St. Bernhard informiert - Nr. 10 - dom-frankfurt.de
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St. Bernhard informiert Nr. 10 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland – unsere jüdischen Nachbarn im Nordend
2 K ONTAK T 14 22 Beharrlich habe ich auf den Herrn gehofft, da wendete Er sich mir zu und erhörte mein Schreien. 4 6 10 Psalm 40, 2 xy Gemeindehaus, Kindergarten und Kirche St. Bernhard 13 17 28 30 © Titelfoto/Fotos diese Seite: iStock, Dontworry, Steindy, Gottselig, Anne Frank Haus, Amsterdam, Norbert Miguletz © Jüdisches Museum Frankfurt K I RC HE UND KON TAK T Koselstraße 11–13, 60318 Frankfurt a. M. Katholische Dompfarrei St. Bartholomäus P R I E S TERLICH ER M I TA RBEI TER Rektor Dr. Stefan Scholz GEM EI NDEREFEREN T I N N Inhalt SBi Nr. 10 Kirchort St. Bernhard, Eiserne Hand 6, Petra Löbermann 60318 Frankfurt am Main, 4 1700 Jahre Jüdisches Leben 34 pfarrei@dom-frankfurt.de GEM EI NDE A S S I S TEN T I N in Deutschland Stefanie Seubert Ö F F NUNG SZ EI TEN BÜRO S T. BERN HARD HERAU S G EBER 6 Jesus, der Jude! donnerstags 15:00 –18:00 Uhr Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit St. Bernhard: Gemeindesekretärin Manon Weinbrenner Rainer Dinkhauser, Wolfgang Fahrmeier, 10 Der Alte Jüdische Friedhof Telefon (069) 95 90 842 -0 Dr. Klaus Hellermann, Thomas Kirchhoff, in der Rat-Beil-Straße D OMPFAR R EI S T. BAR T HOL OMÄ U S Petra Löbermann, Andre Papp-Kleinjung, Die Katholische Dompfarrei Wolfgang Schäfer, Stefanie Seubert 13 Das „JUDEN-HAUS“ oder auch St. Bartholomäus in Frankfurt a. M. vereint die „GHETTO-Haus“, Gaußstraße 14 KON ZE P T ION , G E S TA LTU NG , HER S TELL U NG Kirchorte Dom St. Bartholomäus – City Allerheiligen – Ostend – KunstKulturKirche Andreas Gottselig, www.GOTTSELIG.net (pro bono) A N REG U NG EN & K R I T I K 17 Stolpersteine zum Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus 43 St. Antonius – Westend stbernhard-informiert@gmx.de St. Bernhard – Nordend I M P UL SE & V ERA N S TA LTU NG EN 19 Advent tiefergelegt 34 Eine Schule mit Herz Deutschorden – Sachsenhausen I N S T. BERN H A RD Texte des Alten Testaments und Verstand St. Ignatius – Westend www.facebook.com/stbernhard.ffm St. Leonhard – Altstadt www.instagram.com/stbernhard.ffm Liebfrauen – City 20 Foto XXL 36 Interview mit Schülern der AUF LAG E Isaak-Emil-Lichtigfeld-Schule P FAR R ER 500 Stück 22 Die Bildungsstätte Anne Frank Dr. Johannes zu Eltz „St. Bernhard informiert“ ist das unregelmäßig 40 Termine in St. Bernhard erscheinende Magazin des Kirchortes St. Bernhard. 28 Jüdisches Gemeindeleben Herzlich willkommen zur Gottesdienstzeiten, Adressen und Termine der in Frankfurt 42 Bilderrätsel Heiligen Messe in St. Bernhard! Dompfarrei St. Bartholomäus entnehmen Sie bitte der sonntags 11:30 Uhr, donnerstags 18:00 Uhr Portugiesischsprachige Gemeinde: monatlich erscheinenden Publikation „PFARRBRIEF“. 30 Das neue Jüdische Museum 43 Impuls sonntags 10:00 Uhr
4 E d i to r i a l E d i to r i a l 5 1700 Jahre und Lukas mit dem „Adam, dem Ursprungsmenschen, der von Gott stammt.“ Deshalb sind wir Christen Jüdisches Leben gut beraten, das Judentum als unsere Wurzel zu achten und unseren Glauben daraus nähren zu lassen. in Deutschland In Deutschland gibt es seit 1700 Jah- ren jüdisches Leben. Ein Erlass des Kaisers Konstantin von 321 erlaubte Unsere jüdischen Nachbarn im Nordend den Juden, sich in Deutschland nie- derzulassen und ihre Religion frei Von Petra Löbermann auszuüben. Dieses Jubliäum wird in D diesem Jahr in ganz Deutschland och aus dem Baumstumpf begangen. Das haben wir als Redak- Isais wächst ein Reis her- tionsteam von St. Bernhard informiert „ vor, ein junger Trieb aus zum Anlass genommen, unsere jüdi- seinen Wurzeln bringt schen Nachbarn in den Blick zu neh- Frucht. Der Geist des HERRN ruht auf Ölbaums, die durch die Verbindung men, Kontakt mit ihnen aufzunehmen ihm, der Geist der Weisheit und der mit Christus in den alten Ölbaum ein- und ihre Geschichte in unserem Stadt- Einsicht, der Geist des Rates und der gepfropft wurden und auch aus seinen teil zu beleuchten. Stärke, der Geist der Erkenntnis und Wurzel“, wie der Apostel Paulus im Wurzeln ihre Kraft bekommen. der Frucht des HERRN.“ (Jesaja, 11. Kapitel des Römerbriefs schreibt: Wir wünschen allen Leserinnen und 11, 1-3) „ist die Wurzel heilig, so sind es auch In unserem neuen Heft „ St. Bernhard Lesern viel Freude beim Entdecken die Zweige. Wenn … du aber als Zweig informiert“ wollen wir diese heiligen neuer Ansichten, manchen Aha- Wir bereiten uns auf Weihnachten vor vom wilden Ölbaum mitten unter Wurzeln des Christentums in den Erlebnissen und hoffen, dass sie selber – das Fest der Geburt des Sohnes ihnen eingepfropft wurdest und damit Blick nehmen. Lust bekommen, auf unsere jüdischen Gottes. Anteil erhieltest an der kraftvollen Nachbarn zuzugehen. Wurzel des edlen Ölbaums, rühme Jesus, der Sohn Gottes, dessen Geburt Mit der Geburt Jesu hat alles angefan- dich nicht. (…) Nicht du trägst die wir feiern, hat seinen Ursprung im Wir wünschen Ihnen auch im Namen gen, in einem Stall zu Bethlehem im Wurzel, sondern die Wurzel trägt jüdischen Volk. Weihnachten, die unseres Pfarrers Johannes zu Eltz Lande Juda. Hier nahm das Christen- dich.“ G eburt Jesu, der christliche Glaube, ein friedvolles Weihnachtsfest und tum seinen Anfang. Doch keine Ge- stehen in enger Verbindung mit der ein segensreiches, neues Jahr 2022! burt kommt aus dem Nichts. Immer Paulus vergleicht den jüdischen Glau- langen Geschichte Gottes mit seinem gibt es ein Davor, eine Geschichte, ein ben mit einem edlen Ölbaum mit auserwählten Volk, ja mit der ganzen Shalom! Zusammenhang. kraftvollen, ja heiligen Wurzeln. Die Menschheit. Zwei Evangelisten haben Petra Löbermann n aus heidnischen Glaubensrichtungen deshalb Jesus auch in einen Stamm- Gemeindereferentin St. Bernhard (Das Vorwort entstand in Anlehnung an die Unser Christentum wurzelt in der kommenden neuen Christen ver- baum hineingestellt. Matthäus startet Arbeitshilfen Advent 2018, jüdischen Religion. Sie ist die „heilige gleicht er mit Zweigen eines wilden den Stammbaum Jesu mit Abraham Katholische Landvolkbewegung Augsburg) © iStock, Gottselig
