Madagaskar im Wahljahr 2018 - Konsolidierung oder Ausbruch einer erneuten Krise? - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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PERSPEKTIVE | FES MADAGASKAR Madagaskar im Wahljahr 2018 Konsolidierung oder Ausbruch einer erneuten Krise? MARCUS SCHNEIDER Mai 2018 n Ende des Jahres finden in Madagaskar Präsidentschaftswahlen statt, die mit Span- nung erwartet werden. Neben Amtsinhaber Hery Rajaonarimampianina wollen auch die beiden Ex-Präsidenten Andry Rajoelina (MAPAR) und Marc Ravalomanana (TIM) zur Wahl antreten. Alle drei haben Chancen, auch gewählt zu werden. Wesentliche ideologische und programmatische Unterschiede bestehen zwischen ihnen jedoch nicht. n Die Stimmung im Land ist schlecht, was auch am jahrzehntelangen wirtschaftlichen und sozialen Niedergang liegt. Madagaskar zählt heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Der Großteil der Bevölkerung ist mit der Politik sowie der bestehenden Demo- kratie extrem unzufrieden. n Schwache Institutionen, verfeindete Politiker_innen, der große Einfluss von Finanz- strömen sowie eine Geschichte elektoraler Krisen machen einen erneuten Krisen- ausbruch auch für das Jahr 2018 wahrscheinlich. Die massive Demonstration der MAPAR-TIM-Opposition vom 21. April dieses Jahres hat die Krisenwahrscheinlichkeit noch einmal erhöht.
MARCUS SCHNEIDER | MADAGASKAR IM WAHLJAHR 2018 Die Bilder vom 21. April 2018 erinnern stark an das Jahr Die Euphorie über die freien Wahlen von 2013, mit de- 2009. Trotz eines offiziellen Verbots gelang es der Op- nen das Land die schwelende politische Krise seit dem position, angeführt von den Abgeordneten der beiden Staatsstreich von 2009 hinter sich lassen und auch öko- Parteien der Ex-Präsidenten Marc Ravalomanana und nomisch in mildere Gefilde aufbrechen wollte, hat sich Andry Rajoelina, mehr als 10.000 Menschen zu mobili- als trügerisch herausgestellt. Die sozialen und wirtschaft- sieren. Die massive Präsenz der Sicherheitskräfte, die um lichen Indikatoren sind weiterhin im tiefroten Bereich. die Avenue de l’Indépendance in der Hauptstadt zusam- Laut Weltbank zählt Madagaskar zu den fünf ärmsten mengezogen waren, vermochte es nicht, dem Ansturm Ländern der Erde; über 90 Prozent der Madagass_innen zu widerstehen. Mindestens zwei Tote und mehr als ein leben unter der internationalen Armutsgrenze.1 Zwar Dutzend Schwerverletzte sind das Resultat. Das Krisen- behauptete die Regierung jüngst, die Armutsrate seit gespenst ist damit zurück. 2013 von 92 Prozent auf unter 70 Prozent gesenkt zu haben – was Madagaskar selbst über Afrika hinaus zu einem Entwicklungschampion machen würde –, jedoch Die Vorwahlkrise hat bereits begonnen ist unklar, woher diese Zahlen stammen. Das offiziell ausgewiesene Wirtschaftswachstum lag seit 2013 in kei- Anlass zur Demonstration war die Verabschiedung der nem Jahr über fünf Prozent, was angesichts des hohen Wahlgesetze, die der Regierungspartei nach Ansicht demografischen Wachstums von fast drei Prozent ein- der beiden großen Oppositionsparteien ungebührliche deutig zu wenig wäre, um wesentliche Teile der Bevölke- Vorteile verschaffen würden. Kritikpunkte sind unter an- rung aus der Armut zu befreien. derem die erschwerte Revision der Wählerverzeichnisse, die von 30 auf nur sieben Tage verkürzte Wahlkampfpe- Die wahrgenommene Stimmung war bereits vor der riode für die zweite Runde der Präsidentschaftswahl so- jüngsten Eskalation entsprechend schlecht. Apathie, Re- wie insbesondere die Aufstellung von Kriterien, die eine signation und Zynismus sind allerorten anzutreffen. Es ist Kandidatur Marc Ravalomananas und gegebenenfalls beinahe eine Depression, die wie ein Alb auf dem Land auch Andry Rajoelinas effektiv verhindern würden. Ne- liegt. Die im Januar 2018 organisierte Kampagne der ben der inhaltlichen Kritik erhebt die Opposition zudem Zivilgesellschaft zur