PERSONALREPORT ÖFFENTLICHER DIENST 2019 - DGB

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PERSONALREPORT ÖFFENTLICHER DIENST 2019 - DGB
PERSONALREPORT
ÖFFENTLICHER DIENST

              2019
PERSONALREPORT ÖFFENTLICHER DIENST 2019 - DGB
INHALT
Einleitung .................................................................................................................................... 3
Kapitel 1: Der öffentliche Dienst auf einen Blick .......................................................................... 4
Kapitel 2: Aufgabenbereiche des öffentlichen Dienstes nach Geschlecht ..................................... 6
Vor Ort nachgefragt: Personalnot beim Arbeitsschutz ..................................................... 8
Kapitel 3: Langfristige Veränderungen im Personalstand............................................................ 14
Kapitel 4: Der öffentliche Dienst im europäischen Vergleich....................................................... 16
Vor Ort nachgefragt: Arbeiten im Bürgeramt................................................................... 18
Kapitel 5: Prekäre Beschäftigung im öffentlichen Dienst ........................................................... 24
Kapitel 6: Altersstruktur der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ............................................. 26
Kapitel 7: Teilzeit im öffentlichen Dienst .................................................................................... 31
Kapitel 8: Ausbildung im öffentlichen Dienst ............................................................................. 32
Kapitel 9: Zusammenschau......................................................................................................... 33
Resümee und Forderungen: Was für einen öffentlichen Dienst wollen wir? .................... 34
Anhang: Arbeitsorte des öffentlichen Dienstes .......................................................................... 38
Weiterlesen! .............................................................................................................................. 41
Mitmachen! Acht Gute Gründe Mitglied zu werden! ................................................................. 42
Impressum ................................................................................................................................. 43
PERSONALREPORT ÖFFENTLICHER DIENST 2019 - DGB
Einleitung
Polychlorierte Biphenyle, bekannt unter dem Kürzel PCB, sind hochgiftige und
krebserregende Chlorverbindungen. Seit 1989 ist der Einsatz in Deutschland
verboten. Mit PCB verseuchte Gerätschaften, zum Beispiel Transformatoren, lagern
in unterirdischen Sondermülldeponien. In Zeiten hoher Rohstoffpreise ist es
aber lukrativ, diese kontaminierten PCB-Trafos zu bergen und zerlegen zu lassen.
Eine Firma aus Dortmund war darauf spezialisiert, ignorierte aber grundlegendste
Arbeits- und Umweltschutzvorschriften. Die Folge: Im Blut der Beschäftigten,
die ungeschützt mit dem Gift in Berührung kamen, wurden massiv erhöhte
PCB-Werte gefunden.

ARBEITSSCHUTZ? FEHLANZEIGE                             Dienst. Diese Bestandsaufnahme betrachtet zum
2010 wurde die Presse auf das Unternehmen auf-         Beispiel den Personalstand, die Altersstruktur und
merksam und machte die Verstöße öffentlich. Die        Befristungsquoten.
staatlichen Aufsichtsbehörden waren zuvor den vor-
liegenden Hinweisen nicht konsequent nachgegan-        BEDARFSGERECHTE PERSONAL-
gen. Dieses Versagen beim Arbeitsschutz fällt in die   AUSSTATTUNG: EIN MUSS
Zeit der politisch gewollten Verschlankung der Auf-    Die Situation in Aufsichtsbehörden und Bürgeräm-
sichtsbehörden – nicht nur in Nordrhein-Westfalen.     tern steht stellvertretend für ein Problem, das den
Die für die Kontrolle des Arbeitsschutzes zuständige   öffentlichen Dienst insgesamt betrifft: zu wenig
Bezirksregierung betrachtet in der internen Auf-       Personal. Im Vergleich zum Vorjahr gab es zwar
arbeitung die dünne Personaldecke als »zweifellos      erneut einen Personalzuwachs. Ein differenzierter
wesentliche Ursache« für den Skandal.                  Blick macht aber deutlich, dass von einer vernünf-
                                                       tigen Personalausstattung weiterhin keine Rede
VOR ORT NACHGEFRAGT                                    sein kann. Für den DGB und seine Gewerkschaften
Hat sich die Personalausstattung der Arbeitsschutz-    ist eine bedarfsgerechte Personalausstattung daher
aufsicht in den vergangenen Jahren wieder ver-         eines der zentralen Anliegen.
bessert? Die Rubrik »Vor Ort nachgefragt« gibt
Antworten. In dem Heftschwerpunkt des DGB Per-
sonalreports kommen diejenigen zu Wort, die mit                          Die Situation in
der vorhandenen Personaldecke umgehen müssen                             Aufsichtsbehörden und
und die alltäglichen Folgen der Sparpolitik erleben.                     Bürgerämtern steht
In diesem Jahr ist das zum einen der Arbeitsschutz-                      stellvertretend für
inspektor und ver.di Vertrauensmann Peter Heimer.                        ein Problem, das den
Im zweiten Schwerpunkt berichtet der Personalrat                         öffentlichen Dienst
Stefan Wiarda über die Arbeitsbedingungen in Bür-                        insgesamt betrifft:
gerämtern. Die übrigen Kapitel des DGB Personalre-                       zu wenig Personal.
ports werfen auf Basis der Zahlen des Statistischen
Bundesamtes Schlaglichter auf den öffentlichen

                                                                                     DGB | Personalreport 2019   3
PERSONALREPORT ÖFFENTLICHER DIENST 2019 - DGB
KAPITEL 1

    Der öffentliche Dienst
    auf einen Blick

        Laut dem Statistischen Jahrbuch                      Am Stichtag 30.6.2018 absolvierten
        lebten 2018 in Deutschland                           insgesamt

                                                             235.255
        82,5 Millionen Menschen. Darunter
        waren                                                                         Personen

        44,2 Millionen
                                                             eine Ausbildung im öffentlichen Dienst.
                                                             Der Frauenanteil betrug dabei 58,8 Prozent.
        Erwerbstätige,

                                                             26,9 %
        von denen 90,3 Prozent abhängig
        beschäftigt, also Angestellte,                                            der Beschäftigten
        BeamtInnen oder Auszubildende waren.                 im öffentlichen Dienst waren 2018
        Quelle: Statistisches Jahrbuch 2018                  älter als 55 Jahre und werden
                                                             in den nächsten 10 Jahren in den
                                                             Ruhestand gehen.

        4,8 Millionen                                    Von allen Beschäftigten im öffentlichen Dienst
        Menschen waren zum Stichtag 30.6.2018 im         waren im Jahr 2018

                                                         1.571.375
        öffentlichen Dienst beschäftigt. Im Vergleich
        zum Vorjahr sind das 62.960 zusätzliche                                          in Teilzeit
        Beschäftige.                                     tätig, also 32,7 Prozent (einschl. Altersteilzeit).

        1.687.975                        BeamtInnen      50,4 %
        und RichterInnen arbeiteten 2018 im              der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind
        öffentlichen Dienst. Das ist ein Anteil von      in den Ländern tätig, da personalintensive
        35,1 Prozent. Der Frauenanteil liegt in diesem   Aufgaben wie das Bildungswesen oder
        Bereich bei 51,3 Prozent.                        der überwiegende Teil der Polizei in deren
                                                         Zuständigkeitsbereich fallen.

4   DGB | Personalreport 2019
PERSONALREPORT ÖFFENTLICHER DIENST 2019 - DGB
2.947.270
                                                                      452.785 der ArbeitnehmerInnen im
                                                                      öffentlichen Dienst arbeiteten im Jahr 2018
    ArbeitnehmerInnen arbeiteten 2018                                 auf Basis eines befristeten Arbeitsvertrages.
    im öffentlichen Dienst. Das ist ein                               Das ist eine Befristungsquote von

                                                                      15,4 %
    Anteil von 61,4 Prozent. Dabei lag der
    Frauenanteil bei 62,9 Prozent.

