Geographien von Wahlkampf, Medien und Gewalt: Extrem rechte Bewegungen aus assemblagetheoretischer Perspektive
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Geogr. Helv., 77, 345–356, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-345-2022 © Author(s) 2022. This work is distributed under the Creative Commons Attribution 4.0 License. Geographien von Wahlkampf, Medien und Gewalt: Extrem rechte Bewegungen aus assemblagetheoretischer Perspektive Thilo Wiertz and Tobias Schopper Institut für Umweltsozialwissenschaften und Geographie, Universität Freiburg, Schreiberstr. 20, 79085 Freiburg, Deutschland Correspondence: Thilo Wiertz (thilo.wiertz@geographie.uni-freiburg.de) Received: 1 June 2021 – Revised: 30 August 2022 – Accepted: 31 August 2022 – Published: 19 September 2022 Kurzfassung. Far right movements are waging a battle against pluralistic and democratic societies in Germany and beyond. Insofar as they seek to reorder the relationship between society, power, and space, they are inherently geographical and geopolitical projects. It is therefore no surprise that the rise of a new far right in recent years has sparked attention amongst political geographers. In German political geography, engagements with far right movements and their ideology have focused on regional socio-demographic patterns in extremist attitudes and votes for far right parties, or on the discursive construction of far right world views. We suggest that a conceptual renewal is in order and examine how assemblage theory can help to better understand how far right movements engender processes of territorialization and deterritorialization in their attempt to establish authoritative and nationalist social order. Understanding these processes requires a consideration of the interplay of discursive and affective processes. We outline the possibilities of such a perspective in three contexts: First, we propose to shift the focus from election results to political campaigns, the transregional networks on which they operate, and the spatial practices they produce. Second, we suggest to expand research on geopolitical imaginations of the far right to account for the dissemination and resonance of these imaginations in online media. Third, we outline how an assemblage approach can help to analyze the geographies of violence inherent in far right projects and their production of territories. 1 Einleitung gen und antisemitische Verschwörungsmythen zu verbrei- ten (Naumann und Kamann, 2021). Die Verbreitung völ- Anfang Februar 2022, knapp zwei Monate nach ihrem Amts- kischer und autoritärer Weltbilder überschreitet dabei viel- antritt, erklärte Innenministerin Nancy Faeser, der Rechtsex- fach die Schwelle zur Gewalt. Im Sommer 2020 versuchte tremismus sei „die größte Gefahr für die Demokratie“ (Zeit ein Mob aus Reichsbürger*innen, Anthroposoph*innen und Online, 2022). Faeser bestätigte damit, was Wissenschaft- Neo-Nazis den deutschen Bundestag zu erstürmen. Und die ler*innen und Sicherheitsbehörden seit einiger Zeit anmah- Morde durch Mitglieder des Nationalsozialistischen Unter- nen: Extrem rechte Bewegungen führen einen Kampf gegen grunds, die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübke eine pluralistische und demokratische Gesellschaft (Weiß, 2019 sowie die rechtsterroristischen Anschläge 2019 in Hal- 2017). Dieser Kampf zeigt sich unter anderem in sozialen le und 2020 in Hanau sind weitere Belege dafür, dass ex- Medien, wo Hass und Hetze gegenüber rassistisch gelesenen trem rechte Bewegungen eine Bedrohung für innere Sicher- Menschen oder gegenüber Menschen, die sich für Geflüch- heit, demokratische Kultur und gesellschaftlichen Zusam- tete engagieren, zum Alltag geworden sind (Ebner, 2019). menhalt in Deutschland sind. Die Amadeu Antonio Stiftung Im Verlauf der Corona-Pandemie nutzten extrem rechte Be- zählte zwischen 1990 und März 2022 mehr als 200 Todesop- wegungen die Proteste gegen Maßnahmen zur Eindämmung fer rechter Gewalt (Amadeu Antonio Stiftung, 2022) und es der Pandemie, um ihre Weltbilder in die Gesellschaft zu tra- wurden in Deutschland zwischen 1990 und 2018 mehr Fälle Published by Copernicus Publications for the Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich & Association Suisse de Géographie.
346 T. Wiertz and T. Schopper: Geographien von Wahlkampf, Medien und Gewalt von rechter Gewalt und Rechtsterrorismus dokumentiert als Möglichkeiten eine solche Perspektive bietet: Wir schlagen in jedem anderen europäischen Land (Brandt, 2020). vor, den Fokus der Wahlgeographie stärker auf Wahlkämpfe Auf der politischen Bühne hat sich die Alternative zu richten, Forschung zu geopolitischen Leitbildern um die für Deutschland (AfD) als autoritär-nationalistische Partei Frage nach ihrer medialen Verbreitung und Resonanz zu er- mit rechtsextremen Tendenzen (Belina, 2019) etabliert. Im weitern sowie Raumproduktionen der extremen Rechten als Jahr 2017 wurde sie in den deutschen Bundestag gewählt. Geographien von Gewalt zu thematisieren. Ursprünglich als euroskeptische und marktradikale Protest- partei konzipiert, hat sich die AfD im Zuge der Migrations- bewegungen 2015 zu einer Partei entwickelt, die eine zu- 2 Politische Geographien der (neuen) extremen nehmend aggressive, rassistische und migrationsfeindliche Rechten Agenda propagiert und rechtsextreme Gewalt und Terroris- mus bagatellisiert (Quent, 2019). Dabei kann sich die Par- In geographischen Auseinandersetzungen mit der extremen tei auf ein breites Netzwerk extrem rechter Gruppierungen Rechten haben sich in der Vergangenheit vier Forschungs- stützen, das sich selbst als „Neue Rechte“ bezeichnet. Dazu richtungen herausgebildet: Erstens Forschung zur Verbrei- zählen Verlage, Zeitschriften, Influencer*innen in sozialen tung extrem rechter Einstellungen und zu Wahlerfolgen rech- Medien sowie (gewalttätige) Jugendorganisationen (Mudde, ter Parteien; zweitens eine disziplinhistorische Auseinander- 2019; Salzborn, 2017). Diese neue extreme Rechte zielt we- setzung mit dem Verhältnis von geographischem Wissen und niger auf kurzfristige Wahlerfolge, sondern versucht, extrem nationalsozialistischer Ideologie; drittens die Analyse rechter rechte Ideologie im breiteren gesellschaftlichen Diskurs zu Diskurse und Ideologie im Hinblick auf geopolitische Leit- verankern und so langfristig politische Macht zu garantieren bilder; sowie viertens Untersuchungen zu rechten Land- und (Kübler und Schopper, 2021). Diese Strategie basiert auf ei- Raumnahmen. ner Interpretation von Gramscis Theorie der kulturellen He- Die Analyse der räumlichen Verbreitung rechter Ein- gemonie und wird als „Metapolitik“ bezeichnet (Bruns und stellungen hat zum Ziel, Wahlerfolge extrem rechter und Strobl, 2015): Extrem rechte Gruppen adressieren den vor- rechtspopulistischer Parteien besser zu verstehen und zu er- politischen Raum, der nach Gramsci der formellen Politik klären. Der Wahlsieg der NSDAP in Schleswig-Holstein vorgelagert ist und in dem sich politische „Überzeugungen, im Jahr 1932 war Gegenstand der ersten deutschsprachi- Gewohnheiten [und] Anhängerschaften bilden“ (Barfuss und gen wahlgeographischen Studie überhaupt (Heberle, 1934). Jehle, 2017:117). Während soziologische und politikwissenschaftliche Wahl- Neue rechte Bewegungen streben, ebenso wie ihre Vor- forschung der Frage „Wer wählt wen und warum?