PERSONALREPORT ÖFFENTLICHER DIENST 2019 - DGB
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INHALT Einleitung .................................................................................................................................... 3 Kapitel 1: Der öffentliche Dienst auf einen Blick .......................................................................... 4 Kapitel 2: Aufgabenbereiche des öffentlichen Dienstes nach Geschlecht ..................................... 6 Vor Ort nachgefragt: Personalnot beim Arbeitsschutz ..................................................... 8 Kapitel 3: Langfristige Veränderungen im Personalstand............................................................ 14 Kapitel 4: Der öffentliche Dienst im europäischen Vergleich....................................................... 16 Vor Ort nachgefragt: Arbeiten im Bürgeramt................................................................... 18 Kapitel 5: Prekäre Beschäftigung im öffentlichen Dienst ........................................................... 24 Kapitel 6: Altersstruktur der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ............................................. 26 Kapitel 7: Teilzeit im öffentlichen Dienst .................................................................................... 31 Kapitel 8: Ausbildung im öffentlichen Dienst ............................................................................. 32 Kapitel 9: Zusammenschau......................................................................................................... 33 Resümee und Forderungen: Was für einen öffentlichen Dienst wollen wir? .................... 34 Anhang: Arbeitsorte des öffentlichen Dienstes .......................................................................... 38 Weiterlesen! .............................................................................................................................. 41 Mitmachen! Acht Gute Gründe Mitglied zu werden! ................................................................. 42 Impressum ................................................................................................................................. 43
Einleitung Polychlorierte Biphenyle, bekannt unter dem Kürzel PCB, sind hochgiftige und krebserregende Chlorverbindungen. Seit 1989 ist der Einsatz in Deutschland verboten. Mit PCB verseuchte Gerätschaften, zum Beispiel Transformatoren, lagern in unterirdischen Sondermülldeponien. In Zeiten hoher Rohstoffpreise ist es aber lukrativ, diese kontaminierten PCB-Trafos zu bergen und zerlegen zu lassen. Eine Firma aus Dortmund war darauf spezialisiert, ignorierte aber grundlegendste Arbeits- und Umweltschutzvorschriften. Die Folge: Im Blut der Beschäftigten, die ungeschützt mit dem Gift in Berührung kamen, wurden massiv erhöhte PCB-Werte gefunden. ARBEITSSCHUTZ? FEHLANZEIGE Dienst. Diese Bestandsaufnahme betrachtet zum 2010 wurde die Presse auf das Unternehmen auf- Beispiel den Personalstand, die Altersstruktur und merksam und machte die Verstöße öffentlich. Die Befristungsquoten. staatlichen Aufsichtsbehörden waren zuvor den vor- liegenden Hinweisen nicht konsequent nachgegan- BEDARFSGERECHTE PERSONAL- gen. Dieses Versagen beim Arbeitsschutz fällt in die AUSSTATTUNG: EIN MUSS Zeit der politisch gewollten Verschlankung der Auf- Die Situation in Aufsichtsbehörden und Bürgeräm- sichtsbehörden – nicht nur in Nordrhein-Westfalen. tern steht stellvertretend für ein Problem, das den Die für die Kontrolle des Arbeitsschutzes zuständige öffentlichen Dienst insgesamt betrifft: zu wenig Bezirksregierung betrachtet in der internen Auf- Personal. Im Vergleich zum Vorjahr gab es zwar arbeitung die dünne Personaldecke als »zweifellos erneut einen Personalzuwachs. Ein differenzierter wesentliche Ursache« für den Skandal. Blick macht aber deutlich, dass von einer vernünf- tigen Personalausstattung weiterhin keine Rede VOR ORT NACHGEFRAGT sein kann. Für den DGB und seine Gewerkschaften Hat sich die Personalausstattung der Arbeitsschutz- ist eine bedarfsgerechte Personalausstattung daher aufsicht in den vergangenen Jahren wieder ver- eines der zentralen Anliegen. bessert? Die Rubrik »Vor Ort nachgefragt« gibt Antworten. In dem Heftschwerpunkt des DGB Per- sonalreports kommen diejenigen zu Wort, die mit Die Situation in der vorhandenen Personaldecke umgehen müssen Aufsichtsbehörden und und die alltäglichen Folgen der Sparpolitik erleben. Bürgerämtern steht In diesem Jahr ist das zum einen der Arbeitsschutz- stellvertretend für inspektor und ver.di Vertrauensmann Peter Heimer. ein Problem, das den Im zweiten Schwerpunkt berichtet der Personalrat öffentlichen Dienst Stefan Wiarda über die Arbeitsbedingungen in Bür- insgesamt betrifft: gerämtern. Die übrigen Kapitel des DGB Personalre- zu wenig Personal. ports werfen auf Basis der Zahlen des Statistischen Bundesamtes Schlaglichter auf den öffentlichen DGB | Personalreport 2019 3
KAPITEL 1 Der öffentliche Dienst auf einen Blick Laut dem Statistischen Jahrbuch Am Stichtag 30.6.2018 absolvierten lebten 2018 in Deutschland insgesamt 235.255 82,5 Millionen Menschen. Darunter waren Personen 44,2 Millionen eine Ausbildung im öffentlichen Dienst. Der Frauenanteil betrug dabei 58,8 Prozent. Erwerbstätige, 26,9 % von denen 90,3 Prozent abhängig beschäftigt, also Angestellte, der Beschäftigten BeamtInnen oder Auszubildende waren. im öffentlichen Dienst waren 2018 Quelle: Statistisches Jahrbuch 2018 älter als 55 Jahre und werden in den nächsten 10 Jahren in den Ruhestand gehen. 4,8 Millionen Von allen Beschäftigten im öffentlichen Dienst Menschen waren zum Stichtag 30.6.2018 im waren im Jahr 2018 1.571.375 öffentlichen Dienst beschäftigt. Im Vergleich zum Vorjahr sind das 62.960 zusätzliche in Teilzeit Beschäftige. tätig, also 32,7 Prozent (einschl. Altersteilzeit). 1.687.975 BeamtInnen 50,4 % und RichterInnen arbeiteten 2018 im der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind öffentlichen Dienst. Das ist ein Anteil von in den Ländern tätig, da personalintensive 35,1 Prozent. Der Frauenanteil liegt in diesem Aufgaben wie das Bildungswesen oder Bereich bei 51,3 Prozent. der überwiegende Teil der Polizei in deren Zuständigkeitsbereich fallen. 4 DGB | Personalreport 2019
