GLÜCKSFAKTOR ARBEIT Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit? Michael Neumann / Jörg Schmidt
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Nr. 21 DISKUSSION Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit? GLÜCKSFAKTOR ARBEIT Michael Neumann / Jörg Schmidt www.romanherzoginstitut.de
Was bestimmt unsere Lebenszufriedenheit? GLÜCKSFAKTOR ARBEIT Michael Neumann / Jörg Schmidt Vorwort 2 1 Einleitung 3 2 Wie glücklich sind wir – und welche Rolle spielt der Job? 5 3 Glück im Job 11 3.1 Berufswahl 11 3.2 Autonomie und (Mit-)Verantwortung 13 3.3 Arbeitsplatzsicherheit 16 3.4 Qualifikationsgerechte Aufgaben 18 3.5 Aufstiegserwartungen und Aufstiegsmobilität 19 4 Schlussfolgerungen 22 Literatur 24 Die Autoren 27
Randolf Rodenstock Vorwort Nach Glück und Zufriedenheit strebt wohl jeder, Mit der hier vorgelegten Veröffentlichung wird deut- wenngleich auf unterschiedliche Weise. Da wir lich, dass Arbeitsplatzsicherheit und Arbeit insge- einen sehr großen Teil unseres Lebens mit Arbeit samt zentral für die Zufriedenheit der Menschen sind. verbringen – nicht immer kann man klar zwischen Arbeitslosigkeit führt zu großer Unzufriedenheit, die Arbeitszeit und Lebenszeit unterscheiden – stellen Betroffenen sind unglücklich und fühlen sich ausge- sich zu diesem Thema wichtige Fragen: Wie hängt schlossen. An dieser Stelle möchte ich aber auch die Lebenszufriedenheit mit der Arbeitszufrieden- darauf hinweisen, dass die Arbeitnehmer viele Mög- heit zusammen? Kann man durch Steigerung der lichkeiten zur Mitwirkung haben. Welche Form der Arbeitszufriedenheit die Lebenszufriedenheit positiv Unternehmenskultur gepflegt wird, wie transparent, beeinflussen? Welche Faktoren sind wichtig, damit freundlich und aufrichtig im Unternehmen miteinan- wir mit unserer Arbeit zufrieden sind? der kommuniziert wird oder auch welche Branche der Einzelne auswählt – bei alldem kann und muss Diesen und weiteren Zusammenhängen gehen die der Arbeitnehmer mitentscheiden, um seine eigene Autoren Michael Neumann und Jörg Schmidt in Zufriedenheit mitzugestalten getreu dem seit etwa dieser RHI-Diskussion nach. Sie belegen empirisch, 300 vor Christus aufgezeichneten Vers: Ein jeder sei dass Arbeit an sich und ganz grundsätzlich Arbeit- der Schmied seines Glücks. haben einen sehr starken, positiven Einfluss auf die Lebenszufriedenheit ausüben. Auch andere Länder Darüber nachzudenken, wie wir gemeinsam die werden betrachtet. Es gibt Staaten wie die Schweiz, Arbeitswelt der Zukunft erfolgreich gestalten können, Norwegen und Kanada, in denen vergleichsweise bleibt eine der wichtigsten Aufgaben des RHI. viele Hochzufriedene leben. Welche Faktoren dort die Lebenszufriedenheit beeinflussen, wird von den Autoren skizziert. Sie untersuchen zudem, welche Rolle die berufliche Autonomie für die Zufriedenheit spielt und welchen Einfluss Flexibilität am Arbeits- Prof. Randolf Rodenstock platz und die gelebte Unternehmenskultur haben. Vorstandsvorsitzender des Roman Herzog Instituts e. V. 2
Kapitel 1 Einleitung Das Roman Herzog Institut (RHI) widmet sich seit mehr als zehn Jahren vielfältigen Fragen rund um Themen zur Zukunft der Arbeit. Das Jahr 2012 stand Es ist nicht einfach, das Glück oder die Zufriedenheit dabei im Zeichen der Zusammenhänge von Wachs- eines Menschen oder einer Gesellschaft zu erfassen. tum, Wohlstand und Wohlbefinden. Klar heraus Zahlreiche Fragen sind zu beantworten und methodi- gearbeitet wurde im Rahmen einer interdisziplinären sche Probleme zu lösen, um eine Vorstellung davon Diskussion, dass Wachstum kein Selbstzweck ist, zu bekommen, wie gut oder schlecht jemand seine sondern das Ergebnis vernünftig aufgestellter staat- Lebenssituation beurteilt. Neben vielen Kriterien, die licher Rahmenbedingungen. Menschen honorieren einen Einfluss auf die Zufriedenheit haben und die im Wachstum aber mitnichten um seiner selbst willen weitesten Sinne unter dem Stichwort der „arbeits- und ebenso wenig nur wegen der damit verbunde- kontextfreien Merkmale“ zusammengefasst werden nen Einkommensperspektiven. Vielmehr goutieren können, stellen Erwerbstätigkeit und Arbeitsumfeld sie auch die durch Wachstum entstandenen neuen besondere Merkmale dar, da sie in vielfältiger Weise Betätigungsmöglichkeiten, wenn etwa technischer unser Leben beeinflussen. Die große Bedeutung Fortschritt neue Arbeitsplätze schafft oder Arbeits einer Erwerbstätigkeit lässt sich bereits erahnen, erleichterungen mit sich bringt. wenn man die beachtlichen negativen Zufrieden- heitseffekte betrachtet, die von Arbeitslosigkeit Daher besteht ein enger Zusammenhang zwischen ausgehen. technischem Fortschritt, der Ausgestaltung von Arbeitsplätzen und der Lebenszufriedenheit der Beschäftigten. Was aber macht unser Leben glück lich(er) und zufrieden(er), wenn wir uns die Arbeitswelt genauer anschauen? Was sehen wir als den idealen Arbeitsplatz an und wie sollte er beschaffen sein? Arbeit – genauer Erwerbsarbeit – ist ein zentraler Be- standteil unseres Lebens und nimmt somit auch Ein- fluss auf unsere Lebenszufriedenheit. Diese Erkennt- nis ist zwar nicht neu. Die überwiegende Anzahl der Fachpublikationen zum Thema Lebenszufriedenheit fokussierte bislang aber auf andere Lebensbereiche und Personengruppen, wie etwa Studenten, Kinder und Menschen mit gesundheitlichen Problemen (Erdogan et al., 2012). Dies scheint überraschend, da wir doch einen großen Anteil unserer Lebenszeit im Beruf verbringen und sich dies nachhaltig auf unsere Zufriedenheit auswirken dürfte. Der Blick auf andere Lebensbereiche zeigt, dass diese ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, darunter vor allem die eigene Gesundheit oder die Familie. Peter Atkins/Fotolia Wie also muss mein Arbeitsplatz aussehen, um mich glücklicher und zufriedener zu machen? Kann ich mir das Glück gewissermaßen „erarbeiten“? Die vorliegende Publikation trägt vorhandene Literatur 3
