Grenzüberschreitendes E-Government - Prozeßorientierte Verwaltungsforschung | European E-Government Awards

 
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Grenzüberschreitendes E-Government - Prozeßorientierte Verwaltungsforschung | European E-Government Awards
eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011   | 1

                                                                                     Ausgabe Nr.
                                                                                       Juli 2011
                                                                                      ISSN 1997-4051
                                                                                                       8

  Grenzüberschreitendes E-Government
Prozeßorientierte Verwaltungsforschung | European E-Government Awards
Grenzüberschreitendes E-Government - Prozeßorientierte Verwaltungsforschung | European E-Government Awards
2 |    eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011

Titelbild: Rathaus Hamburg
COPYRIGHT: Peter Swan
eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011   | 3

                                                                                                           Editorial

Liebe E-Government Interessierte,

Open Data und Open Government sind derzeit die wohl          Europäischen eGovernment-Aktionsplan 2011– 2015
am häufigsten diskutieren Themen im E-Government.            Ziele definiert. Den Bürgern soll bis 2014 elektronischer
Open Data bezieht sich auf Daten, die ohne Einschrän-        Zugang zu den über sie gespeicherten personenbezoge-
kungen zur freien Nutzung zur Verfügung stehen (unein-       nen Daten gegeben werden. Außerdem sollen die Bürger
geschränkte elektronische Verfügbarkeit, keine Gebühren,     automatisch informiert werden, wenn diese Daten auf au-
keine Copyrightrechte). In Bezug auf E-Government be-        tomatische Weise verarbeitet wurden.
                                                                                                                                        FH-Prof. Dr. Wolfgang
zieht sich das naturgemäß auf Verwaltungsdaten. In der                                                                                  EIXELSBERGER
offensten Form bedeutet dies, das sämtliche Daten, die       Im Sinne der Partizipation sollen IKT-Lösungen entwickelt                  Fachhochschule Kärnten
                                                                                                                                        Studienbereich Wirtschaft
nicht personenbezogen sind oder als geheim eingestuft        werden, sodass Unternehmen und Bürger sich an öffentli-
werden, öffentlich frei zugänglich sind. In Skandinavien     chen politischen Konsultationen, Diskussionen und Gestal-
gibt es erst Ansätze dazu. Dabei sollen alle Verwaltungs-    tungsprozessen beteiligen können. Umgekehrt sollen diese
dokumente, die weder geheim noch personenbezogen             Lösungen den Regierungen helfen, bessere Maßnahmen zu
sind, automatisch veröffentlicht werden.                     ergreifen und gleichzeitig die Kostenwirksamkeit und die
                                                             Folgen der Maßnahmen besser abschätzen zu können.
Damit werden sehr große Datenmengen zugänglich, die
für potentielle Nutzer nicht mehr überschaubar sind.         In der vorliegenden Ausgabe erwarten Sie wieder inter-
Herkömmliche Suchalgorithmen stoßen hier sehr rasch          essante Artikel über aktuelle Projekte und Vorhaben im
an ihre Grenzen. Der Einsatz von fortgeschrittenen           E-Government. Der Bogen spannt sich von grenzüber-
Technologien und Methoden ist daher eine wesentliche         schreitendem E-Government in Europa, prozessorien-
Voraussetzung für den Umgang mit diesen Daten (z.B.          tierte Verwaltungsforschung, Prozessketten zwischen
semantische Netzwerke).                                      Wirtschaft und Verwaltung, Qualitätssicherung von Bür-
                                                             gerbeteiligungsprojekten bis hin zu elektronischem Da-
eGovernment Review fühlt sich auch dem Gedanken              tenmanagement in der Umwelt- und Abfallwirtschaft.
von Open Data verpflichtet. Alle Ausgaben und alle Ar-
tikel sind uneingeschränkt elektronisch zugänglich.          Wir wünschen Ihnen viel Lesevergnügen bei der achten
                                                             Ausgabe von eGovernment Review.
Im Europäischen eGovernment-Aktionsplan 2011–
2015 ist explizit erwähnt, dass die freigegeben Daten von
Bürgern und Unternehmen in welcher Form auch im-
mer genutzt werden können. Darauf aufbauend können
neue innovative Produkte und Dienste entwickelt wer-         FH-Prof. Dr. Wolfgang Eixelsberger
den. Unternehmen erhalten dadurch die Möglichkeit ihr        Fachhochschule Kärnten
Geschäftsmodell auf diesen Daten aufzubauen (geogra-         Studienbereich Wirtschaft
fische, demografische, statistische und Umweltdaten).
                                                            aufruf beiträge

Es bleibt abzuwarten, wie sich dieses spannende Thema                         eGovernment Review veröffentlicht ausgewählte Artikel
weiterentwickeln wird.                                                        zu verschiedensten Aspekten von E-Government. Wenn
                                                                              Sie einen Artikel in eGovernment Review veröffentlichen
                                                                              möchten, dann senden Sie eine Kurzbeschreibung (zwi-
Open Government bedeutet ein Öffnen der Verwaltung,                           schen 150 und 300 Worte) an w.eixelsberger@fh-kaernten.
aber auch des politischen Systems, gegenüber der Bevöl-                       at. Die Kurzbeschreibung kann sowohl in deutscher als
kerung und anderen Interessierten, wie Unternehmen                            auch in englischer Sprache verfasst sein. Der eGovern-
und NGOs. Ziel ist eine erhöhte Transparenz, eine inten-                      ment-Review-Beirat bewertet die eingereichten Artikel
sivere Zusammenarbeit der Verwaltung und Politik mit                          und gibt ausgewählte Artikel zur Veröffentlichung frei.
                                                                              Einreichungen für die neunte Ausgabe werden bis zum
der Bevölkerung, aber auch die Möglichkeit zu vermehr-
                                                                              10. Oktober 2011 angenommen.
ter Innovation in der Verwaltung. Auch hier sind im
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                    eGovernment-Review-Beirat
                    Der Beirat wählt die zu erscheinenden Artikel aus, schlägt
                    Interviewpartner vor und gibt Input zur generellen Ausrichtung
                    von eGovernment Review.

                                      FH-Prof. Dr. Dietmar Brodel
                                      Rektor der Fachhochschule Kärnten, Leiter Studienbereich Wirtschaft
                                      Fachhochschule Kärnten

                                      FH-Prof. Dr. Wolfgang Eixelsberger
                                      Professur aus Wirtschaftsinformatik
                                      Fachhochschule Kärnten

                                      Dr. Peter Parycek, MSc
                                      Zentrumsleiter Zentrum für E-Government
                                      Donau-Universität Krems
                                      Lektor FH Kärnten

                                      Prof. Dr. Reinhard Posch
                                      Leiter des IAIK (Institute for Applied Information Processing and Communications)
                                      TU Graz
                                      CIO des Bundes

                                      Prof. DI Dr. Reinhard Riedl
                                      Leiter Kompetenzzentrum Public Management & E-Government
                                      Berner Fachhochschule

                                      Prof. Dr. Jürgen Stember
                                      Dekan Fachbereich Verwaltungswissenschaften
                                      Hochschule Harz

                                      DI Manfred Wundara
                                      CIO der Stadt Villach
                                      Mitglied des Präsidiums des Fachausschusses für Informationstechnologie
                                      des Österreichischen Städtebundes
                                      Leiter der Arbeitsgruppe Q-SKF der Plattform Digitales Österreich
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                                                                                                    Inhalt
                                                                                            Ausgabe Nr. 8 | Juli 2011

                                       „Viele E-Government-Lösungen der Schweiz sind Top“                                 6

                                                                                                                               aktuelles
                                      Interview mit Stephan Röthlisberger (Programm-Manager E-Government Schweiz)

                                                Grenzüberschreitendes E-Government in Europa                              8

                                                                                                                               fachartikel
             Klaus Stranacher | Arne Tauber | Thomas Zefferer | Bernd Zwattendorfer (E-Government Innovationszentrum)

                                    Prozessorientierte Verwaltungsforschung in Deutschland                                10
             Jörg Becker (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) I Helmut Krcmar (Technische Universität München)

                   Priorisierung von Prozessketten zwischen Wirtschaft und Verwaltung                                     12
                                                  Thomas Jeswein | Norman Riegel | Dieter Rombach (Fraunhofer IESE)

                                           Qualitätssicherung von Bürgerbeteiligungsprojekten                             14
                                                                         Melanie Bicking (Universität Koblenz-Landau)

                                         The Case for the European eGovernment Awards 2.0                                 16
                                                                           Christine Leitner (Donau-Universität Krems)

                                Wissensmanagement zum Schutz Kritischer Infrastrukturen                                   18
                                                               Niels Proske | Tanja Röchert-Voigt (Universität Potsdam)