2.947.270 452.785 der ArbeitnehmerInnen im öffentlichen Dienst arbeiteten im Jahr 2018 ArbeitnehmerInnen arbeiteten 2018 auf Basis eines befristeten Arbeitsvertrages. im öffentlichen Dienst. Das ist ein Das ist eine Befristungsquote von 15,4 % Anteil von 61,4 Prozent. Dabei lag der Frauenanteil bei 62,9 Prozent. BESCHÄFTIGTE IM ÖFFENTLICHEN 57 % DIENST NACH BESCHÄFTIGUNGSBEREICHEN der Beschäftigen im öffentlichen Dienst waren im Jahr 2018 Frauen, in absoluten Sozialversicherung Zahlen sind das 2.736.625 Bund 368.150 496.295 In der Kindertagesbetreuung lag der 7,7 % 10,3 % Anteil der Frauen mit 94,7 Prozent überdurchschnittlich hoch, bei der Polizei mit 1.518.595 28,4 % 31,6 % deutlich niedriger. 2.419.840 Kommunen 50,4 % 2018 betrug der Frauenanteil in Führungspositionen in den obersten Bundesbehörden Länder 34 % – das ist ein Anstieg DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, zu 2015 um 1,7 Prozentpunkte. Fachserie 14, Reihe 6, 2018, Tab. 1.2.1 Bis 2025 will der Bund 50 Prozent erreichen. Abbildung 1 Quelle: Gleichstellungsindex 2018 Quellen auf dieser Doppelseite, soweit nicht anders vermerkt: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2018 DGB | Personalreport 2019 5
KAPITEL 2 Aufgabenbereiche des öffentlichen Dienstes nach Geschlecht Der Anteil der weiblichen Beschäftigten im öffentli- Bei näherer Betrachtung der Aufgabenbereiche chen Dienst stieg in den vergangenen Jahren kon- zeigt sich aber, dass die Frauen- und Männeranteile tinuierlich an. Im Juni 2018 waren 57 Prozent aller je nach Tätigkeitsfeld stark variieren. In der Kinder- Beschäftigten Frauen. In absoluten Zahlen sind das tagesbetreuung (94,7 Prozent) und im Schuldienst rund 2,74 Millionen. In der Nachkriegs-BRD der (72 Prozent) ist der Anteil der Frauen beispielsweise Fünfzigerjahre lag der Frauenanteil lediglich bei 19 überdurchschnittlich hoch, in der Verteidigung (18,2 Prozent. Unterschiede gibt es auch zwischen dem Prozent), im Verkehr- und Nachrichtenwesen (20,6 früheren Bundesgebiet und den »neuen Ländern«, in Prozent) sowie bei der Polizei (28,4 Prozent) liegt er denen 61,4 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen deutlich niedriger. Dienst weiblich waren. Im früheren Bundesgebiet lag der Frauenanteil 2018 dagegen bei 56,2 Prozent. Tabelle 1 Abbildung 2 WEIBLICHE BESCHÄFTIGTE IM ÖFFENTLICHEN DIENST NACH AUFGABENBEREICHEN Kindertagesbetreuung nach SGB VIII 94,7 % Krankenhäuser und Heilstätten 73,2 % Allgemeinbildende und berufliche Schulen 72,0 % Politische Führung u. zentrale Verwaltung 58,1 % Öffentlicher Dienst insgesamt 57,0 % Finanzverwaltung 56,4 % Wohnungswesen, Städtebau, Raumordnung 35,6 % Polizei 28,4 % Verkehrs- und Nachrichtenwesen 20,6 % Verteidigung 18,2 % DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2018, Tab. 2.9 6 DGB | Personalreport 2019
BESCHÄFTIGTE NACH AUFGABENBEREICHEN UND BESCHÄFTIGTENSTATUS (KÖPFE) Aufgabenbereich Insgesamt BeamtInnen, Arbeit RichterInnen, nehmerInnen SoldatInnen insgesamt 4.802.885 38,6 % 61,4 % Allgemeine Dienste 1.595.345 60,6 % 39,4 % Politische Führung und zentrale Verwaltung 497.330 30,3 % 69,7 % Auswärtige Angelegenheiten 9.325 31,2 % 68,9 % Verteidigung 236.845 80,4 % 19,6 % Öffentliche Sicherheit und Ordnung 483.400 71,4 % 28,6 % darunter Polizei 327.430 85,7 % 14,3 % Rechtsschutz 180.535 65,4 % 34,6 % Finanzverwaltung 187.905 85,0 % 15,0 % Bildungswesen, Wissenschaft, Forschung, 1.658.685 43,4 % 56,6 % kulturelle Angelegenheiten darunter: Allgemeinbildende 950.085 67,2 % 32,8 % und berufliche Schulen Hochschulen 558.020 10,5 % 89,5 % Soziale Sicherung, Familie und Jugend, 823.445 8,3 % 91,7 % Arbeitsmarktpolitik darunter Kindertagesbetreuung 235.900 0,7 % 99,3 % nach SGB VIII Gesundheit, Umwelt, Sport und Erholung 252.320 5,6 % 94,4 % darunter Krankenhäuser und Heilstätten 142.140 0,7 % 99,3 % Wohnungswesen, Städtebau, Raumordnung 128.325 14,2 % 85,8 % und kommunale Gemeinschaftsdienste Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 46.070 30,9 % 69,1 % Energie- und Wasserwirtschaft, Gewerbe, 153.695 9,7 % 90,3 % Dienstleistungen Verkehrs- und Nachrichtenwesen 134.765 28,2 % 71,8 % Finanzwirtschaft 10.230 16,1 % 83,9 % DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2018, Tab. 2.8.1 DGB | Personalreport 2019 7
VOR ORT NACHGEFRAGT Personalnot beim Arbeitsschutz Arbeit darf nicht krank machen. In Deutschland soll das nicht zuletzt durch Gesetze und Verordnungen erreicht werden. Das Problem: Zu viele Betriebe halten sich nicht daran. Fehlende Schutzkleidung und gefährliche Baustellen, Hetze und Arbeitsverdichtung, monotone Arbeit und Überstunden – all das gefährdet die Gesundheit der Beschäftigten. Deshalb ist der Staat gefordert. Seine Arbeitsschutzaufsicht hat weitreichende Befugnisse. Sie hat freien Zugang zu den Arbeitsorten, kann Auflagen erteilen, Bußgelder verhängen oder einen Betrieb stilllegen. Der DGB Personalreport hat sie sich näher angeschaut. IMMER WENIGER KONTROLLEN Arbeitsbedingungen vorfinden. Die InspektorInnen Die AufsichtsbeamtInnen arbeiten mit Herzblut und sind meistens alleine unterwegs. Hinrich Witte etwa hohem ideellen Einsatz. Dennoch geht die Zahl der hat in Niedersachsen lange Zeit Baustellen kontrol- Betriebskontrollen seit Jahren zurück. Zwischen liert. Er vertritt die DGB-Gewerkschaften im Landes- 2002 und 2017 ist sie von 479.565 auf 182.504 ausschuss für Arbeitsschutz. »Wissenstransfer, eine regelrecht eingebrochen. Ein Grund: Die Aufsicht gute Einarbeitung durch erfahrene Kollegen und verfügt über deutlich weniger Personal. Zwischen eigene Berufspraxis sind extrem wichtig«, erklärt er. 2002 und 2017 ist die Personaldecke um ein Viertel Denn in der aktiven risikoorientierten Überwachung geschrumpft.1 In allen Bundesländern liegt sie unter entscheidet man selbst, welcher Betrieb kontrolliert der ILO-Benchmark von einer Aufsichtsperson für wird. Ohne fundiertes Wissen unmöglich. 10.000 Beschäftigte. KAUM ZEIT FÜR EIGENE IMPULSE ERFAHRUNG IST TRUMPF Die Bundesländer haben vereinbart, dass die Auf- Wenn die Arbeitsschutzaufsicht kontrolliert, macht sicht höchstens 75 Prozent reaktiv arbeitet und min- sie das unangemeldet. Nur so kann sie realistische destens 25 Prozent proaktiv.2 Oft muss der staatliche Arbeitsschutz reagieren: Anträge auf Sonntags- arbeit, Beschwerden, Arbeitsunfälle. Proaktive Kont- rollen werden selbst initiiert und nehmen besondere WER IST ZUSTÄNDIG? Brennpunkte in den Blick. 25 Prozent werden dafür Bei der staatlichen Arbeitsschutzaufsicht haben die in den meisten Bundesländern aber nicht erreicht. Länder den Hut auf. Sie sieht je nach Bundesland sehr unterschiedlich aus. Die lokalen Aufsichtsämter Zu wenig Personal, zu viele Aufgaben: »Wir kön- kontrollieren branchenübergreifend, ob Gesetze und nen uns nicht in 27 Teile teilen«, kommentiert Peter Verordnungen eingehalten werden (Arbeitsschutz- gesetz, Baustellenverordnung, …). Daneben steht im Heimer seinen Arbeitsalltag im folgenden Interview. Dualen System die gesetzliche Unfallversicherung. Berufsgenossenschaften und Unfallkassen beraten und kontrollieren Betriebe der jeweiligen Branche. Ihre Aufgaben ergeben sich aus dem Sozialgesetz- 1 | Quelle: SUGA-Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz buch, sie sollen arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren, und Arbeitsmedizin, Tab. TG 2. Online unter www.baua.de Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten verhüten. 2 | Vgl. Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstech- nik (LASI): LV 1 – Grundsätze und Standards, S. 27. Online unter www.lasi-info.com 8 DGB | Personalreport 2019