Einleitung Kapitel 1 zu diesen Fragen zusammen und ergänzt sie um Befunde erläutert. Im Anschluss daran b eleuchtet eigene Auswertungen aus dem Sozio-oekonomi- Kapitel 3 beispielhaft einige für die allgemeine schen Panel (SOEP). Aufgrund der Komplexität der Lebenszufriedenheit wesentliche Aspekte der Arbeit, Forschungsfrage ist der vorliegende Beitrag wie folgt von denen unter Bezug auf die vorliegende Literatur gegliedert: Zunächst wird in Kapitel 2 die Bedeutung erwartet werden kann, dass sie einen maßgeblichen des Arbeitsumfelds im Zusammenspiel mit ande- Einfluss auf die Lebenszufriedenheit haben (ohne den ren Lebensbereichen aufgezeigt. Zudem werden Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben). Kapitel 4 im internationalen Vergleich und nach der Art der zieht die resultierenden Schlussfolgerungen. Erwerbsform differenziert einige zusammengefasste Die Datengrundlagen: Methodik: Abgrenzungen des SOEP und World Values Survey untersuchten Datensatzes Der überwiegende Teil der in dem vorliegenden Für die vorliegende Untersuchung werden grund- Beitrag verwendeten Daten entstammt der jähr- sätzlich möglichst aktuelle Daten (für das Jahr lich durchgeführten Befragung im Rahmen des 2010) herangezogen. Außerdem wird der Kreis der Sozio-oekonomischen Panels. Das SOEP ist eine berücksichtigten Personen auf das Erwerbsalter Längsschnittbefragung des Deutschen Instituts für eingeschränkt (15 bis unter 65 Jahre). In einzelnen Wirtschaftsforschung in Berlin und erhebt neben Fällen werden gepoolte Daten für einen längeren soziodemografischen Merkmalen zu den Perso- Zeitraum verwendet, und zwar wenn bestimmte nen und Haushalten auch eine Reihe sogenannter Informationen nicht für das aktuelle Jahr vorliegen Bereichszufriedenheiten. So werden neben der oder aufgrund der Fallzahlen keine Auswertung (allgemeinen) Lebenszufriedenheit beispielsweise möglich wäre. Da hier der Fokus auf der Arbeits- auch die Zufriedenheit mit dem Familienleben, welt liegt, werden grundsätzlich Erwerbstätige dem Gesundheitszustand, der Wohnsituation und betrachtet, das heißt abhängig Beschäftigte in auch die Zufriedenheit mit der Arbeit abgefragt. Voll- oder Teilzeittätigkeiten, Selbstständige sowie Die Antworten werden auf einer Skala von 0 geringfügig oder unregelmäßig Beschäftigte (nach (ganz und gar unzufrieden) bis 10 (ganz und gar Selbsteinschätzung im SOEP). Hinzu kommen zufrieden) erfasst. Das SOEP bietet unter ande- für ausgewählte Vergleiche auch Arbeitslose und rem auch deshalb eine geeignete Datenquelle, Nichterwerbstätige. Aus Gründen der Übersicht- da sich durch Hochrechnung der Ergebnisse lichkeit wird zum Teil allein der Anteil der Hoch repräsentative Aussagen für Deutschland ableiten zufriedenen dargestellt. Er beschreibt den Anteil lassen (Wagner et al., 2007). der Antworten mit den Angaben 8, 9 und 10 an allen jeweils gültigen Antworten bei der Frage nach Für internationale Vergleiche kann zudem auf der allgemeinen Lebenszufriedenheit. die Befragung des World Values Survey zurück gegriffen werden. Sie enthält analog zum SOEP eine Einschätzung zur allgemeinen Lebenszufrie- denheit der Befragten, die hier jedoch auf einer ordinalen Skala zwischen 1 (sehr unzufrieden) und 10 (sehr zufrieden) erfasst wird. 4
Kapitel 2 Wie glücklich sind wir – Die verschiedenen Formen und w elche Rolle spielt der Job? von Glück und Zufriedenheit Viele Wissenschaftler beschäftigen sich gegenwärtig In der wissenschaftlichen Literatur werden mit Glücks- und Zufriedenheitsforschung. Aufgrund verschiedene Konzepte diskutiert, die sich mit der Popularität und Relevanz dieser Themen wid- der Glücks- beziehungsweise Zufriedenheits- mete auch das Roman Herzog Institut im Jahr 2012 forschung beschäftigen. So taucht neben dem bereits mehrere Publikationen dem Dreiklang von Begriff des Glücks (Happiness), der oft eher das Wachstum, Wohlstand und Wohlbefinden (Fetchen- (kurzfristige) Befinden in den Mittelpunkt stellt, hauer/Enste, 2012; Neumann, 2012; Hirata, 2012; auch der Begriff des subjektiven Wohlbefindens Frey, 2012). Im deutschsprachigen Raum setzen (Subjective Well-Being) auf, der eng mit dem sich unter anderem Wissenschaftler wie Klaus-Peter Konzept der (allgemeinen) Lebenszufriedenheit Schöppner und Bernd Raffelhüschen mit ihrem (Life Satisfaction) in Verbindung steht. Dabei Glücksatlas (Schöppner/Raffelhüschen, 2012) oder hängt der Grad der konzeptionellen Differenzie- Bruno S. Frey und Claudia Frey Marti mit ihrem Buch rung häufig auch mit der Forschungsdisziplin „Glück. Die Sicht der Ökonomie“ intensiv mit dem zusammen. So wird subjektives Wohlbefinden Wohlbefinden und seinen Einflussfaktoren auseinan- gerade in der psychologischen Literatur als der (Frey/Frey Marti, 2010). Hinzu kommen populär umfassenderes Konzept betrachtet, das sowohl wissenschaftliche Titel wie etwa eine Studie der kognitive Bewertungen der Lebenszufrieden- Coca-Cola GmbH (2012), welche die plakative These heit als auch affektive, das heißt gefühlsmäßige vertritt: „Die Deutschen können Lebensfreude!“ Doch Bewertungen von Stimmungen und Emotionen können die Deutschen wirklich Lebensfreude? einschließt (Diener/Lucas, 1999). ant236/Fotolia 5
Wie glücklich sind wir – und welche Rolle spielt der Job? Kapitel 2 Lebenszufriedenheit in Deutschland Abbildung 1 Durchschnittswerte für Erwerbstätige und Arbeitslose in West- und Ostdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland Erwerbstätige Arbeitslose Erwerbstätige Arbeitslose 8 7 6 5 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 0 (ganz und gar unzufrieden) bis 10 (ganz und gar zufrieden). Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen Während Staaten wie Griechenland, Italien, Spanien individuellen Vergleichsprozessen erklärt. Hinzu und zum Teil auch Frankreich mit einer ernst zu neh- kommt die These, dass ab einem bestimmten Wohl- menden wirtschaftlichen Situation kämpfen, behaup- standsniveau zusätzliche Einkommenssteigerungen tet sich Deutschland weiterhin mit Erfolg als Industrie kaum noch für die Zufriedenheit der Menschen standort und überzeugt mit Wirtschaftswachstum relevant sind (Kenny, 1999). und niedriger Arbeitslosigkeit. Angesichts dieser nicht selbstverständlichen Stabilität der deutschen Wirt- Zudem verdeutlicht Abbildung 1, dass sich die schaft und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Lebenszufriedenheit nach Region und Erwerbsstatus Robustheit sollte man auch von einer derzeit eher deutlich unterscheidet. Tatsächlich liegt die durch- zufriedenen deutschen Bevölkerung ausgehen. schnittliche Lebenszufriedenheit von Erwerbstätigen in West- und Ostdeutschland (7,02 Punkte) um Abbildung 1 zeigt, dass die allgemeine Lebenszufrie- rund 1,4 Punkte über dem Niveau von Arbeitslosen denheit, die im Folgenden vereinfacht als Lebens- (5,67 Punkte). Erwerbstätige geben also im Durch- zufriedenheit bezeichnet wird, hierzulande leichten schnitt für den gesamten Beobachtungszeitraum Schwankungen unterliegt. In Ostdeutschland steigt eine um 24 Prozent höhere Lebenszufriedenheit an sie zwar im Zeitablauf leicht an, in Westdeutschland als Arbeitslose. Insofern deutet dieser Befund bereits bleibt sie allerdings praktisch unverändert. Insofern einen maßgeblichen Einfluss der Erwerbstätigkeit auf dürfte sich hier das sogenannte Easterlin-Paradoxon die Lebenszufriedenheit in Deutschland an. ausmachen lassen. Dieses verweist darauf, dass trotz wachsender Einkommen und zunehmenden Welche Zufriedenheit aber herrscht in anderen Wohlstands keine nennenswerte Änderung der Ländern? Staaten wie die Schweiz, Norwegen, Zufriedenheit zu beobachten ist (Easterlin, 1974). Kanada, Neuseeland oder Schweden sind Deutsch- Häufig wird dies mit einer größeren Bedeutung von land hinsichtlich ihres Anteils an Hochzufriedenen 6