                          Qualitätssicherung in interdisziplinären eGovernment-Projekten:
                                           Adaption bewährter Praktiken im P23R-Projekt 20
                                             Thomas Zehler (Fraunhoer IESE) | Petra Steffens (Fraunhofer FOKUS Berlin)

                                  Elektronische Abfertigung entlastet kommunale Haushalte                                 22
                 Elvira Christine Regenspurger (PUMA - Public Management Consulting) | Tamara Winkler (IT-Kommunal)

                                                     Die Digitale Amtstafel im Rathaus ist Realität                       24
                                       Reinhard Haider (OÖ Gemeindebund | Amtsleiter Marktgemeinde Kremsmünster)

amtstafel 2.0 - das erste Social Network für Bedienstete aus Städten und Gemeinden                                        26
        Johannes Eschenbacher (Österreichischer Städtebund) | Thomas Tropper (PUMA - Public Management Consulting)

                          LOD2: Einstiegspunkt zu vernetzten Regierungsdaten in Europa                                    28
                                                                          Martin Kaltenböck (Semantic Web Company)

                 Elektronisches Datenmanagement in der Umwelt- und Abfallwirtschaft                                       30
                                                                Franz Mochty | Christian Mannert (Lebensministerium)

                                           E-Government Tagungen, Konferenzen und Messen                                  32
                                                                                                                               service

                                                                            E-Government Publikationen                    34
6 |   eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011                                                   aktuelle information

                    „Viele E-Government-Lösungen
                    der Schweiz sind Top“
              Stephan Röthlisberger ist Programm-Manager E-Government Schweiz. Er leitet die Geschäfts-
  interview

              stelle E-Government Schweiz seit deren bestehen 2008. Zuvor war Röthlisberger bei der
              Verwaltung des Kantons Zürich als Leiter der Abteilung Datenlogistik ZH für diverse Datenaus-
              tausch- und Datenregisterprojekte verantwortlich. Ursprünglich hatte Röthlisberger jedoch an
              der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich Geophysik studiert und war danach
              einige Jahre am Schweizerischen Erdbebendienst als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig.

                    Welche Aufgaben hat die Geschäftsstelle E-Government          aber den Vergleich mit Österreich, Deutschland oder an-
                    Schweiz?                                                      deren EU-Ländern nicht scheuen. Viele E-Government-
                    Die Geschäftsstelle E-Government Schweiz ist das zent-        Lösungen in der Schweiz zählen zu den Top-Lösungen in
                    rale Dienstleistungszentrum für die koordinierte Umset-       Europa. Jedoch sind diese, dank des Föderalismus, nur in
                    zung der nationalen Strategie und wirkt als Stabsorgan des    einzelnen Kantonen in Betrieb. Damit fehlt die flächende-
                    Steuerungsausschusses sowie des Expertenrates. Sie ist u.a.   ckende Ausbreitung über die ganze Schweiz. Dies hat na-
                    die Anlaufstelle für die federführenden Organisationen,       türlich direkte Auswirkungen auf das schlechte Abschnei-
                    pflegt die Umsetzungsinstrumente und ist sowohl für das       den der Schweiz in den internationalen Vergleichsstudien
                    strategische Controlling, die Kommunikation, sowie den        wie zum Beispiel dem E-Government Benchmark der EU.
                    Informationsaustausch mit weiteren Organisationen, For-       Zurzeit werden viele neue Kooperationen, insbesondere
                    schung und Wirtschaft zuständig. Die Geschäftsstelle wird     unter den Kantonen geschaffen, mit welchen der Aus-
                    durch den Bund finanziert und ist beim Informatikstrate-      tausch von bestehenden Lösungen zwischen den Kanto-
                    gieorgan Bund (ISB) angesiedelt.                              nen gefördert wird.

                    Wie sehen Sie den aktuellen E-Government Stand in der         Was sind zukünftig geplante E-Government Aktivitäten auf der
                    Schweiz?                                                      nationalen Ebene in der Schweiz?
                    Wird das E-Government Benchmark der EU betrachtet,            Die aktuelle Rahmenvereinbarung über die E-Govern-
                    so schneidet die Schweiz dabei noch immer schlechter          ment Zusammenarbeit zwischen Bund und den Kan-
                    ab, als der Durchschnitt der EU-Länder. Ihre Position hat     tonen gilt bis Ende 2011. Um die Kontinuität der E-
                    sich aber im Jahr seit der vorhergehenden Messung stär-       Government-Strategie Schweiz und deren Umsetzung
                    ker verbessert als der EU-Durchschnitt. Einen deutlichen      zu gewährleisten, hat der Steuerungsausschuss die Ge-
                    Schub hat die Schweiz insbesondere auch dank einem            schäftsstelle E-Government Schweiz beauftragt, unter
                    Paket E-Government aus den Konjunkturellen Stabilisie-        Einbezug der wichtigsten E-Government-Akteure die
                    rungsmassnahmen erfahren. Da diese Gelder jedoch auf          Erneuerung der Rahmenvereinbarung durchzufüh-
                    das Jahr 2010 beschränkt waren, so lässt sich nun wieder      ren. Im Juni 2011 hat der Steuerungsausschuss bereits
                    eine gewisse Verlangsamung feststellen. Gleichwohl sind       einen Entwurf der erneuerten Rahmenvereinbarung
                    nun bereits 10 der 45 priorisierten Vorhaben, welche im       verabschiedet. Dieser ist nun bei den Kantonen und
                    Rahmen der E-Government-Strategie Schweiz koor-               Bundesstellen in einer Vernehmlassung. Die neue
                    diniert umzusetzen sind, in Betrieb. Mit der geplanten        Rahmenvereinbarung soll unter anderem eine noch
                    Erneuerung der Rahmenvereinbarung, soll ein weiterer          stärkere Steuerung, eine Fokussierung auf ausgewählte
                    Schub bei der Umsetzung der E-Government-Strategie er-        Vorhaben und eine bessere Zusammenarbeit auf allen
                    reicht werden. Im Detail betrachtet muss sich die Schweiz     föderalen Ebenen bringen.
aktuelle information                                                    eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011   | 7

