Ganz im Stil der Meister aus Cremona
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kulturland 1|09 Ganz im Stil der Meister aus Cremona Seine Meisterwerkstatt ist im Oldenburger Land die einzige ihrer Art. Martin Michalke baut seit 1989 Geigen – eigene Modelle und Kopien von legendären Originalen. Die Unikate machen Karriere bis ins Ausland. Von Irmtr aud Rippel-Manss F ast 300 Jahre alt ist das Instrument und gut restauriert. Lange Monate waren die Geige und ihr Besitzer sich im Spiel vollkommen einig. Und jetzt das – ein leises Rasseln beim Anspielen. Der Problemfall liegt auf dem langen Werktisch vor den Atelierfenstern. Martin Michalke soll her- einfach vor“, seufzt er. „Manchmal sind diese alten Instru- mente schwer in den Griff zu bekommen.“ Seine Werkstatt liegt im Erdgeschoß eines kleinen Giebel- hauses in der Oldenburger Johannisstraße hinter dem Pferde- markt. Vor zwanzig Jahren ließ sich der gebürtige Papenbur- ausfinden, was der Patientin mit dem fein gemaserten histori- ger als frischgebackener Geigenbaumeister hier nieder. Das schen Gewand fehlt. „So etwas ist auch Geigenbaueralltag“, Umfeld in einer kulturell gut aufgestellten Großstadt mit sagt er. Er wechselt den Bogen und streicht noch einmal über Staatsorchester, zahlreichen Musikliebhabern und der Musik- die Saiten. Nein, das klingt wirklich nicht gut. Ein paar Drei- hochschule im nahen Bremen war interessant. Hier hantiert klänge, leicht dahingespielt, ein paar Tonleitern, die Diva mit er seither in bester jahrhundertealter Tradition mit Sägen, der schmalen Taille lässt sich nicht erweichen. „Das kommt Schablonen und kleinen und kleinsten Werkzeugen, um die verschiedenen Mitglieder der Geigenfamilie – Violinen, Brat- schen, Celli also – zu fertigen, in aufwändiger Handarbeit. Die Instrumente, die auf dem hellen Steg als Brandzeichen 30 |
kulturland 1|09 Zwangspause in Reih und Glied: Violinen warten auf die Reparatur in der Meisterwerkstatt „Martin Michalke“ tragen, sind schon nach England und Schrägmesser mit leichtem Druck über den Steg: Etwas Mate- Frankreich, Japan und Holland, in die Schweiz und die USA rial an der Stegmasse abtragen, das könnte dem Problem verkauft worden. vielleicht abhelfen. Doch, man hat schon Respekt vor den alten M Instrumenten und vor den alten Kollegen, nickt er. Und dieser ichalke dreht die eigensinnige Geige, nimmt den Respekt basiert sozusagen auf tätiger Anschauung. Er selbst Steg ab und hält den elegant polierten Korpus hat nach seiner Ausbildung auf zwei Felder gesetzt. Er ent- unter die Lampe. Durch die schmalen F-Löcher wickelt nicht nur eigene, moderne Instrumente, sondern er lässt sich der vergilbte Zettel im Inneren entdecken, der ihre baut auch historische Vorbilder nach – Andrea Guarneri und Herkunft ausweist. Sie stammt aus der Werkstatt des Geigen- Nicolo Amati, Lorenzo Storioni und, natürlich, auch Antonio bauers Petrus Guarnerius in Mantua und wurde 1710 gebaut – Stradivari. Nein, das ist kein Werbetrick und keine Zauberei, ein Markenzeichen, das sich sehen lassen kann. Guarneris und Oldenburg ist natürlich weit weg vom legendären Geigen- nachgeborener Kollege im Oldenburger Land führt ein kleines bauzentrum Cremona, wo die italienischen Großmeister im 18. Jahrhundert zu Hause waren. Den Traum, eine echte Stradivari oder Guarneri in Händen zu halten, müssen die 31
kulturland 1|09 meisten Geigenspieler sowieso ver- edle Hölzer und Verzierungen ihr geblich träumen. „Aber wenn es ein ästhetisches Äußeres geben. Ob jemandem nicht um den Nimbus sie am Ende gut klingt, hängt von geht, sondern um das Klangideal unglaublich vielen Faktoren ab. So von solchen Spitzeninstrumenten, gut wie jedes der insgesamt 70 Bau- dann können wir gute Angebote teile wirkt sich auf den Klang aus, machen,“ sagt der 52-Jährige selbst- von der Wölbung der Decke und des bewusst. Bodens über die Neigung des Halses bis zur Dichteverteilung im Holz. W Welche Details sich gegenseitig enn er die alten Spit- beeinflussen, wie man aus dem Zu- zeninstrumente sammenwirken das beste Klang- kopiert, baut er Origi- ergebnis