FORSCHUNGSAGENDA BLAUER OZEAN - Konzeptpapier des Mare:N Begleitkreises - Forschung für ...

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FORSCHUNGSAGENDA BLAUER OZEAN - Konzeptpapier des Mare:N Begleitkreises - Forschung für ...
FORSCHUNGSAGENDA
BLAUER OZEAN
Konzeptpapier des Mare:N Begleitkreises
FORSCHUNGSAGENDA BLAUER OZEAN - Konzeptpapier des Mare:N Begleitkreises - Forschung für ...
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KÜSTE
                                                                 BLAUER
                                                                    IM WANDEL
                                                                        OZEAN

INHALT

1. EINLEITUNG                                                              4

2. FORSCHUNGSTHEMEN                                                        7
2.1   Ozeandynamik im Wandel                                                7
2.2   Marine Ökosysteme unter Stress                                       13
2.3   Umgang mit marinen Naturgefahren                                     19
2.4   Nachhaltige Nutzung mariner Ressourcen                               25
2.5   Ozean-Governance und gesellschaftlicher Wandel                       33

3. FORSCHUNGSUMFELD                                                       40
3.1   Beobachtungssysteme                                                  40
3.2   Modellsysteme                                                        42
3.3   Datensysteme                                                         43
3.4   Wissensaustausch                                                     45
3.5   Nachwuchsförderung und Internationale Zusammenarbeit                 46

4. BETEILIGTE AUTORINNEN UND AUTOREN                                      48

                                                                             3
FORSCHUNGSAGENDA BLAUER OZEAN - Konzeptpapier des Mare:N Begleitkreises - Forschung für ...
EINLEITUNG

1. Einleitung
Der Ozean hat eine große Bedeutung als Lebens-, Natur-         Meeresforschung aus Sicht der Wissenschaft, Zivilgesell-
und Wirtschaftsraum. Er bedeckt zwei Drittel der Erdober-      schaft und Wirtschaft. Der Workshop „Future and Emerging
fläche und beherbergt das größte zusammenhängende              Topics in Marine Science“ bei der Kieler Youmares-Konferenz
Ökosystem der Erde mit einem insbesondere in der Tief-         2017 identifizierte frei zugängliche Forschungsdaten sowie
see noch unbekannten Reichtum an biologischer Vielfalt.        ein einheitliches Datenmanagement und die gezielte und
Er steuert den globalen Wasserkreislauf und stabilisiert       intensivierte Wissenschaftskommunikation mit Politik
und beeinflusst unser Klima maßgeblich. Dabei wirkt er         und Gesellschaft als zukunftsrelevante Querschnittsthemen
nicht nur durch seine thermische Trägheit auf das Klima        der Meeresforschung.
ein, sondern auch biogeochemisch über den Austausch
von Gasen mit der Atmosphäre. Als größte Wärme- und
CO2-Senke nimmt der Ozean eine Schlüsselrolle im vom
menschlichen Handeln beeinflussten Klimageschehen
ein. Besondere Herausforderungen sind dabei durch den
wachsenden Nutzungsdruck einer rasant zunehmenden
Weltbevölkerung und den vom Menschen verursachten
Umweltwandel gegeben. Die Erhaltung der Leistungen der
marinen Ökosysteme und der Wandel hin zu einer mehr
nachhaltigen Mensch-Ozean-Beziehung sind von gesamt-
staatlicher Bedeutung. Hierzu bietet die Meeresforschung
die Wissensgrundlagen, erarbeitet zusammen mit Akteuren
aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Handlungsoptionen
und leistet so einen grundlegenden Beitrag.

Die Bundesregierung trägt mit dem Forschungsprogramm
„Mare:N – Küsten-, Meeres- und Polarforschung für Nach-
haltigkeit“ zum Erreichen der „Agenda 2030 für nachhaltige
Entwicklung“ der UN bei. Das Kernstück der Agenda 2030
bilden die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable
Development Goal, SDGs). Mare:N leistet einen entschei-
denden Beitrag zum SDG 14 „Leben unter Wasser“, das            Teilnehmer des Forums „Blauer Ozean“ in Bonn
zudem Querverbindungen zum SDG 13 „Maßnahmen zum
Klimaschutz“ und zum SDG 15 „Leben an Land“ aufweist.          Der wissenschaftliche Begleitkreis, bestehend aus Exper-
                                                               tinnen und Experten der Meeresbiologie, Meereschemie,
Da Mare:N als offener, lernender Handlungsrahmen an-           Ozeanographie und der marinen Geowissenschaften sowie
gelegt ist, werden zukunftsrelevante Forschungsthemen          der Sozial- und Politikwissenschaften, fasste die Resultate
gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft,       des Konsultationsprozesses zusammen und entwickelte
Politik und Gesellschaft in zielgerichteten Agendaprozessen    unter Mitarbeit von weiteren Ozeanexpertinnen und
entwickelt. Für die Umsetzung des Mare:N-Agendaprozesses       -experten das vorliegende Konzeptpapier, das den künf-
„Blauer Ozean“ wurden 16 Expertinnen und Experten in den       tigen Forschungsbedarf in fünf Forschungsfelder und
wissenschaftlichen Begleitkreis berufen. Der Begleitkreis      fünf Querschnittsthemen gliedert. Die vorgeschlagene
entwickelte unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Visbeck     Forschungsagenda ermöglicht es der Bundesregierung,
(Geomar – Helmholz-Zentrum für Ozeanforschung, Kiel)           zentrale Beiträge der Wissenschaft für die anstehenden
die hier vorgelegte Forschungsagenda, suchte dazu den          politischen Prozesse bereitzustellen. Die Ozeanforschung
Dialog mit den entsprechenden Strategiegruppen des             ist in vielen Bereichen international gut vernetzt und in den
Konsortiums Deutsche Meeresforschung (KDM), führte             meisten Fällen fördern sowohl die Intergovernmental
das Mare:N Forum durch und bezog auch die Ideen von            Oceanographic Commission der UNESCO (IOC-UNESCO)
Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern            als auch der International Science Council (ISC, früher ICSU)
ein. Das Mare:N Forum „Blauer Ozean“ fand in Bonn im           diese Aktivitäten. Im Bereich der Klimaforschung werden
November 2017 zeitgleich zur Weltklimakonferenz statt          sichtbare Beiträge zum Weltklimaforschungsprogramm
und wurde von 50 Ozean-Expertinnen und Experten be-            (WCRP), insbesondere im Rahmen des CLIVAR Projektes,
sucht. Sie diskutierten die zukünftigen Schwerpunkte der       geleistet. Die Erforschung der marinen Biodiversität wird

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                                                                                         IM WANDEL
                                                                                             OZEAN