                                                                          BESCHÄFTIGTE IM ÖFFENTLICHEN

    57 %                                                                  DIENST NACH
                                                                          BESCHÄFTIGUNGSBEREICHEN
    der Beschäftigen im öffentlichen Dienst
    waren im Jahr 2018 Frauen, in absoluten                                 Sozialversicherung
    Zahlen sind das 2.736.625                                                                                  Bund
                                                                                         368.150 496.295
    In der Kindertagesbetreuung lag der
                                                                                           7,7 % 10,3 %
    Anteil der Frauen mit 94,7 Prozent
    überdurchschnittlich hoch, bei der Polizei
    mit                                                                        1.518.595

    28,4 %
                                                                                 31,6 %
                               deutlich niedriger.                                                      2.419.840
                                                                           Kommunen                       50,4 %
    2018 betrug der
    Frauenanteil in Führungspositionen
    in den obersten Bundesbehörden                                                                               Länder

    34 %           – das ist ein Anstieg                                    DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt,
    zu 2015 um 1,7 Prozentpunkte.                                         Fachserie 14, Reihe 6, 2018, Tab. 1.2.1
    Bis 2025 will der Bund 50 Prozent
    erreichen.
                                                                                                                     Abbildung 1
    Quelle: Gleichstellungsindex 2018

Quellen auf dieser Doppelseite, soweit nicht anders vermerkt: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2018

                                                                                                            DGB | Personalreport 2019   5
KAPITEL 2

    Aufgabenbereiche des
    öffentlichen Dienstes nach
    Geschlecht
    Der Anteil der weiblichen Beschäftigten im öffentli-                  Bei näherer Betrachtung der Aufgabenbereiche
    chen Dienst stieg in den vergangenen Jahren kon-                      zeigt sich aber, dass die Frauen- und Männeranteile
    tinuierlich an. Im Juni 2018 waren 57 Prozent aller                   je nach Tätigkeitsfeld stark variieren. In der Kinder-
    Beschäftigten Frauen. In absoluten Zahlen sind das                    tagesbetreuung (94,7 Prozent) und im Schuldienst
    rund 2,74 Millionen. In der Nachkriegs-BRD der                        (72 Prozent) ist der Anteil der Frauen beispielsweise
    Fünfzigerjahre lag der Frauenanteil lediglich bei 19                  überdurchschnittlich hoch, in der Verteidigung (18,2
    Prozent. Unterschiede gibt es auch zwischen dem                       Prozent), im Verkehr- und Nachrichtenwesen (20,6
    früheren Bundesgebiet und den »neuen Ländern«, in                     Prozent) sowie bei der Polizei (28,4 Prozent) liegt er
    denen 61,4 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen                  deutlich niedriger.
    Dienst weiblich waren. Im früheren Bundesgebiet lag
    der Frauenanteil 2018 dagegen bei 56,2 Prozent.
                                                                                                                        Tabelle 1

    Abbildung 2

        WEIBLICHE BESCHÄFTIGTE IM ÖFFENTLICHEN DIENST NACH AUFGABENBEREICHEN

                  Kindertagesbetreuung nach SGB VIII                                                         94,7 %

                       Krankenhäuser und Heilstätten                                               73,2 %

         Allgemeinbildende und berufliche Schulen                                                  72,0 %

          Politische Führung u. zentrale Verwaltung                                       58,1 %

                     Öffentlicher Dienst insgesamt                                        57,0 %

                                        Finanzverwaltung                                  56,4 %

       Wohnungswesen, Städtebau, Raumordnung                                 35,6 %

                                                      Polizei           28,4 %

                     Verkehrs- und Nachrichtenwesen                20,6 %

                                              Verteidigung 18,2 %

           DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2018, Tab. 2.9

6   DGB | Personalreport 2019
BESCHÄFTIGTE NACH AUFGABENBEREICHEN UND BESCHÄFTIGTENSTATUS (KÖPFE)

 Aufgabenbereich                                          Insgesamt               BeamtInnen,      Arbeit­
                                                                                  RichterInnen,    nehmerInnen
                                                                                  SoldatInnen

 insgesamt                                                       4.802.885                38,6 %             61,4 %

 Allgemeine Dienste                                              1.595.345                60,6 %             39,4 %

 Politische Führung und zentrale Verwaltung                         497.330               30,3 %              69,7 %

 Auswärtige Angelegenheiten                                            9.325              31,2 %              68,9 %

 Verteidigung                                                       236.845               80,4 %              19,6 %

 Öffentliche Sicherheit und Ordnung                                 483.400               71,4 %              28,6 %

 darunter Polizei                                                   327.430               85,7 %              14,3 %

 Rechtsschutz                                                       180.535               65,4 %              34,6 %

 Finanzverwaltung                                                   187.905               85,0 %              15,0 %

 Bildungswesen, Wissenschaft, Forschung,                         1.658.685                43,4 %             56,6 %
 kulturelle Angelegenheiten

 darunter: Allgemeinbildende                                        950.085               67,2 %              32,8 %
 und berufliche Schulen

 Hochschulen                                                        558.020               10,5 %              89,5 %

 Soziale Sicherung, Familie und Jugend,                            823.445                 8,3 %             91,7 %
 Arbeitsmarktpolitik

 darunter Kindertagesbetreuung                                      235.900                0,7 %              99,3 %
 nach SGB VIII

 Gesundheit, Umwelt, Sport und Erholung                            252.320                 5,6 %             94,4 %

 darunter Krankenhäuser und Heilstätten                             142.140                0,7 %              99,3 %

 Wohnungswesen, Städtebau, Raumordnung                             128.325                14,2 %             85,8 %
 und kommunale Gemeinschaftsdienste

 Ernährung, Landwirtschaft und Forsten                              46.070                30,9 %             69,1 %

 Energie- und Wasserwirtschaft, Gewerbe,                           153.695                 9,7 %             90,3 %
 Dienstleistungen

 Verkehrs- und Nachrichtenwesen                                    134.765                28,2 %             71,8 %

 Finanzwirtschaft                                                   10.230                16,1 %             83,9 %

 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2018, Tab. 2.8.1

                                                                                                   DGB | Personalreport 2019   7
VOR ORT NACHGEFRAGT

    Personalnot beim Arbeitsschutz
    Arbeit darf nicht krank machen. In Deutschland soll das nicht zuletzt durch
    Gesetze und Verordnungen erreicht werden. Das Problem: Zu viele Betriebe halten
    sich nicht daran. Fehlende Schutzkleidung und gefährliche Baustellen, Hetze
    und Arbeitsverdichtung, monotone Arbeit und Überstunden – all das gefährdet
    die Gesundheit der Beschäftigten. Deshalb ist der Staat gefordert. Seine
    Arbeitsschutzaufsicht hat weitreichende Befugnisse. Sie hat freien Zugang
    zu den Arbeitsorten, kann Auflagen erteilen, Bußgelder verhängen oder einen
    Betrieb stilllegen. Der DGB Personalreport hat sie sich näher angeschaut.

    IMMER WENIGER KONTROLLEN                                    Arbeitsbedingungen vorfinden. Die InspektorInnen
    Die AufsichtsbeamtInnen arbeiten mit Herzblut und           sind meistens alleine unterwegs. Hinrich Witte etwa
    hohem ideellen Einsatz. Dennoch geht die Zahl der           hat in Niedersachsen lange Zeit Baustellen kontrol-
    Betriebskontrollen seit Jahren zurück. Zwischen             liert. Er vertritt die DGB-Gewerkschaften im Landes-
    2002 und 2017 ist sie von 479.565 auf 182.504               ausschuss für Arbeitsschutz. »Wissenstransfer, eine
    regelrecht eingebrochen. Ein Grund: Die Aufsicht            gute Einarbeitung durch erfahrene Kollegen und
    verfügt über deutlich weniger Personal. Zwischen            eigene Berufspraxis sind extrem wichtig«, erklärt er.
    2002 und 2017 ist die Personaldecke um ein Viertel          Denn in der aktiven risikoorientierten Überwachung
    geschrumpft.1 In allen Bundesländern liegt sie unter        entscheidet man selbst, welcher Betrieb kontrolliert
    der ILO-Benchmark von einer Aufsichtsperson für             wird. Ohne fundiertes Wissen unmöglich.
    10.000 Beschäftigte.
                                                                KAUM ZEIT FÜR EIGENE IMPULSE
    ERFAHRUNG IST TRUMPF                                        Die Bundesländer haben vereinbart, dass die Auf-
    Wenn die Arbeitsschutzaufsicht kontrolliert, macht          sicht höchstens 75 Prozent reaktiv arbeitet und min-
    sie das unangemeldet. Nur so kann sie realistische          destens 25 Prozent proaktiv.2 Oft muss der staatliche
                                                                Arbeitsschutz reagieren: Anträge auf Sonntags-
                                                                arbeit, Beschwerden, Arbeitsunfälle. Proaktive Kont-
                                                                rollen werden selbst initiiert und nehmen besondere
        WER IST ZUSTÄNDIG?                                      Brennpunkte in den Blick. 25 Prozent werden dafür
        Bei der staatlichen Arbeitsschutzaufsicht haben die
                                                                in den meisten Bundesländern aber nicht erreicht.
        Länder den Hut auf. Sie sieht je nach Bundesland
        sehr unterschiedlich aus. Die lokalen Aufsichtsämter    Zu wenig Personal, zu viele Aufgaben: »Wir kön-
        kontrollieren branchenübergreifend, ob Gesetze und      nen uns nicht in 27 Teile teilen«, kommentiert Peter
        Verordnungen eingehalten werden (Arbeitsschutz-
        gesetz, Baustellenverordnung, …). Daneben steht im
                                                                Heimer seinen Arbeitsalltag im folgenden Interview.
        Dualen System die gesetzliche Unfallversicherung.
        Berufsgenossenschaften und Unfallkassen beraten
        und kontrollieren Betriebe der jeweiligen Branche.
        Ihre Aufgaben ergeben sich aus dem Sozialgesetz-        1 |	Quelle: SUGA-Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz
        buch, sie sollen arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren,        und Arbeitsmedizin, Tab. TG 2. Online unter www.baua.de
        Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten verhüten.          2 |	Vgl. Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstech-
                                                                     nik (LASI): LV 1 – Grundsätze und Standards, S. 27. Online
                                                                     unter www.lasi-info.com

8   DGB | Personalreport 2019
ZAHLEN & FAKTEN

564          tödliche Arbeitsunfälle gab                  Um    64 %          ging zwischen 2001 und
es in Deutschland im Jahr 2017. Die Zahl                  2017 die Gesamtzahl der Besichtigungen zurück
meldepflichtiger Arbeitsunfälle betrug 954.627.           (von 507.224 auf 182.504).
Quelle: SUGA, Tab. TM 2                                   Quelle: SUGA, Tab. TG 1