6 Unsere j ü d i s c h en Nac hb arn im N o r d en d Unsere j ü d i s c h en Nac h b a r n i m N o r d en d 7 läßt uns einen sehr menschlichen Je- Kind gebären soll. Jesus oder hebräisch sus erkennen. Jehoschuah (Gott rettet) soll es hei- Jesus, dessen Geburtstag wir an Weih- ßen. Jesus ist der Messias, der Gesand- nachten bald feiern – ist JUDE! te Gottes, ja Gottes Sohn! Maria, seine Mutter, war eine einfache Lukas kennt die Verheißungen der junge Frau aus dem Volk der Israeliten. Propheten (Jes: Ein neuer Sproß für Jesus, der Jude! Sie war die Verlobte eines Hand Davids Stamm). Der Retter soll in werkers namens Josef – so beschreibt Bethlehem geboren werden – Jesus ist es uns der Evangelist Lukas. der neugeborene König, ein Sohn Sicher waren die beiden mit den Ri- D avids. tualen und Gebräuchen des damaligen Judentums vertraut: Sie hielten sich an Für Matthäus, dem zweiten Evangelis- Von Petra Löbermann die 10 Gebote, Josef ging in das Ge- ten, der über die Kindheit Jesu berich- betshaus der Juden, die Synagoge, tet, war etwas anderes wichtig: Mit der W a ngetan mit Gebetsschal und Kippa, Geschichte der Sterndeuter konnte er ar Maria, die Mutter der kleinen Kopf bedeckung. zeigen, dass fremde Menschen von Jesu, eigentlich ka- weit her gekommen sind, um Jesus als tholisch? Schließ- kirchlichen Glauben, hat sich diese Vor etwa 2000 Jahren gehörte der Ort Gott zu verehren. Herodes ( den ty- lich ist sie die wich- Haltung ausgeprägt: Wir sind die Nazareth, wo Jesus aufgewachsen sein rannischen König der Juden, einge- tigste Heilige, die wir verehren! Christen, unsere Weise, an Gott zu soll, so Lukas, zu Palästina, einer un- setzt vom Kaiser in Rom) stellte er als Und sind Lukas , Matthäus, Markus glauben, ist die einzig richtige, nur wer bedeutenden Provinz des großen rö- egoistischen, machtgierigen König und Johannes evangelisch? Sie haben zur Kirche gehörte, wird gerettet von mischen Reiches. Das jüdische Volk dar, der zu allem fähig ist, sogar zu ja schließlich Bücher über Jesus ge- Sünde und Schuld, nur der kommt in sehnte sich nach einem neuen König, einem Massenmord an Kindern.“ Da schrieben, die Evangelien. den Himmel. „Außerhalb der Kirche einem Messias, der sie von der Fremd- gibt es Parallelen zur Mose-Geschich- kein Heil!“ herrschaft der verhassten Römer te – auch Mose wurde in Ägypten als Für uns Christen ist diese Weltsicht Juden wurden eigentlich nur als die befreite und Israel wieder groß und kleines Kind gerettet und war später weithin selbstverständlich: Jesus angesehen, die Jesus als Gottes Sohn mächtig machen sollte wie zur Zeit der Anführer des Volkes aus dem Skla- Christus hat seine Kirche gegründet. nicht anerkannt haben, die ihn umge- von König David 1000 Jahre zuvor. venhaus der Ägypter. Er führte sein Er ist Gottes Sohn und ist auf die Welt bracht haben oder zumindest umbrin- Sicher haben Maria und Josef auch um Volk in das gelobte Land. Von Gott er- gekommen, um die Menschen zu gen ließen. Bis in die fünfziger Jahre die Ankunft dieses Messias gebetet. hielt er die 10 Gebote für sein Volk. erlösen. des letzten Jahrhunderts findet diese Aber dass diese Hoffnung sich so an- Moses ist sozusagen der Religionsstif- Haltung Niederschlag in Kirchen ders erfüllte – das konnten sie nicht ter des Judentums. Matthäus zeigt mit Er, der von sich sagt „ Ich bin der Weg, bildern und auch in den liturgischen ahnen. Der Evangelist Lukas be- seinem Kindheitsevangelium: Jesus ist die Wahrheit und das Leben“ (Joh) ist Texten zu Karfreitag, wo für die störri- schreibt die Ankunft des Messias so, der neue Mose, der Religionsstifter des der einzige Weg zum Himmel. „Nie- schen Juden gebetet wurde, damit sie dass jeder merkt: Jesus ist der Retter, Christentums. mand kommt (zu Gott, dem)Vater, endlich an Christus glauben. den die Menschen schon so lange er- außer durch mich“ (Joh). wartet haben. Das kommt in der Szene Wie könnte also der Alltag von Jesus, Hier bei uns in Deutschland, das Jahr- Erst die neuere Bibelforschung ab den zum Ausdruck, wo der Engel Maria dem kleinen Judenbengel ausgesehen hunderte geprägt wurde durch volks- 1920ger Jahren weitete den Blick und die Nachricht überbringt, dass sie ein haben? Sehr anschaulich beschreibt es © Gottselig, iStock
8 Unsere j ü d i s c h en Nac hb arn im N o r d en d Unsere j ü d i s c h en Nac h b a r n i m N o r d en d 9 das Thomasevangelium, das es nicht Zenon seinen Eltern, dass er auf dem gelien der Bibel wird von Totenerwe- blieb einfach bei den Gelehrten im in die Reihe der anerkannten Evan Dachrand daneben getreten sei und ckungen berichtet: Jesus und das tote Tempel, stellte Fragen zur Schrift und gelien geschafft hat, da es sehr anek deshalb vom Dach fiel. Jesus war dem- Mädchen Talita kumi, die Lazarusge- hatte auch einige pfiffige Antworten dotisch und legendenhaft ist: nach unschuldig. schichte, die Auferweckung des Jüng- parat, die die alten weisen Männer in ling von Naim. Schließlich seine eige- Erstaunen versetzten. Der Tempel war Jesus und die Tonvögel Jesus und der Wasserkrug ne Auferstehung. für ihn ein Sehnsuchtsort, wo er sich Im Alter von sechs Jahren (in leicht ab- Maria bittet Jesus, ihr doch etwas Gott, seinem Vater sehr nah fühlte – weichenden Schriften ist er sieben) Wasser aus dem nahen Brunnen zu Jesus und das Wasser er verschwendete keinen Gedanken trifft sich Jesus mit anderen Knaben in holen und gibt dem Knaben einen Wasser spielt im Leben Jesu eine große daran, dass seine Eltern sich Sorgen einer verlassenen Lehmgrube. Die Krug mit. Während Jesus mit den an- Rolle: Er lässt sich im Jordan tauf Si- um ihn machten – drei Tage haben sie Kinder formen aus Lehm allerlei Vo- deren Kindern Wasser schöpfen will, cher ging Jesus auch in die Synagoge, nach ihm gesucht! gelfiguren und erfreuen sich daran. entgleitet ihm der Krug und zerbricht. wo er mit den anderen Jungen aus Na- Ein „alter Jude“ (bzw. ein alter Rabbi- Die Kinder sind untröstlich, weil sie zareth lesen und schreiben lernte. Er Als junger Erwachsener arbeitete er ner) sieht dies und schimpft mit den ihre Krüge nicht hergeben können. lernte die Schriften der Propheten vermutlich bei seinem Vater in dessen Kindern, weil Sabbat ist und Hand- Doch Jesus tröstet sie und trägt das kennen, die Geschichte des Volkes Is- Schreinerei mit. Andere Quellen sagen werkskünste am Sabbat untersagt Wasser in seiner Schürze nach Hause, rael mit allen Stammvätern, dem Exo- aus, dass er sich für die Essener in sind. Als Jesus dem Alten sagt, dass es ohne einen Tropfen zu verschütten. dus, das Buch der Psalmen war sein Qumram interessierte, Asketen, die diesem nicht zustünde, die Kinder so (aus: Judith Hartenstein: Kindheits- Gebetbuch. Bei ihm zuhause wurden viel meditierten und