GLÜCKSFAKTOR ARBEIT Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit? Michael Neumann / Jörg Schmidt

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GLÜCKSFAKTOR ARBEIT Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit? Michael Neumann / Jörg Schmidt
Nr. 21

         DISKUSSION

         Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit?

         GLÜCKSFAKTOR ARBEIT
         Michael Neumann / Jörg Schmidt

                               www.romanherzoginstitut.de
GLÜCKSFAKTOR ARBEIT Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit? Michael Neumann / Jörg Schmidt
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Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit?

GLÜCKSFAKTOR ARBEIT
Michael Neumann / Jörg Schmidt

      Vorwort                                                      2

1     Einleitung                                                   3

2     Wie glücklich sind wir – und welche Rolle spielt der Job?    5

3     Glück im Job                                                11
3.1   Berufswahl                                                  11
3.2   Autonomie und (Mit-)Verantwortung                           13
3.3   Arbeitsplatzsicherheit                                      16
3.4   Qualifikationsgerechte Aufgaben                             18
3.5   Aufstiegserwartungen und Aufstiegsmobilität                 19

4     Schlussfolgerungen                                          22

      Literatur                                                   24

      Die Autoren                                                 27
GLÜCKSFAKTOR ARBEIT Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit? Michael Neumann / Jörg Schmidt
Randolf Rodenstock

Vorwort

Nach Glück und Zufriedenheit strebt wohl jeder,        Mit der hier vorgelegten Veröffentlichung wird deut-
wenngleich auf unterschiedliche Weise. Da wir          lich, dass Arbeitsplatzsicherheit und Arbeit insge-
einen sehr großen Teil unseres Lebens mit Arbeit       samt zentral für die Zufriedenheit der Menschen sind.
verbringen – nicht immer kann man klar zwischen        Arbeitslosigkeit führt zu großer Unzufriedenheit, die
Arbeitszeit und Lebenszeit unterscheiden – stellen     Betroffenen sind unglücklich und fühlen sich ausge-
sich zu diesem Thema wichtige Fragen: Wie hängt        schlossen. An dieser Stelle möchte ich aber auch
die Lebenszufriedenheit mit der Arbeitszufrieden-      darauf hinweisen, dass die Arbeitnehmer viele Mög-
heit zusammen? Kann man durch Steigerung der           lichkeiten zur Mitwirkung haben. Welche Form der
Arbeitszufriedenheit die Lebenszufriedenheit positiv   Unternehmenskultur gepflegt wird, wie transparent,
beeinflussen? Welche Faktoren sind wichtig, damit      freundlich und aufrichtig im Unternehmen miteinan-
wir mit unserer Arbeit zufrieden sind?                 der kommuniziert wird oder auch welche Branche
                                                       der Einzelne auswählt – bei alldem kann und muss
Diesen und weiteren Zusammenhängen gehen die           der Arbeitnehmer mitentscheiden, um seine eigene
Autoren Michael Neumann und Jörg Schmidt in            Zufriedenheit mitzugestalten getreu dem seit etwa
dieser RHI-Diskussion nach. Sie belegen empirisch,     300 vor Christus aufgezeichneten Vers: Ein jeder sei
dass Arbeit an sich und ganz grundsätzlich Arbeit-     der Schmied seines Glücks.
haben einen sehr starken, positiven Einfluss auf die
Lebenszufriedenheit ausüben. Auch andere Länder        Darüber nachzudenken, wie wir gemeinsam die
werden betrachtet. Es gibt Staaten wie die Schweiz,    Arbeitswelt der Zukunft erfolgreich gestalten können,
Norwegen und Kanada, in denen vergleichsweise          bleibt eine der wichtigsten Aufgaben des RHI.
viele Hochzufriedene leben. Welche Faktoren dort
die Lebenszufriedenheit beeinflussen, wird von den
Auto­ren skizziert. Sie untersuchen zudem, welche
Rolle die berufliche Autonomie für die Zufriedenheit
spielt und welchen Einfluss Flexibilität am Arbeits-   Prof. Randolf Rodenstock
platz und die gelebte Unternehmenskultur haben.        Vorstandsvorsitzender des Roman Herzog Instituts e. V.

2
GLÜCKSFAKTOR ARBEIT Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit? Michael Neumann / Jörg Schmidt
Kapitel 1

Einleitung                                               Das Roman Herzog Institut (RHI) widmet sich seit
                                                         mehr als zehn Jahren vielfältigen Fragen rund um
                                                         Themen zur Zukunft der Arbeit. Das Jahr 2012 stand
Es ist nicht einfach, das Glück oder die Zufriedenheit   dabei im Zeichen der Zusammenhänge von Wachs-
eines Menschen oder einer Gesellschaft zu erfassen.      tum, Wohlstand und Wohlbefinden. Klar heraus­
Zahlreiche Fragen sind zu beantworten und methodi-       gearbeitet wurde im Rahmen einer interdisziplinären
sche Probleme zu lösen, um eine Vorstellung davon        Diskussion, dass Wachstum kein Selbstzweck ist,
zu bekommen, wie gut oder schlecht jemand seine          sondern das Ergebnis vernünftig aufgestellter staat-
Lebenssituation beurteilt. Neben vielen Kriterien, die   licher Rahmenbedingungen. Menschen honorieren
einen Einfluss auf die Zufriedenheit haben und die im    Wachstum aber mitnichten um seiner selbst willen
weitesten Sinne unter dem Stichwort der „arbeits-        und ebenso wenig nur wegen der damit verbunde-
kontextfreien Merkmale“ zusammengefasst werden           nen Einkommensperspektiven. Vielmehr goutieren
können, stellen Erwerbstätigkeit und Arbeitsumfeld       sie auch die durch Wachstum entstandenen neuen
besondere Merkmale dar, da sie in vielfältiger Weise     Betätigungsmöglichkeiten, wenn etwa technischer
unser Leben beeinflussen. Die große Bedeutung            Fortschritt neue Arbeitsplätze schafft oder Arbeits­
einer Erwerbstätigkeit lässt sich bereits erahnen,       erleichterungen mit sich bringt.
wenn man die beachtlichen negativen Zufrieden-
heitseffekte betrachtet, die von Arbeitslosigkeit        Daher besteht ein enger Zusammenhang zwischen
ausgehen.                                                technischem Fortschritt, der Ausgestaltung von
                                                         Arbeitsplätzen und der Lebenszufriedenheit der
                                                         Beschäftigten. Was aber macht unser Leben glück­
                                                         lich(er) und zufrieden(er), wenn wir uns die Arbeitswelt
                                                         genauer anschauen? Was sehen wir als den idealen
                                                         Arbeitsplatz an und wie sollte er beschaffen sein?

                                                         Arbeit – genauer Erwerbsarbeit – ist ein zentraler Be-
                                                         standteil unseres Lebens und nimmt somit auch Ein-
                                                         fluss auf unsere Lebenszufriedenheit. Diese Erkennt-
                                                         nis ist zwar nicht neu. Die überwiegende Anzahl der
                                                         Fachpublikationen zum Thema Lebenszufriedenheit
                                                         fokussierte bislang aber auf andere Lebensbereiche
                                                         und Personengruppen, wie etwa Studenten, Kinder
                                                         und Menschen mit gesundheitlichen Problemen
                                                         (Erdo­gan et al., 2012). Dies scheint überraschend,
                                                         da wir doch einen großen Anteil unserer Lebenszeit
                                                         im Beruf verbringen und sich dies nachhaltig auf
                                                         unsere Zufriedenheit auswirken dürfte. Der Blick auf
                                                         andere Lebensbereiche zeigt, dass diese ebenfalls
                                                         eine wichtige Rolle spielen, darunter vor allem die
                                                         eigene Gesundheit oder die Familie.
Peter Atkins/Fotolia

                                                         Wie also muss mein Arbeitsplatz aussehen, um
                                                         mich glücklicher und zufriedener zu machen? Kann
                                                         ich mir das Glück gewissermaßen „erarbeiten“? Die
                                                         vorliegende Publikation trägt vorhandene Literatur