Um    29,8 %               sank die Zahl der              351.815                    Beanstandungen durch
AufsichtsbeamtInnen in Deutschland zwischen               die Arbeitsschutzaufsicht gab es in Deutschland
2002 und 2013 (von 4.183 auf 2.935).                      2017, das sind 62,8 % weniger als im Jahr 2001.
Ab 2014 wurde die Statistik umgestellt, 2017              Quelle: SUGA, Tab. TG 3
lag die Zahl bei 3.151.
Quelle: SUGA, Tab. TG 2
                                                          ANZAHL BESCHÄFTIGTE PRO

      52 %
                                                          ARBEITSSCHUTZINSPEKTORiN
Nur                    der Betriebe in Deutschland
führt eine Gefährdungsbeurteilung durch.                    Schleswig-Holstein
In nur 22 Prozent aller Betriebe findet eine                24.922                     Mecklenburg-Vorpommern
Gefährdungsbeurteilung mit Fokus auf psychische                                                              14.440
                                                                               Hamburg
Belastungen statt.
                                                       Bremen                  22.075
Quelle: BT-Drucksache 19/10801
                                                       25.025                                               25.757
                                                                        Niedersachsen
                                                                                                            Berlin

22,5 Jahre
                                                                        16.117
                                                                                Sachsen-Anhalt             Brandenburg
dauert es im Durchschnitt, bis ein Betrieb                                          17.389                 17.552
                                            Nordrhein-Westfalen
nach einer Arbeitsschutzkontrolle
                                                   27.150
erneut kontrolliert wird. 2007 lag der                                              Thüringen           Sachsen
durchschnittliche Abstand zwischen                          Hessen                   15.273             17.889
zwei Kontrollen noch bei 10,5 Jahren.                       22.058
Quelle: BT-Drucksache 19/7218
                                         Rheinland-Pfalz                                                 ILO-Zielmarke
                                                 25.641                                 Bayern
                                                                                                         10.000
                                                                                        38.526

Um    40 %             ging im Bundesgebiet
                                                     Saarland
                                                     26.983        Baden-Württemberg
zwischen 2001 und 2017 die Zahl der von der                            21.176
Arbeitsschutz­aufsicht verhängten Strafanzeigen,          Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2019):
Bußgelder, Verwarnungen und Anordnungen                   Erwerbstätige in den Ländern der BRD, Reihe 1, Band 1, Tab. 3.0,
                                                          S. 74 f. (Daten für 2017); SUGA 2017, Tab. TG 2 (BeamtInnen
zurück (von 21.329 auf 12.808).                           mit A-Aufgaben). BW: Schätzung Anzahl »BeamtInnen mit
Quelle: SUGA, Tab. TG 4                                   A-Aufgaben« analog SLIC-Report 2017

                                                                                                DGB | Personalreport 2019    9
ZUR PERSON
                                                                              Peter Heimer arbeitet als Aufsichts­
                                                                              beamter im betrieblichen Arbeitsschutz
                                                                              für die Bezirksregierung Düsseldorf.
                                                                              Das Interview gibt er als ver.di-Ver­
                                                                              trauensmann. Peter Heimer hat mit
                                                                              17 eine kaufmännische Ausbildung ab-
                                                                              solviert, danach Tischlermeister gelernt
                                                                              und einige Jahre in dem Beruf ge­ar­
                                                                              beitet. Eine Schulung der Berufsgenos-
                                                                              senschaft Holz weckte sein Interesse
                                                                              für den Arbeitsschutz. Er bewarb sich
                                                                              bei der Gewerbeaufsichtsverwaltung
                                                                              Nordrhein-Westfalen und begann am
                                                                              1. Juli 1990 eine acht­zehn-monatige
                                                                              Ausbildung im mittleren Dienst. Danach

     »Wir können
                                                                              kontrollierte er Betriebe im Mess- und
                                                                              Prüfdienst. Nach dem Laufbahn­wechsel
                                                                              in den gehobenen Dienst untersucht er
                                                                              seit 2003 Gefahrstoffe. In der Bezirks­

     uns nicht
                                                                              regierung Düsseldorf arbeiten 166
                                                                              Beschäftigte im Arbeitsschutz, in Nord-
                                                                              rhein-Westfalen 722. Darunter sind 519
                                                                              AufsichtsbeamtInnen,von ihnen aber

     in 27 Teile
                                                                              nur 316 mit reinen Arbeitsschutzaufgaben
                                                                              (A-Aufgaben lt. LASI LV 1).

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     Arbeitsschutzaufsicht mit Schwerpunkt Ge-             Leute. Ein weiteres Drittel geht fahrlässig vor und
     fahrstoffe und biologische Arbeitsstoffe – was        regelt bestimmte Dinge nicht. Und ein letztes Drit-
     kann man sich darunter vorstellen?                    tel vernachlässigt den Arbeitsschutz systematisch.
     Peter Heimer: Ich gehe in Hochrisikobetriebe, die     Die erreicht man manchmal noch, wenn man den
     mit krebserzeugenden Stoffen hantieren, zum Bei-      richtigen Ton trifft. Ein kleiner Teil von denen macht
     spiel mit Nickelverbindungen. Ich bin häufig in der   das aber bewusst, um Geld zu sparen. Das sind
     Stahlindustrie unterwegs. Oder in Kliniken, die mit   Kriminelle, die muss man hart bestrafen. Die las-
     multiresistenten Erregern umgehen. Oder ich sorge     sen Leute ohne Schutzausrüstung jegliche Arbeiten
     dafür, dass Feuerwehrleute ihre Uniform nicht zu      machen.
     Hause waschen. Da stecken nach dem Einsatz PAKs
     drin – ebenfalls krebserzeugend.                      Was muss eine Person mitbringen, um in der
                                                           Aufsicht zu arbeiten?
     Kümmern sich Betriebe in Deutschland um die           Mehrere Jahre Berufspraxis. Du musst die Realität in
     Gesundheit der Beschäftigten?                         den Betrieben kennen: die Hierarchien, die Knack-
     Ein Drittel der Betriebe arbeitet eigenständig im     punkte, den Termindruck. Du brauchst fundiertes
     Arbeitsschutz. Sie denken mit und schützen ihre       Wissen. Und du brauchst Empathie, die Arbeitsbe-

10   DGB | Personalreport 2019
dingungen von Menschen müssen dich berühren.                              Unser Kerngeschäft ist
Da geht es um Würde, dafür brauchst du ein Gespür.                        die Besichtigung von
                                                                          Betrieben, da sind die
Was heißt das konkret?                                                    Zahlen rapide in den Keller
Es gab Schwerpunktkontrollen zur Leiharbeit. Ich                          gegangen.
habe mir da im Betrieb gezielt die Sozialräume an-
geschaut. Es gab Umkleiden mit guten Spinden, es
gab separate Räume mit schlechten Spinden für
Fremdfirmen. Und die Leiharbeiter hatten nichts,
die mussten sich vor der Stempeluhr umziehen. Sie       kräfte weg, der Anteil administrativer Arbeit ist
standen dort in Unterhose, alle anderen liefen an       massiv angestiegen. Einmal in der Woche haben wir
ihnen vorbei. Ich hab den Verantwortlichen gefragt,     Telefondienst, das nennt sich Servicetag. Da werde
wie er sich da fühlen würde. Erfahrung plus Empa-       ich ständig bei meiner Arbeit unterbrochen. Beides,
thie, das macht das Berufsethos aus.                    Personalabbau und Aufgabenzuwachs, frisst unsere
                                                        Kernaufgabe auf.
Wie hat sich die Personalausstattung der Ar-
beitsschutzverwaltung verändert?                        Wie wirkt sich das aus?
Seit Mitte der Neunzigerjahre wurde ein gutes Drit-     Früher konnte ich drei Tage pro Woche in den Au-
tel des Personals weggekürzt. Es gab zwei Trends,       ßendienst, heute eineinhalb. Meine Zielvorgabe,
beide zu unserem Nachteil. Erstens war es in der        150 Betriebe im Jahr aufzusuchen, habe ich in guten
Hochphase des Neoliberalismus nicht schick, Beam-       Zeiten geschafft – heute nicht mehr. Wir können uns
te zu beschäftigen und Betriebe zu kontrollieren.       nicht in 27 Teile teilen. Unser Kerngeschäft ist die
Es gab ein Mantra der politisch Verantwortlichen:       Besichtigung von Betrieben, da sind die Zahlen rapi-
»Das Arbeitsschutzsystem greift!« Sie glaubten,         de in den Keller gegangen. Es vergehen rechnerisch
dass jeder Betrieb eine Sicherheitsfachkraft habe       35 Jahre, bis ich einen Betrieb nach einer Kontrolle
und Überwachung überflüssig sei. Die Realität war       erneut aufsuche, Tendenz Richtung 40. Daran gibt
eine andere, aber der Personalabbau wurde so be-        es nichts zu deuteln. Die Leidtragenden sind die Be-
gründet. Zweitens gab es eine ungeheure Sparwut.        schäftigten, die wir nicht zu sehen bekommen. Die
Ich habe im Mess- und Prüfdienst gearbeitet, der        in Hinterhöfen in kleinen Dienstleistungsunterneh-
wurde komplett runtergefahren. Weniger Personal,        men arbeiten. Oder als Subunternehmer, als Dritte in
weniger Geld. Teure Messgeräte standen nur noch         der Kette, und in der Stahlindustrie irgendwo sauber
im Schrank. Mein Aufsichtsbezirk wurde deutlich         machen. Wir schaffen nicht, das zu kontrollieren.
größer, mit viel mehr Beschäftigten: Essen, Duisburg,
Oberhausen und Mülheim an der Ruhr.                     Solche Jobs sind prekär – und gleichzeitig
                                                        schwerer zu überwachen?
Die geschrumpfte Personaldecke soll also grö-           Die Baustellenüberwachung ist ein Beispiel, meine
ßere Regionen abdecken?                                 Kollegen reiben sich auf. Als ich 1990 anfing, war
Nicht nur das. Das Personal, was noch da ist, hat       das schon nicht einfach. Aber die heutige Struktur
auch wesentlich mehr Aufgaben. Es ist ein riesi-        mit den Subunternehmen ist schlimm. Der Chef ist
ger Wust, und vieles davon sind B-Aufgaben jen-         nicht greifbar, der Bauherr interessiert sich nicht.
seits des Arbeitsschutzes. Verbraucherschutz zum        Man will den aktuellen Bauboom mit geringen Kos-
Beispiel. Der ist wichtig, er gehört aber nicht zum     ten und geringen Kontrollen stemmen. Die Folge:
Arbeitsschutz. Dann sind unsere Unterstützungs-         Eine Generation osteuropäischer Bauarbeiter wird

