Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner

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Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
74. Jahrgang 2020 / Heft 1

Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land
Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
                        liebe Freunde und Wohl­täter des Heiligen Landes!

W
        enn Sie jetzt unser Heft in den Händen      Todesjahr Jesu, die „Geißelungssäule“ und
        halten, fällt Ihnen sicher auf, dass sich   die Passionskrippe in Sexten/Südtirol unter-
        das Design und die Schriftart etwas         streichen das. Der Artikel unserer Reihe über
geändert haben, während die Größe und der           die Begegnung zwischen Franziskus und dem
Umfang des Heftes völlig gleichgeblieben            ­S ultan schließt diese Serie ab und stellt uns
sind. Es war das gemeinsame Anliegen der             nun auch den Dialogpartner, nämlich den
deutschsprachigen Kommissare des Heiligen            ­Sultan al Kamil ausführlich vor.
Landes, das Wesentliche beizubehalten und
nur wenig zu ändern. Ein Hochglanzprodukt in        Ja, am Ende „läuft alles auf Ostern aus“ –
größerem Format würde sicher mehr E     ­ indruck   auch im Heft, denn Sie sehen auf der Rück-
machen, aber wir wollen bewusst sparsam             seite ein Bild der „Reiderschen Tafel“ aus dem
sein und finanzielle Mittel lieber für die Arbeit   Bayerischen Nationalmuseum in München.
im Heiligen Land einsetzen. Wir haben kein          Dieses kleine Kunstwerk verdient in der Tat
Redaktionsteam und keine auf­geblasene Ver-         große Beachtung, ist es doch wohl die ältes-
waltung, aber es ist immer eine Freude am           te Darstellung der „Edicola“, des Grabbaues
Heft zu arbeiten, weil so viele ­Menschen mit-      in Jerusalem. Um das Jahr 400 in Italien ent-
machen; die Mitbrüder die Artikel verfassen,        standen, war diese wunderschöne Elfenbein-
Fotos zur Verfügung stellen, die Freunde die        arbeit wohl an dem Einband eines liturgischen
Korrektur lesen und Ideen beisteuern – und          Buches befestigt. Sie können unten rechts
Sie: die Leser, von denen wir freundlich und        anfangen und das Bild „lesen“ – von den Frau-
kritisch begleitet werden. Das alles macht          en am Grab, über den Engel und die Wächter
unser Heft aus und an dieser Stelle einen herz-     bis zur Figur des Auferstandenen der förm-
lichen Dank für diese gute Zusammenarbeit!          lich in den Himmel „aufsteigt“. In der oberen
                                                    linken Ecke wächst ein prächtiger Baum aus
Das erlaubt mir auch, Sie mit diesen Zeilen         dem Grab empor und zwei Vögel finden dort
hinzuweisen auf die Palmsonntagskollekte            ihre Nahrung; ein Sinnbild für die Kirche, die
und auf die Sammlungen, sei es an den „Heili-       aus dem leeren Grab emporwächst und geis-
gen Gräbern“ oder in den Kartagen in den Got-       tige Nahrung gibt. Auf ganz wenigen Zenti-
tesdiensten. Auf der Vorderseite ­finden Sie ein    metern ist hier unser Glaube an die Auferste-
Foto einer besonderen Palmsonntagsprozes-           hung eingefangen. Am Ende „läuft alles auf
sion in Jerusalem: schon am Tag vor der gro-        Ostern aus“!
ßen Prozession von Betfage über den Ölberg
in die Heilige Stadt versammelt sich eine rie-
sige Gemeinschaft von indischen Gläubigen           Im Namen der deutschsprachigen ­Kommissare
um die gleiche Prozession zu halten, denn am        des Heiligen Landes grüße ich Sie und wün-
Sonntag selbst ist es ihnen kaum möglich,           sche Ihnen ein gesegnetes Osterfest, Ihr
wegen des israelischen Arbeitstages. Das ist
auch eine Facette unseres pastoralen Wirkens:
die Sorgen für die „Arbeitsimmigranten“.

So ist dieses Heft auch in der Spannung zwi-
schen Palmsonntag und dem Osterfest: das
Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
Inhalt
Der jüdische Kalender
und das Todesjahr Jesu
Gregor Geiger OFM                                             Seite 4

Die Geißelungssäule
in der Grabeskirche
Noel Muscat OFM                                               Seite 11

Heiliges Land in Südtirol –
Die Passionskrippe von
Anton Stabinger in Sexten
II. Teil
P. Gottfried Egger OFM                                        Seite 16

Malik al-Kāmil
Der unbekannte Sultan
Aquilino Castillo OFM                                         Seite 26

Titelbild: Palmprozession der indischen Gemeinschaft. © Petrus Schüler
Rückseite: Auferstehung und Himmelfahrt Christi, Reidersche Tafel. © Bayerisches Nationalmuseum München

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Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
Der jüdische Kalender
und das Todesjahr Jesu
Gregor Geiger OFM

W
         enn wir uns für das Todesjahr Jesu inte-     beispielsweise auf dem Dachboden einen Brief,
         ressieren, haben wir im Neuen Testa-         über dem steht: Sonntag, den 8. Juni 196#; bei
         ment einige allgemeine Angaben, die es       der letzten Ziffer des Jahres ist die Tinte verlau-
erlauben, das Jahr einzugrenzen, und wir haben        fen. Daraus kann ich ableiten, dass dieser Brief
eine Datumsangabe: Jesus wurde an einem               im Jahr 1969 geschrieben wurde, denn in jenem
Pesach-/Pascha-Fest, das auf einen Freitag fiel       Jahrzehnt fiel dieser Tag nur in diesem Jahr auf
(so die „synoptischen“ Evangelien, also Matthäus,     einen Sonntag.
Markus und Lukas), gekreuzigt oder am Tag vor         Auf den ersten Blick sind wir beim Todesjahr
einem Pesach-Fest, ebenfalls an einem Freitag         Jesu in einer ähnlichen Situation: Pesach ist am
(so das Johannesevangelium). Keines der Evan-         15. Nisan; der Monat Nisan ist der erste Früh-
gelien nennt freilich ein Jahr.                       lingsmonat und er beginnt, wie jeder jüdische
Zur allgemeinen Eingrenzung stehen uns diese          Monat, mit dem neuen Mond. – Das Pesach-Fest
Angaben zur Verfügung: Die Amtszeit des Pon-          wird also am ersten Frühlingsvollmond gefeiert,
tius Pilatus (26–36 n. Chr.); der Beginn der Tätig-   daher feiern wir bis heute Ostern am Sonntag
keit Johannes’ des Täufers (Lk 3,1): „im fünfzehn-    nach dem ersten Frühlingsvollmond.
ten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius“
(28/29 n. Chr.); die Altersangabe Jesu zu Beginn      Unterschiede zwischen
seiner öffentlichen Wirksamkeit „etwa dreißig
Jahre“ (Lk 3,23); die 46-jährige Bauzeit des Tem-
                                                      den Evangelien
pels (Joh 2,20; Baubeginn: etwa 20 v. Chr.) sowie     Wie erwähnt, machen die Evangelisten verschie-
die Bekehrung des Paulus (etwa 34 n. Chr.). Auf       dene Angaben. Für diese Unterschiede gab und
ein präzises Jahr kommt man dadurch nicht; die        gibt es mehrere Erklärungen, ohne dass man
ersten und letzten Amtsjahre des Pilatus sind         eine allgemein anerkannte Lösung gefunden
unwahrscheinlich.                                     hätte.
                                                      Alle vier Evangelien bezeichnen den Tag der
Die Datumsangaben der Evangelien                      Kreuzigung Jesu auf Griechisch als paraskeué.
                                                      Dieses Wort bedeutet „Vorbereitung“. Im Neuen
Vielversprechender scheinen die Datumsanga-           Testament kommt es ausschließlich in den Pas-
ben der Evangelien. Entscheidet man sich für          sionserzählungen vor.
eines der beiden Daten, kann man so argumen-          Die übliche jüdische Bezeichnung für den Frei-
tieren: Wenn ich ein Datum, eine Wochentags-          tag ist „Sabbats-(Vor-)Abend“ oder „sechster Tag“
angabe und einen eingegrenzten Zeitraum habe,         (so bis heute in Israel), der Ausdruck „Vorberei-
kann ich daraus das Jahr berechnen. Ich finde         tung“ kann als „Vorbereitung(stag des Sabbats)“,

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Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
Todesjahr Jesu
                                                                       Todesjahr Jesu

Eine babylonische Keilschrifttafel aus der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. mit einem
    ­astronomischen Text zur Kalenderberechnung. © Irakisches Nationalmuseum Baghdad,
                                     Foto: P. Gregor Geiger