Einschreibung in die Wahlregister den Vorwurf, dass die Mehrheit für die Verabschiedung verfing nach Eigenangaben nicht. Auch die letzten ver- dieser Gesetze im Parlament nur aufgrund von Beste- fügbaren Zahlen des Afrobarometers von 2015 gehen in chung zustande kam. So kursiert in den sozialen Netz- diese Richtung: Nur elf Prozent der Madagass_innen sind werken ein Video, das Abgeordnete der Regierungspar- mit dem Funktionieren ihrer Demokratie zufrieden – ein tei bei der Verteilung von hohen Geldsummen zeigt. trauriger Negativrekord in Afrika. Das nächstschlechtes- te Land, Togo, kommt bereits auf einen Zufriedenheits- Derzeit ist nicht abzusehen, ob sich diese Konfrontation grad von 26 Prozent.2 Auch das Wahlverhalten kann als zu einer veritablen Vorwahlkrise ausweiten wird. Sicher Indikator für die resignierte Stimmung herangezogen ist nur, dass das Mandat des derzeitigen Präsidenten werden: So machten bei den Kommunalwahlen 2015 Hery Rajaonarimampianina im Januar 2019 endet. Laut nur 29 Prozent der Hauptstadtbevölkerung von ihrem Verfassung muss der erste Wahlgang der Präsident- Wahlrecht Gebrauch. In den ländlichen Gegenden war schaftswahl zwischen 30 und 60 Tagen vor Ablauf des die Beteiligung noch geringer, sodass landesweite Daten Mandats stattfinden, also zwischen Mitte November erst gar nicht veröffentlicht wurden. Die Demokratie in und Ende Dezember 2018. Die meisten Beobachter_in- Madagaskar gleicht immer mehr einer Volksherrschaft nen gingen bislang davon aus, dass sich dieser Zeitplan ohne Volk. auch einhalten lässt. Die Ursache für die schlechte Stimmung ist jedoch nicht allein in den letzten Jahren zu suchen. Vielmehr ist es die Eine gemessen an ökonomischen und sozialen longue durée, die auf die Atmosphäre durchschlägt. So Indikatoren enttäuschende Präsidentschaft 1. http://www.newsmada.com/2017/03/22/rapport-de-la-banque-mon diale-madagascar-le-pays-le-plus-pauvre-du-monde/. Die Amtszeit des 2013 mit knapper Mehrheit gewählten 2. Afrobaromètre (2015): Les Malgaches deviennent plus critiques vis-à- Präsidenten war in vielerlei Hinsicht eine Enttäuschung. vis du fonctionnement de leur démocratie, 20. November. 2
MARCUS SCHNEIDER | MADAGASKAR IM WAHLJAHR 2018 hat eine im Oktober 2017 veröffentlichte wissenschaftli- Pomp durch den Staatspräsidenten lancierte Strategie che Analyse zur politischen Ökonomie des Landes medi- »Wiedergeburt 2030« kommt reichlich spät. So fehlt es al großes Aufsehen erregt.3 Madagaskar ist das einzige denn auch weniger an guten Absichtserklärungen als Land der Welt, das ohne Krieg, Bürgerkrieg oder Inter- vielmehr an konkreten Taten, um eine Aufbruchsstim- vention von außen einen sozialen und ökonomischen mung zu generieren. Niedergang erlebt hat, der sonst nur mit gescheiterten Staaten vergleichbar ist. So ist das Bruttoinlandsprodukt Vor diesem Hintergrund versprechen die Ende des Jahres pro Kopf seit Erlangung der Unabhängigkeit nahezu anstehenden Wahlen, im besten wie im schlechtesten konstant rückläufig und liegt heute um 30 bis 50 Pro- Sinne des Wortes spannend zu werden. In der Geschich- zent niedriger als 1960, obwohl es sich im subsahari- te des Landes ist es bislang noch keinem Präsidenten schen Durchschnitt trotz der generellen ökonomischen gelungen, auf verfassungsrechtlich regulärem Wege an Schwäche Afrikas verdreifacht hat. Während Madagas- die Macht zu gelangen und auf ebenso regulär-demo- kar im Jahr 1960 noch auf einer Entwicklungsstufe mit kratische Weise wieder abgelöst zu werden. Stattdessen heutigen Schwellenländern wie Brasilien und Malaysia markierten bisher Krisen, Staatsstreiche, sogenannte lag, ist es heute auch im Vergleich mit dem Rest Afrikas Revolutionen und Amtsenthebungen entweder den An- extrem zurückgefallen. fang oder das Ende jeder Präsidentschaft. Wahlen wa- ren häufig ein Katalysator dieser Krisen, insbesondere wenn die Resultate nicht von allen