                                                                                      DGB | Personalreport 2019   11
gesundheitlich geschädigt, fühlt sich wertlos, zer-       allem die Phase bis 2015 war schlimm, die psychi-
     bricht. Das ist eine gesellschaftliche Schande. Und       sche Belastung war sehr hoch. Das ist nicht spurlos
     das nicht auf einer FIFA-Baustelle in Katar, sondern      an mir vorbeigegangen, auch gesundheitlich nicht.
     beim Neubau einer deutschen Hochschule.                   Viele sind über die Jahre frustriert. Sie zerbrechen
                                                               an den vielen Aufgaben und haben innerlich ge-
     Eine funktionierende Durchgriffsverwaltung                kündigt. Ich verstehe das, aber ich selbst setze mir
     müsste das unterbinden.                                   persönliche Ziele. Kleine, aber realistische Ziele, das
     Es klappt aber nicht. Im Asbestbereich haben wir es       motiviert.
     bei rund 40 Prozent der Kontrollen mit Straftaten zu
     tun. Jede einzelne Tat müssen wir bei der Staatsan-       Könnte die stärkere Digitalisierung der Arbeits-
     waltschaft anzeigen. Das Ergebnis ist immer, dass         schutzverwaltung Entlastung schaffen?
     die Verfahren eingestellt werden. Die Staatsanwalt-       Theoretisch. Im Vergleich zu den Nachbarländern
     schaften sind überlastet, die Justiz setzt Arbeits-       hinken wir aber deutlich hinterher. Es ist noch im-
     schutzrecht nicht um. Verstöße werden nicht sank-         mer die Regel, bei Betriebskontrollen handschriftlich
     tioniert und erscheinen als Bagatellen. Und bei den       Notizen zu machen und sie im Büro abzutippen. Die
     Beschäftigten kommt an, dass der Schutz ihrer Ge-         IT-Unterstützung im Außendienst ist schlecht. Sie
     sundheit nicht wichtig ist. Das ist eine fatale gesell-   kann nicht für alle gestellt werden, obwohl es Auf-
     schaftliche Entwicklung! Überall in Europa wird das       gabe des Hauses wäre. Ich habe ein Notebook mit
     Thema ernster genommen, da gibt es bei Verstößen          UMTS-Anbindung und kann mobil arbeiten. Aber
     harte Sanktionen.                                         nur, weil ich beim Vorgesetzten und in der IT-Abtei-
                                                               lung Druck gemacht habe. Ich kann mit dem mo-
     Die Situation muss für die AufsichtsbeamtIn-              bilen Drucker ein Mangelschreiben vor Ort ausdru-
     nen belastend sein.                                       cken. Wie soll ich sonst Binnenschiffer kontrollieren?
     Ja. Die Arbeit hat sich immer mehr verdichtet, es         Ich kann es dem Kapitän ja schlecht mit der Post
     wurde immer mehr. Man arbeitet von 6.30 bis 17            hinterherschicken. Insgesamt ist die Ausstattung
     Uhr und geht erschöpft nach Hause. Man häuft              nicht gut, auch beim Fuhrpark nicht. Alles zu kom-
     Überstunden an und hat keine Freizeit mehr. Vor           pliziert, zu langsam.

                                            »Die BRD hat vor über 60 Jahren das ILO Übereinkommen
                                            85 ratifiziert. Sie ist verpflichtet, unabhängige staatliche
                                            Aufsichtsbehörden zu schaffen, die den Arbeitsschutz
                                            kontrollieren. Diese Pflicht ergibt sich auch aus Art. 3 der
                                            Europäischen Sozialcharta und aus Art.4 der Rahmen-
                                            richtlinie 89/391/EWG. Die ILO hat empfohlen, dass auf
                                            10.000 Beschäftigte ein Aufsichtsbeamter kommt. Davon
     Prof. Dr. Wolfhard Kohte               sind gewisse Abweichungen möglich; aktuelle Daten
     Juraprofessor an der
                                            zeigen aber, dass Deutschland dieses Ziel unzulässig weit
     Martin-Luther-Universität
     Halle-Wittenberg                       verfehlt. Es wird Zeit, dass das korrigiert wird.«

12   DGB | Personalreport 2019
Der öffentliche Dienst ist überaltert – auch           Was muss passieren, um die Bedingungen ins-
beim Arbeitsschutz ist das Durchschnittsalter          gesamt zu verbessern?
hoch. Wird gegengesteuert?                             Fünf Punkte: erstens, ganz klar, mehr Personal. Den
An der Stelle muss ich NRW wirklich loben. Seit 2015   Aufgabenzuwachs habe ich beschrieben, und zu
wurde es besser, unsere Altersabgänge werden er-       wichtigen Zukunftsfragen kommen wir nicht flä-
setzt. Bei der Bezirksregierung Düsseldorf haben wir   chendeckend. Überwachung der Arbeitszeit, Stress,
den demografischen Wandel schon geschafft. 70          Zunahme psychischer Erkrankungen – da müssen
Prozent der Beschäftigten sind heute jünger als 40     wir uns viel besser aufstellen. 750 Aufsichtsbeam-
Jahre. Wir haben echt gute Leute bekommen, sehr        tInnen im Arbeitsschutz für NRW, das wäre vernünf-
engagiert und empathisch. Auch bei anderen Be-         tig. Zweitens brauchen wir ein Expertisezentrum
zirksregierungen geht es voran. Es gibt in NRW auch    Arbeitsschutz nach niederländischem Vorbild, mit
die Diskussion, ob wir zusätzliches Personal bekom-    Praktikern aus verschiedenen Bereichen: Gewerbe-
men. Es wäre bitter nötig.                             ärztinnen, Toxikologen, praxiserfahrende Fachleute.
                                                       Das kann uns im Hintergrund unterstützen, dort
Findet ein Wissenstransfer statt, wenn Altge-          können aber auch neue Dinge entwickelt werden.
diente in den Ruhestand gehen?                         Das ist der Schlüssel zur Veränderung dieser Verwal-
Ja, da habe ich zwei sehr positive Ansätze erlebt.     tung. Das NRW-Landesinstitut für Arbeitsgestaltung
Zum einen wird hier sehr viel Zeit in die Ausbildung   kann das mit seiner Aufgabenstellung und Perso-
investiert. Das rechne ich dieser Verwaltung hoch      nalausstattung nicht leisten. Drittens brauchen wir
an. Die Auszubildenden werden gut eingearbeitet        eine zentrale Schwerpunktstaatsanwaltschaft für
und mit in die Betriebe genommen. Und bei uns im       Arbeitsschutzdelikte in NRW und die Justiz muss
Bereich Gefahr- und Biostoffe ist auch der Wissens-    personell besser ausgestattet sein. Viertens: gute
transfer super organisiert. Jeder Standardablauf       Rahmenbedingungen, bessere Ausstattung! Dazu
wird im Wissensmanagement hinterlegt. Die Verfah-      gehören IT, Unterstützungskräfte, der Fuhrpark, aber
rensabläufe können alle nachlesen. Dadurch können      auch eine flexible Arbeitszeitgestaltung. Das ist heu-
wir das hohe Niveau unserer Arbeit halten. Ich bin     te obligatorisch. Und fünftens muss durch gezielte
stolz, dass ich daran mitwirken kann.                  Werbung unser Beruf bekannter werden.