Die Geschäftsstelle E-Government Schweiz hat das Projekt        sich dabei um ein zentrales Register amtlicher Dokumente,
„E-Government in den Gemeinden“ initiiert. Welche Maßnah-       welches online zur Verfügung gestellt werden wird. Es wird
men sind hier geplant?                                          somit Bürgerinnen und Bürgern einen Überblick über die
Die Studie „Verwaltung und E-Government“ des For-               vorhandenen Unterlagen der Bundesverwaltung verschaf-
schungsinstituts gfs.bern hat deutlich gezeigt, dass E-         fen, in welche Einsicht verlangt werden kann. In Bezug auf
Government in kleinen Verwaltungen der Schweiz nur              Daten die von wirtschaftlichem Interesse sein könnten,
langsam umgesetzt wird. Oft fehlen in den Gemeinden die         wurde insbesondere in den Bereichen von Geo-, Meteo-
nötigen Ressourcen dazu, sowohl finanziell als auch fach-       und Statistikdaten bereits ein grosser Teil freizugänglich
lich. Demzufolge schreitet E-Government in der Schweiz          gemacht. Die Thematik von Open Government Data ist
mit unterschiedlicher Geschwindigkeit voran. Der Hand-          erkannt und soll im Rahmen der Aktualisierung der bun-
lungsbedarf wurde erkannt und in den Zielen des Bundes-         desrätlichen Strategie für eine Informationsgesellschaft in
rates aufgenommen. Die Geschäftsstelle E-Government             der Schweiz, welche voraussichtlich Ende 2011 abgeschlos-
Schweiz hat daher das Projekt „E-Government in den              sen sein wird, berücksichtigt werden.
Gemeinden“ initiiert. Das erste Hilfsmittel „E-Gov für
Gemeinden“ liegt in Form einer Faltmappe vor und gibt           Die Schweiz ist bekannt als Land der direkten Demokratie. Wel-
auf folgende vier Fragen eine Antwort: „Was ist E-Govern-       che Aktivitäten gibt es bei der Umsetzung von e-Democracy?
ment?“, „Warum soll E-Government auf kommunaler                 Die Schweiz hat eine sehr lange Tradition der direkten
Ebene eingesetzt werden?“, „Wie können Gemeinden E-             Demokratie. Auf allen föderalen Ebenen werden die
Government Projekte realisieren? „ und „Wer kann zum            wichtigen Beschlüsse mit Volksabstimmungen entschie-
Erfolg von kommunalen E-Government-Projekten beitra-            den. Wobei zum Beispiel im Kanton Zürich im letzten
gen?“. Diese Faltmappe wurde in den drei Amtssprachen           Jahr jeweils etwa 80% per Brief, 18% an der Urne und
erstellt und kann gratis bestellt oder online heruntergela-     ca. 2% per eVoting abgestimmt haben. Im Kanton Zü-
den werden. Weiter möchten wir noch weitere Massnah-            rich werden seit einigen Jahren Pilotversuche in eVo-
men, welche auf Grund der umfassenden Analyse vorge-            ting durchgeführt. Dies jedoch vorerst nur in einzelnen
schlagen wurden, umsetzen.                                      Gemeinden. Dabei werden die Stimmen über ein Web-
                                                                portal via Internet abgegeben. Ein grosses Augenmerk
Die Themen Open Data und Open Government werden ak-             wird dabei auf den Schutz vor Betrug aber auch auf die
tuell häufig diskutiert. Gibt es Ansätze zur Umsetzung in der   Wahrung des Stimmgeheimnisses gelegt. Die Unge-
Schweiz?                                                        wissheit, bezüglich der Systemsicherheit und möglicher
Open Data und Open Government sind auch in der                  politischer Veränderungen durch flächendeckende Ein-
Schweiz ein aktuelles Thema. Insbesondere auf der eid-          führung von eVoting in der Schweiz, hat den Bundesrat
genössischen Ebene wurden in diesem Frühling diverse            dazu bewogen vorerst einen maximalen Anteil an eVo-
politische Vorstösse eingereicht. Der Nutzen des Zugangs        ting auf 10% festzulegen. Es gibt auch ein Projekt um
zu Government Daten ist in die Bereiche „Transparenz            weitere demokratische Prozesse, wie das Sammeln von
der Verwaltung“ und „wirtschaftliche Wertschöpfung“             elektronischen Unterschriften für Initiativen und Refe-
zu unterteilen. Im Bereich der Transparenz ist bereits seit     renden, in der Schweiz zukünftig elektronisch abgewi-
2006 das Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip in        ckelt werden könnten. Des Weiteren werden Überlegun-
der Verwaltung eingeführt worden. Damit wurde der der           gen gemacht, wie mittels E-Government die Beteiligung
Wandel vom Geheimhaltungs- zum Öffentlichkeitsgrund-            der Bevölkerung oder Interessengruppen an den Prozes-
satz vollzogen. Amtliche Dokumente können auf Gesuch            sen der Gesetzgebung und den bestehenden Verfahren
eingesehen werden – vor Ort oder als Kopien. Ein beson-         wie Vernehmlassungen.
deres Interesse muss dabei nicht geltend gemacht werden
– ein formloses Gesuch an die zuständige Behörde genügt.        Wir danken für das Gespräch.
Um diesem Grundsatz noch verstärkt Rechnung zu tragen
wurde das Schweizerische Bundesarchiv mit dem Projekt
für einen Single Point of Orientation beauftragt. Es handelt    Das Interview wurde geführt von Wolfgang Eixelsberger.
8 |   eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011                                                               fachartikel

                     Grenzüberschreitendes
                     E-Government in Europa
                     Klaus Stranacher | Arne Tauber | Thomas Zefferer | Bernd Zwattendorfer

             Die Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, innerhalb der nächsten Jahre einen digitalen Binnenmarkt im EU-Raum
  abstract

             zu schaffen, um die Effizienz von E-Business und E-Government Lösungen zu erhöhen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der
             EU zu steigern. Im Rahmen der Umsetzung dieses Ziels wurden von der Europäischen Kommission die fünf Großpilotprojekte
             STORK, SPOCS, epSOS, PEPPOL und e-CODEX ins Leben gerufen, die eine länderübergreifende Interoperabilität von E-Govern-
             ment Diensten und Technologien in unterschiedlichen Verfahrensbereichen ermöglichen sollen.

                     Durch das Verschwinden der Grenzen innerhalb Europas               ment Diensten, durch welche sensible Daten verarbeitet
                     und der damit erhöhten Mobilität von Bürgern und Un-               werden, besteht ein erhöhter Bedarf an sicheren und
                     ternehmen müssen behördliche Verfahren zunehmend                   zuverlässigen Identifizierungs- und Authentifizierungs-
                     auch grenzüberschreitend abgewickelt werden. Informa-              mechanismen im Internet. Dieses Problem wurde in den
                     tions- und Kommunikationstechnologien (IKT) erhöhen                letzten Jahren bereits durch einige EU-Mitgliedsstaaten
                     nicht nur die Effizienz und Verfügbarkeit solcher Verfah-          aufgegriffen, indem nationale elektronische Identitätslö-
                     ren, sie sorgen auch für Komfort und Transparenz. Aus              sungen (eID) flächendeckend ausgerollt wurden. Unter-
                     diesem Grund hat sich die Europäische Kommission in                schiedliche rechtliche Anforderungen (z.B. Datenschutz-
                     der Digitalen Agenda für Europa (1) das Ziel gesetzt, In-          bestimmungen) führten jedoch zu länderspezifischen
                     teroperabilität und Standardisierungsaktivitäten zu un-            Lösungen und einer heterogenen eID-Landschaft in Eu-
                     terstützen, um so einen digitalen Binnenmarkt innerhalb            ropa. Das LSP-Projekt STORK (3) versucht diesen Miss-
                     der Europäischen Union zu schaffen. Die Gewährleistung             stand aufzugreifen und auf Basis einzelner nationaler
                     von Interoperabilität durch eine EU-weite Umsetzung                Lösungen ein Interoperabilitäts-Framework zu schaffen,
                     länderübergreifender Dienste ist im kürzlich veröffent-            welches eine sichere elektronische Identifizierung und
                     lichten E-Government Aktionsplan (2) der Kommission                Authentifizierung von natürlichen Personen auch über
                     manifestiert.                                                      Ländergrenzen hinweg ermöglicht. Ein wesentlicher As-
                                                                                        pekt dabei ist die Einführung von Authentifizierungsle-
                     Mit dem Competitiveness and Innovation Framework                   vel, um die heterogene eID-Landschaft in Europa sowohl
                     Programme (CIP) hat die Europäische Kommission be-                 quantitativ als auch qualitativ abzubilden und so die ge-
                     reits vor einigen Jahren begonnen diverse Großpilotpro-            genseitige Akzeptanz zu vereinheitlichen. Seit Juni 2010
                     jekte (Large Scale Pilots – LSP) zu fördern, die eine Ver-         werden die Lösungen des STORK-Projekts innerhalb
                     wendung von bestimmten IKT-basierten Diensten über                 sechs länderübergreifender Pilotanwendungen erprobt.
                     nationale Grenzen hinweg ermöglichen. Dabei sollen
                     Nutzer auf bereits vorhandene nationale (E-Government)             SPOCS (Simple Procedures Online for Cross-border Ser-
                     Infrastrukturen im europäischen Kontext zurückgreifen              vices). Die EU-Dienstleistungsrichtlinie legt fest, dass
                     können. Mit Hilfe der in diesen Großpilotprojekten ge-             sämtliche Verfahren, die mit der Ausübung oder Auf-
                     wonnen Erfahrungen soll für Mitgliedsstaaten eine Basis            nahme von Dienstleistungstätigkeiten in Zusammen-
                     geschaffen werden, mit Hilfe derer zukünftig auch grenz-           hang stehen, elektronisch abgewickelt werden können
                     überschreitende Dienste angeboten werden können. Im                müssen. Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie
                     Folgenden werden die fünf von der Europäischen Kom-                bedingt auch die Einrichtung so genannter „Einheitli-
                     mission geförderten Großpilotprojekte und deren Ziel-              cher Ansprechpartner (EAP)“. Ein EAP agiert dabei als
                     setzung kurz beschrieben.                                          Vermittler zwischen den national zuständigen Behörden
                                                                                        und dem antragstellenden (ausländischen) Dienstleister.
                     STORK (Secure idenTity acrOss boRders linKed). Auf-                Das Projekt SPOCS (4) zielt darauf ab, Verbesserungen in
                     grund der steigenden Anzahl an E-Business und E-Govern-            diesen Verfahren herbeizuführen. Im Speziellen soll eine
fachartikel                                                                eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011           | 9