Akteur_innen aner- 60 Jahre wirtschaftlicher Niedergang kannt wurden – wie 1989 oder 2001 – oder eigentlich stolze Wahlsiege durch »die Straße« bzw. gegnerische Der Grund für die jahrzehntelange Regression ist in einer Akteur_innen nur wenige Monate bis Jahre danach in ressourcenausbeutenden Elite zu finden, die kaum eine ihr Gegenteil verkehrt worden sind – wie 1972, 1989 Entwicklungsorientierung aufweist. Die vorherrschende und 2006. Ein ähnliches Szenario ist auch 2018 nicht Rentenökonomie, welche die Ausbeutung der zahlrei- auszuschließen. chen Bodenschätze mit dem schnellen Export dersel- bigen verbindet, perpetuiert die Unterentwicklung des Landes. Diejenigen Kräfte, die an den politischen und Die Krisenwahrscheinlichkeit bleibt wirtschaftlichen Schalthebeln sitzen, haben somit kein auch in 2018 sehr hoch Interesse an einer ökonomischen Strukturtransformati- on, die mittelfristig die Armut lindern würde. An diesem Die wahrscheinlichen Kandidaturen der zwei Ex-Präsi- generellen Befund hat sich auch seit 2013 nichts geän- denten Marc Ravalomanana (TIM-Partei, 2002–2009) dert – eher hat er sich weiter erhärtet. und Andry Rajoelina (MAPAR-Partei, 2009–2014) sowie des derzeitigen Amtsinhabers, die sich untereinander Das Regime der herrschenden Präsidentenpartei HVM alle in herzlicher Abneigung verbunden sind, tragen ih- hat sich vor allem durch seine Instabilität ausgezeichnet: ren Teil dazu bei. Alle drei gedenken, als prophetenglei- Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren, mehre- che Lichtgestalten und Retter ihres Volkes anzutreten – re, teils spektakuläre Korruptionsfälle, drei Premierminis- ein für die Demokratie wenig zuträgliches Szenario, da ter und noch mehr Regierungsumbildungen in nur vier Propheten kaum eine Wahl verlieren können. Insofern ist Jahren. Dennoch hat es auch Lichtblicke gegeben: Die kaum anzunehmen, dass einer der drei seine Niederlage gut organisierten COMESA- und Frankophonie-Gipfel schon nach dem ersten Wahlgang eingestehen wird. 2016, ebenso wie die Zusage von zehn Milliarden US- Dollar bei einer Geberkonferenz in Paris Ende desselben Neben den drei »etablierten« Kandidaten wird es zudem Jahres ließen kurzzeitig Hoffnung auf einen Aufschwung noch eine Reihe anderer geben, darunter auch politische aufkommen. Ein gut durchdachtes, an langfristigen Zie- Neulinge. Keinem der bislang deklarierten oder noch zu len orientiertes Regierungshandeln ließ sich aber häu- benennenden Kandidat_innen wird derzeit jedoch eine fig nicht feststellen. Die Ende Januar 2018 mit großem ernsthafte Chance eingeräumt. Dies liegt zum einen an ihrem geringen Bekanntheitsgrad außerhalb der Haupt- stadt, zum anderen aber auch an dem Mangel effektiver 3. Razafindrakoto, M. / Roubaud, F. / Wachsberger, J.-M. (2017): L’énigme et le paradoxe. Economie politique de Madagascar, AFD/IRD. Strukturen und Netzwerke – ganz zu schweigen von den 3
MARCUS SCHNEIDER | MADAGASKAR IM WAHLJAHR 2018 erheblichen Finanzmitteln, die nötig sind, um in Mada- über Zugang zu pluralistischen Medien. Von einem in- gaskar eine Wahl zu gewinnen. takten politischen Bewusstsein kann dementsprechend keine Rede sein. Seit der Abschaffung der kolonialen Dass die Wahlen unter diesen Umständen dennoch Kopfsteuer 1972 befindet sich die madagassische Land- kompetitiv sein werden, liegt an der geringen Populari- bevölkerung, vor allem in den Regionen weitab der Pro- tät des amtierenden Präsidenten. Während der Sieg des vinzstädte, in einer effektiven Apathie gegenüber einem Amtsinhabers in vielen afrikanischen Fassadendemokra- Staat, von dem in Ermangelung fast jeglicher sozialer tien fast schon eine Selbstverständlichkeit ist, gestaltet Dienstleistungen nichts mehr erwartet, aber auch nichts sich die Lage in Madagaskar etwas anders. mehr gefordert wird.4 Die Wahlwerbung des Staats- kandidaten wird jedoch vielerorts die einzige sein, die Dass