                                                                                                               3
GLÜCKSFAKTOR ARBEIT Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit? Michael Neumann / Jörg Schmidt
Einleitung

Kapitel 1

zu diesen Fragen zusammen und ergänzt sie um            Befunde erläutert. Im Anschluss daran b    ­ eleuchtet
eigene Auswertungen aus dem Sozio-oekonomi-             Kapitel 3 beispielhaft einige für die allgemeine
schen Panel (SOEP). Aufgrund der Komplexität der        Lebenszufriedenheit wesentliche Aspekte der Arbeit,
Forschungsfrage ist der vorliegende Beitrag wie folgt   von denen unter Bezug auf die vorliegende Literatur
gegliedert: Zunächst wird in Kapitel 2 die Bedeutung    erwartet werden kann, dass sie einen maßgeblichen
des Arbeitsumfelds im Zusammenspiel mit ande-           Einfluss auf die Lebenszufriedenheit haben (ohne den
ren Lebensbereichen aufgezeigt. Zudem werden            Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben). Kapitel 4
im internationalen Vergleich und nach der Art der       zieht die resultierenden Schlussfolgerungen.­
Erwerbsform differenziert einige zusammengefasste

    Die Datengrundlagen:                                Methodik: Abgrenzungen des
    SOEP und World Values Survey                        ­untersuchten Datensatzes

    Der überwiegende Teil der in dem vorliegenden       Für die vorliegende Untersuchung werden grund-
    Beitrag verwendeten Daten entstammt der jähr-       sätzlich möglichst aktuelle Daten (für das Jahr
    lich durchgeführten Befragung im Rahmen des         2010) heran­gezogen. Außerdem wird der Kreis der
    Sozio-oekonomischen Panels. Das SOEP ist eine       berücksichtigten Personen auf das Erwerbsalter
    Längsschnittbefragung des Deutschen Instituts für   ein­geschränkt (15 bis unter 65 Jahre). In einzelnen
    Wirtschaftsforschung in Berlin und erhebt neben     Fällen werden gepoolte Daten für einen längeren
    sozio­demo­grafischen Merkmalen zu den Perso-       Zeitraum verwendet, und zwar wenn bestimmte
    nen und Haushalten auch eine Reihe sogenannter      Informationen nicht für das aktuelle Jahr vorliegen
    Bereichszufriedenheiten. So werden neben der        oder aufgrund der Fallzahlen keine Auswertung
    (allgemeinen) Lebenszufriedenheit beispielsweise    möglich wäre. Da hier der Fokus auf der Arbeits-
    auch die Zufriedenheit mit dem Familienleben,       welt liegt, werden grundsätzlich Erwerbstätige
    dem Gesundheitszustand, der Wohnsituation und       betrachtet, das heißt abhängig Beschäftigte in
    auch die Zufriedenheit mit der Arbeit abgefragt.    Voll- oder Teilzeittätigkeiten, Selbstständige sowie
    Die Antworten werden auf einer Skala von 0          geringfügig oder unregelmäßig Beschäftigte (nach
    (ganz und gar unzufrieden) bis 10 (ganz und gar     Selbsteinschätzung im SOEP). Hinzu kommen
    zufrieden) erfasst. Das SOEP bietet unter ande-     für ausgewählte Vergleiche auch Arbeitslose und
    rem auch deshalb eine geeignete Datenquelle,        Nichterwerbstätige. Aus Gründen der Übersicht-
    da sich durch Hochrechnung der Ergebnisse           lichkeit wird zum Teil allein der Anteil der Hoch­
    reprä­sentative Aussagen für Deutschland ableiten   zufrie­denen dargestellt. Er beschreibt den Anteil
    lassen (Wagner et al., 2007).                       der Antworten mit den Angaben 8, 9 und 10 an
                                                        allen jeweils gültigen Antworten bei der Frage nach
    Für internationale Vergleiche kann zudem auf        der allgemeinen Lebenszufriedenheit.
    die Befragung des World Values Survey zurück­
    gegriffen werden. Sie enthält analog zum SOEP
    eine Einschätzung zur allgemeinen Lebenszufrie-
    denheit der Befragten, die hier jedoch auf einer
    ordinalen Skala zwischen 1 (sehr unzufrieden)
    und 10 (sehr zufrieden) erfasst wird.

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Kapitel 2

Wie glücklich sind wir –
                                                      Die verschiedenen Formen
und w
    ­ elche Rolle spielt der Job?                     von Glück und Zufriedenheit

Viele Wissenschaftler beschäftigen sich gegenwärtig   In der wissenschaftlichen Literatur werden
mit Glücks- und Zufriedenheitsforschung. Aufgrund     verschiedene Konzepte diskutiert, die sich mit
der Popularität und Relevanz dieser Themen wid-       der Glücks- beziehungsweise Zufriedenheits-
mete auch das Roman Herzog Institut im Jahr 2012      forschung beschäftigen. So taucht neben dem
bereits mehrere Publikationen dem Dreiklang von       Begriff des Glücks (Happiness), der oft eher das
Wachstum, Wohlstand und Wohlbefinden (Fetchen-        (kurzfristige) Befinden in den Mittelpunkt stellt,
hauer/Enste, 2012; Neumann, 2012; Hirata, 2012;       auch der Begriff des subjektiven Wohlbefindens
Frey, 2012). Im deutschsprachigen Raum setzen         (Subjective Well-Being) auf, der eng mit dem
sich unter anderem Wissenschaftler wie Klaus-Peter    Konzept der (allgemeinen) Lebenszufriedenheit
Schöppner und Bernd Raffelhüschen mit ihrem           (Life Satisfaction) in Verbindung steht. Dabei
Glücksatlas (Schöppner/Raffelhüschen, 2012) oder      hängt der Grad der konzeptionellen Differenzie-
Bruno S. Frey und Claudia Frey Marti mit ihrem Buch   rung häufig auch mit der Forschungsdisziplin
„Glück. Die Sicht der Ökonomie“ intensiv mit dem      zusammen. So wird subjektives Wohlbefinden
Wohlbefinden und seinen Einflussfaktoren auseinan-    gerade in der psychologischen Literatur als
der (Frey/Frey Marti, 2010). Hinzu kommen populär­    umfassenderes Konzept betrachtet, das sowohl
wissen­schaft­liche Titel wie etwa eine Studie der    kognitive Bewertungen der Lebenszufrieden-
Coca-Cola GmbH (2012), welche die plakative These     heit als auch affektive, das heißt gefühlsmäßige
vertritt: „Die Deutschen können Lebensfreude!“ Doch   Bewertungen von Stimmungen und Emotionen
können die Deutschen wirklich Lebensfreude?           einschließt (Diener/Lucas, 1999).
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Wie glücklich sind wir – und ­welche Rolle spielt der Job?

Kapitel 2

    Lebenszufriedenheit in Deutschland                                                                                            Abbildung 1

    Durchschnittswerte für Erwerbstätige und Arbeitslose in West- und Ostdeutschland

    Westdeutschland                                              Ostdeutschland
         Erwerbstätige                    Arbeitslose                 Erwerbstätige                     Arbeitslose
      8

      7

      6

      5
           1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

    Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 0 (ganz und gar unzufrieden) bis 10 (ganz und gar zufrieden).
    Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen

Während Staaten wie Griechenland, Italien, Spanien                                     individuellen Vergleichsprozessen erklärt. Hinzu
und zum Teil auch Frankreich mit einer ernst zu neh-                                   kommt die These, dass ab einem bestimmten Wohl-
menden wirtschaftlichen Situation kämpfen, behaup-                                     standsniveau zusätzliche Einkommenssteigerungen
tet sich Deutschland weiterhin mit Erfolg als Industrie­                               kaum noch für die Zufriedenheit der Menschen
standort und überzeugt mit Wirtschaftswachstum                                         relevant sind (Kenny, 1999).
und niedriger Arbeitslosigkeit. Angesichts dieser nicht
selbstverständlichen Stabilität der deutschen Wirt-                                    Zudem verdeutlicht Abbildung 1, dass sich die
schaft und der daraus resultierenden wirtschaftlichen                                  Lebenszufriedenheit nach Region und Erwerbsstatus
Robustheit sollte man auch von einer derzeit eher                                      deutlich unterscheidet. Tatsächlich liegt die durch-
zufriedenen deutschen Bevölkerung ausgehen.                                            schnittliche Lebenszufriedenheit von Erwerbstätigen
                                                                                       in West- und Ostdeutschland (7,02 Punkte) um
Abbildung 1 zeigt, dass die allgemeine Lebenszufrie-                                   rund 1,4 Punkte über dem Niveau von Arbeitslosen
denheit, die im Folgenden vereinfacht als Lebens-                                      (5,67 Punkte). Erwerbstätige geben also im Durch-
zufriedenheit bezeichnet wird, hierzulande leichten                                    schnitt für den gesamten Beobachtungszeitraum
Schwankungen unterliegt. In Ostdeutschland steigt                                      eine um 24 Prozent höhere Lebenszufriedenheit an
sie zwar im Zeitablauf leicht an, in Westdeutschland                                   als Arbeits­lose. Insofern deutet dieser Befund bereits
bleibt sie allerdings praktisch unverändert. Insofern                                  einen maßgeblichen Einfluss der Erwerbstätigkeit auf
dürfte sich hier das sogenannte Easterlin-Paradoxon                                    die Lebenszufriedenheit in Deutschland an.
ausmachen lassen. Dieses verweist darauf, dass
trotz wachsender Einkommen und zunehmenden                                             Welche Zufriedenheit aber herrscht in anderen
Wohlstands keine nennenswerte Änderung der                                             Ländern? Staaten wie die Schweiz, Norwegen,
Zufriedenheit zu beobachten ist (Easterlin, 1974).                                     Kanada, Neuseeland oder Schweden sind Deutsch-
Häufig wird dies mit einer größeren Bedeutung von                                      land hinsichtlich ihres Anteils an Hochzufriedenen

