FUNKEN FLÜGE - KINDER INSPIRIEREN - TUKI BÜHNE | EIN KONZEPT FÜR DAS KINDERTHEATER - TUKI BERLIN
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Bü h nI eN s PIRIE R EN ER KIND hEATER T FUNKEN FLÜGE TUKI Bühne | Ein Konzept für das Kindertheater Aus Theater MIT Kindern entsteht Theater FÜR Kinder 1
TUKI Bühne Funken flüge TUKI Bühne | Ein Konzept für das Kindertheater Aus Theater MIT Kindern entsteht Theater FÜR Kinder
inhaltsverzeichnis 7 Was ist TUKI Bühne? Ein Konzept für das Kindertheater | Renate Breitig 9 TUKI Bühne im TUKIversum 11 Ein Funke springt über TUKI Bühne schafft den Transfer vom Theater MIT Kindern zum Theater FÜR Kinder | Renate Breitig 14 Fotos vom Transfer Von der Kita…auf die Bühne 17 Drei Funkenflüge Aus ästhetischer Forschung mit Kindern entsteht professionelles Kindertheater | Verena Lobert 20 SCHAUBUDE BERLIN Einblicke in den Produktionsprozess 24 GRIPS Theater Einblicke in den Produktionsprozess 28 DEUTSCHE OPER BERLIN Einblicke in den Produktionsprozess 33 Ein Plädoyer für TUKI Bühne Neue Produktionsprinzipien für das Kindertheater | Verena Lobert 34 IMPRESSUM
6 Foto: Julia Bihl Foto: Fanziska Burnay Foto: Franziska Hauser Foto: Susann Tamoszus Foto: Aline Reinsbach Foto: Stephan Bögel
TUKI Bühne macht es möglich, aus einer langfristigen theaterpädagogischen Arbeit mit Kindern professionelle Produktionen zu kreieren. Was ist TUKI Bühne? Ein Konzept für das Kindertheater Beide Seiten gehen miteinander Am Anfang steht die Arbeit in Resonanz mit den Kindern Die innovativen Impulse kommen nicht immer Neu an dem Format TUKI Bühne ist, dass die Ar- aus der großen Bühnenwelt – manchmal sind beit mit den Kindern und die Arbeit an der Produk- es auch die versteckten Orte und die kleinen tion eng miteinander verknüpft sind, sodass sich Menschen, die neue Akzente setzen! Es lohnt im Transfer beide Seiten gegenseitig anregen. sich, das Vergrößerungsglas auf die Kinder zu Ein Erfolgsgeheimnis ist dabei der enge, per- richten, die uns im Theaterspiel überzeugend sönliche Kontakt zwischen den Kindern und den und unverstellt Einblick in ihre Welt bieten. Bei Künstler*innen. Die TUKI Kinder begleiten spora- TUKI Bühne dreht sich die gängige Theater-Praxis disch die Proben und geben ihre Rückmeldungen. um: Nicht die Ideen eines Regieteams bilden Oberstes Prinzip ist es, dass die theaterpädagogi- den Ausgangspunkt einer Inszenierung, sondern sche und regieführende Arbeit zusammen gedacht am Anfang einer Stückentwicklung stehen die ist und die Resonanz zwischen den Kindern und ergebnis- und themenoffenen Begegnungen mit dem Künstlerteam zum Schwingen gebracht wird. den Allerjüngsten. Die Künstler*innen treffen mindestens 6 Monate lang einmal wöchentlich mit den ca. 15 Kita-Kindern zusammen, spüren den TUKI Bühne setzt neue Zeichen kindlichen Fragen nach und suchen gemeinsam für das Kindertheater nach theatralen Ausdrucksformen. Die Theater nehmen die Impulse Z usammengefasst: Kinder inspirieren, Theater- schaffende greifen auf und entwickeln ein The- aterstück, das viele Kinder erreicht und mit dem der Kinder auf ein neues Format des Kindertheaters geschaffen wird. Der Transfer stellt eine Synergie her, die ei- Während der intensiven Theaterreisen in den nen Mehrwert in die Berliner Kindertheaterland- Kitas wächst die Ideensammlung stets wei- schaft trägt. Zukünftig sollen möglichst viele TUKI ter an, sodass am Ende den Produktionsteams Bühne Produktionen entstehen! reichlich Material zur Verfügung steht. Nun gilt es, dies zu sichten, Themen zu kondensie- In der Broschüre sind an vielen Stellen Leitsätze ren und eine eigene ästhetische Form zu finden. eingestreut; sie stellen die Kerngedanken von TUKI Die Herausforderung der Theaterschaffenden liegt Bühne heraus und werfen vielfältige Schlaglichter darin zu klären, wie die kindlichen Perspektiven auf das neue Konzept. und theatralen Versuchsabläufe übernommen und in ein neues künstlerisches Bühnensetting mit ei- Renate Breitig, ner eigenen Aussagekraft übertragen werden. Gründerin und Leiterin von TUKI Bühne 7
Das Format TUKI Bühne im TUKIversum Das Partnerschafts-Programm TUKI Theater und Kita verbindet langfristig Berliner Theater und Kindertagesstätten und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die frühkindliche kulturelle Bildung in Berlin nachhaltig zu stärken. In intensiven Kooperationen zwischen je einem Theater und einer Kita werden die Kinder an Performance- und Theaterkunst herangeführt, lernen die Bühnenwelt kennen und erkunden und präsentieren mit theatralen Mitteln ihre Themen und Fragen. TUKI ForscherTheater TUKI Tandem verbindet den Wissensdurst bewegt sich in seinen der Kinder mit ästhetischen dreijährigen Kooperationen Erfahrungen. In theatralen zwischen Theater-Sehen Forschungsreisen gehen die oder und Theater-Machen und Kinder fiktiven und realen führt die Kinder mit eigenen Phänomenen nach und szenischen Darstellungen erweitern in Exkursionen in die Theaterkunst ein. und mit Expert*innen ihr Besonderes Kennzeichen sind Erfahrungsspektrum. In regelmäßige Begegnungen kreativen Laboren entwickeln zwischen Kindern und sie eigene Fragestellungen Theaterschaffenden und Suchbewegungen, die in sowie ein umfangreiches interaktiven Performances Qualifizierungsprogramm, um vor und mit Publikum ihren den Theaterschwerpunkt in Abschluss finden. den Kitas zu verankern. TUKI Bühne gestaltet aus den vielfältigen Erfahrungen und Sichtweisen der Kinder, die im Kontext von TUKI ForscherTheater und TUKI Tandem entstehen, professionelle Bühnenstücke mit Berliner Kindertheatern. Die Verknüpfung zwischen der theaterpädagogischen und regieführenden Arbeit ist die Grundlage des Transfers von der Kita auf die Bühne. Näheres siehe www.tuki-berlin.de 9