Hery Rajaonarimampianina trotzdem über we- überhaupt in diese Regionen durchdringt, sodass dieser sentlich bessere Startbedingungen als seine Konkurren- zusammen mit der Unterstützung durch die lokalen Be- ten verfügt, liegt vor allem an der Durchdringung des hörden hier einen deutlichen Vorteil genießt. So beruh- Staatsapparates durch die Präsidentenpartei HVM. Trotz te der Wahlerfolg der HVM bei den Kommunalwahlen Lippenbekenntnissen zu mehr Dezentralisierung bleibt 2015 vor allem auf den Siegen in ländlichen Gemeinden, Madagaskar ein extrem zentralisierter Staat, der zwar während fünf der sieben Großstädte des Landes an Kan- schwach aufgestellt ist, aber dennoch keine unabhängi- didat_innen anderer Parteien fielen; in Antananarivo er- ge Beamtenschaft besitzt. Vielmehr wird erwartet, dass reichte der vom Staat unterstützte Kandidat nicht einmal das Heer der staatlichen Amts- und Funktionsträger_in- drei Prozent der Stimmen. nen sich auch politisch in den Dienst der Staatsführung stellt, sodass der Amtsinhaber nicht als ein Kandidat Ein weiterer Faktor, der für den Amtsinhaber spricht, ist unter vielen antritt, sondern in madagassischer Traditi- das Budget. Bereits die Wahl 2013 war zu einer wahren on als »candidat du fanjakana«, also als Kandidat der Geldschlacht ausgeartet, in der das kolportierte Budget Macht bzw. des Staates, den dieser mit allen Mitteln des siegreichen Kandidaten bei 43 Millionen US-Dollar unterstützt. lag5 – in einem Land mit dem Bruttoinlandsprodukt von Wuppertal eine schier unglaubliche Summe. Pro Stimme hat die Kampagne Hery Rajaonarimampianinas damit Die undemokratische Praxis mehr ausgegeben als die milliardenstarke Kampagne des »Staatskandidaten« Hillary Clintons. So ist auch für 2018 davon auszugehen, dass der Geldfaktor entscheidend zum Wahlausgang Das Problem dieser undemokratischen Praxis ist be- beitragen wird. kannt, weshalb die 2010 verabschiedete Verfassung ver- langt, dass das amtierende Staatsoberhaupt, sofern es gedenkt, sich zur Wiederwahl zu stellen, 60 Tage vor Statt Demokratie eine Herrschaft des Geldes dem Wahlgang zurückzutreten habe. Dies klingt zwar gut in der Theorie, allerdings steht der Praxistest noch Verschiedene Gründe zeichnen dafür verantwortlich, aus. Bei Rücktritt des Präsidenten fällt dessen Amt inte- dass Wahlen in einem ökonomisch so niedergerichteten rimistisch bis zum Amtsantritt des neugewählten Staats- Land wie Madagaskar derart teuer sind. Zum einen ist oberhaupts an den Präsidenten des Senats. Seit Oktober die offizielle Wahlkampagne äußerst kurz: Laut Wahl- 2017 ist dies Rivo Rakotovao, in Personalunion gleich- gesetz werden den Kandidat_innen dafür vor dem ers- zeitig Vorsitzender der Regierungspartei HVM. Ebenso ten Wahlgang nur 30 Tage zur Verfügung gestellt, vor bliebe die Regierung selbst natürlich die alte, maßgeb- dem zweiten gar nur sieben Tage. In einem Land mit lich vom Präsidenten ernannte, sodass kaum von einer vielerorts kaum befahrbaren Straßen und einem quasi- neutralen Administration auszugehen wäre. 4. Siehe dazu das Interview mit David Graeber, dem Vordenker der Oc- cupy-Bewegung, der als Anthropologe lange zu Madagaskar geforscht Die Bedeutung der staatlichen Parteinahme sollte nicht hat: The White Review: Interview with David Graeber, Dezember 2011; unterschätzt werden, da fast 75 Prozent der Madagass_ http://www.thewhitereview.org/feature/interview-with-david-graeber/. 5. Wally, Manuel: Réglementation du financement des partis politiques et innen weiterhin auf dem Land leben. Dort verfügen die des campagnes électorales. Étude comparative des pratiques en espace meisten Menschen weder über elementare Bildung noch francophone, Dezember 2016, Seite 12. 4