“ nachgeht, gänger, eine Neuordnung des Verhältnisses von Gesellschaft, erweitert die Wahlgeographie die Analyse um eine räumliche Macht und Raum an und sind insofern geographische und Dimension, indem sie räumliche Muster in Wahlergebnissen geopolitische Projekte. In den vergangenen Jahren hat die herausarbeitet (Taylor und Johnston, 2015; Ante, 1982). Ge- humangeographische Forschung zur extremen Rechten neu- genstand deutschsprachiger Analysen rechter Wahlerfolge, en Auftrieb erhalten, was sich in laufenden Forschungs- insbesondere der AfD, sind Disparitäten zwischen Ost- und projekten, Konferenzbeiträgen und Veröffentlichungen zeigt Westdeutschland sowie zwischen Stadt und Land (Bernet et (z. B. Mullis und Miggelbrink, 2021; Berg und Üblacker, al., 2019). Im Kern geht es darum, räumliche Differenzen in 2020). Wie wir im Folgenden erläutern, sollten dabei auch demographischen, sozialen oder ökonomischen Faktoren zu theoretische Perspektiven diskutiert, überdacht und erwei- identifizieren und so die Komplexität räumlicher Muster im tert werden. Denn ein großer Teil bisheriger geographischer Wahlverhalten und deren soziale Ursachen herauszuarbeiten Forschung betrachtet extrem rechte Bewegungen unter dem (Geilen und Mullis, 2021). Mullis und Zschocke (2019:6) be- Gesichtspunkt der räumlichen Verbreitung von Einstellun- tonen, dass es dabei „geteilte Einstellungsmuster und soziale gen oder als primär diskursives Phänomen. Jüngere kon- Erfahrungen in Ost und West sowie in Stadt und Land sind, zeptionelle Entwicklungen in der Politischen Geographie die die Prozesse einen und nicht deren räumliche Form“. Die können hier nützliche Impulse für eine Weiterentwicklung aktuellen deutschsprachigen Debatten zur geographischen der Forschung zu extrem rechten Bewegungen geben. Einen Wahlforschung bemühen sich dementsprechend, stark ver- möglichen Ansatzpunkt bieten assemblagetheoretische Per- einfachenden räumlichen Gegenüberstellungen einen diffe- spektiven, die politische Bewegungen als heterogene Gefü- renzierteren Blick entgegenzusetzen. Einige aktuelle Arbei- ge konzipieren und räumliche Prozesse als Zusammenspiel ten fokussieren dabei auf Differenzen zwischen verschiede- von Diskurs und Affekt untersuchen. Im Folgenden fassen nen ländlichen Räumen (Simon, 2020), andere zielen auf so- wir zunächst bestehende Forschungsstränge in der Geogra- zialräumliche Polarisierungen innerhalb städtischer Kontex- phie zusammen, die sich mit extrem rechten Bewegungen in te (Geilen und Mullis, 2021; Mullis, 2018; Bescherer et al., Deutschland befassen. Daran anschließend erörtern wir ei- 2021; Förtner et al., 2019). Kurz: Die geographische Wahl- ne assemblagetheoretische Perspektive, die diese Bewegun- forschung nimmt an, dass sich extrem rechte Einstellungen gen als Prozesse der Territorialisierung und Deterritoriali- auf soziale und ökonomische Differenzen zurückführen las- sierung begreift. Darauf aufbauend skizzieren wir, welche sen, legt im Unterschied zu soziologischen und politikwis- Geogr. Helv., 77, 345–356, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-345-2022
T. Wiertz and T. Schopper: Geographien von Wahlkampf, Medien und Gewalt 347 senschaftlichen Analysen den Fokus jedoch stärker auf die nen die AfD operiert, dabei weitgehend kongruent mit Welt- räumliche Dimension dieser Differenzen. bildern, die auch von Medien der „gesellschaftlichen Mit- Eine zweite Forschungsrichtung sind disziplinhistorische te“ im Kontext der Migrationsbewegungen 2015 reproduziert Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis von Geographie wurden. Schopper (2022) zeigt am Beispiel extrem rechter und extrem rechter Politik. Entsprechenden Arbeiten geht Rapmusik darüber hinaus, wie die extreme Rechte in popkul- es nicht um eine Analyse der räumlichen Differenzierung turellen Kontexten nicht nur nationalistische bzw. völkische rechter Einstellungen, sondern darum, welches geographi- Identitätsangebote unterbreitet, sondern es auf eine Spaltung sche Wissen extrem rechter Politik zugrunde liegt. Sie ha- innerhalb der Gesellschaft absieht. ben herausgearbeitet, welches Wissen und welche Diskurse Ein vierter Forschungsstrang in der geographischen Aus- innerhalb der Geographie bis Mitte des 20. Jahrhunderts pro- einandersetzung mit der extremen Rechten thematisiert duziert wurden und wie sie Kolonialismus, nationalsozialisti- „Kämpfe um Raumhoheit“ (Schulze und Weber, 2011), sche Politiken oder Shoah legitimieren (Charlesworth, 1992; „Landnahmen“ (Röpke und Speit, 2019) und rechte „Raum- Heinrich, 1990; Michel, 2014; Rössler, 1987). Im Fokus der aneignung“ (Kubiak, 2020). Analysen zu Angsträumen, No- Analyse stehen dabei natur- und geodeterministische Vorstel- Go-Areas oder von der extremen Rechten ausgerufene „na- lungen über das Verhältnis von Volk, Staat und Raum so- tional befreite Zonen“ beschäftigen sich mit Räumen, auf die wie eine sozialdarwinistische Auslegung dieses Verhältnis- die extreme Rechte einen exklusiven Nutzungsanspruch er- ses. Dabei wird insbesondere auf die Arbeiten von Fried- hebt und diesen durch explizite oder implizite Androhung rich Ratzel verwiesen, dessen Politische Geographie „eine von Gewalt durchsetzt. Ein überwiegender Teil der For- machtvolle, ,natürliche‘ Grundlage für die Großmachtphan- schung betrachtet dabei primär die mediale Repräsentation tasien der damaligen Zeit“ bildete (Reuber, 2012:80; Bassin, dieser Räume (Kubiak, 2020; Mohring und Rolfes, 2020). 