TUKI Bühne sammelt die Fragen und Wünsche der Kinder für ihr Theater ein. Ein Funke springt über TUKI Bühne schafft den Transfer vom Theater MIT Kindern zum Theater FÜR Kinder Renate Breitig Wie der Theaterzauber der Kinder die Kann es gelingen, die kindlichen Sichtweisen, die professionellen Bühnen erreicht vielen performativen Versuchsanordnungen, aber auch die unvorhersehbaren und unwägbaren Rei- W enn die TUKI Akteure sich mit Kita-Kindern auf eine theatrale Reise begeben und sie in- tensiv über lange Monate begleiten, um ihre Fra- sestationen weiterzutragen? Aus diesen Fragestel- lungen ist die neue Konzeption des Pilotprojekts TUKI Bühne geboren: Die mit den Kita-Kindern gen und Anliegen künstlerisch umzusetzen, dann erprobten künst- gilt als oberstes Postulat: Die Kinder stehen im lerischen Explo- TUKI Bühne hat das Ziel, die Mittelpunkt! Dazu gehört auch, dass Kinder ihren rationen bilden Anliegen und Haltungen der geschützten Rahmen haben, dass sie nicht auf den die Grundlage Kinder im zeitgenössischen großen, oft entfernt gelegenen Bühnen ihrer Part- für die professio- nertheater auftreten, nicht durch die Stadt touren, nellen Produkti- Kindertheater sichtbar zu sondern meist nur einmal in ihrer eigenen Kita vor onen. In Proto- machen. Eltern, Geschwistern und Gleichaltrigen ihre Er- kollen, Skizzen, gebnisse präsentieren. Immer wieder erreicht uns Dokumentationen und Fotosequenzen ist reichlich die Rückmeldung, was für ein Schatz dieses Erleb- Material zusammengekommen: Die Perspektive nis für alle jene ist, die daran teilhaben können. der Kinder, die Lebendigkeit ihres Spielansatzes, Und dann? Wie kann die bunte Ideenwelt der die Unmittelbarkeit ihrer Gesten und Sprache, das TUKI-Kinder erhalten bleiben und für Kinder in Ungewöhnliche ihrer Themenstellungen bleiben ganz Berlin zu einem Theatererlebnis werden? erhalten, verdichten sich in einem Bühnenwerk Dieser Gedanke hat uns immer wieder beschäf- und erreichen somit Kinder im ganzen Berliner tigt und schließlich zur Gründung von TUKI Bühne Raum - als mobile Produktion oder als Theater- geführt: Die Theatermacher*innen dokumentieren stück im eigenen Haus. die künstlerischen Prozesse mit den Kindern und entwickeln aus dem Material professionelle Büh- nenstücke für ein ganz junges Publikum. TUKI Bühne geht von dem Forschenden Theater sowie dem Darstellenden Spiel mit Kindern aus Kita-Theatergruppen geben ihre Ideen an viele Berliner Kinder weiter T UKI Bühne baut auf den folgenden beiden For- maten innerhalb des TUKI Programms auf: In W ie können die vielen intensiven künstleri- schen Welterkundungen auf den theatralen Wegstrecken eingefangen werden? Wo bleiben all TUKI Tandem arbeiten je eine Kita und ein Thea- ter drei Jahre lang zusammen. Dabei bestimmen die ästhetische Handschrift eines Theaters und die die Quergedanken und Fantasiebilder der Kinder? gemeinsam gefundenen Themen die Theaterarbeit 11
TUKI Bühne schafft die Synergie zwischen der theaterpädagogischen Arbeit in der Kita und dem professionellen Kindertheater. mit den Jüngsten. Ausgangspunkt können Kinder- und in ein neues künstlerisches Bühnenset- bücher, aktuelle Anliegen der Kitas oder Anregun- ting mit einer eigenen Aussagekraft übertra- gen aus Kindertheater-Inszenierungen sein, aus gen? Dies ist die Herausforderung, der sich denen sich neue Theaterideen bis hin zu den Ab- die TUKI Bühne Produktionen erfolgreich schlussaufführungen herausbilden. stellen. Das zweite Format heißt TUKI ForscherTheater, Verena Lobert geht diesen Fragen das als Ziel ästhetische Forschungsreisen mit Kita- nach und hat die Arbeit in den Kitas Kindern hat. Die theaterpädagogische Reiseleitung und während der Probenprozesse begleitet. Siehe Seiten 17 bis 19. greift die Themen der Kinder auf und bringt in Explorationsspielen, Materialerkundungen und Ex- Foto: Fanny Frohnmeyer kursionen verschiedene Wissensfelder zusammen, welche die Erfahrungswelt der Kinder kognitiv und fiktional durchdringen. Das Ende jeder theatralen Forschungsreise markiert eine performativ-inter- aktive Präsentation. Drei unterschiedliche Beide Formate eignen sich als Inspirationsquelle Produktionsteams erproben die für TUKI Bühne. Gleichwohl standen in der Pilot- Pilotphase phase drei Kitas im Mittelpunkt, die sich auf die sog. theatralen Forschungsreisen begeben hatten. D ie Vielfalt der Berliner Kindertheaterlandschaft zeigt sich exemplarisch an den drei beteiligten Häusern: Das GRIPS Theater fordert mit seinem emanzipatorischen Theateransatz die Kinder zu ei- genem Handeln auf. Die SCHAUBUDE BERLIN als Figuren- und Objekttheater spricht ihr Publikum Regie und Theaterpädagogik Foto: Stephan Bögel über eine fantasievolle, bildhafte Zeichengebung liegen in einer Hand an. Die Deutsche Oper Berlin erreicht ihre junge Zuschauergruppe über Klang und Musik. So lässt D as Geheimnis von TUKI Bühne liegt darin, dass die theaterpädagogische und künstlerische Handschrift zu einem gemeinsamen Prozess zu- sich in der Pilotphase das neue Format in unter- schiedlichen Theaterkonzeptionen erproben. Allen drei Häusern ist sammenfließen. Das Künstlerteam verbringt zu- gemeinsam, dass TUKI Bühne eröffnet den nächst eine lange Zeit mit einer festen Kitagrup- sie in ihrer Arbeit Kindern neue Wege der pe, spürt den Themen und Ideen der Kinder nach, nah am Publikum Partizipation an der experimentiert an ihren Fragestellungen entlang, bleiben. Bei TUKI professionellen Theaterwelt. unternimmt mit ihnen Exkursionen, lädt Experten Bühne liegt hierin ein und lässt sich von den Kindern inspirieren. In ein ganz besonde- einem nächsten Schritt nutzt es den mit den Kin- res Augenmerk: Die Kita-Kinder, deren Ideen auf dern gesammelten Ideen-Pool als Folie für den die Bühne gebracht werden, sind auch als beraten- Transfer in die professionelle Stückentwicklung. de „Experten“ am Entstehungsprozess beteiligt, Welche philosophischen, materiellen, ästheti- sodass die Perspektive der Kinder nicht verloren schen, wissenschaftlichen, sozialen u.a. Impulse geht. können die Theaterregisseure bzw. Theaterkollek- Wie drei Produktionsteams diese Arbeitsweise erleben tive für ihre Produktionen aus den Prozessen und und welche besonderen Herausforderungen sich Ergebnissen der Kita-Theatergemeinschaften nut- stellen, ist auf den Seiten 20 bis 31 nachzulesen. zen und in eigene Zeichensysteme übertragen? Wie werden die kindlichen Perspektiven übernommen 12
