Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas - Leitfaden #6 FARNET Support Unit Rue de la Loi 38 - B-1040 Bruxelles
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KL-32-13-116-DE-C L e i t f a d e n #6 FARNET Support Unit Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Rue de la Loi 38 – B-1040 Bruxelles T +32 2 613 26 50 – F +32 2 613 26 59 info@farnet.eu – www.farnet.eu Europas DOI 10.2771/557 ISBN 978-92-79-28840-1 DE
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 D. Verschiedene Wege zum grünen Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 D.1 Lokale Ökosystemdienstleistungen und entsprechende Chancen und Risiken . . . . . . 29 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 D.2 Aufbau und Erhaltung eines lebensfähigen B. Die Umwelt in den europäischen „Nutzer-Ökosystems“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Fischwirtschaftsgebieten. . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 D.3 Verknüpfung des ökologischen und B.1 Die FLAG: Katalysatoren des grünen des ökonomischen Wertes geschützter Wachstums in Europa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Ökosysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 B.2 Ökologische Herausforderungen D.4 Förderung des Übergangs hin zu einem in Gewässerökosystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 nachhaltigeren Fischereisektor. . . . . . . . . . . . . . . . 41 B.3 Die FLAG und die Fischereigemeinschaften D.5 Förderung der blau-grünen Erneuerung . . . . . . . 44 im Kontext der Reform der Gemeinsamen D.6 Freisetzung des Potenzials der erneuerbaren Fischereipolitik (GFP) und ihrer Energie in Fischwirtschaftsgebieten . . . . . . . . . . . 47 Umweltschutzziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 C. Die Umwelt als Basis der wirtschaftlichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 C.1 Die Umwelt als lokaler Dienstleistungsanbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 C.2 Bewertung des Umweltkapitals: Messung des ökonomischen Wertes der Umwelt . . . . . . . . 21 Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 1
Fotos (Umschlagseite, von links nach rechts) FARNET/Serge Gomes da Silva, FLAG Thessaloniki – Greece, FLAG Thessaloniki – Greece, IPMA – I.P. – Portugal, FLAG Alsunga-Kuldiga-Skrunda – Latvia, Stephen Appleby – Brown & May Marine Ltd. – UK Mitwirkende: Gilles van de Walle, Serge Gomes da Silva, Carlos de la Paz, Eamon O’Hara Produktion: DevNet geie (AEIDL/Grupo Alba)/Kaligram. Herausgeber: Europäische Kommission, Generaldirektion für Maritime Angelegenheiten und Fischerei, Generaldirektor Rechtliche Hinweise: Die Generaldirektion für Maritime Angelegenheiten und Fischerei ist zwar für die Gesamtproduktion dieser Veröffentlichung verantwortlich, nicht aber für die Genauigkeit, den Inhalt und die dargestellten Ansichten in den einzelnen Abschnitten. Die Europäische Union hat keine der in dieser Publikation dargestellten Ansichten angepasst oder geprüft, außer es wurde anderweitig angegeben, und es handelt sich dabei nicht automatisch um die Ansichten der Kommission oder der Generaldirektion für Maritime Angelegenheiten und Fischerei. Die Europäische Kommission garantiert weder für die Richtigkeit der in der Broschüre enthaltenen Daten noch übernimmt sie oder Personen, die in ihren Auftrag handeln, die Verantwortung für deren Gebrauch. © Europäische Union, 2013. Gedruckt in Belgien auf Recyclingpapier. Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 2
Abkürzungsverzeichnis BIP Bruttoinlandsprodukt IKZM Integriertes Küstenzonenmanagement CRPMEM Regionalkomitee für Meeresfischerei und IMS Integriertes Managementsystem Meeresaquakultur (Comité Régional des IUCN Internationale Union für die Bewahrung Pêches Maritimes et des Elevages Marins) der Natur und natürlicher Ressourcen EEA Europäische Umweltagentur MNP Meeresnationalpark EFF Europäischer Fischereifonds (und MS Mitgliedstaat sein wahrscheinlicher Nachfolger, der Europäische Meeres- und Fischereifonds MSG Meeresschutzgebiet EMFF) MSRR Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie EFRE Europäischer Fonds für regionale MSY Höchstmöglicher Dauerertrag Entwicklung SAC Special Area of Conservation im EMAS Umweltmanagement- und Rahmen der FFH-Richtlinie der EU Umweltbetriebsprüfungssystem (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) FAO Ernährungs- und SCI Gebiete von gemeinschaftlicher Landwirtschaftsorganisation der Bedeutung Vereinten Nationen SPA Special Protection Area im Rahmen der FLAG Lokale Aktionsgruppe(n) Fischerei EU-Vogelschutzrichtlinie FP 7 Siebtes Rahmenprogramm der EU für TEEB Die Ökonomie von Ökosystemen und der Forschung Biodiversität GFP Gemeinsame Fischereipolitik UNEP Umweltprogramm der Vereinten Nationen Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 3