ZAHLEN & FAKTEN 564 tödliche Arbeitsunfälle gab Um 64 % ging zwischen 2001 und es in Deutschland im Jahr 2017. Die Zahl 2017 die Gesamtzahl der Besichtigungen zurück meldepflichtiger Arbeitsunfälle betrug 954.627. (von 507.224 auf 182.504). Quelle: SUGA, Tab. TM 2 Quelle: SUGA, Tab. TG 1 Um 29,8 % sank die Zahl der 351.815 Beanstandungen durch AufsichtsbeamtInnen in Deutschland zwischen die Arbeitsschutzaufsicht gab es in Deutschland 2002 und 2013 (von 4.183 auf 2.935). 2017, das sind 62,8 % weniger als im Jahr 2001. Ab 2014 wurde die Statistik umgestellt, 2017 Quelle: SUGA, Tab. TG 3 lag die Zahl bei 3.151. Quelle: SUGA, Tab. TG 2 ANZAHL BESCHÄFTIGTE PRO 52 % ARBEITSSCHUTZINSPEKTORiN Nur der Betriebe in Deutschland führt eine Gefährdungsbeurteilung durch. Schleswig-Holstein In nur 22 Prozent aller Betriebe findet eine 24.922 Mecklenburg-Vorpommern Gefährdungsbeurteilung mit Fokus auf psychische 14.440 Hamburg Belastungen statt. Bremen 22.075 Quelle: BT-Drucksache 19/10801 25.025 25.757 Niedersachsen Berlin 22,5 Jahre 16.117 Sachsen-Anhalt Brandenburg dauert es im Durchschnitt, bis ein Betrieb 17.389 17.552 Nordrhein-Westfalen nach einer Arbeitsschutzkontrolle 27.150 erneut kontrolliert wird. 2007 lag der Thüringen Sachsen durchschnittliche Abstand zwischen Hessen 15.273 17.889 zwei Kontrollen noch bei 10,5 Jahren. 22.058 Quelle: BT-Drucksache 19/7218 Rheinland-Pfalz ILO-Zielmarke 25.641 Bayern 10.000 38.526 Um 40 % ging im Bundesgebiet Saarland 26.983 Baden-Württemberg zwischen 2001 und 2017 die Zahl der von der 21.176 Arbeitsschutzaufsicht verhängten Strafanzeigen, Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2019): Bußgelder, Verwarnungen und Anordnungen Erwerbstätige in den Ländern der BRD, Reihe 1, Band 1, Tab. 3.0, S. 74 f. (Daten für 2017); SUGA 2017, Tab. TG 2 (BeamtInnen zurück (von 21.329 auf 12.808). mit A-Aufgaben). BW: Schätzung Anzahl »BeamtInnen mit Quelle: SUGA, Tab. TG 4 A-Aufgaben« analog SLIC-Report 2017 DGB | Personalreport 2019 9
ZUR PERSON Peter Heimer arbeitet als Aufsichts beamter im betrieblichen Arbeitsschutz für die Bezirksregierung Düsseldorf. Das Interview gibt er als ver.di-Ver trauensmann. Peter Heimer hat mit 17 eine kaufmännische Ausbildung ab- solviert, danach Tischlermeister gelernt und einige Jahre in dem Beruf gear beitet. Eine Schulung der Berufsgenos- senschaft Holz weckte sein Interesse für den Arbeitsschutz. Er bewarb sich bei der Gewerbeaufsichtsverwaltung Nordrhein-Westfalen und begann am 1. Juli 1990 eine achtzehn-monatige Ausbildung im mittleren Dienst. Danach »Wir können kontrollierte er Betriebe im Mess- und Prüfdienst. Nach dem Laufbahnwechsel in den gehobenen Dienst untersucht er seit 2003 Gefahrstoffe. In der Bezirks uns nicht regierung Düsseldorf arbeiten 166 Beschäftigte im Arbeitsschutz, in Nord- rhein-Westfalen 722. Darunter sind 519 AufsichtsbeamtInnen,von ihnen aber in 27 Teile nur 316 mit reinen Arbeitsschutzaufgaben (A-Aufgaben lt. LASI LV 1). teilen« Arbeitsschutzaufsicht mit Schwerpunkt Ge- Leute. Ein weiteres Drittel geht fahrlässig vor und fahrstoffe und biologische Arbeitsstoffe – was regelt bestimmte Dinge nicht. Und ein letztes Drit- kann man sich darunter vorstellen? tel vernachlässigt den Arbeitsschutz systematisch. Peter Heimer: Ich gehe in Hochrisikobetriebe, die Die erreicht man manchmal noch, wenn man den mit krebserzeugenden Stoffen hantieren, zum Bei- richtigen Ton trifft. Ein kleiner Teil von denen macht spiel mit Nickelverbindungen. Ich bin häufig in der das aber bewusst, um Geld zu sparen. Das sind Stahlindustrie unterwegs. Oder in Kliniken, die mit Kriminelle, die muss man hart bestrafen. Die las- multiresistenten Erregern umgehen. Oder ich sorge sen Leute ohne Schutzausrüstung jegliche Arbeiten dafür, dass Feuerwehrleute ihre Uniform nicht zu machen. Hause waschen. Da stecken nach dem Einsatz PAKs drin – ebenfalls krebserzeugend. Was muss eine Person mitbringen, um in der Aufsicht zu arbeiten? Kümmern sich Betriebe in Deutschland um die Mehrere Jahre Berufspraxis. Du musst die Realität in Gesundheit der Beschäftigten? den Betrieben kennen: die Hierarchien, die Knack- Ein Drittel der Betriebe arbeitet eigenständig im punkte, den Termindruck. Du brauchst fundiertes Arbeitsschutz. Sie denken mit und schützen ihre Wissen. Und du brauchst Empathie, die Arbeitsbe- 10 DGB | Personalreport 2019
dingungen von Menschen müssen dich berühren. Unser Kerngeschäft ist Da geht es um Würde, dafür brauchst du ein Gespür. die Besichtigung von Betrieben, da sind die Was heißt das konkret? Zahlen rapide in den Keller Es gab Schwerpunktkontrollen zur Leiharbeit. Ich gegangen. habe mir da im Betrieb gezielt die Sozialräume an- geschaut. Es gab Umkleiden mit guten Spinden, es gab separate Räume mit schlechten Spinden für Fremdfirmen. Und die Leiharbeiter hatten nichts, die mussten sich vor der Stempeluhr umziehen. Sie kräfte weg, der Anteil administrativer Arbeit ist standen dort in Unterhose, alle anderen liefen an massiv angestiegen. Einmal in der Woche haben wir ihnen vorbei. Ich hab den Verantwortlichen gefragt, Telefondienst, das nennt sich Servicetag. Da werde wie er sich da fühlen würde. Erfahrung plus Empa- ich ständig bei meiner Arbeit unterbrochen. Beides, thie, das macht das Berufsethos aus. Personalabbau und Aufgabenzuwachs, frisst unsere Kernaufgabe auf. Wie hat sich die Personalausstattung der Ar- beitsschutzverwaltung verändert? Wie wirkt sich das aus? Seit Mitte der Neunzigerjahre wurde ein gutes Drit- Früher konnte ich drei Tage pro Woche in den Au- tel des Personals weggekürzt. Es gab zwei Trends, ßendienst, heute eineinhalb. Meine Zielvorgabe, beide zu unserem Nachteil. Erstens war es in der 150 Betriebe im Jahr aufzusuchen, habe ich in guten Hochphase des Neoliberalismus nicht schick, Beam- Zeiten geschafft – heute nicht mehr. Wir können uns te zu beschäftigen und Betriebe zu kontrollieren. nicht in 27 Teile teilen. Unser Kerngeschäft ist die Es gab ein Mantra der politisch Verantwortlichen: Besichtigung von Betrieben, da sind die Zahlen rapi- »Das Arbeitsschutzsystem greift!