international im Rahmen der Intergovernmental Platform on                Klimarelevante Ergebnisse werden im IPCC Prozess für
Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) koordiniert,                 politische Entscheidungsträgerinnen und -träger zu-
während die biogeochemische und gesellschaftliche                        sammengefasst und bewertet. Der Zustand des Ozeans
Dimension der Ozeanforschung bei spezifischen Projekten                  im Allgemeinen wird im United Nations World Ocean
(IMBER, SOLAS, Global Carbon Project) unter Future Earth                 Assessment zusammengefasst. Die Ozeandimension der
gebündelt werden. Die Fischereiforschung ist international               „Agenda 2030“ und deren nationale Umsetzung in der
über die FAO, aber auch den ICES (International Council for              deutschen Nachhaltigkeitsstrategie werden auch durch
the Exploration of the Sea) organisiert. Auf europäischer                die Forschungsarbeiten von Mare:N mit Basis- und
Ebene organisiert sich die Meeresforschung im MarineBoard,               Handlungswissen unterstützt. Schlussendlich hat Mare:N
und eine Vielzahl von Projekten wird durch JPI-Oceans (Joint             die Aufgabe, international sichtbare Beiträge zur Ozean-
Programming Initiative) und die Forschungskommission                     dekade für Nachhaltige Entwicklung in dem Jahrzehnt
(im Moment Horizon 2020 und bald Horizon Europe)                         2021–2030 zu leisten.
durchgeführt. Die internationale Zusammenarbeit im
Atlantik wird seit 2013 durch das Galway Statement on                    Das vorliegende Papier des Mare:N Begleitkreises wird
Atlantic Ocean Cooperation zwischen der EU, Kanada                       im Januar 2019 dem BMBF und weiteren mit der Meeres-
und den USA und durch das Belem Statement für den                        forschung befassten Ressorts zur Konsultation übergeben.
Südatlantik zwischen der EU, Brasilien und Südafrika                     Die vorgeschlagene Agenda ist auch die Basis für weiter-
mit Erweiterungen auf Argentinien und die Kapverden                      führende Initiativen der Mitglieder des Konsortiums Deut-
geregelt. Ozeanbeobachtungen werden vom Global Ocean                     sche Meeresforschung (KDM) und aller anderen Akteure
Observing System (GOOS) und dessen Vielzahl von Pro-                     der Meeresforschung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft.
grammen koordiniert, die hochauflösende Meeresboden-                     Das Mare: N-Konzeptpapier „Blauer Ozean“ soll die
kartierung wird im Rahmen von SeaBed 2030 international                  Grundlage für künftige Förderbekanntmachungen in der
zusammengefasst und die Geophysik leistet Beiträge zum                   Ozeanforschung sein. Es kann weiterhin Impulse geben
European Plate Observing System (EPOS). Die Daten werden                 für den Europäischen Forschungsraum (JPI Oceans und
in internationalen Archiven (z. B. Pangaea, EMODNet) hinter-             Horizon Europe) sowie zur thematischen Ausgestaltung
legt, operationelle Produkte werden vom Copernicus Marine                der sich in Entwicklung befindlichen Deutschen Allianz
Environment Monitoring Service (CMEMS) geliefert.                        für Meeresforschung.

                                                        FORSCHUNGSTHEMEN
 Ozeandynamik im            Ökosysteme unter            Umgang mit marinen         Nachhaltige Nutzung          Governance und gesell-
 Wandel                     Stress                      Naturgefahren              mariner Ressourcen           schaftlicher Wandel
 Zirkulationsänderung       Folgen des                  Gefahrenketten             Geologische Ressourcen       Staat und Meer
 • Klimamoden               Klimawandels                • Hangrutschung            • Mineralische Rohstoffe     • Regulierungssysteme
 • Wärmetransport           • Multistressoren           • Erdbeben                 • Fossile Energierohstoffe   • Meeresvölkerrecht
 • Sauerstoff- und CO2-     • Versauerung               • Tsunami                  • Süßwasser                  • Internationale
   Transport                • Ökosystem Resilienz                                                                 Schutzgebiete

 Biogeochemische            Verschmutzung               Biologische Gefahren       Biologische Ressourcen       Gesellschaft, Markt
 Kreisläufe                 • Nährstoffe                • Viren                    • Fischerei und              und Meer
 • CO2-Aufnahme             • Plastik                   • Bakterien                  Aquakultur                 • Blue Economy
 • Nährstoffe               • Lärm                      • Quallen                  • Naturstoffe                • Benefit Sharing
 • Spurengase                                                                                                   • Zertifizierung

 Regionale                  Habitatveränderung          Warnsysteme                Erneuerbare Energien         Mitigations- und
 Auswirkungen               • Biodiversität             • Tsunami                  • Windenergie                Anpassungsforschung
 • Golfstrom-Zirkulation    • Überfischung              • Algenblüten              • Wellenenergie              • Leben mit
 • Meeresspiegel            • Invasive Arten                                                                      Umweltwandel
                                                                                                                • Anpassung
                                                                                                                • Gesellschaftliche
                                                                                                                  Transformation
                                                         FORSCHUNGSUMFELD
                           Beobachtungssysteme (Forschungsschiffe, Global Ocean Observing System, Sensoren)
                           Modellsysteme (Ozeanzirkulationsmodelle, Erdsystemmodelle, Datenassimilation)
                           Datensysteme (Datenmanagement, offene Daten-Archive, Big Data Analysis)
                           Wissensaustausch (Kommunikation, Transdisziplinarität, Gesellschaft)
                           Nachwuchsförderung (Karrierewege, Kapazitätsentwicklung, Internationaler Austausch)

Struktur des Konzeptpapiers – Forschungsthemen Mare:N - „Blauer Ozean“

                                                                                                                                         5
FORSCHUNGSTHEMEN

Wasserprobennahme mit einem CTD/Kranzwasserschöpfer an
Bord des FS Meteor

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KÜSTE
                                                                           BLAUER
                                                                              IM WANDEL
                                                                                  OZEAN

2. Forschungsthemen
2.1 OZEANDYNAMIK IM WANDEL

  Leitfragen:                                                beitragem und erhebliche Auswirkungen auf den Meeres-
                                                             spiegel auf dem westeuropäischen Schelf haben. Schwan-
  • Wie wirken sich natürliche und anthropogene
                                                             kungen der Ozeanzirkulation und deren Wechselwirkungen
    Umweltveränderungen auf die Ozeandynamik aus
                                                             mit der Atmosphäre können gravierende Auswirkungen auf
    und beeinflussen dadurch u. a. Zirkulationsmuster
                                                             die Niederschlagsvariabilität über dem Ozean und den an-
    und Meeresspiegelanstieg?
                                                             grenzenden Kontinenten haben. Präzises Wissen über diese
  • Was sind die (regional unterschiedlichen) Aus-           Prozesse ist daher unabdingbar, um sich an das ändernde
    wirkungen einer geänderten Ozeandynamik auf              Klima anzupassen, und erfordert die Fortsetzung der erfolg-
    biogeochemische Prozesse und Stoffkreisläufe im          reichen deutschen Forschung für nachhaltige Entwick-
    Ozean (inklusive Auswirkungen auf biologische            lungen. Die veränderliche Ozeanzirkulation wird ebenfalls
    Produktivität, Versauerung und Sauerstoff-               Auswirkungen auf die ozeanischen Ökosysteme haben
    minimumzonen)?                                           mit weitreichenden Folgen für Fischerei, Aquakultur und
  • Welche kurz- und langfristigen Einflüsse hat             allgemein für Rohstoffquellen im Meer mit hoher sozio-
    ein sich wandelnder offener Ozean auf die                ökonomischer Bedeutung für die menschliche Gesellschaft.
    Prozesse in der Atmosphäre, im Sediment und
    in den angrenzenden Schelfgebieten?
  • Auf welchen Raum- und Zeitskalen lassen sich die         Sachstand
    veränderliche Ozeanzirkulation und -zustand mit          Der offene (blaue) Ozean bedeckt 65 Prozent der Erdober-
    welcher Genauigkeit vorhersagen?                         fläche und nimmt durch seine Speicherkapazität für Wärme,
                                                             Süßwasser und Kohlenstoff, durch die Umverteilung von
                                                             Wärme und gelösten Stoffen sowie durch seine zentrale
Gesellschaftliche Relevanz                                   Rolle im globalen Wasserkreislauf eine Schlüsselfunktion
Der Ozean ist einer der wichtigsten Komponenten des          im Erdsystem ein. Die gegenseitigen Wechselwirkungen
Klimasystems unserer Erde und ist damit von fundamen-        zwischen Ozean und Atmosphäre – angetrieben durch den
taler Bedeutung für das Wohlergehen der menschlichen         Austausch von Impuls, Wärme, Wasser und Spurengasen –
Gesellschaft. Steigende Treibhausgas-Konzentrationen in      bestimmen nicht nur unser Klima, sondern sie sind auch
der Atmosphäre treiben den Klimawandel voran und sind        für die Selbstreinigungskraft der Erdatmosphäre wichtig.
in den Klimaprojektionen verantwortlich für signifikante     Die Verteilung von Wärme und Wassermassen im Ozean
Änderungen der Meeresströmungen. Der offene Ozean            ist verbunden mit globalen Meeresströmungen, die je
reagiert nicht passiv nur auf Veränderungen des Klimas,      nach ihrer Anregung windgetrieben sind oder, wie die
sondern beeinflusst dieses auch aktiv über Änderungen der    meridionale Umwälzpumpe, durch Dichteänderungen
Ozeandynamik und biogeochemischer Prozesse. In einigen       an der Oberfläche in Konvektionsgebieten entstehen.
Regionen der Welt ist es möglich, natürliche Klimaverände-   Direkte Beobachtungen der Meeresströmungen über die
rungen im gekoppelten Ozean-Atmosphärensystem über           letzten Jahrzehnte dokumentieren deren enorme natür-
mehrere Monate bis hin zu mehreren Jahren vorherzu-          liche Schwankungsbreite in Schlüsselregionen wie im
sagen. Weiterhin lassen sich Zirkulationsveränderungen       Nordatlantik mit seinen Tiefenwasserbildungsgebieten,
und die ozeanische Erwärmung oder CO2-Aufnahme für           in den Tropen sowie auch in den mittleren und höheren
unterschiedliche Menschheitsentwicklungen bestimmen.         Breiten. Die große Variabilität resultiert aus dem direkten
Insbesondere stehen die regionalen Unterschiede in Trends    Wind-Antrieb und natürlichen Klimamoden und erschwert
von physikalischen Parametern und biogeochemischen           das Erkennen überlagerter anthropogener Signale wie etwa
Prozessen wie z. B. der Anstieg des Meeresspiegels oder      die erwartete Abschwächung der Golfstromzirkulation in-
die Abnahme von Sauerstoff als Folgen veränderlicher         folge einer zunehmenden Erderwärmung.
Ozeandynamik im Fokus. Diese Trends sind von großer
gesellschaftlicher, ökologischer und ökonomischer            Die physikalischen und biogeochemischen Prozesse im
Relevanz für die Lebensbedingungen an Land.                  Ozean, die durch dynamische Zirkulationsprozesse komplex
                                                             verzahnt sind, sind in den letzten Dekaden durch menschen-
Ein prominentes Beispiel dafür sind Änderungen in der        gemachte (anthropogene) Umweltveränderungen (wie z. B.
Atlantischen Meridionalen Umwälzbewegung (AMOC),             globale Erwärmung, Eutrophierung und Versauerung) einem
die zum relativ milden Klima in West- und Nordeuropa         fundamentalen Wandel unterworfen, deren zukünftige