MARCUS SCHNEIDER | MADAGASKAR IM WAHLJAHR 2018 staatlichen Monopol auf überregionale Medien ist es Handel zu finden sind, bezahlen zu Wahlkampfzeiten den Kandidat_innen ohne landesweiten Parteiapparat, die (Wieder-)Wahl der Kandidat_innen und können im wie er selbst den größten Parteien nur rudimentär zur Gegenzug – von staatlicher Seite protegiert – privaten Verfügung steht, kaum möglich, landesweit bekannt zu Reichtum anhäufen. Das Problematische im madagassi- werden, sofern sie nicht über eigene Helikopter, Flug- schen Fall ist, dass diese Akkumulation zunehmend auch zeuge und Geländewagen verfügen sowie genügend abseits der Legalität stattfindet. Die IFRI-Studie kommt Personal vor Ort, um größere Veranstaltungen vorzu- deshalb zu der Erkenntnis, dass effektiv von einer »Kri- bereiten. Zum anderen wird im Zuge der seit Ende der minalisierung des Staates« gesprochen werden müsse, 1990er-Jahre zunehmend zur Normalität gewordenen der aus politischem Eigeninteresse nicht mehr gegen die Brot-und-Spiele-Praxis von den Kandidat_innen erwar- illegale Ressourcenausbeutung und ihre Verschiffung tet, dass Wahlgeschenke aller Art – seien es T-Shirts, vorgehe, die gerade in Wahlkampfzeiten ihre Höhe- Nahrungsmittel oder immer häufiger auch Geld – un- punkte erreicht. ter das Volk gebracht werden. Man kann darin auch die süße Rache des Volkes erblicken, das für einige Wochen Die monetäre Kooptierung lokaler Eliten ist jedoch keine und Monate von denjenigen etwas zurückfordert, die ih- Praxis, die allein dem Amtsinhaber vorbehalten ist. Auch ren Reichtum häufig durch die hemmungslose Ausbeu- die beiden Gegenkandidaten Andry Rajoelina und Marc tung des Landes erlangt haben. Eine Art Umverteilung Ravalomanana verfügen über beträchtliche Mittel, um auf Madagassisch – allerdings mit einem langfristigen hier wettbewerbsfähig zu sein. Da beide – anders als der Schaden für die Demokratie, die durch das Kaufen von Amtsinhaber – über intakte Anhängerschaften verfü- Wahlen ihren Sinn verliert. gen, ist fraglich, ob dessen Strategie, sie für vergangene Krisen verantwortlich zu machen, aufgehen wird – zu- Teurer als der sichtbare Wahlkampf ist allerdings die not- mal sich an der vorherrschenden ökonomischen Misere wendige Kooptierung lokaler Eliten, ohne deren Zugriff seit 2014 nichts geändert hat. In Anbetracht der gegen- keine landesweite Unterstützung erlangt werden kann. wärtigen Probleme erscheint die Vergangenheit sogar Da die großen Parteien und Kandidat_innen keinerlei in einem milderen Licht, da die gemessene Stimmung weltanschauliches Fundament aufweisen, aber auch in der ersten Amtszeit Marc Ravalomananas tatsächlich nicht zwingend ethnisch-regional verankert sind,6 blei- optimistischer war, als dies heute der Fall ist. Da wesent- ben klientelistische Geldflüsse fast die alleinige Basis po- liche ideologische oder programmatische Unterschiede litischer Allianzen. Dabei verkaufen sich lokale Eliten und zwischen den drei aussichtsreichsten Kandidaten fehlen, einzelne, regional einflussreiche Politiker_innen zumeist ist deren Persönlichkeit jedoch der einzige Unterschei- an den monetär Meistbietenden oder – einer renten- dungsfaktor. ökonomischen Investitionslogik folgend – an den Aus- sichtsreichsten. Das Eine muss das Andere dabei nicht Bei den sogenannten Programmen ist die Verwech- ausschließen. selbarkeit hoch: Rajaonarimampianina und Rajoelina haben ihren Plänen sogar denselben Namen gegeben Die monetäre Durchdringung der Politik ist freilich nicht – »Aufstieg« (frz.: émergence) –, sind dabei aber we- auf den Wahlkampf beschränkt. In einer Studie des IFRI- nig originell. Stattdessen dominiert das typische Einerlei Instituts7 für das französische Verteidigungsministerium wirtschaftsliberaler und Good-Governance-Buzzwords, wird zutreffend analysiert, dass die Herrschaftspraxis im das zwar nicht per se grundfalsch ist, nur keinen durch- Land auf einem Elitenpakt beruht: Wirtschaftliche und dachten Masterplan enthält, um Madagaskar in die Mo- politische Eliten gruppieren sich um einen Kandidaten, derne zu