6
weit voraus, wenn man die gesamte Bevölkerung als
                                                           Lebenszufriedenheit                                            Tabelle 1
Grundlage der Betrachtung heranzieht (Tabelle 1).
                                                           im internationalen Vergleich
Die Auswertung der Daten des World Values Survey
                                                           Anteil Hochzufriedener in ausgewählten Ländern
ergibt, dass knapp 74 Prozent der Schweizer und
                                                           von 2005 bis 2007, in Prozent
Norweger mit ihrem Leben hochzufrieden sind.
Kanada, Neuseeland und Schweden folgen mit                   Schweiz                                                      73,7
jeweils rund 66 Prozent hochzufriedener Menschen.            Norwegen                                                     73,6
Mit einem Anteil von fast 51 Prozent bewegt sich             Kanada                                                       65,9
Deutschland dagegen lediglich im Mittelfeld. Was
                                                             Neuseeland                                                   65,8
haben uns die Schweizer, die Kanadier oder die
                                                             Schweden                                                     65,8
Neuseeländer voraus? Sind es primär kulturelle Fak-
toren, die Natur oder gesellschaftlich-wirtschaftliche       Niederlande                                                  64,2
Aspekte, die den Unterschied ausmachen?                      Vereinigtes Königreich                                       59,7
                                                             Australien                                                   54,0
Die Beantwortung dieser Frage ist nicht ganz ein-            USA                                                          52,6
fach. Allerdings kann eine Studie von Blanchflower/          Deutschland                                                  50,9
Oswald (2011) einen ersten Überblick geben. Die
                                                             Spanien                                                      48,4
Autoren haben mehrere internationale Datensätze
                                                             Polen                                                        47,9
für jeweils eine Vielzahl von Staaten ausgewertet.
Unter Berücksichtigung anderer Studienergebnisse             Japan                                                        46,0
identifizieren sie eine Reihe von makroökonomischen          China                                                        45,9
und institutionellen Faktoren, die für die Lebens-           Frankreich                                                   44,1
zufriedenheit von positiver Bedeutung sein ­können –         Italien                                                      36,4
unter anderem eine niedrige Arbeitslosigkeit und
                                                             Russland                                                     32,5
niedrige Inflation, ein hohes Maß an (institutionellem)
                                                           Grundlage: zwischen 927 (Neuseeland) und 2.154 Befragte (Kanada);
Vertrauen, eine demokratische Ordnung mit ent-             Hochzufriedene: Werte 8 bis 10 auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden)
                                                           bis 10 (sehr zufrieden).
sprechenden Partizipationsmöglichkeiten sowie eine
                                                           Quelle: World Values Survey, 2010
geringe Umweltverschmutzung. Darüber hinaus
existieren weitere gesellschaftlich-kulturelle Faktoren
wie beispielsweise unterschiedliche Wertvorstellun-
gen oder Traditionen, die teilweise schwer messbar
sind, die aber ebenfalls zur Erklärung des Ausmaßes       für die Jahre 1988 bis 1998 und mithilfe des soge-
der Lebenszufriedenheit beitragen können.                 nannten Polity-IV-Index, der auf einer Zehn-Punkte-
                                                          Skala das Ausmaß der demokratischen Partizipa­
Ein besonderer Einfluss scheint von staatlichen           tions­möglich­keiten abbildet, haben Dorn et al. (2005)
Institutionen auszugehen, die nicht zuletzt auch für      den Effekt der Demokratie auf die Lebenszufrieden-
wirtschaftliche Prozesse relevant sind. Vor diesem        heit beziffert. Danach steigt bei einer Zunahme der
Hintergrund stellen Frey/Frey Marti (2010) – eben-        Partizipationsmöglichkeiten um einen Indexpunkt die
falls auf Basis des World Values Survey – fest, dass      Lebenszufriedenheit rechnerisch im gleichen Ausmaß,
die durchschnittliche Lebenszufriedenheit in vielen       wie sie von einer zusätzlichen Einkommens­erhöhung
OECD-Staaten höher ausfällt als in Staaten der            um 4.500 US-Dollar pro Jahr ausgehen würde
ehemaligen Sowjetunion. Dies führt die Autoren zu         (vgl. auch Frey/Frey Marti, 2010, 82).
der Frage, welchen (isolierten) Einfluss eine demo­
kratische Ordnung auf die Lebenszufriedenheit hat.        Insgesamt deuten die zitierten Studien darauf hin,
Auf Basis einer länderübergreifenden Untersuchung         dass eine Vielzahl makroökonomischer und institutio-

                                                                                                                                       7
Wie glücklich sind wir – und ­welche Rolle spielt der Job?

Kapitel 2

neller Faktoren die Lebenszufriedenheit beeinflussen                                      Grundsätzlich ist davon auszugehen: Wer mit
und diese sich vor allem zwischen Staaten deutlich                                        einzelnen Lebensumständen zufrieden ist, dürfte
unterscheiden können (vgl. für eine breit angelegte                                       auch insgesamt eine höhere Lebenszufriedenheit
Diskussion Frey/Frey Marti, 2010). Im Folgenden soll                                      aufweisen. Tabelle 2 zeigt, dass diese Annahme
der Fokus auf die individuelle Ebene ausgerichtet                                         hinsichtlich der analysierten Kriterien für Deutschland
und die Untersuchung auf Deutschland eingegrenzt                                          zutrifft und dass verschiedene Lebensbereiche einen
werden. Dazu erfolgt zunächst eine Abschätzung der                                        unter­schied­lichen Einfluss auf unsere Lebensqualität
Zufriedenheitseffekte einzelner Lebensbereiche, be-                                       haben. Dies gilt besonders für die eigene Gesund-
vor im Anschluss arbeitsrelevante Aspekte diskutiert                                      heit und das Familienleben. Im Detail wirkt sich die
werden.                                                                                   Zufriedenheit mit der Arbeit deutlich positiv auf die

    Was bestimmt die Lebenszufriedenheit?                                                                                              Tabelle 2

    Prioritätsabschätzung von Lebensbereichen von 2006 bis                                    2010 1

        Zufriedenheit mit …                            Chancenverhältnis (Odds ­Ratio)                   Systematischer Einfluss 2
        Einkommen                                      1,069                                             Ja
        Wohnung                                        1,080                                             Ja
        Freizeit                                       1,090                                             Ja
        Arbeit                                         1,223                                             Ja
        Haushaltseinkommen                             1,254                                             Ja
        Familienleben                                  1,345                                             Ja
        Gesundheit                                     1,369                                             Ja
        Jahresdummys (4)                               Ja
        Beobachtungen                                  48.852
    1   Daten zu allen Variablen nur für diesen Zeitraum verfügbar; robuste Standardfehler.
    2   Statistisch signifikant bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 1 Prozent.
    Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen

    Anmerkungen
    Um die Stärke des Einflusses verschiedener Bereichs­zufrie­den­heiten auf die Lebenszufriedenheit zu ermit-
    teln, wird eine sogenannte Ordered-Logit-Regressionsschätzung durchgeführt. Der Zweck dieses Verfah-
    rens besteht darin, den isolierten Einfluss einer Bereichszufriedenheit zu bestimmen. Beispielsweise wird
    der Einfluss der Arbeits­zufriedenheit auf die Lebenszufriedenheit rechnerisch um die Effekte durch andere
    Bereichszufriedenheiten bereinigt.
    Ein Chancenverhältnis (Odds Ratio) größer (kleiner) als eins zeigt einen positiven (negativen) Effekt an.
    Je größer also die absolute Differenz zu eins ausfällt, desto stärker ist der jeweilige Effekt (Long/Freese,
    2006). Die statistische Signifi­kanz gibt an, ob ein systematischer oder ein rein zufälliger Einfluss vorliegt.
    Die sogenannten Jahresdummys sind binäre Variablen, die den Effekt einzelner Jahre auf die Lebenszufrie-
    denheit berücksichtigen. Mit anderen Worten wird damit in der Analyse für die Auswirkungen zeitlicher
    Einflüsse auf die Lebenszufriedenheit kontrolliert. Dadurch wird ausgeschlossen, dass zeitliche Einflüsse
    die Ergeb­nisse zu den Bereichszufriedenheiten verzerren.