auf das Kommen zu schelten, will der Rabbiner die evangelium nach Thomas (KThom). alle jüdischen Feiertage begangen – so des Messias hofften. Daher kommt Lehmfiguren zertreten. Geschwind In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, zündete er zu Chanuka jeden Tag eine vermutlich die Geschichte von seinem klatscht Jesus in die Hände und ruft Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissen- Kerze am Leuchter an und bekam klei- 40 tägigen Aufenthalt in der Wüste, den Figuren zu, sie sollen davonflie- schaftliche Bibellexikon im Internet ne Geschenke, verkleidete sich an Pu- bevor er sein öffentliches Wirken be- gen. Da werden die Figuren lebendig (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff.) rim, und stellte beim Pessahmahl die gann. und fliegen laut schreiend davon. Frage: „Was ist das für eine besondere Legenden sind zwar so nicht passiert, Nacht? “ (Link: jüdische Feiertage) Wie es dann weiterging, ist uns aus Jesus und Zenon sie zeigen jedoch an, was Jesus wichtig den Evangelien bekannt. Interessant Als Jesus mit einigen Nachbarskin- war: Jesus ist der Sohn Gottes, dem Als er zwölf Jahre alt war durfte er ist es, mal mit der Perspektive darauf dern auf den Flachdächern von Naza- Schöpfer der Welt. Gott schuf die Welt zum ersten Mal mit zur Wallfahrt zu schauen, dass Jesus von seiner Her- reth spielt, fällt der kleine Zenon in die aus dem Nichts – der kleine Jesus kann nach Jerusalem – sein Bar Mizwa kunft wirklich durch und durch jü- Tiefe und bleibt tot liegen. Einige Tonvögel lebendig machen. Kinder ( Sohn der Pflicht) stand an – ein Fest, disch geprägt war. Er war jedoch über- Spielkameraden (nach abweichenden sind in der Antike eigentlich rechtlos, wo der Jugendliche zum ersten Mal in zeugt: Ich bin der Sohn Gottes. Gott Schriften sind es Nachbarn) behaup- ihre Meinung hat keine Bedeutung. der Synagoge aus der Schrift vorlesen ist in mir lebendig. Das Reich Gottes ten, Jesus habe Zenon beim Spielen ge- Bei Jesus ist das anders – er zeigt sich darf und so als erwachsenes Mitglied ist hier und jetzt gegenwärtig- Wer an schubst. Jesus bestreitet die Tat und als Kind schon mächtig. In den Evan- der Gemeinde gilt – eine Initiation, mich glaubt, wird das Leben haben – fordert die Eltern des toten Knaben gelien heißt es dazu: Er stellte ein Kind ähnlich wie bei uns Katholiken die über den Tod hinaus. auf, ihr Kind zu befragen. Dazu geht in die Mitte: Wenn ihr nicht werdet Firmung. Jesus zu Zenon hin, sagt zu diesem: wie die Kinder, dann gelangt ihr nicht So können wir uns auf Weihnachten „Erwache!“ und tatsächlich kehrt Ze- ins Himmelreich. Jesus ist der Herr Viele kennen die Geschichte, wie Jesus einstimmen, das Fest der Geburt des non ins Leben zurück. Dann erzählt über Leben und Tod. In den vier Evan- bei dieser Wallfahrt verloren ging – er jüdischen Gottessohnes. n © iStock
10 U n s e r e j ü d i s c h en Nac hb arn im N o r d en d Ansic ht s s ac h e 11 Gräber der Rothschilds Grab von Emma und Henry Budge Inschrift am Eingangstor: prunkvolle Grabmäler, Monumente einer Nacht- und Nebelaktion die „Der Friede möge kommen. des wohlhabenden jüdischen Bürger- trennende Mauer auf einer Länge von Sie werden auf Ihren Lagern ruhen tums und des Geldadels. Sarkophage 12 Metern eingerissen. Das Loch in der und in Seiner Gegenwart wandeln.“ aus Marmor auf meterhohen Podesten. Mauer kann man heute noch sehen. Urnen mit darüber gehängten Grab tüchern oder der Antike nachempfun- Prägende Persönlichkeiten Der Alte Jüdische Friedhof dene, abgebrochene Säulen waren besonders beliebt. Auf dem Friedhof liegen zahlreiche in der Rat-Beil-Straße Spaltung in orthodoxes berühmte Gelehrte und Forscher, be- kannte jüdische Ärzte und Politiker. und liberales Lager Viele Geschäftsleute, Industrielle und Der Alte Jüdische Friedhof an der Rat-Beil-Straße in Frankfurt ist ein Handelsleute, die entscheidend dazu fast märchenhaft verwunschener Ort. Die meisten Passanten, die Dieser neue Bestattungskult behagte beitrugen, Frankfurt zu einer europäi- entlang der hohen Mauer an der vielbefahrenen Straße vorbeilaufen, den Traditionalisten der von der Ge- schen Metropole zu machen sind waren noch nie dort – doch ein Besuch lohnt sich. meinde abgespaltenen Israelitischen ebenfalls vertreten. Sie alle kann man Religionsgemeinschaft (IRG) nicht. hier nicht aufzählen, ich möchte aber Von Rainer Dinkhauser 1886 wurde für sie ein kleiner Teil des ein paar herausragende Persönlichkei- Friedhofsgeländes abgetrennt, auf ten nennen, die hier begraben sind. dem sie ihre Toten in der gleichen Art D Ihren Lagern ruhen und in Seiner er Friedhof ist meist nur spär- wie ihre Vorfahren beerdigen konnten Mit am bekanntesten sind die Fami- lich besucht, Juden gehen Gegenwart wandeln“ spiegelt das – einfache Grabsteine mit hebräischer liengräber der Rothschild Dynastie. nicht oft auf den Friedhof. neue, durch die Emanzipation gepräg- Inschrift. Sie zogen eine Mauer um Der Stammvater, Mayer Amschel Man nimmt keine Blumen mit, sondern te Selbstverständnis der Frankfurter ihr Gräberfeld, gewissermaßen ein Rothschild ist noch auf dem Friedhof legt ein Steinchen auf den Grabstein. Juden wider. Ebenso die Grabstein- steinernes Symbol der Spaltung der in der Battonnstraße begraben. Auf kunst: entsprachen die Grabsteine in Frankfurter Juden in zwei scheinbar dem Friedhof Rat-Beil-Straße sind Fotos: Dontworry (1), Gottselig (1), Rainer Dinkhauser (3) Die Begräbnisstätte an der Rat-Beil- den ersten Jahren nach 1828 noch dem unversöhnliche Blöcke. Jedoch spätes- zwei seiner Söhne begraben. Nahe des Straße wurde 1828 angelegt und seit gewohnten traditionellen Stil, so wur- tens nach der Pogromnacht am 9. No- Eingangs finden wir auch das Grab der Schließung der alten jüdischen den sie im Laufe des 19. Jahrhunderts vember 1938 erkannten auch die letz- von Luise von Rothschild, die 1875 im Grabanlage Battonnstraße bis 1928 ge- immer mehr nach Belieben und den ten Juden, dass die Nationalsozialisten Gedenken an ihre jung verstorbene nutzt. Das klassizistische Eingangspor- finanziellen Möglichkeiten der Hin- keinen Unterschied in der Verfolgung Tochter Clementine das Clementine tal mit der hebräischen Inschrift „Der terbliebenen gestaltet. So entstanden zwischen liberalen und orthodoxen Mädchenspital stiftete (Vorgänger des Friede möge kommen. Sie werden auf auch im jüdischen Friedhof zahlreiche Juden machten. Folgerichtig wurde in Clementinen Kinderkrankenhauses).