1987). Kritisch diskutiert wurden darüber hinaus wirtschafts- Döring (2008) geht darüber hinaus auch auf die Erfahrung geographische Arbeiten wie Christallers Theorie der Zentra- solcher Räume durch (potenzielle) Opfer rechter Gewalt ein. len Orte, die das Führerprinzip des Nationalsozialismus für Praktiken rechter Akteure hinsichtlich deren Raumaneignun- die Raumplanung adaptierte (Kegler, 2015). Die Aufarbei- gen finden hingegen nur in wenigen Arbeiten Beachtung tung politisch geographischer Wissensproduktion durch dis- (Bürk, 2012; Kubiak, 2020), sicherlich auch aufgrund me- ziplinhistorische Arbeiten war dabei zentral für eine Neube- thodischer und forschungsethischer Herausforderungen. gründung der Politischen Geographie in Deutschland nach Angesichts der Wahlerfolge der AfD, rechtsterroristischer dem zweiten Weltkrieg und die Entstehung einer kritisch Anschläge sowie der Mobilisierung gegen die Pandemiepoli- geopolitischen Forschungsperspektive (Reuber, 2012). tik hat die geographische Forschung zur extremen Rechten in Drittens betrachten Analysen geopolitischer Leitbilder im den vergangenen Jahren neuen Auftrieb erhalten (Mullis und Sinne einer Kritischen Geopolitik, anknüpfend an disziplin- Miggelbrink, 2021). Im Zuge dieser jüngeren Auseinander- historische Arbeiten, wie Wissen über geographische Zusam- setzung fordern Förtner et al. (2019), theoretische Perspek- menhänge in Politik und Gesellschaft produziert und verbrei- tiven zu überdenken und zu aktualisieren. Dieser Forderung tet wird, um (außen-)politische Entscheidungen zu legitimie- schließen wir uns an. Denn ein überwiegender Teil der po- ren (Dodds, 2001; Ó Tuathail, 1996). Arbeiten zu Popular litisch geographischen Forschung zur extremen Rechten be- Geopolitics haben in diesem Kontext früh darauf aufmerk- trachtet „die extreme Rechte“ als vergleichsweise statisches sam gemacht, dass geopolitische Leitbilder nicht ausschließ- räumliches Phänomen, dessen Ursachen sie in gesellschaftli- lich durch politische und akademische Zirkel und Institutio- chen Einstellungen und sozioökonomischen Strukturen ver- nen entworfen werden, sondern maßgeblich durch Medien, mutet, oder sie reduziert die geographische Dimension der Popkultur und alltägliche Praktiken produziert, reproduziert extremen Rechten auf geographische und geopolitische Ima- und verbreitet werden (Dittmer und Bos, 2019; Saunders und ginationen. Wir meinen hingegen, dass sich die Politische Strukov, 2018). Obwohl solche Perspektiven für die Analyse Geographie stärker mit der Frage beschäftigen sollte, wie extrem rechter Bewegungen viel Potential beinhalten, liegen sich extrem rechte Bewegungen innerhalb gesellschaftlicher nur wenige Analysen geopolitischer Leitbilder rechter Be- Zusammenhänge formieren und wie sie gesellschaftliche und wegungen nach dem zweiten Weltkrieg vor. In einer Analyse räumliche Ordnungen transformieren. Es geht also darum zu von 2011 untersucht Schipper Repräsentationen von „Volk“, untersuchen, welche Prozesse in extrem rechten Bewegun- „Nation“ und „Europa“ in Diskursen der Nationaldemokra- gen zum Ausdruck kommen und welche gesellschaftlichen tischen Partei Deutschlands (NPD) und deckt inhärente Wi- Veränderungen sie in Gang setzen. Damit kann die Politi- dersprüche zwischen völkischem Nationalismus und der Idee sche Geographie zu einem besseren Verständnis der Wirkun- eines vereinigten „Europa der Vaterländer“ auf (Schipper, gen beitragen, die extrem rechte Bewegungen innerhalb ge- 2011). Hövel (2019) untersucht Reden und Interviews füh- sellschaftlicher Zusammenhänge entfalten und die maßgeb- render AfD-Politiker*innen von 2013 bis 2017 und zeigt, lich an die „Verräumlichung“ von Macht geknüpft sind. Wir dass diese auf extrem rechte, ethnopluralistische und antago- schlagen dazu eine assemblagetheoretische Perspektive vor, nistische Leitbilder rekurrieren. Wie Mattissek und Schop- die extrem rechte Bewegungen als Prozesse der Territoriali- per (2019) darlegen, sind die Verweise und Leitbilder, mit de- https://doi.org/10.5194/gh-77-345-2022 Geogr. Helv., 77, 345–356, 2022
348 T. Wiertz and T. Schopper: Geographien von Wahlkampf, Medien und Gewalt sierung und Deterritorialisierung konzipiert und das Verhält- änderungen anzustoßen, ist das Zusammenspiel beider Di- nis von Diskurs und Affekt in das Zentrum der Analyse stellt. mensionen zentral: Maschinen- und Äußerungsgefüge setzen sich wechselseitig voraus und beziehen sich aufeinander, ste- hen jedoch nicht in einem Repräsentations- oder einseitigem 3 Diskurs, Materialität und Affekt in Bestimmungsverhältnis zueinander und lassen sich deshalb assemblagetheoretischer Perspektive nicht auf die eine oder andere Dimension reduzieren (De- leuze und Guattari, 1992). Anspruch einer assemblagetheo- Assemblagetheorie betrachtet Wirklichkeit als Prozess, der retischen Betrachtung ist es daher zu untersuchen, wie As- auf das Zusammenwirken von Gefügen bzw. Assemblages semblages materielle und symbolische Prozesse kombinieren zurückzuführen ist. Assemblages selbst sind heterogen, da und dadurch gesellschaftliche Wirklichkeit strukturieren und sie eine symbolische ebenso wie materielle Dimension ha- transformieren (Mattissek und Wiertz, 2014). ben (DeLanda 2006): Eine räumliche Ordnung entsteht aus Assemblagetheoretische Forschung wirft die Frage auf, der Verknüpfung von Diskursen über Identität und Zugehö- wie diskursive und körperliche bzw. maschinelle Prozesse rigkeit mit materiellen und körperlichen Ordnungsprozessen, zusammenwirken und so gesellschaftliche Verhältnisse sta- wie (nationale) Grenzziehungen eindrücklich zeigen (Wiertz, bilisieren oder verändern. Die Tendenz zur Stabilisierung 2020). Verstetigen sich Interaktionen zwischen Assembla- und Destabilisierung von Assemblages wird von Deleuze ges, können größere Assemblages entstehen (größer im Sin- und Guattari mit den Konzepten der Territorialisierung und ne der Anzahl von Komponenten, nicht notwendig im Sin- Deterritorialisierung beschrieben. Sie verwenden die beiden ne ihrer räumlichen Ausdehnung), deren Eigenschaften und Begriffe für physische, aber auch für abstrakte Räumlich- Fähigkeiten jene ihrer Bestandteile übersteigen und in die- keiten wie etwa Farbräume oder das musikalisch-zeitliche sem Sinne emergent sind (DeLanda, 2006). Wirklichkeit und Raster, das ein Rhythmus erzeugt (Deleuze und Guattari, Gesellschaft lassen sich somit nicht auf ontologische Ka- 1992). Territorialisierung und Deterritorialisierung bieten tegorien, Essenzen oder Strukturen zurückführen, sondern ein nützliches Begriffspaar für geographische Betrachtun- sind Ausdruck historisch kontingenter Interaktionen zwi- gen, denn sie legen nahe, Prozesse und Interaktionen un- schen Assemblages über unterschiedliche Maßstabsebenen ter dem Gesichtspunkt der Bildung und Transformation von hinweg (DeLanda, 2006). In der Politischen Geographie wur- Strukturen zu betrachten, die in gesellschaftlichen Zusam- den assemblagetheoretische Ansätze beispielsweise verwen- menhängen in aller Regel auch eine im engeren Sinne geo- det um aufzuzeigen, welche Relevanz materielle Strukturen graphische Dimension haben: Die Errichtung eines Grenz- und Affekte für ein Verständnis von Diplomatie und Geopo- zauns oder dessen