weit voraus, wenn man die gesamte Bevölkerung als Lebenszufriedenheit Tabelle 1 Grundlage der Betrachtung heranzieht (Tabelle 1). im internationalen Vergleich Die Auswertung der Daten des World Values Survey Anteil Hochzufriedener in ausgewählten Ländern ergibt, dass knapp 74 Prozent der Schweizer und von 2005 bis 2007, in Prozent Norweger mit ihrem Leben hochzufrieden sind. Kanada, Neuseeland und Schweden folgen mit Schweiz 73,7 jeweils rund 66 Prozent hochzufriedener Menschen. Norwegen 73,6 Mit einem Anteil von fast 51 Prozent bewegt sich Kanada 65,9 Deutschland dagegen lediglich im Mittelfeld. Was Neuseeland 65,8 haben uns die Schweizer, die Kanadier oder die Schweden 65,8 Neuseeländer voraus? Sind es primär kulturelle Fak- toren, die Natur oder gesellschaftlich-wirtschaftliche Niederlande 64,2 Aspekte, die den Unterschied ausmachen? Vereinigtes Königreich 59,7 Australien 54,0 Die Beantwortung dieser Frage ist nicht ganz ein- USA 52,6 fach. Allerdings kann eine Studie von Blanchflower/ Deutschland 50,9 Oswald (2011) einen ersten Überblick geben. Die Spanien 48,4 Autoren haben mehrere internationale Datensätze Polen 47,9 für jeweils eine Vielzahl von Staaten ausgewertet. Unter Berücksichtigung anderer Studienergebnisse Japan 46,0 identifizieren sie eine Reihe von makroökonomischen China 45,9 und institutionellen Faktoren, die für die Lebens- Frankreich 44,1 zufriedenheit von positiver Bedeutung sein können – Italien 36,4 unter anderem eine niedrige Arbeitslosigkeit und Russland 32,5 niedrige Inflation, ein hohes Maß an (institutionellem) Grundlage: zwischen 927 (Neuseeland) und 2.154 Befragte (Kanada); Vertrauen, eine demokratische Ordnung mit ent- Hochzufriedene: Werte 8 bis 10 auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden). sprechenden Partizipationsmöglichkeiten sowie eine Quelle: World Values Survey, 2010 geringe Umweltverschmutzung. Darüber hinaus existieren weitere gesellschaftlich-kulturelle Faktoren wie beispielsweise unterschiedliche Wertvorstellun- gen oder Traditionen, die teilweise schwer messbar sind, die aber ebenfalls zur Erklärung des Ausmaßes für die Jahre 1988 bis 1998 und mithilfe des soge- der Lebenszufriedenheit beitragen können. nannten Polity-IV-Index, der auf einer Zehn-Punkte- Skala das Ausmaß der demokratischen Partizipa Ein besonderer Einfluss scheint von staatlichen tionsmöglichkeiten abbildet, haben Dorn et al. (2005) Institutionen auszugehen, die nicht zuletzt auch für den Effekt der Demokratie auf die Lebenszufrieden- wirtschaftliche Prozesse relevant sind. Vor diesem heit beziffert. Danach steigt bei einer Zunahme der Hintergrund stellen Frey/Frey Marti (2010) – eben- Partizipationsmöglichkeiten um einen Indexpunkt die falls auf Basis des World Values Survey – fest, dass Lebenszufriedenheit rechnerisch im gleichen Ausmaß, die durchschnittliche Lebenszufriedenheit in vielen wie sie von einer zusätzlichen Einkommenserhöhung OECD-Staaten höher ausfällt als in Staaten der um 4.500 US-Dollar pro Jahr ausgehen würde ehemaligen Sowjetunion. Dies führt die Autoren zu (vgl. auch Frey/Frey Marti, 2010, 82). der Frage, welchen (isolierten) Einfluss eine demo kratische Ordnung auf die Lebenszufriedenheit hat. Insgesamt deuten die zitierten Studien darauf hin, Auf Basis einer länderübergreifenden Untersuchung dass eine Vielzahl makroökonomischer und institutio- 7
Wie glücklich sind wir – und welche Rolle spielt der Job? Kapitel 2 neller Faktoren die Lebenszufriedenheit beeinflussen Grundsätzlich ist davon auszugehen: Wer mit und diese sich vor allem zwischen Staaten deutlich einzelnen Lebensumständen zufrieden ist, dürfte unterscheiden können (vgl. für eine breit angelegte auch insgesamt eine höhere Lebenszufriedenheit Diskussion Frey/Frey Marti, 2010). Im Folgenden soll aufweisen. Tabelle 2 zeigt, dass diese Annahme der Fokus auf die individuelle Ebene ausgerichtet hinsichtlich der analysierten Kriterien für Deutschland und die Untersuchung auf Deutschland eingegrenzt zutrifft und dass verschiedene Lebensbereiche einen werden. Dazu erfolgt zunächst eine Abschätzung der unterschiedlichen Einfluss auf unsere Lebensqualität Zufriedenheitseffekte einzelner Lebensbereiche, be- haben. Dies gilt besonders für die eigene Gesund- vor im Anschluss arbeitsrelevante Aspekte diskutiert heit und das Familienleben. Im Detail wirkt sich die werden. Zufriedenheit mit der Arbeit deutlich positiv auf die Was bestimmt die Lebenszufriedenheit? Tabelle 2 Prioritätsabschätzung von Lebensbereichen von 2006 bis 2010 1 Zufriedenheit mit … Chancenverhältnis (Odds Ratio) Systematischer Einfluss 2 Einkommen 1,069 Ja Wohnung 1,080 Ja Freizeit 1,090 Ja Arbeit 1,223 Ja Haushaltseinkommen 1,254 Ja Familienleben 1,345 Ja Gesundheit 1,369 Ja Jahresdummys (4) Ja Beobachtungen 48.852 1 Daten zu allen Variablen nur für diesen Zeitraum verfügbar; robuste Standardfehler. 2 Statistisch signifikant bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 1 Prozent. Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen Anmerkungen Um die Stärke des Einflusses verschiedener Bereichszufriedenheiten auf die Lebenszufriedenheit zu ermit- teln, wird eine sogenannte Ordered-Logit-Regressionsschätzung durchgeführt. Der Zweck dieses Verfah- rens besteht darin, den isolierten Einfluss einer Bereichszufriedenheit zu bestimmen. Beispielsweise wird der Einfluss der Arbeitszufriedenheit auf die Lebenszufriedenheit rechnerisch um die Effekte durch andere Bereichszufriedenheiten bereinigt. Ein Chancenverhältnis (Odds Ratio) größer (kleiner) als eins zeigt einen positiven (negativen) Effekt an. Je größer also die absolute Differenz zu eins ausfällt, desto stärker ist der jeweilige Effekt (Long/Freese, 2006). Die statistische Signifikanz gibt an, ob ein systematischer oder ein rein zufälliger Einfluss vorliegt. Die sogenannten Jahresdummys sind binäre Variablen, die den Effekt einzelner Jahre auf die Lebenszufrie- denheit berücksichtigen. Mit anderen Worten wird damit in der Analyse für die Auswirkungen zeitlicher Einflüsse auf die Lebenszufriedenheit kontrolliert. Dadurch wird ausgeschlossen, dass zeitliche Einflüsse die Ergebnisse zu den Bereichszufriedenheiten verzerren. 8