                                                                                              die virtuelle Beschaffung und das elektro-
                                                                                              nische Verrechnungswesen. Die Resultate
                                                                                              des Interoperabilitätsframeworks werden
                                                                                              dabei in einer einjährigen Pilotierungs-
                                                                                              phase bis November 2011 in operativen
                                                                                              Umgebungen auf ihre Praktikabilität
                                                                                              getestet.
                                                                                                                                             DI Klaus STRANACHER,
                                                                                              E-CODEX (e-Justice Communication via           Leiter Arbeitspaket
                                                                                                                                             „eDocuments“ von
                                                                                              Online Data Exchange). Aufgrund des            SPOCS, E-Government
                                                                                   kontinuierlichen Verschwindens in-                        Innovationszentrum;
                                                                                                                                             klaus.stranacher@
                                                                                   nereuropäischer Grenzen nimmt auch
                                                                                                                                             egiz.gv.at
                                                                                   die Anzahl grenzüberschreitender Jus-
                                                                                   tizverfahren stetig zu. Daher hat sich
                                                                                   das EU-Projekt e-CODEX (7) zum Ziel
                                                                                   gesetzt, grenzüberschreitende Justiz-
                                                                                   verfahren effizienter, transparenter und
Abb. 1 : Pilotprojektübergreifender Einsatz von Basiskomponenten   kostengünstiger zu machen. Eine bessere Vernetzung
                                                                   bestehender Infrastrukturen sowie der Zugriff von Bür-
grenzüberschreitende Ausübung von Dienstleistungen                 gern und Organisation auf diese stehen dabei im Vor-
vereinfacht werden. Das Projekt wurde 2009 gestartet               dergrund. Der Schwerpunkt des Projekts liegt in der
und befindet sich derzeit in der Pilotierungsphase, in             grenzüberschreitenden qualitativen Identifikation von                     DI Arne TAUBER
der die erarbeiteten Lösungen in mehreren grenzüber-                                                                                         Leiter des STORK Piloten
                                                                   Bürgern und Organisationen, einheitlichen Standards
                                                                                                                                             „eDelivery“, E-Govern-
schreitenden Pilotanwendungen getestet werden.                     für grenzüberschreitende Erkennung und Verarbeitung                       ment Innovationszentrum;
                                                                   von elektronischen Dokumenten, sowie dem grenzüber-                       arne.tauber@egiz.gv.at
epSOS (Smart Open Services for European Patients). Das in-         schreitenden Austausch dieser Dokumente.
ternationale Projekt epSOS(5) verfolgt das Ziel die Inter-
operabilität zwischen E-Health Lösungen verschiedener              Pilotprojektübergreifende Zusammenarbeit. E-Government
europäischer Staaten herzustellen bzw. zu verbessern.              Basisbausteine wie E-ID, E-Signature, E-Delivery oder
Konkret werden im Rahmen verschiedener Pilotanwen-                 die virtuelle Unternehmensakte kommen mehrfach in
dungen der länderübergreifende Zugriff auf Patienten-              unterschiedlichen Pilotprojekten zum Einsatz. Um hier
dossiers (Patient Summary), die grenzübergreifende                 Synergien maximal zu nutzen, werden im Rahmen von
Ausstellung elektronischer Rezepte (E-Prescription),               pilotübergreifenden Aktivitäten bestehende Bausteine
sowie die internationale Ausgabe von Medikamenten                  von anderen Pilotprojekten übernommen und gegebe-
(E-Dispensation) implementiert. Auf diese Weise soll               nenfalls entsprechend den eigenen Anforderungen er-                       DI Thomas ZEFFERER
                                                                                                                                             Wissenschaftlicher
ein sicherer Datenaustausch zwischen Gesundheits-                  weitert bzw. modifiziert (siehe Abbildung 1). Neben den                   Mitarbeiter, E-Government
dienstanbietern verschiedener Länder ermöglicht wer-               einzelnen Pilotprojekten bringt also auch die Nutzung                     Innovationszentrum;
den. Das Projekt wurde im Juli 2008 gestartet. Aktuell                                                                                       thomas.zefferer@
                                                                   gemeinsamer Synergien die Vision eines digitalen euro-
                                                                                                                                             egiz.gv.at
sind 20 EU-Mitgliedsstaaten und drei Nicht-EU Länder               päischen Binnenmarkts einen weiteren Schritt näher.
in die Durchführung des Projekts involviert.

PEPPOL (Pan-European Public Procurement Online). PEP-
POL (6) ging als erstes der fünf Großpilotprojekte an den
Start. Ziel des Projekts ist es, die Wettbewerbsfähigkeit
                                                                         literatur

– insbesondere jene von KMUs – durch ein EU-weites                                   (1)
                                                                                           Eine digitale Agenda für Europa, Mitteilung der
Online-System für öffentliche Beschaffungsverfahren                                        Europäischen Kommission
bereitzustellen. Dies wurde dadurch erreicht, dass na-                               (2)
                                                                                           Europäischer eGovernment-Aktionsplan 2011-2015,
tionale Beschaffungssysteme über Standards und eine                                        Mitteilung der Europäischen Kommission
entsprechende Interoperabilitätsarchitektur miteinander                              (3)
                                                                                                                                             DI Bernd
                                                                                           https://www.eid-stork.eu
verbunden wurden. Das PEPPOL Interoperabilitäts-                                                                                             ZWATTENDORFER
                                                                                                                                             Wissenschaftlicher
framework deckt dabei die folgenden fünf Komponenten                                 (4)
                                                                                           http://www.eu-spocs.eu                            Mitarbeiter, E-Government
von Beschaffungsverfahren ab: (Elektronische) Signatu-                               (5)
                                                                                                                                             Innovationszentrum;
                                                                                           http://www.epsos.eu                               bernd.zwattendorfer@
ren, die virtuelle Unternehmensakte (Virtual Company
                                                                                                                                             egiz.gv.at
Dossier) als Eignungsnachweis, virtuelle Verzeichnisse                               (6)
                                                                                           http://www.peppol.eu
als Basis für die Veröffentlichung von Produktinforma-                               (7)
                                                                                           http://www.e-codex.eu
tionen, Beschreibungen und Preise durch Unternehmen,
10 |   eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011                                                               fachartikel

                      Prozessorientierte Verwaltungs-
                      forschung in Deutschland
                      Jörg Becker I Helmut Krcmar

              Prozessmodellierung und Gestaltung von organisationsübergreifenden Prozessketten sind zu führenden Forschungs-
   abstract

              fragen für Verwaltungen geworden. Einzelne Forschungsdisziplinen veröffentlichen und diskutieren ihre Forschungs-
              ergebnisse in eigenen Fachzeitschriften und Tagungen, eine Harmonisierung über Disziplinengrenzen hinweg findet
              derzeit nur punktuell statt. Dies adressierend wurde die Forschungslandkarte Prozessorientierte Verwaltung erstellt,
              welche einen ganzheitlichen Blick auf den Status quo der prozessorientierten Forschung wirft und als Basis für
              konkrete Handlungsempfehlungen dient.

