft stark nach der Frei- chen Straßenzug steht die Ecce-Homo-Basilika gabe des Barabbas. Im Hintergrund markiert ein der Zionsschwestern mit dem gleichnamigen 201/2020
Krippen Krippen Kerker © Stabinger onvent. Dort am Beginn der Via Dolorosa steht K darstellen. Unsere Szene hatte sich aber beim der berühmte Ecce-Homo-Bogen. Haus des Kaiphas ereignet. Dieses Haus wird Auf diesem Territorium ist bei unserer K rippe nach einer Tradition auf das Terrain verlegt, wo auch ein kleiner Raum mit einem Bogen zu heute die Kirche S. Peter in Gallicantu, St. Peter sehen, wo Jesus an einer Säule angekettet, ge- beim Hahnenschrei lokalisiert wird, ein wenig geißelt wird. In unmittelbarer Nähe sehen wir unterhalb des Abendmahlssaales. Die Kirche die Dornenkrönung Jesu, die mit großer Bruta- wurde erst in den 20iger Jahren des letzten Jahr- lität von den Henkern ausgeführt wird. Stabin- hunderts auf den byzantinischen Überresten ger konnte dieses Passionsgeschehen anhand gebaut. Stabinger konnte sie damals noch nicht der franziskanischen Heiligtümern gut in Szene gesehen haben. Vergleiche nun die B ibelstellen setzen. Mt 26,57 ff., besonders Mt 26,75. Petrus weint beim Tor bitterlich. Über dem Torbogen ist der mahnende Hahn zu erkennen. Hinter einer Mau- Gallicantu, Hakeldama er ganz nahe bei diesem Geschehen, zählt Judas seine 30 Silberlinge, das Blutgeld, vgl. Mt 26,15. Nicht weit von diesem Geschehen entdecken wir Kehren wir kurz zum Ölberg zurück. Direkt ein Stadttor. Es könnte den Ecce-Homo-Bogen unterhalb der Getsemani-Szene sehen wir Judas 1/202021
IM LAND DES HERRN Verrat des Petrus © Stabinger Kreuztragung © Stabinger 221/2020
Krippen Krippen Iskariot, mit einem Strick in den Händen. Rechts Frauen), die zehnte (Kleiderberaubung), die neben ihm steht in dunkler Gestalt der Teufel, elfte (Kreuzigung), die zwölfte (Jesus stirbt am der auf einen Baum hinweist. Diese dramatische Kreuz) und die vierzehnte (die Grablegung). Szene war in Wirklichkeit nicht auf dem Ölberg, Die fromme Tradition und Frömmigkeit haben sondern im Hinnomtal. Dieses Tal galt für die die übrigen Stationen dazugefügt: Maria mit Juden als Tal des Grauens. Am Abhang dieses Jesus, Veronika, der dreimalige Fall Jesu unter Tales in das griechisch-orthodoxe Kloster des hl. dem Kreuz. Onuphrius. Rechts neben dem Kloster ist nach In unserer Krippe wimmelt es von Menschen, alter Tradition der Blutacker, Hakeldama. Vgl. die den Kreuz tragenden Erlöser auf seinem Mt 27,8, wo sich Judas an einem Baum erhängte. letzten Weg begleiten. Maria, die Mutter Jesu (es könnte ev. auch eine andere Frau, z. B. Magda Aufstieg nach Golgota, Via Dolorosa lena) sein, hält die Hände verzweifelt in die Höhe, geißelnde römische Soldaten führen Im Wandeln durch die Straßen und Gassen von den Zug an. Veronika mit dem ausgebreiteten Jerusalem, wird das Herz des Pilgers in beson- Schweißtuch am Wegrand, das bereits das Ant- derer Weise ergriffen. Auch wenn die Straßen litz Jesu trägt. Die weinenden Frauen stehen am und Plätze sich seit der Zeit Jesu sehr verän- Kreuzweg. Soldaten und Schergen, Fackelträger dert haben, die alten Straßenpflaster viel tie- und mit Schildern, die zwei Schächer sind in fer lagen, so bleibt doch die Stadt Jerusalem Begleitung von Römern und Juden. als die hl. Stadt durch die Jesus gegeißelt, mit Dornen gekrönt, das Kreuz tragend, gewankt Golgota: „Es ist vollbracht“ ist. Von den 14 Stationen nennt das Evange- lium ausdrücklich die erste (Verurteilung), Es folgt nun die Kreuzesszene auf Golgota. die zweite (Jesus nimmt das Kreuz), die fünfte Jesus ist gekreuzigt. Sein Kreuz ist in der Mit- (Simon hilft), die achte (Jesus spricht zu den te. Es muss unmittelbar nach dem Tod Jesu Kreuzigung © Stabinger 1/202023
