Geschichte als Herausforderung und Möglichkeit - Über Perspektivität und Diskursivität im Geschichtsunterricht - Ingenta ...

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PR 2021, 75. Jahrgang, S. 307-322
                      © 2021 Christian Mathis - DOI https://doi.org/10.3726/PR032021.0028

                                            Christian Mathis

                 Geschichte als Herausforderung
                        und Möglichkeit
                   Über Perspektivität und Diskursivität im
                           Geschichtsunterricht

1. Perspektivität und                                          Wollen wir der Forderung, dass Ge-
    Möglichkeitsbewusstsein                                 schichte als Denkfach zu konzipieren sei,
                                                            Nachdruck verleihen, muss auch der Ge-
Vor gut hundert Jahren forderte John                        schichtsunterricht und darin das histori-
Dewey zur „Verbesserung der Methoden                        sche Lernen das Denken herausfordern,
des Lehrens und Lernens“, all jenes „in                     fördern und erproben. Dabei kommen der
den Mittelpunkt“ des Unterrichts zu stellen,                Perspektivität, Kontroversität und Plurali-
„was das Denken herausfordert, fördert                      tät sowie der Urteilsbildung eine zentrale
und erprobt“.1 Dabei verstand er Denken                     Rolle zu.
als transgression – oder deutsch: Über-                         Multiperspektivität wird nicht nur in
schreiten. Dinge und Phänomene sollen                       der Geschichtsdidaktik als didaktisches
also aus ihrer scheinbaren Eindeutigkeit                    Prinzip, sondern auch in zahlreichen ande-
herausgelöst werden. Das heißt, um das                      ren Fachdidaktiken auf allen Schulstufen,
Denken herauszufordern, zu fördern und zu                   diskutiert, reflektiert und theoretisch be-
erproben, sollen einerseits gewohnte Gren-                  gründet.3 Gemeinsam ist ihnen der intel-
zen überschritten und andererseits sollen                   lektuelle Anspruch, dass unterrichtliche
Dinge immer wieder aus einer anderen Per-                   Denkprozesse in der Auseinandersetzung
spektive betrachtet werden. Durch dieses                    mit der Vielfalt des Wissens und Verste-
Verlassen von bekannten Positionen und                      hens, des Interpretierens und Deutens
Denkroutinen, im Hin und Her des Suchens                    der Wirklichkeit gefördert werden sollen.
und Prüfens, des Vergleichens und Bewer-                    Durch die Einnahme mehrerer Perspekti-
tens sind wir dazu aufgefordert, die Wirk-                  ven entsteht ein Möglichkeitsbewusstsein.
lichkeit denkend zu erschließen und uns                     Die Welt im Kopf soll dabei als eine von
in der Welt zu orientieren. Wir verändern                   mehreren Möglichkeiten gedacht werden
dabei jedoch nicht nur unsere Denkweise,                    können. Die Welt als Möglichkeit zu ver-
sondern auch uns selbst, unsere Einstellun-                 stehen, bedingt mit Hans-Georg Gada-
gen und Haltungen; wir bilden uns.2                         mer, dass man von sich selbst „Abstand
                                                            nehmen kann“.4 Das zeigt sich bezogen

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auf die jüngste Geschichte auch in der                      zu ergänzen, damit das Denken der Kin-
Distanzierung des Mitlebenden zu seiner                     der und Jugendlichen dahingehend ge-
eigenen Lebensgeschichte zu Gunsten                         schult wird, auch mit Uneindeutigkeiten,
der allgemeinen Geschichte. Reinhart                        Widersprüchen und Gegendarstellun-
Koselleck und Jürgen Kocka sprachen in                      gen und insbesondere Kontroversen
diesem Zusammenhang in Bezug auf das                        zurechtzukommen.
historische Denken von der Entwicklung                           Das Lernen von Geschichte lässt
eines Möglichkeitsbewusstseins.5 Dieses                     sich in einem idealtypischen Spannungs-
bildet die Grundlage für den Glauben an                     feld zwischen den (geschichts- und er-
die Veränderbarkeit und Gestaltbarkeit der                  innerungskulturellen) Erfahrungen der
Welt und somit – didaktisch gewendet –                      Kinder einerseits und den (inhaltlichen
für die Partizipation in der Gesellschaft als               und methodischen) Angeboten der Fach-
einem Ziel schulischer Bildung.                             wissenschaften andererseits konzipieren.
                                                            Eine gleichwertige und wechselseitige
                                                            Berücksichtigung bei der Herstellung der
2. Forderungen nach                                        Gegenstände des Geschichtsunterrichts
    Perspektivität und Diskursivität                        ist eine zentrale Forderung zum Beispiel
    in der Geschichtsdidaktik                               einer subjektorientierten Didaktik7 und
                                                            wird auch in Forschungsarbeiten mit dem
Derzeit herrscht in der deutschsprachigen                   Modell der Didaktischen Rekonstruktion
Geschichtsdidaktik die gemeinsam geteil-                    gefordert.8 Diese wechselseitige Berück-
te Ansicht vor, dass sich der Geschichts-                   sichtigung der beiden Wissensbereiche
unterricht und damit das historische Lernen                 ist dialektisch zu verstehen, als Hin-und-
an Kompetenzen orientieren soll. Damit                      Her zwischen eigenen Vorerfahrungen
treten kanonisch festgelegte Inhalte in den                 und dem Neuen, dem Fachlichen, dem
Hintergrund oder verschwinden ganz. Mit                     geschichtswissenschaftlichen Wissen. Im
der Kompetenzorientierung wird der Fokus                    Unterricht darf es weder zu erfahrungs-
auf das historische Denken gelegt.6 In                      leeren Begriffen noch zur banalen Re-
diesem Kontext stellt das Prinzip der Mul-                  produktion des Alltagswissens der Kinder
tiperspektivität sowohl eine Herausforde-                   kommen. Es gilt, das oben beschriebene
rung als auch eine Aufgabe dar. Zielt der                   Spannungsfeld produktiv zu bedienen und
Geschichtsunterricht zu sehr auf Eindeu-                    bewusste Kontextwechsel zu inszenieren.
tigkeit und Affirmation einer Perspektive,                  Das bedeutet, die Vorstellungen der Kin-
vernachlässigt er Formen einer diskursiven                  der und Jugendlichen von der Geschich-
Auseinandersetzung, die unterschiedliche                    te und Vergangenheit sichtbar werden zu
Perspektiven auf die Geschichte und Ver-                    lassen, sie mit ihnen zu besprechen und
gangenheit ermöglichen und die die Schü-                    ihnen daran anknüpfende Lernsituationen
lerinnen und Schüler in die Lage versetzen,                 zum Entdecken, Betrachten, Beschreiben
sich denkend und suchend, abwägend und                      und Befragen zur Verfügung zu stellen;
prüfend damit auseinanderzusetzen und                       und sie so auf dem Weg zum Verstehen
sich reflektiert zu positionieren.                          der Welt zu begleiten.9
     Das Ziel muss deshalb sein, den Ge-                         Beziehen wir das zudem auf die Forde-
schichtsunterricht derart zu gestalten, dass                rung des Prinzips der Multiperspektivität,
die affirmative Festschreibung von Wissen                   gilt es als Aufgabe der Lehrperson, den
(die in Bezug auf gewisse Dimensionen                       Perspektivenwechsel anzuregen, zu initi-
der Geschichte durchaus ihre Berech-                        ieren und ihn auch transparent zu machen
tigung hat) durch diskursive Sequenzen                      und zu modellieren. Multiperspektivität