Beurteilung der Lebenszufriedenheit aus. Technisch Arbeitslosigkeit (Clark/Oswald, 1994; Winkelmann/ ausgedrückt sind die Chancen auf mehr Lebens- Winkelmann, 1998). Gerade dies könnte auch für zufriedenheit um das 1,22-Fache beziehungsweise Deutschland gelten. Nachdem Di Tella et al. (2001) für 22 Prozent höher, wenn die Arbeitszufriedenheit um eine Gruppe von zwölf europäischen Staaten belegt einen Punkt ansteigt (und gleichzeitig die Zufrieden- haben, dass Arbeitslosigkeit unglücklich macht, heit in anderen Lebensbereichen unverändert bleibt). hat Vatter (2012) dies auch speziell für Deutschland Verglichen mit anderen Lebensumständen spielt die nachgewiesen. So zeigte er unter Berücksichtigung Arbeitszufriedenheit also neben der Zufriedenheit mit vieler mikroökonomischer Informationen und insbe- Gesundheit und Familie eine wesentliche Rolle für sondere bei als konstant unterstellten persönlichen unsere Lebenszufriedenheit. Einkommensverhältnissen, dass der negative Effekt von Arbeitslosigkeit auf die individuelle Lebenszufrie- Es stellt sich die Frage, wie das Arbeitsleben verbes- denheit bestehen bleibt. sert werden kann, sodass möglicherweise parallel auch die Gesundheit oder die Familiensituation davon Mit Blick auf Abbildung 2 sind nicht nur Unterschiede profitieren – und nicht nur die Arbeitszufriedenheit, zwischen Erwerbstätigen und Inaktiven (Arbeitslose sondern vor allem die Lebenszufriedenheit steigt. und Nichterwerbstätige) auszumachen, sondern Auffällig ist, dass alle Staaten mit vielen hochzufriede- auch in Abhängigkeit des Erwerbsumfangs und nach nen Menschen (vgl. Tabelle 1) durch ein hohes Wohl- Art der Inaktivität. Wenig überraschend ist der mit standsniveau gekennzeichnet sind und grundsätzlich knapp 22 Prozent nur kleine Anteil der Hochzufriede- eine moderate Arbeitslosigkeit mit vergleichsweise nen unter den Arbeitslosen – das ist der mit Abstand hohen Arbeitsmarktstandards aufweisen. Empi- niedrigste Zufriedenheitswert. Umgekehrt ist ein risch ist längst nachgewiesen, was intuitiv ohnehin Anteil von gut 51 Prozent hochzufriedener Perso- nie strittig war: Arbeiten macht uns glücklicher als nen unter den Nichterwerbstätigen bemerkenswert. Hochzufriedene nach Erwerbsstatus und -umfang Abbildung 2 im Jahr 2010, in Prozent Abhängig vollzeitbeschäftigt 48,3 Abhängig teilzeitbeschäftigt 51,1 Selbstständig 48,0 Geringfügig oder unregelmäßig beschäftigt 43,2 Nicht erwerbstätig 51,3 Arbeitslos 21,6 Hochzufriedene: Werte 8 bis 10 auf einer Skala von 0 (ganz und gar unzufrieden) bis 10 (ganz und gar zufrieden). Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen 9
Wie glücklich sind wir – und welche Rolle spielt der Job? Kapitel 2 konradbak/Fotolia Darunter sind unter anderem freiwillig Nichterwerbs- der Frage abzuhängen, ob die Beschäftigung im tätige ebenso zu finden wie Erwerbstätige in einer Rahmen einer Befristung als bewusste (und damit Auszeit (zum Beispiel in familienbedingten Auszeiten, modell-endogene) Entscheidung einer Person inter- Sabbaticals) sowie Personen der sogenannten stillen pretiert wird oder nicht (Beckmann et al., 2007). Reserve. Zur stillen Reserve auf dem Arbeitsmarkt gehören Menschen, die unter bestimmten Voraus- Die Analyse hat gezeigt, dass neben der Gesundheit setzungen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würden, und der Familie vor allem der Arbeitsplatz die Lebens- sich aber nicht arbeitslos gemeldet haben. zufriedenheit beeinflusst. Aufgrund der Komplexität des Konzepts der Lebenszufriedenheit können Unter den Erwerbstätigen weisen Teilzeitbeschäf- zudem weitere, teilweise schwer operationalisierbare tigte mit gut 51 Prozent den höchsten Anteil an Merkmale wie etwa unterschiedliche Wertvorstel- Hochzufriedenen auf. Bei Vollzeitbeschäftigten und lungen, Präferenzen oder Persönlichkeitsmerkmale Selbstständigen ist ein ähnlich hoher Anteil zu be- die Lebenszufriedenheit bestimmen (Fietze, 2011). obachten. Allein bei geringfügig oder unregelmäßig Relativ unumstritten ist der Befund, dass Arbeit im Beschäftigten fällt der Anteil Hochzufriedener rund Allgemeinen die Menschen glücklicher oder zufriede- 5 Prozentpunkte niedriger aus als bei Vollzeitbe- ner macht als Arbeitslosigkeit, denn „any job is better schäftigten. Hier könnte sich zwar eine niedrige Be- than no job“ (Grün et al., 2010; Layard, 2004). Der schäftigungsstabilität aufgrund eines hohen Anteils Erwerbsumfang allein scheint hingegen kein eindeu- befristet Beschäftigter bemerkbar machen. Allerdings tiger Prädiktor der Lebenszufriedenheit zu sein. Viel- fallen die empirischen Befunde zu Befristungen mehr dürften neben den eigenen Präferenzen auch nicht einheitlich aus: Die quantitativen Wirkungen Eigenschaften des Arbeitsumfelds von Bedeutung auf die Zufriedenheit scheinen im Wesentlichen von sein, die nun näher betrachtet werden sollen. 10
Kapitel 3 Glück im Job auf die Lebenszufriedenheit wirken. Mit Blick auf die Daten in Tabelle 3 ist allerdings nicht feststellbar, ob auftretende Differenzen in der Lebenszufriedenheit Für viele Menschen ist Arbeit ein wichtiger Einfluss- ursächlich auf den Beruf zurückzuführen sind und in faktor für ihre Lebenszufriedenheit. Offensichtlich welchem Ausmaß die Arbeitsbedingungen, die Ent- existiert eine Vielzahl an arbeitsrelevanten Kriterien, lohnung, der Haushaltskontext, die familiäre Situation die jedoch von Person zu Person eine andere Be- etc. die Daten beeinflussen. deutung haben dürften. Im Folgenden wird anhand von fünf wichtigen Kriterien beispielhaft erläutert, welcher Zusammenhang jeweils mit der Lebens- zufriedenheit besteht. Hochzufriedene nach Tabelle 3 ausgewählten Berufen 3.1 Berufswahl im Jahr 2010, in Prozent Zu Beginn des Erwerbslebens steht die Frage, Beruf¹ Hoch zufriedene welchen Beruf man ausüben möchte. Dabei spielen viele Aspekte eine Rolle, zum Beispiel die Einkom- Wissenschaftler (sonstige) menschancen, die Karriereperspektiven, die Verein- und verwandte Berufe (ohne Lehrkräfte) 60,0 barkeit von Familie und Beruf, die Arbeitszeiten etc., aber insbesondere auch die Art und