« Sie glaubten, de in den Keller gegangen. Es vergehen rechnerisch dass jeder Betrieb eine Sicherheitsfachkraft habe 35 Jahre, bis ich einen Betrieb nach einer Kontrolle und Überwachung überflüssig sei. Die Realität war erneut aufsuche, Tendenz Richtung 40. Daran gibt eine andere, aber der Personalabbau wurde so be- es nichts zu deuteln. Die Leidtragenden sind die Be- gründet. Zweitens gab es eine ungeheure Sparwut. schäftigten, die wir nicht zu sehen bekommen. Die Ich habe im Mess- und Prüfdienst gearbeitet, der in Hinterhöfen in kleinen Dienstleistungsunterneh- wurde komplett runtergefahren. Weniger Personal, men arbeiten. Oder als Subunternehmer, als Dritte in weniger Geld. Teure Messgeräte standen nur noch der Kette, und in der Stahlindustrie irgendwo sauber im Schrank. Mein Aufsichtsbezirk wurde deutlich machen. Wir schaffen nicht, das zu kontrollieren. größer, mit viel mehr Beschäftigten: Essen, Duisburg, Oberhausen und Mülheim an der Ruhr. Solche Jobs sind prekär – und gleichzeitig schwerer zu überwachen? Die geschrumpfte Personaldecke soll also grö- Die Baustellenüberwachung ist ein Beispiel, meine ßere Regionen abdecken? Kollegen reiben sich auf. Als ich 1990 anfing, war Nicht nur das. Das Personal, was noch da ist, hat das schon nicht einfach. Aber die heutige Struktur auch wesentlich mehr Aufgaben. Es ist ein riesi- mit den Subunternehmen ist schlimm. Der Chef ist ger Wust, und vieles davon sind B-Aufgaben jen- nicht greifbar, der Bauherr interessiert sich nicht. seits des Arbeitsschutzes. Verbraucherschutz zum Man will den aktuellen Bauboom mit geringen Kos- Beispiel. Der ist wichtig, er gehört aber nicht zum ten und geringen Kontrollen stemmen. Die Folge: Arbeitsschutz. Dann sind unsere Unterstützungs- Eine Generation osteuropäischer Bauarbeiter wird DGB | Personalreport 2019 11
gesundheitlich geschädigt, fühlt sich wertlos, zer- allem die Phase bis 2015 war schlimm, die psychi- bricht. Das ist eine gesellschaftliche Schande. Und sche Belastung war sehr hoch. Das ist nicht spurlos das nicht auf einer FIFA-Baustelle in Katar, sondern an mir vorbeigegangen, auch gesundheitlich nicht. beim Neubau einer deutschen Hochschule. Viele sind über die Jahre frustriert. Sie zerbrechen an den vielen Aufgaben und haben innerlich ge- Eine funktionierende Durchgriffsverwaltung kündigt. Ich verstehe das, aber ich selbst setze mir müsste das unterbinden. persönliche Ziele. Kleine, aber realistische Ziele, das Es klappt aber nicht. Im Asbestbereich haben wir es motiviert. bei rund 40 Prozent der Kontrollen mit Straftaten zu tun. Jede einzelne Tat müssen wir bei der Staatsan- Könnte die stärkere Digitalisierung der Arbeits- waltschaft anzeigen. Das Ergebnis ist immer, dass schutzverwaltung Entlastung schaffen? die Verfahren eingestellt werden. Die Staatsanwalt- Theoretisch. Im Vergleich zu den Nachbarländern schaften sind überlastet, die Justiz setzt Arbeits- hinken wir aber deutlich hinterher. Es ist noch im- schutzrecht nicht um. Verstöße werden nicht sank- mer die Regel, bei Betriebskontrollen handschriftlich tioniert und erscheinen als Bagatellen. Und bei den Notizen zu machen und sie im Büro abzutippen. Die Beschäftigten kommt an, dass der Schutz ihrer Ge- IT-Unterstützung im Außendienst ist schlecht. Sie sundheit nicht wichtig ist. Das ist eine fatale gesell- kann nicht für alle gestellt werden, obwohl es Auf- schaftliche Entwicklung! Überall in Europa wird das gabe des Hauses wäre. Ich habe ein Notebook mit Thema ernster genommen, da gibt es bei Verstößen UMTS-Anbindung und kann mobil arbeiten. Aber harte Sanktionen. nur, weil ich beim Vorgesetzten und in der IT-Abtei- lung Druck gemacht habe. Ich kann mit dem mo- Die Situation muss für die AufsichtsbeamtIn- bilen Drucker ein Mangelschreiben vor Ort ausdru- nen belastend sein. cken. Wie soll ich sonst Binnenschiffer kontrollieren? Ja. Die Arbeit hat sich immer mehr verdichtet, es Ich kann es dem Kapitän ja schlecht mit der Post wurde immer mehr. Man arbeitet von 6.30 bis 17 hinterherschicken. Insgesamt ist die Ausstattung Uhr und geht erschöpft nach Hause. Man häuft nicht gut, auch beim Fuhrpark nicht. Alles zu kom- Überstunden an und hat keine Freizeit mehr. Vor pliziert, zu langsam. »Die BRD hat vor über 60 Jahren das ILO Übereinkommen 85 ratifiziert. Sie ist verpflichtet, unabhängige staatliche Aufsichtsbehörden zu schaffen, die den Arbeitsschutz kontrollieren. Diese Pflicht ergibt sich auch aus Art. 3 der Europäischen Sozialcharta und aus Art.4 der Rahmen- richtlinie 89/391/EWG. Die ILO hat empfohlen, dass auf 10.000 Beschäftigte ein Aufsichtsbeamter kommt. Davon Prof. Dr. Wolfhard Kohte sind gewisse Abweichungen möglich; aktuelle Daten Juraprofessor an der zeigen aber, dass Deutschland dieses Ziel unzulässig weit Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg verfehlt. Es wird Zeit, dass das korrigiert wird.« 12 DGB | Personalreport 2019
Der öffentliche Dienst ist überaltert – auch Was muss passieren, um die Bedingungen ins- beim Arbeitsschutz ist das Durchschnittsalter gesamt zu verbessern? hoch. Wird gegengesteuert? Fünf Punkte: erstens, ganz klar, mehr Personal. Den An der Stelle muss ich NRW wirklich loben. Seit 2015 Aufgabenzuwachs habe ich beschrieben, und zu wurde es besser, unsere Altersabgänge werden er- wichtigen Zukunftsfragen kommen wir nicht flä- setzt. Bei der Bezirksregierung Düsseldorf haben wir chendeckend. Überwachung der Arbeitszeit, Stress, den demografischen Wandel schon geschafft. 70 Zunahme psychischer Erkrankungen – da müssen Prozent der Beschäftigten sind heute jünger als 40 wir uns viel besser aufstellen. 750 Aufsichtsbeam- Jahre. Wir haben echt gute Leute bekommen, sehr tInnen im Arbeitsschutz für NRW, das wäre vernünf- engagiert und empathisch. Auch bei anderen Be- tig. Zweitens brauchen wir ein Expertisezentrum zirksregierungen geht es voran. Es gibt in NRW auch Arbeitsschutz nach niederländischem Vorbild, mit die Diskussion, ob wir zusätzliches Personal bekom- Praktikern aus verschiedenen Bereichen: Gewerbe- men. Es wäre bitter nötig. ärztinnen, Toxikologen, praxiserfahrende Fachleute. Das kann uns im Hintergrund unterstützen, dort Findet ein Wissenstransfer statt, wenn Altge- können aber auch neue Dinge entwickelt werden. diente in den Ruhestand gehen? Das ist der Schlüssel zur Veränderung dieser Verwal- Ja, da habe ich zwei sehr positive Ansätze erlebt. tung. Das NRW-Landesinstitut für Arbeitsgestaltung Zum einen wird hier sehr viel Zeit in die Ausbildung kann das mit seiner Aufgabenstellung und Perso- investiert. Das rechne ich dieser Verwaltung hoch nalausstattung nicht leisten. Drittens brauchen wir an. Die