                                        »Arbeitsschutzbehörden sehen je nach Bundesland
                                        anders aus. Für eine bessere Überwachung braucht es
                                        aber eine gemeinsame Basis: gute Kooperationsstruktu-
                                        ren, moderne Ausrichtung und Ausstattung, zeitgemäßer
                                        Datenaustausch. Außerdem wird unser Personal älter und
                                        wir müssen den Wissenstransfer stemmen. In Hamburg
                                        haben wir regelmäßig eine Qualifizierungsgruppe, dort
Dr. Volker Kregel                       funktioniert das gut. Betriebe brauchen für den Arbeits-
Direktor des Amtes für Arbeitsschutz
                                        und Gesundheitsschutz einen zukunftsfesten, verlässli-
Hamburg, Länderausschuss für Arbeits-
schutz und Sicherheitstechnik (LASI)    chen und verpflichtenden Rechtsrahmen.«

                                                                                      DGB | Personalreport 2019   13
KAPITEL 3

     Langfristige Veränderungen
     im Personalstand
     In der Nachkriegs-BRD wuchs das Personal im öf-                                                lionen. Vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjah-
     fentlichen Dienst stetig an, zwischen 1960 und 1990                                            ren gab es durch eine Ausweitung der Staatstätig-
     stieg die Zahl der Beschäftigten von 3 auf 4,68 Mil-                                           keit deutliche Personalzuwächse.

          ENTWICKLUNG DES PERSONALSTANDS, KÖPFE, IN TAUSEND

            Jahr              insgesamt                 BeamtInnen und                              Arbeit­nehmerInnen                   Frauen im
                                                        RichterInnen                                                                     öffentlichen Dienst
            1991                      6.737,8                     1.843,5 (27,4 %)                        4.637,1 (68,8 %)                                 3.155,2 (46,8 %)

            1995                      5.371,0                     1.701,1 (31,7 %)                        3.475,5 (64,7 %)                                 2.677,2 (49,8 %)

            2000                      4.908,9                     1.684,6 (34,3 %)                        3.037,8 (61,9 %)                                 2.493,5 (50,8 %)

            2005                      4.599,4                     1.691,6 (36,8 %)                        2.722,7 (59,2 %)                                  2.390,8 (52 %)

            2010                      4.586,1                     1.687,1 (36,8  %)                       2.713,4 (59,2 %)                                 2.467,2 (53,8 %)

            2015                      4.645,5                        1.671,3 (36 %)                       2.808,2 (60,5 %)                                  2.603,4 (56 %)

            2018                      4.802,9                     1.688,0 (35,1 %)                        2.947,3 (61,4 %)                                  2.736.6 (57 %)

             DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, Tab. 1.2 und 2.1

     Tabelle 2
                                                                                                                                                                     Abbildung 3

          BESCHÄFTIGTE DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, KÖPFE, IN TAUSEND
          4908,9

                   4821,1
                            4809,1

                                                                                                                                                                               4802,9
                                     4779,4

                                                                                                                                                                      4739,9
                                                                                                                                                            4689,0
                                              4669,9

                                                                                                                                         4652,5

                                                                                                                                                  4645,5
                                                                                                                                4635,2
                                                                                                                       4617,4
                                                       4599,4

                                                                                                              4602,9
                                                                                                     4586,1
                                                                4576,0

                                                                                           4547,6
                                                                         4540,6

                                                                                  4505,1
         00

                   01

                            02

                                     03

                                              04

                                                       05

                                                                06

                                                                         07

                                                                                  08

                                                                                           09

                                                                                                    10

                                                                                                              11

                                                                                                                       12

                                                                                                                                13

                                                                                                                                         14

                                                                                                                                                  15

                                                                                                                                                           16

                                                                                                                                                                     17

                                                                                                                                                                               18
       20

                 20

                        20

                                 20

                                         20

                                                   20

                                                            20

                                                                     20

                                                                             20

                                                                                      20

                                                                                               20

                                                                                                         20

                                                                                                                  20

                                                                                                                           20

                                                                                                                                    20

                                                                                                                                             20

                                                                                                                                                      20

                                                                                                                                                                20

                                                                                                                                                                          20

             DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2018, Tab. 8.1.1

14   DGB | Personalreport 2019
VERGLEICH ZUM VORJAHR, BESCHÄFTIGTE DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES,
     KÖPFE, IN TAUSEND

       Jahr                     insgesamt                   Bund                         Länder                         Kommunen                         Sozial­
                                                                                                                                                         versicherung

       30.6.2017                          4.739,9                             493,4                    2.388,9                        1.487,6                           370,1

       30.6.2018                          4.802,9                             496,3                    2.419,8                        1.518,6                           368,2

        DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, Tab. 1.2 und 2.1

Tabelle 3

Ab den Neunzigerjahren folgte eine lange Phase                                                   Abbildung 3 zeigt die Personalstandentwicklung ab
von Stellenstreichung und Personalabbau. Zwischen                                                dem Jahr 2000 nach Köpfen, Abbildung 4 zeigt sie
1991 und 2018 ist das Personal des öffentlichen                                                  nach Vollzeitäquivalenten. Das Vollzeitäquivalent
Dienstes um rund 30 Prozent von 6,74 auf 4,8 Mil-                                                gibt an, wie viele Vollzeitstellen sich rechnerisch bei
lionen Beschäftigte gesunken.                                                                    einer gemischten Personalbelegung mit Teilzeitbe-
                                                                                                 schäftigten ergeben. So wird ersichtlich, wie hoch die
Für den Stichtag 30.06.2018 verzeichnet die Per-                                                 Zahl der Erwerbstätigen wäre, wenn es nur Vollzeit-
sonalstandstatistik einen Personalzuwachs. Die                                                   arbeitsplätze gäbe. Ein Vergleich macht deutlich, dass
Beschäftigtenzahl stieg im Vergleich zum Vorjahr                                                 der Rückgang der Beschäftigtenzahlen den massiven
insgesamt um 62.960 Personen. Dies ist in erster                                                 Abbau der Stellen im öffentlichen Dienst nur zum
Linie auf eine Zunahme im kommunalen Bereich                                                     Teil widerspiegelt. Hintergrund ist der Anstieg der
(plus 31.005) und bei den Landesbeschäftigten (plus                                              Teilzeitbeschäftigung: Eine Vollzeitstelle wird immer
30.980) zurückzuführen.                                                                          häufiger von mehr als einer Person ausgefüllt.

                                                                                                                                                                   Abbildung 4

     VOLLZEITÄQUIVALENTE IM ÖFFENTLICHEN DIENST, IN TAUSEND
     4438,8

              4333,2

                       4292,1
                                 4237,9

                                                                                                                                                                             4232,7
                                                                                                                                                                    4179,2
                                                                                                                                                          4132,7
                                          4111,1

                                                                                                                                                4087,2
                                                                                                                                       4083,0
                                                                                                                             4057,4
                                                   4030,4

                                                                                                                    4026,2
                                                                                                           4001,5
                                                            3995,7

                                                                                                  3973,6
                                                                     3956,1

                                                                                        3953,8
                                                                               3921,9
    00

              01

                       02

                                03

                                          04

                                                   05

                                                            06

                                                                     07

                                                                              08

                                                                                        09

                                                                                                 10

                                                                                                           11

                                                                                                                    12

                                                                                                                             13

                                                                                                                                      14

                                                                                                                                                15

                                                                                                                                                         16

                                                                                                                                                                   17

                                                                                                                                                                             18
  20

            20

                   20

                           20

                                     20

                                              20

                                                       20

                                                                20

                                                                         20

                                                                                   20

                                                                                            20

                                                                                                      20

                                                                                                               20

                                                                                                                        20

                                                                                                                                20

                                                                                                                                          20

                                                                                                                                                   20

                                                                                                                                                             20

                                                                                                                                                                       20

        DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2018, Tab. 8.1.4

                                                                                                                                                    DGB | Personalreport 2019         15
KAPITEL 4

     Der öffentliche Dienst
     im europäischen Vergleich
     In den europäischen Ländern haben öffentliche Ar-                  In Deutschland (und ähnlich in den Niederlanden)
     beitgeber eine sehr unterschiedliche beschäftigungs-               hat der Staat als Arbeitgeber eine im Vergleich ge-
     politische Bedeutung. Am stärksten ausgeprägt ist                  ringere Bedeutung.
     der öffentliche Sektor in den skandinavischen Län-
     dern. In Schweden, Dänemark und Norwegen liegt                     Gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung geben die
     der Anteil der Beschäftigten öffentlicher Arbeitgeber              europäischen Nachbarn deutlich mehr für ihren öf-
     an der Gesamtbeschäftigung nach Zahlen der OECD                    fentlichen Dienst aus. Im Jahr 2018 haben die vier
     bei knapp 30 Prozent. Im Nachbarland Frankreich                    skandinavischen Länder Dänemark, Finnland, Nor-
     liegt der Anteil bei über 20 Prozent, in Deutschland               wegen und Schweden (DK, FI, NO, SE) im Durch-
     dagegen nur bei rund 10 Prozent. Diese Unterschie-                 schnitt 13,8 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts
     de sind ein Hinweis darauf, dass in den europäischen               (BIP) für Personal im öffentlichen Dienst ausgege-
     Ländern die Bewertung dessen, was eine öffentlich                  ben, Dänemark als einzelnes Land sogar 15,3 Pro-
     zu erbringende Leistung ist, unterschiedlich ausfällt.             zent (siehe Abbildung 5). Die Personalausgaben in