Vorwort Seit Urzeiten strebt der Mensch nach wirtschaftli- Gleichwohl bilden die Ökosysteme nach wie vor die chem Erfolg und einer Verbesserung seiner Lebens- Grundlage aller menschlichen Aktivitäten. Ohne eine qualität. Diese Ziele lassen sich heutzutage aber nicht richtig funktionierende Meeresnatur beispielsweise mehr losgelöst von der Umwelt verfolgen, von der wäre ein Zusammenbruch der Fischbestände unaus- sie abhängig sind. Dank des technischen und medizi- weichlich und die Fischzucht unmöglich. Deshalb ist nischen Fortschritts ist die Weltbevölkerung seit dem es dringend notwendig, dass der Mensch wieder im Zweiten Weltkrieg exponentiell gewachsen. Lebten Einklang mit der Natur lebt, so dass die weitere Entwick- bei dessen Ende auf der Erde lediglich 2,5 Milliarden lung nachhaltig vonstatten gehen kann und das Wohl Menschen, so sind es heute sieben Milliarden. Dieser künftiger Generationen, seien es Fischer oder „Land- enorme Bevölkerungszuwachs geht mit einer beispiel- ratten“, nicht gefährdet. losen Belastung unserer natürlichen Ressourcen einher, Wir hoffen, dass dieser Leitfaden einige Möglichkeiten, und es ist dringend notwendig, dass wir die Schlüssel- Überlegungen und Ideen bietet, die den lokalen Akti- rolle der Natur für den Erhalt unserer Zivilisation aner- onsgruppen Fischerei (FLAG) beim Erreichen ihrer Ziele kennen. als Motor der nachhaltigen Entwicklung in den europä- Durch die zunehmende Komplexität der Absatzwege ischen Fischwirtschaftsgebieten Anregung und Motiva- und Produktionsprozesse (dass Supermärkte und tion sein können. Kunststoffverpackungen vor 60 Jahren eine Seltenheit waren, ist kaum noch vorstellbar), haben wir nach und nach den Blick dafür verloren, was die Umwelt für uns leistet, und damit auch für ihre Bedeutung. So wissen wir vielfach gar nicht, woher der von uns gekaufte Fisch stammt, ob aus Wildfang oder Zucht, oder ob er nach- haltig gefangen oder aufgezogen wurde. „Zur Sicherung unserer Existenz und unserer Entwicklung sind wir grundlegend auf natürliche Systeme und Ressourcen angewiesen. Unsere Anstrengungen, die Armut zu besiegen und eine nachhaltige Entwicklung herbeizuführen, werden umsonst sein, wenn die Umweltzerstörung und die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen unvermindert anhalten. Die jeweiligen nationalen Strategien der Länder müssen Investitionen zur Verbesserung des Umweltmanagements und die für die ökologische Nachhaltigkeit erforderlichen Struktur- veränderungen umfassen.“1 Kofi Annan, ehemaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen 1 Kofi Annan, In größerer Freiheit, Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zur Entscheidung durch die Staats- und Regierungschefs im September 2005, Abschnitt D, Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit, Punkt 57 Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 5
A. Einleitung Flüsse, Seen, Feuchtgebiete, Mündungsgebiete, Meere Die Fischwirtschaftsgebiete mit ihrer Lage an der und Ozeane… Die Süß- und Salzwasserflächen der Grenze zwischen Land und Wasserwelt haben sowohl Erde gehören zu den produktivsten und attraktivsten an den Chancen wie auch den Risiken beider Welten Ökosystemen überhaupt. Rund 40 % der Bevölkerung Anteil. Da sie zu den fruchtbarsten, abwechslungs- der EU leben – bei zunehmender Tendenz – nicht mehr reichsten und begehrtesten Landstrichen überhaupt als 50 km von der Küste entfernt2. Dadurch steigt die zählen, stellt der Rahmen für eine nachhaltige soziale Nachfrage nach Grundstücken in einem Maße, das und wirtschaftliche Entwicklung eine ganz besondere beispiellos ist und die küstennahen Ökosysteme immer Herausforderung dar. stärker belastet. Schätzungen zufolge entfällt welt- Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der künf- weit ein Drittel der meeresbiologischen Produktivität tigen Problemfelder Meeresressourcen, Klimawandel auf den Lebensraum Küste3 und die Ästuar-Ökosys- und stetig wachsender Versorgungsbedarf der Weltbe- teme (d. h. Salzwiesen, Seegrasvorkommen, Mangro- völkerung müssen die Küstenregionen und die Fische- venwälder) zählen zu den artenreichsten Regionen reigemeinschaften eine klare Vorstellung davon haben, des gesamten Planeten. Die Ökosysteme der Binnen- wie eine nachhaltige Zukunft aussehen soll. Als Rich- gewässer beherbergen ebenfalls eine unvergleichliche tungsgeber auf EU-Ebene fungiert die übergeordnete Artenvielfalt, sind mit einer 15 mal höheren Ausster- Strategie Europa 2020 (siehe Infobox), und als Realisie- bungsrate aber noch stärker gefährdet als die Meere 4. rungshilfe stehen Mittel aus Gemeinschaftsfonds wie Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Pflicht, den etwa dem Europäischen Fischereifonds (EFF) zur Verfü- Umweltschutz und die Förderung der unterschied- gung. Innerhalb des EFF dient Achse 4 als Instrument lichen Nutzungsformen dieser Gebiete ungeachtet für die nachhaltige Entwicklung von Fischwirtschafts- dessen miteinander in Einklang zu bringen, ob sie gebieten und dementsprechend dem örtlichen Fische- der Nahrungsmittelerzeugung, der Erschließung von reiwesen als ein mögliches Hilfsmittel zur Bewältigung Wohn- oder Industriegebieten, der Erholung oder als des Übergangs in eine von größerer Nachhaltigkeit Quelle sauberer Energie dienen sollen. Es müssen neue geprägte Zukunft. (bisweilen auf alte Grundsätze bauende) Bewirtschaf- tungsformen gefunden werden, um ein Gleichgewicht zwischen diesen Nutzungsarten und dem Schutz des komplexen Systems herzustellen, das mit seiner biolo- gischen Vielfalt und seinem Beitrag zu Leben und Kultur diese Nutzung überhaupt erst ermöglicht. 2 http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-SF-10-038/ EN/KS-SF-10-038-EN.PDF 3 http://www.epa.gov/bioiweb1/aquatic/marine.html 4 Bericht Conservation International: „Fresh water: an essential resource“ https://learning.conservation.org/ SouthAmericaEcosystemServices/Documents/ES%20Articles%20 and%20Documents/CI_Freshwater_Factsheet.pdf Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 6