IM LAND DES HERRN gewesen sein. „… einer der Soldaten stieß mit Grablegung, Grab und der Lanze in seine Seite und sogleich floss Auferstehung Blut und Wasser heraus …“ Joh 19,34 f. Der Sol- dat auf dem Pferd reitend, zieht seine Lanze Von der linken Seite des Golgotahügels bewegt zurück. Jesu Seite ist durchstochen. Zu Füssen sich ein Zug Richtung hl. Grab. Ein Leiter tra- des Kreuzes hocken die römischen Soldaten, gender Mann kommt bei einem Landhaus vor- als wären sie von ihrer Henkerarbeit erschöpft. bei, das scheinbar das Haus von Josef Arimatäa Eine Leiter liegt bei ihnen am Boden. Waffen- ist, vgl. Joh 19,38. Er hat Jesus sein Grab zur tragende Römer überblicken die ganze S zene. Verfügung gestellt. Hinter dem Mann folgt eine Es beginnt die Finsternis, vgl. Lk 23,44–45. Gruppe von Leuten, die den Leichnam Christi Vier Soldaten spielen um das Gewand Jesu, vgl. tragen. Sie wollen ihn im Grab beisetzen. Joh 19,23–24. Händeringend steht ein from- Vor dem Grab Jesu sehen wir den ruhenden mer Jude unter dem Kreuz. Auf der gleichen Leichnam in der Grabkammer. Seite etwas weiter ist Maria, die Mutter Jesu Nun kommt Bewegung ins Geschehen: Rechts zu sehen, die liebevoll vom Jünger Johannes daneben rollen Engel den Rollstein vom Grab gestützt wird. Noch sind die Worte des Herrn in weg. Die Soldaten schrecken zurück. Der Auf- ihren Ohren: „Frau, siehe dein Sohn …siehe dei- erstandene erhebt sich über dem Grab mit der ne Mutter“ vgl. 19,26–27. Links und rechts von Siegesfahne. Über der Grabstätte schwebt eine Jesus, die beiden Schächer, der rechte wendet Gloriole mit dem erhöhten Kreuz Christi. Es soll seinen Kopf gegen Jesus hin, er hört die Worte das Ende der Welt darstellen, denn die Mensch- des sterbenden Herrn: „Noch heute wirst du heit ist durch den Kreuzestod Christi und seine mit mir im Paradies sein.“ Lk 23,42. Auferstehung erlöst und wird am jüngsten Tag Wahrscheinlich gäbe es noch weitere Details, die auch auferstehen, vgl. Röm 8,11. Engel blasen mir nicht aufgefallen sind. die Trompete. Sie werden flankiert von den vier Auferstehung © Stabinger 241/2020
Krippen Krippen Evangelisten, die an ihren Attributen erkennbar ßen, dass Stabinger den Kirchturm der evange- sind. Vor dem Grab befinden sich Frauen. Sie lisch-lutherischen Augusta Viktoria im Visier hat- haben Salbungsgefäße in den Händen und wol- te, die sich damals bei seinem Besuch im Heili- len den Leichnam einbalsamieren. Doch Jesus gen Land noch im Bau befand. Hier beschließen ist nicht hier, er ist auferstanden, vgl. Lk 24,5–7. wir die Betrachtung der Passionskrippe. All die Hunderte bemalten Holzfiguren, die für diese eindrückliche Passionskrippe geschaffen Himmelfahrt wurden, sind das Werk des Bauern Josef Tschurt- schenthaler, Kramer in Moos. Er soll scheinbar Kehren wir wieder zum Ölberg zurück. Dieser ohne große Fachausbildung alle diese berühren- Berg ist im Gesamten eine hl. Stätte. Wie kaum den Figuren geschnitzt haben. Großartig! anderswo kam Jesus immer wieder hierher um Ich meine mit dem Bau dieser Krippe ist Sta- zu beten, um die Jünger über das Reich Gottes binger wirklich ein weiteres Werk gelungen, zu belehren. Von alters her zeigte man oben eine dass den Besucher seines Krippenmuseums bis Stelle, wo sich Jesus von den Seinen verabschie- heute das Hl. Land näherbringen kann. Es gibt dete und in den Himmel emporfuhr. Da ist heu- im Museum auch noch Andenken zu bewun- te eine kleine Moschee zu sehen, die zu byzan- dern, die der Krippenvater aus dem hl. Land tinischer Zeit eine Kirche war. Im Innern des damals mitbrachte. Fast von allen Orten nahm