Mit TUKI Bühne entsteht ein neuer Ansatz für das Kindertheater A us dem Theater mit den Klei- nen entsteht ein neues Thea- ter für die Kleinen. Durch die Per- sonalunion eines künstlerischen und theaterpädagogischen Teams sind Thema, künstlerische Mittel und bildhafte Assoziationen aus einem Guss. Das Zusammenwirken bei- der Seiten setzt neue positive Kräfte frei: Die Arbeitsabläufe in der Kita und in den Foto: Susann Tamoszus Proberäumen sind eng miteinander ver- knüpft , so dass der Austausch zu einem immanenten Teil des Konzeptes wird. Der Funke springt über! 13
FOTOs VOM TRANSFER: VON DER KITA....AUF DIE BÜHNE Foto: Jara Lopez Ballonga Foto: Susann Tamoszus Schaubude Berlin Die Körper sind fast vollständig in Papier verhüllt: Es entstehen fremdartige Kreaturen. 14
Foto: Deike Altmann Foto: Nora Hoch Grips Theater Aus Verkleidung wird Verwandlung: Neue Wesen präsentieren sich. Foto: Stephan Bögel Foto: Julia Bihl Deutsche Oper Den Alltagsgeräuschen zu lauschen eröffnet Klangwelten für neue Narrative. 15
16 Foto: Stephan Bögel Foto: Susann Tamoszus Foto: Friederike Dunger
Drei Funkenflüge Aus ästhetischer Forschung mit Kindern entsteht professionelles Kindertheater Verena Lobert T UKI Bühne schließt da an, wo eine TUKI For- scherTheater-Reise zu Ende geht oder wird zeitlich parallel aus ihr entwickelt. So werden Zugriffe der Produktionsteams auf die Materialsammlungen Kindertheatermacher*innen herausgefordert, aus * 1. GRIPS Theater: Kleidung den Frage-Kaskaden, Material-Erprobungen und explorieren, Verwandlungen testen explorativen Settings professionelle Theater- produktionen für Kinder zu erarbeiten. Aus Per- spektive der künstlerischen Teams ist die Kita- Forschung als künstlerisch-soziales Labor zu D ie Produktion „Verwandelt“ setzt die Grund- fragen aus der Arbeit mit den Kindern zentral: „Wie funktioniert verwandeln? Bin ich bereits ver- verstehen, in dem Teile des Produktionsteams wandelt, wenn ich verkleidet bin?“, und bildet dar- intensive Arbeitserfahrungen mit der Zielgrup- aus die These: Alles verwandelt sich ständig. pe ihrer Stückentwicklungen sammeln können. Jede Forschungsreise generiert eine spezifische In der Forschungsreise wurde mit Varianten von Sammlung, die sich inhaltlich aus den Fragen Rollen- und Verkleidungsspielen experimentiert, einer Kindergruppe speist. Der formal-ästheti- die in einem Besuch in der Theatermaske mün- sche Ansatz dieser Explorationen ist bereits ein deten. Auch die Tier-Verwandlungswünsche der Begegnungsprodukt aus Kinder-Interesse und Kinder wurden in performativen Spielsettings mit den Strategien und Materialien, die die leitenden Textilien erprobt und vertieften das Interesse der Künstler*innen in den Prozess eingebracht haben. Kinder an den Transformations- und Mimikry- Fähigkeiten von Tieren, die sie schließlich zu einer In welchen Weisen der Transfer aus der Forscher- Exkursion ins Naturkundemuseum führten. Theater-Sammlung in die Stückentwicklung gelin- Die Produktion erschafft daraus einen partizipa- gen kann, untersuche ich anhand der drei exem- tiven Möglichkeits-Raum für Verwandlungen, in plarischen Produktionen. Welche Fragestellungen dem spielerische Identitäts-Aneignungen auf Pro- und Motive können in den Stückentwicklungen be stattfinden. Dabei wird die Frage „In was könn- weiterverfolgt und welche szenischen Strategien te mich DAS alles verwandeln?“ zum Motor der aus den Kita-Testsettings abgeleitet werden? szenischen Forschung mit und an dem Material Kleidung. In ihrem Spiel des Entdeckens, Anpro- bierens, Verwerfens und Neuauffindens von Klei- dungsstücken, verdichten die Performerinnen die Handlungsweisen, die auch die explorativen Spiele der Kinder bestimmten. Der Gestus des gemein- samen Forschens aus der Kita-Reise findet in der TUKI Bühne experimentiert mit den Inszenierung als aktivierendes dramaturgisches theatralen Versuchsanordnungen der Stufenmodell seinen Übertrag: 1. Zuschauen beim Kinder und verdichtet sie zu einem Auffinden der Kleidungsstücke: Die Performerin- Bühnen-Setting. nen schreiben verschiedenen Kleidungsstücken Eigenschaften zu (stark, laut, schillernd, luftig), 17
TUKI Bühne fängt die Perspektiven der kindlichen Lebenswelt ein und macht sie für das Theater fruchtbar. die sie sich anhalten und anschließend wie Kraft- Foto: Jara Lopez Ballonga tiere um sich herum anordnen. 2. Der im Anpro- bieren entstehende Deutungsraum wird als ver- bale Mitspielmöglichkeit an das Kinderpublikum freigegeben. In deren Assoziationen entsteht ein Echo auf die Protagonisten aus dem Tierreich, die auch schon die TUKI-Kinder begeistert hatten. 3. Die Performerinnen zeigen, wie Alltagsgegenstän- ihre Wandlungsfähigkeit in diverse Tierkörper und de zu Superkräften in einer Roboter-Verwandlung Masken getestet. Muster von Ähnlichkeit in Mikro- werden können und fordern einzelne Kinder auf, für Makro-Relationen, wie die verwandten Strukturen eine weitere Verwandlung die Auswahl an Textilien von Seifenblasen und Insektenaugen spielen eben- und Objekten selbst zu treffen. 4. Die finale Stufe falls eine Rolle. Getragen wird die atmosphärische dieser aktivierenden Forschungs-Dramaturgie ist Testreihe von zwei Maschinen: dem live gespiel- erreicht, wenn der Bühnen-Spielraum samt aller ten, selbstgebauten Saiteninstrument und dem Kleidungsstücke für die Verwandlungstests des Technikpult als Teil der Bühne. Von dort wird das Kinder-Publikums geöffnet wird. wiederkehrende Audio-Sample von zerbersten- dem Porzellan eingespielt, es stammt aus einem Zerstörungs-Versuch der TUKI-Forschungsreise. Die Kinder hatten in dieser Arbeitsphase bereits die Fähigkeiten verschiedener Materialien unter- sucht: Eine Glasscheibe, die durch das Gewicht der * 2. Schaubude: Kinder Sprungmuster bekam, wurde zur Vorlage Materialien als Protagonisten in und die abgepauste Struktur mit der von Libellen- verzaubernden Testreihen flügeln verglichen. Transparentpapier wurde auf seine Geräuschpotenziale getestet und die indivi- In der Produktion »¡ ver-rückt ! Versuche zu Chaos, Fliegen und Maschinen« dient der Topos „Chaos“ als