12 U n s e r e j ü d i s c h en Nac hb arn im N o r d en d Unsere j ü d i s c h en Nac h b a r n i m N o r d en d 13 Weitere bedeutende Persönlichkeiten, ist nicht nur Frost und Regen schuld, die hier begraben sind: in der NS-Zeit wurde der Friedhof an • Leopold Casella, Gründer der Casella der Rat-Beil-Straße auch geschändet. Farbenwerke Vor allem aber raubten die Nazis • Bertha Pappenheim, eine bedeutende die kupfernen oder bronzenen Buch Frauenrechtlerin staben von den Steinen, um sie für • Paul Ehrlich, Nobelpreisträger, Kriegswaffen einzuschmelzen. Sie Begründer der Chemotherapie fehlen bis heute, wer genau hinschaut, • Leopold Sonnemann, entdeckt noch die Befestigungs Gründer der „Frankfurter Zeitung“ spuren. Ein Förderkreis rund um den (Vorläufer der FAZ) Journalisten und Autor Armin H. • Henry Budge, Bankier, B egründer Flesch sammelt Geld , damit beschä- caritativer Einrichtungen digte Grabsteine wieder in Ordnung Das „JUDEN-Haus“ gebracht und fehlende Namen wieder ergänzt werden können. oder auch „GHETTO-Haus“ Wie gesagt, ein Besuch des Alten Jüdi- schen Friedhofs lohnt sich in jedem Fall. Der Eingang ist eine kleine Pforte rechts neben dem großen Portal. Hier befindet sich auch eine Schautafel, auf Gaußstraße 14 – Ein Haus mit bewegter Vergangenheit auf © privat der man die Lage der bekanntesten dem G ebiet unserer Gemeinde Sankt Bernhard im Frankfurter Ein ganz besonderes Grab befindet Gräber feststellen kann. Der Friedhof Nordend: Mitten unter uns! sich im Gräberfeld der Israelitischen ist frei zugänglich, ausgenommen an Von Wolfgang Fahrmeier Religionsgemeinschaft – das Grab des Samstagen und jüdischen Feiertagen. „Wunderrabbi“ Israel von Stolin (Foto). Von männlichen Besuchern wird das E Aus aller Welt kommen größere Grup- Tragen einer Kopf bedeckung erwartet. ine Straßenecke von meinem meinen Eltern und Bekannten erklärt, pen von Besuchern, um an seinem n Wohnhaus in Kinder- und Ju- dass es sich bei diesen Menschen um Grab zu beten. Wie in Jerusalem an der Lesetipp: Klaus Meier-Ude, Valentin gendjahren entfernt, befindet Juden handele, die in diesem Haus zu- Klagemauer werden am Grab auch Senger „Die jüdischen Friedhöfe in sich das obige Haus. Ich habe in allen rückgezogen wohnen, und die Krieg, kleine Zettel mit den schriftlichen Frankfurt“, Frankfurt, 1985 Straßen der Umgebung Spielkamera- Verfolgung und Deportationen in die Wünschen hinterlegt, die der Rabbi den gefunden, aber nicht in diesem Konzentrationslager überlebt hätten. Grafik 10-Punkte-Challenge: Bistum Limburg erfüllen soll. Jüdischer Friedhof Rat-Beil-Straße Haus. Später fiel mir auch auf, dass oft Vor dem 2. Weltkrieg war hier im Nor- Friedhofsverwalter altmodisch gekleidete und ältere Men- dend Ende des 19. Jahrhunderts/An- Schlendert man durch den Friedhof, der jüdischen Friedhöfe schen aus diesem Haus in die Synago- fang des 20. Jahrhunderts der jüdische Herr Majer Szanckower fallen an vielen Stellen bunte Baustel- ge im Baumweg gingen, die1948 auf Bevölkerungsanteil mit fast 30%, +49 (0)69 76 80 36 7-90 und …-99 lenbänder auf, die um zahlreiche ver- Öffnungszeiten dem Gelände des jüdischen „Oppen- gegenüber dem gesamten Stadtgebiet witternde alte Steine gebunden sind. Winter: 9-15 Uhr, Sommer: 9-18 Uhr heimer‘schen Kindergartens“ errichtet mit ca. 6,5%, überdurchschnittlich Am schlechten Zustand vieler Gräber worden war. Mir wurde damals von hoch. Gottselig ©privat, ©
14 U n s e r e j ü d i s c h en Nac hb arn im N o r d en d Unsere j ü d i s c h en Nac h b a r n i m N o r d en d 15 Umzug aus der Judengasse und Ostend, zugewandt und sich hier hard-Kirche, die Synagoge in der und ruhige Lage. In späteren Jahren niedergelassen. Viele ihrer reicheren Friedberger Anlage. Sie war eine der wohnten auch noch deutsche Mitbür- Nach dem Verlassen der immer enger und angeseheneren Glaubensschwes- größten jüdischen Sakralbauten in ger, Ärzte und Krankenhauspersonal werdenden Altstadt und dem Abriss tern und -brüder wandten sich eher Europa. In diesen Stadtteilen lebten in der Gaußstraße 14, da sich im der letzten Häuser der Judengasse dem vornehmeren Westend zu. Etwa Juden und Nicht-Juden friedvoll Nachbarhaus Nummer 16 – vor dem Ende der 1880er Jahre hatte sich ihre in dieser Zeit werden in Frankfurt neben- und miteinander, obwohl auch Umzug in den Prüfling - das damalige wohlhabende Mittelschicht an den auch weitere Synagogen gebaut und der Antisemitismus wieder zunahm. Bethanien-Krankenhaus befand. Nord- und Nordostrand der sich aus- eingeweiht: 1882 am Börneplatz, Die soziale Schicht hatte für den weitenden Neustadt, dem Nordend 1907 zeitgleich mit unserer St.Bern- Großteil der jüdischen Bevölkerung Im Umkreis waren die Synagogen der eine größere Bedeutung als die Reli- verschiedensten Glaubensrichtungen gion. In einzelnen Straßen, Häusern zu finden: etwa die Hauptsynagoge © Wolfgang Fahrmeier oder Mietparteien fanden sich daher am Börneplatz, die Synagogen an der auch ähnliche Sozialschichten zusam- Friedberger Anlage, in der Börnestra- men. Durch die stark steigende Bevöl- ße, im Hermesweg und in der Schüt- kerung, besonders aus dem Umland, zenstraße. nahmen aber auch die sozialen Unter- schiede zu. Nach Berlin befand sich in Ebenso verschiedene Kulturstätten: Frankfurt die zweitgrößte jüdische Am Tiergarten befand sich die Real- Gemeinde im Kaiserreich. schule der IRG, der Israelitischen Reli- gionsgemeinschaft, etwa dort wo sich Geschäftsleute und Händler heute das Gagern-Gymnasium be findet. Das Haus Gaußstraße 14 wurde erst- mals nach seiner Errichtung im Jahre Synagoge und Philantropin 1912 von christlichen Bürgern be- wohnt. Danach wurde es dann haupt- Ebenfalls in kurzer Entfernung lag der sächlich von jüdischen Händlern be- Oppenheimer‘sche Kindergarten im zogen, die ihre früheren Trödelläden Baumweg, der 1948 in die oben schon aufgaben und zu einem geregelten und erwähnte kleine Synagoge umgebaut regen Geschäftsleben übergingen. wurde und nicht zu vergessen, das 1908 in der Hebelstraße errichtete Die allgemeine Wirtschaftsentwick- Philanthropin als Real- und Höhere lung und die eingeführte Gewerbe- Mädchenschule der Israelischen Ge- freiheit ermöglichte den jüdischen meinde. Einwohnern diesen Schritt; zuvor waren sie an bestimmte Handelszwei- Auch das 1875 gegründete jüdische ge gebunden. Die ersten jüdischen Be- Krankenhaus (heute: Rotes Kreuz wohner schätzten an diesem Viertel - Krankenhaus) lag in unmittelbarer genauso wie wir heute – die zentrale Nähe in der nach dem jüdischen Ban-