                                                                                                                      7
FORSCHUNGSTHEMEN

Konsequenzen wir noch nicht richtig abschätzen können,        Ozeans für CO2 gesunken ist, mit Folgen für die
weil die dafür notwendigen Grundlagen bis heute nur           zukünftige Entwicklung atmosphärischer CO2-
unzureichend erforscht sind.                                  Konzentrationen.

Einige Beispiele für aktuelle oder zu erwartende Verän-     • Die Intensität von Starkwindereignissen (Wirbel-
derungen sind:                                                stürmen) hat durch Erwärmung in den letzten Jahren
                                                              in allen tropischen Ozeanen deutlich zugenommen.
• Veränderungen der Ozeanzirkulation und Ozean-
  eigenschaften (Wärme, Salz, Sauerstoff, Nährstoffe)       • Die Anzahl von extremen Monsunregenfällen
  über weite Bereiche des Weltozeans.                         (die durch die Erwärmung im nördlichen Indischen
                                                              Ozean angetrieben werden) haben sich in den letzten
• Die prognostizierte Abschwächung der „Atlantic              60 Jahren verdreifacht.
  meridional overturning circulation“ (der Wärmepumpe
  Europas) um 30 Prozent bis zum Ende des 20. Jahr-
  hunderts wird zu veränderten Wärmetransporten in          Forschungsbedarf
  Richtung Europa führen und Auswirkungen auf den           Schwerpunkt Zirkulationsänderungen
  regionalen Meeresspiegelanstieg haben.                    Um natürliche Schwankungen der Ozeanzirkulation,
                                                            deren Zusammenhang mit dem Klimawandel und deren Aus-
• Veränderungen in der atmosphärischen Zirkulation          wirkungen auf biogeochemische Prozesse und Ökosysteme
  ändern den Antrieb an der Meeresoberfläche. Dazu          verstehen zu können, sind Langzeitstudien erforderlich.
  gehören z. B. Änderungen der bodennahen atmos-            Diese müssen sowohl kontinuierliche Ozeanbeobachtungen
  phärischen Temperaturen in polaren Regionen oder          und Wiederholungsmessungen in Schlüsselregionen und
  die Erwärmung der oberen Troposphäre in den Tropen        die Aufbereitung von historischen Ozean- und Klima-
  und daraus resultierende Verschiebungen der Wind-         archiven umfassenals auch komplexe Modellstudien, um
  systeme.                                                  Änderungen, die über die instrumentelle Datenerhebung
                                                            hinausgehen, zu dokumentieren, zugrundeliegende Pro-
• Anstieg des Meeresspiegels auf globalem Niveau und        zesse zu verstehen und somit langzeitige Entwicklungen
  mit regional unterschiedlicher Ausprägung. Gründe für     studieren und vorhersagen zu können. Es fehlt bislang ein
  die regionalen Unterschiede im Meeresspiegelanstieg       vollständiges Systemverständnis für die Mechanismen
  sind in der Ozeanzirkulation und atmosphärischen          und den Antrieb mehrjähriger bis multi-dekadischer,
  Klimamoden wie El Niño zu finden.                         z. T. gekoppelter Schwankungen und der Verbindung
                                                            dieser Variabilität zwischen verschiedenen Regionen.
• Die Erhöhung des Eintrags von Süßwasser in die polaren    Ebenso ungeklärt ist das Vorhersagepotenzial, das mit
  und subpolaren Ozeane durch atmosphärisch und             Klimamodi (z. B. Nordatlantische Oszillation, El Niño,
  ozeanisch bedingtes Abschmelzen der Inlandeise führt      Tropische Atlantische Variabilität) einhergeht. Weiterer
  zum globalen Meeresspiegelanstieg und ändert den          Forschungsbedarf besteht hinsichtlich der Bestimmung
  Antrieb der Ozeanzirkulation inklusive der „Atlantic      und Quantifizierung der Wechselwirkungen der einzelnen
  meridional overturning circulation“                       Komponenten Atmosphäre, Ozean, Meereis und Inlandeis
                                                            auf diesen Zeitskalen, und es ist unklar, wie robust die
• Die Sauerstoff (O2)-Konzentrationen im offenen Ozean      in den Beobachtungen identifizierten Zeitskalen und
  (und in den Küstengebieten) nehmen seit 50 Jahren         räumlichen Muster sind. Um natürliche Schwankungen
  kontinuierlich ab. Dabei haben sich die sogenannten       und die Rolle der Ozeanzirkulation im Klimageschehen
  Sauerstoffminimumzonen im offenen Ozean um                der Erde zu verstehen und von anthropogen getriebenen
  mehrere Millionen Quadratkilometer vergrößert,            Änderungen trennen zu können, bieten sich Analysen
  was hauptsächlich auf die zunehmende Erwärmung            historischer Ozean- und Klimadaten ebenso an wie zeit-
  der Ozeane zurückzuführen ist.                            lich hochauflösende paläoozeanographische Studien. Hier
                                                            sollten Änderungen im Ozean und der Atmosphären in
• Die Menge des vom Ozean aufgenommen Kohlendioxid          den letzten Eis- und Warmzeiten untersucht werden, um
  (CO2) als Folge des Anstiegs von CO2 in der Atmosphäre    massive Umwälzungen und damit einhergehende/ein-
  nimmt seit einigen Jahrzehnten deutlich zu, und die       gebundene Prozesse zu verstehen sowie die Empfindlich-
  damit verbundene Versauerung des Ozeans hat Folgen        keit des Ozean- und Klimasystems gegenüber internen
  für die verschiedenen Ökosysteme im Ozean. Gleichzeitig   und externen Faktoren erfassen zu können, die für
  gibt es Hinweise, dass die Aufnahmekapazität des          Zukunftsprognosen von essenzieller Bedeutung sind.