     Abbildung 5

         AUSGABEN FÜR DAS PERSONAL DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, ANTEIL AM BIP, IN PROZENT

                                                                                 17,3
                16,0
                                                                                                            15,3
                         14,6
                11,5                                                                                     13,8
                                                                                                                10,9
                     10,7
                                                                                                                9,9
                   8,7
                                                                        7,4                                     7,6

                          Dänemark Durchschnitt DK, FI, NO, SE Durchschnitt BE, FR, NL, AT
                          Durchschnitt Europa Deutschland insgesamt

               1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018

           DGB | Quelle: EUROSTAT, Staatseinnahmen, -ausgaben und Hauptaggregate
         [gov_10a_main], zu leistende AN-Entgelte, Anteil am Bruttoinlandsprodukt, Stand Juli 2019

16   DGB | Personalreport 2019
AUSGABEN FÜR DAS PERSONAL DES ÖFFENTLICHEN
   DIENSTES, ANTEIL AM BIP, 2018, IN PROZENT

                                               Norwegen 14,8                                    Finnland 12,4
            unter 8                                                    Schweden 12,7
            8 bis 10
            10 bis 12                                                                               Estland 11,3
            über 12
                                                                                                     Lettland 10,2
                                                         Dänemark 15,3
                   Irland 7,0
                                                                                                 Litauen 9,8
            Vereinigtes Königreich 9,0
                                                    Niederlande 8,2
                                                                                       Polen 10,1
                                                            Deutschland 7,6
                                      Belgien 12,3
                                              Luxemburg 9,2                   Tschechien 9,8
                                                                                          Slowakei 9,3
                                                               Österreich 10,4
                               Frankreich 12,5
                                                                                      Ungarn 10,5
                                                                              Slowenien 10,9        Rumänien 11,0
     Portugal 10,8                                                          Kroatien 11,7
                       Spanien 10,5                                                              Bulgarien 9,5
                                                                   Italien 9,8

                                                                                        Griechenland 11,8

     DGB | Quelle: EUROSTAT, Staatseinnahmen, – ausgaben und Hauptaggregate
                                                                                                      Zypern 11,8
   [gov_10a_main], zu leistende AN-Entgelte, Anteil am Bruttoinlandsprodukt, Stand Juli 2019

                                                                                                           Abbildung 6

Deutschland beliefen sich 2018 lediglich auf 7,6                  zu beobachten sind, erklären sich durch Schwankun-
Prozent. Sie lagen also 6,2 Prozentpunkte unter dem               gen des BIP im Rahmen der Finanz- und Wirtschafts-
Niveau der vier skandinavischen Länder.                           krise, nicht durch Personalzuwächse.

Auch die kontinentaleuropäischen Länder Belgien,
Frankreich, Niederlande und Österreich (BE, FR,                                          Gemessen an ihrer
NL, AT) investieren deutlich mehr in ihr Personal.                                       Wirtschaftsleistung geben
Im Jahr 2018 waren es 10,9 Prozent. Die Ausga-                                           die europäischen Nachbarn
ben in Deutschland sind im europäischen Vergleich                                        deutlich mehr für ihren
also niedrig. Schaut man auf das Jahr 1996, so ist                                       öffentlichen Dienst aus.
Deutschland zudem weiter zurückgefallen. Zwi-
schen 1996 und 2018 hat sich die Differenz zu den
beiden dargestellten Ländergruppen jeweils vergrö-
ßert. Die Sprünge, welche zwischen 2008 und 2012

                                                                                                    DGB | Personalreport 2019   17
VOR ORT NACHGEFRAGT

     Arbeiten im Bürgeramt
     Das Bürgeramt ist das Gesicht der Verwaltung. Es ist der Ort, an dem Menschen
     in direkten Kontakt zum Staat treten. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine teure
     Reise geplant und merken, dass ihr Reisepass abgelaufen ist. Oder Ihr zukünftiger
     Arbeit­geber verlangt von Ihnen ein Führungszeugnis. Zu Recht erwarten Sie, dass Ihnen
     dann im Bürgeramt schnell und kompetent geholfen wird. Doch wie sieht es auf der
     anderen Seite des Schalters aus? Gibt es ausreichend Personal? Und wie verändert sich
     die Arbeit, wenn die Verwaltung digital wird?

     ARBEIT IM MENSCHLICHEN TAKT?                                  das deutschlandweit in Bürgerämtern untersucht.1
     Eine Unternehmensberatung hat für die Berliner                Über 96 Prozent der Führungskräfte und Personal-
     Bürgerämter berechnet, was deren Beschäftigte                 ratsvorsitzenden sagen übereinstimmend, dass die
     leisten sollen. Das Ergebnis: 10 Minuten mittlere             Belastungen der Beschäftigten hoch oder sehr hoch
     Bedienzeit pro KundIn, 5,7 KundInnen pro Stunde.              sind. Faktoren sind Termin- und Zeitdruck, hohe
     Solche Zahlen geben eine Schlagzahl vor. Den Ar-              Arbeitsdichte, aber auch Unterbrechungen, der Ge-
     beitsalltag der Beschäftigten erfassen sie aber nicht,        räuschpegel und schlechte Aufstiegschancen. Die
     denn der ist durch den Kontakt mit Menschen ge-               Belastungen nahmen in den letzten fünf Jahren zu.
     prägt. Die Arbeit ist schön, wenn man helfen kann
     oder eine positive Rückmeldung erhält – bei Kon-              NÄCHSTER HALT: DIGITALE
     flikten aber auch anstrengend. In einen starren Takt          VERWALTUNG
     pressen lässt sie sich jedenfalls nicht.                      Und in Zukunft? Die stellvertretende DGB-Vorsit-
                                                                   zende Elke Hannack konnte sich im Frühjahr 2019
     ARBEIT IN HETZE                                               eine durchdigitalisierte Verwaltung ansehen – in
     Hinzu kommt, dass oft die Rahmenbedingungen                   Kopenhagen. Behördenangelegenheiten erledigt
     nicht stimmen. Studien zeigen: Größter Stresstrei-            man dort am Selbstbedienungs-Terminal oder per
     ber bei Interaktionsarbeit, also der Arbeit mit Men-          Mausklick von zu Hause aus. Im Bürgeramt ist damit
     schen, ist fehlende Zeit. Ein Forschungsprojekt hat           die Arbeit der Beschäftigten im Backoffice wichtiger
                                                                   geworden, da mehr Mails und Anrufe beantwortet
                                                                   werden müssen. Und es gibt weniger Personal, 20
                                                                   Prozent der Stellen wurden weggekürzt. Auch in
         GESCHICHTE DER BÜRGERÄMTER                                Deutschland werden Verwaltungsleistungen digi-
         Bürgerämter gibt es in nahezu allen Städten in
                                                                   talisiert. Positive Effekte hat das bisher aber nicht.
         Deutschland. Sie haben sich aus den klassischen Ein-
         wohnermeldeämtern entwickelt. Die Idee, Verwaltungs-      Im öffentlichen Dienst nahmen laut Umfrage die
         leistungen nicht mehr verstreut über mehrere Ämter        Arbeitsbelastung und die Zahl der gleichzeitig zu er-
         verteilt anzubieten, entstand Ende der 1970er Jahre in
         einem Modellprojekt in Unna in Nordrhein-Westfalen.
                                                                   ledigenden Aufgaben zu.2 Auch die Beschäftigten in
         Dienstleistungen für die BürgerInnen sollten an einer     Bürgerämtern bewerten Digitalisierung meist nicht
         Stelle gebündelt werden. Spätestens seit Mitte der
                                                                   als Ent-, sondern als Belastung.3 Wie sieht es auf der
         1990er Jahre hat sich die Idee in Städten durchgesetzt.
                                                                   Baustelle Bürgeramt aus? Das Interview mit Stefan
                                                                   Wiarda zeichnet ein Bild der Situation in Hamburg.

18   DGB | Personalreport 2019
ZAHLEN & FAKTEN

88,9 %                 der Personalratsvorsitzenden,   56 %           der befragten BürgerInnen haben
in deren Bürgeramt in den letzten Jahren Personal      Befürchtungen im Hinblick auf den »gläsernen
abgebaut wurde, berichten von einer größeren           Bürger«. Ein Bürgerkonto, auf dem wichtige Doku-
Arbeitsverdichtung für die Beschäftigten.              mente abgespeichert werden und auf das Behörden
71,7 Prozent erklären, dass der Personalabbau das      zugreifen können, findet wenig Akzeptanz.
Arbeitsklima verschlechtert hat.                       Quelle: eGovernment MONITOR 2018
Quelle: Bogumil et al. (2019): a.a.O.