der Inhalt der Wissenschaftliche Lehrkräfte, zum Beispiel Professoren 55,8 Tätigkeit. Vor diesem Hintergrund stellen Menschen unterschiedliche Anforderungen an ihren Wunsch Büroangestellte ohne Kunden- kontakt 54,9 beruf und setzen in Abhängigkeit ihrer Präferenzen unterschiedliche Schwerpunkte. So ist beispiels- Physiker, Mathematiker und weise aus einschlägigen Publikationen bekannt, dass Ingenieurwissenschaftler 54,5 sich Frauen und Männer tendenziell für unterschied- Geschäftsleiter und Geschäfts- liche Berufe beim Einstieg in eine berufliche Ausbil- bereichsleiter in großen Unter- nehmen 52,9 dung entscheiden (Statistisches Bundesamt, 2011) oder im Rahmen eines Studiums teilweise andere Personenbezogene Dienst- leistungsberufe, zum Beispiel Fächer wählen. Daher empfiehlt sich eine genauere Friseure, und Sicherheits Betrachtung der Berufswahl. bedienstete 51,2 … … Der Beruf bildet ein wichtiges Kriterium für die Lebenszufriedenheit (Tabelle 3). Es fällt auf, dass Sonstige Handwerks- und verwandte Berufe 40,3 Berufe mit höheren Qualifikationsanforderungen nicht selten auch einen höheren Anteil Hochzufriedener Hilfsarbeiter im Bergbau, Baugewerbe etc. 38,6 aufweisen. So ist der Anteil der Hochzufriedenen beispielsweise bei Wissenschaftlern, wissenschaft- Fahrzeugführer und Bediener mobiler Anlagen 33,4 lichen Lehrkräften, Physikern, Ingenieuren und Führungskräften besonders groß. Demnach dürften Fachkräfte in der Landwirt- berufliche Eigenschaften wie etwa komplexe und schaft und Fischerei 28,8 anspruchsvolle Aufgaben, Vielfalt der Tätigkeiten, ¹ Einteilung nach ISCO2, Internationale Standard-Klassifikation der Berufe (2-Steller-Ebene). weitgehend eigenständiges Arbeiten, aber auch Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen Ansehen und ein hohes berufliches Prestige positiv 11
Glück im Job Kapitel 3 Würde man also allein den Beruf zum entscheiden- Hinsichtlich des Geschlechts sind die statistischen den Kriterium für die Lebenszufriedenheit machen, Chancen auf den Wunschberuf unterschiedlich groß müsste man allen Menschen empfehlen, als Wissen- (BIBB, 2011). So gelangten 83 Prozent der weib schaftler zu arbeiten. Dies ist offensichtlich nicht nur lichen Jugendlichen im Jahr 2010 zu ihrem Wunsch- aufgrund der unterschiedlichen Vorlieben und Inter- beruf, unter den männlichen Jugendlichen waren essen der Menschen wenig sinnvoll. Zudem gelingt es 74 Prozent. Hier hat im Vergleich zu den voran es dem Einzelnen nicht immer, den gewünschten gegangenen Jahren eine Umkehrung stattgefunden: Beruf zu erlernen. Noch 2006 konnten 72 Prozent der männlichen und nur 62 Prozent der weiblichen Jugendlichen Wie Abbildung 3 zeigt, gaben 77 Prozent der Schul- ihren Wunschberuf realisieren. Bei Jugendlichen abgänger im Jahr 2010 an, im Zuge ihrer Berufs mit Migrationshintergrund konnte jeder Zehnte ausbildung ihren Wunschberuf zu erlernen (BIBB, seinen Wunschberuf nicht erlernen. Hinsichtlich der 2011). Nur 6 Prozent ergriffen nicht den Wunsch verschiedenen Schulabschlüsse ist kein eindeutiger beruf. Diese Anteile unterliegen Schwankungen, Trend zu erkennen: Jugendliche mit Hauptschul deren Ursachen vor allem durch die Entwicklungen abschluss oder Abitur unterscheiden sich bei die am Arbeitsmarkt und insbesondere am Ausbildungs- sem Merkmal kaum. markt geprägt sind. Da in den Jahren 2004 bis 2006 weniger Ausbildungsplätze als 2010 zur Verfügung Geht man davon aus, dass der erlernte Beruf über- standen, fiel die Übereinstimmung von tatsächlichem wiegend auch dem Wunschberuf entspricht, so deu- Ausbildungsberuf und Wunschberuf niedriger aus. ten die Daten des SOEP auf den erwarteten, leicht So konnten im Jahr 2006 insgesamt 11 Prozent positiven Zusammenhang von Wunschberuf und der Schulabgänger keine Ausbildungsstelle in ihrem Lebenszufriedenheit hin. So beträgt – unabhängig Wunschberuf finden. von weiteren Einflussgrößen – der Anteil der Hoch- Übereinstimmung von Wunsch- und Ausbildungsberuf Abbildung 3 bei Schulabgängern, in Prozent Ja Teilweise Nein 2004 75 15 10 2005 72 21 7 2006 68 21 11 2008 76 15 9 2010 77 17 6 Gewichtete Daten aus Schulabgängerbefragungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Quelle: BIBB, 2011, 92 12
zufriedenen im Jahr 2010 an allen Erwerbstätigen im erwerbsfähigen Alter knapp 51 Prozent, wenn sie im Was ist Burn-out? erlernten Beruf arbeiten, während er bei 45 Prozent liegt, wenn sie nicht im erlernten Beruf tätig sind. Burn-out ist zwar keine neue Diagnose, aber sie ist nur schwer abgrenzbar. Mangels einer Im Ergebnis ist festzuhalten, dass bestimmte Be einheitlichen wissenschaftlichen Definition rufsgruppen durch eine höhere Lebenszufriedenheit besteht heutzutage weitgehender Konsens gekennzeichnet sind und der gewünschte Beruf hinsichtlich der Kernsymptome „emotionale eine wichtige Determinante der Lebenszufrieden Erschöpfung“, „geringere Zufriedenheit mit heit darstellt. Umgekehrt ist jedoch auch der ge der eigenen Leistung“ und „beeinträchtigtes wünschte Beruf keine Garantie für eine nachhaltig Verhältnis zur beruflichen Umgebung (Arbeits hohe Lebenszufriedenheit. Dies kann verschiedene überdruss, Zynismus)“. Burn-out gilt laut Ursachen haben: Weltgesundheitsorganisation nicht als aner- kannte psychische Erkrankung, sondern wird ■■ Über die Zeit können sich die beruflichen Prä- als Diagnose im Rahmen der (internationalen) ferenzen ändern und dazu führen, dass sich im statistischen Klassifikation der Krankheiten und Nachhinein die Wunschvorstellungen zum Beruf verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) unter ändern. der Zusatzkodierung Z73 geführt (Bundes psychotherapeutenkammer, 2012). ■■ Das Berufsbild selbst, die Anforderungen und die ausgeübten Tätigkeiten können sich durch Erst seit den 1980er Jahren wird in Deutschland technische Innovationen und Weiterentwicklun- zum Thema Burn-out geforscht. Diversen Stu- gen wandeln. dien zufolge besteht beispielsweise für Lehrer ein überdurchschnittliches Risiko, an Burn-out ■■ Das berufliche Umfeld kann sich derart verän- zu erkranken (Körner, 2002). Daneben sind dern, dass zwar der Beruf nach wie vor den offenbar auch Beschäftigte im Pflegebereich Präferenzen entspricht, die Arbeit dort aber besonders gefährdet. Bei diesen gelten als nicht mehr glücklich macht. Gründe unter anderem Diskrepanzen zwischen den emotionalen Zuwendungen bei der Arbeit ■■ Letztlich ist ebenfalls denkbar, dass Krankheiten mit den Pflegebedürftigen und der mangelnden und insbesondere psychische Erkrankungen Anerkennung für die Anstrengungen sowie eine die Lebenszufriedenheit nachhaltig beeinträch- geringe Personalausstattung (Zander et al., 2011; tigen. Insofern wären zwei Wirkungskanäle auf Evans et al., 2006). die Lebenszufriedenheit betroffen: Neben der Arbeitszufriedenheit würde auch die Zufriedenheit mit der Gesundheit sinken. Beide gemeinsam würden Einfluss auf die Lebenszufriedenheit nehmen. In diesem Zusammenhang wird in der 3.2 Autonomie und (Mit-)Verantwortung Diskussion oft auf die Symptome des Burn-outs verwiesen. Die Vermutung, Selbstbestimmung sei auch im beruflichen Kontext für die Zufriedenheit am Arbeits- platz von Bedeutung, hat vor allem Forscher der Ökonomie und Psychologie motiviert, die Wirkung von Autonomie am Arbeitsplatz zu untersuchen. Die Forschung zeigt, dass ein möglichst hohes Maß an 13