16 U n s e r e j ü d i s c h en Nac hb arn im N o r d en d Unsere j ü d i s c h en Nac h b a r n i m N o r d en d 17 kier Isaac Löw Königswarter benann- ten Straße (ehemals: Grüner Weg). hatte die Straße und das Haus genau im Visier. Stolpersteine zum Machtergreifung Ein tiefgreifender Einschnitt erfolgte Gedenken an Opfer etwa ab September 1941. Jüdische Nach der „Machtergreifung“ der NSDAP erhöhte sich sprunghaft der Mitbürger wurden von der GESTAPO als Untermieter zwangseingewiesen, des Nationalsozialismus jüdische Bewohneranteil im Haus, wenn deren Wohnung enteignet, weil die Nationalsozialisten Juden und zwangsgeräumt oder ihr Eigentum be- Markierung der Tatorte von Deportationen © privat „Arier“ in ihren Lebensweisen zu schlagnahmt wurde, oder denen eine Von Klaus Hellermann trennen versuchten. Die Nationalso- Deportation in Konzentrations- oder zialisten hatten in der Innenstadt und Arbeitslager bevorstand. Und das auch hier im Nordend ihre Hochbur- nicht nur in freigewordene Woh- W gen. nun¬gen, sondern auch in noch be- er mit offenen Augen Bereits diese kurzen Informationen wohnte Wohnungen. Fremde Fami- durch die Straßen des auf dem Stolperstein geben dem Opfer Zum 1. April 1933 wurde zum Boy- lien und Personen mussten dann hier Frankfurter Nordends seinen Namen wieder, seine Identität. kott jüdischer Geschäfte, Ärzte und miteinander auf engstem Raum aus- geht, wird auf den Gehwegen immer Dadurch, dass der Stein vor dem Haus Rechtsanwälte aufgerufen. In Frank- kommen. wieder auf kleine in das Pflaster einge- liegt, in dem das Opfer zum Zeitpunkt furt erhob sich kein Widerspruch lassene Bronzetäfelchen stoßen, etwa seiner Deportation gewohnt hat, gegen diesen Boykott, es gab keine So- Allein in Frankfurt soll es bis 300 sol- zehn mal zehn Zentimeter groß: Stol- werden wir in unserm Alltag an den lidarität mit den jüdischen Geschäfts- cher Häuser gegeben haben. Das be- persteine, die an Opfer des National- betreffenden Menschen erinnert. leuten. Unser damaliger Pfarrer und stehende soziale Umfeld dieses Hau- sozialismus erinnern. Die allermeis- späterer Stadtdekan Alois Eckert ses geriet dadurch aus den Fugen. ten dieser Opfer waren Juden. Oft Wer ein wenig im Internet recher- war hier eine Ausnahme. Er „ap- Während draußen Hassparolen und finden sich mehrere Stolpersteine vor chiert, findet auf den Seiten der Stadt pellierte an das christliche Gewis- Schilder wie „Juden raus“, „Juden un- einem Haus, manchmal auch nur Frankfurt und bei der „Initiative sen seiner Gemeinde wegen dieses erwünscht“, „Deutsches Geschäft“ einer. Stolpersteine in Frankfurt am Main“ himmelschreienden Unrechts“. oder „Juden werden hier nicht be- weitere Informationen über die dient!“ überall präsent waren, war das Vor dem Haus Eiserne Hand 5, schräg Menschen, an die die Stolpersteine er- Emigration Haus Gaußstraße 14 für die jüdischen gegenüber vom Gemeindehaus St. innern. So auch über Friedrich Mayer: Bewohnerinnen und Bewohner ein Bernhard, findet sich zum Beispiel ein Er besuchte das Gymnasium in Straß- Fotos: ©Dr. Klaus Hellermann, iStock, Montage: www.Gottselig.net Gegen Ende der 30er Jahre des letzten Ort der Geborgenheit und des Rück- Stolperstein, der an Friedrich Mayer burg und heiratete dort eine evangeli- Jahrhunderts wurden die Bewohner zuges. erinnert. Auf dem Stein steht: sche Christin. Im Ersten Weltkrieg des Hauses, außer alten und gebrechli- war er Soldat, zurück in Frankfurt chen, zur Zwangsarbeit verpflichtet. Im Winter 1943/44 endete sehr Hier wohnte gründete er ein Kaufhaus für Textilien Nach Möglichkeit versuchten viele Be- wahrscheinlich die Nutzung dieses Friedrich Mayer und Haushaltswaren. Das Paar wohn- wohnerinnen und Bewohner ins Aus- Hauses als Ghettohaus. Die sich noch Jg. 1888 te unweit von ihrem Kaufhaus in der land (Amerika, Niederlande) zu emig- im Hause befindlichen Juden mussten verhaftet 1939 Buchenwald Hanauer Landstraße. rieren. Das in der Merianstraße/Ecke in das durch Fliegerangriffe gefährdete deportiert 1943 Auschwitz Aufgrund der nationalsozialistischen Gaußstraße befindliche Polizeirevier Frankfurter Ostend übersiedeln. n ermordet 25.8.1943 Boykotte ging der Umsatz des Kauf-
18 Unsere j ü d i s c h en Nac h b a r n i m N o r d en d 19 „Durch den Gedenkstein vor „Jeder persönliche Stein seinem Haus wird die Erinnerung symbolisiert auch die Stolperstein für Lina Liese (genannt Die Ausstellung zeigt, genau wie die an diesen Menschen in unseren Gesamtheit der Opfer, Liesel) Carlebach vor dem Haus Gauß- Stolpersteine, dass jede Lebensge- Alltag geholt.“ denn alle eigentlich nötigen straße 16. schichte, in die der nationalsozialisti- Steine kann man nicht Liesel wurde von ihren Eltern Moritz sche Staat mit größter Brutalität, bis verlegen.“ und Sophie Carlebach im März 1939 hin zur körperlichen Vernichtung, mit einem sogenannten Kindertrans- eingegriffen hat, eine individuelle und port nach England geschickt. Da war einzigartige ist. Als Nachgeborener © Steindy sie 15 Jahre alt, ihre Eltern sah sie nie schaue ich, und so wird es vielen von wieder. Ihr Lebensweg, und der von uns gehen, fassungslos auf das Ge- Gunter Demnig, Erfinder der Stolpersteine sechs weiteren Kindern, wird in einer schehene, und ich spüre eine große noch bis 15. Mai 2022 zu sehenden, Trauer. Aber die Erinnerung bestärkt hauses nach 1933 immer mehr zu- wurden, überall in der Stadt lebten. berührenden Ausstellung in der Deut- uns hoffentlich auch darin, Entwick- rück, bis es dann ganz schließen muss- Über die Stadt verteilt fanden sich schen Nationalbibliothek nachge- lungen und Ideen, die auch nur ansatz- te. Im Zusammenhang mit den Synagogen, jüdische Schulen, Ausbil- zeichnet („Kinderemigration aus weise totalitär, faschistisch, antisemi- Novemberpogromen war Friedrich dungsstätten und Wohlfahrtseinrich- Frankfurt“, vorherige Anmeldung er- tisch oder rassistisch sind, unmittelbar Mayer 1938/1939 in Buchenwald in- tungen. forderlich). und entschieden entgegen zu treten. n haftiert. Seine Frau weigerte sich, sich von ihm scheiden zu lassen. 1940 Die Ausgrenzung und Entrechtung wurde die Familie aus ihrer Wohnung der jüdischen Mitbürgerinnen und in der Hanauer Landstraße vertrieben Mitbürger fand vor den Augen der Advent tiefergelegt und zog in die Eiserne Hand 5. Stadtbevölkerung statt und wurde Friedrich Mayer musste Zwangsarbeit offensichtlich von der übergroßen leisten, bei der Stadtreinigung und in Mehrheit der Bevölkerung stillschwei- alrefe- Gemeinde- und Pastor D diversen Betrieben. 