A. Einleitung Infobox 1 • Europa 2020: die Wachstumsstrategie der EU für das kommende Jahrzehnt Die EU hat sich eine intelligente, nachhaltige und integrative Wirtschaft für Europa zum Ziel gesetzt. Diese drei sich gegenseitig stärkenden Schwerpunkte dürften dazu beitragen, dass die EU und die Mitgliedstaaten (MS) ein hohes Maß an Beschäftigung, Produktivität und sozialem Zusammenhalt herbeiführen können. Beim Umweltschutz wird angestrebt, >> die Treibhausgasemissionen um 20 % zu senken; >> 20 % des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen zu decken; >> die Energieeffizienz um 20 % zu steigern. Die Europäische Union hat auf fünf Gebieten – Beschäftigung, Innovation, Bildung, soziale Integration und Klima/Energie – ehrgeizige Ziele bestimmt, die bis zum Jahr 2020 erreicht werden sollen. Jeder Mitgliedstaat hat für jeden dieser Bereiche seine eigenen nationalen Ziele festgesetzt. Ferner wird die Strategie durch konkrete Maßnahmen auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten untermauert, die bewirken sollen, dass sich die Bürger Europas im täglichen Leben über die Aspekte des nachhaltigen Wachstums informieren, sich mit ihnen auseinandersetzen und von ihnen profitieren. Die folgenden Prioritäten der Strategie Europa 2020 für nachhaltiges Wachstum sollten daher die Schwer- punkte lokaler Strategien sowohl in deren Entwicklungsphase als auch bei der Analyse und Auswahl von Projekten bilden. Nachhaltiges Wachstum im Kontext der Strategie Europa 2020 bedeutet: >> Aufbau einer wettbewerbsfähigeren, kohlendioxidarmen Wirtschaft, die Ressourcen effizienter und nachhaltiger einsetzt; >> Umweltschutz, Verringerung der Emissionen und Erhalt der biologischen Vielfalt; >> Nutzung der europäischen Führungsposition bei der Entwicklung neuer, grüner Technologie und Produk- tionsmethoden; >> Heranziehung EU-weiter Netzwerke zur Schaffung eines Wettbewerbsvorteils für Unternehmen (insbe- sondere kleine Handwerksbetriebe); >> Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insbesondere für KMU; >> Unterstützung der Verbraucher beim Treffen fundierter (Kauf-)Entscheidungen. http://ec.europa.eu/europe2020/index_en.htm Dieser Leitfaden besteht aus mehreren Teilen (Abbil- Entwicklung und gibt eine Einführung in wichtige dung 1). In Teil B sind die umweltpolitischen Heraus- Begriffe wie etwa Ökosystem-Dienstleistungen und forderungen in den Gebieten der EU unter beson- Umweltbewertung, zwei Kernelemente des grünen derer Berücksichtigung des Klimawandels und seiner Wachstums. Teil D zeigt Möglichkeiten der FLAG zur möglichen Auswirkungen auf die Fischwirtschafts- Generierung grünen Wachstums in ihren Gebieten auf. gebiete der EU dargestellt. Teil C erläutert die zent- rale Bedeutung der Umwelt für eine nachhaltige Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 7
A. Einleitung Teil D dürfte bei jenen, die mit dem Tagesgeschäft der der umweltbedingten Chancen für die lokale Entwick- FLAG befasst sind, auf das größte Interesse stoßen, lung. Deshalb enthält Teil D Querverweise auf wichtige zumal darin Fallstudien beschrieben und mögliche Begriffe und Konzepte, die in den Teilen B und C behan- Handlungsfelder benannt werden, die für den Prak- delt werden und als Orientierungshilfe dienen sollen. tiker aussagekräftiger sind als Rahmenkonzepte. Darüber hinaus werden die wesentlichen Punkte der Die Teile B und C leisten jedoch einen Beitrag zum einzelnen Teile an deren Ende kurz zusammengefasst. gedanklichen Grundverständnis und zum Erkennen Abbildung 1 – Darstellung des Zusammenhangs zwischen den einzelnen Kapiteln des Leitfadens B: Die Umwelt in den europäischen Fischwirtschaftsgebieten C: Die Umwelt als Basis der wirtschaftlichen Entwicklung D: Wege zum grünem Wachstum Lokale Ökosystemleistungen und Freisetzung des Potenzials entsprechende Chancen und Risiken der erneuerbaren Energie in • Seite 29 Fischwirtschaftsgebieten • Seite 47 Aufbau und Erhaltung eines funktionsfähigen „Nutzer- Ökosystems“ • Seite 31 Förderung der blau- grünen Erneuerung • Seite 44 Verknüpfung des ökologischen und des ökonomischen Wertes geschützter Ökosysteme Förderung des Übergangs zu • Seite 35 mehr Nachhaltigkeit in der Fischwirtschaft • Seite 41 Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 8