8
KÜSTE
                                                                           BLAUER
                                                                              IM WANDEL
                                                                                  OZEAN

Zentrale Themenkomplexe, die in den Forschungs-              Vorhersage der (langzeitigen) Auswirkungen dieser auf
programmen aufgegriffen werden sollen, sind:                 regional bis zu globalen Skalen ablaufenden Veränderungen
                                                             auf biogeochemische Stoffkreisläufe und das Erdsystem
• Verbessertes Systemverständnis für Prozesse, die auf       müssen innovative Kopplungen zwischen Zirkulations-
  jährlichen bis dekadischen Zeitskalen für Zirkulations-    modellen und biogeochemischen Ozeanmodellen entwickelt
  veränderungen verantwortlich sind, einschließlich paläo-   werden.
  ozeanographischer Studien für die Trennung natürlicher
  und anthropogener Faktoren der Zirkulationsvariabilität.   Folgende zentrale Themenkomplexe sollten deshalb in
  Verständnis der Änderungen von Klimamoden und              zukünftigen Projekten zur Biogeochemie aufgegriffen
  Ozeanprozessen in einer sich erwärmenden Welt.             werden:

• Modell-/Datenvergleiche mit realitätsnahen Ozean           • Bestimmung der Prozesse, welche die natürliche
  modellen zur Identifizierung der Antriebsprozesse            Variabilität der biogeochemischen Kreisläufe und
  und raumzeitlicher Muster der beobachteten Trends            Ökosysteme in bisher vernachlässigten oder schwer
  und Studien zur Vorhersagbarkeit und Projektion              zugänglichen Schlüsselregionen des offenen Ozeans
  (in Abhängigkeit der menschlichen Entwicklung) von           (wie z. B. dem nördlichen Indischen Ozean, Südozean,
  Zirkulationsänderungen und ihrer Auswirkungen auf            Arktischen Ozean) antreiben. In welchem Ausmaß beein-
  das Klimasystem über die nächsten Dekaden bis Jahr-          flussen die Wechselwirkungen von Ozeanzirkulation,
  hunderte.                                                    (mikro)biologischen und biogeochemischen Prozessen
                                                               und atmosphärischen Einträgen die Verteilung von Nähr-
• Eine wichtige Komponente zum tieferen Verständnis            stoffen und O2 und damit die biologische Produktivität
  und zur möglichen Vorhersage der Klimaschwankungen           und Bildung von klimarelevanten Verbindungen (wie
  ist die Bedeutung der einzelnen Kommunikationswege           z. B. Spurengase, Aerosole)?
  zwischen den verschiedenen Klimasystemkomponenten
  (Atmosphäre, Ozean, Meereis, Inlandeis) und zwischen       • Identifizierung und Quantifizierung der physikalischen
  den verschiedenen Meeresregionen des Nordatlantiks.          und biogeochemischen Prozesse, die die Dynamik und
  Die Kommunikation kann auf den verschiedenen Zeit-           Zusammensetzung der Ozeanoberflächengrenzschicht
  skalen sehr unterschiedlich erfolgen.                        (engl. surface microlayer) bestimmen. Diese Schnittstelle
                                                               zwischen Ozean und Atmosphäre ist von entscheidender
• Identifizierung der entscheidenden Wechselwirkungen          Bedeutung für die Wechselwirkungen zwischen Ozean
  zwischen Ozean und Atmosphäre im Kontext der unter-          und Atmosphäre, die aber bisher nur unzureichend
  schiedlichen Monsunsysteme im Indischen Ozean.               untersucht worden ist. Dies erfordert einen interdiszi-
                                                               plinären Forschungsansatz, der auch die Entwicklung
• Auswirkungen von Zirkulationsänderungen im offenen           neuer Messtechniken und Modellansätze zur Unter-
  Ozean auf den Schelfbereich und den Meeresspiegel-           suchung der Oberflächengrenzschicht mit einschließt.
  anstieg und auf das europäische Klima.
                                                             • Identifizierung und Quantifizierung der Auswirkungen
Schwerpunkt Biogeochemische Kreisläufe                         von anthropogenen Umweltveränderungen (Erwärmung,
Variationen in der Ozeanzirkulation verändern die Ver-         Versauerung, Eutrophierung, Verschmutzung des Ozeans
teilung von essenziellen Mikro- und Makronährstoffen           und der Atmosphäre) auf biogeochemische Prozesse und
und O2 und beeinflussen damit biogeochemische Pro-             Ökosysteme in Schlüsselregionen des offenen Ozeans
zesse und Ökosysteme im Ozean. Dabei schwanken die             (Nordatlantik, nördlicher Indischer Ozean, Südozean,
Wechselwirkungen an den Schnittstellen offener Ozean/          Arktischer Ozean, oligotrophe Wirbel). Ein umfassendes
Küste, Ozean/Atmosphäre und Ozean/Sediment sowohl              Verständnis der zukünftigen Entwicklung des Ozeans
räumlich als auch zeitlich. Um diese Veränderungen und         erfordert ein grundlegendes Wissen darüber, wie die
deren mögliche Rückkopplungen mit dem Erdsystem zu             ozeanischen Schlüsselregionen sich in der Vergangen-
erfassen, sind sowohl Bestandsaufnahmen und langfristige       heit verändert haben und wie sie sich zur Zeit verän-
Zeitserienmessungen biogeochemischer Parameter als             dern. Welche Rückkopplungen haben sich verändernde
auch Prozessstudien zu biogeochemischen Stoffflüssen           biogeochemische Prozesse (z. B. CO2-Aufnahme/
und -kreisläufen nötig. Relevante Prozesszeitskalen sind       biologische Pumpe, N2-Fixierung/ Denitrifizierung,
deutlich länger als der instrumentelle Beobachtungszeit-       Emissionen von klimarelevanten Spurengasen) auf
raum und können über paläozeanographische Archive              die zukünftige Chemie der Atmosphäre und das Klima
entschlüsselt werden. Für das Verständnis und die              der Erde?

                                                                                                                      9
FORSCHUNGSTHEMEN

Ausblick                                                    Daraus leitet sich folgender Forschungs- und
Zirkulation und Zustand des offenen Ozeans müssen           Entwicklungsbedarf ab:
kontinuierlich beobachtet und modelliert werden, um
                                                            • Kontinuierliche Erfassung, verbessertes Ver-
mögliche weitreichende Änderungen durch äußere
                                                              ständnis und Vorhersage von Prozessen, die auf
(anthropogen-induzierte) Einflüsse und deren Aus-
                                                              jährlichen bis dekadischen Zeitskalen für Zirku-
wirkungen frühzeitig erfassen zu können. Eine Auswahl
                                                              lationsänderungen verantwortlich sind (unter
an klimarelevanten ozeanischen Schlüsselregionen, in
                                                              Berücksichtigung paläoozeanographischer Studien
denen sich diese Auswirkungen eindeutig und auf kurzen
                                                              für die Trennung natürlicher und anthropogener
Zeitskalen zeigen, bietet sich für diese Fragestellungen
                                                              Faktoren).
an. Um natürliche Änderungen von anthropogenen unter-
scheiden zu können, sind neben Langzeitbeobachtungen        • Modell-Datenvergleiche mit realitätsnahen
auch realitätsnahe Ozean- und Klimamodelle und die            Ozeanmodellen zur Identifizierung der Antriebs-
Verbindung von Modell-/Datenstudien notwendig. Die mit        prozesse und der raumzeitlichen Muster der
den Änderungen der Meeresströmungen verbundenen               Variabilität. Studien zu Vorhersagbarkeit und
veränderten Stofftransporte sorgen für regional-unter-        Projektion von hydrographischen und Zirku-
schiedliche Auswirkungen auf biogeochemische Prozesse.        lationsänderungen und ihrer Auswirkungen
Regionale Trends des Temperaturanstiegs, der Versauerung,     auf das Klimasystem über die nächsten Dekaden
der Näherstoffzunahme und der Sauerstoffabnahme, die          bis Jahrhunderte.
als Stressoren die marinen Ökosysteme beeinflussen,         • Abschätzungen der Auswirkungen von Zirkulations-
müssen in Verbindung mit den Zirkulationsänderungen in        änderungen im offenen Ozean auf den Schelf-
ausgewählten Schlüsselregionen (wie dem Nordatlantik          bereich und den Meeresspiegelanstieg sowie das
und nördlichen Indischen Ozean) untersucht werden.            europäische Klima.
                                                            • Bestimmung der Prozesse, welche die natürliche
                                                              Variabilität der biogeochemischen Kreisläufe
                                                              und Stoffkreisläufe in bisher vernachlässigten
                                                              oder schwer zugänglichen Schlüsselregionen des
                                                              offenen Ozeans antreiben.
                                                            • Identifizierung und Quantifizierung der Auswir-
                                                              kungen von anthropogenen Umweltveränderungen
                                                              auf biogeochemische Prozesse und Stoffkreisläufe
                                                              (z. B. Kohlenstoffaufnahme) in Schlüsselregionen
                                                              des offenen Ozeans (z. B. Nordatlantik, nördlicher
                                                              Indischer Ozean, Südozean, Arktischer Ozean,
                                                              Wirbel in den Subtropen).