                      Deutschland ist auf dem Weg hin zu einer prozessorientier-    wie Akzeptanz und Erfolgswirkung), innerhalb derer sich
                      ten Verwaltung. Es gibt vielfältige Bestrebungen, den Pro-    die Forschungslücken der prozessorientierten Verwaltung
                      zessgedanken, insbesondere bei der Modernisierung von         strukturieren lassen und die Basis der Handlungsempfeh-
                      Verwaltungsabläufen, in den Verwaltungen des Bundes,          lungen sind. Besonders hervor zu heben sind zwei Hand-
                      der Länder und der Kommunen zu etablieren. Das wird           lungsempfehlungen.
                      bei der Analyse der Daten in der Forschungslandkarte Pro-
                      zessorientierte Verwaltung, die im Auftrag des deutschen      1.	Die Forschungsinstitutionen, die im Themenfeld
                      Bundesministeriums des Innern erstellt wurde, deutlich(1).       Prozessorientierte Verwaltung arbeiten, sind
                      Nichtsdestotrotz ist der Weg bis zu einer ganzheitlichen         wenig miteinander vernetzt.
                      Prozessorientierung und Nutzung der Vorteile einer ab-        Die derzeitige Vernetzung von Forschungsinstitutionen
                      lauforientierten Gestaltung der Verwaltungsstrukturen         im deutschsprachigen Raum, die sich mit der prozessori-
                      noch weit.                                                    entierten Verwaltung beschäftigen, ist gering. Das wird u.
                                                                                    a. durch die geographische Auswertung der Forschungs-
                      Auf dem Weg zur Erstellung der Forschungslandkarte            landkarte belegt. So sind beispielsweise knapp 47% der
                      Prozessorientierte Verwaltung und der begleitenden Stu-       aufgelisteten Forschungsorganisationen nicht durch ein
                      die wurden zahlreiche Literaturquellen und -datenban-         Forschungsergebnis, das in der Forschungslandkarte
                      ken sowie Projektdatenbanken systematisch durchsucht.         gespeichert ist, mit einer anderen Institution vernetzt.
                      Die so identifizierten Forscherinnen und Forscher, die in     Findet eine Zusammenarbeit zwischen Forschungsein-
                      Deutschland in der Community der prozessorientierten          richtungen statt, so beschränkt diese sich zumeist auf ein
                      Verwaltungen arbeiten und forschen, wurden gebeten, den       einziges Forschungsergebnis. Synergiepotenziale, welche
                      Stand ihrer Forschung im aufgebauten Forschungsportal zu      die Zusammenarbeit verschiedener Experten mit sich
                      dokumentieren. Es konnten 115 Projekte, 155 Forschungs-       brächte, bleiben so ungenutzt. Abbildung 1 bietet einen
                      ergebnisse, 143 Organisationen, 215 Personen und 104 Pu-      Überblick über die Vernetzungsstruktur, erhoben auf der
                      blikationen erfasst und für die Auswertung genutzt werden,    Basis gemeinsam erstellter Forschungsergebnisse. Sobald
                      die interaktive Landkarte wächst stetig weiter. Dabei konn-   zwei Institutionen gemeinsam an einem Forschungser-
                      ten im Status quo 14 Forschungsfelder identifiziert werden    gebnis gearbeitet haben, sind sie mittels einer Linie ver-
                      (Vernetzung von Forschungsinstitutionen, Theoretische         bunden. Je mehr gemeinsame Forschungsergebnisse es
                      Grundlagen, Einfluss der Forschung auf die Praxis, Wie-       gab, desto dicker wird die Verbindungslinie dargestellt.
                      derverwendung von Forschungsergebnissen, Standardisie-        Die Kooperationsbeziehungen können in starke, mitt-
                      rung und Harmonisierung, Prozessketten, Schnittstellen        lere und schwache Verknüpfungen unterschieden wer-
                      zu spezifischen Akteuren, Langfristigkeit und Kontinuität     den. Der Großteil der 285 Verknüpfungen besteht aus
                      des Prozessmanagements, Integration der Finanzflusssicht      schwachen Kooperationen, d. h. Institutionen, die über
                      in das Prozessmanagement, Prozessmanagement und               maximal zwei Forschungsergebnisse miteinander koope-
                      Recht, Risikomanagement, Arbeitsmarkt, Marketing so-          rieren. Darüber hinaus gibt es eine mittlere Kooperation,
fachartikel                                                              eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011              | 11

die durch vier Forschungsergebnisse verbunden ist, so-
wie eine starke Kooperation, die sich durch fünf gemein-
schaftlich bearbeitete Forschungsergebnisse auszeichnet.

Ein weiteres Indiz für die geringe Vernetzung von For-
schungsinstitutionen ist die Aufspaltung des Gesamt-          Abb. 1 : Geographische Darstellung der institutionellen Vernetzung
überblicks in Teilnetze. So lassen sich für die Forschungs-
landkarte 7 Teilnetze ausmachen, die isoliert voneinander
existieren und nicht durch gemeinsame Forschungsergeb-        Literaturanalysen sind mit jeweils 2 Nennungen vertreten.                       Prof. Dr. Jörg BECKER
                                                                                                                                              Geschäftsführender Di-
nisse zwischen Organisationen verknüpft sind. Darüber         Aus den Ergebnissen der Forschungslandkarte wird deut-                          rektor, European Research
hinaus sind 67 der 143 Organisationen überhaupt nicht         lich, dass viele empirische Untersuchungen spezifischer                         Center for Information
vernetzt. Die Dichte des gesamten Netzwerkes beträgt          Phänomene im Kontext der prozessorientierten Verwal-                            Systems (ERCIS) der
                                                                                                                                              Westfälischen Wilhelms-
2.81%, gemessen als Anzahl der tatsächlich existierenden      tungsforschung existieren. Demgegenüber steht eine ge-                          Universität Münster;
Kooperationen geteilt durch die Anzahl der möglichen Ko-      ringe Anzahl an Forschungsergebnissen, die sich mit den                         becker@ercis.uni-
                                                                                                                                              muenster.de
operationsbeziehungen. Die Daten in der Forschungsland-       theoretischen Grundlagen auseinandersetzen. Die prozes-
karte spiegeln damit eine verhältnismäßig stark isolierte     sorientierte Verwaltungsforschung bedient sich aber der
Forschung im Bereich der prozessorientierten Verwaltung       verschiedensten theoretischen Grundlagen aus den an-
wider. Demgegenüber steht der Bedarf nach einer Intensi-      grenzenden Disziplinen, wie z. B. der Politikwissenschaft,
vierung kooperativer Forschung, die für viele Forschungs-     Verwaltungswissenschaft, Organisations- bzw. Arbeitswis-
aufgaben, wie z. B. die Definition allgemein gültiger Stan-   senschaft, Psychologie und (Wirtschafts )Informatik. Auch
dards oder Harmonisierungsbestrebungen, unerlässlich ist.     die Literatur sieht einen Bedarf für eine Verstärkung der
                                                              theoretischen Basis (2). Forschung an einer ganzheitlichen,
2.	Theoretische Grundlagen zur prozessorientierten           auf das Forschungsfeld der prozessorientierten Verwaltung
    Verwaltung werden kaum erforscht.                         zugeschnittenen Theorie, einer E-Government-Theorie, ist
Im Bereich der prozessorientierten Verwaltung wird ein        daher notwendig.
starker Fokus auf die Umsetzung von Ergebnissen und                                                                                           Prof. Dr. Helmut
                                                                                                                                              KRCMAR
dabei vor allem auf IT-technische Veränderungen gelegt.                                                                                       Lehrstuhlinhaber, Lehr-
Ein Defizit wird im Bereich der theoretischen Grundla-                                                                                        stuhl für Wirtschaftsin-
                                                                                                                                              formatik der Technischen
gen deutlich, da sich keines der 155 Forschungsergebnis-
                                                                  literatur

                                                                              (1)
                                                                                    http://prove.yourresearchportal.com. Realisiert wurde     Universität München;
se mit einer Theorie bzw. insbesondere mit der Entwick-                                                                                       krcmar@in.tum.de
                                                                                    das Forschungsportal mit Hilfe von yourResearchPortal.
lung einer solchen Theorie befasst. Auch gibt es lediglich                          com, dessen Entwicklung am ERCIS vom Bundesmi-
2 Forschungsergebnisse, die sich mit Terminologien be-                              nisterium für Bildung und Forschung gefördert wurde
schäftigen.                                                                         und das eine Infrastruktur zum Aufbau von Forschungs-
                                                                                    landkarten für unterschiedliche Themenbereiche zur
Die Typisierung gliedert die in der prozessorientierten                             Verfügung stellt. Die Forschungslandkarte zur hybriden
Verwaltung erzielten Forschungsergebnisse in vorgegebe-                             Wertschöpfung (http://forschungslandkarte-hybride-
                                                                                    wertschoepfung.de) ist ein Beispiel für ein weiteres
ne Klassen, die teilweise zusätzlich differenziert werden.
                                                                                    Forschungsportal, das diese Infrastruktur nutzt.
Der starke Fokus der Forschung zur prozessorientierten
Verwaltung auf Umsetzungen manifestiert sich in den                           (2)
                                                                                    Janssen, M.; Charalabidis, Y.; Kuk, G.; Cresswell, T.:
vorliegenden Daten, die Hälfte aller Forschungsergebnis-                            Special Issue on E-government Interoperability,
se sind solche Umsetzungen. Knapp ein Viertel der For-                              Infrastructure and Architecture: State-of-the-art and
                                                                                    Challenges. Journal of Theoretical and Applied Electro-
schungsergebnisse sind empirische Untersuchungen, an-
                                                                                    nic Commerce Research, 6 (2011) 1.
schließend folgen Modelle mit 15%, Terminologien und
12 |   eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011                                                                fachartikel

                      Priorisierung von Prozessketten
                      zwischen Wirtschaft und Verwaltung
                      Thomas Jeswein I Norman Riegel I Dieter Rombach

              In den vielfältigen Diskursen um E-Government und Verwaltungsmodernisierung werden immer wieder die Geschäftsbeziehungen
   abstract

              und Prozesse zwischen Wirtschaft und Verwaltung in den Blick genommen. Vor dem Hintergrund allgemein knapper Finanzres-
              sourcen wird das Interesse bei Unternehmen und Behörden immer deutlicher, nach Verbesserungsmöglichkeiten in ihren Aus-
              tauschbeziehungen zu suchen, die sich auf Informationstechnologien (IT) stützen. Jedoch kostet es wiederum Mühe und Aufwand,
              diejenigen Prozesse und Prozessketten zu identifizieren, die das größte Optimierungspotenzial aufweisen und den höchsten Nut-
              zen versprechen – sei es im Sinne eines verbesserten Mitteleinsatzes, eines erhöhten Steueraufkommens oder der gesteigerten
              Kundenzufriedenheit. Deshalb muss es das vorrangige Ziel von Unternehmen und Behörden sein, insbesondere solche Prozesse
              zu identifizieren, deren IT-Optimierung für beide Seiten zu einer spürbaren Verbesserung und zu einem nachweisbaren Gewinn
              führt. In diesem Aufsatz werden wir eine Methode vorstellen, die durch ein Priorisierungsverfahren die Anwender in Wirtschaft und
              Verwaltung in die Lage versetzt, genau die aussichtsreichsten Kandidaten einer Prozessverbesserung zu erkennen.