katapultieren. Gerade im Lichte der tatsächli- der dann als Präsident der Garant ihrer Geschäfte wird. chen Leistungen ihrer Regierungen ist ohnehin fraglich, Diese Rentiers, die vor allem im Rohstoffsektor und im ob die Programme nicht nur reine Lippenbekenntnisse darstellen, zumal der Übergang von einer auf Ausbeu- tung und Rohstoffexport basierten Rentenökonomie zu 6. Alle drei großen Kandidaten (Hery Rajaonarimampianina, Andry Ra- joelina, Marc Ravalomanana) gehören der politisch und wirtschaftlich einer industrialisierten, wertschöpfenden Wirtschaft nur dominanten Merina-Volksgruppe aus dem Hochland an. gelingen kann, wenn gezielt gegen die parasitären Eli- 7. Pellerin, Mathieu (2017): Madagascar face à la criminalité multiforme, ten vorgegangen wird, die aus der Schwäche des Staates März; https://www.ifri.org/sites/default/files/atoms/files/pellerin_mada gascar_criminalite_multiforme_2017.pdf. und der extremen Unterentwicklung ihren Profit ziehen. 5
MARCUS SCHNEIDER | MADAGASKAR IM WAHLJAHR 2018 Die internationale Gemeinschaft 109 Sanktionierten der Afrikanischen Union standen9 – fordert inklusive Wahlen keinerlei Steine in den Weg gelegt würden. Hinter dem Gedanken der »Inklusivität« verbirgt sich schließlich kein Dass die Wahlen zur Konsolidierung der (Fassaden-)De- Eintreten für einen bestimmten Kandidaten, sondern die mokratie beitragen können, ist unwahrscheinlich. Die in Erkenntnis, dass der langfristigen Stabilität der Inselna- Madagaskar viel beschworene internationale Gemein- tion am besten geholfen wäre, wenn weder die politi- schaft – in erster Linie die USA, die EU-3 (Frankreich, sierte Justiz noch die chronisch korrupte Steuerbehör- Deutschland, Großbritannien), die Afrikanische Union de, sondern allein das madagassische Wahlvolk an der sowie Südafrika8 – wird seit Mitte 2017 nicht müde, Urne der Richter wäre – zumal der Wahlausschluss eines auf der »Inklusivität« der anstehenden Wahlen zu be- maßgeblichen Kandidaten jenseits jeder legalistischen stehen. Diese Inklusivität wird von Regierungsseite prin- Argumentation die Krisenwahrscheinlichkeit sprunghaft zipiell bejaht; die Mitte April verabschiedeten Wahlge- erhöhen würde. setze, die den Unmut der Opposition auf sich gezogen haben, würden jedoch den Wahlantritt Marc Ravalo- mananas hintertreiben. So könnte dem 2009 durch ei- Die angekündigte Vorwahlkrise nen Putsch gestürzten Ex-Präsidenten zum Verhängnis werden, dass er 2010 in Abwesenheit zu lebenslanger Die erfolgreiche Oppositionsdemonstration am 21. April Zwangsarbeit verurteilt wurde. Das Urteil wurde zwar 2018 malt somit bereits das Gespenst einer Vorwahl- nie umgesetzt, schwebt aber wie ein Damoklesschwert krise an die Wand. Marc Ravalomanana (Motto: Never über dem 2015 aus dem südafrikanischen Exil Heimge- give up!) wird sich nicht ohne Weiteres marginalisieren kehrten. lassen. Die Hauptstadt Antananarivo ist seine Hochburg und wird überdies von seiner Frau regiert. Dass seit 2014 Darüber hinaus stellen die Steuerschulden seines TIKO- faktisch alle politischen Demonstrationen von der Re- Imperiums eine weitere Achillesferse dar: Zwar wird in gierung häufig aus fadenscheinigen Gründen untersagt dieser Sache seit Jahren mit dem Staat verhandelt, eine worden sind, ist dabei kein Vorteil, zumal die Sicher- Lösung liegt aufgrund der großen Zerstörungen seines heitskräfte nicht in der Lage scheinen, größere Demons- Eigentums im Zuge des Putsches jedoch nicht in greif- trationen in der Hauptstadt zu sichern, geschweige barer Nähe – zumal sich der Verdacht aufdrängt, dass denn völlig zu verhindern. Somit droht ein Szenario wie der Regierung eine Verschleppung des Problems nicht 2009 – und der Tod eines Demonstranten könnte hier ungelegen käme. Mit dem Hinweis auf die Steuerschuld bereits ein Fanal sein. Historisch gesehen schien der fol- ließe sich nämlich die von der internationalen Gemein- gende Gesichts- und Legitimitationsverlust der Regie- schaft eingeforderte »Inklusivität« unterlaufen. Da die rung immer auch ihr Ende zu besiegeln; die dann einset- Internationalen stets auf die Einhaltung der Regeln po- zende Dynamik kann jedoch nur schwer vorausgesagt chen, könnten sie gegenüber der Regierung kaum ar- werden: Von Repression über einen Staatsstreich bis hin gumentieren, einem Steuerschuldner hier eine goldene zu einem Kongo-Szenario, bei dem die Wahlen auf den Brücke zu bauen. Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben würden, läge alles innerhalb der politischen Vorstellungskraft. Im Kontext bliebe die Sache freilich problematisch, wenn einem demokratisch gewählten Ex-Präsidenten Selbst wenn letztlich doch alle maßgeblichen Akteure aufgrund von Steuerangelegenheiten, die er ohne die antreten dürften, könnte eine neuerliche Krise auch spä- Kooperation der Regierung nicht regeln kann, der Wahl- ter einsetzen. So wäre ein gleichsam wahrscheinliches antritt verwehrt würde, während den Hauptverantwort- Szenario, dass die offiziellen Wahlergebnisse nicht auf lichen des damaligen Putsches – Ex-Transitionspräsident einhellige Zustimmung träfen, zumal die Abwesenheit Andry Rajoelina und seinem Ex-Finanzminister und glaubwürdiger Umfragen, die den einzelnen Kandidat_ heutigem Staatsoberhaupt, die beide auf der Liste der innen bereits vor der Wahl eine realistische Einschät- zung ihres Gewichts geben könnten, eine Akzeptanz im 8. China sowie die meisten anderen asiatischen Staaten, die Botschaften in Madagaskar haben, halten sich in dieser Frage vornehm zurück. Die UN-Organisationen im Land, allen voran das UNDP, teilen den Ruf nach 9. http://www.madagascar-tribune.com/Liste-des-personnes-sanction Inklusivität. nees,13748.html. 6
MARCUS SCHNEIDER | MADAGASKAR IM WAHLJAHR 2018 Nachgang erschweren wird. Dies könnte bereits nach dabei jedoch eher pessimistisch aus. Die zunehmende dem ersten Wahlgang eine Herausforderung darstellen, martialische Sprache der Regierung sowie eine mittler- da mindestens einer der drei »großen Kandidaten« dann weile systematische Beeinträchtigung der politischen die Segel streichen müsste. Freiheiten der Opposition lässt nichts Gutes erahnen – zumal Letztere durch die erfolgreiche Mobilisierung Historisch war es die Ausnahme, dass die Wahlergeb- der Bevölkerung in der Hauptstadt Oberwasser bekom- nisse von allen Seiten anerkannt wurden. Lag der Amts- men hat und sich auch die kompromisslosere Fraktion inhaber deutlich vorne oder verfügte über eine intakte, durchzusetzen scheint, die den sofortigen Abtritt des loyale Administration sowie die Unterstützung des Mili- HVM-Regimes wünscht. Falls die Logik der Eskalation tärs, konnte er die faktische Anerkennung der (geschaf- auf beiden Seiten triumphiert, könnte bald ein point fenen) Tatsachen erzwingen. War dies nicht der Fall, of no return erreicht sein, nach dem keine Lösung im wie 2001/02, kam es zu einer postelektoralen Krise. Der demokratischen und verfassungsrechtlichen Rahmen einzige relativ problemlose demokratische Machtwech- mehr möglich scheint. sel in der Geschichte des Landes fand 1996 statt. 2014 war hingegen nicht als Machtwechsel intendiert, da sich der Staatskandidat des herrschenden Transitionsregimes Déjà vu? Kann ein 2009-Szenario durchsetzte, der dann anschließend die Verbindungen noch verhindert werden? zu seinem politischen Mentor kappte. Die Lektion aus 2009 sollte sein, dass sich ein solches Die relative Schwäche der Institutionen ist ein weiterer Szenario für niemanden lohnen dürfte, am wenigsten Faktor, der eine neuerliche Krise begünstigen könnte. für die geschundene Bevölkerung, die am härtesten da- Weder dem Hohen Verfassungsgericht (HCC), das die für bezahlte. Ob ein Kompromiss, insbesondere in Be- offiziellen Resultate validieren muss, noch der formell zug auf die umstrittenen Wahlgesetze erreicht werden unabhängigen Wahlkommission (CENI) wird von al- kann, hängt vom Ausgang der derzeitigen Machtprobe len Seiten uneingeschränktes Vertrauen entgegenge- auf der Straße ab. Sollte es der wackligen Oppositions- bracht. Zudem könnte auch eine sich bereits abzeich- koalition aus TIM und MAPAR gelingen, die Mobilisie- nende geringe Wahlbeteiligung die Legitimität des rung nicht nur aufrechterhalten, sondern landesweit offiziell gewählten Präsidenten untergraben. 