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entsteht nämlich nicht unbedingt von allein.                im Spannungsfeld zwischen Fakten und
Schülerinnen und Schülern müssen er-                        Fiktionen bewegt. Die Vergangenheit ist
kennen, dass es auch einen anderen Blick                    vorbei und nicht mehr zugänglich. Deshalb
auf die Sache geben kann. Dabei ist Lehr­                   ist Geschichte und Vergangenheit nicht
handeln im Sinne von „Zeigen“, „Aufzei-                     dasselbe. Geschichte meint die durch Er-
gen“, „Auf etwas Hinweisen“ oder „Etwas                     zählen konstruierten Darstellungen über
sichtbar machen“ zu verstehen.10 Dabei sol-                 die Vergangenheit. Solche Geschichtsdar-
len die Schülerinnen und Schüler im Sinne                   stellungen sind immer bewusst konstru-
Lew Wigotskys in die Stufe der nächsten                     ierte, selektive und Sinn transportierende
Entwicklung – oder in die Kultur der Wis-                   Erzählungen. Dabei wird auf unterschied-
senschaftsorientierung – geführt werden.11                  liche Quellen referenziert, um diese Nar-
     Im Folgenden sollen Dimensionen der                    rationen intersubjektiv überprüfbar und
Perspektivität und Diskursivität des histori-               nachvollziehbar zu machen. Geschichts-
schen Denkens und des Geschichtsunter-                      darstellungen enthalten immer fiktive
richts aufgegriffen und diskutiert werden.                  Elemente. Das historische Erzählen, das
Zuerst wird das geschichtsdidaktische                       Konstruieren von Geschichte, findet im
Prinzip der Multiperspektivität im Umgang                   Hier und Jetzt statt und ist immer ein Kind
mit Quellen und Darstellungen aufgegrif-                    der Zeit, in der die Erzählung entsteht.12
fen. Hier stehen Kontroversität und plurale                 Die Geschichte wird je nach Standort und
Narrationen im Zentrum. Anschließend wird                   zeitlichem Kontext aus verschiedenen Per-
auf den schulischen Perspektivenwechsel                     spektiven geschrieben.13 Die Perspektive
zwischen zwei Wissenssystemen – das All-                    auf die Vergangenheit ist „subjektiv und
tagswissen und das wissenschaftsorientier-                  eingeschränkt. Ihre Wahl schließt andere
te Wissen – fokussiert. Dabei wird es um                    aus. Zugleich ist sie unverzichtbar. Ohne
die „Denkregister“ gehen, mit denen auf die                 Perspektive sieht man nichts – und gibt es
Vergangenheit und die Geschichte zugegrif-                  keine Geschichte“, betont etwa Thomas
fen wird. Im Zentrum steht der Wechsel von                  Welskopp.14 Obwohl Historikerinnen als
gewohnten und affirmierenden hin zu diskur-                 Wissenschaftlerinnen nach „Wahrheit“
siv argumentativen und reflexiven Denkpro-                  streben, wissen sie um die Standortge-
zessen. Schließlich lenken wir den Blick auf                bundenheit ihrer Erzählungen. Somit ist
das historische Sach- und Werturteil als eine               historische Erkenntnis immer perspekti-
Möglichkeit der wissenschaftsorientierten,                  visch. Diese geschichtstheoretische Prä-
diskursiv perspektivischen Auseinanderset-                  misse gilt auch für das historische Lernen.
zung mit Vergangenheit und Geschichte mit                       Bei aller Relativität und Perspektivität:
dem Ziel der Herstellung reflektierter Posi-                Nicht alles geht. Nicht jede Erzählung über
tionalität, eines reflektierten und (selbst-)re-            die Vergangenheit ist erlaubt. Jörn Rüsen
flexiven Geschichtsbewusstseins.                            lenkt unseren Blick hinsichtlich der Pro-
                                                            blematik der historischen „Wahrheit“ auf
                                                            die Methode der Wissenskonstruktion:
                                                            Es gehe darum, das „Wissen mit seinen
3. Dekonstruktion und
                                                            Geltungsansprüchen zu stärken, seine
    Rekonstruktion als                                      Plausibilität oder Triftigkeit systematisch zu
    zwei geschichtliche                                     begründen. Methode macht Wissen durch
    Denkbewegungen                                          Überprüfbarkeit seiner Aussagen begrün-
                                                            dungsfähig.“15 Rüsen formulierte vier Plau-
Das Darstellen und Erzählen von Ge-                         sibilitäten oder „Wahrheitskriterien des
schichte ist immer eine Tätigkeit, die sich                 historischen Denkens“, die jeweils einer

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Begründungslogik folgen: a) die empiri-                     der Zugangsdichte zum Internet vor einem
sche Plausibilität, die nach einer Quelle                   neuen Phänomen der Popularisierung von
verlangt, b) die theoretische, die auf die                  Geschichte in Filmen, Serien oder Video
Erklärungskraft zielt, c) die normative, wel-               Games. Durch die sozialen Medien erhalten
che die Standpunktreflexion zum Gegen-                      diese Produkte geschichtliche Lernange-
stand hat, und d) die narrative, die einen                  bote, sie sind soziale Treffpunkte, künst-
logischen Sinnzusammenhang der Erzäh-                       lerische Ausdrucksmöglichkeiten oder
lung fordert.16                                             Design- und Mode-Produkte usw.
    Das Ziel der historischen Methoden-                          Die Auseinandersetzung mit Angebo-
kompetenz soll eine argumentativ, reflexiv                  ten der Geschichtskultur – also mit dem
und triftige Positionalität sein. Dies wurde                Umgang einer Gesellschaft mit Geschich-
von der Geschichtsdidaktik produktiv                        te und Vergangenheit – sollte auch im Ge-
aufgenommen. Die Methodenkompe-                             schichtsunterricht stattfinden. Sie können
tenz zeichnet sich durch zwei gegenläu-                     von den Schülerinnen und Schülern zum
fige Denkbewegungen aus: einmal den                         Beispiel mittels Quellen überprüft und be-
Prozess der Rekonstruktion historischer                     urteilt werden.
Narrationen aufgrund von Quellen und
Darstellungen, dann den entgegenge-
setzten Prozess der Dekonstruktion his-
torischer Narrationen.17 Holzschrittartig                   4. Multiperspektivität und
kann Dekonstruktionskompetenz mit drei                          Kontroversität als Prinzipien
Leitfragen für Kinder und Jugendliche er-                       des Geschichtsunterrichts
klärt werden: 1.) Quellenkritisch: „Warum
weißt du das eigentlich? Zeig mir deine                     Ein historischer Sachverhalt sollte im Ge-
Quellen!“ und 2.) Ideologiekritisch: „Was                   schichtsunterricht immer aus mehreren
willst du mir eigentlich erzählen? Was ist                  Perspektiven dargestellt werden, denn nur
deine Botschaft? Warum erzählst du mir                      so können die unterschiedlichen Ansichten
das?“ sowie 3.) kritisch bezüglich der Dar-                 und Positionen für die Schülerinnen und
stellungsform: „Welche Strategien werden                    Schüler sichtbar werden. Insbesondere
wie verwendet, um mich zu überzeugen,                       Klaus Bergmann hat seit den Siebzigerjah-
Echtheit und Wahrheit zu beanspruchen?                      ren des letzten Jahrhunderts in zahlreichen
Wie ist die Erzählung aufgebaut?“                           Arbeiten theoretisch fundiert und anhand
    Warum ist diese kritische Auseinander-                  von praktischen Beispielen gezeigt, dass
setzung mit dargebotenen Geschichten                        und wie ein multiperspektivischer Ge-
– die Denkbewegung der Dekonstruktion                       schichtsunterricht in der Praxis aussehen
– für die schulische, historische Bildung                   kann.18 Bergmann habe, so Martin Lücke,
junger Menschen so bedeutsam? Der                           der Multiperspektivität „den Rang eines
Geschichtsdidaktiker Klaus Bergmann                         geschichtsdidaktischen Prinzips“ zuge-
schrieb vor rund 25 Jahren: „So viel Ge-                    wiesen und dazu beigetragen, dass dieses
schichte wie heute war nie.“ Sein Diktum                    Prinzip heute „zum festen Kern normativer
ist heute noch gültig. Heute umgibt die                     Setzungen für historisches Lernen in der
Kinder und Jugendlichen eine schier un-                     Schule“ gehöre.19 Für Bergmann ist Per-
endliche Anzahl von Möglichkeiten, sich                     spektivität ein konstitutives Element der
schnell, jederzeit und in unterschiedlichs-                 historischen Erkenntnis und kommt auf der
ter Qualität mit Geschichte zu befassen.                    Ebene der Erfahrung, der Deutung sowie
Jüngst stehen wir mit der erreichten Sur-                   der Orientierung zum Tragen.
fer- und Übertragungsleistung des sowie