10
KÜSTE
   BLAUER
      IM WANDEL
          OZEAN

              11
FORSCHUNGSTHEMEN

Fischernetz zerstört Teile eines Kaltwasserkorallenriffes („Little
Poseidon Mound“) am irischen Kontinentalhang in 720 m Wassertiefe

12
KÜSTE
                                                                          BLAUER
                                                                             IM WANDEL
                                                                                 OZEAN

2.2 MARINE ÖKOSYSTEME UNTER STRESS

  Leitfragen:                                               z. B. HELCOM, ICES oder OSPAR sowie insbesondere auch
                                                            im Rahmen der EU Marine Strategy Framework Directive.
  • Wie beeinflussen Folgen des fortschreitenden
                                                            Gleiches gilt für die marine Biodiversität, mit der sich so-
    Klimawandels den Ozean, vor allem Erwärmung,
                                                            wohl die Intergovernmental Platform on Biodiversity and
    Versauerung und Sauerstoffabnahme, einzeln und
                                                            Ecosystem Services als auch die Convention on Biological
    im Zusammenspiel mariner Ökosysteme?
                                                            Diversity befassen. Es gibt daher einen großen Forschungs-
  • Wie wirken Einträge unterschiedlichster Schad-          bedarf, um im Rahmen einer internationalen Meeres-
    stoffe (Chemikalien, Müll etc.) auf strukturbildende    Governance auf einer wissenschaftlichen Basis effektive
    Schlüsselarten und somit die Leistung mariner           und nachhaltige Strategien zur Regulierung menschlicher
    Ökosysteme?                                             Eingriffe und zur Einrichtung von Schutzgebieten zu ent-
  • Wie reagieren marine Ökosysteme auf direkte             wickeln und somit intakte Ökosystemfunktionen für
    menschliche Eingriffe wie z. B. Habitatzerstörung,      kommende Generationen zu erhalten.
    Einschleppung invasiver Arten und Überfischung?

                                                            Sachstand
Gesellschaftliche Relevanz                                  Der Ozean beherbergt eine große Artenvielfalt, die mit
Die Meere sind für die Menschheit von enormer, sozio-       einer großen funktionellen Diversität einhergeht. Mehr
ökonomischer Bedeutung. Die zentralen Ziele der Agenda      als 230.000 Arten sind bereits in den Weltmeeren erfasst
2030 der Vereinten Nationen – Armutsbekämpfung,             worden, und man schätzt, dass mehr als zwei Millionen
Ernährungssicherheit und menschliches Wohlbefinden –        Arten noch auf ihre Entdeckung und Beschreibung warten,
sind ohne intakte Meeresökosysteme (Sustainable Develop-    insbesondere, wenn man die mikrobielle Vielfalt, aber
ment Goal 14 „Life below water“) nicht zu erreichen. Die    auch schwer zugängliche Tiefseehabitate (z. B. hydro-
Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen zählt zu      thermale Quellen, Canyons, Seeberge) berücksichtigt.
den wichtigsten Gütern und Dienstleistungen mariner         Die durch den Menschen ausgelösten Veränderungen im
Ökosysteme, aber auch in den Bereichen natürliche Wirk-     Erdsystem haben einen starken Einfluss auf das Leben und
stoffe, Materialentwicklung und Tourismus profitiert der    die Vielfalt im Ozean. Schon heute kann man eine rapide
Mensch von einer hohen natürlichen Biodiversität und        Veränderung der marinen Biodiversität sowie einen
Integrität der marinen Ökosysteme. Darüber hinaus können    dramatischen Wandel in der Struktur und Funktionsweise
einige Ökosysteme (z. B. Korallenriffe, Mangroven) eine     mariner Ökosysteme auf lokaler, regionaler und globaler
existenzielle Relevanz in ihrer Funktion als natürlicher    Ebene feststellen. Zu den natürlichen Veränderungen im
Küstenschutz haben. Marine Ökosysteme sind jedoch immer     Erdsystem, die auf unterschiedlichsten Zeitskalen (Jahres-
stärker einer Vielzahl anthropogener Stressfaktoren aus-    zeiten bis Eiszeitzyklen) stattfinden, kommen aktuell
gesetzt. Global spielen dabei die Folgen des Klimawandels   weitere durch den anthropogenen Treibhausgas-Ausstoß
eine dominante Rolle, während regional bis lokal die        angetriebene klimabedingte Veränderungen im Ozean
zunehmende Verschmutzung der Meere und die intensive        (Erwärmung, Meeresspiegelanstieg, Meereisschwund,
Nutzung mariner Ressourcen als weitere Stressoren           Veränderungen der Meeresströmungen, Versauerung,
wirken. Viele Eingriffe des Menschen führen kurz- bis       Sauerstoffabnahme etc.) hinzu. Zusätzlich wird die Stress-
langfristig zu signifikanten Habitatveränderungen, die      einwirkung durch direkte anthropogene Eingriffe (Ver-
die Biodiversität und Struktur sensibler Ökosysteme ent-    schmutzung, Eutrophierung, Lärmemission, Überfischung,
scheidend verändern werden. Dennoch entwickelt sich         Nutzung mariner Ressourcen) noch verstärkt, die zu-
erst langsam ein Verständnis dafür, welche Auswirkungen     nehmend auch bislang kaum erforschte Bereiche in der
menschliche Aktivitäten direkt (z. B. Verschmutzung,        Tiefsee betreffen. Alle direkten und indirekten Eingriffe
Verbauung) und indirekt (z. B. Klimawandel) auf marine      des Menschen führen unmittelbar bis langfristig zur Ver-
Ökosysteme und deren Leistungen haben. Unklar ist           änderung von Habitaten im marinen Bereich, an die sich
aber auch, wie sich die Nachfrage der Gesellschaft nach     Ökosysteme und ihre Organismen nur bedingt anpassen
verschiedenen Ökosystemleistungen zukünftig darstellen      können. So können z. B. die Migration einzelner Arten,
wird. Die Bedeutung (multipler) anthropogener Stressoren    das Einschleppen fremder Arten (Neobiota) oder eine
für die zukünftige Entwicklung mariner Ökosysteme           starke Befischung die Struktur und Biodiversität von
spiegelt sich auch in der Beachtung wider, die diese in     Ökosystemen nachhaltig verändern. Schon jeder einzelne
der internationalen Governance finden. Das gilt zum einen   anthropogen induzierte Stressor hat das Potenzial,
für management-orientierte Organisationen wie               die Leistungen und Ressourcen von Ökosystemen zu