B. Die Umwelt in den europäischen Fischwirtschaftsgebieten B.1 Die FLAG: Katalysatoren des grünen Wachstums in Europa Der Ausdruck „grünes Wachstum“ ist nicht allgemein- Entlang der europäischen Küsten finden sich sowohl gültig definiert. Für diesen Leitfaden halten wir eine kleine Dörfer als auch große und blühende Städte. Auslegung für angebracht, die sich an den Zielen der Es können Zentren der fischwirtschaftlichen Erneue- Wachstumsstrategie Europa 2020 (mehr Informationen rung oder abgelegene Orte mit einem bedeutsamen über Europa 2020 in Infobox 1) orientiert. In diesem Natur- oder Kulturerbe und kulinarischer Tradition Sinne betrachten wir grünes Wachstum als ein intelli- sein, die Wegbereiter neuer Ernährungsgewohnheiten gentes, integratives und nachhaltiges Wachstum, das werden könnten. Die Fischwirtschaftsgebiete weisen sich vor allem auf die natürlichen Lebensgrundlagen im Zusammenhang mit der Strategie EU 2020 erheb- stützt. liches Potenzial auf, denn gerade in ihnen könnten Lösungen entstehen und Erfolgsgeschichten ihren Da die aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftli- Anfang nehmen, die Europa den Weg in eine grüne, chen Herausforderungen in Europa mit alten Rezepten intelligente und nachhaltige Zukunft ebnen helfen. nicht mehr zu bewältigen sind, müssen Ökonomie und Ökologie in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt Aufgrund ihrer vielfältigen Unterschiede stellen die werden. Der Umweltsektor ist für die Wirtschaft der Küstenregionen ein vielfältiges Versuchsgelände EU von großer Bedeutung. Laut Connie Hedegaard, für soziale und ökonomische Neuerungen dar. Das EU-Kommissarin für Klimaschutz5, bietet er direkt rund gewünschte Ergebnis lässt sich allerdings nur erzielen, 3,4 Millionen Menschen Beschäftigung und erwirt- wenn wie bei einer chemischen Reaktion ein Substrat, schaftet etwa 2,2 % des europäischen Bruttoinlands- ein Reagens und ein Katalysator vorhanden sind. produkts (BIP). Damit entfallen auf den Sektor mehr >> Die Umwelt ist das Substrat. Sie besitzt das Kapital Arbeitsplätze als auf die Pharma- oder die Luftfahrtin- und das Potenzial, durch dessen Ausschöpfung sich dustrie. die Entwicklung nachhaltig in bestimmte Bahnen In der Mitteilung „Einen arbeitsplatzintensiven lenken lässt. Aufschwung gestalten“ der Europäischen Kommis- >> Sozioökonomische Interessengruppen, KMU, sion heißt es: „Die ‚grüne Wirtschaft’ wies während Fischerei, Aquakultur und andere Bereiche der der gesamten Rezession ein positives Beschäftigungs- Primärwirtschaft fungieren als Reagens eines wachstum auf, das laut Prognose weiterhin ziemlich stark Gebietes. Sie haben nicht nur unterschiedliche bleiben soll. Allein in den Branchen Energieeffizienz und Kompetenzen, sondern häufig auch eine unter- erneuerbare Energien könnten bis 2020 rund 5 Millionen schiedliche Sicht auf das Gebiet und die Natur darin. Arbeitsplätze entstehen.“6 Zudem wird geschätzt, dass jeder im europäischen Umweltsektor direkt geschaf- fene Arbeitsplatz die Schaffung von 1,3 bis 1,9 indi- rekten Arbeitsplätzen nach sich zieht. 5 http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/hedegaard/headlines/ news/2010-05-20_01_en.htm 6 “Einen arbeitsplatzintensiven Aufschwung gestalten”: http:// ec.europa.eu/news/employment/120419_de.htm Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 9
B. Die Umwelt in den europäischen Fischwirtschaftsgebieten >> Die FLAG können, indem sie die in einem Gebiet In diesem Leitfaden wird untersucht, wie die Umwelt vorhandenen Stärken und Ansichten zusammen- und die natürlichen Ressourcen zur lokalen Entwick- führen, als Katalysator fungieren und die Vorausset- lung beitragen können. Anhand von Analysen und zungen für das Entstehen neuer Lösungen schaffen. Projektbeispielen wird beschrieben, welche Rolle die Mit ihren Strategien und den von ihnen gebauten FLAG bei der Mobilisierung der lokalen Handlungs- Brücken können sie zum Motor grünen Wachstums träger und bei der Ausschöpfung des ökologischen werden und das „Ökosystem der Interessengruppen“ Potenzials ihres Gebiets für intelligentes, nachhaltiges qualitativ und quantitativ bereichern. und integratives Wachstum spielen können. B.2 Ökologische Herausforderungen in Gewässerökosystemen Wie von der Europäischen Kommission in ihrem Fahr- Andere Formen der Nutzung von Meeres- und Binnen- plan für die maritime Raumordnung7 dargelegt, werden gewässern stellen ungeachtet dessen, ob sie gewerb- sich die an unseren Küsten, in unseren Meeren und in lichen Zwecken dienen wie beispielsweise Schifffahrt, unseren Binnengewässern zu bewältigenden Heraus- Ausbaggerungen, Ölförderung oder Energieerzeu- forderungen mit den in Anzahl und Intensität weiter gung oder aber Freizeitzwecken wie beispielsweise wachsenden Belastungen künftig noch vergrößern. Tourismus, Segeln, Angeln oder Tauchen, alle- samt mögliche Quellen von Verschmutzungen oder Aufgrund des Wettbewerbs um die begrenzten Störungen der Ökosysteme und ihrer Produktivität dar. Ressourcen sind die Gewässerökosysteme, die für viele verschiedene Interessengruppen mannigfache Unter den vielen ökologischen Herausforderungen für Umweltleistungen (siehe Definition in Abschnitt C1) die Ökosysteme der Küsten und Gewässer verlangt der erbringen, akut belastet. Am stärksten bedroht sind die Klimawandel besondere Aufmerksamkeit. Als wahr- Fischbestände in vielen Küsten- und Binnengewässern; haft globales Phänomen macht er vor keinem Ort und Schätzungen zufolge sind rund 30 % der globalen Fisch- keinem Gebiet Halt und verkörpert eine ernsthafte vorkommen überfischt und weitere 50 % erschöpft.8 Gefahr für die Wirtschaft jeder Region. Folglich bleibt für eine Ausweitung der Fangmengen Europa bekommt die Auswirkungen des Klimawandels nur sehr wenig Raum. in Form einer wachsenden Anzahl an Hitzewellen, Über- Auch die Gewässer