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Durch die Konfrontation mit unterschied-                und zum anderen auf der Ebene der Dar-
lichen Perspektiven können Schülerinnen                     stellungen der Historikerinnen und His-
und Schüler mindestens fünf „wesentliche                    toriker. Durch die unterschiedlichen
Operationen“ historischen Denkens und                       Darstellungen desselben historischen
historischer Erkenntnis lernen:                             Sachverhalts kommt es in der Geschichts-
                                                            wissenschaft zu Kontroversen. Diese sind
1. Verstehen und Empathie: Die Schü-                        konstitutiv und ein Wesensmerkmal für die
   lerinnen und Schüler üben sich darin,                    Geschichte als deutende Wissenschaft.21
   sich in die „Menschen in ihrer Zeit“                     Kontroversität hinsichtlich der deuten-
   und ihre Wertvorstellungen hinein-                       den Rekonstruktionen der Vergangenheit
   zudenken, dadurch vergangene Per-                        werden von den Kindern und Jugendli-
   spektiven nachzuvollziehen und zu                        chen diskursiv verhandelt. Dies führt auf
   verstehen.                                               der Ebene der wertenden Urteile zu einer
2. Erklären: Die Jugendlichen üben sich                     Pluralität. Bergmann schlägt deshalb vor,
   darin, die Rahmenbedingungen des                         „drei Ausdrucksformen von Perspektivität
   menschlichen Handelns und Leidens                        terminologisch zu unterscheiden:
   einer gewissen Zeit für ihre Erklärun-
   gen zu berücksichtigen. Sie lernen,                      1) Multiperspektivität der aus der Ver-
   dass vergangene Wertvorstellungen                           gangenheit erhaltenen Quellen der
   in ihren historischen Kontext eingeord-                     Menschheit, die in einen historischen
   net werden müssen.                                          Sachverhalt denkend, handelnd und
3. Deuten: Die Schülerinnen und Schüler                        leidend verstrickt waren.
   lernen, dass es die eine Geschichte                      2) Kontroversität der von späteren Be-
   im Singular nicht gibt und dass die Re-                     trachtern und Forschern vorgelegten
   konstruktion „vergangenen mensch-                           Darstellungen über einen historischen
   lichen Handelns und Leidens ein Akt                         Sachverhalt.
   der Deutung ist und zu unterschiedli-                    3) Pluralität der Ansichten und Urteile
   chen Ansichten – hier: innerhalb der                        über einen historischen Sachverhalt,
   Lerngruppe – führen kann“.                                  die sich in der Auseinandersetzung
4. Subjektive Perspektive erkennen:                            von Schülerinnen und Schülern mit
   Selbstreflexiv lernen die Jugendlichen                      multiperspektivischen Zeugnissen und
   dabei, dass sie bei der Deutung eines                       kontroversen Darstellungen bilden“.22
   historischen Sachverhalts selbst aus
   einer – nämlich ihrer subjektiven –                      Diese drei Ausdrucksformen lassen sich
   Perspektive heraus denken.                               jedoch nicht immer klar trennen und das
5. Urteilen: Die Schülerinnen und Schü-                     Abgrenzen der Formen erfolgt oft nicht
   ler lernen durch das Einüben einer fes-                  trennscharf.23 Beim Erzählen der Ge-
   ten Abfolge das Handeln und Leiden                       schichte wird im Sinne der Multiperspek-
   der Menschen in ihrer Zeit zu beurtei-                   tivität die Perspektive gezielt gewechselt.
   len: Urteilen erfolgt nach Bergmann                      Dies erfolgt vor einer so genannten Hinter-
   ausgehend vom (ab-)wertenden über                        grundnarration.24 Darin zeigt sich jedoch
   das konstatierende hin zum deuten-                       ein zentrales Problem einer konstruktivis-
   den und schließlich zum wertenden,                       tisch gedachten Geschichtswissenschaft.
   argumentativ gestützten Urteil.20                        Eine solche Hintergrundnarration ist näm-
                                                            lich selbst eine Konstruktion.25 Auf die
Die Perspektivität der Geschichte zeigt                     Schule bezogen ist jedoch klar, dass die
sich zum einen auf der Ebene der Quellen                    Schülerinnen und Schüler Wissen zum

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historischen Kontext benötigen. Im Sinne                    und ist bis heute ein kontroverses Thema
der Perspektivität sollte die Lehrperson                    der Geschichtsschreibung.30 Die Kontro-
diese Hintergrundnarrationen explizit sicht-                versität zeigt sich den Schülerinnen und
bar und diskutierbar zu machen. Dabei                       Schülern einerseits in den unterschied-
soll den Lernenden verdeutlicht werden,                     lichen ideologischen Perspektiven der
welche Perspektive bei den Deutungen                        historischen Schulen bzw. anhand der a)
der Vergangenheit eingenommen wird.                         konservativen, b) liberalen und c) sozia-
Ebenso kann gezeigt werden, welche his-                     listischen Interpretationsmuster. Anderer-
torischen Wissenselemente weshalb als                       seits können die Jugendlichen anhand
dabei bekanntermaßen unstrittig angese-                     des Auseinandersetzens mit unterschied-
hen werden können.26 Dazu eignet sich                       lichen disziplinären Perspektiven auf die
besonders gut ein kognitives „Modeling“.                    Französische Revolution – der a) politik-
     Auf der Ebene der Kontroversität ver-                  geschichtlichen, b) sozio-ökonomischen
weist Hilke Günther-Arndt zudem auf eine                    bzw. sozial- und wirtschaftsgeschicht-
dreifache Perspektive: „Die erste Pers-                     lichen und c) kulturgeschichtlichen Sicht
pektivierung erfolgt mit der Festlegung                     – erkennen, dass es erstens die eine
der Fragestellung, die zweite durch die                     Geschichte nicht gibt, dass historische
Wahl einer geeigneten Teildisziplin. Ein                    Darstellungen zweitens Gegenstand wis-
Wirtschaftshistoriker setzt bei einer Dar-                  senschaftlichen Streits waren und sind;
stellung der Geschichte der Weimarer                        sowie drittens, dass der Streit Teil des
Republik [oder der Französischen Re-                        geschichtswissenschaftlichen         Selbst-
volution, CM] andere Akzente als eine                       verständnisses ist.31 Zudem lernen die
Kunsthistorikerin oder Frauenforscherin.                    Schülerinnen und Schüler die Standortge-
Und schließlich ist auch der schreibende                    bundenheit der Aussagen in historischen
Historiker ein Mensch der Gegenwart mit                     Quellen und Darstellungen zu erkennen
bestimmten Vorstellungen und Einstellun-                    und erweitern ihre eigene Perspektive auf
gen“.27 Günther-Arndt fordert, dass ins-                    das historische Ereignis. Schließlich setzt
besondere die Kontroversität explizit an                    die Multiperspektivität die Ideologiekritik in
einzelnen Beispielen gelernt werden soll-                   Gang, wodurch der Anspruch eines wis-
te. „Keine Kenntnisse ohne Kontroversen“,                   senschaftsorientierten Geschichtsunter-
lautet etwa die knackige Forderung von                      richts eingelöst wird.32
Bodo von Borries in Bezug auf die Franzö-
sische Revolution.28
     Aber nicht nur aus geschichtswissen-
schaftlicher Sicht, sondern auch aufgrund                   5. Perspektivenwechsel
der herausgearbeiteten Vorstellungen der                        zwischen Alltags- und
Schülerinnen und Schüler, eignet sich                           Wissenschaftsorientierung
die Französische Revolution besonders
gut. So konnte ich in einer früheren Stu-                   Ein weiteres Moment von Perspektivität
die zeigen, dass die Jugendlichen in ihren                  im Geschichtsunterricht ergibt sich aus
Erzählungen und Erläuterungen zur Fran-                     einer wissenspsychologischen und -so-
zösischen Revolution nicht von sich aus                     ziologischen Konzeption des historischen
ihre Perspektive wechseln oder dabei auf                    Wissens. Alfred Schütz und Thomas Luck-
mehrere Sichtweisen und Interpretationen                    mann unterscheiden in ihrer Wissensso-
zurückgreifen.29 Daraus ergeben sich fol-                   ziologie zwei qualitativ unterschiedliche
gende konkrete Überlegungen: Die Fran-                      Wissenssysteme: Auf einer ersten Ebene
zösische Revolution war von Anfang an                       subsumieren sie die alltagsweltlichen