                                                                                                                     13
FORSCHUNGSTHEMEN

beeinflussen, dennoch sind genaue Auswirkungen besten-           • Die verstärkte Zufuhr von Nährstoffen aus der
falls für einzelne Arten bekannt. Ungleich komplexer und           Landwirtschaft kann zu einer lokalen bis regionalen
kaum erforscht sind die gleichzeitigen Effekte von mehreren        Erhöhung der Produktivität führen (Eutrophierung)
(multiplen) Stressfaktoren. Unstrittig ist, dass negative Ein-     und damit kombiniert mit Erwärmung und Über-
flüsse auf einzelne Arten unter Umständen Kettenreaktionen         fischung trophische Kaskaden und teils toxisch
auslösen können (z. B. auf Nahrungsketten, symbiotische            wirkende Algenblüten auslösen.
Lebensgemeinschaften) und somit auf die gesamte Öko-
systemstruktur und davon abhängende Ökosystemleistungen          • Invasive Arten (Neozoen/Neophyten), die durch mensch-
wirken. Darüber hinaus kann es zu einem Umkippen (regime           liche Aktivitäten (z. B. Schiffsverkehr, Aquakultur)
shift) einzelner Systeme kommen, wenn ein bestimmter               eingeschleppt werden, können die Struktur von Öko-
Schwellenwert (tipping point) erreicht wird.                       systemen nachhaltig verändern. So führte z. B. die
                                                                   massenhafte Ausbreitung der ostamerikanischen
Im Folgenden sind einige prägnante Beispiele für die               Rippenqualle Mnemiopsis leidyi zum Kollaps der
Auswirkung anthropogen induzierter Stressfaktoren auf              Sardellenbestände im Schwarzen Meer und im Kas-
marine Ökosysteme aufgelistet:                                     pischen Meer, wodurch die regionale Fischindustrie
                                                                   ihre wirtschaftliche Grundlage verlor.
• Die Erwärmung der Meere führt zu einer Veränderung
  der Primärproduktion mit entsprechenden Auswirkungen           • Viele marine Arten (v. a. Meeressäuger und Fische)
  auf die gesamte Nahrungskette, biogeographischen                 nutzen zur Kommunikation, Orientierung und Ortung
  Verschiebungen, die in neuen Ökosystemstrukturen                 von Beute bzw. Fressfeinden akustische Signale
  resultieren, einer Zunahme der Häufigkeit, geographi-            (Schall). Sie sind durch zunehmende Lärmemissionen
  scher Ausdehnung und Intensität von Korallenbleichen,            (v. a. im niederfrequenten Bereich) aufgrund von
  und einer zunehmenden Stratifizierung aufgrund derer             militärischen Aktivitäten, industriellen Bautätigkeiten
  sich die Sauerstoffversorgung für Ökosysteme in tieferen         (z. B. Windparks) und globalem Schiffsverkehr stark
  Wasserschichten verringert.                                      beeinträchtigt.

• Die fortschreitende Ozeanversauerung hat weitreichende
  Effekte auf kalzifizierende Organismen (v. a. kalkschaliges    FORSCHUNGSBEDARF
  Plankton, tropische und Kaltwasserkorallen und Mollus-         Schwerpunkt: Folgen des Klimawandels
  ken), die im sauren Ozeanwasser nur noch bedingt               Es ist zu erwarten, dass durch den anthropogen induzierten
  Kalkschalen/-skelette aufbauen können. Aber auch die           globalen Wandel ausgelöste negative ökologische und
  Vermehrung von nicht-kalkbildenden Organismen (z. B.           ökonomische Konsequenzen weiter zunehmen werden.
  Fische) werden durch die Versauerung beeinflusst.              Dennoch sind Vorhersagen über die (komplexen) Effekte von
                                                                 (multiplen) Stressoren auf marine Ökosysteme, die im
• Durch den zunehmenden vor allem industriellen Fisch-           Zuge des Klimawandels verstärkt auftreten, zurzeit mit
  fang werden Bestände vielfach an den Rand der Nach-            großen Unsicherheiten behaftet. Zu den wichtigsten klima-
  wachsrate (58 Prozent der globalen Fischbestände)              relevanten Stressoren gehören die Erwärmung der oberen
  oder weit darüber hinaus (31 Prozent sind überfischt)          Wasserschichten verbunden mit einer Vielzahl von Sekundär
  gebracht. Der Rückgang regionaler Schlüsselarten wirkt         effekten (verstärkte Wassermassen-Stratifizierung, ver-
  sich vielfach kaskadenartig auf Ökosystemstrukturen            änderte Zirkulationsmuster, verringerte Primärproduktion),
  und Nahrungsnetze aus.                                         die in der Summe die geographische Verbreitung und
                                                                 Funktion von Ökosystemen modifizieren werden, die Ozean-
• Fremd- und Schadstoffe werden kontinuierlich über              versauerung mit ihren Auswirkungen auf Kalzifizierungs-
  Flüsse und Atmosphäre oder durch kurzzeitige Groß-             prozesse, die dramatische Konsequenzen v. a. für kalk-
  emissionen (z. B. Ölunfälle) in die Meere eingetragen.         bildende Organismen haben können, und die Verringerung
  Neben vielen neuartigen Schadstoffen (z. B. Medi-              der Sauerstoffkonzentration in den Meeren, die den Stoff-
  kamente, UV-Filter-Substanzen aus Sonnenschutz-                wechsel vor allem vieler mesopelagischer und benthischer
  mitteln oder Weichmachern im Plastik, natürliche oder          Organismen signifikant beeinflussen werden. Bereits jeder
  synthetisch hergestellte Hormone) zählt hierzu auch            einzelne dieser Stressfaktoren hat das Potenzial, marine Öko-
  Plastikabfall (inklusive Mikroplastik aus z. B. Reifen-        systeme in vielfältiger Weise zu beeinflussen und ihre Funk-
  abrieb und Kleidung), der mittlerweile in den marinen          tionsweise nachhaltig zu gefährden. Der gleichzeitigen
  Nahrungsnetzen und im menschlichen Organismus                  Wirkung multipler Stressoren muss darüber hinaus ein un-
  nachgewiesen worden ist.                                       gleich größeres Gefährdungspotenzial unterstellt werden.

14
KÜSTE
                                                                              BLAUER
                                                                                 IM WANDEL
                                                                                     OZEAN