Überwindung markieren Prozesse der litik haben (Müller, 2012; Dittmer, 2014, 2017), oder um das (De-)Territorialisierung im Maschinengefüge, die in Reso- Verhältnis von Diskurs, Technik und Natur in umweltpoliti- nanz oder Dissonanz mit einer diskursiven Assoziation von schen Gefügen zu adressieren (Mattissek und Wiertz, 2014). nationaler Identität und physischem Raum stehen. Sich wan- Auch wenn Assemblagetheorie häufig als Hinwendung delnde Identitätskonzepte können umgekehrt eine Deterrito- zu Materialität und als Abwendung von diskursanalytischen rialisierung im Äußerungsgefüge widerspiegeln, die beste- Perspektiven verstanden wird, argumentieren einige Au- hende Grenzen und Grenzpraktiken in Frage stellt und deren tor*innen, dass die Frage nach der Verknüpfung von Diskurs, materielle Reorganisation anstößt. Materialität und Affekt zentral ist (Anderson, 2019; Wiertz, Der Moment der Interaktion zwischen Assemblages wird 2021b; Schurr und Strüver, 2016). Gerade im Hinblick auf in der Assemblagetheorie als Affekt bezeichnet. Ein Af- extrem rechte Bewegungen, deren Kampf maßgeblich auf fekt bezeichnet demnach die Zustandsveränderung einer As- Interventionen im gesellschaftlichen Diskurs setzt, gleicher- semblage, ausgelöst durch eine Begegnung mit einer ande- maßen jedoch physische Raumansprüche geltend macht und ren Assemblage (DeLanda, 2006). Entlang der Kritik von teils gewaltsam durchsetzt, erscheint eine solche konzep- Leys (2011) und im Sinne feministischer Theorien von Emo- tionelle Verknüpfung gewinnbringend. Ein nützlicher Aus- tion und Affekt sollte Affekt jedoch nicht rein materiell, kör- gangspunkt hierfür sind die Arbeiten von Deleuze und Guat- perlich oder vorsubjektiv begriffen werden (Fischer, 2016). tari. Sie konzipieren eine Assemblage (frz. agencement) als Diese Forderung ist durchaus mit einer assemblagetheoreti- relationale Anordnung von Äußerungen und Körpern. Eine schen Perspektive vereinbar. Laut Spinoza, dessen Arbeiten Assemblage ist demnach zum einen ein kollektives Äuße- Deleuzes Werk maßgeblich geprägt haben (Deleuze, 1988, rungsgefüge, ein Begriff, der Parallelen zum Begriff der dis- 1993), entsteht in der Begegnung zweier Körper ein Vor- kursiven Formation bei Foucault aufweist (Deleuze, 1992). stellungsbild, d. h. die Idee der Wirkung eines Körpers auf Eine Assemblage lässt sich also im Hinblick auf die Orga- einen anderen. Verantwortlich für die Zustandsveränderung nisation von Äußerungen und die Konstruktion von Wissen eines Körpers ist nicht die unmittelbare materielle Interakti- betrachten. Zum anderen ist sie jedoch auch ein Maschinen- on, sondern die Abfolge von Vorstellungsbildern, die in den gefüge, d. h., sie organisiert Relationen und Interaktionen Begegnungen von Körpern entstehen. Die Vorstellungsbilder materieller Gegenstände bzw. Körper. Für ein Verständnis sind dabei von vorgängigen Erfahrungen und Wissen geprägt der Entstehung einer Assemblage und ihrer Fähigkeit, Ver- (Deleuze, 1988:64f). Affekte sind also nicht allein materiell Geogr. Helv., 77, 345–356, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-345-2022
T. Wiertz and T. Schopper: Geographien von Wahlkampf, Medien und Gewalt 349 oder körperlich, denn die Wirkung einer Interaktion hängt deutlichen, dass sich mit dieser Perspektive auch ein Weg er- von früheren Begegnungen und Vorstellungsbildern ab: Das gibt, „Geographien von Gewalt“ extrem rechter Bewegungen Wissen über die Art und Weise, wie ein anderer Körper mit zu thematisieren. unserem interagiert, verändert die tatsächlichen Transforma- tionen in der Begegnung (Deleuze, 1978). Das erklärt auch, warum Affekte kontingent und subjektabhängig sind (Schurr 4 Von der Wahlgeographie zur und Strüver, 2016). Des Weiteren folgt daraus die Möglich- Wahlkampfgeographie keit, dass Denken und Äußerungen selbst Affekte produzie- ren. Nicht insofern sie eine Wirklichkeit, die sie repräsentie- Die geographische Wahlforschung sucht nach begünsti- ren, realisieren, sondern insofern sie Vorstellungsbilder her- genden sozialen Faktoren, um Wahlergebnisse und deren vorbringen. Ebenso wie von körperlichen Interaktionen wer- räumliche Verbreitung zu erklären. Jedoch können diese den wir durch Gedanken und Äußerungen affiziert, da in ih- Arbeiten selten eindeutige Korrelationen zwischen sozio- nen eine Wirklichkeit zum Ausdruck kommt, die unser Le- demographischen Daten und Wahlergebnissen herausarbei- ben betrifft und verändert (Grosz, 2018:76f). Affekte können ten, weshalb manche Autor*innen eine stärker qualita- also sowohl vom Äußerungsgefüge als auch vom Maschinen- tive Ausrichtung der geographischen Wahlforschung for- gefüge einer Assemblage ausgehen: Eine Bedrohung kann dern (Mullis, 2018). International hingegen wird schon län- ebenso durch Äußerungen wie durch einen körperlichen An- ger eine Neuausrichtung der geographischen Wahlforschung griff ausgedrückt werden. Im Unterschied zu vielen gängigen hin zu einer Wahlkampfforschung angestrebt (Warf und Emotionsbegriffen sind Affekte dabei jedoch nicht auf ein Leib, 2011). Diese betrachtet Wahlen nicht primär unter Set von Kategorien psychischer Empfindungen begrenzt. Ein den Gesichtspunkten des Wahlergebnisses oder der sozio- Affekt bezeichnet ein Erleben, das eine Assemblage in ihrer demographischen Eigenschaften der Wählenden, sondern Heterogenität, d. h. in ihrer körperlichen wie symbolischen betont die Wichtigkeit politischer Parteien und ihrer Aktivi- Dimension, betrifft. täten für gesellschaftliche Transformationen (Page und Ditt- Ein solcher Affektbegriff ermöglicht es, den Blick auf kör- mer, 2015). Hierbei spielen assemblagetheoretische Ansät- perliche Praktiken und Interaktionen zu lenken, die für po- ze eine zentrale Rolle. Page (2019) zeigt in einer Analyse litische Prozesse zentral sind (Protevi, 2009). Gleicherma- des Haustürwahlkampfs der Labour-Partei in Großbritanni- ßen wirft er die Frage auf, welche Wirkung Äußerungen en, dass Wahlkampf maßgeblich auf der Verknüpfung unter- entfalten, wobei Wirkung als Affekt verstanden sich nicht schiedlicher Komponenten und Akteure basiert. Neben ma- in der Organisation von Wissen bzw. Bedeutung erschöpft teriellen Elementen wie Wahlwerbematerialien oder Compu- (Wiertz, 2021b). Gerade extrem rechte Diskurse bzw. Äuße- terprogrammen ist es die Einbindung von freiwilligen Wahl- rungsgefüge zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Wirkung helfenden und deren Interaktion mit potenziellen Wählen- vielfach nicht allein oder primär auf eine logische argumen- den, die Page in den Blick nimmt. Inwiefern es gelingt, Frei- tative Überzeugung zielt, sondern Weltbilder mit Empfin- willige in das Projekt des Wahlkampfs