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Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
IM LAND DES HERRN

als „Rüsttag“, verstanden werden. Der Evangelist   reich an theologischen Aussagen (die orthodoxe
Markus fügt entsprechend hinzu (15,42): „das ist   Tradition nennt den Evangelisten Johannes den
prosabbaton“, also „Vor-(Tag vor dem) Sabbat“,     „Theologen Johannes“), die oft in Symbolen aus-
und Lukas schreibt (23,54): „kurz bevor der Sab-   gedrückt sind. Daher habe Johannes die Todes-
bat anbrach“.                                      stunde Jesu auf den Zeitpunkt „verlegt“, zu dem
Manche Ausleger versuchen, den Widerspruch         im Tempel die Pascha-Lämmer geschlachtet
zwischen den Evangelien mit der Annahme zu         wurden. Diese Meinung war bei den Bibelwis-
lösen, Johannes meine mit „Vorbereitung“ nicht     senschaftlern des vergangenen Jahrhunderts
die Vorbereitung auf den Sabbat, sondern die       sehr weit verbreitet, zumal bei einem Tod Jesu
auf das Pascha-Fest, also keinen bestimmten        vor dem Beginn des Pascha-Festes das Letzte
Wochentag. Dafür spricht der Ausdruck in Joh       Abendmahl kein Paschamahl (zu Beginn, also
19,14: paraskeué tu Pascha, „Vorbereitung des      nach unserem Empfinden am Vorabend des
Pascha“. Freilich, für 19,31, „dieser Sabbat war   Festes) sein kann. Inzwischen ist man vorsichti-
nämlich ein großer Feiertag“, muss man zur         ger, zumal der Evangelist Johannes, gleichwohl
etwas weit hergeholten Deutung greifen, dass       das jüngste der Evangelien, Detailkenntnisse von
„Sabbat“ hier nicht Samstag bedeute, sondern       Jerusalem zur Zeit Jesu zeigt.
allgemein „Festtag“, eine Bezeichnung, die im      Eine weitere Hypothese besagt, die Evangelien
Judentum nicht üblich ist.                         folgten verschiedenen Kalendern, einerseits dem
Eine verbreitete Lösung für die unterschiedli-     pharisäischen, andererseits dem sadduzäischen
chen Daten ist die: Das Johannesevangelium ist     oder dem der Essener. Moderne Mitteleuropäer
                                                   wundern sich vielleicht darüber, dass ein Fest
                                                   nach zweierlei Kalendern, also an zwei verschie-
                                                   denen Tagen gefeiert worden sein soll. Wer aber
                                                   heute um Ostern oder um Weihnachten das Hei-
                                                   lige Land besucht, wird feststellen, dass Christen
                                                   verschiedener Konfessionen diese Feste auch in
                                                   der Gegenwart problemlos an unterschiedlichen
                                                   Tagen feiern.
                                                   Mit dieser Erklärung mag es eventuell gelingen,
                                                   die Angaben in den Evangelien in Einklang zu
                                                   bringen. Um aus dem Datum auf ein bestimm-
                                                   tes Jahr zu schließen, hilft sie aber nicht weiter.
                                                   Über Unterschiede zwischen sadduzäischem
                                                   und pharisäischem Kalender wissen wir so gut
                                                   wie nichts, nicht einmal, ob sie sich tatsächlich
                                                   unterschieden. Der essenische Kalender ver-
                                                   hieß nach der Entdeckung der Qumranschrif-
                                                   ten (seit 1947) eher eine Lösung. Die französi-
                                                   sche Exegetin Annie Jaubert schlug 1957 diese
                                                   Lösung vor; der Benediktiner Bargil Pixner von
                                                   der Dormitio-Abtei in Jerusalem griff sie auf
                                                   und verfeinerte sie. Aber auch hier bleibt das
      Kreuzigung mit Maria und Johannes            Problem: Wir wissen zwar relativ viel über den
    (dem „Theologen“), Spinges in Südtirol.
                                                   essenischen Kalender, aber einige Details blei-
                    © Petrus Schüler
                                                   ben ungeklärt, so dass man auch hier an Gren-

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Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
Todesjahr Jesu
                                                                             Todesjahr Jesu
                                                      zip auf Julius Cäsar zurückgeht (der „juliani-
                                                      sche Kalender“) ist „solar“ (von lateinisch sol,
                                                      „Sonne“), weil die Jahreslänge mit dem Stand
                                                      der Sonne übereinstimmt. Ein Sonnenjahr dau-
                                                      ert etwa 365,25 Tage. Als man im 16. Jahrhun-
                                                      dert feststellte, das diese Zahl nicht ganz genau
                                                      ist und dass sich das Sonnenjahr inzwischen
                                                      vom Kalenderjahr um zehn Tage unterschied,
                                                      ordnete Papst Gregor XIII. eine Kalenderreform
                                                      an. Im Jahr 1582 folgte auf den 4. Oktober der
                                                      15. Oktober. Um Sonnenjahr und Kalenderjahr
                                                      künftig in Einklang zu halten, sind beispiels-
                                                      weise die Jahre 1900 oder 2100 keine Schalt-
                                                      jahre. Dies ist unser „gregorianischer Kalender“.
                                                      Andere Kalender sind „lunar“ (von lateinisch
                                                      luna, „Mond“), so der muslimische. Das islami-
                                                      sche Jahr besteht aus zwölf Mond-Monaten, die
                                                      beginnen, wenn der neue Mond sichtbar wird.
                                                      Es ist also um etwa zehn Tage kürzer als das
                                                      Sonnenjahr und das gregorianische Jahr. Mus-
                                                      limische Feste „wandern“ daher durch das Jahr.
                                                      Im Jahr 2020 wird der Fastenmonat Ramadan
           Ort der Kreuzigung Jesu,                   etwa am 23. April beginnen (das genaue Datum
    Grabeskirche Jerusalem. © Petrus Schüler          hängt davon ab, wann der Mond sichtbar wird,
                                                      was nicht in der ganzen Welt am gleichen Tag
zen stößt, wenn ein genaues Datum zu berech-          sein muss), während der Ramadan vor zehn Jah-
nen ist.                                              ren im Herbst war und in zehn Jahren im Winter
Wie auch immer, der offenbare Widerspruch             sein wird.
der beiden Evangelien
kann nicht abschließend
erklärt werden und er
wird es vielleicht nie.

Sonnen- und
Mond-Kalender
D i e a l l e r m e i s te n d e r
weltweit einst und heu-
te benutzten Kalender
kalkulieren die Zeit im
Zusammenhang entwe-
der mit der Sonne oder
mit dem Mond.
                                     Mittelalterlicher Wandkalender, SS. Quattro Coronati, Rom.
Der moderne westliche
                                                          © Petrus Schüler
Kalender, der im Prin-

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Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
IM LAND DES HERRN

Der (spätere) jüdische Kalender                        sind festgelegt, die von zwei Monaten im Herbst
                                                       variieren nach einem vorgegebenen Schema. In
Der jüdische Kalender ist „luni-solar“, das heißt,     19 Jahren gibt es einen festen Zyklus von sieben
Mondphasen und Sonnenstand werden in Ein-              Schaltjahren, in welchen vor dem Frühlings-
klang gebracht. Das erreicht man dadurch, dass         und Pesach-Monat Nisan der zusätzliche Monat
in Schaltjahren ein zusätzlicher Monat einge-          eingeschoben wird.
schoben wird. Das jüdische Jahr 5779, das am 29.       Allerdings folgt der jüdische Monat nicht immer
September 2019 zu Ende gegangen ist, war bei-          dem tatsächlich sichtbaren Mond, sondern es
spielsweise so ein Schaltjahr.                         gibt Verschiebungen, um beispielsweise zu ver-
Heute basiert das jüdische Jahr nicht auf der          meiden, dass Pesach oder der Versöhnungstag
Beobachtung von Mondphasen und Sonnen-                 Jom Kippur auf Freitag oder auf Sonntag fällt,
stand, sondern es wird berechnet. Wir wis-             dass also diese Feste unmittelbar vor oder nach
sen nicht, wann diese Form des Kalenders in            dem Sabbat kommen.
Gebrauch kam. Nach jüdischer Tradition wird sie        Aus dem eben Gesagten wird deutlich, dass die
Hillel II. zugeschrieben (Mitte des 4. Jh. n. Chr.),   Zeitangabe der Synoptiker, Pesach am Freitag,
sie ist aber erst zur Zeit des Maimonides (12. Jh.)    nach dem heutigen jüdischen Kalender unmög-
sicher nachweisbar. Auf alle Fälle wurde er Jahr-      lich wäre. Das nun ist aber kein Argument gegen
hunderte nach der Zeit Jesu eingeführt und             die Datumsangabe der Synoptiker. Diese Ver-
wohl nicht in allen weit verstreuten jüdischen         schiebungen waren damals nicht in Gebrauch
Gemeinden gleichzeitig.                                und, vor allem, der Kalender beruhte nicht auf
Nach diesem Kalender können die Monate 29              Berechnung (wozu man in der Antike durchaus
oder 30 Tage lang sein (eine Mondphase beträgt         schon fähig war), sondern auf der Beobachtung
etwa 29,5 Tage). Die Längen der meisten Monate         des Mondes und der Jahreszeiten.