Grundlage für eine zuverlässige Folgenabschätzung der           Zunahme von Lärmemissionen durch Militäraktionen, Bau-
kumulativen Wirkung klimarelevanter Stressoren muss             maßnahmen und den globalen Schiffsverkehr. Die Band-
ein tiefgehendes Verständnis der natürlichen Variabilität       breite an Stoffen, die in den Meeren zu finden ist, hat in den
mariner Ökosysteme auf prozessrelevanten Raum- (lokal           letzten Jahren massiv zugenommen. In Einzelfällen sind
bis global) und Zeitskalen (saisonal bis dekadisch) sein.       die Auswirkungen dieser Stressoren gut untersucht, aber
Um die natürliche Variabilität besser zu verstehen und          für viele (gerade auch neuartige) Stoffe liegen kaum
von anthropogen gesteuerten Entwicklungen im Zuge des           Erkenntnisse vor. Dementsprechend gibt es gerade über
globalen Wandels unterscheiden zu können, bedarf es             die kumulative Wirkung solcher Stressoren noch immense
detaillierter Kenntnisse über die heutige Verbreitung, Struk-   Wissenslücken. In Zukunft muss daher ein Fokus darauf
tur und Funktion der diversen marinen Ökosysteme, sowie         liegen, solche direkten anthropogenen Einflüsse auf einzelne
einer genauen Untersuchung von Populationsdynamiken             Organismen, Nahrungsnetze und Ökosysteme zu unter-
und ökosystemaren Zusammenhängen. Wo diese bereits              suchen und bessere analytische Verfahren und Langzeit-
durch den Klimawandel verändert sind, gilt es die natür-        Monitoringkonzepte zu entwickeln. Dabei sollten für die
liche Variabilität aus der vorindustriellen Zeit soweit mög-    Bewertung der Wirkung von einzelnen oder multiplen
lich zu rekonstruieren. Die Abschätzung des zunehmenden         Stressoren auf ein Ökosystem vor allem die (struktur-
Einflusses (kumulativ wirkender) klimarelevanter Stressoren     bildenden) Schlüsselarten, aber auch die jeweils empfind-
stellt eine besondere Herausforderung dar, v. a. da Umwelt-     lichsten Arten im Fokus stehen. Durch neue Forschungs-
veränderungen vergleichbaren Ausmaßes noch niemals              erkenntnisse können politische Aktionspläne und
direkt untersucht werden konnten. Einen Forschungs-             Selbstverpflichtungen, beispielsweise im Rahmen des
ansatz bietet hier die Analyse der Entwicklung mariner Öko-     G20 Aktionsplans zu Meeresmüll, unterstützt und Beiträge
systeme unter dem Einfluss drastischer Klimaveränderungen       zur Weiterentwicklung geliefert werden.
in der geologischen Vergangenheit anhand von sedimen-
tären Archiven, mit denen auch für die Ökosystement-            Zentrale Themenkomplexe, die zukünftig in Forschungs-
wicklung kritische Parameter und relevante Kipppunkte           programmen aufgegriffen werden sollten, sind:
herausgefiltert werden können.
                                                                • Entwicklung und Anwendung von sensitiven Methoden
Zentrale Themenkomplexe, die zukünftig in Forschungs-             zur Erfassung und Bewertung von spezifischen Ver-
programmen aufgegriffen werden sollten, sind:                     schmutzungs- oder Lärmauswirkungen auf marine
                                                                  Organismen.
• Erfassung, Verständnis und Vorhersage der gegen-
  wärtigen und zukünftigen Verbreitungsgrenzen,                 • Untersuchung der Wirkung von verschiedenen Ver-
  Strukturen und Funktionen mariner Ökosysteme.                   schmutzungsformen insbesondere auf strukturbildende
                                                                  Schlüsselarten (inklusive deren empfindlichste Ent-
• Abschätzung der natürlichen räumlichen und zeit-                wicklungsstadien) mit Hilfe von mobilen und stationären
  lichen Variabilität mariner Ökosysteme und ihrer                Beobachtungsplattformen und in Laborversuchen.
  Resilienz gegenüber Störungen.
                                                                • Analyse der Zusammensetzung von Schadstoffen, ihrer
• Analyse der Adaptationsfähigkeit der Schlüsselkompo-            Ausbreitungswege, Verweildauer im Ökosystem und
  nenten mariner Ökosysteme unter Berücksichtigung                Verteilungsmuster auf der regionalen/globalen Skala
  der Wirkung multipler Stressoren.                               sowie deren Aufnahme in die Nahrungskette mit den
                                                                  daraus resultierenden Folgen für marine Ökosysteme.
• Erforschung der Sensitivität mariner Ökosysteme
  gegenüber großskaligen Umweltveränderungen in                 • Verständnis und Modellierung der Zusammenhänge
  der geologischen Vergangenheit (z. B. Glazial-Inter-            zwischen Verschmutzung und Wirkung auf Ökosystem-
  glazial-Zyklen) und Identifizierung von ökosystem-              komponenten zur Entwicklung verbesserter Risiko-
  relevanten Kippunkten.                                          abschätzungen und Monitoringkonzepte.

Schwerpunkt: Verschmutzung                                      Schwerpunkt: Habitatveränderungen
Marine Ökosysteme sind heutzutage vermehrt direkten             Eingriffe des Menschen resultieren bereits heute in
anthropogen induzierten Stressoren ausgesetzt, wie z. B.        signifikanten (lokalen bis globalen und kurzzeitigen bis
der Verschmutzung der Ozeane mit Müll (z. B. Plastik),          langfristigen) Veränderungen der Lebensräume in den
chemische Substanzen (z. B. Medikamente, UV-Filter,             Ozeanen und werden dies auch zukünftig in verstärktem
Hormone), Nährstoffe aus der Landwirtschaft sowie die           Maße tun. Neben der klimabedingten Migration von Arten

                                                                                                                           15
FORSCHUNGSTHEMEN

führt auch die Einschleppung invasiver Arten (Neozoen/         • Abschätzung des Einflusses verschiedener Stressoren
Neophyten) zu einer Verdrängung von heimischen Arten.            bzw. Stressor-Komplexe auf die physiologischen
Diese Veränderungen haben Auswirkungen auf die Zu-               Leistungen von Schlüsselarten.
sammensetzung von Artengemeinschaften und damit auf
die Funktionalität der Ökosysteme. Dies kann letztendlich      • Erfassung der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von
zu einem Zusammenbruch ganzer Populationen (und                  Gemeinschaften und Ökosystemen auf sich verändernde
Nahrungsketten) führen und betrifft z. B. auch kommerziell       Habitate auf unterschiedlichen zeitlichen und räum-
genutzte Fischarten in erheblichem Maße. Die industrielle        lichen Skalen.
Fischerei selbst wirkt sich durch Überfischung nachhaltig
negativ aus, da Fische über Nahrungsbeziehungen in einer
komplexen Weise in Zusammenhang mit anderen Orga-              Ausblick
nismen stehen.                                                 Marine Ökosysteme haben vor allem in ihrer Funktion
                                                               als wichtige Nahrungs- und Rohstoffquellen eine immense
Solche Entwicklungen können durch die Zerstörung von           sozio-ökonomische Relevanz für die menschliche Gesell-
Lebensräumen (Habitaten) durch Rohstoffgewinnung (von          schaft. Dennoch sehen sie sich heute aufgrund mensch-
Grundschleppnetzfischerei bis Meeresbergbau) weiter            licher Aktivitäten einer Vielzahl von Stressfaktoren aus-
massiv verstärkt werden. Es bleibt unklar, auf welcher zeit-   gesetzt, die bereits zu signifikanten Veränderungen des
lichen Skala die Abnahme der biologischen Vielfalt und der     marinen Lebensraumes und der natürlichen Biodiversität
Ausfall einzelner Schlüsselarten zu Veränderungen in der       geführt haben. Ursächlich dafür sind vor allem der Klima-
Gesamtstruktur eines Ökosystems führen. Diese Abnahme          wandel, die Verschmutzung der Meere, die intensive
kann zur Folge haben, dass die Fähigkeit eines Ökosystems      Nutzung mariner Ressourcen und die Veränderung von
zur Anpassung an zukünftige Umweltveränderungen                Habitaten, deren Auswirkungen sich in Zukunft noch
empfindlich herabgesetzt wird und dass es entscheidende        verstärken werden. Die Abschätzung der ökologischen,
Teile seiner Ökosystemleistungen verliert.                     ökonomischen und sozialen Folgen der vielfältigen anthro-
                                                               pogenen Einflüsse ist daher eine der großen Herausforde-
Interessanterweise scheint es eine große Variabilität in       rungen der modernen Meeresforschung.
Bezug auf Toleranz und Anpassungsfähigkeit von einzelnen
Arten, Populationen und ganzen Systemen an sich ver-
ändernde Umweltbedingungen zu geben, seien sie natür-
lichen oder anthropogenen Ursprungs. Während sich
in zahlreichen marinen Ökosystemen bereits Einflüsse
menschlicher Aktivitäten nachweisen lassen, scheinen
andere entweder weniger davon betroffen zu sein oder
eine größere Widerstandsfähigkeit zu besitzen. Durch die
unterschiedlichen Anpassungsstrategien einzelner Arten,
aber manchmal auch einzelner Populationen einer Art,
werden neue geographische Verteilungsmuster mit neuen
Ökosystemstrukturen entstehen. Hier wird dringend ein
profundes Prozessverständnis benötigt, um Risiken aber
auch Chancen zukünftiger Entwicklungen abschätzen und
– im Idealfall – minimieren (optimieren) zu können.

Zentrale Themenkomplexe, die zukünftig in Forschungs-
programmen aufgegriffen werden sollten, sind:

• Veränderungen in der geographischen Verbreitung
  endemischer oder einheimischer Arten (range shifts)
  mit Auswirkungen auf Biodiversität, Produktivität,
  Nahrungsnetze und Ökosystemfunktionen.