8
Beurteilung der Lebenszufriedenheit aus. Technisch                                 Arbeitslosigkeit (Clark/Oswald, 1994; Winkelmann/
ausgedrückt sind die Chancen auf mehr Lebens-                                      Winkelmann, 1998). Gerade dies könnte auch für
zufriedenheit um das 1,22-Fache beziehungsweise                                    Deutschland gelten. Nachdem Di Tella et al. (2001) für
22 Prozent höher, wenn die Arbeits­zufriedenheit um                                eine Gruppe von zwölf euro­päischen Staaten belegt
einen Punkt ansteigt (und gleichzeitig die Zufrieden-                              haben, dass Arbeits­losig­keit unglücklich macht,
heit in anderen Lebensbereichen unverändert bleibt).                               hat Vatter (2012) dies auch speziell für Deutschland
Verglichen mit anderen Lebensumständen spielt die                                  nachgewiesen. So zeigte er unter Berück­sich­tigung
Arbeitszufriedenheit also neben der Zufriedenheit mit                              vieler mikroökonomischer Informationen und insbe-
Gesundheit und Familie eine wesentliche Rolle für                                  sondere bei als konstant unterstellten persönlichen
unsere Lebenszufriedenheit.                                                        Einkommensverhältnissen, dass der negative Effekt
                                                                                   von Arbeitslosigkeit auf die individuelle Lebenszufrie-
Es stellt sich die Frage, wie das Arbeitsleben verbes-                             denheit bestehen bleibt.
sert werden kann, sodass möglicherweise parallel
auch die Gesundheit oder die Familiensituation davon                               Mit Blick auf Abbildung 2 sind nicht nur Unterschiede
profitieren – und nicht nur die Arbeitszufriedenheit,                              zwischen Erwerbstätigen und Inaktiven (Arbeitslose
sondern vor allem die Lebenszufriedenheit steigt.                                  und Nichterwerbstätige) auszumachen, sondern
­Auffällig ist, dass alle Staaten mit vielen hochzufriede-                         auch in Abhängigkeit des Erwerbsumfangs und nach
 nen Menschen (vgl. Tabelle 1) durch ein hohes Wohl-                               Art der Inaktivität. Wenig überraschend ist der mit
 standsniveau gekennzeichnet sind und grundsätzlich                                knapp 22 Prozent nur kleine Anteil der Hochzufriede-
 eine moderate Arbeitslosigkeit mit vergleichsweise                                nen unter den Arbeitslosen – das ist der mit Abstand
 hohen Arbeitsmarktstandards aufweisen. Empi-                                      niedrigste Zufriedenheitswert. Umgekehrt ist ein
 risch ist längst nachgewiesen, was intuitiv ohnehin                               Anteil von gut 51 Prozent hochzufriedener Perso-
 nie strittig war: Arbeiten macht uns glücklicher als                              nen unter den Nichterwerbstätigen bemerkenswert.

 Hochzufriedene nach Erwerbsstatus und -umfang                                                                                 Abbildung 2

 im Jahr 2010, in Prozent

                        Abhängig vollzeitbeschäftigt                                                                           48,3

                         Abhängig teilzeitbeschäftigt                                                                             51,1

                                            Selbstständig                                                                      48,0

    Geringfügig oder unregelmäßig beschäftigt                                                                           43,2

                                      Nicht erwerbstätig                                                                          51,3

                                                 Arbeitslos                                           21,6

 Hochzufriedene: Werte 8 bis 10 auf einer Skala von 0 (ganz und gar unzufrieden) bis 10 (ganz und gar zufrieden).
 Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen

                                                                                                                                             9
Wie glücklich sind wir – und ­welche Rolle spielt der Job?

Kapitel 2
konradbak/Fotolia

Darunter sind unter anderem freiwillig Nichterwerbs-    der Frage abzuhängen, ob die Beschäftigung im
tätige ebenso zu finden wie Erwerbstätige in einer      Rahmen einer Befristung als bewusste (und damit
Auszeit (zum Beispiel in familienbedingten Auszeiten,   modell-endogene) Entscheidung einer Person inter-
Sabbaticals) sowie Personen der sogenannten stillen     pretiert wird oder nicht (Beckmann et al., 2007).
Reserve. Zur stillen Reserve auf dem Arbeitsmarkt
gehören Menschen, die unter bestimmten Voraus-          Die Analyse hat gezeigt, dass neben der Gesundheit
setzungen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würden,       und der Familie vor allem der Arbeitsplatz die Lebens-
sich aber nicht arbeitslos gemeldet haben.              zufriedenheit beeinflusst. Aufgrund der Komplexität
                                                        des Konzepts der Lebenszufriedenheit können
Unter den Erwerbstätigen weisen Teilzeitbeschäf-        zudem weitere, teilweise schwer opera­tio­nali­sier­bare
tigte mit gut 51 Prozent den höchsten Anteil an         Merkmale wie etwa unterschiedliche Wertvorstel-
Hoch­zufriedenen auf. Bei Vollzeitbeschäftigten und     lungen, Präferenzen oder Persönlichkeitsmerkmale
Selbstständigen ist ein ähnlich hoher Anteil zu be-     die Lebenszufriedenheit bestimmen (Fietze, 2011).
obachten. Allein bei geringfügig oder unregelmäßig      Relativ unumstritten ist der Befund, dass Arbeit im
Beschäftigten fällt der Anteil Hochzufriedener rund     Allgemeinen die Menschen glücklicher oder zufriede-
5 Prozentpunkte niedriger aus als bei Vollzeitbe-       ner macht als Arbeitslosigkeit, denn „any job is better
schäftigten. Hier könnte sich zwar eine niedrige Be-    than no job“ (Grün et al., 2010; Layard, 2004). Der
schäftigungsstabilität aufgrund eines hohen Anteils     Erwerbsumfang allein scheint hingegen kein eindeu-
befristet Beschäftigter bemerkbar machen. Allerdings    tiger Prädiktor der Lebenszufriedenheit zu sein. Viel-
fallen die empirischen Befunde zu Befristungen          mehr dürften neben den eigenen Präferenzen auch
nicht einheitlich aus: Die quantitativen Wirkungen      Eigenschaften des Arbeitsumfelds von Bedeutung
auf die Zufriedenheit scheinen im Wesentlichen von      sein, die nun näher betrachtet werden sollen.