                      Paradigmenwechsel oder Episode? In der theoretischen             reich miteinander verknüpfen zu können, muss zwischen
                      Beschäftigung mit und der praktischen Umsetzung von E-           den Beteiligten zunächst eine gemeinsame Sicht auf „die
                      Government ist ein Paradigmenwechsel zu erkennen – weg           Welt“ hergestellt werden. Angesichts von limitierten Res-
                      von der Funktionsorientierung in den Verwaltungen hin zu         sourcen (Zeit, Geld, Interesse) muss entschieden werden,
                      einer Prozessorientierung. Dabei sind insbesondere zwei          welche Anwendungsdomänen behandelt und welche Ge-
                      Aspekte an diesem Paradigmenwechsel interessant. Zum             schäftsprozesse integriert werden können, sowie welcher
                      einen lenkt die Prozessorientierung ihren Blick von den          Einsatz von allen Beteiligten geleistet und welcher Nutzen
                      verwaltungsrechtlich legitimierten Zuständigkeiten in den        aus der Prozessintegration erwartet werden kann. Ein Ver-
                      Behörden auf einen dort möglichst optimal zu konstruie-          fahren, diese gemeinsame Sicht herzustellen und in einem
                      renden Arbeitsfluss. Zum anderen bemüht sich dieser An-          möglichst objektiven Vorgehen die betreffenden Prozesse
                      satz darum, die „Kunden“ von Verwaltungsleistungen, d.h.         auszuwählen, ist die Priorisierung von Prozessketten zwi-
                      vor allem Unternehmen aus der Wirtschaft, in den eigent-         schen Wirtschaft und Verwaltung.
                      lichen Leistungserstellungsprozess einzubeziehen. Nach
                      dieser Sichtweise sollen Geschäftsprozesse zu übergreifen-       Methodischer Hintergrund. Das Fraunhofer Institut für Ex-
                      den Prozessketten integriert, Informationswege verkürzt,         perimentelles Software Engineering (IESE) wurde 2005
                      Organisationsbrüche gering gehalten sowie Medienbrüche           von der Landesverwaltung Rheinland-Pfalz beauftragt, in
                      ganz vermieden werden(1). Diese Entwicklung ist mehr als         bestimmten Unternehmen im Land eine Untersuchung
                      nur eine kurze Episode, sie löst tiefgreifende Veränderun-       mit dem Ziel durchzuführen, Möglichkeiten zur Optimie-
                      gen im Verhältnis zwischen Staat und Unternehmen aus,            rung der IT-gestützten Arbeitsabläufe zwischen Unterneh-
                      die irgendwann zur Normalität gehören werden(2).                 men und öffentlicher Verwaltung in Rheinland-Pfalz fest-
                                                                                       zustellen(3). Die hierbei vom Fraunhofer IESE eingesetzte
                      Interoperabilität und der gemeinsame Blick. Um diese Nor-        Untersuchungsmethode zeichnete sich dadurch aus, dass
                      malität tatsächlich herzustellen, also insbesondere die Ar-      nur Unternehmen bestimmter Branchen einbezogen wur-
                      beitsabläufe zwischen Staat und Wirtschaftsunternehmen           den (Branchenorientierung), dass parallele Erhebungen
                      zu integrieren, ist es notwendig, dass die IT-Systeme auf        und Analysen in Wirtschaft und Verwaltung durchgeführt
                      beiden Seiten interoperabel sind. Jedoch ist die technische      wurden (die verwaltungsseitige Untersuchung übernahm
                      Interoperabilität, beispielsweise Datenpräsentation und          die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Mayen)
                      Datenaustausch, nicht hinreichend. Um nämlich die Ge-            und das schließlich zwei Kriteriendimensionen (Nutzwert
                      schäftsprozesse zwischen den Beteiligten wirklich erfolg-        und E-Government-Eignung) zur Bewertung der identi-
fachartikel                                                                   eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011                  | 13

fizierten Prozesse herangezogen wurden. Diese Methode           Schritt 4: Gewichtung von Stakeholdern und Kriterien. Im
wurde vom Fraunhofer IESE danach für den spezifischen           (optionalen) Schritt 4 werden die Kriterien und Stakeholder
Projektkontext einer Machbarkeitsstudie des Bundesmi-           gewichtet. In spezifischen Projektkontexten kann es not-
nisterium des Innern (BMI) adaptiert und weiterentwi-           wendig werden, bestimmten Kriterien und Stakeholdern
ckelt(4). Gegenwärtig wird dieser Priorisierungsansatz im       ein größeres Gewicht gegenüber anderen einzuräumen.
Projekt „P23R | Prozess-Daten-Beschleuniger“(5) im Rah-         Dadurch wird sichergestellt, dass alle relevanten Kriterien
men des IT-Investitionsprogramms der Bundesregierung            bzw. Stakeholder im Priorisierungsverfahren tatsächlich
in einer erneut weiterentwickelten und formalisierten Fas-      angemessen berücksichtigt werden.
sung eingesetzt und auf seine generelle Anwendbarkeit ge-
prüft. Das folgende Kapitel beschreibt diesen Ansatz.           Schritt 5: Berechnung der Rangfolge und Auswertung des
                                                                Ergebnisses. Im letzten Schritt 5 werden die gewichteten
Priorisierung von Prozessketten zwischen Wirtschaft und         Kriterien und damit die Prozessketten von den Stakehol-
Verwaltung. Die Priorisierungsmethode besteht aus fünf          dern anhand der in Schritt 3 ausgewählten Priorisierungs-
grobgranularen Schritten, s. Abb. 1.                            technik bewertet. Das Ergebnis dieser Bewertung bringt die
                                                                betrachteten Prozessketten in eine bestimmte Reihenfolge.                              Dipl.-Bibl. Thomas
                                                                                                                                                       JESWEIN
                                                                                                                                                       Geschäftsfeldmanager
                                                                                                                                                       eGovernment, Fraunho-
                                                                                                                                                       fer IESE, Kaiserslautern
                                                                                                                                                       thomas.jeswein@iese.
                                                                                                                                                       fraunhofer.de

Abb. 1: Das Priorisierungsvorgehen                              Aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen der betei-
                                                                ligten Stakeholder (Wirtschaft und Verwaltung) ist es sinn-
Schritt 1: Bestimmung der quantitativen und qualitativen        voll, die Ergebnisse der Bewertungsrunden dahingehend zu
Priorisierungskriterien. In Schritt 1 des aus fünf Schritten    analysieren, in wie weit sich die Rangfolgen der Prozessket-
bestehenden Ansatzes werden zunächst die quantitativen          ten in den verschiedenen Sichten unterscheiden. Dadurch
und qualitativen Kriterien bestimmt, die im Priorisie-          können mögliche Interessenskonflikte aufgedeckt werden.
rungsverfahren berücksichtigt werden sollen. Mit diesen         Diese objektiven Resultate stellen die Interpretation und
Kriterien werden die Prozessketten bewertet. Als quanti-        Aushandlung zwischen den Beteiligten auf eine solide Ba-
tative (auch objektive) Kriterien gelten beispielsweise Fall-   sis. Anschließend wird mit allen Beteiligten sowie durch die
zahlen, als qualitative (auch subjektive) Kriterien gelten      Einbeziehung weiterer Experten und mittelbar Betroffener
solche schwer zu fassenden bzw. zu messenden Phäno-             (z.B. Intermediäre und Interessensvertretungen) das Ge-
mene wie „Politische Relevanz“. Aus den vorhergehenden          samtergebnis reflektiert und verifiziert, um ein möglichst                             Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter
                                                                                                                                                       ROMBACH
Untersuchungen wurde inzwischen ein Katalog aus über            umfassendes und valides Bild zu erhalten.                                              Geschäftsführender
zwanzig verschiedenen Kriterien gebildet. Die Priorisie-                                                                                               Direktor, Fraunhofer
rungsmethode beschreibt darüber hinaus, wie diese eher          Ausblick. Die Ergebnisse der gegenwärtig laufenden Evalu-                              IESE, Kaiserslautern
                                                                                                                                                       dieter.rombach@iese.
generischen Kriterien in spezifischen Projektkontexten          ation des hier vorgestellten Priorisierungsansatzes fließen                            fraunhofer.de
eingesetzt werden sollen und wie weitere Kriterien be-          kontinuierlich in seine Weiterentwicklung ein. Geplant ist,
stimmt werden können. Die Auswahl der Kriterien sollte          dass im Rahmen des „P23R | Prozess-Daten-Beschleuniger“
unbedingt auf die Auswahl der relevanten Stakeholder aus-       eine Methodensammlung („Methodenleitfaden“) erstellt
gerichtet sein, die in Schritt 2 des Verfahrens stattfindet.    und der Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Darin
                                                                wird auch die ausführliche Dokumentation der hier in Kurz-
Schritt 2: Identifikation der Stakeholder. Die Hauptaufgabe     form dargestellten Priorisierungsmethode enthalten sein.
der in Schritt 2 zu bestimmenden Stakeholder besteht da-
                                                                 literatur