selbst sind durch unterschied- schwemmungen, Stürmen und Waldbränden inzwi- liche Nutzungsformen enorm belastet. Dazu rechnen schen unmittelbar zu spüren. Die EU hat es sich zum beispielsweise Fisch- und Muschelzucht, Stromerzeu- Ziel gesetzt, die globale Erwärmung bis zum Jahr 2050 gung, Bewässerung und der steigende Wasserbedarf auf höchstens zwei Grad Celsius oberhalb der vor dem der Haushalte entlang der Küste. Zeitalter der Industrialisierung gemessenen Tempe- ratur zu begrenzen. Dieses Ziel ist insoweit ehrgeizig, Ein weiteres Problem für Küsten und Gewässer stellt als es eine Senkung der Kohlendioxidemissionen in den die zunehmende Bebauung dar. Sie kann die Zerstö- Industrieländern um 80 bis 95% bedeutet.9 rung von Lebensräumen, Umweltverschmutzung, den Verlust der biologischen Vielfalt und Küstenerosion zur Folge haben. 7 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do? uri=COM: 2008: 0791: FIN: DE: PDF 8 FAO, 2010, Der Zustand der weltweiten Fischwirtschaft und 9 Aquakultur http://ec.europa.eu/clima/policies/roadmap/index_en.htm Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 10
B. Die Umwelt in den europäischen Fischwirtschaftsgebieten Der Klimawandel dürfte die Folgen der Umweltbe- Die FLAG können ferner auf einen wachsenden Bestand lastungen in den kommenden Jahrzehnten noch an Daten über beispielhafte Maßnahmen gegen den verschärfen, da er sich auf zahlreiche Umweltleis- Klimawandel aus aller Welt zurückgreifen, die so tungen auswirkt, von denen der Mensch abhängig ist gestaltet sind, dass sie auf allen staatlichen Ebenen (mehr Informationen zum Thema Ökosystemleistungen möglichst weitgehend Anwendung finden können. In in Abschnitt C1 dieses Leitfadens). Der Anstieg des „Die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität Meeresspiegels wird vor allem in den Lebensräumen (TEEB) – Bericht für Akteure der lokalen und regionalen der Küsten und der Gezeitenzonen spürbar sein. Dort Politik (2010)“11 wird beispielsweise dargestellt, mit dürften sich Wetterextreme häufen, die Überflutungen welchen Prioritäten man in lokalen Entwicklungsstrate- und Erosion mit sich bringen. gien den ökologischen Herausforderungen begegnen und die Steuerung von Ökosystemleistungen erleich- Der Klimawandel stellt zwar ein globales Problem dar, tern sollte (mehr Informationen über TEEB in Infobox 4). aber seine Folgen treten vor allem auf lokaler Ebene zutage. Einer solchen Herausforderung kann man Darüber hinaus hat das EU-Programm LIFE bereits die nur durch die Kombination aus globalen politischen Entwicklung eines umfangreichen Pakets zur Bekämp- Beschlüssen und lokalem Handeln begegnen. Ziel muss fung des Klimawandels im tagespolitischen Geschäft es sein, die negativen Auswirkungen auf das mensch- auf lokaler Ebene unterstützt. (mehr Informationen liche Dasein zu mindern und sich den bereits eintre- über von LIFE geförderte Klimawandel-Initiativen in tenden Veränderungen anzupassen. Infobox 2)12. Die FLAG können Achse 4 dazu nutzen, die Auswir- kungen des Klimawandels auf die Umwelt in den Küsten- und Fischereigemeinschaften abzuschwä- chen oder sich ihnen anzupassen. In die Strategien zur lokalen Entwicklung können Maßnahmen zur Integra- tion spezifischer Ziele wie etwa Kraftstoffeffizienz, nach- haltige Mobilitätsplanung (beispielsweise durch die bevorzugte Behandlung sparsamerer Verkehrsmittel), Ressourceneffizienz, Abfallbewirtschaftung und Förde- rung lokaler Versorgungsnetze aufgenommen werden. Entsprechende Initiativen werden sowohl innerhalb wie auch außerhalb von Achse 4 zunehmend üblich (als Beispiele sind in Abschnitt D4 die Entwicklung eines Alternativkraftstoffs für Fischerboote im Rahmen des Projekts ITSASOA und das Achse-4-Projekt Aqua- 11 http://www.teebweb.org/publications/teeb-study-reports/ kultur Huelva10 beschrieben). local-and-regional/ 12 http://www.localmanagement.eu/index.php/cdp: local_authorities http://ec.europa.eu/environment/life/project/ 10 Querverweis zu Magazin Nr. 6 – http://tinyurl.com/atj64tz – und Projects/index.cfm?%20fuseaction=search. best practice Beispiel Nr. 018-ES08 – http://tinyurl.com/av8aevb dspPage&n_proj_id=3245&docType=pdf Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 11
B. Die Umwelt in den europäischen Fischwirtschaftsgebieten Infobox 2 • LIFE Umwelt: Hilfe zur Selbsthilfe und lokale Reaktionen auf den Klimawandel – das Projekt CHAMP Die lokalen und regionalen Behörden erarbeiten, realisieren und koordinieren innerhalb ihrer gewöhnli- chen Zuständigkeitsbereiche ganzheitliche Klimastrategien. Dadurch und durch die Förderung der Bürger- beteiligung sind sie auf ihrer Ebene zur Bekämpfung des Klimawandels gut gerüstet. Als Erleichterung wird im Rahmen des Projekts CHAMP ein Kompetenzentwicklungspaket (Integriertes Managementsystem oder IMS) etabliert, das die lokalen Handlungsträger in die Lage versetzt, zur Einhal- tung der Umwelt- und Klimaschutzziele der EU beizutragen. Mit Hilfe des IMS werden die lokalen, regio- nalen und nationalen Behörden beispielsweise das Umweltmanagement- und Umweltbetriebsprüfungs- system (EMAS13) in ihre tägliche Arbeit übernehmen können. Das System wird es ferner ermöglichen, auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen ein Bündel an Projektmanagementinstrumenten zur Minderung der Kohlendioxidemissionen aufzubauen und zu demonstrieren. Das Projekt CHAMP hat im Wesentlichen die folgenden Ziele: >> Unterstützung lokaler und teilregionaler Behörden bei der Erfüllung der Klimaschutzziele der EU im Rahmen des Kyoto-Protokolls; >> Verbesserung der Umsetzung bestehender EU-Umweltgesetze auf lokaler und teilregionaler Ebene; >> Bildung nationaler IMS-Kompetenzzentren. 