                          Grab des Maimonides in Tiberias.     © Petrus Schüler

81/2020
Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
Todesjahr Jesu
                                                                                 Todesjahr Jesu
Der jüdische Kalender zur Zeit Jesu                     man den Mond von einem Punkt aus beobachte-
                                                        te, von dem aus der westliche Horizont tiefer lag
Solange der Tempel in Jerusalem stand (bis zur          (so auf den Hügeln westlich von Jerusalem, z. B.
Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr.),         in Emmaus-Qubeibeh).
wurde in Jerusalem beobachtet , wann die                Der Schaltmonat wurde zur Zeit des jüdischen
schmale Sichel des neuen Mondes („Neulicht“             Tempels so festgelegt: Zum Pesach-Fest gehör-
genannt) zum ersten Mal am westlichen Himmel            te die Darbringung der ersten reifen Gerste (die
kurz nach Sonnenuntergang sichtbar war. Dann            Getreideernte beginnt im Heiligen Land meh-
begann der neue Monat. Wenn dagegen der                 rere Monate früher als in Mitteleuropa). War am
Mond aufgrund von Wolken, Dunst oder Wüsten­            Anfang eines Monats absehbar, dass die ­G erste
staub nicht sichtbar wurde, begann man den              zur Monatsmitte noch nicht reif sein würde,
neuen Monat nach dem                                                             erklärte man diesen
30. Tag des Vormonats.                                                           Monat zum Schaltmo-
Das Neulicht ist sehr                                                            nat; Nisan, der Pesach-
kompliziert zu berech-                                                           Monat, war dann einen
nen. Unter „Neumond“                                                             Monat später.
versteht die moderne
Astronomie die „Kon-                                                           Das Todesjahr
junktur“ zwischen
Sonne und Mond, das
                                                                               Jesu
heißt, Sonne, Mond                                                             Es ist also nicht kor-
u n d E rd e s te h e n i n                                                    rekt, für die Bestim-
einer Linie, der (nicht                                                        mung des To desjah-
sichtbare) Mond zieht,                                                         res Jesu einfach den
von der Erde aus gese-                                                         mittelalterlichen und
h e n , vo r d e r S o n n e                                                   modernen jüdischen
vorbei. Meist tut er das                                                       Kalender zurückzu-
etwas nach oben oder                                                           r e c h n e n . Tr o t z d e m
unten versetzt; stehen                                                         w u rd e n s o l c h e Ve r-
die drei Gestirne tat-                                                         suche unternommen,
sächlich in einer Linie,               Haggadah („Pessach-Anleitung“),         mit ganz unterschied-
gibt es eine Sonnen-                Süd­deutschland Anfang 15. Jahrhundert,    lichen Ergebnissen (sie
finsternis. Das Neulicht          Israel-­ Museum Jerusalem.  © Petrus Schüler reichen vom Jahr 27
t r i t t s p ä te r au f . D i e                                              bis 36), so schon die
Zeitspanne zwischen Neumond und Neulicht Kirchenväter Tertullian und Hyppolyt (beide
ist, je nach Standort und Jahreszeit sehr unter- Anfang des 3. Jh.) – sie kamen auf das Jahr 29
schiedlich, zwischen 16 und 69 Stunden (fast – oder der spanische Bischof Paul von Burgos
drei Tage!). Moderne Technik erlaubt es zwar, (1353–1435), ein konvertierter Jude. Er kam zu
diese Zeitspanne für einen bestimmten Ort rela- dem Ergebnis, Jesus sei am Samstag (also nach
tiv genau zu berechnen. Ob dann aber der Him- der Zeitangabe des Johannes), den 4. April 33,
mel tatsächlich klar und der Mond sichtbar ist, gekreuzigt worden – eine Kreuzigung am Freitag
ist damit natürlich nicht gesagt. Ja, es ist sogar (Synoptiker) kommt ja nach dem oben Gesagten
möglich und überliefert, dass der Mond schon nicht in Frage.
vor dem berechneten Datum gesehen wurde, Die modernen Wissenschaftler sehen in der
entweder weil es besonders klar war oder weil Regel das Problem, dass wir nicht wissen, ob

1/20209
Franziskanische Zeitschrift für das Heilige Land - Jahrgang 2020 / Heft 1 - Franziskaner
IM LAND DES HERRN

es im Todesjahr Jesu vor dem Nisan einen         Daten, die auf einen Samstag fallen, können dem
Schaltmonat gab. Das zweite Problem, dass        Johannesevangelium entsprechen, solche an
auch der genaue Monatsanfang unbekannt           einem Freitag den Synoptikern.
ist, wird oft übergangen. Die Tabelle auf die-   Das Ergebnis ist mager, aber gleichzeitig viel-
ser Seite stellt alle in Frage kommenden Daten   sagend: Für das johanneische Datum kommen
zusammen, ausgehend vom 15. Nisan, dem           folgende Jahre in Betracht: 27, 29, 30, 32, 33, 34
Pascha-Fest.                                     und 36, für das der ersten drei Evangelien: 27, 28,
Die erste Spalte legt den späteren jüdischen     30, 31, 33, 34, 35 und 36. Kein einziges Jahr kann
Kalender zugrunde. Eingeklammerte Daten          ganz ausgeschlossen werden.
sind die des vorausgehenden oder des folgen-     Die Datums- und Wochentagsangaben der Evan-
den Monats, die bei unterschiedlichen Schalt-    gelien genügen also nicht, um einer der beiden
monaten (eventuell schon im vorigen Jahr) in     Angaben der Evangelien den Vorzug zu geben,
Frage kommen. Die weiteren Spalten gehen vom     und sie genügen nicht, um das Jahr, in dem
berechneten Neulicht aus.                        Jesus gekreuzigt worden ist, zu rekonstruieren.

 15. Nisan          (Späterer)      1 Tag vor dem          Berechnetes          1 Tag nach dem
 im Jahr            jüdischer       berechneten             Neulicht              berechneten
                     Kalender          Neulicht                                     Neulicht
    27               [12.3., Mi]       12.3., Mi             13.3., Do              14.3., Fr
                     10.4., Do         10.4., Do             11.4, Fr               12.4., Sa
                     [10.5., Sa]       10.5., Sa             11.5., So              12.5., Mo
    28               [1.3., Mo]        29.2., So             1.3., Mo               2.3., Di
                     30.3., Di         30.3., Di             31.3., Mi              1.4., Do
                     [29.4., Do]       28.4., Mi             29.4., Do              30.4., Fr
    29               [19.3., Sa]       19.3., Sa             20.3., So              21.3., Mo
                     17.4., So         17.4., So             18.4., Mo              19.4., Di
    30               [8.3., Mi]        8.3., Mi              9.3., Do               10.3., Fr
                     6.4., Do          6.4., Do              7.4., Fr               8.4., Sa
                     [6.5., Sa]        6.5., Sa              7.5., So               8.5., Mo
    31               27.3., Di         27.3., Di             28.3., Mi              29.3., Do
                     [26.4., Do]       25.4., Mi             26.4., Do              27.4., Fr
    32               [17.3., Mo]       15.3., Sa             16.3., So              17.3., Mo
                     15.4., Di         14.4., Mo             15.4., Di              16.4., Mi
                     [15.5., Do]       13.5., Di             14.5., Mi              15.5., Do
    33               [6.3., Fr]        5.3., Do              6.3., Fr               7.3., Sa
                     4.4., Sa          3.4., Fr              4.4., Sa               5.4., So
                     [4.5., Mo]        3.5., So              4.5., Mo               5.5., Di
    34               23.3., Di         24.3., Mi             25.3., Do              26.3., Fr
                     [22.4., Do]       22.4., Do             23.4., Fr              24.4., Sa
    35               [14.3., Mo]       13.3., So             14.3., Mo              15.3., Di
                     12.4., Di         12.4., Di             13.4., Mi              14.4., Do
                     [12.5., Do]       11.5., Mi             12.5., Do              13.5., Fr
    36               [2.3., Fr]        2.3., Fr              3.3., Sa               4.3., So
                     31.3., Sa         31.3., Sa             1.4., So               2.4., Mo
                     [30.4., Mo]       30.4., Mo             1.5., Di               2.5., Mi