1943 wird er nach gend hingenommen. Auch die spätere er Ausbildungskurs der zud em auc h unsere Ge- Lim bu rg, rent*innen des Bistum gestaltet jähr- Auschwitz deportiert. Mit Schreiben Deportation ihrer jüdischen Nachba- fanie Seubert gehört, meindeassistentin Ste ele gt“ . Die Ak tion lädt „Advent tief erg vom 7. September 1943 teilte die rinnen und Nachbarn kann den Men- lich das Adventsprojekt Tes tam ent ausein- t mit Texten des Alten Kommandantur des KZ Auschwitz schen nicht verborgen geblieben sein. dazu ein, sich im Adven Im pu ls nac h zu gehen. jeden Tag einem seiner Frau mit, dass ihr Mann einige Die Stolpersteine fordern uns dazu ander zu setzten und r täglich einen gestal- Tage zuvor an Herzmuskelschwäche auf, weiter zu fragen, wie es so weit ber gibt es dieses Jah Vom 1. bis 24. Dezem , dran denken ben, in-den-Weg-kleben gestorben sei. kommen konnte. teten Post-It zum Aufkle un ter dem Impuls Hilfe der Bibelstelle oder verschenken. Mit tste lle des Alt en Testament ende Tex Durch die vielen Stolpersteine, die auf Auf den allermeisten Stolpersteinen kann man die entsprech glic hke it zur Rück . Zudem gibt es die Mö in der Bibel nachlesen Ad ven tss am sta gen Initiative des Künstlers Gunter Dem- beginnt die letzte Zeile mit dem Wort stausch an den meldung und zum Au The olo gin an der katholischen nn (Di pl. nig im Nordend und auch in anderen „ermordet“. Nur auf ganz wenigen mit Gabriele von Erdma urt.de. erdmann@khg-frankf Stadtteilen inzwischen verlegt wurden, Steinen ist zu lesen: „befreit“ oder Hochschulgemeinde): wird deutlich, dass die ungefähr „überlebt“. Auf manchen Stolperstei- 1. Advent in tskalender liegt ab dem Dieser „andere“ Adven kos ten los en Mitnahme 12.000 jüdischen Mitbürgerinnen nen, die an überlebende Opfer erin- mpfarrei zur den Kirchorten der Do n rat reicht). und Mitbürger, die Opfer der national- nern, findet sich der Hinweis „Kinder- bereit (solange der Vor sozialistischen Vernichtungspolitik transport“. So zum Beispiel auf dem tumlimburg.de dvent-tiefergelegt.bis Weitere Infos: https://a © iStock
20 F oto X X L F oto X X L 21 Ich sehe einen , der noch kommt! Ein Stern leuchtet auf in Jakob, ein Herrscher erhebt sich in Israel!“ Num 24,17 Frohe Weihnachten und ein gesegnetes neues Jahr 2022! © Gottselig
Fotos: Anne Frank Haus, Amsterdam 22 U n s e r e j ü d i s c h en Nac hb arn im N o r d en d 23 Ein Leben ohne die Anne in der Zeit im Versteck über das schwierige Leben dort geschrieben Hass und Gewalt hatte. Durch ihre bewegenden Schil- derungen wurde Anne Frank nach ihrem Tod weltberühmt. Es hat jedoch sehr lange gedauert, bis die Frankfur- Dies war der größte Wunsch von Anne Frank, eine der bekanntesten Opfer des ter begannen, einer ihrer bekanntesten Holocaust und berühmte Tochter Frankfurts. Die Bildungsstätte Anne Frank Autorinnen zu gedenken und ihre orientiert sich an diesen Wunsch und ermutigt zur Auseinandersetzung Botschaft zu erhalten. mit den Themen Gewalt, Diskriminierung und Antisemitismus. Die Bildungsstätte Anne Frank Von Stefanie Seubert 1933 emigrierte die Familie nach Amsterdam. 1997 wurde die Bildungsstätte Anne B Frank in der Nähe von Annes Eltern- is zu meinem vierten Le- haus im Stadtteil Dornbusch einge- Bereits im März 2019 wollten wir des- bensjahr wohnte ich in richtet. In Workshops, Fortbildungen halb mit Jugendlichen aus unserer Ge- 1 Vgl. : www.bs-anne-frank.de Frankfurt …“ Anne Frank und interaktiven Ausstellungen kön- meinde die Bildungsstätte Anne Frank „ schrieb diesen Satz im Juni nen Jugendliche und Erwachsene besuchen. Aufgrund der Corona- 1942 in ihr Tagebuch. Die Vorfahren lernen, wie aktuelle Formen von Anti- Pandemie musste dieser Besuch leider von Anne Frank lebten über Jahrhun- semitismus, Rassismus und Diskrimi- entfallen. Momentan wird die Bil- derte hinweg in Frankfurt. Sie wurde nierung erkannt werden und was man dungsstätte umstrukturiert. Ab dem am 12. Juni 1929 in unserer Stadt ge- dagegen tun kann. Die Bildungsstätte Frühjahr 2022 werden dort wieder boren und wohnte diese ersten vier ist kein Museum, sondern ein Ort der Besucher empfangen. Auch wir wollen Jahre im Stadtteil Dornbusch (Mar- Auseinandersetzung und Debatte. 1 dann die neuen Angebote nutzen. bachweg 307 und Ganghoferstraße 24). Wer Interesse an diesem Besuch hat ( Jugendliche ab ca. 12 Jahren und Er- Passbild von Anne Frank, Mai 1940 Aufgrund der politischen Lage musste wachsene) kann sich bei mir melden: Anne mit ihren Eltern und ihrer älte- Anne Frank, wurde am 12. Juni 1929 s.seubert@dom-frankfurt.de. in Frankfurt am Main geboren. ren Schwester Margot Frankfurt 1933 verlassen. Sie zogen nach Amsterdam Doch auch in der Zeit der Pandemie und hofften, dort in Sicherheit vor den Deshalb versteckte sich Anne mit gibt es die Möglichkeit, sich für den Anfeindungen gegen Juden durch die ihrer Familie im Juli 1942 in dem Hin- Wunsch von Anne Frank, eine Welt Politik Adolf Hitlers zu sein. Doch mit terhaus des Hauses, in dem ihr Vater ohne Hass und Gewalt, einzusetzen. der Besetzung der Niederlande durch Otto Frank gearbeitet hatte. Im Au- So findet man viele Informationen die Nationalsozialisten 1940 kam es gust 1944 wurden sie dort entdeckt und Online-Angebote auf der Inter- auch dort zu antijüdischen Gesetzen und in Konzentrationslager gebracht. netseite der Bildungsstätte: https:// und Gewalttaten. Ab Juni 1942 wurde Anne starb an Typhus in Bergen-Bel- www.bs-anne-frank.de n mit der Deportierung der Juden in sen. Ihr Vater überlebte als einziger Konzentrationslager begonnen. und veröffentlichte die Tagebücher, Quelle: www.bs-anne-frank.de