10
Kapitel 3

Glück im Job                                              auf die Lebenszufriedenheit wirken. Mit Blick auf die
                                                          Daten in Tabelle 3 ist allerdings nicht feststellbar, ob
                                                          auftretende Differenzen in der Lebenszufriedenheit
Für viele Menschen ist Arbeit ein wichtiger Einfluss-     ursächlich auf den Beruf zurückzuführen sind und in
faktor für ihre Lebenszufriedenheit. Offensichtlich       welchem Ausmaß die Arbeitsbedingungen, die Ent-
existiert eine Vielzahl an arbeitsrelevanten Kriterien,   lohnung, der Haushaltskontext, die familiäre Situation
die jedoch von Person zu Person eine andere Be-           etc. die Daten beeinflussen.
deutung haben dürften. Im Folgenden wird anhand
von fünf wichtigen Kriterien beispielhaft erläutert,
­welcher Zusammenhang jeweils mit der Lebens-
 zufriedenheit besteht.
                                                           Hochzufriedene nach                                             Tabelle 3
                                                           ausgewählten Berufen
3.1 Berufswahl                                             im Jahr 2010, in Prozent

Zu Beginn des Erwerbslebens steht die Frage,                 Beruf¹                                              Hoch­
                                                                                                                 zufriedene
welchen Beruf man ausüben möchte. Dabei spielen
viele Aspekte eine Rolle, zum Beispiel die Einkom-           Wissenschaftler (sonstige)
menschancen, die Karriereperspektiven, die Verein-           und verwandte Berufe
                                                             (ohne Lehrkräfte)                                   60,0
barkeit von Familie und Beruf, die Arbeitszeiten etc.,
aber insbesondere auch die Art und der Inhalt der            Wissenschaftliche Lehrkräfte,
                                                             zum Beispiel Professoren                            55,8
Tätigkeit. Vor diesem Hintergrund stellen Menschen
unterschiedliche Anforderungen an ihren Wunsch­              Büroangestellte ohne Kunden-
                                                             kontakt                                             54,9
beruf und setzen in Abhängigkeit ihrer Präferenzen
unterschiedliche Schwerpunkte. So ist beispiels-             Physiker, Mathematiker und
weise aus einschlägigen Publikationen bekannt, dass          Ingenieurwissenschaftler                            54,5
sich Frauen und Männer tendenziell für unterschied-          Geschäftsleiter und Geschäfts-
liche Berufe beim Einstieg in eine berufliche Ausbil-        bereichsleiter in großen Unter-
                                                             nehmen                                              52,9
dung entscheiden (Statistisches Bundesamt, 2011)
oder im Rahmen eines Studiums teilweise andere               Personenbezogene Dienst-
                                                             leistungsberufe, zum Beispiel
Fächer wählen. Daher empfiehlt sich eine genauere
                                                             Friseure, und Sicherheits­
Betrachtung der Berufswahl.
                                                             bedienstete                                         51,2
                                                             …                                                   …
Der Beruf bildet ein wichtiges Kriterium für die
Lebenszufriedenheit (Tabelle 3). Es fällt auf, dass          Sonstige Handwerks- und
                                                             verwandte Berufe                                    40,3
Berufe mit höheren Qualifikationsanforderungen nicht
selten auch einen höheren Anteil Hochzufriedener             Hilfsarbeiter im Bergbau,
                                                             ­Baugewerbe etc.                                    38,6
aufweisen. So ist der Anteil der Hochzufriedenen
beispielsweise bei Wissenschaftlern, wissenschaft-           Fahrzeugführer und Bediener
                                                             mobiler Anlagen                                     33,4
lichen Lehrkräften, Physikern, Ingenieuren und
Führungskräften besonders groß. Demnach dürften              Fachkräfte in der Landwirt-
berufliche Eigenschaften wie etwa komplexe und               schaft und Fischerei                                28,8
anspruchsvolle Aufgaben, Vielfalt der Tätigkeiten,         ¹ Einteilung nach ISCO2, Internationale Standard-Klassifikation der Berufe
                                                           (2-Steller-Ebene).
weitgehend eigenständiges Arbeiten, aber auch              Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen
Ansehen und ein hohes berufliches Prestige positiv

                                                                                                                                        11
Glück im Job

Kapitel 3

Würde man also allein den Beruf zum entscheiden-                               Hinsichtlich des Geschlechts sind die statistischen
den Kriterium für die Lebenszufriedenheit machen,                              Chancen auf den Wunschberuf unterschiedlich groß
müsste man allen Menschen empfehlen, als Wissen-                               (BIBB, 2011). So gelangten 83 Prozent der weib­
schaftler zu arbeiten. Dies ist offensichtlich nicht nur                       lichen Jugendlichen im Jahr 2010 zu ihrem Wunsch-
aufgrund der unterschiedlichen Vorlieben und Inter-                            beruf, unter den männlichen Jugendlichen waren
essen der Menschen wenig sinnvoll. Zudem gelingt                               es 74 Prozent. Hier hat im Vergleich zu den voran­
es dem Einzelnen nicht immer, den gewünschten                                  gegangenen Jahren eine Umkehrung stattgefunden:
Beruf zu erlernen.                                                             Noch 2006 konnten 72 Prozent der männlichen
                                                                               und nur 62 Prozent der weiblichen Jugendlichen
Wie Abbildung 3 zeigt, gaben 77 Prozent der Schul-                             ihren Wunschberuf realisieren. Bei Jugendlichen
abgänger im Jahr 2010 an, im Zuge ihrer Berufs­                                mit Migrationshintergrund konnte jeder Zehnte
ausbildung ihren Wunschberuf zu erlernen (BIBB,                                seinen Wunschberuf nicht erlernen. Hinsichtlich der
2011). Nur 6 Prozent ergriffen nicht den Wunsch­                               verschiedenen Schulabschlüsse ist kein eindeutiger
beruf. Diese Anteile unterliegen Schwankungen,                                 Trend zu erkennen: Jugendliche mit Hauptschul­
deren Ursachen vor allem durch die Entwicklungen                               abschluss oder Abitur unterscheiden sich bei die­
am Arbeitsmarkt und insbesondere am Ausbildungs-                               sem Merkmal kaum.
markt geprägt sind. Da in den Jahren 2004 bis 2006
weniger Ausbildungsplätze als 2010 zur Verfügung                               Geht man davon aus, dass der erlernte Beruf über-
standen, fiel die Übereinstimmung von tatsächlichem                            wiegend auch dem Wunschberuf entspricht, so deu-
Ausbildungsberuf und Wunschberuf niedriger aus.                                ten die Daten des SOEP auf den erwarteten, leicht
So konnten im Jahr 2006 insgesamt 11 Prozent                                   positiven Zusammenhang von Wunschberuf und
der Schulabgänger keine Ausbildungsstelle in ihrem                             Lebenszufriedenheit hin. So beträgt – unabhängig
Wunschberuf finden.                                                            von weiteren Einflussgrößen – der Anteil der Hoch-

 Übereinstimmung von Wunsch- und Ausbildungsberuf                                                                           Abbildung 3

 bei Schulabgängern, in Prozent

            Ja            Teilweise        Nein

     2004                                                                                                75       15            10

     2005                                                                                           72                 21        7

     2006                                                                                      68                21             11

     2008                                                                                                76        15            9

     2010                                                                                                 77            17       6

 Gewichtete Daten aus Schulabgängerbefragungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB).
 Quelle: BIBB, 2011, 92

12
zufriedenen im Jahr 2010 an allen Erwerbstätigen im
erwerbsfähigen Alter knapp 51 Prozent, wenn sie im       Was ist Burn-out?
erlernten Beruf arbeiten, während er bei 45 Prozent
liegt, wenn sie nicht im erlernten Beruf tätig sind.     Burn-out ist zwar keine neue Diagnose, aber
                                                         sie ist nur schwer abgrenzbar. Mangels einer
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass bestimmte Be­         einheitlichen wissenschaftlichen Definition
rufsgruppen durch eine höhere Lebenszufriedenheit        besteht heutzutage weitgehender Konsens
gekennzeichnet sind und der gewünschte Beruf             hinsichtlich der Kernsymptome „emotionale
eine wichtige Determinante der Lebenszufrieden­          Erschöpfung“, „geringere Zufriedenheit mit
heit darstellt. Umgekehrt ist jedoch auch der ge­        der eige­nen Leistung“ und „beeinträchtigtes
wünschte Beruf keine Garantie für eine nachhaltig        Verhältnis zur beruflichen Umgebung (Arbeits­
hohe Lebenszufriedenheit. Dies kann verschiedene         über­druss, Zynismus)“. Burn-out gilt laut
Ursachen haben:                                          Welt­gesund­heits­organi­sation nicht als aner-
                                                         kannte psychische Erkrankung, sondern wird
■■ Über die Zeit können sich die beruflichen Prä-        als Diagnose im Rahmen der (internationalen)
   ferenzen ändern und dazu führen, dass sich im         statistischen Klassifikation der Krankheiten und
   Nachhinein die Wunschvorstellungen zum Beruf          verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) unter
   ändern.                                               der Zusatzkodierung Z73 geführt (Bundes­
                                                         psycho­thera­peuten­kammer, 2012).
■■ Das Berufsbild selbst, die Anforderungen und
   die ausgeübten Tätigkeiten können sich durch          Erst seit den 1980er Jahren wird in ­Deutschland
   technische Innovationen und Weiterentwicklun-         zum Thema Burn-out geforscht. Diversen Stu-
   gen wandeln.                                          dien zufolge besteht beispielsweise für Lehrer
                                                         ein überdurchschnittliches Risiko, an Burn-out
■■ Das berufliche Umfeld kann sich derart verän-         zu erkranken (Körner, 2002). Daneben sind
   dern, dass zwar der Beruf nach wie vor den            offenbar auch Beschäftigte im Pflegebereich
   Präferenzen entspricht, die Arbeit dort aber          be­sonders gefährdet. Bei diesen gelten als
   nicht mehr glücklich macht.                           Gründe unter anderem Diskrepanzen zwischen
                                                         den emotionalen Zuwendungen bei der Arbeit
■■ Letztlich ist ebenfalls denkbar, dass Krankheiten     mit den Pflegebedürftigen und der mangelnden
   und insbesondere psychische Erkrankungen              Anerkennung für die Anstrengungen sowie eine
   die Lebenszufriedenheit nachhaltig beeinträch-        geringe Personalausstattung (Zander et al., 2011;
   tigen. Insofern wären zwei Wirkungskanäle auf         Evans et al., 2006).
   die Lebenszufriedenheit betroffen: Neben der
   Arbeitszufriedenheit würde auch die Zufriedenheit
   mit der Gesundheit sinken. Beide gemeinsam
   würden Einfluss auf die Lebenszufriedenheit
   nehmen. In diesem Zusammenhang wird in der          3.2 Autonomie und (Mit-)Verantwortung
   Diskussion oft auf die Symptome des Burn-outs
   verwiesen.                                          Die Vermutung, Selbstbestimmung sei auch im
                                                       beruflichen Kontext für die Zufriedenheit am Arbeits-
                                                       platz von Bedeutung, hat vor allem Forscher der
                                                       Ökonomie und Psychologie motiviert, die Wirkung
                                                       von Autonomie am Arbeitsplatz zu untersuchen. Die
                                                       Forschung zeigt, dass ein möglichst hohes Maß an