schlichten Raumes gibt es eine Umfassung, auf er eine „Reliquie“ mit. Ein Steinchen aus Get- dem man die Abdrücke der Füße Jesu bei der semani, ein Korn aus Betlehem etc. Diese Din- Himmelfahrt zu sehen glaubte und dabei auch ge ließ er verzieren und in eine Tafel hineinle- verehrte. Wir lesen den Bericht über die Him- gen. Da sieht man auch wieder seine Liebe zum melfahrt Jesu in der Apostelgeschichte: 1,4–10. Detail. Bei der Stabinger Krippe sehen wir, wie Jesus Diese Gedanken möchte ich nun beschlie- gleichsam mit einem Strahlenkranz zum Him- ßen mit einem Gedicht, das auch im Krippen mel erhoben wird und er dabei seine zurückge- museum zu finden ist, und das wohl aus Stabin- bliebenen Jünger segnet, vgl. Lk 24,50–52. gers Feder stammt. Im Hintergrund ist ein Kirchturm zu sehen, viel- Es ist ein Dankgebet an den Herrn, der die Pil- leicht der 60 m hohe Turm des russisch-orthodo- ger damals alle diese Stätten sehen und erfahren xen Klosters. Es ist aber auch nicht auszuschlie- ließ. Es lautet: I. Wir kehren heim vom hl. Land, wo unseres Heiles Wiege stand, wo Gottes einge- borner Sohn herniederstieg vom Himmelsthron. Herr, erbarme dich. II. Wir schauten froh den hl. Ort, wo Jesus Christ das ewige Wort, durch Beispiel, Lehr und Wundertat den Weg zum Heil gewiesen hat. Herr, erbarme dich. III. Wir grüßen fromm die hl. Stadt, wo Gott für uns geblutet hat, für uns den Kreuzes- tod, Tod und Hölle überstand. Herr, erbarme dich. IV. Wir knieten dort (Wort nicht leserlich!) am Pilgerort, wo Jesu Herz eröffnet (Wort nicht leserlich!) Ein Gnadenthron gar wohl bekannt. Für unser Volk und Vaterland. Herr, erbarme dich. Herr, erbarme dich 1/202025
Malik al-Kāmil Der unbekannte Sultan Aquilino Castillo OFM B ei der Begegnung 2019 in Abu Dabhi in Malik al-Kāmil und die den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ayyubiden-Dynastie als sich der Islam und das Christentum einander die Hand gereicht haben, hat Papst Der Namensgeber der Familie geht bis auf Franziskus der Welt eine andere Begegnung in Shirkuh und seinen Bruder Aŷŷūb ibn Shādhī ˙ Erinnerung gerufen: die Begegnung des heiligen ibn Marwān zurück. Sie waren kurdischer Franziskus mit dem Sultan von Ägypten im Jahr Abstammung und kamen aus Aŷdamakān in 1219. Armenien. Sie schlossen sich den Truppen Nach 800 Jahren erinnern wir uns an diese von Nūr ad-Dīn an, der Aleppo und Damas- Begegnung. Wir wollen es in einer besonde- kus erobert hatte und dadurch 1154 Syrien ver- ren Weise tun: wir wollen einmal den anderen einigte. 1153 eroberten die Kreuzfahrer Askalon Gesprächspartner hervorheben. Über ihn wurde zurück; sie setzten Ägypten unter Druck. Seine ziemlich wenig geschrieben, er blieb im Schat- beiden Generäle Shirkuh und Aŷŷūb überzeug- ˙ ten des Heiligen von Assisi fast unbekannt: Malik ten Nūr ad-Dīn, in Ägypten einzugreifen. 1164 al-Kāmil. Er hat Franziskus freundlich empfan- eroberten sie Ägypten. gen und ließ ihn danach in Frieden heimkehren. Der Sohn Aŷŷūbs, Salāh ad-Dīn wurde der Nach- ˙ Wer war dieser Gesprächspartner? folger der beiden Brüder in der Regierung Ägyp- Franziskus und der Sultan, moderne Darstellung von Br. Gabriel Gnägy OFM. © Gnägy 261/2020