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Konstruktionen der Wirklichkeit, die                        wird weitestgehend vermieden. Daneben
meistens als Alltagswissen bezeichnet                       gibt es das wissenschaftliche Wissen, das
werden. Dieses Alltagswissen erwerben                       aufgrund von Reflexion konstruiert wird.
die Lernenden durch die Auseinander-                        Dieses folgt institutionalisierten Regeln
setzung mit der Lebenswelt in konkreten                     und zielt auf reflektiertes Handeln. Die Er-
Handlungssituationen. Es wurzelt damit in                   kenntnisse werden geordnet und syste-
der Erfahrung und entspringt einer prag-                    matisiert. Das Wissen besitzt somit einen
matischen Motivation. Alltagsweltliches                     bewussten Konstruktionscharakter und es
Wissen ist subjektbezogen und mit sub-                      orientiert sich an rationalen, logischen Kri-
jektiver Bedeutung versehen. Das Indivi-                    terien. Zweifel werden hier systematisiert
duum schreibt ihm einen ganzheitlichen                      und kultiviert. Wissenschaftliches Wissen
Charakter, also eine Übertragbarkeit auf                    ist somit das Ergebnis einer geregelten
andere Handlungssituationen, zu. Von                        Koordination von Theorie und Erfahrung.35
den alltagsweltlichen unterscheiden sich                         Bezogen auf die Geschichte stellen
die wissenschaftlichen Konstruktionen.                      Erzählungen der Erinnerungskultur und
Wissenschaftliches Wissen ist für Schütz                    Geschichtsmythen Wissenskonstruktionen
und Luckmann eine Konstruktion zweiten                      ersten Grades dar. Erinnerungskulturell
Grades. Dabei wird mit Gegenständen                         geteilte und erzählte Geschichten über
operiert, „die zwar bereits auf der Ebene                   die Vergangenheit oder Gründungsmythen
der Alltagserfahrungen Bedeutung erlangt                    wollen erklären. Diese Erklärungen sollen
haben“, aber anderen Gesetzmäßigkeiten                      allgemeingültig und übertragbar sein. Ge-
folgen.33 Diese beiden Wissenssysteme                       schichtswissenschaftliche Erzählungen hin-
sind nicht exklusiv zu denken, sondern                      gegen folgen einer reflexiven Logik, stellen
als Kontinuum. Die Grenzen zwischen                         ihre Narrative mehrperspektivisch dar und
beiden Bereichen sind durchlässig. Wis-                     wollen Distanz zum historischen Ereignis
senschaftliches Wissen entspringt einer                     schaffen. Mythen hingegen zielen auf Af-
theoretischen Motivation. Im Unterschied                    firmation und Nähe, also auf Zustimmung.
zum Alltagswissen ist wissenschaftliches                    Claude-Lévi Strauss meinte pointiert, der
Wissen grundsätzlich systematisiert, auf                    Mythos kenne das diskursive Denken, die
den jeweiligen Wirklichkeitsausschnitt                      diskursive Logik des Erzählens nicht.
ausgerichtet und domänenspezifisch.                              Auch hier soll ein Befund aus meiner
    Die Unterscheidung der beiden Wis-                      oben erwähnten Studie zur Veranschau-
senssysteme wird auch in empirischen                        lichung beigezogen werden.36 Es zeigte
Untersuchungen des Kontext- oder situa-                     sich, dass die Schülerinnen und Schüler in
tiven Ansatzes der Conceptual Change-                       ihren Erklärungen zur Französischen Revo-
Forschung produktiv angewandt.34 Die                        lution sehr in der Gegenwart verhaftet sind.
Annahme zweier verschiedener Wis-                           Dadurch verwenden sie Begriffe wie Parla-
senssysteme oder -kontexte bildet die                       ment, Demokratie, Gewaltenteilung, Men-
Grundlage dieser Lerntheorie. Aufgrund                      schenrechte, Herrschaft, Legitimation usw.
lebensweltlicher, biografischer Erfahrun-                   nicht historisch, sondern „präsentistisch“,
gen konstruiert das Individuum ein All-                     aus ihrer Gegenwart heraus, und alltags-
tagswissen. Dieses folgt den Regeln der                     weltlich. Das gilt auch für die Begriffe Frei-
Interagierenden und zielt auf routiniertes                  heit, Gleichheit oder Menschenrechte. Bei
Handeln. Die Erkenntnisse sind nicht or-                    diesen Begriffen handelt es sich gleich-
ganisiert. Das Wissen besitzt nicht re-                     sam um a-historische Begriffe. Es sind
flektierten Konstruktionscharakter und                      keine genuin geschichtswissenschaftli-
orientiert sich an Authentizität. Zweifel                   chen Begriffe. Diese Begriffe sind auf einer

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mittleren Begriffsebene angesiedelt und                     zu den „human rights“ (1948) der Verein-
werden meist aus anderen Wissenschaf-                       ten Nationen – aufgezeigt werden. Zudem
ten wie beispielsweise der Politikwissen-                   verstanden die Schülerinnen und Schüler
schaft oder Soziologie entlehnt. „Begriffe                  unter Menschenrechten sowohl bürger-
sind nicht einfach Inhalte des geistigen Le-                liche und politische Rechte als auch so-
bens“, erklärt Hans Aebli, „Begriffe sind                   ziale, ökonomische und kulturelle Rechte,
seine Instrumente. Mit ihrer Hilfe arbeiten                 wobei sie vor allem die sozialen Rechte
wir.“37 Für Historikerinnen und Historiker ist              der Menschen betonen.40 Deshalb ist es
es – im Gegensatz zu Kindern und Jugend-                    bei der Historisierung des Begriffs der
lichen – klar, dass diese Begriffe mit dem                  Menschenrechte wichtig, die Entwicklung
konkreten historischen Kontext verbunden                    der politischen und sozialen Rechte inner-
werden müssen.38 Doch gerade das Auf-                       halb der jeweils historisch unterschied-
geben von alltagsweltlichen Erklärungen                     lichen Kontexte zu unterscheiden sowie
zugunsten von wissenschaftsadäquaten                        die verschiedenen Tempi und die Schwer-
ist sehr schwierig. Für die Schülerinnen                    punkte in deren jeweiligen Entwicklungen
und Schüler funktionieren diese. Sie kom-                   herauszustreichen.41
men damit im Geschichtsunterricht in den
meisten Fällen erfolgreich durch. Deshalb
sollten Lehrpersonen den Wechsel der
Wissenskontexte explizit einfordern. Dabei                  6. Die historische Sach-
spielt die Verwendung der Sprache und                           und Werturteilsbildung
damit der sorgfältige Einsatz von Begrif-                       als diskursiver Prozess
fen eine zentrale Rolle. Die Lehrpersonen
sollen aufzeigen, wann es Sinn macht, all-                  In einer bildungstheoretisch hermeneuti-
tagsweltlich über eine vergangene Situa-                    schen Tradition hat Geschichte zum Ziel,
tion zu sprechen und was gewonnen wird,                     bei den Kindern und Jugendlichen ein
wenn sie mit geschichtswissenschaft-                        Geschichtsbewusstsein zu fördern, aufzu-
lichen Begriffen über die Vergangenheit                     bauen und zu differenzieren. Dieses Ge-
nachdenken.                                                 schichtsbewusstsein zeichnet sich durch
     Ein Beispiel ist der Begriff der Men-                  «Sinnbildung über Zeitdifferenzerfahrung»
schenrechte: In der oben erwähnten Stu-                     aus.42 Die sinnlose Vergangenheit, die
die zur Französischen Revolution zeigte                     Veränderungen und Ereignisse werden
sich, dass in den Vorstellungen der Schü-                   von den Individuen sinnhaft zu einer Er-
lerinnen und Schüler die Menschenrechte                     zählung gefügt. Diese Sinnbildung erfolgt
einerseits eine zentrale Rolle spielen und                  argumentativ, diskursiv, mit Referenzen
andererseits die „Droits de l’homme et                      auf Quellen und Darstellungen. Ziel ist die
du citoyen“ (von 1789) mit den „Human                       zunehmende Fähigkeit zur Prüfung seiner
rights“ (von 1948) gleichgesetzt werden.39                  perspektivischen Voraussetzungen (reflek-
Dabei ignorieren die Jugendlichen die his-                  tiert) und der Bedeutung für das selbstän-
torische Entwicklung des Begriffs „Men-                     dige Handeln in der Welt (selbstreflexiv).
schenrechte“. Die historische Entwicklung                   Sinnbildung darf nicht mit Sinnstiftung ver-
der Menschenrechte könnte folglich mit-                     wechselt werden. Diese ist affirmativ, mit
tels eines Längsschnitts zur Entwicklung                    Referenz auf Autoritäten und Ideologien,
und Ausgestaltung dieser Idee – von den                     auf Zugehörigkeit angelegt, reflektiert
„droits de l’homme et du citoyen“ (1789)                    kaum die eigenen Werthaltungen als Mög-
in Frankreich und der „bill of rights“                      lichkeiten, sondern legitimiert das Handeln
(1789/91) in den Vereinigten Staaten bis                    in einer bestimmten Gruppe.