Glück im Job Kapitel 3 Hochzufriedene nach Grad der beruflichen Autonomie Abbildung 4 im Jahr 2010 auf einer Skala von 1 (niedrig) bis 5 (hoch), in Prozent 1 37,4 2 44,8 3 49,4 4 56,3 5 61,6 Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen Selbstbestimmung und Autonomie ein intrinsisches welche die Beschäftigten oft monoton und mit einem Ziel von vielen Beschäftigten sein kann und mit Gefühl der geistigen Unterforderung ausführen, sind einem Eigenwert ausgestattet ist. In diesem Zusam- die heute angewandten Organisationsmodelle durch menhang haben Frey et al. (2004) das Konzept des eine größere Vielfalt geprägt, die den gestiegenen „prozeduralen Nutzens“ entworfen, das den Begleit- Anforderungen durch komplexere Produktionspro- umständen einer Tätigkeit respektive eines Pro- zesse stärker Rechnung tragen. Die Hierarchien sind zesses (unter bestimmten Voraussetzungen) einen nicht selten flacher geworden, die Kommunikations eigenen Nutzen zuordnet und damit die Zufrieden- wege kürzer. Die Verantwortung und die Selbst heit beeinflusst. bestimmung der Mitarbeiter sind in vielen Bereichen größer als je zuvor. Personalpolitische Konzepte, wie Der Aspekt der Autonomie in einer beruflichen etwa das der Jobrotation oder des Job Enrichment, Tätigkeit könnte einen solchen prozeduralen Nutzen dienen der Motivation und erhöhen die Arbeitszufrie- stiften. Häufig wird in diesem Zusammenhang auf denheit (Mohr/Zoghi, 2006). die hohe Zufriedenheit von Selbstständigen verwie- sen, die gerade (auch) durch eine höhere Autonomie Vor diesem Hintergrund schätzen Mitarbeiter offen erklärt werden kann (Benz/Frey, 2003). Allerdings bar besonders die funktionale Flexibilität (Origo/ lässt sich auch allgemein für Erwerbstätige ein posi Pagani, 2008). Funktionale Flexibilität bedeutet tiver Effekt auf die Lebenszufriedenheit beobach- Abwechslung in den zu erfüllenden Aufgaben, die ten, der mit dem Grad der beruflichen Autonomie allerdings mit einem Verlust an Spezialisierungs- zunimmt (Abbildung 4). vorteilen einhergeht. Gerade die Tätigkeiten von Hochqualifizierten sind oft dadurch gekennzeichnet, In der historischen Entwicklung ist festzustellen, dass dass sie weniger monotone Aufgaben wahrnehmen, sich die unternehmensinternen Strukturen in den mit hoher eigener Verantwortung arbeiten und oft letzten Jahrzehnten stark verändert haben. Anders Schlüsselpositionen einnehmen, die schwer zu erset- als das traditionelle tayloristische System, in dem zen und schwer zu kontrollieren sind. Wie Cornelis- Arbeitsprozesse in kleine Schritte zerlegt werden, sen (2006) zeigt, sind solche tätigkeitsbegleitenden 14
Eigenschaften (abwechselnde Tätigkeiten, Auto Wie wichtig dem Einzelnen das soziale Umfeld im nomie etc.) mit positiven Einflüssen auf die Arbeits Unternehmen ist und wie viel Wert er auf eine ent- zufriedenheit verbunden. sprechende Unternehmenskultur legt, ist individuell verschieden. Unter sonst gleichen Umständen Zentrale Voraussetzung für entsprechend auto- (also bei ähnlichen Aufgaben und ähnlichem Ein- nome Handlungsspielräume der Mitarbeiter ist eine kommen) ziehen die meisten Menschen jedoch eine Vertrauenskultur im Unternehmen mit einer hohen angenehme Atmosphäre mit kooperationswilligen Kooperationsneigung der Mitarbeiter. Ein geeignetes Kollegen vor. Ein Unternehmen kann das soziale Personalmanagement, ein positives Betriebsklima Verhalten seiner Mitarbeiter und deren Kooperations- mit einer kooperativen Teamatmosphäre in einer neigung fördern, indem es entsprechende Regeln in passenden Unternehmenskultur können durch der konkreten Ausgestaltung der Unternehmenskul- Vertrauensbildung die Leistungs- und Kooperations tur aufstellt. Selbst die persönlichen Charakteristika bereitschaft der Mitarbeiter sowie den Unterneh der Mitarbeiter lassen sich langfristig beeinflussen, menserfolg steigern. Gute Arbeitsplanung, soziale indem bei Stellenausschreibungen und Rekrutierun- Unterstützung durch Vorgesetzte, Anerkennung und gen auf entsprechende Kriterien verstärkt geachtet Wertschätzung am Arbeitsplatz sowie Förderung der wird. Aktivitäten der CSR (Corporate Social Respon- fachlichen und beruflichen Entwicklung dürften daher sibility) oder des gesellschaftlichen Engagements auch zur Zufriedenheit und Kooperationsbereitschaft dienen als Signal bei der Auswahl von produktiven, der Beschäftigten beitragen. verlässlichen und kooperationsbereiten Mitarbeitern momentimages/Fotolia 15
Glück im Job Kapitel 3 (Turban/Greening, 1997; Backhaus et al., 2002). 3.3 Arbeitsplatzsicherheit Arbeitnehmer bewerten bei der Jobsuche grundsätz- lich auch die Außendarstellung eines Unternehmens. Kaum ein individuelles Ereignis dürfte sich – mit Sie können etwa CSR-Aktivitäten des Unternehmens Ausnahme lebensbedrohlicher Krankheiten oder als Signal interpretieren, da solche Aktivitäten auf ernsthafter familiärer Sorgen – derart negativ auf das eine einschlägige Unternehmenskultur hinweisen und Wohlbefinden auswirken wie der Verlust des Arbeits- erwarten lassen, dass das Unternehmen auch sozia- platzes. Ein Blick auf empirische Untersuchungen les Verhalten der Beschäftigten bei der Personalwahl im Vereinigten Königreich zeigt, dass ein Verlust berücksichtigt. Somit dürfte eine Selbstselektion der des Arbeitsplatzes die Lebenszufriedenheit sogar Beschäftigten stattfinden, sodass sich auf Koope- stärker als eine Scheidung oder Trennung senken ration bedachte Arbeitnehmer in entsprechenden kann (Clark/Oswald, 1994, 655). Als Ursachen dafür Firmen sammeln. Wem eine gute Kooperation gelten – neben dem Einkommensverlust – vor allem und ein harmonisches Miteinander im Kollegen- die sozialen und psychologischen Folgen. So stiftet kreis wichtig sind, der sucht sich ein entsprechend die Arbeit Identität, die durch den Arbeitsplatzverlust engagiertes Unternehmen mit einschlägiger Unter- verloren geht. Arbeitslosigkeit sorgt für ein verringer- nehmenskultur und verzichtet dafür gegebenenfalls tes Selbstwertgefühl, soziale Kontakte im beruflichen auch auf ein höheres Einkommen. In kooperativen Umfeld fallen weg, Anerkennung und Wertschätzung Teams, in denen gegenseitiges Vertrauen herrscht, fehlen. Hinzu kommt ein Verlust an sozialem Status. ist es wiederum einfacher, von einer gewohnten und Clark/Oswald (2002, 1141) ermitteln auf Basis eingespielten Arbeitsroutine abzuweichen und Ele- britischer Daten im Rahmen eines Regressions mente funktionaler Flexibilität und Autonomie in den modells, dass eine Kompensationszahlung von rund Arbeitsprozess einzuflechten. 