101/2020
Die Geißelungssäule
in der Grabeskirche
Noel Muscat OFM

 I
       n der Erscheinungskapelle (Sakraments- von Bordeaux geht hervor, dass es auf dem Zion
       kapelle) der Franziskaner, nördlich des mehrere Erinnerungsstätten an die Passion Jesu
       Grabes Christi in der Grabeskirche, steht gab: das Haus des Kajaphas mit der Geißelungs-
in einer Nische zwischen Altar und Tür ein Teil säule und das Prätorium, also den Palast des
einer dunkelroten Säule aus Porphyr, einem Pilatus.
Gestein vulkanischen Ursprungs. Seit vie-
len Jahrhunderten wird sie als die Säule
verehrt, an welche Jesus während seiner
Geißelung gefesselt worden sei.
Nach römischem Brauch konnten zum Tod
Verurteilte vor einer Kreuzigung gegei-
ßelt (ausgepeitscht) werden, damit sie viel
Blut verloren und so der Tod am Kreuz
beschleunigt wurde. In Apg 5,40 findet sich
dagegen ein Beispiel für eine Geißelung
der Apostel, die jedoch vom Hohen Rat der
Juden verhängt wurde und die nicht mit
der Todesstrafe verbunden war.
Die Berichte der Evangelien über die Gei-
ßelung Jesu erwähnen keine Säule. Die
Tradition, dass Jesus während seiner Gei-
ßelung an eine Säule gefesselt gewesen sei,
ist jedoch schon sehr alt. Der älteste Beleg
dafür findet sich im Bericht des anonymen
Pilgers von Bordeaux (333 n. Chr.): „Steigt
man auf den Zion, kann man das Haus des
Priesters Kajaphas sehen, wo die Säule ist,
an welche Jesus gebunden war, während er
gegeißelt wurde.“
Das Haus des Kajaphas wurde in den ers-
ten christlichen Jahrhunderten auf dem
                                                Geißelungssäule in der Erscheinungskapelle der
West­hügel Jerusalems gezeigt, dem (christ-
                                                        ­Grabeskirche. © Petrus Schüler
lichen) Zion. Aus dem Zeugnis des Pilgers

1/202011
IM LAND DES HERRN

Dort wurde in byzantinischer Zeit (4.–7. Jh.)       des Kajaphas, wo Petrus den Herrn verriet, am
eine große Kirche (Hagia Sion) errichtet, die       Osthang des Zionshügels. Eine Beschreibung
der Jungfrau Maria geweiht war. Sie vereinigte      Jerusalems aus den Jahren 1131–43 kennt eine
mehrere für Christen heilige Orte, darunter das     veränderte Tradition: Nach ihr sei Jesus, nach
Obergemach (der Abendmahlssaal) und den Ort         seiner Gefangennahme in Getsemani, vom Haus
der Entschlafung Mariens. Diese Basilika wurde      des Hohenpriesters Hannas in das des Kajaphas
im Jahr 614 von den Persern zerstört, später aber   „bei der Säulenhalle des Tempels“ und von dort
wieder aufgebaut. Um das Jahr 685 berichtet der     auf den Zion gebracht worden, „zum Ort des
Pilger Arkulf, dass dort, neben den Steinen, mit    Steinpflasters (Lithostrotos)“. Dieser Platz war
denen Stephanus gesteinigt wurde, auch die Gei-     möglicherweise einfach ein gepflasterter Hof
ßelungssäule aufbewahrt wurde.                      bei der Marienkirche auf dem Zion. Zur Kreuz-
Eine anonyme Lebensbeschreibung von Kaiser          fahrerzeit gehörte dieser Bereich den Augusti-
Konstantin (8.–10. Jh.) beschreibt diese Kir-       ner-Chorherren.
che. Darin war, auf der rechten Seite, das „Haus    Ein namentlich nicht bekannter Pilger aus
der Apostel“, also der Abendmahlssaal, auf der      dem Jahr 1160 lokalisiert das Prätorium links
linken die Porphyr-Säule, an die Jesus während      (nördlich) der Zionskirche in einer Kapelle und
der Geißelung gefesselt war. Möglicherweise war     erwähnt eine zweite Kirche, die an den Ort erin-
diese ursprünglich eine der Säulen aus dem Ein-     nere, wo der Herr gegeißelt und mit Dornen
gangsbereich der Zionskirche.                       gekrönt wurde und wo das Haus des Kajaphas
Während der Kreuzfahrerzeit werden die Erwäh-       gewesen sei. Ihre Ruinen sind heute in der arme-
nungen der Geißelungssäule zahlreicher. Um          nischen Erlöser-(Salvator-)Kirche auf dem Zion,
1106/08 sieht der russische Abt Daniel das Haus     die bis heute auch „Gefängnis Christi“ heißt.

          Erste Station der Täglichen Prozession an der Geißelungssäule.   © Petrus Schüler

121/2020
Geißelungssäule
                                                                          Geißelungssäule
Der Pilger Theoderich kennt das Haus des Kaja-        (1099), es ab, sich zum König Jerusalems krönen
phas und das Prätorium, wo Jesus verurteilt wur-      zu lassen, nachdem er diese Säule gesehen habe,
de, vor der Zionskirche. Dort befand sich zu seiner   denn Jesus war hier mit Dornen gekrönt worden.
Zeit die Salvator-Kirche, in der ein großes Stück     Ein detailliertes Zeugnis über den Verbleib
der Säule verehrt wurde, an die Jesus gebun-          der Säule vom Zion stammt von Bonifatius von
den wurde, nachdem er von Pilatus zur Geiße-          Ragusa (Dubrovnik), Kustos des Heiligen Landes
lung verurteilt worden war. Theoderich berichtet      1551–1560 und noch einmal 1562–1564 (1551
auch von Resten einer weiteren Säule, die in der      wurden die Franziskaner aus dem Abendmahls-
Grabeskirche verehrt wurde, und zwar im Süd-          saal und vom Zion vertrieben). Er beschreibt,
westen des Chorumgangs der Kreuzfahrerkirche.         die Säule gehörte zur Zionskirche und wurde
Sie befände sich unter einem Altar. Das bestätigt     von den Christen als Geißelungssäule verehrt,
der isländische Pilger Abt Nikolaus (um 1150). Er     auch nachdem diese Kirche nach dem Ende der
spricht über dieselbe Säule, östlich vom Hoch­        Kreuzfahrerzeit zerstört war. Die Türken zer-
altar, und erwähnt dort auch einen „Sitz“, auf dem    schlugen die Säule 1558 in Stücke, aber die „Pat-
Jesus nach seiner Dornenkrönung gesessen sei.         res vom Zion“ (die Franziskaner) konnten Teile
Der unbekannte Autor der Lebensbeschreibung           davon bergen. Ein großes Stück davon sandten
Gottfrieds von Bouillon berichtet, dieser „Sitz“      sie nach Rom (in die Kirche Santa Prassede).
habe die Form einer Marmorsäule gehabt und            Einen anderen Teil brachten sie in die Grabeskir-
sei in einer Kapelle des Chorumgangs gestanden,       che und stellten sie in der Erscheinungs­kapelle,
hinter dem Sitz des Patriarchen im Chorraum.          links vom Hochaltar, auf. Ein weiterer Teil blieb
Nach diesem Text lehnte Gottfried, der Anführer       zunächst, in kleine Stücke zerbrochen, auf dem
der Kreuzfahrer bei der Eroberung Jerusalems          Zion, in der Thomaskapelle. Von dort konnte

   Geißelung Jesu, Keramik in der armenisch-orthodoxen Kathedrale Jerusalem.        © Petrus Schüler

1/202013
IM LAND DES HERRN

                    Säule des Judaskusses.   © Petrus Schüler

141/2020
Geißelungssäule
                                                                            Geißelungssäule

           Säule in der griechisch-orthodoxen Kapelle der Grabeskirche.       © Petrus Schüler

Bonifatius weitere Teile einsammeln und sand-        Die Franziskaner hielten die antike Verehrung
te sie als Reliquien an Papst Paul IV., an K
                                           ­ aiser   der Geißelung Jesu stets aufrecht, zunächst auf
Ferdinand, an König Philipp von Spanien, an          dem Zion, nach ihrer Vertreibung von dort in
die Republik Venedig (an den Markusdom) und          der Grabeskirche. Bis heute fängt die nachmit-
schließlich in seine Heimat, die Republik Dub-       tägliche Prozession der Franziskaner in der Gra-
rovnik. – Es sei hier nicht eingegangen auf das      beskirche an der Geißelungssäule an, wo sie den
Problem, dass das Säulenstück aus der Grabes-        Hymnus Salve, columna nobilis singen, „Du hehre
kirche dem aus S. Prassede, Rom, nicht ähnelt.       Säule, sei gegrüßt“. Auch an der zweiten Säule in
Ob nun Jesus während seiner Geißelung an             der Grabeskirche, die der griechisch-orthodoxen,
eine Säule gefesselt war oder nicht, diese Säule     halten sie inne und verehren dort die Verspottung
ist nicht die einzige, die im Heiligen Land die      Jesu (die „Improperien“) und seine Dornenkrö-
Erinnerung an Ereignisse aus den Evangelien          nung, bevor sie von dort auf Golgota steigen.
bewahrt. Ein weiteres Beispiel sei genannt: die      Sowohl die Geißelungssäule als auch die der
„Säule des Judaskusses“, in einer Nische hin-        „Improperien“ sind altehrwürdige Zeugnisse für
ter dem Garten Getsemani, in der Gasse, die auf      die christliche Verehrung nicht in erster Linie von
den Ölberg führt. Diese befand sich bis zum          Steinen, sondern von Ereignissen aus der Heils-
Neubau der Getsemani-Basilika in der Ruine           geschichte. Sie haben einen hohen Symbolwert,
der Kreuzfahrerkirche, dort, wo sich heute die       sie erinnern uns an das Leiden des Sohnes Gottes
Todesangst-Basilika (die „Kirche der Nationen“)      während seiner Passion in Jerusalem. Die Tatsache,
erhebt. Sie wird besonders von den orthodoxen        dass sie sich in der Grabes- und Auferstehungskir-
Christen verehrt und wurde 1919 auf Geheiß           che befinden, schlagen den Bogen dazu, dass das
des damaligen Kustos vor dem Bau der katho-          Leiden Jesu und sein Tod am Kreuz nicht das Ende
lischen Getsemani-Kirche an ihren heutigen           sind, sondern dass Jesus auferstanden ist und lebt.
Ort gebracht, gegenüber vom Eingang der rus-         Die (leicht gekürzte) Übersetzung aus dem Maltesischen
sisch-orthodoxen Magdalenkirche.                     besorgte Gregor Geiger ofm.