erreicht, das ist mehr als nale nach Originalen sozusagen. ein technisch-physikalisches Prob- Da steht dann die „du Diable“ von lem. Jenseits aller analytischen Raf- Guarneri del Gesu (1734) auf dem finesse ist das i-Tüpfelchen, das ei- Arbeitsprogramm, das Violoncello nem Cello, einer Geige den absolut „Sleeping Beauty“ (1739) von Dome- perfekten Ton gibt, die Intuition nico Montagnana oder das Cello und Erfahrung des Geigenbauers. „Mara“ (1711) von Antonio Stradivari. Dass der Cellist Marc Froncoux von Wählt man diesen Beruf, weil man der Bremer Kammerphilharmonie das Geheimnis lüften will, das eine solche „Mara“-Replik spielt gerade auch die alten Instrumente und ihm schriftlich bescheinigt hat, umgibt, das die Auktionspreise er sei „sehr glücklich mit dem Cello, von Originalinstrumenten eines alles ist wunderbar“, gehört zur Stradivari oder Guarneri in Vielmil- Bestätigung seiner Arbeit. Ebenso lionenhöhe treibt? Nein, bei seiner der Sonderpreis für Violine, den Berufsentscheidung sei eigentlich er beim renommierten internatio- eher der Zufall im Spiel gewesen, nalen Geigenbau- und Geigen- sagt der hochgewachsene Geigen- klangwettbewerb Jacobus Stainer baumeister. Er stammt aus einer in Freiburg erhielt, bei dem inter- musischen Familie, Hausmusik mit nationale Künstler neue Instrumente den Geschwistern war eine Selbst- spielen und bewerten. verständlichkeit. Er hat gerne und auch gut Violine gespielt als Schüler. Die Unikate entstehen über lange Und auch heute noch macht er pri- Monate. Rund 500 Arbeitsgänge vat Kammermusik, unter anderem leisten der Meister und sein Geselle, in einem Laienorchester. Aber für bis zu 200 Arbeitsstunden sind auf- eine solistische Karriere hätte es zuwänden, bis aus massiven Holz- nicht gereicht. „Ich wäre vielleicht platten zum Beispiel eine Geige zweiter Geiger irgendwo geworden. geworden ist, ein sensibles Instru- Aber ich habe jemanden kennen ment, das gerade mal 400 Gramm gelernt, der mich nach dem Abitur wiegt, aber auch den impulsivsten auf die Idee brachte, Instrumente Zugriff eines Spielers aushält, mit zu bauen. Das war dann mein Weg.“ sanften Tönen Seelen bewegt und Ein Weg, den gar nicht wenige Ins- mit mächtiger Durchsetzungskraft trumentalisten einschlagen. Ohne auch größte Säle ausfüllen kann. Liebe zur Musik würde man nie gute Jede ist ein handwerkliches Präzisi- Violinen bauen können, auch nicht onsprodukt. Man kann sie vermes- ohne das Gehör eines Geigenspie- sen und technisch-wissenschaftlich lers oder ohne Sinn für die Eigen- untersuchen, aber eigentlich ist sie Alles vorbereitet für den Klangbau: Hunderte Stegrohlinge, die heiten des Instruments. Man muss einmal den Werkstatt-Stempel tragen werden (oben), feinste Hals- ein Kunstwerk, an dem etwas Uner- eisen und Beitel (Mitte) und die von weit hergeholten Tonhölzer, ein Verständnis für das Gesamtkon- klärliches bleibt: nicht nur, weil die der Meister in seinem Lager hütet (unten). zept haben, sagt Michalke, man 32
kulturland 1|09 Respekt vor historischen Vorbildern: Geigenbaumeister Martin Michalke muss antizipieren können, wie ein Instrument klingt. Nach Strahlen bringen und das Holz vor Umwelteinflüssen schüt- seiner Lehre in der Werkstatt Pfaff bei Marburg war für ihn zen, er beeinflusst im besten Fall auch den Klang. klar, dass ihn das alte Handwerk nicht wieder loslassen würde. D Es bietet die Freiheit, trotz aller Normen und handwerklicher Vorgaben eine eigene Handschrift zu entwickeln, es gibt Raum ie eigentliche Schatzkammer in der Werkstatt ist für eigene Intuition und eigene Ideale. allerdings das Holzlager. Säuberlich gestapelte Scheite, unspektakulär auf den ersten Blick. Das ist Geigenbau ist ein konservatives Handwerk wie wenige andere, das Material, das er sich über die Jahre von weither besorgt Neuerungen sind hier eher Frevel als Fortschritt. Seit das hat. Seit Stradivaris Zeiten werden die Decken der Geigen aus Streichinstrument mit vier Saiten, die Geige, zu Beginn des Fichtenholz hergestellt, Boden, Zargen und Schnecke aus 16. Jahrhunderts auftauchte – die erste urkundliche Erwähnung Ahorn. Wirbel und Saitenhalter sind meist aus Ebenholz, Pali- fand sich um 1523 am Hof des Herzogs von Savoyen – ist sie sander oder Buchsbaum. Diese Kombination hat sich als nahezu unverändert geblieben, was Grundform und Grund- denkbar beste für den Klang erwiesen. „Sie rekrutiert den riss anlangt. In den Regalen und Kästen in der Johannisstraße Klang, den wir haben wollen.