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Damit die mit der Sinnbildung ver-                     werden, bei dem bewusst eine andere
bundenen Urteile nicht subjektivistisch                     Perspektive gewählt wird. Somit könnten
ausfallen und in persönliche und argumen-                   die Kinder und Jugendlichen verstehen,
tativ begründete Stellungnahmen, Urteile                    dass Pluralität auf der Ebene der Narra-
und die Festigung von Überzeugungen                         tionen und Werturteile für die Geschichte
münden, bedarf es des Perspektiven-                         konstitutiv ist. Im Aushandeln und Benen-
wechsels und des Kontextwechsels in                         nen der Perspektiven und Fakten könnte
das geschichtswissenschaftliche Denken.                     das Wesen einer historischen Kontroverse
Wissenschaftliche Positionalität braucht                    verstanden werden.
den Durchlauf durch argumentative Pha-                           Zudem können die Kinder und Jugend-
sen, sie ist nur durch Diskursivität zu er-                 lichen aufgrund ihres Werturteils neue
zeugen; es gibt keine Abkürzung.43                          Fragen formulieren, die sie interessieren
     Karl-Ernst Jeismann unterschied für                    und gerne klären möchten. Es könnte die
den Geschichtsunterricht vor rund drei-                     Vorläufigkeit der eigenommenen Position
ßig Jahren drei Schritte der historischen                   erkannt werden. Gleichzeitig ist dabei
Urteilsbildung: Analyse, Sachurteil, Wert-                  ein Bewusstsein für die mögliche und oft
urteil.44 Auch Peter Gautschi hat sich in                   nötige Veränderbarkeit seiner Position
seiner Definition des historischen Lernens                  zu schaffen. Das Weiterentwickeln oder
an dieser Abfolge orientiert. Er schaltet der               Revidieren seiner Position und damit das
Analyse jedoch eine Phase der Wahrneh-                      Verständnis, dass eine Position stets eine
mung und des Sammelns vor.45 Nachdem                        begründete Affirmation bedeutet, ist dabei
geeignete Sachaussagen zur Vergangen-                       eine grundlegende Geisteshaltung, und
heit und Geschichte in Form von Quellen                     für eine (geschichts-)wissenschaftsorien-
und Darstellungen gesammelt sind, wer-                      tierte Schule konstitutiv.
den diese analysiert und der Sachverhalt                         Jede Positionalität ist also zugleich
geklärt. Dabei werden Bezüge zu anderen                     Abschluss und Ausgangspunkt für histori-
Quellen und Darstellungen aus dem histo-                    sches Lernen. Somit kann das historische
rischen Kontext hergestellt und beispiels-                  Denken als zyklischer Prozess beschrie-
weise Wandel und Dauer sowie Ursachen                       ben werden, bei dem Wissen aufgebaut,
und Wirkungen rekonstruiert und gedeu-                      umgebaut und Vorstellungen erhärtet oder
tet. Das Produkt ist dann das historische                   verworfen werden. Historisches Denken
Sachurteil. Es bildet die Grundlage für                     ist auch ein diskursives Ringen um einen
das Werturteil. Dieses unterscheidet sich                   rationalen Umgang mit subjektiven Wahr-
dadurch, dass es persönliche Urteile und                    nehmungen, Wertungen und Urteilen, bei
Wertungen miteinbezieht. Im Werturteil                      dem ständig eine reflexive Distanz zu sich
wird eine begründete Position bezogen.                      und zur Sache erarbeitet werden muss.
     Das Werturteil kann im Unterricht bei-                 Dem subjektivistischen Zugriff fehlt das re-
spielsweise vorgestellt und zur Diskussion                  flektierte epistemologische Verstehen von
gestellt werden. Dann käme es zum um-                       Geschichte. Erst in der Wissenschafts-
gekehrten Prozess, bei dem die Mitschü-                     orientierung bzw. dem objektivierten Zu-
ler die subjektiven Werthaltungen und die                   griff auf Geschichte kommt dieses Wissen
für die Narration gewählten Perspektiven                    zum Ausdruck. Diskursivität ist konstituie-
dekonstruieren und die Referenzen auf die                   rend für Geschichtswissenschaft und folgt
Quellen intersubjektiv nachvollziehen kön-                  disziplinären Regeln. Sie muss deshalb
nen. Ebenso könnten aufgrund derselben                      auch Teil des Geschichtsunterrichts sein.
Sachaussagen, Quellen und Darstellun-                       Kurt Messmer sprach in diesem Zusam-
gen eine andere Narration rekonstruiert                     menhang von einer Metaebene, die mit

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Hilfe einer «Metatablette der Marke Clio»                   für das historische – perspektivisch-dis-
eingenommen werden könne.46                                 kursiv gefasste – Denken unerlässlich.
    Jüngst wird diskutiert, ob es für die                   Dennoch muss im Blick behalten werden,
diskursive Geschichtsdidaktik auch so                       dass die Pflege und Förderung diskursiver
etwas wie eine Genre-Didaktik brauche,                      Fähigkeiten zum Bildungsauftrag gehört.
insbesondere mit Blick auf das Sach- und                    Schließlich dürfen Kinder und Jugendliche
Werturteil. Für Mareike-Cathrine Wickner                    in ihrer Fähigkeit zu denken, zu fragen, ab-
sind solche diskursiven Spielarten, wie                     zuwägen, zu argumentieren und zu deuten
etwa die dialektische Argumentation, eine                   auch nicht unterschätzt werden.
Form bzw. eine Methode – oder ein Genre                          Diskursivität und Perspektivität können
–, das speziell für das historische Sach-                   jedoch nur dann erfolgreich in die Wege
und Werturteil modelliert, angewandt und                    geleitet werden, wenn die Beschäftigung
geübt werden soll oder muss.47                              mit einem Thema über das Kennenlernen
                                                            hinaus als echte Auseinandersetzung in-
                                                            itiiert wird. Diskursivität braucht Zeit und
7. Resümee                                                 widersetzt sich oft dem Effizienzdruck
                                                            geschuldeten „Durchnehmen“ von ge-
Diskursivität im Geschichtsunterricht ist                   schichtlichen Themen, bei dem meist auf
für die Geschichtsdidaktik nicht neu. Wie                   Eindeutigkeit und affirmatives Erzählen der
gezeigt wurde, sind Elemente mit diesbe-                    Vergangenheit gesetzt wird. Sie verwehrt
züglichem Bildungspotential bereits seit                    sich dem Pauken von abfragbarem Wis-
längerer Zeit Teil des geschichtsdidak-                     sen, das nicht durchdacht und in seinem
tischen Diskurses. Dennoch sollte ver-                      Bedeutungszusammenhang eingeordnet
deutlicht werden, dass Diskursivität auf                    und verstanden wird. Schließlich darf es
dem didaktischen Prinzip der Perspekti-                     im Geschichtsunterricht nicht zu einem
venvielfalt beruht. Damit ist ein gewisser                  affirmativen Verkünden von Wahrheiten
kognitiver Anspruch an Rationalität und                     kommen.
Reflexivität verbunden. Ein Geschichts-                          Offene Fragen sollen im Geschichts-
unterricht, der bildend sein möchte, kann                   unterricht durchaus ihren Platz haben.
auf Perspektivität und Diskursivität nicht                  Es gibt in der Geschichte auch Dinge,
verzichten. Es gibt also allen Anlass, auch                 die bis heute nicht abschließend geklärt
das geschichtsdidaktische Denken und                        sind – oder die gar nicht abschließend ge-
Handeln wieder verstärkt in einen bil-                      klärt werden können. Hier muss die Ge-
dungstheoretischen Horizont einzubinden                     schichtsdidaktik helfen, Positionen offen
und dabei die Bedeutung des diskursiven                     zu halten bzw. sie ständig wieder zu öffnen
Denkens und der kritischen Auseinan-                        und in diskursiven Phasen zu verhandeln.
dersetzung mit der Sache stärker in den                          Wenn, mit Karl Popper gespro-
Fokus zu rücken.                                            chen, Pluralität ein Merkmal offener Ge-
    Selbstverständlich können und müs-                      sellschaften ist und Gefahr für sie von
sen im Unterricht nicht alle Themen dis-                    geschlossenen, dogmatischen und fun-
kursiv behandelt und kritisch beleuchtet                    damentalistischen Positionen droht48,
werden. Auch die informierende Aufga-                       so muss dies in den Bildungsbereich
be soll ernst genommen werden. Eine                         pädagogisch übersetzt und didaktisch
Ordnung, wie etwa die chronologische                        berücksichtigt werden. Im schulischen
Orientierung in der Zeit mittels Epochen-                   Geschichtsunterricht sollte deshalb von
begriffen sowie Zeitleiste, und die immer                   Anfang an das argumentative Denken mit
genauer werdende Begrifflichkeit sind                       Perspektiven und Positionen geübt und die