• Analyse der Verbreitung invasiver Arten (inklusive
  Krankheitserregern, Parasiten etc.) und deren Einfluss
  auf heimische Arten bzw. Ökosystemfunktionen.

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KÜSTE
                                                           BLAUER
                                                              IM WANDEL
                                                                  OZEAN

Daraus leitet sich folgender Forschungs- und
Entwicklungsbedarf ab:
• Erfassung, Verständnis und Vorhersage der
  gegenwärtigen und zukünftigen Verbreitungs-
  grenzen, Strukturen und Funktionen mariner
  Ökosysteme (auch unter Berücksichtigung des
  Einflusses invasiver Arten).
• Abschätzung der natürlichen räumlichen und
  zeitlichen Variabilität mariner Ökosysteme und
  ihrer Anpassungsfähigkeit und Identifizierung
  ökosystem-relevanter Kippunkte auf Zeitskalen
  von Jahreszeiten (z. B. anhand von mobilen und
  stationären Beobachtungsplattformen) bis Glazial-
  Interglazial-Zyklen (z. B. anhand von Sedimentkern-
  bohrungen).
• Abschätzung des Einflusses verschiedener Stres-
  soren bzw. Stressor-Komplexe auf die physio-
  logischen Leistungen mariner Schlüsselarten
  basierend auf der Entwicklung und Anwendung
  sensitiver Methoden zur Erfassung und Bewertung
  der Wirkung dieser Stressoren.
• Verständnis und Modellierung der Zusammen-
  hänge zwischen (multiplen) Stressoren und deren
  Wirkung auf Ökosystemkomponenten zur Ent-
  wicklung verbesserter Risikoabschätzungen und
  Monitoringkonzepte.

                                                                      17
FORSCHUNGSTHEMEN

Einsatz eines Wellengleiters im Rahmen einer marinen Geodäsie-
Messung vor Nordchile. Der Wellengleiter transferiert Daten von
Messgeräten am Meeresboden an die Wasseroberfläche und von
dort per Satellit ins Labor nach Deutschland. Der Einsatz erfolgte
vom FS SONNE im Rahmen der Ausfahrt SO244 GEOSEA

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KÜSTE
                                                                            BLAUER
                                                                               IM WANDEL
                                                                                   OZEAN

2.3 UMGANG MIT MARINEN NATURGEFAHREN

  Leitfragen:                                                 Sachstand
                                                              Gefahren aus dem Meer sind vielfältig zum Beispiel im
  • Welche Prozesse lösen geologische Groß-
                                                              Zusammenhang mit Extremwetterereignissen und klima-
    ereignisse mit besonderem Gefährdungspotenzial
                                                              tischem Meeresspiegelanstieg. Hier werden die geologisch
    (insbesondere submarine Hangrutschungen oder
                                                              und biologisch ausgelösten Ereignisse, die ihren Ursprung
    Starkbeben) aus?
                                                              im ozeanischen Bereich haben und deren Auswirkungen sich
  • Wie entwickeln sich Gefahrenketten aus einem              auf besiedelte Gebiete erstrecken, behandelt. Da es sich um
    Einzelereignis (Erdbeben – Massenumlagerung –             fundamentale geologische oder biologische Prozesse handelt,
    Tsunami) und welche Gefahren entstehen dadurch            die selbst nicht gelenkt oder gesteuert werden können,
    für die global vernetzte Gesellschaft?                    stehen Mitigationsmaßnahmen sowie die Entwicklung von
  • Wie wirken Habitatänderungen auf die Zunahme              gesellschaftlich verankerten, institutionalisierten Frühwarn-
    potenziell humanpathogener Bakterien?                     und Katastrophenschutzsystemen zur Schadensbegrenzung
  • Welchen Einfluss hat die Zunahme von giftigen             im Fokus der Forschung. Hierbei stellt insbesondere die
    Algenblüten auf die Nahrungskette und auf                 Gefährdungsabschätzung in Abhängigkeit der individuellen
    Nahrungsmittel aus dem Meer?                              Gegebenheiten eines Ereignisses einen zentralen Faktor dar.
                                                              Besonders schwierig ist eine Gefährdungsabschätzung für
                                                              Phänomene, deren Auslösemechanismen wir bisher nicht
Gesellschaftliche Relevanz                                    umfassend erkannt haben. Dazu zählen folgende Ereignisse:
Ozeane stellen die Quellregionen für Gefahren aus dem Meer
dar, deren globale Auswirkungen auf die engen sozio-öko-      Geologische Ereignisse und Gefahrenketten
nomischen Vernetzungen der Gesellschaften über Landes-        • Kaskadierende Ereignisse oder Gefahrenketten, in
und Kontinentgrenzen hinweg reichen. Während die                denen ein Prozess weitere Ereignisse nach sich zieht.
Opferzahlen durch Naturkatastrophen seit drei Dekaden
generell rückläufig sind, so zeigt der Tsunami des Jahres     • Submarine Massenumlagerungen an instabilen Kontinen-
2004 im Indischen Ozean (ca. 220.000 Todesopfer), dass          talsockeln, insbesondere an passiven Kontinentalhängen.
Einzelereignisse mit einer besonderen Ereignisstärke
diesem Trend nicht folgen. Der wirtschaftliche Schaden        • Flankenkollapse an aktiven oder inaktiven unter-
durch Gefahren aus dem Meer nimmt tendenziell zu. Auch          meerischen Vulkanhängen.
führen katastrophale Einzelereignisse zu großen Peaks
in der Schadensbilanz, wie das bisher schadenträchtigste      • Starkbeben, die sich über mehrere Segmentgrenzen
Jahr 2011 als Folge des Tōhoku-Oki Erdbebens in Japan           einer Verwerfung erstrecken und basierend auf der
belegt. Während Entwicklungs- und Schwellenländer               großen Bruchfläche sehr hohe Magnituden erreichen.
aufgrund mangelnder Widerstandsfähigkeit gegenüber
Naturkatastrophen große Folgen in ihrer Wohlstands-           • Erdbeben mit langen Wiederkehrzeiten deren Quell-
entwicklung auch schon bei geringerer Ereignisstärke            region und Ursprung unklar bleibt, da der Verlauf der
erfahren (z. B. Haiti-Erdbeben von 2010 mit einer Magni-        Verwerfung im Untergrund unbekannt ist.
tude von 7.0 und über 315.000 Todesopfern), können
kaskadierende Ereignisse schwerwiegende Einbußen              Biologische Gefahren
auch für hochentwickelte Nationen nach sich ziehen (z. B.     • Zunahme potenziell humanpathogener Bakterien
Fukushima-Daiichi Katastrophe von 2011). Die Analyse             (z. B. genus Vibrio) durch Aussüßung, Erwärmung
dieser Erfahrungen insbesondere aus den letzten 15 Jahren        sowie Degradation von Habitaten.
liefert eine wertvolle Grundlage, um die Vulnerabilität
der Gesellschaft gegenüber zukünftigen Gefahren zu            • Zunahme von giftigen Algenblüten und Weitergabe
minimieren. Insbesondere die Verwundbarkeit gegenüber           ihrer Toxine über die Nahrungskette bis hin zu
Extremereignissen, die aufgrund des seltenen/unregel-           Nahrungsmitteln aus dem Meer (Muschelkulturen).
mäßigen Auftretens kaum vorhersehbar sind, verdeutlicht
die Notwendigkeit einer verbesserten Quantifizierung der      • Auftreten giftiger bis tödlicher Quallenschwärme.
Auslöseprozesse von Gefahren aus dem Meer sowie der
gesellschaftlichen Kapazitäten mit diesen umzugehen, um       Eine gezielte Verbesserung der Gefährdungsabschätzung
unsere Vorhersagefähigkeiten, Frühwarnkapazitäten und         erfordert eine verbesserte Kenntnis der gefährdenden
den institutionalisierten Katastrophenschutz zu optimieren.   Ereignisse und deren Charakteristika, um lokale und

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