Programm einer potenziell unendli- duellen Handlungen der Kinder, die verschiedene Sounds erzeugten, wurden als Partitur aufgezeich- net und in eine Papier-Collage übersetzt. chen Zahl von Versuchsaufbauten, um die Wahr- Die Inszenierung vertieft diese Arbeitsweise, die nehmung des Kinderpublikums mit der Insekten- bereits in der Kita als modulare Abfolge künstleri- welt und den Maschinen zu verknüpfen. Die beiden scher Forschungsmethoden entwickelt wurde: Performer*innen - die ihre Sound-Experimente, 1. Ein Versuchsaufbau mit ausgesuchtem Material Zeichnungen und Objektbaukünste auch in die als Ausgangspunkt, 2. Das spielerische Weitertrei- Forschungsreise einbrachten – testen Anverwand- ben und Verknüpfen der gefundenen Phänomene lungs-Möglichkeiten des eigenen Körpers mittels und Effekte, 3. Die Bearbeitung der Zwischenpro- Aktionen und projizierter Zeichnungen. Die Test- dukte in einem neuen Medium - z.B. erst Sound, reihe startet mit einem Versuch zu fliegen: Die dann Bild oder erst Objekt dann Schattenspiel. Performerin schält sich, vom Klettergeschirr ge- 4. Das assoziative Suchen nach Bedeutungsmus- tragen, langsam aus einem hängenden Kokon. Ihr tern und Ähnlichkeiten stellt die Verbindung zu Kollege erweitert ihren fliegenden Schatten in der weiterem Material her. Overhead-Projektion um sechs Beine und ein paar Flügel. Große Bögen aus Form-Pappe werden auf 18
TUKI Bühne beteiligt Kinder als Expert*innen an der Stückentwicklung professionellen Kinder- theaters. * 3. Deutsche Oper: sich, nach Improvisationen zu Verbalnotationen Hörenlernen zwischen Alltags- und Geräuschaufträgen mit vielfältigen Alltagsge- geräuschen und Loopstation genständen, zum Zeitpunkt dieses Textes in der Verdichtungsphase. Eine wichtige Frage lautet: F ür die Produktion „Expedition TIRILI“ kommen zwei Performerinnen mit Mikrophon, Verstär- ker und Loop-Station in die Kita, um mit den Kin- Werden sich die Performerinnen in zwitschernde Vögel verwandeln oder breitet sich am Ende ein Klang-Gewitter in den Kitaräumen aus? dern Geräusche einzufangen und die Klangpoten- tiale von Alltagsgegenständen zu erkunden. „Können uns die Vögel eigentlich verstehen?“ fragt ein Mädchen und gibt den Impuls die Klang- So verschieden die drei künstlerischen For- forschung in der Kita für Übersetzungs- und Imi- mensprachen sind, die in den Kitas die Theater- tationsvorgänge zwischen Tiergesang und Men- Reisen anfachen, so ähnlich ist der Impuls aller schensprache zu öffnen. Diese Forschungsreise Stückentwicklungen, die mit den Kindern begon- sensibilisiert die Kinder für die unterschiedlichen nene Forschung im kleineren Theaterteam weiter Laut-Qualitäten. Mitgebrachte Audioprotokolle von zu treiben und zu vertiefen. Das Verbindende der Treppenhausgepolter, Vogelgezwitscher und Zäh- unterschiedlichen TUKI Bühne Produktionen sind neputzen fordern die Kinder auf, genau hinzuhören die synästhetischen Erlebnisformen sowie das und assoziativ auf alltägliche Geräuschsituationen gemeinsame Anliegen, die Aufführungen für die zu reagieren. Ihre Antwort-Sammlung - Knacken Teilhabe des Kinderpublikums zu öffnen. von Zwieback, Malbewegungen auf Papier, Perlen im Joghurtbecher - wird an das Opern- Probenteam geschickt. Durch die zeit- liche Parallelität von Forschungsreise und Stückentwicklung entsteht eine direkte Korrespondenz mit wechsel- seitigen Impulsen aus akustischen und haptischen Botschaften. Beide Prozesse basieren auf der gleichen Suchbewe- gung: Die Muster und Funktionsweisen der Welt der Geräusche zu begreifen und sie hör- und sichtbar zu machen. Die Fragen für die ersten Experimente mit der Loop-Station auf den Bühnen- proben lauten: „Wo fängt Klang an Spra- che zu überrumpeln? Wie hört sich die Stille nach dem Soundgewitter an?“ Ein Werk des Klangkünstlers Alvin Lucier dient als Vorlage, um Sprache durch Ko- pievorgänge bis zur Unkenntlichkeit zu Foto: Renate Breitig überlagern und in Klang zu verwandeln. Die TUKI Bühne-Produktion befindet 19
schaubude berlin „Die ästhetische Forschung mit Kindern ist eine spannende Form der Materialgenerierung, die dem Theater für Kinder neue Welten öffnet und die Perspektive der jungen Zuschauer*innen frühzeitig in den künstlerischen Prozess einbindet. TUKI Bühne forciert diesen intensiven Dialog und öffnet damit wichtige Perspektiven in der Produktion frühkindlichen Theaters.“ Foto: Jara Lopez Ballonga Tim Sandweg, Künstlerische Leitung 20 SCHAUBUDE BERLIN
¡ ver-rückt ! Versuche zu Chaos, Fliegen und Maschinen Ein Objekt- und Materialtheater für Kinder ab 5 Jahren Ich träume von dieser Maschine, die besteht aus Performance, Musik: Alpha Angelina Kartsaki drei Teilen: einer Badewanne, einer Lupe und ei- Performance, Figurenbau: Gonzalo Barahona nem Frosch. Was aber haben eine zerbrochene Regie: Franziska Burnay Pereira Glasscheibe, eine Libelle und Seifenschaum mitei- Dramaturgie, Bühne: Susann Tamoszus nander zu tun? Gibt es einen Bauplan für Insekten? Kostüm, Bühne: Michaela Muchina Und sind Insekten auch Maschinen? In Versuchsan- Lichtdesign: David Scholz ordnungen wird der Zufall organisiert, verwandeln Film- und Fotodokumentation: Jara Lopez Ballonga sich die Dinge, summt, klirrt, knackt die Bühne und wird zu einem ver-rückten Ort. Material-Versuche In verschiedenen Versuchsanordnun- waren Fragen der Kinder: „Aus wie In der Inszenierung stellen wir die gen haben wir mit sehr unterschied- vielen Teilen besteht eigentlich eine heterogenen Materialien sowie die lichen Gegenständen und Materialien Fliege? Sind Fliegen kleine Maschi- imaginierten und tatsächlichen gearbeitet. So haben wir und die Kin- nen? Klingt Kaputtmachen chaotisch Lebewesen gleichberechtigt zwi- der Papier, Karton, Kleister, Spiegel- oder auch ein bisschen schön?