Auszubildenden werden gut eingearbeitet eine zentrale Schwerpunktstaatsanwaltschaft für und mit in die Betriebe genommen. Und bei uns im Arbeitsschutzdelikte in NRW und die Justiz muss Bereich Gefahr- und Biostoffe ist auch der Wissens- personell besser ausgestattet sein. Viertens: gute transfer super organisiert. Jeder Standardablauf Rahmenbedingungen, bessere Ausstattung! Dazu wird im Wissensmanagement hinterlegt. Die Verfah- gehören IT, Unterstützungskräfte, der Fuhrpark, aber rensabläufe können alle nachlesen. Dadurch können auch eine flexible Arbeitszeitgestaltung. Das ist heu- wir das hohe Niveau unserer Arbeit halten. Ich bin te obligatorisch. Und fünftens muss durch gezielte stolz, dass ich daran mitwirken kann. Werbung unser Beruf bekannter werden. »Arbeitsschutzbehörden sehen je nach Bundesland anders aus. Für eine bessere Überwachung braucht es aber eine gemeinsame Basis: gute Kooperationsstruktu- ren, moderne Ausrichtung und Ausstattung, zeitgemäßer Datenaustausch. Außerdem wird unser Personal älter und wir müssen den Wissenstransfer stemmen. In Hamburg haben wir regelmäßig eine Qualifizierungsgruppe, dort Dr. Volker Kregel funktioniert das gut. Betriebe brauchen für den Arbeits- Direktor des Amtes für Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz einen zukunftsfesten, verlässli- Hamburg, Länderausschuss für Arbeits- schutz und Sicherheitstechnik (LASI) chen und verpflichtenden Rechtsrahmen.« DGB | Personalreport 2019 13
KAPITEL 3 Langfristige Veränderungen im Personalstand In der Nachkriegs-BRD wuchs das Personal im öf- lionen. Vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjah- fentlichen Dienst stetig an, zwischen 1960 und 1990 ren gab es durch eine Ausweitung der Staatstätig- stieg die Zahl der Beschäftigten von 3 auf 4,68 Mil- keit deutliche Personalzuwächse. ENTWICKLUNG DES PERSONALSTANDS, KÖPFE, IN TAUSEND Jahr insgesamt BeamtInnen und ArbeitnehmerInnen Frauen im RichterInnen öffentlichen Dienst 1991 6.737,8 1.843,5 (27,4 %) 4.637,1 (68,8 %) 3.155,2 (46,8 %) 1995 5.371,0 1.701,1 (31,7 %) 3.475,5 (64,7 %) 2.677,2 (49,8 %) 2000 4.908,9 1.684,6 (34,3 %) 3.037,8 (61,9 %) 2.493,5 (50,8 %) 2005 4.599,4 1.691,6 (36,8 %) 2.722,7 (59,2 %) 2.390,8 (52 %) 2010 4.586,1 1.687,1 (36,8 %) 2.713,4 (59,2 %) 2.467,2 (53,8 %) 2015 4.645,5 1.671,3 (36 %) 2.808,2 (60,5 %) 2.603,4 (56 %) 2018 4.802,9 1.688,0 (35,1 %) 2.947,3 (61,4 %) 2.736.6 (57 %) DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, Tab. 1.2 und 2.1 Tabelle 2 Abbildung 3 BESCHÄFTIGTE DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, KÖPFE, IN TAUSEND 4908,9 4821,1 4809,1 4802,9 4779,4 4739,9 4689,0 4669,9 4652,5 4645,5 4635,2 4617,4 4599,4 4602,9 4586,1 4576,0 4547,6 4540,6 4505,1 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2018, Tab. 8.1.1 14 DGB | Personalreport 2019
VERGLEICH ZUM VORJAHR, BESCHÄFTIGTE DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, KÖPFE, IN TAUSEND Jahr insgesamt Bund Länder Kommunen Sozial versicherung 30.6.2017 4.739,9 493,4 2.388,9 1.487,6 370,1 30.6.2018 4.802,9 496,3 2.419,8 1.518,6 368,2 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, Tab. 1.2 und 2.1 Tabelle 3 Ab den Neunzigerjahren folgte eine lange Phase Abbildung 3 zeigt die Personalstandentwicklung ab von Stellenstreichung und Personalabbau. Zwischen dem Jahr 2000 nach Köpfen, Abbildung 4 zeigt sie 1991 und 2018 ist das Personal des öffentlichen nach Vollzeitäquivalenten. Das Vollzeitäquivalent Dienstes um rund 30 Prozent von 6,74 auf 4,8 Mil- gibt an, wie viele Vollzeitstellen sich rechnerisch bei lionen Beschäftigte gesunken. einer gemischten Personalbelegung mit Teilzeitbe- schäftigten ergeben. So wird ersichtlich, wie hoch die Für den Stichtag 30.06.2018 verzeichnet die Per- Zahl der Erwerbstätigen wäre, wenn es nur Vollzeit- sonalstandstatistik einen Personalzuwachs. Die arbeitsplätze gäbe. Ein Vergleich macht deutlich, dass Beschäftigtenzahl stieg im Vergleich zum Vorjahr der Rückgang der Beschäftigtenzahlen den massiven insgesamt um 62.960 Personen. Dies ist in erster Abbau der Stellen im öffentlichen Dienst nur zum Linie auf eine Zunahme im kommunalen Bereich Teil widerspiegelt. Hintergrund ist der Anstieg der (plus 31.005) und bei den Landesbeschäftigten (plus Teilzeitbeschäftigung: Eine Vollzeitstelle wird immer 30.980) zurückzuführen. häufiger von mehr als einer Person ausgefüllt. Abbildung 4 VOLLZEITÄQUIVALENTE IM ÖFFENTLICHEN DIENST, IN TAUSEND 4438,8 4333,2 4292,1 4237,9 4232,7 4179,2 4132,7 4111,1 4087,2 4083,0 4057,4 4030,4 4026,2 4001,5 3995,7 3973,6 3956,1 3953,8 3921,9 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2018, Tab. 8.1.4 DGB | Personalreport 2019 15
KAPITEL 4 Der öffentliche Dienst im europäischen Vergleich In den europäischen Ländern haben öffentliche Ar- In Deutschland (und ähnlich in den Niederlanden) beitgeber eine sehr unterschiedliche beschäftigungs- hat der Staat als Arbeitgeber eine im Vergleich ge- politische Bedeutung. Am stärksten ausgeprägt ist ringere Bedeutung. der öffentliche Sektor in den skandinavischen Län- dern. In Schweden, Dänemark und Norwegen liegt Gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung geben die der Anteil der Beschäftigten öffentlicher Arbeitgeber europäischen Nachbarn deutlich mehr für ihren öf- an der Gesamtbeschäftigung nach Zahlen der OECD fentlichen Dienst aus. Im Jahr 2018 haben die vier bei knapp 30 Prozent. Im Nachbarland Frankreich skandinavischen Länder Dänemark, Finnland, Nor- liegt der Anteil bei über 20 Prozent, in Deutschland wegen und Schweden (DK, FI, NO, SE) im Durch- dagegen nur bei rund 10 Prozent. Diese Unterschie- schnitt 13,8 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts de sind ein Hinweis darauf, dass in den europäischen (BIP) für Personal im öffentlichen Dienst ausgege- Ländern die Bewertung dessen, was eine öffentlich ben, Dänemark als einzelnes Land sogar 15,3 Pro- zu erbringende Leistung ist, unterschiedlich ausfällt. zent (siehe Abbildung 5). Die Personalausgaben in Abbildung 5 AUSGABEN FÜR DAS PERSONAL DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, ANTEIL AM BIP, IN PROZENT 17,3 16,0 15,3 14,6 11,5 13,8 10,9 10,7 9,9 8,7 7,4 7,6 Dänemark Durchschnitt DK, FI, NO, SE Durchschnitt BE, FR, NL, AT Durchschnitt Europa Deutschland insgesamt 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 DGB | Quelle: EUROSTAT, Staatseinnahmen, -ausgaben und Hauptaggregate [gov_10a_main], zu leistende AN-Entgelte, Anteil am Bruttoinlandsprodukt, Stand Juli 2019 16 DGB | Personalreport 2019