“ Vor allem Bäume aus Höhenla- hängen, wie in einem Schaukasten zur Geschichte des Holz- gen über tausend Meter sind gut geeignet, die Nährstoffarmut handwerks, fein geordnet Hobel und Beitel, Ziehklingen und gibt ihnen eine dichte Struktur. Bäume aus den heimischen Schnitzmesser, Feilen und Raspeln. Die aufgereihten Gläser schweren Böden wachsen schneller, ihr Holz wäre deshalb auf dem Wandbord tragen flüchtige Beschriftungen: Calce nicht elastisch genug. Wie der Fachmann die Tonhölzer aus- dall’Lombardia, Kaurikopal, Myrrhegranulat, Pigmente, wählt, von denen so viel abhängt, das ist eine Mischung aus Öle, Marmormehl – Ingredienzien für Lacke und Leime. Jeder Erfahrung und Intuition. „Man spürt, wie ein Holz schwingt, Geigenbauer schwört, das gehört sich so, auf sein besonderes wenn man es klopft. Aber ich gehe auch viel nach der Optik – Rezept für die Lackierung, auch Michalke. Der Lack muss das Holz muss nach meinem Gefühl ein bestimmtes Aussehen schließlich nicht nur die Schönheit des Instruments zum haben.“ Michalke ist bei der Suche nach den besten Tonhöl- | 33
kulturland 1|09 Wie wird der Klang des histori- schen Violones gefallen? Jedes Instrument wird in der Werk- statt immer wieder kritisch angespielt. zern zusammen mit einem man will ja den Musi- Freund in der Schweiz fün- kern helfen“, sagt dig geworden, wo Schindel- Michalke. Eigentlich ist hölzer zum Dachdecken wieder sein Traum, ungestört in Mode gekommen sind. Da werden Instrumente bauen zu kön- ganz ähnliche Anforderungen gestellt, nen. Immer wieder eigene wie er sie hat. Tonideale zu verwirkli- „Geigenbau ist Klangbau“, mit chen, auf der Suche nach diesem Merksatz umschreibt dem perfekten Klang der Wahl-Oldenburger weiterzukommen, zu ver- gern seine Philosophie. suchen, wie weit man Damit benennt er aber den Klangwünschen von auch ein Grunddilemma. Kunden entsprechen kann, Klang und Klangempfin- das sei das Faszinierende dung lassen sich kaum für ihn. Wenn bald wieder objektivieren. Was ei- ein Geselle mitmacht, wird nem Künstler sein Ins- mehr Zeit für solches krea- trument beim Spielen tive Expertentum im Geist „sagt“, was er hört und der Tradition sein. Würde fühlt und was sich wiede- er sagen, dass seine Instru- rum dem Zuhörer vermit- mente eine Seele haben? telt, das ist so subjektiv wie die Natürlich haben sie das, Wahrnehmung eines Parfüms. Es nickt er erheitert: Das italie- hängt von klimatischen und akus- nische „Anima“ ist der hand- tischen Bedingungen ab. Außer- werkliche Begriff für den Stimmstock dem prägen sich Instrument und des Instruments im Inneren. Was das Spieler gegenseitig, oft stellen sie romantisch vermutete Nicht-Fassbare sich erst im Lauf des Spiels aufeinander ein, manchmal klappt des Geigenklangs anlangt, das auch in die Beziehung wunderbar, manchmal weniger. den Herzen der Hörer nachschwingt, das lässt er lieber andere ausmalen. D Die Anschrift der Werkstatt: ie spröde antike Violine hat sich mittlerweile erwei- Geigenbauer Martin Michalke, chen lassen. Sie antwortet nach den sachten Ein- Johannisstrasse 5, 26121 Oldenburg griffen mit Messer und Feile klarer auf den Bogen- www.martinmichalke.de strich. Michalke legt sie zum Abholen zurecht, er wird dem Besitzer genau erklären, was er verän- dert hat, wo man noch einmal ansetzen könnte. Eigentlich wartet jetzt auf dem Tisch in der Mitte des Ateliers der helle Rohkörper eines Cellos auf die Feinarbeit, die aus einem Holzobjekt ein Ins- trument macht. Doch das wird wahrscheinlich noch etwas dauern. Im Regal an der Seite drän- gen sich, dicht an dicht, fast 20 Instrumente zur Restaurierung oder Reparatur. „Das muss sein, 34 |
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