zu integrieren und dungen verknüpft (Wodak, 2016; Ebner, 2019). Für die Po- Wählende zu mobilisieren, hängt, so Page, maßgeblich von litische Geographie haben insbesondere Arbeiten zum Ver- den affektiven Interaktionen zwischen den unterschiedlichen hältnis von Affekt und Nationalismus auf diese Verknüpfung Teilen der Assemblage ab. aufmerksam gemacht (Militz und Schurr, 2016; Antonsich Für ein Verständnis extrem rechter Wahlkämpfe ist eine und Skey, 2016). Für die Analyse von Territorialisierungs- solche Perspektive hilfreich, denn der Erfolg rechter Partei- und Deterritorialisierungsprozessen kann es dabei nützlich en hängt kaum allein davon ab, ob in einer Region Einkom- sein, den Blick nicht nur auf Affekte zu richten, sondern auf men oder Arbeitslosigkeit hoch oder niedrig ist, sondern da- „affektive Atmosphären“ (Anderson, 2009). Affektive Atmo- von, ob es gelingt, Menschen zur Wahl zu mobilisieren, d. h., sphären weisen über das individuelle und subjektabhängige Unzufriedenheiten und latente Einstellungen anzusprechen, Erleben einer Situation hinaus, indem sie die (materiellen Wut zu verstärken und Identifizierungsangebote zu schaf- und symbolischen) Aspekte einer Situation bzw. einer räum- fen. Dafür greifen rechte Parteien auf unterstützende Netz- lichen Konfiguration adressieren, die dazu geeignet sind, be- werke zurück, die in vielen Fällen räumlich über den Wahl- stimmte Weisen des Erlebens zu begünstigen. bezirk hinausreichen. Im Fall der AfD sind es beispielswei- Im Folgenden skizzieren wir, welchen Beitrag eine solche se Verbindungen zur Identitären Bewegung (IB), zu autono- Perspektive für die Weiterentwicklung der politisch geogra- men Kameradschaften, zu völkischen Siedlungen, zu rechten phischen Wahl(kampf)forschung sowie zur Analyse media- Medien und Verlagen sowie zu gewaltbereiten Netzwerken, ler Diskurse und der Verbreitung geopolitischer Leitbilder die im Wahlkampf mobilisiert werden, deren Relevanz für leisten kann. Dabei betrachten wir jeweils, welche Kompo- die Dynamik in Wahlkämpfen bislang jedoch kaum genau- nenten Teil extrem rechter Assemblages bzw. Bewegungen er untersucht wurde (Funke, 2016; Ramos und Torres, 2020; sind und welche Rolle das Verhältnis von Diskurs und Af- Speit, 2018). Dabei sind es Akteure aus diesen Netzwerken, fekt in Territorialisierungs- und Deterritorialisierungsprozes- die Wahlwerbung plakatieren, Musik auf Wahlkampfveran- sen spielt. Insbesondere im letzten Kapitel werden wir ver- staltungen machen, digitale Kampagnen organisieren oder https://doi.org/10.5194/gh-77-345-2022 Geogr. Helv., 77, 345–356, 2022
350 T. Wiertz and T. Schopper: Geographien von Wahlkampf, Medien und Gewalt auch Protestierende von Wahlkampfständen fernhalten. Teile Wahlen offenlegen, als es bisherige Arbeiten der Wahlfor- der Netzwerke haben zudem eine transnationale Komponen- schung tun. Denn Wahlerfolge extrem rechter Parteien lassen te (Macklin, 2013): Mehrfach wurde bereits auf die ideel- sich so kaum mehr sinnvoll auf gesellschaftliche Struktur- le und finanzielle Unterstützung rechter Parteien in Europa merkmale in abgegrenzten räumlichen Einheiten zurückfüh- durch Akteure aus Russland aufmerksam gemacht (Bidder, ren, sondern sind als Ausdruck von Wahlkampfassemblages 2017). zu betrachten, deren Deterritorialisierung in transregionalen Assemblagetheoretisch betrachtet erscheinen Wahlen al- Netzwerken und Territorialisierung in konkreten Orten des so weitaus komplexer als eine Betrachtung soziodemogra- Wahlkampfs es zu analysieren gilt. Zentral sind dabei Af- phischer Daten oder geopolitischer Leitbilder allein vermu- fekte wie Wut und Empörung, die durch extrem rechte Be- ten ließe. Neben maßstabsübergreifenden Komponenten, die wegungen provoziert, mobilisiert und mit inhaltlichen For- Teil rechter Wahlkampfassemblages sind, haben Wahlkämp- derungen verknüpft werden. Dies geschieht nicht zuletzt in fe dabei natürlich auch eine lokale und regionale Dimen- digitalen und sozialen Medien, die von extrem rechten Be- sion, insofern sie an konkreten Orten stattfinden. Um sol- wegungen gezielt zur Mobilisierung genutzt werden. che Territorialisierungen zu untersuchen, ist ein Blick auf die situierten Praktiken des Wahlkampfs und deren affekti- ve Dimension nützlich (Page, 2019; Schurr, 2013). So zeigt 5 Extrem rechte Diskurse in digitalen Medien Schurr (2013) im Kontext des Präsidentschaftswahlkampfes in Ecuador, dass Affekte1 eine zentrale Rolle beim Aufbau Die im vorangehenden Abschnitt skizzierte Wahlkampffor- einer Beziehung zwischen Kandidierenden und potentiellen schung lenkt den Blick auf die Netzwerke extrem rechter Unterstützenden, aber auch innerhalb der Gruppe der Unter- Parteien und auf die Mobilisierung von Wählenden an Orten stützenden spielen. Ebenso wie Page skizziert Schurr damit des Wahlkampfs. Im Wahlkampf, aber natürlich auch darüber eine Wahlgeographie, die versucht zu verstehen, wie Wahl- hinaus, verbreiten extrem Rechte Bewegungen geopolitische kampfauftritte politische Gemeinschaften konstituieren, in- Leitbilder, d. h. räumliche Konstruktionen von Identität und dem sie Beziehungen zu und zwischen Wählenden schaffen Zugehörigkeit. Die Perspektive der Popular Geopolitics bie- (Schurr, 2013). Wahlkampfsituationen lassen sich demnach tet nützliche Ansatzpunkte für die Erforschung neuer extrem als „electoral spaces“ (Schurr, 2013:115) betrachten, d. h. als rechter Strategien, deren erklärtes Ziel es ist, im Sinne der temporäre Orte, an denen über Redeauftritte, Demonstratio- oben beschriebenen „Metapolitik“ auf gesellschaftliche Dis- nen oder Wahlkampfstände inhaltliche Botschaften in affek- kurse einzuwirken, und die sich verstärkt der Möglichkeiten tive Atmosphären eingebettet werden, um Wählende für die digitaler Medien bedienen. Eine assemblagetheoretische Per- eigene Agenda zu mobilisieren. Auch Wahlkampfpraktiken spektive erweitert dabei den Blick auf die Rolle von Medien im Kontext extrem rechter Bewegungen lassen sich unter die- in der Organisation diskursiver Beziehungen und auf die af- sen Gesichtspunkten betrachten. Spannend für eine Analyse fektiven Qualitäten von Äußerungen. sind dabei nicht nur Territorialisierungen extrem rechter Be- Aufgrund ihrer Funktionsweise schaffen digitale und so- wegungen selbst, sondern auch jene des zivilgesellschaftli- ziale Medien neue Möglichkeiten der Diskursproduktion und chen Widerspruchs, der die Beanspruchung von Räumen und -beteiligung. Extrem rechte Bewegungen haben diese Mög- Orten durch die extreme Rechte zu verhindern sucht oder lichkeiten in den letzten Jahren verstärkt für ihre Zwecke ein- sich bemüht, deren affektive Wirkung zu unterbrechen, in- gesetzt (Nagle, 