13 Das Umweltmanagement- und Umweltbetriebsprüfungssystem der EU (engl. EMAS) ist ein Managementinstrument für Unternehmen und andere Organisationen zur Überprüfung, Dokumentation und Verbesserung ihrer Umweltleistung http://ec.europa.eu/environment/emas/index_en.htm Die FLAG sind als lokale Gruppen mit Aktionsplänen >> eine Bestandsaufnahme der kommunalen Leitlinien, für ihr jeweiliges Gebiet befähigt, den Klimawandel Instrumente und beispielhaften Projekten durch- durch ganzheitliche Anwendung der Grundsätze einer führen, um die Fähigkeit der Kommunen zu koor- nachhaltigen Entwicklung zu bekämpfen. Sie können diniertem politischen Handeln zu stärken. Damit maßgeblich zu Veränderungen beitragen, indem sie wären die Voraussetzungen für einen Dialog über mehrere Ebenen hinweg und für geeignete Folge- >> ihre Projektauswahlkriterien so festlegen, dass Initi- mechanismen wie beispielsweise EMAS (mehr Infor- ativen zur Förderung eines effizienten Einsatzes von mationen in Infobox 2) geschaffen, mit deren Hilfe Ressourcen und Energie bevorzugt werden; sich die Effizienz von Tätigkeiten und Projekten zur Verbesserung der Klimabilanz und zur Stärkung der ökologischen Widerstandskraft ihres Gebietes bewerten lässt. Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 12
B. Die Umwelt in den europäischen Fischwirtschaftsgebieten B.3 Die FLAG und die Fischereigemeinschaften im Kontext der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) und ihrer Umweltschutzziele Im Jahr 2013 steht die europäische Fischereipolitik Allerdings dürften die mit ihnen verbundenen nega- an einem Scheideweg: Der Vorschlag der Europäi- tiven Auswirkungen vor allem kurzfristig spürbar sein. schen Kommission für eine Reform der GFP befindet Auf lange Sicht werden die Reformmaßnahmen sowohl sich im Mitentscheidungsverfahren mit dem Europä- das Überleben der Fischbestände als auch den Fort- ischen Parlament und dem Rat und wird vor seinem bestand der von ihnen abhängigen Fischereigemein- für den 1. Januar 2014 geplanten Inkrafttreten einer schaften sichern. Damit sich die Fischbestände auf die ausgiebigen Beratung und Überarbeitung unterzogen für den höchstmöglichen Dauerertrag nötige Größe werden. Der Kommissionsvorschlag enthält ehrgei- erholen können, werden die Fangmengen hier und zige Umweltziele, die mit den Zielen der Meeresstra- dort gesenkt werden müssen, jedoch mit der Aussicht tegie-Rahmenrichtlinie und deren Bestimmungen über auf langfristig höhere Erträge. Die Umstellung der die Herstellung eines guten Umweltzustands in der Flotte auf den rückwurffreien Fang bedarf ferner einer Meeresumwelt im Einklang stehen. Anpassung der Techniken zur Verringerung des uner- wünschten Beifangs, der Einführung von Fangplänen Die Umweltziele der Reform stützen sich auf den zur Umgehung von Fanggebieten und Fangzeiten mit Grundsatz, die Zukunftsfähigkeit der Fischerei zu einer größeren Beifangwahrscheinlichkeit sowie der gewährleisten. Das erste Ziel besteht darin, dass die Ausarbeitung von Plänen für den Umgang mit angelan- Fischbestände spätestens im Jahr 2015 auf dem Niveau detem Beifang. des höchstmöglichen Dauerertrags (engl. maximum sustainable yield oder MSY) befischt werden. Als MSY Der Europäische Fischereifonds als Finanzierungsin- gilt „die Menge, die einem Bestand Jahr für Jahr gefahrlos strument der GFP (und der Europäische Meeres- und entnommen werden kann und die Populationsgrößen Fischereifonds EMMF als sein wahrscheinlicher Nach- auf dem Niveau maximaler Produktivität erhält“14. Eine folger) wird den betroffenen Gemeinden weiterhin Befischung auf diesem Niveau würde eine wesentlich Hilfen zum Ausgleich der kurz- und mittelfristigen höhere Produktivität der Fischbestände und damit Folgen dieser Maßnahmen anbieten. Im Rahmen der eine Steigerung sowohl der Fangerträge als auch von neuen GFP soll die Rolle der Fischereivereinigungen Umsatz und Gewinn der Fischfangflotten ermöglichen. und der regionalen Institutionen wie beispielsweise der Beiräte und der Erzeugerverbände aufgewertet Ein weiteres wichtiges Umweltziel ist die Beendigung werden. Ebenfalls vorgesehen ist eine stärkere Förde- der Rückwurfpraxis, d. h. unerwünschten Fisch ins Meer rung der nachhaltigen Entwicklung von Fischereige- zurückzuwerfen. Die vorgeschlagene Grundverord- meinden. In diesem Zusammenhang können die FLAG nung enthält die Verpflichtung, alle Fänge regulierter an innovativen Lösungen mitwirken, die zur Anpassung Arten anzulanden. der Fischfanggemeinden an die Ziele der neuen GFP Darüber hinaus sollen mehrjährige Bewirtschaftungs- beitragen. pläne eine bessere Planung des Fischfangs und der In diesem Sinne folgt die GFP-Reform und die erwei- Bestandspflege ermöglichen. Sie würden aber nicht terte Rolle der lokalen und regionalen Ebenen beim mehr für einzelne Bestände gelten, sondern für mehrere Management der Fischerei und der Wirtschaftlichkeit Bestände gemeinsam erstellt werden. von Fischereigemeinden der Entwicklung, wie sie im Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Umwelt- neuen UNEP-Bericht Green Economy in a Blue World15 ziele der Reform ehrgeizig sind und in den Fischerei- (siehe Infobox 3) beschriebenen wird. gemeinden deutliche Spuren hinterlassen werden. 14 15 COM(2011) 417 endgültig; Mitteilung der Europäischen UNEP et al. 2012, Green Economy in a Blue World www.unep.org/ Kommission über die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik greeneconomy and www.unep.org/regionalseas Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 13