AUSGABEN FÜR DAS PERSONAL DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, ANTEIL AM BIP, 2018, IN PROZENT Norwegen 14,8 Finnland 12,4 unter 8 Schweden 12,7 8 bis 10 10 bis 12 Estland 11,3 über 12 Lettland 10,2 Dänemark 15,3 Irland 7,0 Litauen 9,8 Vereinigtes Königreich 9,0 Niederlande 8,2 Polen 10,1 Deutschland 7,6 Belgien 12,3 Luxemburg 9,2 Tschechien 9,8 Slowakei 9,3 Österreich 10,4 Frankreich 12,5 Ungarn 10,5 Slowenien 10,9 Rumänien 11,0 Portugal 10,8 Kroatien 11,7 Spanien 10,5 Bulgarien 9,5 Italien 9,8 Griechenland 11,8 DGB | Quelle: EUROSTAT, Staatseinnahmen, – ausgaben und Hauptaggregate Zypern 11,8 [gov_10a_main], zu leistende AN-Entgelte, Anteil am Bruttoinlandsprodukt, Stand Juli 2019 Abbildung 6 Deutschland beliefen sich 2018 lediglich auf 7,6 zu beobachten sind, erklären sich durch Schwankun- Prozent. Sie lagen also 6,2 Prozentpunkte unter dem gen des BIP im Rahmen der Finanz- und Wirtschafts- Niveau der vier skandinavischen Länder. krise, nicht durch Personalzuwächse. Auch die kontinentaleuropäischen Länder Belgien, Frankreich, Niederlande und Österreich (BE, FR, Gemessen an ihrer NL, AT) investieren deutlich mehr in ihr Personal. Wirtschaftsleistung geben Im Jahr 2018 waren es 10,9 Prozent. Die Ausga- die europäischen Nachbarn ben in Deutschland sind im europäischen Vergleich deutlich mehr für ihren also niedrig. Schaut man auf das Jahr 1996, so ist öffentlichen Dienst aus. Deutschland zudem weiter zurückgefallen. Zwi- schen 1996 und 2018 hat sich die Differenz zu den beiden dargestellten Ländergruppen jeweils vergrö- ßert. Die Sprünge, welche zwischen 2008 und 2012 DGB | Personalreport 2019 17
VOR ORT NACHGEFRAGT Arbeiten im Bürgeramt Das Bürgeramt ist das Gesicht der Verwaltung. Es ist der Ort, an dem Menschen in direkten Kontakt zum Staat treten. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine teure Reise geplant und merken, dass ihr Reisepass abgelaufen ist. Oder Ihr zukünftiger Arbeitgeber verlangt von Ihnen ein Führungszeugnis. Zu Recht erwarten Sie, dass Ihnen dann im Bürgeramt schnell und kompetent geholfen wird. Doch wie sieht es auf der anderen Seite des Schalters aus? Gibt es ausreichend Personal? Und wie verändert sich die Arbeit, wenn die Verwaltung digital wird? ARBEIT IM MENSCHLICHEN TAKT? das deutschlandweit in Bürgerämtern untersucht.1 Eine Unternehmensberatung hat für die Berliner Über 96 Prozent der Führungskräfte und Personal- Bürgerämter berechnet, was deren Beschäftigte ratsvorsitzenden sagen übereinstimmend, dass die leisten sollen. Das Ergebnis: 10 Minuten mittlere Belastungen der Beschäftigten hoch oder sehr hoch Bedienzeit pro KundIn, 5,7 KundInnen pro Stunde. sind. Faktoren sind Termin- und Zeitdruck, hohe Solche Zahlen geben eine Schlagzahl vor. Den Ar- Arbeitsdichte, aber auch Unterbrechungen, der Ge- beitsalltag der Beschäftigten erfassen sie aber nicht, räuschpegel und schlechte Aufstiegschancen. Die denn der ist durch den Kontakt mit Menschen ge- Belastungen nahmen in den letzten fünf Jahren zu. prägt. Die Arbeit ist schön, wenn man helfen kann oder eine positive Rückmeldung erhält – bei Kon- NÄCHSTER HALT: DIGITALE flikten aber auch anstrengend. In einen starren Takt VERWALTUNG pressen lässt sie sich jedenfalls nicht. Und in Zukunft? Die stellvertretende DGB-Vorsit- zende Elke Hannack konnte sich im Frühjahr 2019 ARBEIT IN HETZE eine durchdigitalisierte Verwaltung ansehen – in Hinzu kommt, dass oft die Rahmenbedingungen Kopenhagen. Behördenangelegenheiten erledigt nicht stimmen. Studien zeigen: Größter Stresstrei- man dort am Selbstbedienungs-Terminal oder per ber bei Interaktionsarbeit, also der Arbeit mit Men- Mausklick von zu Hause aus. Im Bürgeramt ist damit schen, ist fehlende Zeit. Ein Forschungsprojekt hat die Arbeit der Beschäftigten im Backoffice wichtiger geworden, da mehr Mails und Anrufe beantwortet werden müssen. Und es gibt weniger Personal, 20 Prozent der Stellen wurden weggekürzt. Auch in GESCHICHTE DER BÜRGERÄMTER Deutschland werden Verwaltungsleistungen digi- Bürgerämter gibt es in nahezu allen Städten in talisiert. Positive Effekte hat das bisher aber nicht. Deutschland. Sie haben sich aus den klassischen Ein- wohnermeldeämtern entwickelt. Die Idee, Verwaltungs- Im öffentlichen Dienst nahmen laut Umfrage die leistungen nicht mehr verstreut über mehrere Ämter Arbeitsbelastung und die Zahl der gleichzeitig zu er- verteilt anzubieten, entstand Ende der 1970er Jahre in einem Modellprojekt in Unna in Nordrhein-Westfalen. ledigenden Aufgaben zu.2 Auch die Beschäftigten in Dienstleistungen für die BürgerInnen sollten an einer Bürgerämtern bewerten Digitalisierung meist nicht Stelle gebündelt werden. Spätestens seit Mitte der als Ent-, sondern als Belastung.3 Wie sieht es auf der 1990er Jahre hat sich die Idee in Städten durchgesetzt. Baustelle Bürgeramt aus? Das Interview mit Stefan Wiarda zeichnet ein Bild der Situation in Hamburg. 18 DGB | Personalreport 2019
ZAHLEN & FAKTEN 88,9 % der Personalratsvorsitzenden, 56 % der befragten BürgerInnen haben in deren Bürgeramt in den letzten Jahren Personal Befürchtungen im Hinblick auf den »gläsernen abgebaut wurde, berichten von einer größeren Bürger«. Ein Bürgerkonto, auf dem wichtige Doku- Arbeitsverdichtung für die Beschäftigten. mente abgespeichert werden und auf das Behörden 71,7 Prozent erklären, dass der Personalabbau das zugreifen können, findet wenig Akzeptanz. Arbeitsklima verschlechtert hat. Quelle: eGovernment MONITOR 2018 Quelle: Bogumil et al. (2019): a.a.O. 575 57,5 % Verwaltungsleistungen für Bürger der Beschäftigten im Innen und Unternehmen sollen laut Bundes Bürgeramt Bochum geben an, dass sie regierung bis 2022 digital zur Verfügung stehen. zufrieden mit den Arbeitsbedingungen sind. Die angestrebte Leistungstiefe ist allerdings unklar Im Bürgeramt Karlsruhe sind es 49,2 Prozent. Quelle: IT-Planungsrat 81,6 Prozent der befragten BürgermeisterInnen in 63 % Deutschland erklären, die Mitarbeiterzufrieden heit in ihren Bürgerämtern sei hoch. der Beschäftigten aus der Quelle: Bogumil et al. (2019), a.a.O. öffentlichen Verwaltung erklären, dass durch die Digitalisierung die zu bewältigende 27 % Arbeitsmenge größer geworden ist. der Beschäftigten aus der öf- Quelle: Roth, Ines (2017), a.a.O. fentlichen Verwaltung, die interaktiv arbeiten, 43 % berichten von oft oder sehr häufig vorkommenden negativen und psychisch belastenden Ereignissen. der BürgerInnen, die das Internet Das können ein tätlicher Angriff sein, Beleidigun- nutzen, vereinbaren Behördentermine online. gen, aber auch die Konfrontation mit sozialem Stärker verbreitet ist die Suche nach Informationen Elend oder das Gefühl, Menschen nicht helfen zu zu Zuständigkeiten oder Öffnungszeiten, können. 77 Prozent haben diese bereits online erledigt. Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2018 Quelle: eGovernment MONITOR 2018 40 % der befragten BürgerInnen haben in den letzten 12 Monaten E-Govern- 1 | Bogumil, Jörg et al. (2019): Bürgerämter in Deutschland, Baden-Baden (i.E.) ment-Angebote genutzt. Die Zahl ist im 2 | Roth, Ines (2017): Digitalisierung und Arbeitsqualität. Son- Vergleich zum Vorjahr rückläufig. 58 Prozent sind derauswertung DGB-Index Gute Arbeit zum Dienstleistungs- zufrieden mit dem aktuell verfügbaren Online- sektor. Online unter www.innovation-gute-arbeit.verdi.de 3 | Schwab, Christian et al. (2019): Digitalisierung der Bürger- Angebot zur Abwicklung von Behördengängen. ämter in Deutschland. Study der Hans-Böckler-Stiftung, Quelle: eGovernment MONITOR 2018 Nr. 427. Düsseldorf DGB | Personalreport 2019 19