2018; Ebner, 2019). Digitale und soziale Me- dem beispielsweise Tagungsorte blockiert, Wahlkampfstän- dien funktionieren dabei als „Verteilungsmaschinen“ (Har- de eingekreist, abgeschirmt oder parodiert werden, Kirchen- per und Savat, 2016) und sind als solche mitverantwortlich glocken dauerläuten oder ausliegendes Material geklaut bzw. dafür, wie sich Weltbilder verbreiten und welche Nutzenden unbrauchbar gemacht wird. sie wann erreichen. Das Zusammenspiel von Äußerungen Eine assemblagetheoretisch ausgerichtete Wahlkampffor- mit medialen Mechanismen und Algorithmen, die die Ver- schung fragt also nach den Netzwerken bzw. Assemblages, teilung von Äußerungen steuern, löst Prozesse der Territo- die extrem rechte Bewegungen im Umfeld von Wahlen bil- rialisierung und Deterritorialisierung im virtuellen Raum aus den, und nach der Territorialisierung von Wahlkampfprak- (Wiertz und Schopper, 2019): Ein Beitrag auf Twitter oder tiken in konkreten Orten und Situationen. Sie rückt dabei Telegram kann sich in kürzester Zeit sehr schnell und weit Parteien und Wahlergebnisse in den übergeordneten Kon- verbreiten und eine sehr große Zahl an Nutzenden erreichen, text gesellschaftlicher Kämpfe um Identität und Raum. Ei- die selbst keinen direkten Kontakt zum Urheber des Beitrags ne solche Perspektive kann eine komplexere Geographie von haben. Gleichzeitig können die Algorithmen die Territoriali- sierung von Äußerungen begünstigen, indem sie zur Bildung 1 Schurr verwendet den Begriff Emotion, der in feministischen von Filterblasen oder Echokammern beitragen und die Ver- Ansätzen bisweilen synonym zu Affekt verwendet wird und im Sin- breitung von Beiträgen hemmen (Wiertz, 2021a). Um zu ver- ne unserer Konzeption auf das Verhältnis symbolischer Repräsen- stehen, wie sich extrem rechte Leitbilder verbreiten und wel- tationen und körperlicher Empfindungen verweist (Fischer, 2016; chen Einfluss sie auf gesellschaftliche Diskussionen nehmen, Schurr and Strüver, 2016). ist es daher hilfreich, Diskurse selbst als Teil eines sozio- Geogr. Helv., 77, 345–356, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-345-2022
T. Wiertz and T. Schopper: Geographien von Wahlkampf, Medien und Gewalt 351 technischen Äußerungsgefüges zu betrachten (Harper und bilder häufig um die Herausarbeitung systematischer Deu- Savat, 2016). So zeigen Wiertz und Schopper (2019) in ei- tungsmuster geht, steht hier also die Frage im Vordergrund, ner Analyse der Bundestagswahl 2017, wie eine extrem rech- wie in Äußerungen und ihrer Verknüpfung eine Atmosphäre te Gruppierung unter dem Hashtag #reconquista Wahlwer- der Bedrohung und des Kampfs geschaffen wird, in der auch bung für die AfD machte. Obwohl die Gruppe in absoluten Gewalt als legitimes Mittel erscheint (Schopper, 2022). Geo- Zahlen eine große Menge an Äußerungen produzierte, erfuh- graphien der Gewalt bilden vor diesem Hintergrund einen ren diese Beiträge kaum Resonanz und Reichweite, weil nur dritten Untersuchungsgegenstand für eine assemblagetheo- eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Accounts mit die- retische Politische Geographie extrem rechter Bewegungen. sen Beiträgen interagierte. Diese Forschung zeigt, wie eine Verknüpfung diskursanalytischer Ansätze mit Ansätzen der Netzwerk- und Internetforschung es ermöglicht, die Dyna- 6 Geographien rechter Gewalt mik extrem rechter Äußerungen differenzierter zu erfassen und zu bewerten (Wiertz und Schopper, 2019). Werden die Wie wir argumentiert haben, eröffnet ein assemblagetheo- Netzwerkinformationen zusätzlich mit Metadaten über den retischer Ansatz neue Blickwinkel auf Geographien von Ort eines Beitrags verknüpft, lassen sich so auch Erkenntnis- Wahlen und Wahlkämpfe einerseits sowie auf die Dynamik se über räumliche Strukturierungen und transnationale Ver- medialer Diskurse und die Verbreitung geopolitischer Leit- knüpfungen gewinnen (Ramos und Torres, 2020). bilder durch extrem rechte Bewegungen andererseits. Pro- Resonanz und Reichweite von Beiträgen in sozialen Me- zesse der Territorialisierung und Deterritorialisierung lassen dien werden aber nicht durch die Technik allein bestimmt, sich aber auch in anderen Zusammenhängen untersuchen, sondern ebenso von den Praktiken der Nutzenden und ihrer etwa auf Demonstrationen, bei Konzerten, Flashmobs, „Pa- Interaktion. Verschiedene Studien zeigen, dass die affektive trouillen“ in städtischen Räumen, in extrem rechten Wohn- Qualität von Beiträgen maßgeblich dafür ist, wie viel Reso- gemeinschaften oder Siedlungsprojekten. Eine assemblage- nanz sie erfahren und wie weit sie sich in sozialen Medien theoretische Perspektive vermag dabei den Blick einerseits verbreiten (Berger und Milkman, 2012; Stieglitz und Dang- auf die heterogenen und ortsübergreifenden Verknüpfungen Xuan, 2013). Gerade Beiträge der extremen Rechten im di- zu lenken, die diese Raumnahmen relevant sind, und anderer- gitalen Raum zeichnen sich dadurch aus, dass sie inhaltli- seits zu fragen, wie in diesen Konfigurationen Technik bzw. che Botschaften und geopolitische Leitbilder an die Mobi- materielle Prozesse sowie Äußerungen und Affekte gesell- lisierung von Wut, Hass oder Angst knüpfen (Ebner, 2018; schaftliche und räumliche Beziehungen strukturieren, ordnen Schopper, 2022; Wodak, 2016). Um zu verstehen, welche oder auch auflösen. Dabei sollte nicht aus dem Blick geraten, Weltbilder und Identitätskonstruktionen eine besonders hohe dass politische Repräsentation und Metapolitik der extremen Resonanz erzielen und im gesellschaftlichen Diskurs „ver- Rechten kein Selbstzweck sind. Was extrem rechte Bewe- fangen“, sollte sich die Analyse also neben dem Inhalt und gungen auszeichnet, ist ihr Kampf für eine Neuordnung von dessen medialer Verbreitung auch mit dem Affektpotential Identität und Raum im Sinne eines völkischen Nationalismus von Äußerungen befassen, das im Zusammenspiel aus Tex- und der Ausschluss anderer Menschen aus dem gesellschaft- ten, Symbolen, Bildern, Bewegungen, Farben und Musik ent- lichen Zusammenleben. Gewalt ist dabei keine Ausnahme, steht. In der geographischen Forschung haben sich vor allem sondern ein integraler Bestandteil solcher Bewegungen, wie (auto-)ethnographische Methoden der Affektforschung eta- massive Gewaltdrohungen im Internet und zahlreiche Ge- bliert (Pile, 2010). Diese Beiträge rekonstruieren die affekti- waltverbrechen belegen. ve Wirkung von Äußerungen, Orten oder Situationen, indem Wie Ahmed argumentiert, legitimieren extrem rechte Be- sie subjektives Erleben dokumentieren und interpretieren. In wegungen Gewalt als Form der Selbstverteidigung, in dem Erweiterung dazu ist es auch möglich, Affekte an inhaltli- sie eine permanente Bedrohung des Eigenen