15.000 Pfund pro Monat erforderlich wäre, um die psychischen Folgen eines Verlusts des Arbeitsplatzes auszugleichen. Vor diesem Hintergrund schätzen Knabe/Rätzel (2008a, 16) für Deutschland: „Wenn Lebenszufriedenheit und man diesen nicht-pekuniären Zufriedenheitsverlust Bewegung am Arbeitsplatz durch eine hypothetische Einkommenskompensation während der Dauer der Arbeitslosigkeit ausgleichen Arbeitsstellen mit hohen körperlichen Beanspru- wollte, müsste das individuelle Einkommen um etwa chungen und widrigen Arbeitsbedingungen ge- 87 Prozent zunehmen.“ Winkelmann/Winkelmann hören nicht zu den Lieblingsjobs der Deutschen (1998) kommen für Deutschland zu einem vergleich- (Cornelissen, 2006). Viele berufliche Tätigkeiten baren Ergebnis und zeigen, dass der Effekt von Ar- finden heute im Sitzen statt. Ein erster Grund beitslosigkeit hinsichtlich der Zufriedenheit nur durch hierfür ist der Computer, ein zweiter die zuneh- eine deutliche Einkommenskompensation aufgefan- mende Substitution von körperlich belastenden gen werden könnte (um das gleiche Zufriedenheits Aktivitäten durch Maschinen. Wird fast die niveau wie vor der Arbeitslosigkeit zu erhalten). gesamte Arbeitszeit sitzend verbracht, ist dies jedoch langfristig auch nicht der Gesundheit Arbeitslosigkeit beeinträchtigt das Wohlbefinden zuträglich – und dürfte damit ironischerweise allerdings nicht nur temporär, sondern nachhaltig. ebenfalls langfristig negativen Einfluss auf die Clark et al. (2001) sprechen von Narben („scars“), Lebenszufriedenheit haben. Aus diesem Grund welche durch Arbeitslosigkeit verursacht werden, setzen viele Unternehmen heute auf ein betrieb und weisen diese konkret auch mit dem SOEP für liches Gesundheitsmanagement, das beispiels- Deutschland nach. Demnach sind Arbeitslose mit weise auch sportliche Angebote umfasst. einer längeren im Vergleich zu einer kürzeren Arbeits- losenhistorie bei einer Wiederbeschäftigung weniger 16
Hochzufriedene nach subjektiv empfundener Arbeitsplatzsicherheit Tabelle 4 und Arbeitsmarktlage im Jahr 2010, in Prozent Chance, eine gleichwertige Sorgen um die Arbeitsplatzsicherheit Stelle zu finden Keine Sorgen Einige Sorgen Große Sorgen Leicht 64,1 50,7 k. A. Schwierig 57,2 43,6 31,7 Praktisch unmöglich 54,8 34,7 18,3 k. A.: keine Angabe wegen geringer Fallzahlen. Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen zufrieden. Knabe/Rätzel (2008b) belegen, dass diese überraschend ist der geringste Anteil unter den Narben aus der nachhaltig veränderten Zukunfts Hochzufriedenen bei Erwerbstätigen auszumachen, aussicht und der entstandenen Unsicherheit resul- die ihre Arbeitsplatzsicherheit und ihre Chancen auf tieren, die für Angst bei Beschäftigten sorgen kann: eine gleichwertige Stelle jeweils sehr pessimistisch “Past unemployment ‘scars’ because it ‘scares’.” bewerten (gut 18 Prozent). Dieser Anteil fällt zudem geringer aus als der durchschnittliche Anteil Hoch Es verwundert folglich nicht, dass die Arbeitsplatz zufriedener unter den Arbeitslosen (knapp 22 Pro- sicherheit unter den Beschäftigten einen hohen Stel- zent; vgl. Abbildung 2, Kapitel 2) lenwert genießt (Clark, 2009). Für die Lebenszufrie- denheit scheint vor allem die gefühlte Unsicherheit In diesem Zusammenhang wird oft auf befristete entscheidend (Geishecker, 2010). Tabelle 4 zeigt den Beschäftigungen verwiesen, die durch eine geringe Anteil der Hochzufriedenen im Spannungsfeld der Beschäftigungsstabilität gekennzeichnet sind. Tat- Sorge um die Arbeitsplatzsicherheit und der subjektiv sächlich erscheint die subjektive Wahrnehmung von empfundenen Chancen, am Arbeitsmarkt eine gleich- Befristungen jedoch ambivalent: Einerseits dürften wertige Stelle zu finden. Unter den Erwerbstätigen, zwar unbefristete Arbeitsverhältnisse aus individueller die sich keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen Sicht größere Vorteile bieten als befristete Jobs. An- und glauben, eine neue Stelle leicht zu finden, beträgt dererseits könnten Befristungen aber als vorteilhaft der Anteil der Hochzufriedenen rund 64 Prozent. wahrgenommen werden, wenn sie als Vorausset- Dieser Anteil verringert sich um gut 9 Prozentpunkte, zung für eine anschließende unbefristete Stelle gelten wenn sie hingegen die Einschätzung teilen, dass sie können und damit überhaupt erst einen Einstieg in am Arbeitsmarkt praktisch keine Chancen auf eine den Arbeitsmarkt ermöglichen. So kann eine Befris- gleichwertige Stelle hätten. tung auch einen Neuanfang oder Einstieg bedeuten und damit ein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt dar- Ähnliches gilt bei Erwerbstätigen, die sich einige stellen (Beckmann et al., 2009, 5 ff.). Eine deskriptive Sorgen um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes Auswertung mit dem SOEP zur Arbeitszufriedenheit machen: Hier sinkt der Anteil der Hochzufriedenen bestätigt daher das erwartete uneinheitliche Bild von rund 51 Prozent auf knapp 35 Prozent, wenn (Lesch et al., 2011, 50). Demnach lag der Anteil der sich die Einschätzung hinsichtlich der Chancen, Hochzufriedenen bei befristet Beschäftigten im Jahr eine gleichwertige Stelle am Arbeitsmarkt zu finden, 2008 bei rund 48 Prozent, während er bei unbefristet von „leicht“ auf „praktisch unmöglich“ ändert. Wenig Beschäftigten etwa 44 Prozent betrug. 17