rin, Prozessketten anhand der ausgewählten Kriterien zu                      (1) Ziekow, Jan: Vom Verwaltungsverfahren über den Geschäftsprozess

priorisieren. Deshalb muss bei der Wahl der Stakeholder                      zum IT-Workflow, in: Hill, Hermann/Schliesky, Utz (Hrsg.), Herausforde-
                                                                             rung e-Government: E-Volution des Rechts- und Verwaltungssystems,
darauf geachtet werden, dass sie fachlich dazu in der Lage                   Baden-Baden 2009, S. 69-87.
sind, die Prozesse bzw. die anzustrebenden Prozessketten                     (2) Schallbruch, Martin: E-Government wird sich als Thema ein bisschen
anhand der Kriterien beurteilen zu können. Die Stakehol-                     auflösen. Interview. In: eGovernment Review (2011), Heft 7, S. 6-7.
                                                                                                                                                       Dipl.-Wirtsch.-Inf.
der können sowohl Einzelpersonen als auch ganze Orga-                        (3) Steffens, Petra et al: Branchenprozesse mit Schnittstelle zur         Norman RIEGEL
nisationen sein.                                                             Landesverwaltung Rheinland-Pfalz. IESE-Report 004.09/D, Fraunhofer        Researcher, Fraunhofer
                                                                             IESE, Kaiserslautern.                                                     IESE, Kaiserslautern
                                                                                                                                                       norman.riegel@iese.
Schritt 3: Bestimmung der Priorisierungstechnik. In Schritt                  (4) Autorenteam Los 3: Machbarkeitsstudie zum Forschungsauftrag           fraunhofer.de
3 erfolgt die Auswahl der anzuwendenden Priorisierungs-                      „Entwicklung von Prozessketten zwischen Wirtschaft und Verwaltung”,
technik. Zweck dieses Schrittes ist es, die bestmögliche                     2009. [Online] http://www.iese.fraunhofer.de/de/Images/Machbarkeits-
                                                                             studie_101_300309_tcm122-7428.pdf
Methode auszuwählen, mit der die in Schritt 1 bestimmten
                                                                             (5) P23R | Prozess-Daten-Beschleuniger. [Online] http://www.p23r.
Kriterien von den in Schritt 2 bestimmten Stakeholdern
                                                                             de, 2011.
beispielsweise anhand von Werteskalen bewertet werden.
14 |   eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011                                                               fachartikel

                      Qualitätssicherung von
                      Bürgerbeteiligungsprojekten
                      Melanie Bicking

              Heutzutage, mangelt es in Demokratie und demokratischen Prozessen an aktiver Bürgerbeteiligung. Um dem ent-
   abstract

              gegen zu wirken hat die Europäische Kommission die eParticipation Preparatory Action ins Leben gerufen. Dieses
              Programm finanzierte eine Reihe von E-Partizipationsprojekten, wobei MOMENTUM die Europäische Kommission in
              ihrer Arbeit unterstützt, Einblicke in die Auswirkungen der Pilotprojekte zu erlangen und die erreichten Ergebnisse
              hinsichtlich Nachhaltigkeit zu bewerten.

                      Durch das ständige Auftreten neuer Krisen (Immobilien-         Sie basiert auf der Analyse artverwandter Evolutionsthe-
                      krise, Finanzkrise, Wirtschaftskrise) sind die öffentlichen    orien und Rahmenwerke (vgl. (3), (5), (4)). E-Partizipation
                      Kassen stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Der öf-        ist ein komplexes Gebilde aus vielen Partizipationsgebie-
                      fentliche Druck auf die politische Riga, Rechenschaft über     ten, involvierten Interessengruppen, Stadien des politi-
                      geleistete Ausgaben abzulegen, wächst unaufhaltsam.            schen Entscheidungsfindungsprozesses und Ebenen des
                      Diese Entwicklungen machen auch vor der durch öffent-          Dialogs(6). Um diese Komplexität zielgerichtet handha-
                      liche Kassen finanzierten Forschung und Entwicklung            ben zu können, entwickelte MOMENTUM ein einfaches
                      (FuE) keinen Halt. Leistungsbezogene öffentliche Finan-        und effektives Rahmenwerk, um die E-Partizipations-
                      zierung von FuE tritt immer weiter in den Vordergrund.         projekte zu kategorisieren.

                      Gemeinsam mit Partnern aus ganz Europa evaluiert               Fokus der Evaluierung bestand darin den Grad der Bürger-
                      das MOMENTUM Projekt die von der Europäischen                  beteiligung im Zeitverlauf zu beobachten und hieraus Aus-
                      Kommission im Rahmen der eParticipation Preparatory            sagen über den Wirkungsgrad der einzelnen Projekte hin-
                      Action mitfinanzierten Pilotprojekte zum Schwerpunkt           sichtlich ihrer Nachhaltigkeit zu bewerten. Ausgangspunkt
                      E-Partizipation.                                               und gleichzeitig Zweck der Evaluierung waren die zentralen
                                                                                     – und ehesten sichtbaren – Ergebnisse der E-Partizipations-
                      Die eParticipation Preparatory Action wurde vom Eu-            projekte, d.h. ihre Pilotsysteme. Darauf aufbauend wurden
                      ropäischen Parlament initiiert. Sie umfasst insgesamt          folgende Bezugspunkte der Bewertung zugrunde gelegt(1):
                      21 E-Partizipationsprojekte . Ziel dieser Initiative ist es,       a) Eingesetzte Werkzeuge und Technologien,
                      durch die Nutzung moderner Internetwerkzeuge und                   b) Unterstützte politische Entscheidungsprozesse,
                      Webanwendungen den Bürgern die Teilnahme an Ge-                    c) Zur Entscheidung stehende Themenfelder, und
                      setzgebungsprozessen zu ermöglichen bzw. zu erleich-               d) Anvisierte politische Rahmenwerke.
                      tern. Mithilfe aktiver Bürgerbeteiligung soll somit auch
                      zu einer besseren Gesetzgebung beigetragen werden.             Evaluierungskriterien wurde detailliert um die verschiede-
                                                                                     nen oben genannten Bezugspunkte zu bewerten. Die fol-
                      MOMENTUM ist im Gegensatz zu den Pilotprojekten der            gende Darstellung zeigt das gesamte Evaluationsrahmen-
                      eParticipation Preparatory Action eine Koordinierungs-         werk (siehe Abbildung 1).
                      aktivität. Ziel war es hierbei, die Ergebnisse und Beiträge
                      der Pilotprojekte in Bezug auf aktive Bürgerbeteiligung,       Da Evaluierungsansatz umfasst eine Kombination aus inter-
                      Akzeptanz und höhere Transparenz in Demokratie und             ner und externer Bewertung. Die Selbsteinschätzung der Pro-
                      Politik zu überwachen, zu bewerten und zu unterstützen.        jekte lieferte Informationen, die nur durch das Projekt selbst
                                                                                     bereitgestellt werden konnten. Subjektive und zu positive Er-
                      MOMENTUM Evaluierungsmethode. Die in MOMENTUM                  gebnisse der Selbsteinschätzung wurden anhand von externer
                      entwickelte Evaluierungsmethode wurde verwendet                Bewertung (d.h. durch Experten und Kollegen) kompensiert.
                      um die 20 E-Partizipationspilotprojekte zu bewerten(1).        Fragebögen wurden verwendet um die Daten zu sammeln.
fachartikel                                                               eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011                 | 15

Abb. 1: MOMENTUM Evaluationsrahmenwerk zur Bewertung der im Rahmen der eParticipation Preparatory Action
        mitfinanzierten E-Partizipationspilotprojekte