Sultan Sultan tens. In den christlichen Quellen ist er als „Sala- al-‘Ādil starb 1218 während der Belagerung der din“ bekannt; der Kalif von Bagdad erkannte ihn Stadt Damiette, deren Verteidigung al-Kāmil als Sultan von Ägypten an. kommandierte. Nach seinem Tod wurden die Die Spannung zwischen Nūr ad-Dīn und Salāh Herrschaftsgebiete der Ayyubiden zwischen den ˙ ad-Dīn nahm ständig zu. 1174 führte Nūr ad-Dīn drei Söhnen aufgeteilt. al-Kāmil herrschte als einen Feldzug gegen Ägypten an; auf dem Weg Sultan von Ägypten, unter ihm die beiden Brü- dorthin starb er. Salāh ad-Dīn setzte sich gegen der, al-Mu’āz zam als Herrscher von Damaskus ˙ ˙˙ den elfjährigen Nachfolger durch und gewann und al-Ašraf Mūsā als Herrscher von Mesopota- ohne blutige Auseinandersetzung die Unterstüt- mien mit Sitz im Harram. ˙ zung der syrischen Generäle für sich. Die Beziehung zwischen den drei Brüdern war Salāh ad-Dīn ibn Aŷŷūb wird dann historisch nicht gerade harmonisch. Es kam zu Unstim- ˙ als der wahre Gründer der Ayyubiden-Dynastie migkeiten und Zusammenstößen. Vor allem anerkannt. Seine Nachkommen regierten Syrien, gewann al-Mu’āzzam von Damaskus zunehmen- ˙˙ Palästina, Jordanien, Hoch-Mesopotamien, Ara- de Macht, sodass er als eine Bedrohung für Ägyp- bien, Jemen und Ägypten während des 12. und ten erschien. al-Kāmil aber als einzig anerkann- des 13. Jahrhunderts. ter Sultan von Ägypten hielt die Oberherrschaft In dieser Periode folgten die Sultane aus dieser über seine Brüder. Er übernahm auch die Initia- Familie in Damaskus und Kairo aufeinander. tive bei den diplomatischen Beziehungen zu den In Ägypten herrschte der Sultan Malik al-‘Ādil, lateinischen Königsreichen im Mittleren Orient. der Bruder des Saladin und Vater vom Malik Als er 1238 starb er, wurden seine beiden Söhne al-Kāmil. Als Prinz und Vizekönig spielte Malik seine Nachfolger, al-‘Ādil II. in Syrien und Sālih ˙ al-Kāmil eine sehr aktive Rolle in der Regierung. al-Aŷŷūb in Ägypten. Kairo, D. Roberts. © Revista „Tierra Santa“ 1/202027
IM LAND DES HERRN Christofano dell Altissimo, Saladin. © Revista „Tierra Santa“ 281/2020
Sultan Sultan Malik al-Kāmil und die abendländischen Christen Nach dem Fall Jerusalems im Jahr 1187 erlaubte es Saladin den Christen, die Stadt zu verlassen, aber nur gegen eine Gebühr. Balian von Ibilín und der Patriarch Jerusalems selbst bezahlten den Preis für die Abreise von ca. 10.000 Chris- ten. Auch al-‘Ādil, der Vater von Malik al-Kāmil, bezahlte für ca. 5.000 Christen die Gebühren als Werk der Barmherzigkeit und aus Dankbarkeit dafür, dass Allah ihm ermöglicht hatte, die Stadt zu erobern. Trotzdem sind viele Christen innerhalb der Stadtmauern geblieben. In diesem Zeitraum waren die Christen noch in der Mehrzahl. Aktu- elle Forschungen bestätigen die christliche Mehrheit in Palästina bis ins 14. Jahrhundert. Saladin und al-‘Ādil hatten nicht nur mit den Lateinern im Land zu tun, sondern auch mit den Lateinern im Mittelmeer. Die Flotten der Königreiche der Kreuzfahrer und vor allem die Das Grab Saladins. © Petrus Schüler Flotten der italienischen Seerepubliken belauer- ten immer wieder die muslimischen Herrscher. Jahr 1202 ausgerufenen vierten Kreuzzugs vom Um diese Gefahr abzuwehren, hatte Saladin die Kampf verschont. Zu dieser Zeit war al-Kāmil Flotte fatimí wiederaufbauen lassen. Die militä- 22 Jahre alt. Er war schon bei der Regierungs- rischen Unkosten wurden aber sehr hoch und politik seines Vaters aktiv gewesen und bereitete haben die Finanzen des Reiches so geschwächt, sich als sein Nachfolger vor. dass der Bankrott drohte. Seinerseits versuch- Der Kreuzzug war ein schwieriges Unternehmen, te al-‘Ādil, eine mildere Politik zu betreiben: Er dessen größtes Problem der Truppentransport traf ein Abkommen mit Venedig, worin er Vene- war: 4.500 Ritter, 9.000 Schildknappen und dig Handelsprivilegien gewährte, wie z. B. die 20.000 Infanteristen. Für die Lösung dieses Pro- Benutzung der Häfen in Syrien und Ägypten blems bot sich Enrico Dandolo an, der „ehrliche“ und die Eröffnung von Konsulaten in mehreren Doge Venedigs, der eine Flotte von 50 Galeeren arabischen Städten. Hingegen hatte sich