                                                                                                             13
Glück im Job

Kapitel 3

 Hochzufriedene nach Grad der beruflichen Autonomie                                                   Abbildung 4

 im Jahr 2010 auf einer Skala von 1 (niedrig) bis 5 (hoch), in Prozent

     1                                                            37,4

     2                                                                       44,8

     3                                                                              49,4

     4                                                                                         56,3

     5                                                                                                   61,6

 Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen

Selbstbestimmung und Autonomie ein intrinsisches          welche die Beschäftigten oft monoton und mit einem
Ziel von vielen Beschäftigten sein kann und mit           Gefühl der geistigen Unterforderung ausführen, sind
einem Eigenwert ausgestattet ist. In diesem Zusam-        die heute angewandten Organisationsmodelle durch
menhang haben Frey et al. (2004) das Konzept des          eine größere Vielfalt geprägt, die den gestiegenen
„prozeduralen Nutzens“ entworfen, das den Begleit-        Anforderungen durch komplexere Produktionspro-
umständen einer Tätigkeit respektive eines Pro-           zesse stärker Rechnung tragen. Die Hierarchien sind
zesses (unter bestimmten Voraussetzungen) einen           nicht selten flacher geworden, die Kommu­nika­tions­
eigenen Nutzen zuordnet und damit die Zufrieden-          wege kürzer. Die Verantwortung und die Selbst­
heit beeinflusst.                                         bestimmung der Mitarbeiter sind in vielen Bereichen
                                                          größer als je zuvor. Personalpolitische Konzepte, wie
Der Aspekt der Autonomie in einer beruflichen             etwa das der Jobrotation oder des Job Enrichment,
Tätigkeit könnte einen solchen prozeduralen Nutzen        dienen der Motivation und erhöhen die Arbeitszufrie-
stiften. Häufig wird in diesem Zusammenhang auf           denheit (Mohr/Zoghi, 2006).
die hohe Zufriedenheit von Selbstständigen verwie-
sen, die gerade (auch) durch eine höhere Autonomie        Vor diesem Hintergrund schätzen Mitarbeiter offen­
­erklärt werden kann (Benz/Frey, 2003). Allerdings        bar besonders die funktionale Flexibilität (Origo/
 lässt sich auch allgemein für Erwerbstätige ein posi­    Pagani, 2008). Funktionale Flexibilität bedeutet
 tiver Effekt auf die Lebenszufriedenheit beobach-        Abwechslung in den zu erfüllenden Aufgaben, die
 ten, der mit dem Grad der beruflichen Autonomie          allerdings mit einem Verlust an Spezialisierungs-
 zunimmt (Abbildung 4).                                   vorteilen einhergeht. Gerade die Tätigkeiten von
                                                          Hochqualifizierten sind oft dadurch gekennzeichnet,
In der historischen Entwicklung ist festzustellen, dass   dass sie weniger monotone Aufgaben wahrnehmen,
sich die unternehmensinternen Strukturen in den           mit hoher eigener Verantwortung arbeiten und oft
letzten Jahrzehnten stark verändert haben. Anders         Schlüssel­positionen einnehmen, die schwer zu erset-
als das traditionelle tayloristische System, in dem       zen und schwer zu kontrollieren sind. Wie Cornelis-
Arbeitsprozesse in kleine Schritte zerlegt werden,        sen (2006) zeigt, sind solche tätigkeitsbegleitenden

14
Eigen­schaften (abwechselnde Tätigkeiten, Auto­         Wie wichtig dem Einzelnen das soziale Umfeld im
nomie etc.) mit positiven Einflüssen auf die Arbeits­   Unternehmen ist und wie viel Wert er auf eine ent-
zufrie­den­heit verbunden.                              sprechende Unternehmenskultur legt, ist individuell
                                                        verschieden. Unter sonst gleichen Umständen
Zentrale Voraussetzung für entsprechend auto-           (also bei ähnlichen Aufgaben und ähnlichem Ein-
nome Handlungsspielräume der Mitarbeiter ist eine       kommen) ziehen die meisten Menschen jedoch eine
Ver­trauens­kultur im Unternehmen mit einer hohen       angenehme Atmosphäre mit kooperationswilligen
Kooperationsneigung der Mitarbeiter. Ein geeignetes     Kollegen vor. Ein Unternehmen kann das soziale
Personalmanagement, ein positives Betriebsklima         Verhalten seiner Mitarbeiter und deren Kooperations-
mit einer kooperativen Teamatmosphäre in einer          neigung fördern, indem es entsprechende Regeln in
passen­den Unternehmenskultur können durch              der konkreten Ausgestaltung der Unternehmenskul-
Vertrauensbildung die Leistungs- und Kooperations­      tur aufstellt. Selbst die persönlichen Charakteristika
bereitschaft der Mitarbeiter sowie den Unter­neh­       der Mitarbeiter lassen sich langfristig beeinflussen,
mens­­erfolg steigern. Gute Arbeitsplanung, soziale     indem bei Stellenausschreibungen und Rekrutierun-
Unterstützung durch Vorgesetzte, Anerkennung und        gen auf entsprechende Kriterien verstärkt geachtet
Wertschätzung am Arbeitsplatz sowie Förderung der       wird. Aktivitäten der CSR (Corporate Social Respon-
fachlichen und beruflichen Entwicklung dürften daher    sibility) oder des gesellschaftlichen Engagements
auch zur Zufriedenheit und Kooperationsbereitschaft     dienen als Signal bei der Auswahl von produktiven,
der Beschäf­tigten beitragen.                           verlässlichen und kooperationsbereiten Mitarbeitern
momentimages/Fotolia