24 I nte r v i e w I nte r v i e w 25 Die Henry und Emma Budge-Stiftung ist ein Ort, an dem sich Juden und Nichtjuden gleichermaßen zu Hause fühlen und in einer Atmosphäre der Sicherheit und Geborgen- heit gemeinsam ihren Alltag gestalten. Im Sinne des Stifterehepaars Henry und Emma Budge und gemäß der Stiftungsurkunde von1920 basiert das harmonische Zusammenle- ben auf gegenseitigem Respekt und der Akzeptanz des Anderen. Dies ist für Deutschland einmalig. In der 2003 neu erbauten Wohnanlage befinden sich über 170 Ein- und Zwei- zimmerwohnungen. Alle Wohnungen sind behindertengerecht ausgestattet. Dialog sehr interessiert. In meiner Ausbildung zur Pfarrerin habe ich mein Spezialpraktikum in der Ge- denkstätte Jad Vaschem in Israel absol- viert. Das hat mich sehr geprägt. Später bin ich mit meinem Mann Da- vid Schnell, der auch evangelischer Pfarrer ist, dem Arbeitskreis „Im Dia- log“, das ist der jüdisch-christliche Arbeitskreis unserer evangelischen Unser Landeskirche, beigetreten. Und nun bot sich die Gelegenheit, auch in einer jüdisch-geprägten Einrichtung zu arbeiten. „Budge“-Heim! Gibt es noch mehr Seelsorger* innen in dem Haus? © Foto: Dontworry Wir sind ein multireligiöses Team mit unterschiedlich großen Stellenantei- len: Außer mir gehört noch ein katho- lischer Priester Josef Anumnu und Rabbi Steimann dazu. Rabbi Steimann ist eigentlich am meisten präsent, ich Die evangelische Pfarrerin Melanie Lohwasser erzählt über ihre Arbeit Seit meine Tochter etwas älter gewor- komme am Donnerstag und Freitag © Gottselig in einem Altenheim für jüdische und nichtjüdische Bewohner. den ist, bot es sich an, mit den restli- regelmäßig, manchmal auch sonntags. Das Interview wurde von Petra Löbermann (l.) geführt. chen 50 % etwas Neues zu beginnen. Der Priester wird meist gerufen, um die Krankensalbung zu spenden oder Wie kommt es, dass Sie dann aus- die Hauskommunion zu bringen. Petra Löbermann: Melanie Lohwasser: gerechnet in einem jüdisch gepräg- Liebe Frau Lohwasser, eigentlich Richtig, ich bin mit einem Beschäfti- ten Heim arbeiten wollten? Werden im Haus auch Gottes- sind Sie doch Pfarrerin in der gungsumfang von 50 % in der Ge- Schon als junge Studentin der Theolo- dienste gefeiert? Luthergemeinde, oder? meindearbeit hier im Nordend tätig. gie hat mich der jüdisch-christliche Es gibt im Haus eine Synagoge und
26 I nte r v i e w I nte r v i e w 27 eine christliche Kapelle – beide sind Feiern teil. Gerade haben wir das Jahre, bis ein neues Heim in Seckbach In ganz Europa einzigartig, da hast du gleich groß. Laubhütten-Fest begangen – und es erbaut werden konnte. Die ersten Be- recht. Die christlichen Feiertage wie Weih- mit dem christlichen Erntedankfest wohner zogen 1967 auf dem Frank- nachten und Ostern werden gemein- verbunden. furter Lohrberg ein. Wie sieht denn dein Arbeitsalltag sam begangen aber natürlich auch die im Budge-Heim aus? jüdischen Feier – und Gedenktage. Im Wie kam es eigentlich dazu, dass Es war ein großes Wagnis: in das Haus Ich mache Geburtstagsbesuche, bei al- Advent und in der Fastenzeit finden im Budge-Heim so großen Wert zogen jüdische ältere Menschen, die len Besuchern. Ich führe Seelsorgsge- ökumenische Gottesdienste statt. Be- auf Interreligiösität gelegt wurde? die Shoah überlebt haben, genauso wie spräche. Bei Bedarf bete ich auch mit sonders eindrücklich sind für mich Das Stiftungs-Ehepaar Emma und nichtjüdische ältere Menschen, die in einzelnen Bewohnern. immer die interreligiösen und ökume- Henry- Budge hat vor etwa 100 Jahren der Kriegszeit und der Zeit der großen Sonntags halte ich in regelmäßigen nischen Andachten wie zur Woche der bei der Gründung schon großen Wert Judenverfolgung und Vernichtung Abständen evangelische Gottesdiens- Brüderlichkeit – die ja von den Gesell- darauf gelegt, ein Heim für Senior*in- schon erwachsen waren. te ab, zu denen auch nicht-evangeli- schaften für christlich-jüdische Zu- nen zu schaffen, wo Begegnung zwi- sche Bewohner und Bewohnerinnen sammenarbeit ausgerichtet wird, schen jüdischen und andersgläubigen Wie kann da Verständigung und Ver- kommen. „Budge“ beteiligt sich immer mit einer Menschen möglich ist, wo Respekt, söhnung passieren? Wie können die Zusammen im Seelsorgsteam organi- Andacht. Sehr berührend finde ich Toleranz und Interesse an dem jeweils zementierten gegenseitigen Vorurteile sieren wir interreligiöse Gottesdienste auch, wenn wir Chanukka und Advent anderen Glauben gelebt wird. Die Stif- aufgebrochen werden? und Feiern z.B. zur Woche der Brüder- mit einer Andacht gemeinsam feiern. tung gibt es seit 1920. In der Stif- lichkeit, die von der jüdisch-christli- Und gemeinsam im Gottesdienst an tungssatzung steht: „Die Wohltaten Es ist vor allem den Bewohnerinnen chen Gesellschaft im Frühjahr ausge- die Bewohnerinnen und Bewohner der Stiftung sollen Juden und Christen und Bewohnern und auch dem inter- richtet wird. Auch die Feiern zum gedenken, die im vergangenen Jahr je zur Hälfte zugute kommen.“ Dieser eligiösen Seelsorgeteam zu verdan- Shoah-Gedenken begehen wir alle ge- gestorben sind. Grundsatz wurde immer umgesetzt. ken, dass das gelungen ist. In der ers- meinsam. Das erste Heim wurde 1930 im ten Zeit wurden wie überall in der Außerdem stehe ich gern zur Verfü- Wie sieht denn die Beteiligung der Frankfurter Stadtteil Dornbusch ein- Gesellschaft die schrecklichen Erleb- gung, um Schulklassen, Firmgruppen Bewohner daran aus? geweiht. Dem Budge-Heim waren nur nisse eher verdrängt. Erst ab 1990 ent- oder Gemeindegruppen mit der Bud- In der Budge-Stiftung leben Menschen wenige Jahre des religionsverbindenen stand so etwas wie eine gemeinsame ge-Stiftung bekannt zu machen. Auch aus aller Welt zusammen, unter ihnen Lebens und Arbeitens im Sinn der sei- Kultur des Gedenkens. in St. Bernhard! jüdische sowie katholische, orthodoxe ner Stifter vergönnt. In der Zeit des und evangelische Bewohnerinnen und Nationalsozialismus wurden die jüdi- Bis heute ist es sehr anrührend, wenn Das ist ja eine gute Idee. Wir kom- Bewohner, wobei die Protestanten/ schen Bewohner*innen zum Auszug ich mit allen Bewohnern an der Ge- men sicher auf das A ngebot zurück. Protestantinnen die größte Gruppe gezwungen – viele überlebten das Ter- denkfeier an die Shoah teilnehme – Herzlichen Dank für das Gespräch. bilden. Selbstverständlich gibt es auch rorregime nicht. Eine kleine Gedenk- und die Holocaust-Überlebenden für w n Bewohner und Bewohnerinnen mit stätte vor dem heutigen Heim in Seck- ihre Lieben, die durch den Nazi-Terror anderen Religionszugehörigkeiten bach erinnert an ihre Schicksale. umgekommen sind, eine Kerze ent- Mehr zur Emma- und Henry-Stiftung: und eine recht große Gruppe, die nicht zünden. www.budge-stiftung.de/religioeses- leben.html religiös gebunden ist. Die Stiftung wurde von den National- sozialisten zu Unrecht aufgelöst. Nach Das ist ja wirklich eine außerge- Lesenswert ist auch die Festschrift zum 100-jährigen Bestehen. Die meisten sind interessiert, einige dem Krieg wurde sie wieder einge- wöhnliche Form des Zusammenle- Zu beziehen bei der Stiftung. nehmen gerne auch an den jeweiligen setzt. Es dauerte jedoch noch zwanzig bens im Alter.