                                                       575
57,5 %
                                                                    Verwaltungsleistungen für Bürger­
                      der Beschäftigten im             Innen und Unternehmen sollen laut Bundes­
Bürgeramt Bochum geben an, dass sie                    regierung bis 2022 digital zur Verfügung stehen.
zufrieden mit den Arbeitsbedingungen sind.             Die angestrebte Leistungstiefe ist allerdings unklar
Im Bürgeramt Karlsruhe sind es 49,2 Prozent.           Quelle: IT-Planungsrat
81,6 Prozent der befragten BürgermeisterInnen in

                                                       63 %
Deutschland erklären, die Mitarbeiterzufrieden­
heit in ihren Bürgerämtern sei hoch.                                    der Beschäftigten aus der
Quelle: Bogumil et al. (2019), a.a.O.                  öffent­lichen Verwaltung erklären, dass durch
                                                       die Digitalisierung die zu bewältigende

27 %
                                                       Arbeitsmenge größer geworden ist.
                der Beschäftigten aus der öf-          Quelle: Roth, Ines (2017), a.a.O.
fentlichen Verwaltung, die interaktiv arbeiten,

                                                       43 %
berichten von oft oder sehr häufig vorkommenden
negativen und psychisch belastenden Ereignissen.                        der BürgerInnen, die das Internet
Das können ein tätlicher Angriff sein, Beleidigun-     nutzen, vereinbaren Behördentermine online.
gen, aber auch die Konfrontation mit sozialem          Stärker verbreitet ist die Suche nach Informationen
Elend oder das Gefühl, Menschen nicht helfen zu        zu Zuständigkeiten oder Öffnungszeiten,
können.                                                77 Prozent haben diese bereits online erledigt.
Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2018                     Quelle: eGovernment MONITOR 2018

40 %            der befragten BürgerInnen
haben in den letzten 12 Monaten E-Govern-              1 |	Bogumil, Jörg et al. (2019): Bürgerämter in Deutschland,
                                                            Baden-Baden (i.E.)
ment-Angebote genutzt. Die Zahl ist im
                                                       2 |	Roth, Ines (2017): Digitalisierung und Arbeitsqualität. Son-
Vergleich zum Vorjahr rückläufig. 58 Prozent sind           derauswertung DGB-Index Gute Arbeit zum Dienstleistungs-
zufrieden mit dem aktuell verfügbaren Online-               sektor. Online unter www.innovation-gute-arbeit.verdi.de
                                                       3 |	Schwab, Christian et al. (2019): Digitalisierung der Bürger-
Angebot zur Abwicklung von Behördengängen.                  ämter in Deutschland. Study der Hans-Böckler-Stiftung,
Quelle: eGovernment MONITOR 2018                            Nr. 427. Düsseldorf

                                                                                             DGB | Personalreport 2019     19
»Personal
                                                 einsparen,
                                                 das war hier
     ZUR PERSON
     Stefan Wiarda arbeitet sein ganzes
     Berufsleben im Bezirksamt Hamburg

                                                 lange die
     Nord. Anfang der Neunzigerjahre ab­
     solvierte er eine Ausbildung für den
     gehobenen allgemeinen Verwaltungs-
     dienst. Mit seinen KollegInnen vom

                                                 Prämisse«
     Wohnraumschutz des Bezirks verfolgte
     er danach den Leerstand oder die
     Zweckentfremdung von Wohnraum.
     Seit 2002 ist er freigestelltes Personal-
     ratsmitglied und vertritt unter anderem
     die Interessen der 82 KollegInnen,
     die in den drei Bürgerämtern im Bezirk
     arbeiten. Beim Bezirksamt Hamburg
     Nord arbeiten insgesamt über 1.000 Be-
     schäftigte in über sechzig Berufsgruppen.

20   DGB | Personalreport 2019
In Hamburg war die löchrige Personaldecke in                               Sehr viele der Neu-
den Kundenzentren – anderswo als Bürgeräm-                                 eingestellten kündigen in
ter bezeichnet – viele Jahre lang Thema. Wie                               der Probezeit, weil ihre
stellte sich die Situation dar?                                            Erwartungen nicht erfüllt
Stefan Wiarda: Die Kürzungen bei den Bezirks-                              werden. Es gibt eine
ämtern wirken bis heute nach, auch in den Kunden-                          unheimliche Fluktuation.
zentren. Personal einsparen, das war hier lange die
Prämisse. Eine zentrale Wegmarke war das Projekt
OPTIKUZ – »Optimierung der Kundenzentren« – in
den Jahren 2012 bis 2014. Es stand nicht offiziell
drin, dass das Projekt auf Personalkürzungen ab-
zielt, aber es war allen klar. So kam es dann auch.
In dieser Zeit wurde das Online-Terminmanagement        se extern erfolgen. Für die Kundenzentren gilt das
eingeführt und es wurde behauptet, dass sich damit      schon lange nicht mehr. Intern bewirbt sich prak-
Personal einsparen lässt. Es gab deutlich weniger       tisch niemand – die Arbeitsbedingungen sind nicht
Beschäftigte und in der Folge viele Beschwerden         attraktiv. Die Ausschreibung wurde also für Leute
über lange Wartezeiten.                                 ohne Verwaltungsausbildung geöffnet. Eine ver-
                                                        gleichbare kaufmännische Ausbildung reicht: Notar-
Und wie ging es dann weiter?                            fachangestellte, Bürokaufmann oder Bankkauffrau.
Wegen der massiven Engpässe wurden phasen-              Das funktioniert aber nicht gut. Sehr viele der Neu-
weise Unterstützungskräfte eingestellt, zum Bei-        eingestellten kündigen in der Probezeit, weil ihre
spiel vor den Sommerferien. Mit befristetem Vertrag     Erwartungen nicht erfüllt werden. Es gibt eine un-
und schlechter Bezahlung – das waren Beschäftigte       heimliche Fluktuation. Und für die Alteingesessenen
zweiter Klasse. Diese Praxis wurde beendet – zum        ist es anstrengend, immer wieder neue KollegInnen
Glück. 2017 hat die rot-grüne Koalition in der Bür-     einzuarbeiten.
gerschaft die »Serviceoffensive der Kundenzentren«
gestartet. Es gab den Beschluss, die Öffnungszei-       Für Öffnungszeiten von 7 bis 19 Uhr mussten
ten aller Kundenzentren zu vereinheitlichen und         Schichtdienste eingeführt werden. Was sagen
deutlich zu verlängern. Montag bis Freitag, von 7 bis   die Beschäftigten dazu?
19 Uhr. Überall. Deswegen musste wieder Personal        Für diejenigen, die über die externe Ausschreibung
eingestellt werden. Seit 2017 kletterte die Zahl der    neu gewonnen wurden, gehört Schichtarbeit von
Beschäftigten in den Kundenzentren nach oben.           Beginn an dazu. Für sie ist es keine Umstellung. Für
                                                        den Rest der Mitarbeiterschaft ist es eine Zäsur. Der
Reicht der Personalzuwachs aus, um längere              Frust ist riesig. Der Finanzsenator hat die Umstellung
Öffnungszeiten abzudecken?                              auf Schichtarbeit auf einer Personalversammlung
Nein, das Gefühl habe ich nicht. Der Druck ist wei-     sehr konfrontativ vertreten. Er meint, wenn Polizei
terhin groß, weil es zu wenig Personal gibt.            und Feuerwehr im Schichtdienst arbeiten, können
                                                        das die Kundenzentren auch. Viele empfinden das
Gelingt es, neue Kräfte für die Kundenzentren           als Geringschätzung ihrer Arbeit. Nach dem Motto:
zu gewinnen?                                            »Erst habt ihr uns personell ausbluten lassen. Da-
Nicht gut, es gibt dauerhaft Personalbedarf. Wir ha-    durch konnten wir unsere Arbeit nicht ordentlich
ben hier für den öffentlichen Dienst den Grundsatz,     machen. Und jetzt zaubert ihr die Schichtarbeit aus
dass Stellenausschreibungen nur ausnahmswei-            dem Hut.« Deshalb sind viele Altgediente weg, sie

                                                                                       DGB | Personalreport 2019   21
haben die Kundenzentren verlassen. Wie gesagt: Wir                        PC, Internet und E-Mail
     haben einen hohen Bedarf an Einarbeitung und sehr                         kennen wir lange, und
     viel Fluktuation. Und diese Last liegt auf Schultern                      trotzdem krempelt die
     von mittlerweile sehr wenigen erfahrenen KollegIn-                        Digitalisierung vieles um.
     nen.