1/202015
Heiliges Land in Südtirol –
Die Passionskrippe von
Anton Stabinger in Sexten
II. Teil

P. Gottfried Egger OFM

D      em grossartigen Krippenkünstler Anton         Ölberg: Befage und Betanien,
       Stabinger († 1942) fiel es damals bestimmt    Auftakt zur Karwoche
       schwer, sich von der Geburtskrippe tren-
nen zu müssen. So schuf der Krippenvater eine        Beginnen wir gleich mit dem Ölberg. Dort ist das
weitere Krippe, die nach dreijähriger Bauzeit        kleine Dorf Betfage zu sehen. Hier beginnt der
1929 fertiggestellt wurde. Dieses Mal ist es nicht   Auftakt zur Passionsgeschichte.
mehr eine Geburts- sondern eine Passionskrip-        Noch heute zieht am Palmsonntag von Betfage
pe in streng orientalischer Manier. Wie bei der      aus eine große Prozession der Christen und Pil-
Geburtskrippe spürt man auch hier, dass Stabin-      ger des Heiligen Landes über den Ölberg. Dabei
ger Kenntnisse vom Heiligen Land hat. Er kann        werden die Gläubigen von Patriarchen, Kustos
den Krippenbetrachter tatsächlich für einen          des Heiligen Landes, Geistlichen und Franziska-
kurzen, aber doch intensiven Moment an die           nern begleitet. Die Prozession geht an der Todes-
Orte der Passion und der Auferstehung Christi        angstbasilika vorbei, zur Altstadt von Jerusalem.
führen.                                              Bei der Stabinger Krippe entdecken wir auf der
Unter dieser Fastenkrippe steht eine Inschrift       rechten Seite des Dörfchens Betfage Jesus und
auf einem Tuch, wo Engel die Marterwerkzeuge         Marta. Nach der Überlieferung soll diese Begeg-
in ihren Händen tragen: Kreuz, Schweißtuch,          nung zwischen Betfage und Betanien stattge-
Dornenkrone etc.: „Durch dein heilig. Kreuz und      funden haben. Marta erzählte dem Meister, dass
Leiden, hast du die ganze Welt erlöst.“              ihr Bruder Lazarus gestorben sei. Das ist unter
Wenn man die ganze Passionskrippe im Blick           Joh 11,19–27 zu finden. In diesem Text hören wir
hat, sieht man im Zentrum des Geschehens             u. a. auch die wunderbaren Worte Jesu: „Ich bin
die Heilige Stadt Jerusalem. Ihr gegenüber ist       die Auferstehung und das Leben.“ Joh 11,25.
der Ölberg. Stadt und Ölberg werden durch das        Etwas weiter rechts, am Rand der Krippe sehen
Kidrontal geteilt.                                   wir ein kleines Kirchlein. So hat es der Krippen-

161/2020
Krippen
                                                                                         Krippen
bauer gesehen. Es ist das Kirchlein von ­Betanien.   rundliche Kuppel. Wenn man das Gebäude des
Hier befand sich das Haus der Geschwister            Abendmahlssaales kennt, muss man sagen, es ist
­M arta, Maria und Lazarus. Maria salbte hier        Stabinger gut gelungen, dieses Gebäude darzu-
 Jesus die Füße, vgl. Joh 12,1–7. Wahrscheinlich     stellen. Es ist nicht so leicht als sakraler Bau zu
 ist dort unter den verschiedenen Figuren der        erkennen. Interessant ist, obwohl der Krippen-
 auferweckte Lazarus zu sehen.                       bauer sowohl bei der Geburts- wie auch bei der
 Wir kehren wieder nach Betfage zurück. Ein          Leidenskrippe mehrere Minarette als Wehrtür-
 wenig unterhalb des Dorfes sehen wir Jesus auf      me verwendet, hier fehlt es. Die Minarette gab es
 einem Fohlen reitend. Die Leute breiten Tücher      natürlich zur Zeit Jesu noch nicht, dennoch eig-
 vor ihm aus, einige haben erhobene Arme, man        nen sich diese Türme gut für eine orientalische
 meint die Rufe der Menge zu hören: „Hosanna         Landschaft. Zudem hat Stabinger bei seiner Hei-
 dem Sohne Davids“, vgl. Mt 21,1–10. Jesus zieht     lig-Land-Reise auch viele solche gesehen, z. B.
 am Palmsonntag in die Heilige Stadt ein.            bei der Geburtskirche von Betlehem und diverse
                                                     in Jerusalem.
Berg Zion: Abendmahl                                 Nachdem die Franziskaner aus dem Abend-
                                                     mahlssaal auf dem Zion 1551 vertrieben wur-
Wir kommen nun zum Vordergrund auf die               den, wurde das ganze Gebäude als Moschee ver-
rechte Seite der Passionskrippe. Neben der Stadt     wendet. Das zeigt sich auch durch die Anbrin-
Jerusalem ist der Zionsberg. Hier sehen wir ein      gung des Mihrab (Gebetsnische gegen Mekka
typisch orientalisches Gebäude mit höcker-           hin) und auch durch den Bau eines Minaretts,
förmigen Dächern. Ein Dach hat eine größere          das heute noch dasteht, wie eben erwähnt. Der

                         Abendmahl, Figuren von Angela Tripi.     © Stabinger

1/202017
IM LAND DES HERRN

Abendmahlssaal, wie er sich heute bei einem         geste ein Matzenbrot in seiner Rechten und
Besuch präsentiert, ist ein gotischer Raum. Die     schaut zur Höhe empor …
Ausschmückung stammt aus der Zeit der Fran-         Diese Krippe wurde von Anton Stabinger jun.
ziskaner, die von 1333–1551 hier ihr Zentral­       * 1927, für die neue Krippenausstellung gebaut.
kloster (Sitz des Kustos) im Heiligen Land inne-    Die Tonfiguren sind von Angela Trippi, nach
hatten. Dieser Ort wird für uns Christen als den    einer alten sizilianischen Technik aus dem 18. Jh.
Ort des Letzen Abendmahles in Verbindung            angefertigt. Hier wird der Zuschauer ganz inten-
gebracht, vgl. Lk 22,14 ff., aber ebenso mit dem    siv in die Abendmahlsszene hineingenommen.
Erscheinen des Auferstandenen, vgl. Joh 20,19 ff.   Kehren wir nun wieder zur eigentlichen Pas-
und der Geistsendung an Pfingsten, vgl. Apg.        sionskrippe zurück.
2,1–12.
In der Mitte der Krippenausstellung befindet        Garten Getsemani:
sich eine weitere Vitrine mit einer Abendmahls-
krippe. Mir kommt sie wie eine Ergänzung zu
                                                    Blutschweiß Jesu, Gefangennahme
dem eben Betrachteten vor. Es ist gleichsam         Nach dem Mahl und den Abschiedsreden bega-
eine Innenausstattung zum Abendmahlsgebäu-          ben sich Jesus und die Jünger zum Ölberg. Da
de von vorhin. Die Szene spricht für sich: Man      gibt es eine Grotte, wo sich Jesus immer wie-
sieht Judas auf der rechten Seite von der Tisch-    der zurückgezogen und wo er auch die Jünger
gemeinschaft weggehen. Die Jünger schauen           gelehrt hatte. Sie wird Verratsgrotte genannt. Sie
konsterniert auf ihren Meister oder reden unter     befindet sich unweit des Mariengrabes, dessen
sich. Jesus in der Mitte hält mit einer Segens­     Fassade bei dieser Krippe auch zu erkennen ist.