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dabei immer wieder erfahrbare Mehrdeu-                      Multiperspektivität in Bezug auf die Erzäh-
tigkeit und Relativität von Standpunkten                    lenden anzuwenden und auf dieser Ebene
einsichtig gemacht werden. Das gelingt                      die Perspektiven zu wechseln. Opfer von
durch eine argumentative Positionalität.                    Vertreibung und Verfolgung erzählen an-
Dabei ist das historische Wissen im Sinne                   ders und mit anderen Absichten als Täter,
Rüsens mit seinen Geltungsansprüchen                        die sich zwar möglicherweise nicht schuld-
zu stärken und seine Plausibilität oder Trif-               frei darstellen wollen, jedoch wo möglich
tigkeit systematisch zu begründen. Denn                     gewisse Aspekte in ihren Narrationen un-
die Methode macht das Wissen durch                          erwähnt lassen wollen.
die intersubjektive Überprüfbarkeit seiner                       In einem diskursiven Geschichtsunter-
Aussagen begründungsfähig.                                  richt bietet die Sache den Schülerinnen
     In der Diskursivität werden Interpreta-                und Schülern den bildungstheoretisch
tionen und Deutungen der Vergangenheit                      gebotenen Widerstand und verlangt
verhandelt und deren Gültigkeit argumen-                    nach einer echten Auseinandersetzung.
tativ geprüft. Dabei spielen die Analyse                    Deshalb sind die Lehrpersonen dazu an-
der Argumentation, der Referenzialität, der                 gehalten, die Perspektive auf die Wissens-
Rhetorik und Form der Narration eine we-                    kontexte im Blick zu halten und sich einer
sentliche Rolle. Die Absichten der Autoren                  wissenschaftsorientierten Sprache zu ver-
der unterschiedlichen Textsorten über die                   pflichten und diese bei den Schülerinnen
Vergangenheit sollen erkannt und geprüft                    und Schülern zu fördern und einzufordern.
werden. Hier kann die Frage nach der                             Historische Werturteile zu bilden und
Plausibilität einer historischen Erzählung                  diese zu erkennen und sich entsprechend
ins Spiel gebracht werden. Selbstver-                       zu positionieren, ist für die Ausbildung
ständlich wird das Wahrheitskriterium der                   eines reflektierten und (selbst-)reflexiven
empirischen Plausibilität (Rüsen) nicht auf-                Geschichtsbewusstseins von zentraler
gegeben, sondern vielmehr gestärkt.                         Bedeutung.49 Dazu braucht es Abstand zu
     Kontroversen und Streits sind konsti-                  sich selbst und zum Gegenstand; oder wie
tuierend für die Geschichtswissenschaft.                    Gadamer es nennt: Bildung.
Schulische Geschichte nimmt genau diese
Idee auf. Nach dem Zusammentragen
eines Sachverhalts, erfolgt das Erarbei-
ten eines Sachurteils in einem diskursiven                  Anmerkungen
Prozess. Worauf schließlich ein Werturteil
begründet und Position bezogen wird. Dis-                   1     Dewey, John (1916/1983). Demokratie und
kursivität, Auseinandersetzung, Argumen-                          Erziehung. Weinheim/Basel: Beltz, S. 204.
                                                            2     vgl. Bieri, P. (2017). Wie wäre es, gebildet
tation, Widerlegung, Streit um Positionen
                                                                  zu sein?. München: Komplett-Media; Tenorth,
– darum geht es.                                                  Heinz-Elmar (2011). „Bildung“ – ein Thema
     Eine falsch- oder unverstandene Per-                         im Dissens der Disziplinen. Zeitschrift für Er-
spektivität birgt jedoch auch Gefahren für                        ziehungswissenschaft, 14(3), 351-362.
den Geschichtsunterricht. Denn einige                       3     vgl. Duncker, Ludwig, Sander, Wolfgang,
Themen – wie zum Beispiel die Shoa –                              & Surkamp, Carola (Hrsg.) (2005). Per-
dürfen keinesfalls in einer Art und Weise                         spektivenvielfalt im Unterricht. Stuttgart:
                                                                  Kohlhammer.
perspektivisch so dargestellt werden,
                                                            4     Gadamer, Hans-Georg (1990). Wahrheit und
dass bei den Jugendlichen der Eindruck                            Methode. Grundzüge einer philosophischen
entstehen könnte, jede Erzählung sei er-                          Hermeneutik. Tübingen: Mohr, S. 22f.
laubt. Das wäre eine völlig falsch verstan-                 5     Koselleck, Reinhart (1989). Historia Magis-
dene Perspektivität. Vielmehr gilt es, die                        tra Vitae. Über die Auflösung des Topos im