durch das aus- chen sowie formalen Merkmalen von Äußerungen festzuma- geschlossene bzw. auszuschließende Andere konstruieren chen und so die affektiven Atmosphären zu identifizieren, die (Ahmed, 2004). Wenn die Schaffung räumlicher Arrange- in sozialen Netzwerken wie Twitter oder Telegram und auf ments durch extrem rechte Bewegungen als Versuch gele- Plattformen wie Parler oder YouTube entstehen (Brinkema, sen wird, die Vision einer autoritären und völkischen Ge- 2014; Berg et al., 2019, Schopper 2022). sellschaftsordnung zu verwirklichen, dann lohnt es sich, Ter- Für ein Verständnis extrem rechter Bewegungen ist eine ritorialisierungsprozesse der extremen Rechten unter dem weitergehende theoretische und methodische Auseinander- Blickwinkel der Gewalt zu thematisieren. Einen Ansatzpunkt setzung mit dem Verhältnis von Diskurs und Affekt im me- hierfür bietet der Essay „Geographien des Zorns“ von Ap- dialen Raum auch deshalb zentral, weil sich extrem rechte padurai (2006), der verschiedene Arbeiten zu Geographien Diskurse in vielen Fällen durch teils ungenaue oder wider- der Gewalt inspiriert hat, die sich mit gewaltsamen Konflik- sprüchliche Weltbilder auszeichnen. Sie bieten vielfach keine ten in Ländern des globalen Südens auseinandersetzen (Korf logisch kohärente Perspektive auf die Welt an, sondern ver- und Schetter, 2015). Appadurai selbst untersucht in seinem mitteln eine geteilte Empfindung gesellschaftlicher Wirklich- Essay die Voraussetzungen für gewaltsame ethnische Kon- keit. Während es in der Untersuchung geopolitischer Leit- flikte im Zeitalter der Globalisierung. Anschlussfähig an ei- https://doi.org/10.5194/gh-77-345-2022 Geogr. Helv., 77, 345–356, 2022
352 T. Wiertz and T. Schopper: Geographien von Wahlkampf, Medien und Gewalt ne assemblagetheoretische Perspektive ist sein Essay, weil er räumliche Konturen annehmen, wenn beispielsweise länd- darauf hinweist, wie strukturelle Rahmenbedingungen me- liche oder städtische Gebiete als „nationalbefreite Zonen“ diale Diskurse um Identität und Zugehörigkeit sowie Affekte markiert werden, selbsterklärte „Bürgerwehren“ patrouillie- von Angst und Wut im Zusammenspiel Gewalt ermöglichen. ren oder Veranstaltungen von Personen „gesichert“ werden, Appadurai zufolge ist es die Globalisierung, die mit einer zu- die über Kleidung, Tattoos oder Praktiken ihre Zugehörigkeit nehmenden Verunsicherung im Hinblick auf das eigene Le- zum extrem rechten Milieu und ihre Gewaltbereitschaft si- ben und die eigene Identität einhergeht. Diese Verunsiche- gnalisieren. Geographien von Gewalt können aber auch und rung drückt sich in einer „anxiety of incompleteness“ (Ap- gerade durch ihre deterritorialisierte Struktur Macht entfal- padurai, 2006:8) aus, die der Idealvorstellung einer homoge- ten: Einschüchterung funktioniert dann besonders gut, wenn nen Nation und ihrer territorialen Verfasstheit entgegensteht. die Möglichkeit von Gewalt an einem beliebigen Ort zu ei- Wichtig ist, dass diese Verunsicherung nicht aus sich heraus ner beliebigen Zeit plausibel wird. Nur scheinbar harmlose Gewalt begründet, sondern dass es einer erfolgreichen Mobi- „Stippvisiten“ extrem rechter Akteure auf Veranstaltungen lisierung von Angst und Zorn bedarf. Die dabei entstehenden zu Migration oder Rechtsextremismus, Gewaltdrohungen in Geographien des Zorns sind, so Appadurai, das situative Er- Onlinemedien oder die Veröffentlichung von Privatadressen gebnis eines Zusammenspiels von räumlich und zeitlich di- sind Beispiele dafür, wie extrem rechte Bewegungen die all- vergenten Ereignissen und Historien (Appadurai, 2006:100). gegenwärtige Möglichkeit von Gewalt gegen politische Geg- Appadurais Analyse setzt sich mit ethnischen Säuberun- ner*innen einsetzen. Eine stärkere Thematisierung solcher gen und Kriegen auseinander. Und man mag entgegnen, dass Geographien der Gewalt ist zentral, um die gesellschaftli- es zu einfach ist, die Entstehung extremer Formen von Ge- chen Transformationsprozesse zu verstehen, die extrem rech- walt primär auf eine ökonomische und kulturelle Globalisie- te Bewegungen auslösen – auch, um wirksame Gegenstrate- rung zu schieben. Für eine kritische Auseinandersetzung mit gien zu entwickeln. den Geographien extrem rechter Bewegungen erscheint sei- ne Analyse dennoch nützlich. Denn zum einen verweist Ap- padurai auf Globalisierung und ökonomische Unsicherheit 7 Fazit nicht als Determinanten, sondern als strukturelle Vorausset- zungen für ethnische Gewalt. Analog wird die Zunahme öko- Die Geschichte der Politischen Geographie ist eng mit der nomischer Unsicherheit und Ungerechtigkeit auch als mög- extremen Rechten verbunden. Bot die Politische Geogra- liche Erklärung für das Erstarken extrem rechter Bewegun- phie zunächst die wissenschaftliche Basis für Kolonialis- gen thematisiert (Nachtwey, 2016). Vor allem aber gelingt mus, Expansionspolitik und Nationalsozialismus, war die es Appadurai, Gewalt weder auf ein reines Affektgeschehen Dekonstruktion rechter geopolitischer Leitbilder maßgeblich zu reduzieren noch sie als bloße instrumentelle Rationali- für die Wiederbegründung einer deutschsprachigen Politi- tät zu denken. Vielmehr geht es um die Frage, wie affekti- schen Geographie. Das Erstarken neuer extrem rechter Be- ve Atmosphären geschaffen werden, in denen sich Gewalt wegungen in den vergangenen Jahren hat zu einer verstärk- Bahn bricht. Im Kontext extrem rechter Territorialisierungen ten wissenschaftlichen Auseinandersetzung geführt, auch in impliziert dies, dass Gewalt nicht erst in einem expliziten der Geographie. Dabei stellt sich die Frage, welchen Beitrag Aufruf als Möglichkeit aufscheint, sondern die Produktion das Fach im Kontext einer zunehmend interdisziplinären und von Affekten, insbesondere von Angst, Wut bzw. Zorn vor- internationalen Auseinandersetzung mit der extremen Rech- aussetzt. Diese Produktion erfolgt durchaus mit Kalkül. Wie ten leisten kann und möchte. Hierzu wünschen wir uns ei- Korf (2010:62) schreibt: „Zorn allein (im Sinne eines kol- ne verstärkte theoretische Diskussion über die räumliche Di- lektiven Affektes) regiert nicht die Welt. Es braucht auch die mension der extremen Rechten, die „hybride“ und relatio- cleveren Zornmanager, die den Zorn erst politisch werden nale Raumkonzeptionen aus Assemblagetheorie, feministi- lassen – und die sich nicht allein von Affekten steuern las- scher Geographie, Praktikentheorie und anderen aktuellen sen“. Schließlich macht Appadurai darauf aufmerksam, dass Forschungsrichtungen aufgreift. Ziel unseres Beitrags war Zorn (und die auf ihn gründende Gewalt) räumliche Phäno- es, den Blick über Leitbilder und die räumliche Verbrei- mene sind und sich auf ihre spezifischen