“ schen Bühne und Publikumsraum. folie, Elektroschrott-Teile, Porzellan Die Performer*innen bestimmen und Glas auf ihr chaotisches Potenzial Die Perspektive der Kinder, ihre gleich zu Beginn das Bühnenspiel und ihre abstrakten Eigenschaften Themen während des theatralen als Versuch und behaupten nicht hin überprüft. Wir wollten neue Forschens waren im Produktionspro- Forscher*innen zu sein. Das genutzte Bezüge zu den genannten Dingen in zess immer präsent. Auch wenn sich Material - wie auch die Textilfolie - ist möglichst ungewöhnlichen Kontexten in manchen Momenten das jeweilige selbst Gegenstand der abgebildeten herstellen. Um das zu erreichen, ha- Material scheinbar erschöpft hatte, Versuche. Je nachdem, wie es von ben wir das bereitgestellte Material stellten die Kinder neue Behauptun- den Performer*innen gestaltet wird, zerlegt, montiert, zerrissen, neu gen auf, aus denen sich neue Frage- generiert es in der Wahrnehmung zusammengeklebt, verbrannt und mit gestellungenfür die nächste For- der jungen Zuschauer*innen immer den Überresten experimentiert und schungseinheit herausbildeten. Die neue Bedeutungen. Diese Verwand- sie zerschmettert. Eigene Kaputt- Herausforderung bestand darin, auf lungsmomente in der Inszenierung Sounds haben wir komponiert sowie den Thesen der Kinder neue künst- begreifen wir als Material-Versuche, Materialrisse und Strukturen einer lerische Versuchsanordnungen auf- weil die Kommentarebene im zerstörten Glasscheibe oder eines zubauen. Der Titel der Inszenierung Moment der Aufführung das ei- geknüllten Papiers untersucht. „¡ ver-rückt !“ verweist auf die Bühne gentliche Versuchsfeld darstellt. Diese Versuche haben wir für die als einen Ort, der mehrere Räume, Kinder mit den übergeordneten Welten und Perspektiven zusammen- Begriffen „Chaos, Fliegen und Ma- führt und die bestehenden Ordnungen Franziska Burnay Pereira schinen“ versehen. Vorausgegangen der Orte umkehrt und neu befragt. und Susann Tamoszus 21
Foto: Franziska Burnay Spotlights Schaubude Einblicke und Zitate, zusammengetragen aus Interviews, Protokollen und Beobachtungen Die besondere Arbeitsweise Durch den Materialtheater-Schwerpunkt, das Erzählen mit den Dingen, kommen die thematischen Impulse von den Kindern, während das künstlerische Team danach sucht, mit welchem Material was erzählt werden kann. Die Kinder interessiert nicht unbedingt das Transparent-Papier an sich, sondern sie haben beispielsweise Lust auf Zerstörung und das Team übersetzt ihre Themen in eine materielle und fassbare Art und Weise. In der Inszenierung wird die kreative Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Materialien, die das Team während der Forschungsreisen bei den Kindern beobachten konnte, über ein Spielmaterial erzählt und abgebildet. Die performative Rolle des Forschens Die Kinder haben auf der Forschungs- reise mit uns ja nicht gespielt, „Wir sind Forscher“, sondern sie waren es tatsächlich. Es war eine performative Rolle, der man sich im Tun angenähert hat. Das soll in der Produktion bei- behalten werden. Es soll nicht etwas Die Experimente der Kinder behauptet werden, sondern wir setzen als Start-Motoren uns tatsächlich mit etwas auseinander, zeigen es auf der Bühne. Es sind zuerst diese bewussten Dinge, mit denen wir umgegangen sind, aber dann kommt das Unbewusste hinzu: Sobald wir zu dem Material greifen, das wir schon mit den Kindern benutzt haben, kommen innere Bilder von Dingen zum Vorschein, die wir mit den Kindern gemacht haben und die in die Arbeit einfließen. Der Soundmix von dem mit den Kindern zerstörten Geschirr bestärkt uns darin, dass selbst erzeugte Klänge nicht fehlen dürfen. So findet auch das selbst Foto: Franziska Burnay gebaute Saiteninstrument seinen zentralen Platz in unserer Produktion. 22
Foto: Jara Lopez Ballonga Wie Muster entstehen Es ist ein großes Bedürfnis, mit den Ideen der Kinder weiter zu arbeiten. Zum Beispiel haben die Kinder Glas kaputt gemacht; die zersplitter- ten Muster haben wir genutzt, um Insektenflügel zu zeichnen. Auch die scheinbar zufällig entstandenen Seifenblasen - das wirkt zunächst wie Foto: Susann Tamoszus Blödsinn - führen zum sog. Voronoi- Muster. Diese Experimente verdanken wir der Arbeit mit den Kindern. Wie Sounds entstehen Experimente weiterentwickeln Als die Kinder Porzellan kaputt gemacht haben, Die Kinder haben aus Elektroschrott- sind Sounds entstan- teilen und Insektenflügeln aus PLA- den. Diese „kaputt- Filament hybride Insektenwesen Sounds“ werden als gebaut und mit Schattenprojektionen einzelne Einspieler experimentiert. Diesen Forschungsmo- und als Bausteine ment mit den Kindern entwickeln die einer Komposition Performer*innen auf der Bühne weiter und versuchen zu einem Teil des ge- in der Inszenie- zeichneten Insekts zu werden, indem sie rung benutzt. Foto: Franziska Burnay sich in die Projektion positionieren. 23
GRIPS Theater "Kinder dieser Altersgruppe im Vorfeld einer Produktion so intensiv erleben und von ihnen lernen zu können, ist das schönste Geschenk von TUKI Bühne. Aus den Erfahrungen der Kinder haben wir das Stück "Verwandelt!" entwickelt – das ist unser Geschenk an die Kinder!“ Philipp Harpain, Theaterleiter GRIPS Theater Foto: Nora Hoch 24
Verwandelt! Ensembleproduktion für Menschen ab 3 Jahren Im Theater lieben wir die Lust an der Verwandlung. Mit forschendem Gestus erkunden wir die Grenze Aber was passiert eigentlich genau, wenn wir uns von Verkleiden zu Verwandeln, und befragen mit all- verwandeln? Überall auf der Welt sind wir von Ver- täglichen Materialien wie Stoffen ganz verschiedene wandlungen umgeben. Pflanzen, Menschen und Facetten des Verwandelns. Die mobile Produktion Tiere verwandeln sich ebenso wie Städte, Flüsse findet in Kitas überall in Berlin statt, und wagt sich und Berge. Manche Verwandlungen geschehen von dabei in eine sinnlich-interaktive Theaterform, um selbst, ob wir wollen oder nicht. Andere Verände- die jungen Zuschauer-Akteur*innen einzubinden. rungen machen wir selbst. Im Spiel oder im The- ater schlüpfen wir in Rollen und entscheiden uns Regie: Katja Fillmann mit Kostümen aktiv für die Wandlung. Und immer Bühne und Kostüme: Maria Wolgast wieder verändern wir im Spiel die Dinge in Form Dramaturgie und Theaterpädagogik: Nora Hoch und Funktion. Mit: Friederike Dunger und Lisa Vera Schwabe Verwandlungen Im Spiel sind wir plötzlich Wesen für die TUKI Bühne Produktion, das logische war, ist