                                   Gefangennahme      © Stabinger

181/2020
Krippen
                                                                                     Krippen
In dieser Grotte ließ Jesus die Jünger zurück,      Soldaten über die Zedronbrücke geschleppt.
während er sich mit Petrus, Jakobus und Johan-      Unmittelbar daneben im Zedrontal sind die Grä-
nes in den Garten begab und Blut schwitzte, vgl.    ber des Absalom, Jakobus und Zacharias deut-
Mt 26,36–46.                                        lich zu erkennen. Der Zug geht weiter Richtung
Wir sehen das unten am Ölberg gleich über dem       Altstadt.
Zedrontal. Der Garten Getsemani mit den Oli-
venbäumen und Steinen ist von einer Steinmau-       Prätorium: Verurteilung,
er umzäunt. Jesus steht im Getsemani in der
Todesangst, verzweifelt hält er seine Hände an
                                                    Geisselung, Dornenkrönung:
die Brust. Ein wenig weiter links sind die schla-   Ecce Homo
fenden Jünger. „Könnt ihr nicht einmal eine
Stunde mit mir wachen?“ Mt 26,40.                   Beim Evangelisten Johannes lesen wir: „Von Kai-
Danach geht die Szene gleich mit der Gefangen-      phas führten sie Jesus in das Prätorium. Es war
nahme Jesu weiter, die eigentlich hier so nicht     früh morgens. Sie selbst betraten das Amtsge-
zu sehen ist. Der gebundene Jesus wird von den      bäude nicht.“ Joh 18,28.

                                      Geißelung     © Stabinger

1/202019
IM LAND DES HERRN

                                      Ecce Homo     © Stabinger

Im Prätorium des Pilatus vollzog sich ein großer    Minarett, gleichsam einer der Türme der Burg
Teil der Passion Christi: hier wurde Jesus ange-    Antonia.
klagt, verhört, gegeißelt, mit Dornen gekrönt,      Heute gelangt man vom sog. Stefanstor beim
zum Kreuzestod verurteilt.                          Betesda Teich vorbei (S. Anna-Kirche) zum ehem.
Nach Joh 19,13 „setzte sich Pilatus auf den Rich-   Gelände der Burg Antonia, wo Jesus damals ver-
terstuhl an den Platz, welcher Lithostrotos, auf    urteilt wurde. Heute stehen m ­ ehrere Gebäude
Hebräisch Gabbata heißt.“ Das aramäische Wort       auf diesem Gelände. Auf der ­l inken Straßen-
„Gabbata“ bezeichnet ein erhöhtes Gelände. Die      seite ist eine arabische Schule, die Al-Omariye-
Burg Antonia mit ihren Höfen lag auf den hoch-      Medresse genannt wird. Noch heute beginnen die
gelegenen Teilen der Stadt. So steht bei unserer    Franziskaner jeden Freitag um 15 Uhr im Innen-
Krippe Pilatus mit Jesus (im roten Spottmantel)     hof der Schule den Kreuzweg. Gleich daneben
und Barabbas mit Soldaten auf einem Balkon.         auf der rechten Straßenseite ist das Kloster der
Vgl. die Bibelstellen nach Joh 18,38–19,1–5 und     Franziskaner mit der Bibelschule. Sie betreu-
Joh 19,12–16. Pilatus gestikuliert: Ecce Homo;      en die beiden Kapellen der Verurteilung und
Seht welcher Mensch, vgl. Joh 19,5. Die aufge-      der Geißelung im Innenhof. Daneben im glei-
brachte Menge unten ruft stark nach der Frei-       chen Straßenzug steht die Ecce-Homo-Basilika
gabe des Barabbas. Im Hintergrund markiert ein      der Zionsschwestern mit dem gleichnamigen

201/2020
Krippen
                                                                                          Krippen

                                       Kerker      © Stabinger

 ­ onvent. Dort am Beginn der Via Dolorosa steht
 K                                                   darstellen. Unsere Szene hatte sich aber beim
 der berühmte Ecce-Homo-Bogen.                       Haus des Kaiphas ereignet. Dieses Haus wird
 Auf diesem Territorium ist bei unserer K
                                        ­ rippe      nach einer Tradition auf das Terrain verlegt, wo
 auch ein kleiner Raum mit einem Bogen zu            heute die Kirche S. Peter in Gallicantu, St. Peter
 sehen, wo Jesus an einer Säule angekettet, ge-      beim Hahnenschrei lokalisiert wird, ein wenig
 geißelt wird. In unmittelbarer Nähe sehen wir       unterhalb des Abendmahlssaales. Die Kirche
 die Dornenkrönung Jesu, die mit großer Bruta-       wurde erst in den 20iger Jahren des letzten Jahr-
 lität von den Henkern ausgeführt wird. Stabin-      hunderts auf den byzantinischen Überresten
 ger konnte dieses Passionsgeschehen anhand          gebaut. Stabinger konnte sie damals noch nicht
 der franziskanischen Heiligtümern gut in Szene      gesehen haben. Vergleiche nun die B    ­ ibelstellen
­setzen.                                             Mt 26,57 ff., besonders Mt 26,75. Petrus weint
                                                     beim Tor bitterlich. Über dem Torbogen ist der
                                                     mahnende Hahn zu erkennen. Hinter einer Mau-
Gallicantu, Hakeldama                                er ganz nahe bei diesem Geschehen, zählt Judas
                                                     seine 30 Silberlinge, das Blutgeld, vgl. Mt 26,15.
Nicht weit von diesem Geschehen entdecken wir        Kehren wir kurz zum Ölberg zurück. Direkt
ein Stadttor. Es könnte den Ecce-Homo-Bogen          unterhalb der Getsemani-Szene sehen wir Judas

1/202021
IM LAND DES HERRN

                    Verrat des Petrus    © Stabinger

                     Kreuztragung       © Stabinger

221/2020
Krippen
                                                                                      Krippen
Iskariot, mit einem Strick in den Händen. Rechts    Frauen), die zehnte (Kleiderberaubung), die
neben ihm steht in dunkler Gestalt der Teufel,      elfte (Kreuzigung), die zwölfte (Jesus stirbt am
der auf einen Baum hinweist. Diese dramatische      Kreuz) und die vierzehnte (die Grablegung).
Szene war in Wirklichkeit nicht auf dem Ölberg,     Die fromme Tradition und Frömmigkeit haben
sondern im Hinnomtal. Dieses Tal galt für die       die übrigen Stationen dazugefügt: Maria mit
Juden als Tal des Grauens. Am Abhang dieses         Jesus, Veronika, der dreimalige Fall Jesu unter
Tales in das griechisch-orthodoxe Kloster des hl.   dem Kreuz.
Onuphrius. Rechts neben dem Kloster ist nach        In unserer Krippe wimmelt es von Menschen,
alter Tradition der Blutacker, Hakeldama. Vgl.      die den Kreuz tragenden Erlöser auf seinem
Mt 27,8, wo sich Judas an einem Baum erhängte.      letzten Weg begleiten. Maria, die Mutter Jesu (es
                                                    könnte ev. auch eine andere Frau, z. B. Magda­
Aufstieg nach Golgota, Via Dolorosa                 lena) sein, hält die Hände verzweifelt in die
                                                    Höhe, geißelnde römische Soldaten führen
Im Wandeln durch die Straßen und Gassen von         den Zug an. Veronika mit dem ausgebreiteten
Jerusalem, wird das Herz des Pilgers in beson-      Schweißtuch am Wegrand, das bereits das Ant-
derer Weise ergriffen. Auch wenn die Straßen        litz Jesu trägt. Die weinenden Frauen stehen am
und Plätze sich seit der Zeit Jesu sehr verän-      Kreuzweg. Soldaten und Schergen, Fackelträger
dert haben, die alten Straßenpflaster viel tie-     und mit Schildern, die zwei Schächer sind in
fer lagen, so bleibt doch die Stadt Jerusalem       Begleitung von Römern und Juden.
als die hl. Stadt durch die Jesus gegeißelt, mit
Dornen gekrönt, das Kreuz tragend, gewankt          Golgota: „Es ist vollbracht“
ist. Von den 14 Stationen nennt das Evange-
lium ausdrücklich die erste (Verurteilung),         Es folgt nun die Kreuzesszene auf Golgota.
die zweite (Jesus nimmt das Kreuz), die fünfte      Jesus ist gekreuzigt. Sein Kreuz ist in der Mit-
(Simon hilft), die achte (Jesus spricht zu den      te. Es muss unmittelbar nach dem Tod Jesu