Eigenschaften und tung extrem Rechter Einstellungen und Aktivitäten hinaus Dynamiken hin untersuchen lassen. auf Praktiken und Prozesse zu lenken, die auf eine Restruk- Die Analyse richtet sich also auf die Frage, welche Geo- turierung gesellschaftlicher Beziehungen im Sinne eines au- graphien von Gewalt extrem rechte Bewegungen produzie- toritären und völkischen Nationalismus hinwirken und ihren ren, indem sie Atmosphären und Räume schaffen, in de- Ausdruck in räumlichen Konfigurationen auf unterschied- nen Gewalt stattfinden kann. Diese Geographien können lichen Maßstabsebenen finden. Assemblagetheoretisch sind klein- und großräumig sein und betreffen auch Situationen, solche Prozesse auf das Zusammenwirken materieller und in denen die Möglichkeit von Gewalt ihre ausschließen- diskursiver Dimensionen von Assemblages zurückzuführen. de Wirkung entfaltet, ohne notwendig angewendet zu wer- Anhand der Beispiele Wahlkampfforschung und digitale Me- den. Es reicht, entsprechende Vorstellungsbilder hervorzu- dien haben wir verdeutlicht, wie eine solche assemblagetheo- rufen. Rechte Geographien von Gewalt können dabei klare retische Perspektive den politisch geographischen Blick ver- Geogr. Helv., 77, 345–356, 2022 https://doi.org/10.5194/gh-77-345-2022
T. Wiertz and T. Schopper: Geographien von Wahlkampf, Medien und Gewalt 353 lagert. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die Analyse von Af- Rechten entgegenzutreten. Auch in dieser Richtung freuen fekten bzw. affektiven Atmosphären, wobei Affekte nicht als wir uns auf weiterführende Diskussionen aus politisch geo- vor- oder außerdiskursive spontane körperliche Empfindun- graphischer Perspektive. gen verstanden werden sollten, sondern als die Art und Wei- se, wie das Erleben konkreter Situationen durch heterogene Arrangements aus Köpern und Äußerungen strukturiert wird. Datenverfügbarkeit. Für diesen Artikel wurden keine Datensätze Wie wir im letzten Abschnitt argumentiert haben, ergibt sich genutzt. daraus auch eine Möglichkeit, Geographien von Gewalt als eine zentrale Dimension extrem rechter Politik zu themati- sieren. Wir hoffen, mit diesem Beitrag auch zu zeigen, dass Autorenmitwirkung. Beide Autoren haben an der Konzeptuali- assemblagetheoretische Ansätze entgegen einiger kritischer sierung und der Verfassung des Manuskriptentwurfs sowie an der Überprüfung und Überarbeitung nachfolgender Versionen mitge- Stimmen (z. B. Kinkaid, 2020) durchaus zu einer differen- wirkt. TW hat den Konzeptions- und Schreibprozess geleitet und zierten Analyse von Macht und Ungleichheit beitragen kön- die Fördermittel für das Projekt akquiriert. nen. Die angeführten Themenfelder in diesem Beitrag sind natürlich nicht als Versuch der disziplinären Eingrenzung Interessenkonflikt. Die Autoren erklären, dass kein Interessen- zu verstehen. Vielmehr hoffen wir, dass über die theore- konflikt besteht. tische Horizonterweiterung auch eine inhaltliche Auswei- tung der Beschäftigung mit rechten Bewegungen stattfin- den kann. Weitere Themenfelder, zu denen die Politische Haftungsausschluss. Anmerkung des Verlags: Copernicus Pu- Geographie nicht zuletzt aufgrund ihrer Perspektivenviel- blications bleibt in Bezug auf gerichtliche Ansprüche in veröffent- falt wichtige Beiträge zu leisten vermag, sind beispielswei- lichten Karten und institutionellen Zugehörigkeiten neutral. se die Verquickung extrem rechter Bewegungen mit der ka- pitalistischen Gegenwart (Toloudis, 2020), gesellschaftliche Aushandlungsprozesse um Erinnerungsorte nationalsozialis- Danksagung. Wir bedanken uns bei der Herausgeberin und zwei tischer Verbrechen (Kübler, 2019), extrem rechte Diskurse anonymen Gutachter*innen für die konstruktiven Kommentare zu um Entwicklung oder rechte Positionen in Klima- und Um- früheren Entwürfen des Artikels. weltschutzdebatten (Forchtner, 2019). Auch wenn ein as- semblagetheoretischer Ansatz aus unserer Sicht viele span- nende Möglichkeiten bietet, diese Themen zu adressieren, ist Finanzierung. This research has been supported by the Ger- man Research Foundation (Deutsche Forschungsgesellschaft, DFG) er selbstverständlich nicht die einzige Möglichkeit, das Ver- (grant no. 455052174). hältnis von Geographie und extrem rechter Politik zu den- ken. Eine theoretische Limitierung assemblagetheoretischer Ansätze besteht sicher darin, dass die Ausweitung auf mate- Begutachtung. This paper was edited by Nadine Marquardt and rielle und symbolische, menschliche und nicht-menschliche reviewed by two anonymous referees. Dimensionen gesellschaftlicher Wirklichkeit leicht zu ei- ner analytischen „Orientierungslosigkeit“ führt. Die kursori- schen Diskussionen in diesem Beitrag können für die jewei- Literatur ligen thematischen Bereiche Anhaltspunkte für eine Theore- tisierung bieten, erfordern je nach empirischer Problem- und Ahmed, S.: Collective Feelings: Or, the Impressions Fragestellung jedoch sicher eine weitere Spezifizierung. Ei- Left by Others, Theory Cult. Soc., 21, 25–42, htt- ne Herausforderung ergibt sich zudem mit Blick auf die em- ps://doi.org/10.1177/0263276404042133, 2004. pirische Operationalisierung assemblagetheoretischer Ansät- Amadeu Antonio Stiftung: Todesopfer rechter Gewalt, https: ze im Kontext extrem rechter Bewegungen. Denn die Ana- //www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/, lyse räumlicher Territorialisierungsprozesse wirft die Fra- letzter Zugriff: 1 April 2022. ge nach den Zugangsmöglichkeiten und auch der mögli- Anderson, B.: Affective atmospheres, Emot. Space. Soc., 2, 77–81, chen Gefährdung der Forschenden selbst auf, insbesondere, https://doi.org/10.1016/j.emospa.2009.08.005, 2009. Anderson, B.: Cultural geography II: The force of re- wenn es um Analysen von Zorn und Gewalt geht. Schließlich presentations, Prog. Hum. Geog., 43, 1120–1132, htt- möchten wir an dieser Stelle betonen, dass sich unsere Bei- ps://doi.org/10.1177/0309132518761431, 2019. spiele vorwiegend auf (De-)Territorialisierungsprozesse be- Ante, U.: Wahlen als Gegenstand der Geographie. Geographische ziehen, die von der extremen Rechten ausgehen. Mindestens Ansätze zur Wahlanalyse unter Bezugnahme auf die Bundestags- ebenso wichtig erscheint uns eine verstärkte Auseinanderset- wahl 1980, Geogr. Z., 70, 106–126, 1982. zung mit emanzipatorischen Projekten und der Frage, wel- Antonsich, M. and Skey, M.: Affective natio- che Strategien und Praktiken es ermöglichen, der antidemo- nalism, Prog. Hum. Geog., 41, 843–845, htt- kratischen und menschenverachtenden Politik der extremen ps://doi.org/10.1177/0309132516665279, 2016. https://doi.org/10.5194/gh-77-345-2022 Geogr. Helv., 77, 345–356, 2022
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