Glück im Job Kapitel 3 3.4 Qualifikationsgerechte Aufgaben einer Änderung der eigenen Ansprüche auch die Zufriedenheit teilweise stark variieren kann und sich Mit Blick auf die wissenschaftliche Literatur scheint diese im Wesentlichen aus Vergleichsprozessen der empirische Zusammenhang von tatsäch ableitet. Dabei spielt der eigene Status eine wichtige licher Qualifikation und Lebenszufriedenheit nicht Rolle (Reisch, 2003; Frank, 1985). eindeutig. So existieren Indizien für eine mit der Bildungszeit beziehungsweise mit dem Bildungs- Häufig wird zudem auf das Zusammenspiel von er- niveau steigende Lebenszufriedenheit, während forderlicher und tatsächlicher Qualifikation verwiesen auch negative oder teilweise statistisch insignifikante (Tsang et al., 1991; Verhaest/Omey, 2008). Tabelle 5 Effekte dokumentiert sind (Blanchflower/Oswald, zeigt, dass sich vor allem eine Überqualifikation 2011; Knabe/Rätzel, 2008a; Ferrer-i-Carbonell, negativ auf die Lebenszufriedenheit auswirkt. So 2005). Die Ergebnisse der vorliegenden Auswer- sinkt der Anteil der Hochzufriedenen, wenn nur eine tung deuten auf einen positiven Zusammenhang niedrigere als die eigene Qualifikation am Arbeitsplatz mit der Lebenszufriedenheit hin (vgl. Spalte „Alle“ erforderlich ist. Zudem erhöht sich bei qualifikations in Tabelle 5). Dabei wird davon ausgegangen, dass adäquater Tätigkeit (hervorgehobene Felder) die durch eine höhere Bildung die beruflichen Möglich- Zufriedenheit mit dem Bildungsgrad. keiten zunehmen, beispielsweise aufgrund besserer Beförderungschancen oder interessanterer Tätig Interessanterweise steigt der Anteil der Hochzu- keiten. Allerdings ist ebenfalls bekannt, dass mit friedenen, wenn die geforderte Qualifikation höher kalou1927/Fotolia 18
Hochzufriedene nach tatsächlicher und im Job erforderlicher Ausbildung Tabelle 5 im Jahr 2010, in Prozent Höchster Bildungsabschluss Erforderliche Ausbildung Keine Abge Hochschul Alle Berufs schlossene ausbildung ausbildung Berufs ausbildung Kein Abschluss 42,4 49,9 k. A. 45,0 Berufsausbildung/Fachschule, Meister 39,3 47,4 56,4 46,2 Fach-/Hochschulstudium k. A. 53,8 57,7 56,0 Alle 40,4 47,9 57,2 48,4 k. A.: keine Angabe wegen geringer Fallzahlen. Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen als die vorhandene Qualifikation ausfällt. Offenbar 3.5 Aufstiegserwartungen und schadet es der eigenen Zufriedenheit nicht, wenn Aufstiegsmobilität eine höherwertige Tätigkeit ausgeübt wird, für welche die eigene Qualifikation formal nicht ausreicht. Die Theorie positionaler Güter nach Hirsch (1980) fasst das kontinuierliche Streben von Menschen Eine Erklärung dafür könnte sein, dass der negative nach einer Verbesserung ihrer Situation und ins Effekt einer fehlenden Passgenauigkeit durch zwei besondere nach Anerkennung und Bewunderung andere Effekte überkompensiert wird: Erstens steht in ihrer gesellschaftlichen Umgebung in einem eine höhere erforderliche Qualifikation für einen ökonomischen Denkansatz zusammen. Bezogen komplexeren Arbeitsinhalt, eine anspruchsvollere auf die Arbeitswelt lässt sich daraus vor allem das Aufgabe und mehr Autonomie am Arbeitsplatz. Da Streben nach einer Führungsposition ableiten. mit zunehmenden Herausforderungen und höherer Technisch ausgedrückt kann dieses sogenannte Autonomie tendenziell auch die Zufriedenheit wächst, Positionsgut aus investiven und/oder konsumtiven verwundert es nicht, dass mit den qualifikatorischen Gründen nachgefragt werden: Ein Positionsgut Anforderungen auch der Anteil der Hochzufriedenen hat den Charakter eines investiven Guts, wenn es ansteigt (vgl. Zeile „Alle“ in Tabelle 5). nur deshalb nachgefragt wird, um andere Güter zu erwerben, die ohne das Positionsgut nicht Zweitens könnte ein Statuseffekt von Bedeutung erreichbar wären, wie zum Beispiel der Zugang zu sein. Höherwertige Berufspositionen – vor allem bestimmten Clubs oder Informationen. Ein Positions- leitende Positionen – werden nicht selten aufgrund gut hat hingegen den Charakter eines konsumtiven von Statuserwägungen angestrebt. Motive sind Guts, wenn es nur wegen des Bedürfnisses nach eine höhere Anerkennung und Wertschätzung im Wertschätzung oder Anerkennung angestrebt wird beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld. So hat (Reisch, 2003). die Forschung gezeigt, dass sich Zufriedenheit gerade aus Vergleichsprozessen ableitet, wenn die Häufig dürften Positionsgüter in konsumtiver Weise eigene Position in Relation zu der Position von ande- genutzt werden und damit auch den Selbstwert und ren Personen aufgewertet wird (Frank, 1985). die Zufriedenheit erhöhen. Im Detail haben beispiels- 19
Glück im Job Kapitel 3 Hochzufriedene nach Aufstiegswahrscheinlichkeit¹ Abbildung 5 im Jahr 2009 ², in Prozent Niedrig 42,9 Mittel 43,8 Hoch 63,7 ¹ Wahrscheinlichkeit eines beruflichen Aufstiegs beim jetzigen Arbeitgeber in den nächsten zwei Jahren. ² Keine Daten für das Jahr 2010 verfügbar. Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen Sozialer Auf- und Abstieg Tabelle 6 Durchschnittliche Veränderung der Lebenszufriedenheit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Jahren im Zeitraum von 1994 bis 2010, in Prozent Einkommensquintil in t Einkommensquintil in t+1 1 2 3 4 5 1 0,2 1,1 2,9 4,4 2,9 2 –1,7 –0,4 0,9 1,8 3,7 3 –3,5 –2,3 –0,7 0,6 1,7 4 1,9 –2,2 –2,1 –0,6 0,4 5 –3,8 –2,3 –0,6 –1,5 –0,4 Lesehilfe: Bei Personen des ersten Einkommensquintils (unterste von fünf Einkommensgruppen), die im Folgejahr in das zweite Einkommensquintil aufgestiegen sind, konnte eine durchschnittliche Zunahme der Lebenszufriedenheit um 1,1 Prozent beobachtet werden; Grundlage: Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen. Quellen: SOEP, 2011; eigene Berechnungen Anmerkungen Für die Frage, ob einer Person der soziale Aufstieg gelingt oder nicht, wird typischerweise dem Netto einkommen eines Haushalts die entscheidende Bedeutung beigemessen. Daher werden für die Unter suchung der Einkommensmobilität zunächst die Nettohaushaltseinkommen ermittelt und mit der Zahl der Haushaltsmitglieder äquivalenzgewichtet. Die daraus resultierenden Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen werden ihrer Höhe nach in fünf Gruppen (Einkommensquintile) gegliedert. Beispielsweise umfasst das erste Einkommensquintil die untersten 20 Prozent der Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen. Die Tabelle zeigt, wie sich die durchschnittliche Lebenszufriedenheit verändert hat (in Prozent), wenn alle denkbaren Übergänge zwischen zwei aufeinanderfolgenden Jahren (t und t+1) im Zeitraum von 1994 bis 2010 betrachtet werden. Alle Felder über (unter) den hell unterlegten Zellen markieren soziale Aufstiege (Abstiege) um mindestens ein Einkommensquintil. 20
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