der Grundgestus mit Federn und spüren die Luft durch die Assoziationen und Ver- auf der Bühne ein beständiges unter unseren Flügeln. Wir wissen, suchsanordnungen unseres Teams Testen, Tasten und Erkunden von dass Menschen zu schwer sind zum nach und nach erweitert wurde. Verwandlungsmöglichkeiten. Fliegen, dennoch gelingt es uns im Materialien - wie das große Tuch, Theater manchmal abzuheben. welches für die Forscher-Kinder Eine zentrale Frage war immer wie- so wichtig gewesen war - wurden der, was ein interaktives Format im „Verwandelt“ lautet der Titel der in den Proben auch von den Per- Rahmen einer mobilen Produktion, Performance und kann auch als formerinnen überprüft und weiter- mit dem Grundgedanken eines Überschrift für den Forschungsansatz bearbeitet. Dem Forschen mit den Forschenden Theaters für die unserer Proben verstanden werden, Kindern folgte das eigene Forschen. Allerjüngsten bedeuten kann. Wir unter dem wir die verschiedenen stellten fest, dass die letzte Phase Facetten dieses Themas untersucht Die Arbeit mit den Kindern begann der Aufführung, in der die Kinder die und für die wir ästhetische Überset- mit dem Hinweis der Erzieher*innen, Bühne selbst kapern, mehr Raum zungen gefunden haben. Wir haben dass in dieser Gruppe viele Kinder einnahm als gedacht und erwartet. uns gefragt, wo die Grenzen von gern im Rollenspielraum wären, Der zunächst meist scheue Einstieg Verwandlungen liegen, wodurch und um sich zu verkleiden. In der TUKI der Kinder in das eigene Spiel auf wie Verwandlungen geschehen. Geht Forschungsreise badeten wir zusam- der Bühne ging über in ein schein- das Verkleiden dem Verwandeln im men mit 16 Kindern in einer breiten bar wildes spielendes Chaos und Theater voran? Was geschieht, wenn Auswahl von Kleidung, aus der mündete oft in vertieftem Spiel von wir uns eine neue Haut überziehen? irgendwann eine Gruppe Kla-Motten- Verwandlungsfiguren. Dabei ließ Warum wollen wir uns eigentlich Motten entstieg. Diese Erfindung sich beobachten, dass viele Im- verändern und verwandeln? der Kinder führte uns tiefer in pulse der Performerinnen von den das Thema der Verwandlungen. Kindern wieder aufgegriffen, erprobt Durch die lange praktische Arbeit mit und weiterentwickelt wurden. den TUKI-Kindern bildeten Ideen und Während die Forscherrolle in der Fragen der Kinder das Fundament Arbeit mit den Kindern eine dia- Nora Hoch und Katja Fillmann 25
Spotlights grips theater Einblicke und Zitate, zusammengetragen aus Interviews, Protokollen und Beobachtungen Das Tuch Das große Schwungtuch hat bei jedem Kita- Besuch eine Sogwirkung auf die Kinder. Wenn sie darunter krabbeln, werden sie zu ver- schiedenen Tieren. Zurückhaltenden Kindern bietet es einen versteckten Raum zum Ver- wandeln. In der Inszenierung taucht das Tuch als elastische silbriggraue Stoffbahn wieder auf: als Wasserfall, Körper-Skulptur-Kostüm, Markierung einer Insel und schließlich als Dach eines Zuges, in dem alle Kinder am Ende der Inszenierung Platz finden und aus ihrem Verkleidungs- und Verwandlungsspiel zurück in die Wirklichkeit geholt werden. Bist Du schon verwandelt? Wenn das Gesicht einer verkleideten Person nicht mehr zu erkennen ist, hat sie sich verwandelt. Das war die eindrückliche Reflexion der Kinder anhand ihrer Vor- her-Nachher-Fotos aus den Verkleidungsspielen der TUKI-Reise. In der Auffüh- rung lässt sich das an der Reaktion des Kinderpubli- kums nachvollziehen: Der Verwandlungsvorgang wird in dem Moment ein- stimmig angenommen, in dem das Gesicht der Performerin unter der Hose verschwindet. Foto: Deike Altmann 26
Wenn ich Chamäleon sage... Das Aussprechen von Tiernamen funktioniert wie ein Zauberspruch zur Verwandlung: Sagt jemand Frosch, gehen die Kinder sofort in eine körperliche Nachahmung. Diesen Spie- limpuls nimmt das Produktionsteam auf und verfolgt die Spur der Fähigkeiten weiter, wel- che die Tiere den Menschen voraushaben, wie Fliegen-können oder Unter-Wasser-leben. Grüne Tüllröcke verwandeln die Performerinnen in See- Anemonen, Meerjungfrauen oder einen Vogel. Foto: Fanny Frohnmeyer Foto: Franziska Hauser Foto: Deike Altmann „Ihr da, wir hier“ Der Kita-Raum ist von Beginn an verwandelt. Die mobile Produktion definiert darin ihre eigene Spiel- fläche und auch das Außerhalb, den Zuschauerbereich. Während des Einlasses legt eine Performe- rin runde Teppichstücke aus, auf denen sie Schritt für Schritt durch den Raum schreitet und die Kin- der an die Punkte führt, an denen sie sich niederlassen können. Die Fragen zur Entwicklung runden Plätze bieten auch eine der Interaktion Rückzugsmöglichkeit für die Kin- Gibt es eine Frage, die die Perfor- der, die sie erst verlassen, wenn merinnen trägt? Oder wird die Frage sie am Ende auf die Spielfläche dem Publikum gestellt? Wie und zum Verkleidungsspiel aufgefor- wann wird das Set für Kinderpubli- dert werden. kum geöffnet? Welche Erkundungen sollen sie darin machen können? Erkunden erst die Spielerinnen und laden danach ein? Kommen sie Foto: Fanny Frohnmeyer vom konkreten Tun ins Fragen und eröffnen dann Spielmöglichkeiten? Wie offen oder wie geführt soll es werden? Wie linear ist der Gedanke, der in einer Frage steckt? 27
DEUTSCHE OPER „Mobiles Musiktheater für Kitas nimmt in unserem Spielplan für Kinder eine ganz zentrale Rolle ein – schon seit mehreren Spielzeiten. In der Neuproduktion mit TUKI Bühne fordern wir uns neu heraus, indem wir die Kinder zum Mit-Forschen und -Entwickeln einladen. Ich freue mich auf immer neue Expeditionen in spannende neue Klangwelten mit unserem jüngsten Publikum!“ Dietmar Schwarz, Intendant der Deutschen Oper Berlin Foto: Stephan Bögel 28