                                                                                                            15
Glück im Job

Kapitel 3

(Turban/Greening, 1997; Backhaus et al., 2002).          3.3 Arbeitsplatzsicherheit
Arbeitnehmer bewerten bei der Jobsuche grundsätz-
lich auch die Außendarstellung eines Unternehmens.       Kaum ein individuelles Ereignis dürfte sich – mit
Sie können etwa CSR-Aktivitäten des Unternehmens         Ausnahme lebensbedrohlicher Krankheiten oder
als Signal interpretieren, da solche Aktivitäten auf     ernsthafter familiärer Sorgen – derart negativ auf das
eine einschlägige Unternehmenskultur hinweisen und       Wohlbefinden auswirken wie der Verlust des Arbeits-
erwarten lassen, dass das Unternehmen auch sozia-        platzes. Ein Blick auf empirische Untersuchungen
les Verhalten der Beschäftigten bei der Personalwahl     im Vereinigten Königreich zeigt, dass ein Verlust
berücksichtigt. Somit dürfte eine Selbst­selektion der   des Arbeitsplatzes die Lebenszufriedenheit sogar
Beschäftigten stattfinden, sodass sich auf Koope-        stärker als eine Scheidung oder Trennung senken
ration bedachte Arbeitnehmer in entsprechenden           kann (Clark/Oswald, 1994, 655). Als Ursachen dafür
Firmen sammeln. Wem eine gute Kooperation                gelten – neben dem Einkommensverlust – vor allem
und ein harmonisches Miteinander im Kollegen-            die sozialen und psychologischen Folgen. So stiftet
kreis wichtig sind, der sucht sich ein entsprechend      die Arbeit Identität, die durch den Arbeitsplatzverlust
engagiertes Unternehmen mit einschlägiger Unter-         verloren geht. Arbeitslosigkeit sorgt für ein verringer-
nehmenskultur und verzichtet dafür gegebenenfalls        tes Selbstwertgefühl, soziale Kontakte im beruflichen
auch auf ein höhe­res Einkommen. In kooperativen         Umfeld fallen weg, Anerkennung und Wertschätzung
Teams, in denen gegenseitiges Vertrauen herrscht,        fehlen. Hinzu kommt ein Verlust an sozialem Status.
ist es wiederum einfacher, von einer gewohnten und       Clark/Oswald (2002, 1141) ermitteln auf Basis
eingespielten Arbeitsroutine abzuweichen und Ele-        britischer Daten im Rahmen eines Regressions­
mente funktionaler Flexibilität und Autonomie in den     modells, dass eine Kompensationszahlung von rund
Arbeitsprozess einzuflechten.                            15.000 Pfund pro Monat erforderlich wäre, um die
                                                         psychischen Folgen eines Verlusts des Arbeitsplatzes
                                                         auszugleichen. Vor diesem Hintergrund schätzen
                                                         Knabe/Rätzel (2008a, 16) für Deutschland: „Wenn
  Lebenszufriedenheit und                                man diesen nicht-pekuniären Zufriedenheitsverlust
  Bewegung am Arbeitsplatz                               durch eine hypothetische Einkommenskompensation
                                                         während der Dauer der Arbeitslosigkeit ausgleichen
  Arbeitsstellen mit hohen körperlichen Beanspru-        wollte, müsste das individuelle Einkommen um etwa
  chungen und widrigen Arbeitsbedingungen ge-            87 Prozent zunehmen.“ Winkelmann/Winkelmann
  hören nicht zu den Lieblingsjobs der Deutschen         (1998) kommen für Deutschland zu einem vergleich-
  (Cornelissen, 2006). Viele berufliche Tätigkeiten      baren Ergebnis und zeigen, dass der Effekt von Ar-
  finden heute im Sitzen statt. Ein erster Grund         beitslosigkeit hinsichtlich der Zufriedenheit nur durch
  hierfür ist der Computer, ein zweiter die zuneh-       eine deutliche Einkommenskompensation aufgefan-
  mende Substitution von körperlich belastenden          gen werden könnte (um das gleiche Zufrieden­heits­
  Aktivitäten durch Maschinen. Wird fast die             niveau wie vor der Arbeitslosigkeit zu erhalten).
  gesamte Arbeitszeit sitzend verbracht, ist dies
  jedoch langfristig auch nicht der Gesundheit           Arbeitslosigkeit beeinträchtigt das Wohlbefinden
  zuträglich – und dürfte damit ironischerweise          allerdings nicht nur temporär, sondern nachhaltig.
  ebenfalls langfristig negativen Einfluss auf die       Clark et al. (2001) sprechen von Narben („scars“),
  Lebenszufriedenheit haben. Aus diesem Grund            welche durch Arbeitslosigkeit verursacht werden,
  setzen viele Unternehmen heute auf ein betrieb­        und weisen diese konkret auch mit dem SOEP für
  liches Gesundheitsmanagement, das beispiels-           Deutschland nach. Demnach sind Arbeitslose mit
  weise auch sportliche Angebote umfasst.                einer längeren im Vergleich zu einer kürzeren Arbeits-
                                                         losenhistorie bei einer Wiederbeschäftigung weniger

16
Hochzufriedene nach subjektiv empfundener Arbeitsplatzsicherheit                                              Tabelle 4
 und Arbeitsmarktlage
 im Jahr 2010, in Prozent

   Chance, eine gleichwertige                     Sorgen um die Arbeitsplatzsicherheit
   Stelle zu finden                               Keine Sorgen         Einige Sorgen            Große Sorgen
   Leicht                                         64,1                 50,7                     k. A.
   Schwierig                                      57,2                 43,6                     31,7
   Praktisch unmöglich                            54,8                 34,7                     18,3
 k. A.: keine Angabe wegen geringer Fallzahlen.
 Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen

zufrieden. Knabe/Rätzel (2008b) belegen, dass diese              überraschend ist der geringste Anteil unter den
Narben aus der nachhaltig veränderten Zukunfts­                  Hochzufriedenen bei Erwerbstätigen auszumachen,
aussicht und der entstandenen Unsicherheit resul-                die ihre Arbeitsplatzsicherheit und ihre Chancen auf
tieren, die für Angst bei Beschäftigten sorgen kann:             eine gleichwertige Stelle jeweils sehr pessimistisch
“Past unemployment ‘scars’ because it ‘scares’.”                 bewerten (gut 18 Prozent). Dieser Anteil fällt zudem
                                                                 geringer aus als der durchschnittliche Anteil Hoch­
Es verwundert folglich nicht, dass die Arbeitsplatz­             zufriedener unter den Arbeitslosen (knapp 22 Pro-
sicherheit unter den Beschäftigten einen hohen Stel-             zent; vgl. Abbildung 2, Kapitel 2)
lenwert genießt (Clark, 2009). Für die Lebenszufrie-
denheit scheint vor allem die gefühlte Unsicherheit              In diesem Zusammenhang wird oft auf befristete
entscheidend (Geishecker, 2010). Tabelle 4 zeigt den             Beschäftigungen verwiesen, die durch eine geringe
Anteil der Hochzufriedenen im Spannungsfeld der                  Beschäftigungsstabilität gekennzeichnet sind. Tat-
Sorge um die Arbeitsplatzsicherheit und der subjektiv            sächlich erscheint die subjektive Wahrnehmung von
empfundenen Chancen, am Arbeitsmarkt eine gleich-                Befristungen jedoch ambivalent: Einerseits dürften
wertige Stelle zu finden. Unter den Erwerbstätigen,              zwar unbefristete Arbeitsverhältnisse aus individueller
die sich keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen               Sicht größere Vorteile bieten als befristete Jobs. An-
und glauben, eine neue Stelle leicht zu finden, beträgt          dererseits könnten Befristungen aber als vorteilhaft
der Anteil der Hochzufriedenen rund 64 Prozent.                  wahrgenommen werden, wenn sie als Vorausset-
Dieser Anteil verringert sich um gut 9 Prozentpunkte,            zung für eine anschließende unbefristete Stelle gelten
wenn sie hingegen die Einschätzung teilen, dass sie              können und damit überhaupt erst einen Einstieg in
am Arbeitsmarkt praktisch keine Chancen auf eine                 den Arbeitsmarkt ermöglichen. So kann eine Befris-
gleichwertige Stelle hätten.                                     tung auch einen Neuanfang oder Einstieg bedeuten
                                                                 und damit ein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt dar-
Ähnliches gilt bei Erwerbstätigen, die sich einige               stellen (Beckmann et al., 2009, 5 ff.). Eine deskriptive
Sorgen um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes                    Auswertung mit dem SOEP zur Arbeitszufriedenheit
machen: Hier sinkt der Anteil der Hochzufriedenen                bestätigt daher das erwartete uneinheitliche Bild
von rund 51 Prozent auf knapp 35 Prozent, wenn                   (Lesch et al., 2011, 50). Demnach lag der Anteil der
sich die Einschätzung hinsichtlich der Chancen,                  Hochzufriedenen bei befristet Beschäftigten im Jahr
eine gleich­wertige Stelle am Arbeitsmarkt zu finden,            2008 bei rund 48 Prozent, während er bei unbefristet
von „leicht“ auf „praktisch unmöglich“ ändert. Wenig             Beschäftigten etwa 44 Prozent betrug.