B. Die Umwelt in den europäischen Fischwirtschaftsgebieten Infobox 3 • Grüne Wirtschaft in einer blauen Welt – ein Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) Die Stärkung der regionalen Fischwirtschaftsgremien, der nationalen Fischwirtschaftsbehörden, der Fischerei- und Fischverarbeitungsverbände sowie der Verbände der Privatwirtschaft ist für die nach- haltige und gerechte Nutzung der Meeresressourcen unerlässlich. Mit dem Verhaltenskodex der FAO für verantwortungsvolle Fischerei und den entsprechenden internationalen Abkommen und Aktionsplänen ist ein gefestigter internationaler Gesetzes- und Politikrahmen bereits vorhanden. Die Herausforderung besteht in der Bereitstellung von Anreizen und geeigneten Mitteln, damit dieser Rahmen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zur Anwendung kommt. Fischer und Fischzüchter sollten in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Ökosys- temleistungen als „Verwalter“ der Meeresökologie fungieren. Die umweltgerechte Entwicklung der Wirtschaftszweige Fischfang und Aquakultur bedarf einer allgemeinen Anerkennung ihrer gesamt- gesellschaftlichen Rolle – insbesondere der Bedeutung kleinerer Betriebe für Wirtschaftswachstum, Armuts- bekämpfung und Sicherung der Nahrungsmittelversorgung in den Gemeinden – durch ein umfassendes Steu- erungssystem, das Management von externen Effekten, die Anwendung eines Ökosystemansatzes in Fischerei und Aquakultur mit gerechten und verantwortungsvollen Besitzregelungen, welche eine größere soziale Integra- tion fördern sowie die Einbindung von Fischerei und Aquakultur in die Bewirtschaftung von Wassereinzugs- und Küstengebieten auch im Zuge der Raumplanung. Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 14
B. Die Umwelt in den europäischen Fischwirtschaftsgebieten Der Übergang vom Widerstand zu Industrieanlagen und Häusern an Land interessiert umweltgerechter Widerstandsfähigkeit waren. Es war keine Frage der Unwissenheit, sondern eine Frage der Stärke. Ihre Gedanken, ihre Gefühle Der US-amerikanische Schriftsteller John Steinbeck galten allein dem Fang von Sardinen. Und sonst nichts.“ veranschaulichte in seinem journalistischen Werk „The log from the Sea of Cortez16”(dt. „Logbuch des Lebens“) Diese Darstellung ist zwar verklärend und leicht über- die Schwierigkeiten bei dem Versuch, im Jahr 1940 ein trieben, aber sie veranlasst uns zu glauben, dass sich die Sardinenfischerboot für eine Untersuchung der biolo- charakteristische Stärke von Fischereigemeinschaften gischen Vielfalt im Golf von Kalifornien zu mieten: zu einer starken treibenden Kraft formen lässt. Es ist Aufgabe der FLAG – die bei der Nutzung dieser Stärke In dem Buch heißt es sinngemäß: „Obwohl die Fang- eine Schlüsselrolle einnehmen –, diese Gedanken, diese saison vorüber war, zeigte keiner der Bootsführer Inte- Gefühle und diese Stärken zum Motor für den Über- resse daran, uns sein Boot für unsere Forschungen zu gang zugunsten eines intelligenten, nachhaltigen und vermieten, genauso wenig wie sie am Bau von Straßen, integrativen Wachstums zu machen. 16 ISBN13: 9780141186078 Wesentliche Erkenntnisse aus diesem Abschnitt: >> Grünes Wachstum kann die Grundlage zur Erneuerung der Fischwirtschaftsgebiete in der EU bilden. >> Die Gewässerökosysteme werden durch die konkurrierenden Nutzungsansprüche an begrenzte Ressourcen sowie die Veränderungen des ökologischen Gleichgewichts belastet. >> Den lokalen Akteuren stehen bereits Instrumente zur Bekämpfung lokaler Umweltprobleme einschließ- lich der Folgen des Klimawandels zur Verfügung. >> Im Reformvorschlag für die GFP sind ehrgeizige Umweltziele vorgegeben, die kurzfristig eine Belastung für die Fischereigemeinden darstellen, aber langfristig ihr Fortbestehen sichern helfen. >> Die FLAG können den Fischereigemeinden bei der Anpassung an die Ziele der reformierten GFP behilf- lich sein. >> Die charakteristischen Stärken der Fischereigemeinschaften lassen sich zu einer starken treibenden Kraft umwandeln. Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 15