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Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte.                  Geschichtsdidaktik. Praxishandbuch für
      In: Koselleck, Reinhardt (Hrsg.). Vergangene               die Sekundarstufe I und II (6., überarbeite-
      Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zei-                 te Neuauflage). Berlin: Cornelsen Scriptor,
      ten. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 38-66;                S. 24–49.
      Kocka, Jürgen (2008): Geschichte als Wis-            10    Duncker, Ludwig (2005). Professionalität
      senschaft. In: Budde, Gunilla/Freist, Dagmar/              des Zeigens. Mehrperspektivität als Prin-
      Günther-Arndt, Hilke (Hrsg.): Geschichte.                  zip der Allgemeinen Didaktik. In: Duncker,
      Studium – Wissenschaft – Beruf. Berlin: Aka-               Ludwig, Sander, Wolfgang, & Surkamp,
      demie Verlag, S. 12-30.                                    Carola (Hrsg.). Perspektivenvielfalt im Unter-
6     Zum Kompetenzdiskurs und zu den einzelnen                  richt. Stuttgart: Kohlhammer, S. 9-20, hier:
      Kompetenzmodellen in der deutschsprachi-                   S. 15-17.
      gen Geschichtsdidaktik vgl. Gautschi, Peter          11    Wygotski, Lew (1984): Ausgewählte Schrif-
      (2015). Guter Geschichtsunterricht: Grundla-               ten, Bd. 2: Arbeiten zur psychischen Entwick-
      gen, Erkenntnisse, Hinweise. SchwalbachTs:                 lung der Persönlichkeit. Köln.
      Wochenschau Verlag; Schreiber, Waltraud              12    Goertz, Hans-Jürgen (2001). Unsichere Ge-
      (2008). Ein Kompetenz-Strukturmodell histo-                schichte: Zur Theorie historischer Referentia-
      rischen Denkens. Zeitschrift für Pädagogik,                lität. Stuttgart: Reclam.
      (54), 198–212; Trautwein, Ulrich, Bertram,           13    Koselleck, Reinhart (1989). Standortbindung
      Christiane, Borries, Bodo von, Brauch, Nico-               und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiogra-
      la, Hirsch, Matthias, Klausmeier, Kathrin, …               phischen Erschließung der geschichtlichen
      Zuckowski, Andreas (2017). Kompetenzen                     Welt. In: Koselleck, Reinhard (Hrsg.). Ver-
      historischen Denkens erfassen. Konzeption,                 gangene Zukunft. Zur Semantik geschichtli-
      Operationalisierung und Befunde des Pro-                   cher Zeiten. Frankfurt am Main: Suhrkamp,
      jekts «Historical Thinking—Competencies                    S. 176-207.
      in History» (HiTCH). Münster; New York:              14    Welskopp, Thomas (2008). Historische Er-
      Waxmann; Zülsdorf-Kersting, Meik (2018).                   kenntnis. In: Gunilla Budde, Dagmar Freist,
      Historische Kompetenzen. Diagnose und Be-                  & Hilke Günther-Arndt (Hrsg.). Geschichte.
      wertung. In: Hilke Günther-Arndt & Meik Züls-              Studium—Wissenschaft—Beruf. Berlin: Aka-
      dorf-Kersting (Hrsg.), Geschichtsdidaktik.                 demie Verlag, S. 122–137, hier: S. 124.
      Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und           15    Rüsen, Jörn (2013). Historik: Theorie der Ge-
      II. Berlin: Cornelsen Scriptor, S. 214-226;                schichtswissenschaft. Köln: Böhlau, S. 55.
      Bürgler, Beatrice, Gautschi, Peter, & Hediger,       16    Rüsen, Jörn (2013). Historik: Theorie der
      Stephan (2016). Kompetenzorientiert arbei-                 Geschichtswissenschaft.       Köln:    Böhlau,
      ten im Geschichtsunterricht. In: Marcel Naas               S.60-62.
      (Hrsg.), Kompetenzorientierter Unterricht auf        17    Schreiber Waltraud, et al. (2007). Histo-
      der Sekundarstufe I. Bern: hep, S. 259–279.                risches Denken. Ein Kompetenz-Struktur-
7     Ammerer, Heinrich, Hellmuth, Thomas, &                     modell (Basisbeitrag). In: Körber, Andreas,
      Kühberger, Christoph (Hrsg.) (2015). Sub-                  Schreiber, Waltraud, & Schöner, Alexander
      jektorientierte Geschichtsdidaktik. Schwal-                (Hrsg.). Kompetenzen historischen Denkens:
      bach/Ts: Wochenschau Verlag.                               Ein Strukturmodell als Beitrag zur Kompe-
8     Reinfried, Sibylle, Mathis, Christian, & Katt-             tenzorientierung in der Geschichtsdidaktik.
      mann, Ulrich (2009). Das Modell der Di-                    Neuried: Ars Una, S. 17-53.
      daktischen Rekonstruktion. Eine innovative           18    Bergmann, Klaus (2000). Multiperspektivi-
      Methode zur fachdidaktischen Erforschung                   tät: Geschichte selber denken. Schwalbach/
      und Entwicklung von Unterricht. Beiträge                   Ts.: Wochenschau; Bergmann, Klaus (1997).
      zur Lehrerbildung, 27(3), 404–414; Mathis,                 Multiperspektivität. In: Bergmann, Klaus,
      Christian (2015): „Irgendwie ist doch da mal               Fröhlich, Klaus, Kuhn, Annette, Rüsen, Jörn,
      jemand geköpft worden“ – Didaktische Re-                   & Schneider, Gerhard (Hrsg.). Handbuch der
      konstruktion der Französischen Revolution                  Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber: Kallmey-
      und der historischen Kategorie Wandel. Balt-               er, S. 298ff.
      mannsweiler: Schneider.                              19    Lücke, Martin (2012). Multiperspektivität,
9     Günther-Arndt, Hilke (2014). Historisches                  Kontroversität, Pluralität. In: Barricelli, Mi-
      Lernen und Wissenserwerb. In: Hilke Gün-                   chele, & Lücke, Martin (Hrsg.). Handbuch
      ther-Arndt, & Meik Zülsdorf-Kersting (Hrsg.),              Praxis des Geschichtsunterrichts, Bd. 1.

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Schwalbach/Ts.: Wochenschau, S. 281-288,                     Sprecherpositionen vergangene Gesellschaf-
     hier: S. 281.                                                ten überhaupt bereitzustellen in der Lage
20   Bergmann, Klaus (2004). Multiperspektivi-                    waren und von welchen Machtverhältnis-
     tät. In: Ulrich Mayer, Hans-Jürgen Pandel,                   sen solche Positionen durchkreuzt wurden“,
     & Gerhard Schneider (Hrsg.), Handbuch                        wie Lücke es formuliert. Vgl. Lücke, Martin
     Methoden im Geschichtsunterricht. Klaus                      (2012). Multiperspektivität, Kontroversität,
     Bergmann zum Gedächtnis. Schwalbach/Ts:                      Pluralität. In: Barricelli, Michele, & Lücke,
     Wochenschau, S. 65–77, hier: S. 65f.                         Martin (Hrsg.). Handbuch Praxis des Ge-
21   Bergmann, Klaus (2004). Multiperspektivi-                    schichtsunterrichts, Bd. 1. Schwalbach/Ts.:
     tät. In: Ulrich Mayer, Hans-Jürgen Pandel,                   Wochenschau, S. 281-288, hier: S. 286.
     & Gerhard Schneider (Hrsg.), Handbuch                  25    Die darin enthaltenen Informationen werden
     Methoden im Geschichtsunterricht. Klaus                      in einer sinnvollen historischen Erzählung
     Bergmann zum Gedächtnis. Schwalbach/Ts:                      präsentiert, die je nach Absichten, Ansichten
     Wochenschau, S. 65–77, hier: S. 66.                          und Einstellungen – oder um es mit einem
22   Bergmann, Klaus (2004). Multiperspektivi-                    etwas aus der Mode gekommenen Begriff
     tät. In: Ulrich Mayer, Hans-Jürgen Pandel,                   zu sagen: die je nach Ideologie – des Erzäh-
     & Gerhard Schneider (Hrsg.), Handbuch                        lers entsprechend ausfällt. Lücke schlägt vor,
     Methoden im Geschichtsunterricht. Klaus                      eine Hintergrundnarration als „die Schnitt-
     Bergmann zum Gedächtnis. Schwalbach/Ts:                      menge kontroversen Wissens zum in Rede
     Wochenschau, S. 65–77, hier: S. 66.                          stehenden historischen Zusammenhang“ zu
23   Sie sind jedoch heuristisch hilfreich, worauf                begreifen. Vgl. Lücke, Martin (2012). Multi-
     auch Martin Lücke hinweist: „Gerade über                     perspektivität, Kontroversität, Pluralität. In:
     solche Trennlinien als heuristische Konstruk-                Barricelli, Michele, & Lücke, Martin (Hrsg.).
     te im Geschichtsunterricht zu diskutieren, ist               Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts,
     vielmehr Bestandteil einer reflektierten Text-               Bd. 1. Schwalbach/Ts.: Wochenschau,
     kompetenz. Führt man zudem vor Augen, dass                   S. 281-288, hier: S. 287.
     eine kontroverse geschichtswissenschaftliche           26    Vgl. Lücke, Martin (2012). Multiperspektivi-
     Auseinandersetzung in der gleichen pluralen                  tät, Kontroversität, Pluralität. In: Barricelli,
     Geschichtskultur (wenngleich auch nicht in                   Michele, & Lücke, Martin (Hrsg.). Handbuch
     derselben konkreten Lebenswelt) stattfindet                  Praxis des Geschichtsunterrichts, Bd. 1.
     wie Geschichtsunterricht, so wird auch die                   Schwalbach/Ts.: Wochenschau, S. 281-288,
     Trennlinie zwischen Kontroversität und Plurali-              hier: S. 287.
     tät unscharf oder gar durchlässig, zumindest           27    Günther-Arndt, Hilke (2014). Methodik des
     wenn im Rahmen von Kontroversität Themen                     Geschichtsunterrichts. In Hilke Günther-Arndt
     behandelt werden, die gegenwärtig Gegen-                     & Meik Zülsdorf-Kersting (Hrsg.), Geschichts-
     stand von Debatten der fachhistorischen                      didaktik. Praxishandbuch für die Sekundar-
     Forschung sind.“ Vgl. Lücke, Martin (2012).                  stufe I und II (6., überarbeitete Neuauflage).
     Multiperspektivität, Kontroversität, Plurali-                Berlin: Cornelsen Scriptor, S. 158–204,
     tät. In: Barricelli, Michele, & Lücke, Martin                hier: S. 168.
     (Hrsg.). Handbuch Praxis des Geschichts-               28    Borries, Bodo von. (2012). Historische
     unterrichts, Bd. 1. Schwalbach/Ts.: Wochen-                  Erkenntnisse—Historische          Kategorien—
     schau, S. 281-288, hier: S. 286.                             Historische Kompetenzen? In: Christoph
24   vgl. Bergmann, Klaus (2000). Multiperspek-                   Kühberger (Hrsg.), Historisches Wissen:
     tivität: Geschichte selber denken. Schwal-                   Geschichtsdidaktische Erkundungen zu Art,
     bach/Ts.: Wochenschau, S. 57f. Mittels einer                 Tiefe und Umfang für das historische Ler-
     solchen Hintergrundnarration erhalten die Ju-                nen. Schwalbach am Taunus: Wochenschau,
     gendlichen die nötigen Informationen, damit                  S. 9–31, hier: S. 20-23.
     sie den Kontext erkennen. Ohne ein Verständ-           29    Mathis, Christian (2015): „Irgendwie ist doch
     nis des historischen Kontexts besteht die                    da mal jemand geköpft worden“ – Didaktische
     Gefahr, dass die Bemühungen um multiper-                     Rekonstruktion der Französischen Revolution
     spektivische Zugänge ins Leere laufen. Um                    und der historischen Kategorie Wandel. Balt-
     mit Multiperspektivität umgehen zu können,                   mannsweiler: Schneider, S. 235-239.
     brauchen die Schülerinnen und Schüler das              30    Pelzer, Erich (Hrsg.) (2004). Revolution und
     Wissen darüber, „welche Sprecherinnen- und                   Klio. Die Hauptwerke zur Französischen