                                                                                                                       17
Glück im Job

Kapitel 3

3.4 Qualifikationsgerechte Aufgaben                       einer Änderung der eigenen Ansprüche auch die
                                                          Zufriedenheit teilweise stark variieren kann und sich
Mit Blick auf die wissenschaftliche Literatur scheint     diese im Wesentlichen aus Vergleichsprozessen
der empirische Zusammenhang von tatsäch­                  ableitet. Dabei spielt der eigene Status eine wichtige
licher Qualifikation und Lebenszufriedenheit nicht        Rolle (Reisch, 2003; Frank, 1985).
eindeutig. So existieren ­Indizien für eine mit der
Bildungszeit beziehungsweise mit dem Bildungs-            Häufig wird zudem auf das Zusammenspiel von er-
niveau steigende Lebenszufriedenheit, während             forderlicher und tatsächlicher Qualifikation verwiesen
auch negative oder teilweise statistisch insignifikante   (Tsang et al., 1991; Verhaest/Omey, 2008). Tabelle 5
Effekte dokumentiert sind (Blanchflower/Oswald,           zeigt, dass sich vor allem eine Überqualifikation
2011; Knabe/Rätzel, 2008a; Ferrer-i-Carbonell,            negativ auf die Lebenszufriedenheit auswirkt. So
2005). Die Ergebnisse der vorliegenden Auswer-            sinkt der Anteil der Hochzufriedenen, wenn nur eine
tung deuten auf einen positiven Zusammenhang              niedrigere als die eigene Qualifikation am Arbeitsplatz
mit der Lebenszufriedenheit hin (vgl. Spalte „Alle“       erforderlich ist. Zudem erhöht sich bei qualifika­tions­
in Tabelle 5). Dabei wird davon ausgegangen, dass         adäquater Tätigkeit (hervorgehobene Felder) die
durch eine höhere Bildung die beruflichen Möglich-        Zufriedenheit mit dem Bildungsgrad.
keiten zunehmen, beispielsweise aufgrund besserer
Beförderungschancen oder interessanterer Tätig­           Interessanterweise steigt der Anteil der Hochzu-
keiten. Allerdings ist ebenfalls ­bekannt, dass mit       friedenen, wenn die geforderte Qualifikation höher
kalou1927/Fotolia

18
Hochzufriedene nach tatsächlicher und im Job erforderlicher Ausbildung                                    Tabelle 5

 im Jahr 2010, in Prozent

   Höchster Bildungs­abschluss                    Erforderliche Ausbildung
                                                  Keine           Abge­            Hochschul­       Alle
                                                  Berufs­         schlossene       ausbildung
                                                  ausbildung      Berufs­
                                                                  ausbildung
   Kein Abschluss                                 42,4            49,9             k. A.            45,0
   Berufsausbildung/Fachschule, Meister           39,3            47,4             56,4             46,2
   Fach-/Hochschulstudium                         k. A.           53,8             57,7             56,0
   Alle                                           40,4            47,9             57,2             48,4
 k. A.: keine Angabe wegen geringer Fallzahlen.
 Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen

als die vorhandene Qualifikation ausfällt. Offenbar            3.5 Aufstiegserwartungen und
schadet es der eigenen Zufriedenheit nicht, wenn                   ­Aufstiegsmobilität
eine höherwertige Tätigkeit ausgeübt wird, für welche
die eigene Qualifikation formal nicht ausreicht.               Die Theorie positionaler Güter nach Hirsch (1980)
                                                               fasst das kontinuierliche Streben von Menschen
Eine Erklärung dafür könnte sein, dass der negative            nach einer Verbesserung ihrer Situation und ins­
Effekt einer fehlenden Passgenauigkeit durch zwei              besondere nach Anerkennung und Bewunderung
andere Effekte überkompensiert wird: Erstens steht             in ihrer gesellschaftlichen Umgebung in einem
eine höhere erforderliche Qualifikation für einen              ­ökonomischen Denkansatz zusammen. Bezogen
komplexeren Arbeitsinhalt, eine anspruchsvollere                auf die Arbeitswelt lässt sich daraus vor allem das
Aufgabe und mehr Autonomie am Arbeitsplatz. Da                  Streben nach einer Führungsposition ableiten.
mit zunehmenden Herausforderungen und höherer                   Technisch ausgedrückt kann dieses sogenannte
Autonomie tendenziell auch die Zufriedenheit wächst,            Positionsgut aus investiven und/oder konsumtiven
verwundert es nicht, dass mit den qualifikatorischen            Gründen nachgefragt werden: Ein Positionsgut
Anforderungen auch der Anteil der Hochzufriedenen               hat den Charakter eines investiven Guts, wenn es
ansteigt (vgl. Zeile „Alle“ in Tabelle 5).                      nur deshalb nachgefragt wird, um andere ­Güter
                                                                zu erwerben, die ohne das Positionsgut nicht
Zweitens könnte ein Statuseffekt von Bedeutung                  erreichbar wären, wie zum Beispiel der Zugang zu
sein. Höherwertige Berufspositionen – vor allem                 bestimmten Clubs oder Informationen. Ein Positions-
­leitende Positionen – werden nicht selten aufgrund             gut hat hingegen den Charakter eines konsumtiven
 von Statuserwägungen angestrebt. Motive sind                   Guts, wenn es nur wegen des Bedürfnisses nach
 eine höhere Anerkennung und Wertschätzung im                   Wertschätzung oder Anerkennung angestrebt wird
 beruf­lichen und gesellschaftlichen Umfeld. So hat             (Reisch, 2003).
 die Forschung gezeigt, dass sich Zufriedenheit
 gerade aus Vergleichsprozessen ableitet, wenn die             Häufig dürften Positionsgüter in konsumtiver Weise
 eigene Position in Relation zu der Position von ande-         genutzt werden und damit auch den Selbstwert und
 ren Personen aufgewertet wird (Frank, 1985).                  die Zufriedenheit erhöhen. Im Detail haben beispiels-

                                                                                                                   19
Glück im Job

Kapitel 3

 Hochzufriedene nach Aufstiegswahrscheinlichkeit¹                                                                                  Abbildung 5

 im Jahr 2009 ², in Prozent

     Niedrig                                                                                                42,9

         Mittel                                                                                              43,8

         Hoch                                                                                                                         63,7

 ¹ Wahrscheinlichkeit eines beruflichen Aufstiegs beim jetzigen Arbeitgeber in den nächsten zwei Jahren.
 ² Keine Daten für das Jahr 2010 verfügbar.
 Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen

 Sozialer Auf- und Abstieg                                                                                                          Tabelle 6

 Durchschnittliche Veränderung der Lebenszufriedenheit zwischen zwei aufeinanderfolgenden
 Jahren im Zeitraum von 1994 bis 2010, in Prozent

     Einkom­mens­quintil in t                Einkommensquintil in t+1
                                             1                       2                       3                      4          5
     1                                                      0,2                    1,1                      2,9          4,4            2,9
     2                                                    –1,7                    –0,4                      0,9          1,8            3,7
     3                                                    –3,5                    –2,3                     –0,7          0,6            1,7
     4                                                      1,9                   –2,2                     –2,1         –0,6            0,4
     5                                                    –3,8                    –2,3                     –0,6         –1,5           –0,4
 Lesehilfe: Bei Personen des ersten Einkommensquintils (unterste von fünf Einkommensgruppen), die im Folgejahr
 in das zweite Einkommensquintil aufgestiegen sind, konnte eine durchschnittliche Zunahme der Lebenszufriedenheit
 um 1,1 Prozent beobachtet werden; Grundlage: Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen.
 Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen

 Anmerkungen
 Für die Frage, ob einer Person der soziale Aufstieg gelingt oder nicht, wird typischerweise dem Netto­
 einkommen eines Haushalts die entscheidende Bedeutung beigemessen. Daher werden für die Unter­
 suchung der Einkommensmobilität zunächst die Nettohaushaltseinkommen ermittelt und mit der Zahl der
 Haushaltsmitglieder äquivalenzgewichtet. Die daraus resultierenden Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen
 werden ihrer Höhe nach in fünf Gruppen (Einkommensquintile) gegliedert. Beispielsweise umfasst das erste
 Einkommensquintil die untersten 20 Prozent der Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen.
 Die Tabelle zeigt, wie sich die durch­schnitt­liche Lebenszufriedenheit verändert hat (in Prozent), wenn alle
 denkbaren Übergänge zwischen zwei aufeinanderfolgenden Jahren (t und t+1) im Zeitraum von 1994 bis
 2010 betrachtet werden. Alle Felder über (unter) den hell unterlegten Zellen markieren soziale Aufstiege
 (Abstiege) um mindestens ein Einkommensquintil.

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