»Personal einsparen, das war hier ZUR PERSON Stefan Wiarda arbeitet sein ganzes Berufsleben im Bezirksamt Hamburg lange die Nord. Anfang der Neunzigerjahre ab solvierte er eine Ausbildung für den gehobenen allgemeinen Verwaltungs- dienst. Mit seinen KollegInnen vom Prämisse« Wohnraumschutz des Bezirks verfolgte er danach den Leerstand oder die Zweckentfremdung von Wohnraum. Seit 2002 ist er freigestelltes Personal- ratsmitglied und vertritt unter anderem die Interessen der 82 KollegInnen, die in den drei Bürgerämtern im Bezirk arbeiten. Beim Bezirksamt Hamburg Nord arbeiten insgesamt über 1.000 Be- schäftigte in über sechzig Berufsgruppen. 20 DGB | Personalreport 2019
In Hamburg war die löchrige Personaldecke in Sehr viele der Neu- den Kundenzentren – anderswo als Bürgeräm- eingestellten kündigen in ter bezeichnet – viele Jahre lang Thema. Wie der Probezeit, weil ihre stellte sich die Situation dar? Erwartungen nicht erfüllt Stefan Wiarda: Die Kürzungen bei den Bezirks- werden. Es gibt eine ämtern wirken bis heute nach, auch in den Kunden- unheimliche Fluktuation. zentren. Personal einsparen, das war hier lange die Prämisse. Eine zentrale Wegmarke war das Projekt OPTIKUZ – »Optimierung der Kundenzentren« – in den Jahren 2012 bis 2014. Es stand nicht offiziell drin, dass das Projekt auf Personalkürzungen ab- zielt, aber es war allen klar. So kam es dann auch. In dieser Zeit wurde das Online-Terminmanagement se extern erfolgen. Für die Kundenzentren gilt das eingeführt und es wurde behauptet, dass sich damit schon lange nicht mehr. Intern bewirbt sich prak- Personal einsparen lässt. Es gab deutlich weniger tisch niemand – die Arbeitsbedingungen sind nicht Beschäftigte und in der Folge viele Beschwerden attraktiv. Die Ausschreibung wurde also für Leute über lange Wartezeiten. ohne Verwaltungsausbildung geöffnet. Eine ver- gleichbare kaufmännische Ausbildung reicht: Notar- Und wie ging es dann weiter? fachangestellte, Bürokaufmann oder Bankkauffrau. Wegen der massiven Engpässe wurden phasen- Das funktioniert aber nicht gut. Sehr viele der Neu- weise Unterstützungskräfte eingestellt, zum Bei- eingestellten kündigen in der Probezeit, weil ihre spiel vor den Sommerferien. Mit befristetem Vertrag Erwartungen nicht erfüllt werden. Es gibt eine un- und schlechter Bezahlung – das waren Beschäftigte heimliche Fluktuation. Und für die Alteingesessenen zweiter Klasse. Diese Praxis wurde beendet – zum ist es anstrengend, immer wieder neue KollegInnen Glück. 2017 hat die rot-grüne Koalition in der Bür- einzuarbeiten. gerschaft die »Serviceoffensive der Kundenzentren« gestartet. Es gab den Beschluss, die Öffnungszei- Für Öffnungszeiten von 7 bis 19 Uhr mussten ten aller Kundenzentren zu vereinheitlichen und Schichtdienste eingeführt werden. Was sagen deutlich zu verlängern. Montag bis Freitag, von 7 bis die Beschäftigten dazu? 19 Uhr. Überall. Deswegen musste wieder Personal Für diejenigen, die über die externe Ausschreibung eingestellt werden. Seit 2017 kletterte die Zahl der neu gewonnen wurden, gehört Schichtarbeit von Beschäftigten in den Kundenzentren nach oben. Beginn an dazu. Für sie ist es keine Umstellung. Für den Rest der Mitarbeiterschaft ist es eine Zäsur. Der Reicht der Personalzuwachs aus, um längere Frust ist riesig. Der Finanzsenator hat die Umstellung Öffnungszeiten abzudecken? auf Schichtarbeit auf einer Personalversammlung Nein, das Gefühl habe ich nicht. Der Druck ist wei- sehr konfrontativ vertreten. Er meint, wenn Polizei terhin groß, weil es zu wenig Personal gibt. und Feuerwehr im Schichtdienst arbeiten, können das die Kundenzentren auch. Viele empfinden das Gelingt es, neue Kräfte für die Kundenzentren als Geringschätzung ihrer Arbeit. Nach dem Motto: zu gewinnen? »Erst habt ihr uns personell ausbluten lassen. Da- Nicht gut, es gibt dauerhaft Personalbedarf. Wir ha- durch konnten wir unsere Arbeit nicht ordentlich ben hier für den öffentlichen Dienst den Grundsatz, machen. Und jetzt zaubert ihr die Schichtarbeit aus dass Stellenausschreibungen nur ausnahmswei- dem Hut.« Deshalb sind viele Altgediente weg, sie DGB | Personalreport 2019 21
haben die Kundenzentren verlassen. Wie gesagt: Wir PC, Internet und E-Mail haben einen hohen Bedarf an Einarbeitung und sehr kennen wir lange, und viel Fluktuation. Und diese Last liegt auf Schultern trotzdem krempelt die von mittlerweile sehr wenigen erfahrenen KollegIn- Digitalisierung vieles um. nen. Wie sehen die Schichten denn aus? Frühschicht von 7 bis 13 Uhr, Spätschicht von 13 bis 19 Uhr. Wir haben als Gewerkschaften eine Vereinbarung abgeschlossen und versucht, die Be- lastungen zu verringern. Auf Menschen, die aus ben zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberseite persönlichen Gründen nicht gut Schichtarbeit leis- zum Beispiel vereinbart, dass in den Kundenzentren ten können, soll Rücksicht genommen werden. Die 30 Prozent der Arbeitszeit für Backoffice reserviert Leitungen der Kundenzentren versuchen das auch, ist. Diese Zeit schafft einen Ausgleich und ist wich- aber es hat Grenzen. Die Schichten müssen ja be- tig, um Vorgänge in Ruhe zu Ende zu führen. Wenn setzt sein. Und jetzt soll ein Kundenzentrum auch ein Termin dem nächsten folgt, den ganzen Tag, noch samstags geöffnet werden. dann stresst das. Und man ist permanent im Ram- penlicht, denn der Wartebereich ist von den Arbeits- Das wäre der nächste Einschnitt. plätzen räumlich nicht überall getrennt. Deshalb Ja. Bei der Schichtarbeit konnten wir die Bedin- die Zielmarke 30 Prozent. Aber dieses Ziel erreichen gungen mitbestimmen. Verhindern konnten wir sie wir mit der aktuellen Personaldecke nicht. Gerade nicht, deshalb haben wir die Kröte geschluckt und kommt es häufig vor, dass Leitungskräfte die Kol- verhandelt. Die Samstagsarbeit ist eine sehr grund- legInnen aus dem Backoffice nach vorne schicken. sätzliche Frage. Das machen wir nicht mit. Als Perso- Nach dem Motto: »Geh mal raus, wir sind zu weni- nalräte und Gewerkschaften werden wir Samstags- ge.