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Revolution. Göttingen: Vandenhoeck & Rup-                  andere Bedeutungen. Vgl. Brunner, Otto,
      recht, S. 14.                                              Conze, Werner, & Koselleck, Reinhart (Hrsg.)
31    vgl. Kocka, Jürgen (2008): Geschichte als                  (2004). Geschichtliche Grundbegriffe: Histo-
      Wissenschaft. In: Budde, Gunilla/Freist,                   risches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache
      Dagmar/Günther-Arndt, Hilke (Hrsg.): Ge-                   in Deutschland (Studienausgabe. 8 Bde. in 9,
      schichte. Studium – Wissenschaft – Beruf.                  Korrigenda zu Bd. 1-7). Stuttgart: Klett-Cotta.
      Berlin: Akademie Verlag, S. 12-30.                   39    Mathis, Christian (2015): „Irgendwie ist
32    Günther-Arndt, Hilke (2014). Methodik des                  doch da mal jemand geköpft worden“ –
      Geschichtsunterrichts. In Hilke Günther-                   Didaktische Rekonstruktion der Französi-
      Arndt & Meik Zülsdorf-Kersting (Hrsg.),                    schen Revolution und der historischen Kate-
      Geschichtsdidaktik. Praxishandbuch für die                 gorie Wandel. Baltmannsweiler: Schneider.
      Sekundarstufe I und II (6., überarbeitete            40    Die „International Bill of Human Rights“ der
      Neuauflage). Berlin: Cornelsen Scriptor,                   Vereinten Nationen von 1948 garantiert die
      S. 158–204, hier: S. 169.                                  Menschenrechte und umfasst neben dem
33    Schütz, Alfred, & Luckmann, Thomas (2003).                 „Internationalen Pakt über bürgerliche und
      Strukturen der Lebenswelt. Stuttgart: UVK,                 politische Rechte“ den „Internationalen Pakt
      S. 239f.                                                   über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
34    Caravita, Silvia, & Halldén, Ola (1994): Re-               Rechte“, der am 19. Februar 1966 von der
      framing the Problem of Conceptual Change.                  Generalversammlung der Vereinten Nationen
      In: Learning and Instruction 4/1994, S.                    einstimmig verabschiedet wurde (vgl.: http://
      89-111; Halldén, Ola (1999): Conceptual                    www.un.org/depts/german/menschenrech-
      Change and Contextualization. In: Schnotz,                 te/aemr.pdf, 6.2.2021).
      Wolfgang, Vosniadou, Stella, & Carretero,            41    Der „International Covenant on Economic,
      Mario (Hrsg.). New Perspectives on Concep-                 Social and Cultural Rights“ (ICESCR) wird in
      tual Change. Amsterdam, S. 53-65.                          der Schweiz auch UNO-Pakt I genannt und
35    Günther-Arndt, Hilke (2006). Conceptual                    wurde von der Eidgenossenschaft (erst) am
      Change-Forschung. Eine Aufgabe für die                     18. September 1992 ratifiziert.
      Geschichtsdidaktik? In: Hilke Günther-Arndt          42    Rüsen, Jörn (2013). Historik: Theorie der Ge-
      & Michael Sauer (Hrsg.), Geschichtsdidaktik                schichtswissenschaft. Köln: Böhlau.
      empirisch Untersuchungen zum historischen            43    Auch Thünemann weist in Bezug auf das Bil-
      Denken und Lernen. Berlin: Lit, S. 251–277,                den von Werturteilen auf das von Karl-Ernst
      hier: S. 261f.; Mathis, Christian (2015): „Ir-             Jeismann unter Bezug auf Ralf Dahrendorf
      gendwie ist doch da mal jemand geköpft                     als «Norm» geforderte «Prinzip der Unge-
      worden“ – Didaktische Rekonstruktion der                   wissheit» hin, das für eine diskursive Urteils-
      Französischen Revolution und der histori-                  bildung leitend sein soll. Vgl. Thünemann,
      schen Kategorie Wandel. Baltmannsweiler:                   Holger (2020). Historische Werturteile. Posi-
      Schneider, S. 23f.                                         tionen, Befunde, Perspektiven. Geschichte
36    Mathis, Christian (2015): „Irgendwie ist doch              in Wissenschaft und Unterricht, 71(1/2),
      da mal jemand geköpft worden“ – Didaktische                7–18, hier: 18; Jeismann, Karl-Ernst (2016).
      Rekonstruktion der Französischen Revolution                «Aus der Geschichte lernen?». Grundfragen
      und der historischen Kategorie Wandel. Balt-               der Geschichtsdidaktik. In: Saskia Handro,
      mannsweiler: Schneider, S. 232-235.                        Bernd Schönemann (Hrsg.), Aus der Ge-
37    Aebli, Hans (2019). Zwölf Grundformen des                  schichte lernen? Weiße Flecken der Kompe-
      Lehrens: Eine allgemeine Didaktik auf psy-                 tenzdebatte. Münster: LIT, S. 9–20, hier: S.
      chologischer Grundlage (15. Auflage). Stutt-               19; Dahrendorf, Ralf (1964). Ungewissheit,
      gart: Klett-Cotta, S. 245.                                 Wissenschaft und Demokratie. In: Harald
38    Eine weitere Charakteristik von historischen               Delius, Günther Patzig (Hrsg.). Argumenta-
      Konzepten ist die Tatsache, dass sie ihre Be-              tionen. Festschrift für Josef König. Göttingen:
      deutung mit der Zeit verändern und je nach                 Vandenhoeck & Ruprecht, S. 43-66.
      historischer Situation, auf die sie angewendet       44    Karl-Ernst Jeismann: Geschichtsbewußtsein
      werden, verschiedene Bedeutungen haben                     als zentrale Kategorie der Geschichtsdidaktik.
      können. Auch Konzepte wie Revolution, Na-                  In: Gerhard Schneider (Hrsg.). Geschichts-
      tion, Krieg, Herrschaft und Gesellschaft be-               bewußtsein und historisch-politisches Lernen.
      kommen je nach historischem Kontext ganz                   Pfaffenweiler: Centaurus 1988, 1-27.

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