                                      Kreuzigung    © Stabinger

1/202023
IM LAND DES HERRN

gewesen sein. „… einer der Soldaten stieß mit      Grablegung, Grab und
der Lanze in seine Seite und sogleich floss        Auferstehung
Blut und Wasser heraus …“ Joh 19,34 f. Der Sol-
dat auf dem Pferd reitend, zieht seine Lanze       Von der linken Seite des Golgotahügels bewegt
zurück. Jesu Seite ist durchstochen. Zu Füssen     sich ein Zug Richtung hl. Grab. Ein Leiter tra-
des Kreuzes hocken die römischen Soldaten,         gender Mann kommt bei einem Landhaus vor-
als wären sie von ihrer Henkerarbeit erschöpft.    bei, das scheinbar das Haus von Josef Arimatäa
Eine Leiter liegt bei ihnen am Boden. Waffen-      ist, vgl. Joh 19,38. Er hat Jesus sein Grab zur
tragende Römer überblicken die ganze S  ­ zene.    Verfügung gestellt. Hinter dem Mann folgt eine
Es beginnt die Finsternis, vgl. Lk 23,44–45.       Gruppe von Leuten, die den Leichnam Christi
Vier Soldaten spielen um das Gewand Jesu, vgl.     tragen. Sie wollen ihn im Grab beisetzen.
Joh 19,23–24. Händeringend steht ein from-         Vor dem Grab Jesu sehen wir den ruhenden
mer Jude unter dem Kreuz. Auf der gleichen         Leichnam in der Grabkammer.
Seite etwas weiter ist Maria, die Mutter Jesu      Nun kommt Bewegung ins Geschehen: Rechts
zu sehen, die liebevoll vom Jünger Johannes        daneben rollen Engel den Rollstein vom Grab
gestützt wird. Noch sind die Worte des Herrn in    weg. Die Soldaten schrecken zurück. Der Auf-
ihren Ohren: „Frau, siehe dein Sohn …siehe dei-    erstandene erhebt sich über dem Grab mit der
ne Mutter“ vgl. 19,26–27. Links und rechts von     Siegesfahne. Über der Grabstätte schwebt eine
Jesus, die beiden Schächer, der rechte wendet      Gloriole mit dem erhöhten Kreuz Christi. Es soll
seinen Kopf gegen Jesus hin, er hört die Worte     das Ende der Welt darstellen, denn die Mensch-
des sterbenden Herrn: „Noch heute wirst du         heit ist durch den Kreuzestod Christi und seine
mit mir im Paradies sein.“ Lk 23,42.               Auferstehung erlöst und wird am jüngsten Tag
Wahrscheinlich gäbe es noch weitere Details, die   auch auferstehen, vgl. Röm 8,11. Engel blasen
mir nicht aufgefallen sind.                        die Trompete. Sie werden flankiert von den vier

                                    Auferstehung    © Stabinger

241/2020
Krippen
                                                                                          Krippen
Evangelisten, die an ihren Attributen erkennbar        ßen, dass Stabinger den Kirchturm der evange-
sind. Vor dem Grab befinden sich Frauen. Sie           lisch-lutherischen Augusta Viktoria im Visier hat-
haben Salbungsgefäße in den Händen und wol-            te, die sich damals bei seinem Besuch im Heili-
len den Leichnam einbalsamieren. Doch Jesus            gen Land noch im Bau befand. Hier beschließen
ist nicht hier, er ist auferstanden, vgl. Lk 24,5–7.   wir die Betrachtung der Passionskrippe.
                                                       All die Hunderte bemalten Holzfiguren, die für
                                                       diese eindrückliche Passionskrippe geschaffen
Himmelfahrt                                            wurden, sind das Werk des Bauern Josef Tschurt-
                                                       schenthaler, Kramer in Moos. Er soll scheinbar
Kehren wir wieder zum Ölberg zurück. Dieser            ohne große Fachausbildung alle diese berühren-
Berg ist im Gesamten eine hl. Stätte. Wie kaum         den Figuren geschnitzt haben. Großartig!
anderswo kam Jesus immer wieder hierher um             Ich meine mit dem Bau dieser Krippe ist Sta-
zu beten, um die Jünger über das Reich Gottes          binger wirklich ein weiteres Werk gelungen,
zu belehren. Von alters her zeigte man oben eine       dass den Besucher seines Krippenmuseums bis
Stelle, wo sich Jesus von den Seinen verabschie-       heute das Hl. Land näherbringen kann. Es gibt
dete und in den Himmel emporfuhr. Da ist heu-          im Museum auch noch Andenken zu bewun-
te eine kleine Moschee zu sehen, die zu byzan-         dern, die der Krippenvater aus dem hl. Land
tinischer Zeit eine Kirche war. Im Innern des          damals mitbrachte. Fast von allen Orten nahm
schlichten Raumes gibt es eine Umfassung, auf          er eine „Reliquie“ mit. Ein Steinchen aus Get-
dem man die Abdrücke der Füße Jesu bei der             semani, ein Korn aus Betlehem etc. Diese Din-
Himmelfahrt zu sehen glaubte und dabei auch            ge ließ er verzieren und in eine Tafel hineinle-
verehrte. Wir lesen den Bericht über die Him-          gen. Da sieht man auch wieder seine Liebe zum
melfahrt Jesu in der Apostelgeschichte: 1,4–10.        Detail.
Bei der Stabinger Krippe sehen wir, wie Jesus          Diese Gedanken möchte ich nun beschlie-
gleichsam mit einem Strahlenkranz zum Him-             ßen mit einem Gedicht, das auch im Krippen­
mel erhoben wird und er dabei seine zurückge-          museum zu finden ist, und das wohl aus Stabin-
bliebenen Jünger segnet, vgl. Lk 24,50–52.             gers Feder stammt.
Im Hintergrund ist ein Kirchturm zu sehen, viel-       Es ist ein Dankgebet an den Herrn, der die Pil-
leicht der 60 m hohe Turm des russisch-orthodo-        ger damals alle diese Stätten sehen und erfahren
xen Klosters. Es ist aber auch nicht auszuschlie-      ließ. Es lautet:

    I.   Wir kehren heim vom hl. Land, wo unseres Heiles Wiege stand, wo Gottes einge-
         borner Sohn herniederstieg vom Himmelsthron.
         Herr, erbarme dich.
    II. Wir schauten froh den hl. Ort, wo Jesus Christ das ewige Wort, durch Beispiel, Lehr
         und Wundertat den Weg zum Heil gewiesen hat.
         Herr, erbarme dich.
    III. Wir grüßen fromm die hl. Stadt, wo Gott für uns geblutet hat, für uns den Kreuzes-
         tod, Tod und Hölle überstand.
         Herr, erbarme dich.
    IV. Wir knieten dort (Wort nicht leserlich!) am Pilgerort, wo Jesu Herz eröffnet (Wort
         nicht leserlich!) Ein Gnadenthron gar wohl bekannt. Für unser Volk und Vaterland.
         Herr, erbarme dich.
         Herr, erbarme dich

1/202025
Malik al-Kāmil
Der unbekannte Sultan

Aquilino Castillo OFM

B
      ei der Begegnung 2019 in Abu Dabhi in         Malik al-Kāmil und die
      den Vereinigten Arabischen Emiraten,          Ayyubiden-Dynastie
      als sich der Islam und das Christentum
einander die Hand gereicht haben, hat Papst         Der Namensgeber der Familie geht bis auf
Franziskus der Welt eine andere Begegnung in        Shirkuh und seinen Bruder Aŷŷūb ibn Shādhī
                                                            ˙
Erinnerung gerufen: die Begegnung des heiligen      ibn Marwān zurück. Sie waren kurdischer
Franziskus mit dem Sultan von Ägypten im Jahr       Abstammung und kamen aus Aŷdamakān in
1219.                                               Armenien. Sie schlossen sich den Truppen
Nach 800 Jahren erinnern wir uns an diese           von Nūr ad-Dīn an, der Aleppo und Damas-
Begegnung. Wir wollen es in einer besonde-          kus erobert hatte und dadurch 1154 Syrien ver-
ren Weise tun: wir wollen einmal den anderen        einigte. 1153 eroberten die Kreuzfahrer Askalon
Gesprächspartner hervorheben. Über ihn wurde        zurück; sie setzten Ägypten unter Druck. Seine
ziemlich wenig geschrieben, er blieb im Schat-      beiden Generäle Shirkuh und Aŷŷūb überzeug-
                                                                             ˙
ten des Heiligen von Assisi fast unbekannt: Malik   ten Nūr ad-Dīn, in Ägypten einzugreifen. 1164
al-Kāmil. Er hat Franziskus freundlich empfan-      eroberten sie Ägypten.
gen und ließ ihn danach in Frieden heimkehren.      Der Sohn Aŷŷūbs, Salāh ad-Dīn wurde der Nach-
                                                                           ˙
Wer war dieser Gesprächspartner?                    folger der beiden Brüder in der Regierung Ägyp-

       Franziskus und der Sultan, moderne Darstellung von Br. Gabriel Gnägy OFM.    © Gnägy