28 U n s e r e j ü d i s c h en Nac hb arn im N o r d en d Unsere j ü d i s c h en Nac h b a r n i m N o r d en d 29 Jüdisches Gemeinde- weg - an der Grenze zum Nordend, welches bis 1938 ein Kindergarten der Moritz und Johanna Oppenhei- Frankfurt können sich alle Juden wohlfühlen – von säkular bis ortho- dox.“ Leider konnten sich Juden in leben in Frankfurt mer’schen Stiftung war. Im Gegensatz zu der Westend-Synagoge wurde das Gebäude im Krieg nicht beschädigt. Frankfurt über Jahrhunderte hinweg nicht wohlfühlen. Jede/Jeder von uns kann sich dafür einsetzen, dass diese Es ist Freitagabend, die Lichter des siebenarmigen Leuchters werden entzündet, Eher schlicht, unscheinbar, aber hell Zeilen auf der Homepage der Jüdi- Shabbat wird gefeiert, der wöchentliche Feiertag der Juden. Fast 7000 Mitglie- und freundlich wirkt die Synagoge am schen Gemeinde nicht verschwinden. der der jüdischen Gemeinde Frankfurt können derzeit ihren wöchentli- chen Feiertag in sechs Synagogen oder Gebetsträumen in Frankfurt und © privat Bad Homburg begehen. Von Stefanie Seubert D ie jüdische Gemeinde ist Menschen der Frankfurter Jüdischen heute ein fester Bestand- Gemeinde an. Die NS-Zeit von 1933- teil der Frankfurter Stadt- 1945 zerstörte das jüdische Leben in gemeinschaft. Die Anfän- Frankfurt komplett. Vielen Gemein- ge des jüdischen Lebens in Frankfurt demitgliedern gelang es, rechtzeitig reichen bis in das 12. Jahrhundert zu- Deutschland zu verlassen. Dennoch © Karsten Ratzke rück. Leider wurde das jüdische Ge- starben 12.000 Frankfurter Juden in meindeleben eine sehr lange Zeit ge- Vernichtungslagern. Nur noch 800 trübt durch Verfolgungen oder die Mitglieder zählte die Jüdische Ge- Zuweisung der Juden an die Stadt- meinde bei ihrer Neugründung nach Gemälde der Synagoge in der Friedberger Anlage von Wilhelm Freund (1860-1937). Die grenze, wo später das Frankfurter dem Krieg – vor allem überlebende Ju- Synagoge wurde 1907 geweiht und während der Novemberpogrome 1938 zerstört. 1942 entstand ein von französichen Kriegsgefangenen errichteter Hoch-Bunker. Ghetto in der Judengasse entstand. den des Holocaust aus Osteuropa. Erst nach der bürgerlichen Gleichstel- lung 1864 existierte allmählich auch Wiederaufbau der Gemeinde in anderen Stadtteilen von Frankfurt nach dem Zweiten Weltkrieg Baumweg heute. Nach dem Krieg war Antisemitismus darf in Frankfurt kei- jüdisches Gemeindeleben. Es gab sie der zentrale Punkt des Wiederauf- ne Chance mehr haben. Ganz wichtig zahlreiche Gebetshäuser und neben Im Juli 1945 wurde der aus Theresien- baus der jüdischen Gemeinde. 1947 sind aus meiner Sicht Austausch und der Hauptsynagoge in der Judengasse stadt zurückgekehrte Rabbiner Dr. wurden die Räumlichkeiten im Erdge- Begegnung mit- und untereinander. die Synagoge am Börneplatz. 1907 Leopold Neuhaus von der amerikani- schoss zur Synagoge umgebaut und Wir planen daher einen Besuch der jü- wurde die Synagoge an der Friedberger schen Militärregierung mit der Grün- zwei Jahre später eingeweiht. Die Syn- dischen Baumweg-Gemeinschaft, die Anlage gebaut und 1910 die Westend- dung einer Jüdischen Gemeinde be- agoge am Baumweg ist heute die derzeit die Mensa im Philanthropin Synagoge. Sehr viele Gemeindemit- auftragt. zweitgrößte Synagoge in Frankfurt. für ihre Gebetszeiten nutzt. Bei Inter- glieder hatten wichtige Funktionen in esse kann man sich gerne an mich der städtischen Kultur und Politik Für die Neugründung von großer Be- Auf der Homepage der Jüdischen Ge- wenden: s.seubert@dom-frankfurt.de inne. 1933 gehörten mehr als 30.000 deutung war ein Gebäude im Baum- meinde Frankfurt liest man: „In Quelle: https://jg-ffm.de n
30 J ü d i s c h e s L e b en in F r ankfu r t am Main Jüdisc h e s L e b en i n F r ankfu r t a m Main 31 Das neue zistischen Rothschildpalais, in dem die Dauerausstellung ihren Platz hat. Diese Verbindung steht symbolisch Die Dauerausstellung beginnt im drit- ten Stockwerk in der Gegenwart und erzählt von der Vielfalt jüdischen Le- Jüdische Museum für die Konzeption des Museums „Wir sind jetzt“ – Blick von der Gegenwart auf die Geschichte“. bens. Zeitzeugen blicken in persönli- chen Geschichten zurück auf die Zeit nach der Schoa und davor. Beeindru- Will man sich über 1700 Jahre jüdisches Leben hier in Frankfurt ckend, die vielfältigen Lebenswege. © Gottselig informieren, gibt es zwei Orte, wo dies ausgezeichnet möglich ist. In sehr gelungener Weise wird mit Die Ebene 2 befasst sich mit dem Von Rainer Dinkhauser interaktiven Stationen, Multi-Media- Wandel jüdischer Traditionen und Ri- Installationen, historischen Objekten tuale. Der Fokus liegt auf der Entwick- I und wertvollen Kunstwerken erzählt, lung der verschiedenen religiösen m Museum Judengasse am Börne- und vielfältigen Gegenwart der Frank- wie Jüdinnen und Juden die kulturelle Strömungen. Sehenswert hier auch die platz erwartet den Interessierten furter Juden von der Aufklärung um und wirtschaftliche Stadtentwicklung wertvollen historischen Objekte aus inmitten der archäologischen 1800 bis zur Gegenwart. Ein neuer prägten. Zahlreiche Lebensgeschich- Ausgrabungen eine Ausstellung Lichtbau für Wechselausstellungen ten einzelner Persönlichkeiten geben über jüdisches Leben in der frühen bildet ein Gegengewicht zum klassi- Einblicke in die Schicksale Neuzeit. der Menschen. Bertha-Pappenheim-Platz 1, die Adresse Das neu gestaltete, im September des neuen Jüdischen Museums. Neben dem denkmalgeschützten Rothschild- 2021 neu eröffnete Jüdische Palais am Mainufer (hibbdebach) e rhebt Museum befasst sich mit sich der Lichtbau von Staab Architekten, erschlossen vom öffentlichen Platz. der Geschichte Foto: Norbert Miguletz © Jüdisches Museum Frankfurt (2)
32 S t . B e r n h a r d intern St. Bernhard i n t e rn 33 Mitglieder der Familie Rothschild Ariel Schlesingers Skultpur „Untitled“ (2019) Fotos: Norbert Miguletz © Jüdisches Museum Frankfurt (2) Die Direktorin des Museums, Dr. M irjam Wenzel betont in einem Inter- view: „Wir sind ein Museum ohne Mauern … Ein offenes Haus, das auch auf Menschen zugeht, die nicht unbe- dingt museumsaffin sind … Es ist uns wichtig, Menschen auf Augenhöhe zu Dokumentation der Auseinandersetzung begegnen“. um den richtigen Weg im Glauben Das lichtdurchf lutete Atrium im Lichtbau des neuen Jüdischen Museums von Staab Ich habe den Eindruck, dass dies Architekten im neuen Jüdischen Museum sehr gut gelingt. n der jüdischen Zeremonialkultur. nicht nur bedeutende Bankiers, son- Das erste Obergeschoß widmet sich dern auch Mäzene für Forschung und Jüdisches Museum Frankfurt der Geschichte und dem Alltagsleben Wissenschaft waren und sich in sozia- Di, Mi, Fr, Sa, So: 10:00-18:00 Uhr von drei Frankfurter Familien: der be- len Einrichtungen und im Gesund- Do: 10:00-21:00 Uhr rühmten Bankiersfamilie Rothschild, heitswesen engagierten. Bertha-Pappenheim-Platz 1 Kinderbücher und „Anne Frank Stuhl“ der bürgerlichen Kaufmannsfamilie 60311 Frankfurt am Main aus dem Besitz der Familie Frank und der aus Osteuropa stam- Ein besonderer Höhepunkt des Mu- 069 212 35000 menden Familie des Schriftstellers Va- seums ist das Familie Frank Zentrum. lentin Senger. Erinnerungen an fami- Zahlreiche Gegenstände, Briefe, Ge- liäre Bräuche erwecken Geschichten mälde und Fotos geben einen guten Museum Judengasse Frankfurt zum Leben... Eindrucksvoll wird mit- Einblick in das Alltagsleben der Fami- Di -So: 10:00 -18:00 Uhr tels Licht, Schatten und Ton ein Ein- lie von Anne Frank. Besonders berührt Battonnstraße 47 Fotos: © Rainer Dinkhauser (4) druck in die Welt der Familie Roth- stand ich vor einer Vitrine mit Kinder- 60311 Frankfurt am Main schild im 19. Jahrhundert vermittelt. büchern und dem Kinderstuhl der 069 212 70790 Wir erfahren, dass die Rothschilds Anne Frank. Rauchersalon des Rothschildpalais
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