Venedig aufbauen ließ und sich auch dazu verpflichte- verpflichtet, die Kreuzfahrertruppen nicht nach te, für den Unterhalt der Armee während die- Ägypten zu verfrachten. ser Zeit aufzukommen. Dafür sollte er 85.000 Al-‘Ādil und sein Sohn Malik al-Kāmil pfleg- Silbermark und die Rechte über die Hälfte der ten eine Politik der guten Beziehungen zu den Beute erhalten. Ein Abkommen wurde unter- Kreuzfahrern. König Richard Löwenherz soll zeichnet. Malik al-Kāmil, als er noch elf Jahre alt war, den Im Juni 1202 war die Flotte fertiggebaut. Da aber Rittertitel als Zeichen der guten Beziehungen die Kreuzzugstruppe spürbar kleiner geworden verliehen haben. war, konnte das festgesetzte Schuldgeld nicht Aufgrund dieser guten Beziehungen wurde aufgebracht werden. Venedig gab die Flotte ohne Ägypten während des von Papst Innozenz III. im die vollständige Begleichung der Schuld nicht 1/202029
IM LAND DES HERRN frei. Eine machiavellische Lösung wurde aus- Heiligen Land eingedrungen sind. Sie hatten geheckt, nämlich die Hafenstadt Zara (heute aber keinen großen Erfolg, daher wandten sie Zadar) dem König Emmerich von Ungarn zu sich nach Ägypten; sie waren der Meinung, sei- entreißen und sie Venedig zu übergeben. ne Eroberung würde den Zugang zu Jerusalem Der Doge Enrico befand sich plötzlich vor der eröffnen. So kamen sie 1218 bis ans Nildelta und unerwarteten Entscheidung, in Konstantinopel belagerten die Stadt Damiette. Genau in dieser einzufallen. Ohne lange nachzudenken, führte Zeit starb al-‘Ādil und al-Kāmil wurde Sultan er selbst – fast blind und als 70-Jähriger – die kraft seines Amtes. Truppen von Zara bis zum Goldenen Horn. Dem Dann folgten die bekannten Ereignisse: Der jun- historischen Gedächtnis der östlichen Christen- ge Sultan stiftete großen Schaden an. Es gab Tau- heit ist dieses Ereignis bis heute als „der Verrat sende von Toten unter den christlichen Truppen. Venedigs“ eingeprägt. Am 29. August 1219 wurde ein Waffenstillstand Die Kreuzfahrer eroberten, plünderten und zer- geschlossen, der bis zum 26. September dau- störten Konstantinopel. Das Lateinische Kaiser- erte. Während dieses Waffenstillstands fand die reich wurde errichtet und die Ägäischen Inseln Begegnung des heiligen Franziskus mit Sultan wurden unter Venedig aufgeteilt. Malik al-Kāmil statt. Ohne diese Begegnung wäre Als Enrico Dandolo starb, wurde er in der Hagia der fünfte Kreuzzug als eines der größten Desas- Sophia begraben. Die Kreuzfahrer erreichten ter des christlichen Westens in die Geschichte nie Ägypten, da es für Venedig besser war, dass eingegangen. Dabei zeigte sich Europa zugleich sie auf griechischem Boden blieben anstatt als zerstritten; die Herrscher verfolgten ihre die Handelsabkommen mit den Muslimen zu eigenen Interessen, dachten nur an sich selbst gefährden. und an den eigenen Ruhm anstatt daran, die Zwölf Jahre später rief Papst Innozenz III. einen Heiligen Stätten zu befreien. neuen Kreuzzug aus. Er starb aber 1216. Der Damiette wurde am 5. November dieses Jah- fünfte Kreuzzug wurde dann von seinem Nach- res dann von den Kreuzfahrern eingenommen. folger Papst Honorius III. ausgeführt. Der histo- Malik al-Kāmil bot den Kreuzfahrern im Aus- rische Ablauf ist gut bekannt; hier ist nur wich- tausch für Damiette Jerusalem und die Reliquie tig zu erwähnen, dass die Kreuzfahrer 1217 mit des Heiligen Kreuzes an, die er aber eigent- eigenen Mitteln aus den verschiedenen Ländern lich gar nicht hatte. Die Kreuzfahrer lehnten wie Ungarn, Österreich, Frankreich, Italien ins ab, stattdessen zogen sie mit aller Wucht nach Damiette © Revista „Tierra Santa“ 301/2020
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