Expedition TIRILI Ein Musiktheater für Kinder von 3 bis 5 Jahren Kinder sind geborene Forscher*innen. Zwei Inszenierung: Franziska Seeberg Musiker*innen besuchen sie mit ihrer Ausrüstung Musikalische Beratung und Probenleitung: in der Kita und gehen mit ihnen auf musiktheatrale Thomas Prestin Forschungsreise. Gemeinsam fragen sie sich: Wie Bühne, Kostüme: Janina Janke entstehen Töne? Woraus besteht Musik? Wer oder Mitarbeit Stückentwicklung: Julia Bihl was ist dieses geheimnisvolle TIRILI? Dramaturgie: Lars Gebhardt Performerin / Sängerin: Pauline Jacob Performerin / Musikerin: Cathrin Romeis Ein Forschungs-Zwischen-Stand Dass sich Forschungsreise und Einen haptischen Austausch zwischen (Mikrofone, Loopmaschine, Probenzeitraum überlappen, Kita und Produktionsteam gibt es Effektgeräte etc.) im Gegenteil nutzen wir für einen sehr direkten durch ein „Post“-System: In einer zu einer Versinnlichung führt. Transfer der Prozesse des künst- Kiste schicken sich Kita-Kinder und So kann sich eine größtmögli- lerischen Forschens mit Kindern Performerinnen Briefe, Bildnotatio- che Fokussierung herstellen. und der Entwicklung einer mobilen nen, aufgenommene Geräusche und Kindermusiktheaterproduktion. Gegenstände und beeinflussen so ge- Julia Bihl, die in einer vorherigen genseitig ihre Forschungsarbeit. Auch Forschungsreise eine wertvolle Bei unserer Forschungsreise mit der ein Besuch in der Oper und das Aufei- Expertise entwickelt hat, tritt punk- Kita steht zunächst die Schärfung der nandertreffen von erwachsenen und tuell beratend zu den Proben hinzu. auditiven Wahrnehmung der Kinder kindlichen Forscher*innen hat Spu- Franziska Seeberg dagegen kann im und uns forschenden Künstler*innen ren auf beiden Seiten hinterlassen. Kita-Prozess hin und wieder einen im Fokus: Das Hin-Hören als aktiven distanzierteren Blickwinkel einneh- Vorgang zu begreifen, nach Alltags- Parallel zur Forschungsreise probt men und ihre Beobachtungen in die klängen zu suchen und neu zu Franziska Seeberg mit den bei- Probenarbeit einfließen lassen. deuten sowie Klänge zu notieren. den Performerinnen und wendet In Versuchsanordnungen loten wir grundsätzlich die gleichen Prinzipien So transformieren sich Forschungs- die Möglichkeiten „aktiven Hörens“ an: In einem klaren Setting – zwei vorgänge in der Kita zur forschenden aus. Dabei werden die Kinder zu Performerinnen erkunden mit Hilfe Probenarbeit im Theater, die dann Klangsammler*innen und Musizie- elektronischer Mittel Klänge im wiederum durch Aufführungen renden – und im Forschungsprozess Raum – wiederholt sie ähnliche in der Kita an ihren „Ursprungs- wird die voranschreitende Sensi- Versuchsanordnungen wie zuvor mit ort“ zurückgeführt werden. bilisierung zunehmend sicht- und den Kindern. Dabei können diese de- hörbar. Natürlich gibt es auch Experi- taillierter ausgeschöpft und vertieft mente, die als missglückt erscheinen, werden. Schon in der Frühphase wird uns dann wiederum helfen, Fehler bei dabei klar, dass die zunächst distan- Franziska Seeberg, der Bühnenproduktion zu vermeiden. zierend wirkende technische Ebene Julia Bihl, Lars Gebhardt 29
Spotlights deutsche oper Einblicke und Zitate, zusammengetragen aus Interviews, Protokollen und Beobachtungen Postverkehr zwischen Forscherkindern und Performerinnen Weil die Forschungsreise und Stückentwick- Foto: Silke Bauer lung parallel laufen, denkt sich das Team eine Postbox aus, mit der sich die forschen- den Prozesse miteinander verschränken - Briefe, Fragen, erste Forschungsergebnisse, Material und Einladungen gehen hin und her: Eine Geräuschliste, Luftballons, eine Gieß- kanne, Notationsgemälde, Papierrollen - all das und anderes mehr landet in der Postkis- te, die zwischen Kita und Bühnenproduktion hin und her geschickt wird. So werden die Performerinnen schon früh im Prozess für die Kinder zu vertrauten Personen, mit denen sie auch in der Kita erste Geräuschexperi- mente erproben. Zudem kommen die jungen Forschenden auch zu Besuch in die Oper und es erschließt sich so die Verbindung beider Vorgänge. Mit Alltagsgegenständen agieren Bei der Auswahl des Materials, das die Oper den Kindern in die Postbox gesteckt hat, handelt es sich vorwiegend um vertraute Ge- genstände aus dem Leben der Kinder, die sie in neuer Funktion erleben können. Im Fokus steht die auditive Wahrnehmung, das gezielte Hinhören. Spannend ist, welche ungewöhn- lichen Klänge, Rhythmen und Geräusche mit bekanntem Material erzeugt werden können. Diese hinter einem Vorhang raten zu können, macht den Klei- nen nicht nur Freude, sondern schärft auch die akustisch-bild- hafte Vorstellungs- kraft zwischen Gegenstand und Laut. Foto: Renate Breitig 30
Foto: Paula Winkler Aus Geräuschen werden Geschichten Schnell haben die Kinder auch Spaß daran, die Geräusche, die sie hören, zu erraten. Der Vorgang, erst einmal zu hören, die eigenen Sinneseindrücke zu befragen und darauf das Gehörte richtig einzuordnen, scheint ihnen als Spiel besonders gut zu gefallen. Der nächste Schritt ist die Gestaltung akustischer Vorgän- ge: Wie können Rascheln, Trampeln, Klopfen, Reiben, Kratzen, Streichen und vieles andere narrative Potentiale hervorbringen? Mit einer Tüte kann man z.B. das Laufen im Schnee oder das Knistern von Feuer simulieren… In den Proben gehen die Performerinnen den umgekehrten Weg: Wie können verbal for- mulierte Stimmungen oder Wetterzustände akustisch umgesetzt werden? Der Hörtrichter Die Künstlerinnen basteln mit den Kindern kleine Hörtrichter aus Papier, um dem ungreifbaren Vor- gang des Hörens mehr Form zu geben. Die Kinder bekommen den Auftrag, die Geräusche auf der Stra- ße zu „erlauschen“. Eine Erwachsene protokolliert die gesammelten Eindrücke der Kinder. Es entsteht eine lange Liste aus Autohupen, Vogelgezwitscher, Gerassel, Blätterrascheln, Kinderschreien, Flug- zeugen, Wirbelstürmen und vielem mehr. Durch die Handhabung der Hörtrichter wird der Vorgang des Hörens nachvollziehbar, sozusagen haptischer. Die Ohren bekommen eine Richtung. Foto: Julia Bihl Foto: Julia Bihl Komposition: Notation und Loop-Station Das Prinzip der Korrespondenz dient dazu, sich gegenseitig anzustecken, mit- einander in einen gemeinsamen Prozess zu gehen. So agieren auch die Kinder als Komponist*innen, geben den Perfor- merinnen Anweisungen und gestalten erstmals Rhythmus, Wiederholungen und unterschiedliche Lautqualitäten, für die sie zuvor Notationsprinzipien erfunden haben. Faszinierend für die Kinder ist, wie dann mit Mikros und einer Loop-Station neue Klangkompositionen 31 entstehen.