261/2020
Sultan
                                                                                              Sultan
tens. In den christlichen Quellen ist er als „Sala-     al-‘Ādil starb 1218 während der Belagerung der
din“ bekannt; der Kalif von Bagdad erkannte ihn         Stadt Damiette, deren Verteidigung al-Kāmil
als Sultan von Ägypten an.                              kommandierte. Nach seinem Tod wurden die
Die Spannung zwischen Nūr ad-Dīn und Salāh              Herrschaftsgebiete der Ayyubiden zwischen den
                                                  ˙
ad-Dīn nahm ständig zu. 1174 führte Nūr ad-Dīn          drei Söhnen aufgeteilt. al-Kāmil herrschte als
einen Feldzug gegen Ägypten an; auf dem Weg             Sultan von Ägypten, unter ihm die beiden Brü-
dorthin starb er. Salāh ad-Dīn setzte sich gegen        der, al-Mu’āz zam als Herrscher von Damaskus
                       ˙                                             ˙˙
den elfjährigen Nachfolger durch und gewann             und al-Ašraf Mūsā als Herrscher von Mesopota-
ohne blutige Auseinandersetzung die Unterstüt-          mien mit Sitz im Harram.
                                                                           ˙
zung der syrischen Generäle für sich.                   Die Beziehung zwischen den drei Brüdern war
Salāh ad-Dīn ibn Aŷŷūb wird dann historisch             nicht gerade harmonisch. Es kam zu Unstim-
     ˙
als der wahre Gründer der Ayyubiden-Dynastie            migkeiten und Zusammenstößen. Vor allem
anerkannt. Seine Nachkommen regierten Syrien,           gewann al-Mu’āzzam von Damaskus zunehmen-
                                                                         ˙˙
Palästina, Jordanien, Hoch-Mesopotamien, Ara-           de Macht, sodass er als eine Bedrohung für Ägyp-
bien, Jemen und Ägypten während des 12. und             ten erschien. al-Kāmil aber als einzig anerkann-
des 13. Jahrhunderts.                                   ter Sultan von Ägypten hielt die Oberherrschaft
In dieser Periode folgten die Sultane aus dieser        über seine Brüder. Er übernahm auch die Initia-
Familie in Damaskus und Kairo aufeinander.              tive bei den diplomatischen Beziehungen zu den
In Ägypten herrschte der Sultan Malik al-‘Ādil,         lateinischen Königsreichen im Mittleren Orient.
der Bruder des Saladin und Vater vom Malik              Als er 1238 starb er, wurden seine beiden Söhne
al-Kāmil. Als Prinz und Vizekönig spielte Malik         seine Nachfolger, al-‘Ādil II. in Syrien und Sālih
                                                                                                         ˙
al-Kāmil eine sehr aktive Rolle in der Regierung.       al-Aŷŷūb in Ägypten.

                               Kairo, D. Roberts.     © Revista „Tierra Santa“

1/202027
IM LAND DES HERRN

                    Christofano dell Altissimo, Saladin.   © Revista „Tierra Santa“

281/2020
Sultan
                                                                                          Sultan
Malik al-Kāmil und die
abendländischen Christen
Nach dem Fall Jerusalems im Jahr 1187 erlaubte
es Saladin den Christen, die Stadt zu verlassen,
aber nur gegen eine Gebühr. Balian von Ibilín
und der Patriarch Jerusalems selbst bezahlten
den Preis für die Abreise von ca. 10.000 Chris-
ten. Auch al-‘Ādil, der Vater von Malik al-Kāmil,
bezahlte für ca. 5.000 Christen die Gebühren als
Werk der Barmherzigkeit und aus Dankbarkeit
dafür, dass Allah ihm ermöglicht hatte, die Stadt
zu erobern.
Trotzdem sind viele Christen innerhalb der
Stadtmauern geblieben. In diesem Zeitraum
waren die Christen noch in der Mehrzahl. Aktu-
elle Forschungen bestätigen die christliche
Mehrheit in Palästina bis ins 14. Jahrhundert.
Saladin und al-‘Ādil hatten nicht nur mit den
Lateinern im Land zu tun, sondern auch mit
den Lateinern im Mittelmeer. Die Flotten der
Königreiche der Kreuzfahrer und vor allem die              Das Grab Saladins.   © Petrus Schüler
Flotten der italienischen Seerepubliken belauer-
ten immer wieder die muslimischen Herrscher.         Jahr 1202 ausgerufenen vierten Kreuzzugs vom
Um diese Gefahr abzuwehren, hatte Saladin die        Kampf verschont. Zu dieser Zeit war al-Kāmil
Flotte fatimí wiederaufbauen lassen. Die militä-     22 Jahre alt. Er war schon bei der Regierungs-
rischen Unkosten wurden aber sehr hoch und           politik seines Vaters aktiv gewesen und bereitete
haben die Finanzen des Reiches so geschwächt,        sich als sein Nachfolger vor.
dass der Bankrott drohte. Seinerseits versuch-       Der Kreuzzug war ein schwieriges Unternehmen,
te al-‘Ādil, eine mildere Politik zu betreiben: Er   dessen größtes Problem der Truppentransport
traf ein Abkommen mit Venedig, worin er Vene-        war: 4.500 Ritter, 9.000 Schildknappen und
dig Handelsprivilegien gewährte, wie z. B. die       20.000 Infanteristen. Für die Lösung dieses Pro-
Benutzung der Häfen in Syrien und Ägypten            blems bot sich Enrico Dandolo an, der „ehrliche“
und die Eröffnung von Konsulaten in mehreren         Doge Venedigs, der eine Flotte von 50 Galeeren
arabischen Städten. Hingegen hatte sich Venedig      aufbauen ließ und sich auch dazu verpflichte-
verpflichtet, die Kreuzfahrertruppen nicht nach      te, für den Unterhalt der Armee während die-
Ägypten zu verfrachten.                              ser Zeit aufzukommen. Dafür sollte er 85.000
Al-‘Ādil und sein Sohn Malik al-Kāmil pfleg-         Silbermark und die Rechte über die Hälfte der
ten eine Politik der guten Beziehungen zu den        Beute erhalten. Ein Abkommen wurde unter-
Kreuzfahrern. König Richard Löwenherz soll           zeichnet.
Malik al-Kāmil, als er noch elf Jahre alt war, den   Im Juni 1202 war die Flotte fertiggebaut. Da aber
Rittertitel als Zeichen der guten Beziehungen        die Kreuzzugstruppe spürbar kleiner geworden
verliehen haben.                                     war, konnte das festgesetzte Schuldgeld nicht
Aufgrund dieser guten Beziehungen wurde              aufgebracht werden. Venedig gab die Flotte ohne
Ägypten während des von Papst Innozenz III. im       die vollständige Begleichung der Schuld nicht

1/202029
IM LAND DES HERRN

frei. Eine machiavellische Lösung wurde aus-         Heiligen Land eingedrungen sind. Sie hatten
geheckt, nämlich die Hafenstadt Zara (heute          aber keinen großen Erfolg, daher wandten sie
Zadar) dem König Emmerich von Ungarn zu              sich nach Ägypten; sie waren der Meinung, sei-
entreißen und sie Venedig zu übergeben.              ne Eroberung würde den Zugang zu Jerusalem
Der Doge Enrico befand sich plötzlich vor der        eröffnen. So kamen sie 1218 bis ans Nildelta und
unerwarteten Entscheidung, in Konstantinopel         belagerten die Stadt Damiette. Genau in dieser
einzufallen. Ohne lange nachzudenken, führte         Zeit starb al-‘Ādil und al-Kāmil wurde Sultan
er selbst – fast blind und als 70-Jähriger – die     kraft seines Amtes.
Truppen von Zara bis zum Goldenen Horn. Dem          Dann folgten die bekannten Ereignisse: Der jun-
historischen Gedächtnis der östlichen Christen-      ge Sultan stiftete großen Schaden an. Es gab Tau-
heit ist dieses Ereignis bis heute als „der Verrat   sende von Toten unter den christlichen Truppen.
Venedigs“ eingeprägt.                                Am 29. August 1219 wurde ein Waffenstillstand
Die Kreuzfahrer eroberten, plünderten und zer-       geschlossen, der bis zum 26. September dau-
störten Konstantinopel. Das Lateinische Kaiser-      erte. Während dieses Waffenstillstands fand die
reich wurde errichtet und die Ägäischen Inseln       Begegnung des heiligen Franziskus mit Sultan
wurden unter Venedig aufgeteilt.                     Malik al-Kāmil statt. Ohne diese Begegnung wäre
Als Enrico Dandolo starb, wurde er in der Hagia      der fünfte Kreuzzug als eines der größten Desas-
Sophia begraben. Die Kreuzfahrer erreichten          ter des christlichen Westens in die Geschichte
nie Ägypten, da es für Venedig besser war, dass      eingegangen. Dabei zeigte sich Europa zugleich
sie auf griechischem Boden blieben anstatt           als zerstritten; die Herrscher verfolgten ihre
die Handelsabkommen mit den Muslimen zu              eigenen Interessen, dachten nur an sich selbst
gefährden.                                           und an den eigenen Ruhm anstatt daran, die
Zwölf Jahre später rief Papst Innozenz III. einen    Heiligen Stätten zu befreien.
neuen Kreuzzug aus. Er starb aber 1216. Der          Damiette wurde am 5. November dieses Jah-
fünfte Kreuzzug wurde dann von seinem Nach-          res dann von den Kreuzfahrern eingenommen.
folger Papst Honorius III. ausgeführt. Der histo-    Malik al-Kāmil bot den Kreuzfahrern im Aus-
rische Ablauf ist gut bekannt; hier ist nur wich-    tausch für Damiette Jerusalem und die Reliquie
tig zu erwähnen, dass die Kreuzfahrer 1217 mit       des Heiligen Kreuzes an, die er aber eigent-
eigenen Mitteln aus den verschiedenen Ländern        lich gar nicht hatte. Die Kreuzfahrer lehnten
wie Ungarn, Österreich, Frankreich, Italien ins      ab, stattdessen zogen sie mit aller Wucht nach

                                  Damiette    © Revista „Tierra Santa“

301/2020
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