     Wie sehen die Schichten denn aus?
     Frühschicht von 7 bis 13 Uhr, Spätschicht von 13
     bis 19 Uhr. Wir haben als Gewerkschaften eine
     Vereinbarung abgeschlossen und versucht, die Be-
     lastungen zu verringern. Auf Menschen, die aus          ben zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberseite
     persönlichen Gründen nicht gut Schichtarbeit leis-      zum Beispiel vereinbart, dass in den Kundenzentren
     ten können, soll Rücksicht genommen werden. Die         30 Prozent der Arbeitszeit für Backoffice reserviert
     Leitungen der Kundenzentren versuchen das auch,         ist. Diese Zeit schafft einen Ausgleich und ist wich-
     aber es hat Grenzen. Die Schichten müssen ja be-        tig, um Vorgänge in Ruhe zu Ende zu führen. Wenn
     setzt sein. Und jetzt soll ein Kundenzentrum auch       ein Termin dem nächsten folgt, den ganzen Tag,
     noch samstags geöffnet werden.                          dann stresst das. Und man ist permanent im Ram-
                                                             penlicht, denn der Wartebereich ist von den Arbeits-
     Das wäre der nächste Einschnitt.                        plätzen räumlich nicht überall getrennt. Deshalb
     Ja. Bei der Schichtarbeit konnten wir die Bedin-        die Zielmarke 30 Prozent. Aber dieses Ziel erreichen
     gungen mitbestimmen. Verhindern konnten wir sie         wir mit der aktuellen Personaldecke nicht. Gerade
     nicht, deshalb haben wir die Kröte geschluckt und       kommt es häufig vor, dass Leitungskräfte die Kol-
     verhandelt. Die Samstagsarbeit ist eine sehr grund-     legInnen aus dem Backoffice nach vorne schicken.
     sätzliche Frage. Das machen wir nicht mit. Als Perso-   Nach dem Motto: »Geh mal raus, wir sind zu weni-
     nalräte und Gewerkschaften werden wir Samstags-         ge.« Das wird als Druck erlebt.
     arbeit nicht zustimmen.
                                                             Wie hat sich denn die Arbeit selbst verändert?
     Was hat sich durch das Projekt »Serviceoffensi-         Als ich anfing, da hieß es nicht Kundenzentrum,
     ve der Kundenzentren« noch verändert?                   sondern Einwohnermeldeamt oder »Meldehalle«.
     Es wird von zentraler Stelle gesteuert. Die Finanz-     Ganz früher gab es noch den Beruf des Passschrei-
     behörde ist für die Neuorganisation verantwortlich      bers. Diese Zeiten sind lange vorbei. PC, Internet
     und hat einen sogenannten Leitstand gebildet. Von       und E-Mail kennen wir lange, und trotzdem krem-
     dort wird beobachtet und kontrolliert und Druck         pelt die Digitalisierung vieles um. Die Beschäftigten
     ausgeübt. Latent, aber auch durch Anrufe und Rück-      der Kundenzentren haben enorm viel Technik am
     fragen. Die einzelnen Kundenzentren sollen mehr         Platz. Verschiedene Drucker, Fingerabdruckscanner,
     Terminvolumen anbieten. Das ist gerade die heilige      Kartenlesegerät, Telefon, Bildschirm, Tastatur. Mitt-
     Kuh. Wenn sie sehen, dass in einem Kundenzentrum        lerweile gibt es Biometrie-Stationen, an denen man
     erst in ein, zwei Wochen ein Termin gebucht werden      für den neuen Pass eigenständig Fotos macht und
     kann, dann gibt es Rückfragen.                          Fingerabdrücke abgibt, die dann gleich im System
                                                             sind. Es bewegt sich viel. Jetzt wurden mobile Teams
     Und was passiert dann vor Ort?                          gebildet und einzelne Kundenzentren bieten Sprech-
     Die Leitungskräfte stehen unter dem Druck, viele        zeiten in der Sparkasse an. Die komplette technische
     Termine anzubieten. Den geben sie weiter. Wir ha-       Ausstattung ist in einem Koffer mit dabei.

22   DGB | Personalreport 2019
Wird die digitale Verwaltung als Chance gese-            ger als geplant. Und oft sind die Beschäftigten ja
hen? Oder als Belastung?                                 eh schon am Limit. Der Arbeitgeber schafft es also
Das kommt auf die Bedingungen an. Die Einführung         nicht, für größere Umstellungen der Hard- oder Soft-
der Online-Terminvergabe fanden viele der Beschäf-       ware vernünftige Bedingungen zu schaffen. Das er-
tigten zuerst schlecht wegen der engen Taktung.          leben wir immer wieder.
Vorher gab es ja keine Zeitvorgaben, und gebum-
melt wurde da auch nicht. Mittlerweile werden die        Wie lautet dein Fazit? Wie können die Arbeits-
fixen Zeitfenster nicht mehr so als Druck erlebt,        bedingungen in den Kundenzentren besser
denke ich. Und die Terminvergabe hat Vorteile, weil      werden?
nicht mehr bis kurz vor Ende der Öffnungszeiten          Ich würde sagen: keine Samstagsöffnung! Einen Per-
Wartemarken gezogen werden. Früher waren oft             sonalausweis braucht man nicht am Wochenende zu
noch Warteschlangen abzuarbeiten.                        beantragen. Und keinen Schichtdienst. Zumindest
                                                         flächendeckend über ganz Hamburg ist das unnö-
Gegen so eine Entlastung ist ja nichts einzu-            tig – das braucht kein Mensch. Es gab auch vorher
wenden.                                                  Sprechzeiten für diejenigen, die nicht zwischen 9
Das stimmt. Aber bei der digitalen Verwaltung stot-      und 17 Uhr kommen können. Dann muss weiterhin
tert oft der Motor, nicht nur in den Kundenzentren.      die personelle Ausstattung verbessert werden. Und
Zum Beispiel werden regelmäßig, derzeit in den           in den Bereichen, in denen die Hamburger Verwal-
Grundsicherungs- und Sozialämtern, neue Fachver-         tung selbst ausbildet, ist es zu wenig. Wir haben seit
fahren eingeführt, also eine neue Software, mit der      Jahren steigende Bevölkerungszahlen und die Nach-
die KollegInnen tagtäglich arbeiten. Das ist ihr zent-   frage nach Verwaltungsleistungen wächst. Dafür
rales Werkzeug und Umstellungen sind eine heftige        braucht es Personal.
Belastung. Es erzeugt immer Stress, die Daten ins
neue Verfahren zu überführen. Es dauert immer län-

                                      »Ab 2012 war der Personalabbau in den Kundenzentren
                                      drastisch. Die Folge: Überlastung, Warteschlangen und
                                      Beschwerden. Zuletzt wurde das Personal etwas aufge-
                                      stockt. Doch nun will der Senat Service quasi rund um
                                      die Uhr – auf dem Rücken der Beschäftigten! Schicht-
                                      arbeit wurde eingeführt, Samstagsarbeit angeordnet.
                                      In den Kundenzentren herrscht Unruhe: KollegInnen
                                      fliehen in andere Jobs, die Fluktuation ist hoch, Fachkräfte
                                      werden nicht mehr gefunden. Gute Kundenzentren und
    Sieglinde Frieß                   gute Arbeit gehen anders! Wir wollen eine nachhaltige
    Stellvertretende
                                      Lösung – für die BürgerInnen und die Beschäftigten!«
    Landesbezirksleiterin
    ver.di Hamburg

                                                                                         DGB | Personalreport 2019   23
KAPITEL 5

     Prekäre Beschäftigung
     im öffentlichen Dienst
     Mit dem Begriff der Prekarisierung wird seit einigen                  Schaut man auf die Neueinstellungen, scheint sich
     Jahren ein tiefgreifender Wandel der Arbeitswelt be-                  dieser Trend auch nicht umzukehren. Zahlen aus
     schrieben. Die Unsicherheit nimmt zu: Ausweitung                      dem ersten Halbjahr 2018 zeigen, dass 44,1 Prozent
     des Niedriglohnsektors, Minijobs, unfreiwillige Teil-                 befristet erfolgten. Ein Blick auf die Wirtschaftszwei-
     zeit, Leiharbeit und befristete Arbeitsverträge. Die                  ge macht deutlich, dass befristete Neueinstellungen
     betroffenen Beschäftigten haben oft niedrige Einkom-                  im öffentlichen Dienst im Vergleich zur Privatwirt-
     men und einen geringen sozialen Schutz. Insbeson-                     schaft noch deutlich häufiger vorkommen. Beim
     dere Neueinstellungen erfolgen heute häufig in Be-                    Arbeitgeber Staat wurden im ersten Halbjahr 2018
     schäftigungsverhältnissen, mit denen die Menschen                     rund 94.000 Beschäftigte befristet neu eingestellt,
     nicht langfristig planen können. Die Zukunft erscheint                das entspricht 58,6 Prozent.
     ungewiss. Dadurch wirken die Prekarisierung der Ar-
     beit und die von ihr ausgelöste Furcht nicht nur auf die              In den vergangenen Jahren war hier eine deutli-
     Betroffenen, sondern auf die Gesellschaft insgesamt.                  che Zunahme an befristeten Arbeitsverhältnissen
                                                                           zu verzeichnen. 2 Deren Anteil erhöhte sich bei den
     BEFRISTUNGEN IM ÖFFENTLICHEN                                          Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst zwischen
     DIENST                                                                2004 und 2018 von 9,8 Prozent auf 15,4 Prozent.
     In Deutschland hatten im Jahr 2018 insgesamt 3,2                      Am 30.6.2018 hatten insgesamt 452.785 Arbeitneh-
     Millionen Menschen einen befristeten Arbeitsver-                      merInnen im öffentlichen Dienst einen Zeitvertrag
     trag. Das sind mehr als doppelt so viele wie 1996.1                   (davon 57,2 Prozent Frauen).

                                                                                                                  Abbildung 7

         BEFRISTUNGEN BEI ARBEITNEHMERiNNEN IM ÖFFENTLICHEN DIENST

                                                            14,7 %          14,8 %         15,4 %   15,5 %        15,4 %
                                             12,5 %
                                 11 %
               9,8 %                                                                                              452.785
                                                                                          431.895   441.485
                                                           399.283         403.791

                                            331.073
                             297.230
             271.868                                              Anteil Befristung im öffentlichen Dienst
                                                                  Befristung in absoluten Zahlen

                2004             2006         2008            2010           2012           2014      2016        2018
            DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2004 – 2018, Tab. 7.2

24   DGB | Personalreport 2019
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