« Das wird als Druck erlebt. arbeit nicht zustimmen. Wie hat sich denn die Arbeit selbst verändert? Was hat sich durch das Projekt »Serviceoffensi- Als ich anfing, da hieß es nicht Kundenzentrum, ve der Kundenzentren« noch verändert? sondern Einwohnermeldeamt oder »Meldehalle«. Es wird von zentraler Stelle gesteuert. Die Finanz- Ganz früher gab es noch den Beruf des Passschrei- behörde ist für die Neuorganisation verantwortlich bers. Diese Zeiten sind lange vorbei. PC, Internet und hat einen sogenannten Leitstand gebildet. Von und E-Mail kennen wir lange, und trotzdem krem- dort wird beobachtet und kontrolliert und Druck pelt die Digitalisierung vieles um. Die Beschäftigten ausgeübt. Latent, aber auch durch Anrufe und Rück- der Kundenzentren haben enorm viel Technik am fragen. Die einzelnen Kundenzentren sollen mehr Platz. Verschiedene Drucker, Fingerabdruckscanner, Terminvolumen anbieten. Das ist gerade die heilige Kartenlesegerät, Telefon, Bildschirm, Tastatur. Mitt- Kuh. Wenn sie sehen, dass in einem Kundenzentrum lerweile gibt es Biometrie-Stationen, an denen man erst in ein, zwei Wochen ein Termin gebucht werden für den neuen Pass eigenständig Fotos macht und kann, dann gibt es Rückfragen. Fingerabdrücke abgibt, die dann gleich im System sind. Es bewegt sich viel. Jetzt wurden mobile Teams Und was passiert dann vor Ort? gebildet und einzelne Kundenzentren bieten Sprech- Die Leitungskräfte stehen unter dem Druck, viele zeiten in der Sparkasse an. Die komplette technische Termine anzubieten. Den geben sie weiter. Wir ha- Ausstattung ist in einem Koffer mit dabei. 22 DGB | Personalreport 2019
Wird die digitale Verwaltung als Chance gese- ger als geplant. Und oft sind die Beschäftigten ja hen? Oder als Belastung? eh schon am Limit. Der Arbeitgeber schafft es also Das kommt auf die Bedingungen an. Die Einführung nicht, für größere Umstellungen der Hard- oder Soft- der Online-Terminvergabe fanden viele der Beschäf- ware vernünftige Bedingungen zu schaffen. Das er- tigten zuerst schlecht wegen der engen Taktung. leben wir immer wieder. Vorher gab es ja keine Zeitvorgaben, und gebum- melt wurde da auch nicht. Mittlerweile werden die Wie lautet dein Fazit? Wie können die Arbeits- fixen Zeitfenster nicht mehr so als Druck erlebt, bedingungen in den Kundenzentren besser denke ich. Und die Terminvergabe hat Vorteile, weil werden? nicht mehr bis kurz vor Ende der Öffnungszeiten Ich würde sagen: keine Samstagsöffnung! Einen Per- Wartemarken gezogen werden. Früher waren oft sonalausweis braucht man nicht am Wochenende zu noch Warteschlangen abzuarbeiten. beantragen. Und keinen Schichtdienst. Zumindest flächendeckend über ganz Hamburg ist das unnö- Gegen so eine Entlastung ist ja nichts einzu- tig – das braucht kein Mensch. Es gab auch vorher wenden. Sprechzeiten für diejenigen, die nicht zwischen 9 Das stimmt. Aber bei der digitalen Verwaltung stot- und 17 Uhr kommen können. Dann muss weiterhin tert oft der Motor, nicht nur in den Kundenzentren. die personelle Ausstattung verbessert werden. Und Zum Beispiel werden regelmäßig, derzeit in den in den Bereichen, in denen die Hamburger Verwal- Grundsicherungs- und Sozialämtern, neue Fachver- tung selbst ausbildet, ist es zu wenig. Wir haben seit fahren eingeführt, also eine neue Software, mit der Jahren steigende Bevölkerungszahlen und die Nach- die KollegInnen tagtäglich arbeiten. Das ist ihr zent- frage nach Verwaltungsleistungen wächst. Dafür rales Werkzeug und Umstellungen sind eine heftige braucht es Personal. Belastung. Es erzeugt immer Stress, die Daten ins neue Verfahren zu überführen. Es dauert immer län- »Ab 2012 war der Personalabbau in den Kundenzentren drastisch. Die Folge: Überlastung, Warteschlangen und Beschwerden. Zuletzt wurde das Personal etwas aufge- stockt. Doch nun will der Senat Service quasi rund um die Uhr – auf dem Rücken der Beschäftigten! Schicht- arbeit wurde eingeführt, Samstagsarbeit angeordnet. In den Kundenzentren herrscht Unruhe: KollegInnen fliehen in andere Jobs, die Fluktuation ist hoch, Fachkräfte werden nicht mehr gefunden. Gute Kundenzentren und Sieglinde Frieß gute Arbeit gehen anders! Wir wollen eine nachhaltige Stellvertretende Lösung – für die BürgerInnen und die Beschäftigten!« Landesbezirksleiterin ver.di Hamburg DGB | Personalreport 2019 23
KAPITEL 5 Prekäre Beschäftigung im öffentlichen Dienst Mit dem Begriff der Prekarisierung wird seit einigen Schaut man auf die Neueinstellungen, scheint sich Jahren ein tiefgreifender Wandel der Arbeitswelt be- dieser Trend auch nicht umzukehren. Zahlen aus schrieben. Die Unsicherheit nimmt zu: Ausweitung dem ersten Halbjahr 2018 zeigen, dass 44,1 Prozent des Niedriglohnsektors, Minijobs, unfreiwillige Teil- befristet erfolgten. Ein Blick auf die Wirtschaftszwei- zeit, Leiharbeit und befristete Arbeitsverträge. Die ge macht deutlich, dass befristete Neueinstellungen betroffenen Beschäftigten haben oft niedrige Einkom- im öffentlichen Dienst im Vergleich zur Privatwirt- men und einen geringen sozialen Schutz. Insbeson- schaft noch deutlich häufiger vorkommen. Beim dere Neueinstellungen erfolgen heute häufig in Be- Arbeitgeber Staat wurden im ersten Halbjahr 2018 schäftigungsverhältnissen, mit denen die Menschen rund 94.000 Beschäftigte befristet neu eingestellt, nicht langfristig planen können. Die Zukunft erscheint das entspricht 58,6 Prozent. ungewiss. Dadurch wirken die Prekarisierung der Ar- beit und die von ihr ausgelöste Furcht nicht nur auf die In den vergangenen Jahren war hier eine deutli- Betroffenen, sondern auf die Gesellschaft insgesamt. che Zunahme an befristeten Arbeitsverhältnissen zu verzeichnen. 2 Deren Anteil erhöhte sich bei den BEFRISTUNGEN IM ÖFFENTLICHEN Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst zwischen DIENST 2004 und 2018 von 9,8 Prozent auf 15,4 Prozent. In Deutschland hatten im Jahr 2018 insgesamt 3,2 Am 30.6.2018 hatten insgesamt 452.785 Arbeitneh- Millionen Menschen einen befristeten Arbeitsver- merInnen im öffentlichen Dienst einen Zeitvertrag trag. Das sind mehr als doppelt so viele wie 1996.1 (davon 57,2 Prozent Frauen). Abbildung 7 BEFRISTUNGEN BEI ARBEITNEHMERiNNEN IM ÖFFENTLICHEN DIENST 14,7 % 14,8 % 15,4 % 15,5 % 15,4 % 12,5 % 11 % 9,8 % 452.785 431.895 441.485 399.283 403.791 331.073 297.230 271.868 Anteil Befristung im öffentlichen Dienst Befristung in absoluten Zahlen 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2004 – 2018, Tab. 7.2 24 DGB | Personalreport 2019
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