32 Foto: Maria Wolgast
TUKI Bühne geht den Themen und Interessen der Kinder nach und verdichtet diese für das professionelle Kindertheater. Ein Plädoyer für TUKI Bühne Neue Produktionsprinzipien für das Kindertheater Verena Lobert W as entsteht, wenn Künstler*innen in die Kita gehen und aus den Impulsen ein Stück für das jüngste Publikum erarbeiten? Partizipation und Anerkennung für die Allerkleinsten * Mut zur Komplexität von Ästhetik und Inhalt M it dem TUKI-Bühne-Programm wird die Par- tizipation der Jüngsten an der Kunst- und Theaterwelt auf eine neue Ebene gehoben. Eine Die Performance der Schaubude zeigt, dass im Kin- Gruppe von Kindern nimmt als Impulsgebende und dertheater weder die Vielheit der Theaterformen Testpublikum an einem künstlerischen Prozess noch die Komplexität der Themen reduziert werden teil. Während die Künstler*innen von den Ideen müssen. Stattdessen setzt die Produktion ihr Ver- und aus den Reaktionen ihrer Kinder-Verbündeten trauen auf die Assoziations-Kraft ihrer Materialien lernen, bekommen die Kinder Zutritt zu einer Welt, und auf die Offenheit der Wahrnehmung dieser Al- in der ihre Denkansätze und Handlungsweisen als tersgruppe. wertvolle Ressource für die künstlerische Arbeit zurückgespiegelt werden. Als Teil des erweiterten * Erprobte partizipative Dramaturgie Produktionsteams genießen sie bei der Premiere In der GRIPS Theater Produktion gelingt eine stu- ihre Anerkennung und lernen den professionellen fenweise Verschiebung zwischen Darstellung und Theaterrahmen kennen. Mitspielen, in der die Performerinnen die Beteili- gungs-Modi ihrer jungen Zuschauerschaft elegant zu lenken wissen. Ermöglicht wird diese Form durch die Mitarbeit der Kinder während der Stück- entwicklung. Foto: Susann Tamoszus * Vertrautes neu wahrnehmen Die Performerinnen der Deutschen Oper kommen mit ihrem akustischen Instrumentarium in die Kita, um die wohlbekannten Räume der Kinder klanglich abzutasten. Die Fokussierung auf den Gehörsinn schafft mit Alltagsgegenständen und einer Loop- TUKI Bühne stellt den Produktionsprozess von Station für alle Ohren eine neue Welt am vertrauten Kindertheater als eine koproduzierende Gemein- Ort. schaft zwischen Kita-Kindern und Künstler*innen auf. Das bereichert die Formen- und Themenviel- falt des Kindertheaters und stellt zugleich ein vi- sionäres Modell vor, wie die Verknüpfung von äs- thetischer Forschung in der Kita mit dem Theater als Kunst- und Verhandlungsraum, der generati- onsübergreifend gestaltet wird, glücken kann. 33
Impressum „Funken- Flüge“, Berlin 2020 TUKI Bühne – ein Format im Programm TUKI – Theater & Kita TUKI im Podewil Klosterstraße 68 10179 Berlin Telefon: 030.247 497 38 www.tuki-berlin.de TUKI Bühne Gesamtleitung: Renate Breitig Produktionsleitung: Fanny Frohnmeyer Wissenschaftliche Begleitung: Verena Lobert TUKI Bühne Produktionen: GRIPS Theater: „Verwandelt!“ Produktionsteam: Katja Fillmann, Friederike Dunger, Lisa Vera Schwabe, Nora Hoch, Maria Wolgast, Erik Veenstra SCHAUBUDE BERLIN : „¡ ver-rückt !“ Produktionsteam: Franziska Burnay Pereira, Susann Tamoszus, Alpha Angelina Kartsaki, Gonzalo Barahona, Michaela Muchina, David Scholz DEUTSCHE OPER BERLIN: „Expedition TIRILI“ Produktionsteam: Franziska Seeberg, Cathrin Romeis, Pauline Jacob, Thomas Prestin, Janina Janke, Lars Gebhardt, Kristina Stang, Julia Bihl Beteiligte Kitas: PFH-Kita Kastanienallee Leitung: Christine Paschke PFH-Kita Barbarossastraße Leitung: Simone Paganini Kindergarten Pfiffikus Leitung: Helga Malz Ein besonderer Dank geht an die beteiligten Teams der Theater und Kitas für ihr Engagement zur Realisierung des neuen Formats TUKI Bühne. Die Robert Bosch Stiftung GmbH finanzierte die konzeptionelle und wissenschaftliche Arbeit sowie die Pub- likation. Außerdem ermöglichte sie die Produktion der SCHAUBUDE Berlin und unterstützte die Produktion der Deutschen Oper Berlin. Die Heinz und Heide Dürr Stiftung sowie die Stiftung Berliner Sparkasse übernahmen die Kosten der GRIPS Theater Produktion. Der Projektfonds Kulturelle Bildung finanzierte die künstlerisch-pädagogische Arbeit in den Kitas. TUKI Bühne ist ein Projekt der JugendKulturService gGmbH. Herausgeber: TUKI - Theater & Kita, Renate Breitig V.i.S.d.P. Redaktion: Renate Breitig und Fanny Frohnmeyer Redaktionelle Mitarbeit: Verena Lobert Grafische Gestaltung: Viola Thiele © TUKI Bühne Berlin, 2020 34
Das TUKIversum: TUKI Tandem initiiert und begleitet dreijährige Partnerschaften zwischen Kitas und Theatern. Im Wechsel von Theater-Sehen und Theater-Ma- chen möchte TUKI die Theaterkunst als Schwer- punkt in den Kitas verankern und den Theatern Impulse geben in der künstlerischen Arbeit für ein ganz junges Publikum. TUKI ForscherTheater verbindet als experimen- telles und exploratives Theaterformat den Wis- sensdurst der Kinder mit ästhetischen Erfahrun- gen. Ausgehend von den Wünschen der Kinder werden fiktive und reale Phänomene untersucht und künstlerisch erforscht. TUKI Bühne schafft den Transfer vom Theater mit den Kindern zum Theater für die Kinder. Die Theatermacher*innen spüren in den Kitas die Ideen-Welt der Kinder auf und entwickeln aus gemeinsamen künstlerischen Prozessen profes- sionelle Bühnenstücke. TUKI im Kiez organisiert Theateraufführungen für die Allerjüngsten in Bezirken, in denen Kin- der sonst kaum die Möglichkeit haben, die Büh- nenkunst kennen zu lernen. In Kooperation mit soziokulturellen Einrichtungen entstehen neue Orte für Kindertheater in ganz Berlin. 35
TUKI Bühne schafft den Transfer vom Theater MIT Kindern zum Theater FÜR Kinder: Die spielerischen Erforschungen und performativen Versuchsanordnungen in den Kitas bilden das Material für das professionelle Kindertheater. 36
Sie können auch lesen