Der Projektfortschritt wurde in einem iterativen Prozess be-     Projekten nahegelegt ihre Aktivitäten an einem politischen
wertet. Die erste Evaluierung fand Anfang 2009 statt und die     Rahmenwerk auszurichten wie z.B. an der i2010, die sich
zweite Evaluierung Anfang 2010.                                  auf E-Partizipation bezieht, sowie auf den Bedarf nach Zu-
                                                                 gänglichkeit zu öffentlichen Dienstleistungen (d.h., no one
Ergebnisse der Evaluierung. Basierend auf der hohen An-          is left behind). Schließlich gilt es eine stärkere Außenwir-
zahl an Personen, die in den verschiedenen Mitglieds-            kung zu erreichen und Synergieeffekte zu nutzen.
staaten durch die Projekte kontaktiert wurden, konnte die
eParticipation Preparatory Action in der EU weitreichendes       Weitere Informationen zum Projekt und dessen Ergebnis-                          Dr. rer. pol.
Bewusstsein für E-Partizipation schaffen. Obwohl die Mit-        sen finden Sie unter: http://www.ep-momentum.eu/.                               Melanie BICKING
                                                                                                                                                 Forschungsgruppe
tel zur Kontaktherstellung mit den unterschiedlichen Nut-
                                                                                                                                                 E-Government am Ins-
zergruppen sehr projektunterschiedlich waren, zeigt doch                                                                                         titut für Wirtschafts-und
                                                                      literatur

die Anzahl an potentiellen Nutzern, die durch die Projekte                        (1)
                                                                                        Bicking, Melanie, Wimmer, Maria A. Evaluation            Verwaltungsinformatik
                                                                                                                                                 der Universität Koblenz-
erreicht wurden, dass sich der Aufwand gelohnt hat und                                  Framework To Assess eParticipation Projects In
                                                                                                                                                 Landau, Wissenschaftli-
eine kritische Masse in der Nutzung erlangt wurde.(2)                                   Europe. In: Electronic Participation: Proceedings of     che Mitarbeiterin
                                                                                        Ongoing Research, General Development Issues and         bicking@uni-koblenz.de
                                                                                        Projects of ePart 2009. Universitätsverlag Rudolf
Grundsätzlich ist die Gestaltung der meisten E-Partizi-
                                                                                        Trauner, 2009. S. 73-82.
pationssysteme hinsichtlich Zugänglichkeit gut gelungen,
obwohl eine stärkere Ausrichtung hinsichtlich Konfor-                             (2)
                                                                                        Bicking, Melanie, Triantafillou, Anna, Henderson,
mität mit den Richtlinien für barriere-freie Webinhalte                                 Fraser, Koussouris, Sotiris, Wimmer, Maria A. Lessons
(WCAG) 2.0 empfohlen wurde.(2)                                                          from Monitoring and Assessing EC-funded ePartici-
                                                                                        pation Projects: Citizen Engagement and Participation
                                                                                        Impact. In: Proceedings of the IST-Africa, 2011
Im Allgemeinen wurden die Projektansätze zur Unterstüt-
zung politischer Entscheidungsprozesse positiv bewertet. Al-                      (3)
                                                                                        Dawes, Sharon S., Pardo, Teresa A. Critical Issues and
lerdings wurde bemängelt, dass der Einfluss durch die Nutzer                            Practical Challenges of IT Tools for Policy Analysis
im Prozess eher gering ist, d.h. sie dürfen zwar mitdiskutie-                           and Program Evaluation. 2008
ren, aber die finale Entscheidung obliegt weiterhin den Poli-                     (4)
                                                                                        Tambouris, E., Liotas, N., Kaliviotis, D., Tarabanis,
tikern. Experten empfehlen das Angebot an Funktionalitäten                              K. A Framework for Scoping e-participation. In:
reich zu gestalten, um für die Nutzer attraktiv zu bleiben.                             Proceedings of d.go, ACM International Conference
                                                                                        Proceeding Series, 2007. S. 288 – 289
Ein attraktives Themenfeld ist ebenfalls ein wichtiger Er-                        (5)
                                                                                        Macintosh, Anne, Whyte, Angus Towards an evalu-
folgsfaktor für E-Partizipationsprojekte. Daher fokussier-                              ation framework for eParticipation. In: Transforming
ten sich alle Projekte auf wichtige und aktuelle Themenfel-                             Government: People, Process & Policy 2 (1):16-30,
der wie z.B. Klimawandel.                                                               2008.
Nur wenige Projekte gaben an ein übergeordnetes politi-                           (6)
                                                                                        Wimmer, Maria A. Ontology for an e-Participation Vir-
sches Rahmenwerk wie z.B. die i2010 oder die Lissabon-
                                                                                        tual Ressource Centre. In: Proceedings of the ICEGOV,
Strategie anzuvisieren, an dem sie ihre Projektaktivitäten                              2007.
ausrichten. Die Hälfte der befragten Experten haben den
16 |   eGovernment Review | www.egovernment-review.org | Nr. 8 | Juli 2011                                                              fachartikel

                     The Case for the European
                     eGoverment Awards 2.0
                     Christine Leitner

              Der folgende Beitrag fasst die Ergebnisse des Forschungsberichtes zu den Europäischen eGovernment Awards zusam-
   abstract

              men.(1) Im Mittelpunkt stehen die Analyse der Ergebnisse und Empfehlungen für eine Neuauflage der Awards 2.0. Der
              renommierte europäische Preis wurde 2001 im Rahmen der Lissabon Strategie initiiert. Knapp ein Jahrzehnt hindu-
              rch haben die European eGovernment Awards die Entwicklung der europäischen E-Government Strategie und des
              europäischen Good Practice Portals (www.epractice.eu) nachhaltig unterstützt.

              The following article outlines the report conducted for the European Commission during 2009 and 2010 within the
              framework of the European e-Government Awards Programme.(1) The report includes recommendations for a fu-
              ture European award scheme in the field of e-government. The European eGovernment Awards have supported the
              development of the EU’s e-government policy framework during the last decade and have brought the ePractice.eu
              community to life.

                     Facts and Figures about the European eGovernment Awards 1.0.   here was to find a balanced approach to assess good prac-
                     Launched in 2001, the European eGovernment Awards              tice in a cross-cultural context. In the second phase (2007-
                     have been a pioneer experience at the EU level, aimed          2009) the main interest of the European Commission was
                     at supporting the policy objectives of the i2010 and the       to develop the ePractice.eu portal and community. For this
                     eEurope initiatives and, more specifically, the European       reason, the ‘Public Prize for the most inspiring good prac-
                     action plans for e-government(2). In a nutshell, the Euro-     tice’, an e- vote on the finalists, was introduced in 2007.
                     pean eGovernment Awards were not just about finding
                     the best e-solutions in government across Europe, and as       Overall, the 2003 Awards remain the most popular edition
                     such not just another competition. In the first place, they    in terms of participation, with 357 submissions and 66 fi-
                     aimed to identify innovative solutions to provide better       nalists.(3) In 2007 and 2009, 31 out of 34 eligible countries
                     governance and government. Secondly, they supported            participated with 310 and 259 submissions respectively, 52
                     policy action at the EU level and served as incentive for      finalists (representing 20 and 17 nations respectively) and
                     community building and knowledge transfer.                     56 good practice label recipients.(4) (1) Over the years coun-
                                                                                    try participation and results have varied depending on a
                     Four eGovernment Awards took place in the period 2003          multitude of influencing factors. In general, however, in-
                     to 2009 (plus two Awards on eHealth in 2003 and 2005           ternational e-readiness rankings (e.g. UN and Waseda) and
                     within the framework of the eEurope Awards programme).         EU benchmarking results tend to support the results of the
                     Over the years, more than 200 finalists from approximately     European eGovernment Awards.(1)
                     30 countries have showcased their projects at four minis-
                     terial e-government conferences (in Como, Manchester,          Perceived benefits. Various studies have shown that the
                     Lisbon and Malmö). For almost a decade the Awards have         EU’s action plans for e-government (2) have influenced na-
                     provided a source for knowledge sharing and have helped        tional e-government strategies and programmes. In this
                     to bring the EU´s e-government community to life (in           context, the alignment of priorities, the length of existence
                     particular through ePractice.eu, and the Large Scale Pilots    and the level of implementation of national action plans
                     such as SPOCS or PEPPOL).                                      seem to have correlated with the sophistication of projects
                                                                                    submitted to the Awards during the last ten years.(1)
                     In the first phase (2002-2005) the consolidation of the ex-    For the purpose of the 2009 research report a stakehold-
                     pert evaluation process was a key concern. The challenge       er survey was conducted which included the 52 finalists
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