2013 blieb auszudehnen, stünden ihre Chancen nicht schlecht, die Hälfte der eingeschriebenen Wähler_innen den Ur- einen vorzeitigen Rückzug des Präsidenten zu erzwin- nen im zweiten Wahlgang fern – bis dahin der Negativ- gen. Dieser könnte auch im Rahmen der Verfassungs- rekord. Für 2018 hat die Wahlkommission 9,9 Millionen ordnung erfolgen. Die einzige Chance des unpopulären Wähler_innen in ihren Registern. Bei einer angenom- Staatsoberhaupts besteht derweil darin, selbst wieder menen Bevölkerung von 25 Millionen ergibt sich hier die Initiative zurückzugewinnen, indem es sich an die eine theoretische Zahl von drei bis 4,5 Millionen Mada- Spitze der Verhandlungen stellte und damit der Straße gass_innen im Wahlalter, die nicht registriert sind. Und den Vorrang entzöge. Eine blutige Repression ist nach je wackliger das Mandat des künftigen Präsidenten ist, den letzten Verlautbarungen des Militärs wahrschein- desto größer könnte die Versuchung sein, eine andere lich ausgeschlossen. Politische Lösungen für politische Regierung über nicht verfassungskonforme Methoden Probleme skandierte zwei Tage nach dem Blutvergießen zu installieren. vom 21. April der Verteidigungsminister. Und demonst- rierte damit nicht nur, dass sich das Militär de facto der Die hier diskutierten Aspekte einer neuerlichen Krise Befehlsgewalt des Staatsoberhaupts entzogen hat, son- im Zuge oder Vorfeld der Wahlen stellen keine selbst- dern auch, dass es eines aus der mit Krisen befleckten erfüllende Prophezeiung dar; die jüngste Eskalation hat Landesgeschichte gelernt hat: Keine Schüsse mehr auf diese jedoch wahrscheinlicher gemacht. Das Verhalten Demonstranten. aller Beteiligten, der Regierung, der Opposition sowie der internationalen Gemeinschaft, wird in den kom- Unabhängig davon, ob das Land in eine (Vorwahl-)Kri- menden Wochen und Monaten zeigen, ob diese noch se schlittert oder doch allgemein anerkannte und freie verhindert werden kann. Eine realistische Einschätzung Wahlen mit klarem Ergebnis gelingen, bleibt die grund- der politischen wie institutionellen Verhältnisse fällt sätzliche Problematik erhalten: Das Land kann nur dann 7
MARCUS SCHNEIDER | MADAGASKAR IM WAHLJAHR 2018 einen nachhaltigen Entwicklungspfad einschlagen, wenn der tiefe Graben zwischen den ausbeuterischen Eliten und einer der Massenarmut anheimgefallenen Bevölke- rung überwunden werden kann. Dies wird jedoch nur gelingen, wenn sich in naher Zukunft deutlich stärkere gesellschaftliche und vor allem organisierte Interessen- gruppen mit breiter Verankerung bilden, die auch in der Lage sind, gegenüber Staat und Regierung Rechenschaft einzufordern. 8
Über den Autor Impressum Marcus Schneider betreut seit 2012 das Büro der Friedrich- Friedrich-Ebert-Stiftung | Referat Afrika Ebert-Stiftung in Madagaskar. Er ist ebenfalls Klimakoordinator Hiroshimastr. 17 | 10785 Berlin | Deutschland für Subsahara-Afrika. Verantwortlich: Dr. Manfred Öhm, Leiter des Referats Afrika Tel.: +49-30-269-35-7441 | Fax: +49-30-269-35-9217 http://www.fes.de/afrika Bestellungen / Kontakt: Konstanze.Lipfert@fes.de Eine gewerbliche Nutzung der von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) herausgegebenen Medien ist ohne schriftliche Zustim- mung durch die FES nicht gestattet. Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten ISBN sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung. 978-3-96250-096-2
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