C. Die Umwelt als Basis der wirtschaftlichen Entwicklung Die Komplexität der Umwelt, der aktuelle Druck auf selbst Computer und modernste Technik als Basis des sie (aufgrund miteinander konkurrierender Nutzungs- Erfolgs vieler Wirtschaftszweige sind ohne die Natur formen, der Folgen des Klimawandels und sonstiger als Rohstofflieferant nicht denkbar. Hinzu kommt, dass Beeinträchtigungen), unsere Erwartungen an ihre die Natur über die simple Bereitstellung von Rohstoffen Belastbarkeit für ein zukünftiges blaues bzw. grünes oder gebrauchsfertigen Erzeugnissen hinaus den Wachstums – all das erfordert eine bessere Kenntnis notwendigen Platz und die notwendigen Vorausset- des Kräftespiels, welches hinter der Nutzung der natür- zungen für die Entstehung vieler anderer wirtschaftli- licher Ressourcen wirkt. cher Tätigkeiten bietet. Die Umwelt ist – mal mehr, mal weniger – Ausgangs- Die unterschiedlichen Güter und Dienstleistungen der punkt jedes Wirtschaftens im Sinne der Produktion, des Natur für den Menschen werden als Ökosystemleis- Konsums und des Austausches von Gütern und Dienst- tungen bezeichnet. Diese ungemein vielfältigen Leis- leistungen zur Befriedigung menschlicher Bedürf- tungen, die den Zusammenhang zwischen Wirtschaft nisse17. Dass zum Beispiel der Fischfang ohne Fisch und Umwelt verstehen helfen, sind Gegenstand des keine Existenzgrundlage hat, liegt auf der Hand. Doch nächsten Abschnitts dieses Leitfadens. Darüber hinaus wird erläutert, warum und wie man diese Leistungen zu 17 Dementsprechend bezeichnet „Wirtschaften“ nicht nur bewerten versucht. unternehmerisches Handeln, sondern auch private Tätigkeiten in Haushalt und Freizeit zur Bedürfnisbefriedigung oder zur Verbesserung der Lebensqualität. C.1 Die Umwelt als lokaler Dienstleistungsanbieter18 Allgemein gesprochen, besteht die Umwelt aus einer Die Ökosysteme lassen sich nach Art der zur Verfügung Vielzahl von Ökosystemen, die sich definieren lassen gestellten Güter und Dienstleistungen in Gruppen als „dynamische Mosaike aus zueinander in Wechselwir- einteilen20. Die im Folgenden vorgenommene Einstu- kung stehenden Mikroorganismen, Pflanzen, Tieren und fung beruht auf der Klassifizierung im Rahmen der physischen Umweltmerkmalen”19. Wie bereits erwähnt, Initiative „Die Ökonomie von Ökosystemen und der versorgen diese Ökosysteme den Menschen mit vielen Biodiversität (engl. „The Economics of Ecosystems and unterschiedlichen Gütern und Dienstleistungen. Biodiversity“, TEEB; mehr Informationen zur TEEB-Initia- tive in Infobox 4). 18 Die Angaben in diesem Teil des Leitfadens stützen sich im Wesentlichen auf die Ökosystemprüfung Millennium Ecosystem Assessment (MEA) und die Studie „Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität“ (engl. „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“, TEEB). 20 Diese Einstufung beruht auf der TEEB-Klassifizierung, TEEB 19 Millennium Ecosystem Assessment (MEA), Chancen und Risiken (2010) „A Quick Guide to The Economics of Ecosystems and für Industrie und Gewerbe. Biodiversity for Local and Regional Policy Makers“. Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 16
C. Die Umwelt als Basis der wirtschaftlichen Entwicklung >> Versorgungsleistungen: Darunter sind Leis- Es ist zu beachten, dass Ökosysteme von Natur aus tungen im Zusammenhang mit den von Ökosys- äußerst komplex sind. Deshalb kann ihre Einstufung temen hervorgebrachten Erzeugnissen und nach Leistungen zwar zum Verständnis beitragen, Stoffen (Nahrungsmittel, Wasser, Rohstoffe usw.) zu aber die Komplexität der Wechselwirkungen nicht voll- verstehen. Diese Erzeugnisse oder Stoffe werden ständig abbilden. Aufgrund der engen Verflechtung direkt entweder zur Ernährung oder zur Herstellung der Ökosystemleistungen untereinander lassen sich komplexerer Produkte genutzt. Auch jede Gewin- Überschneidungen zwischen den einzelnen Kategorien nungstätigkeit wie beispielsweise der Fischfang wird nicht ausschließen. als dieser Gruppe zugehörig betrachtet. Die Bedeutung der einzelnen Leistungen ist von >> Regulierungsleistungen: Hierbei wird die regulie- Ökosystem zu Ökosystem unterschiedlich. Einige rende Funktion des Ökosystems in der Natur und Ökosysteme können für die Ernährung sehr wichtig seine entsprechenden Dienstleistungen (Regulie- sein, andere eher als Lebensraum oder für die Regu- rung des Klimas und der Wasserqualität, Verhinde- lierung des Klimas. Küstenökosysteme sind besonders rung von Wetterextremen usw.) betrachtet. Damit reich in dem Sinne, dass sie bei den meisten Leistungen unterstützt oder ermöglicht es die Entstehung der ein sehr hohes Niveau aufweisen. In Tabelle 1 werden meisten sonstigen Tätigkeiten und ist folglich unter die einzelnen Leistungen weiter unterteilt und anhand wirtschaftlichen Gesichtspunkten unverzichtbar. Da von Beispielen erläutert sowie die jeweilige Bedeu- sich dieser Nutzen aber zumeist indirekt entfaltet, tung in verschiedenen Ökosystemen der Küste und des wird er häufig nicht erkannt. Binnenlandes bewertet. >> Lebensraumleistungen: Das bedeudet, dass ein Ökosystemdienstleistungen finden in den Entwick- Ökosystem den notwendigen Lebensraum für unter- lungsstrategien der EU und den politischen Beschlüssen schiedliche Lebensformen bietet. Diese tragende der Mitgliedstaaten zunehmend Berücksichtigung. Die Funktion ist eine ökologische Dienstleistung par Biodiversitätsstrategie der EU beispielsweise stellt klar, excellence. Lebensraumleistungen sind komplex welche Probleme zu lösen sind, um dem wirtschaftli- und begünstigen die Entstehung von Leben auf chen Potenzial der Ökosystemleistungen Rechnung zu ganz unterschiedliche Weise. tragen (siehe Infobox 4). >> Kulturleistungen: Darunter ist der nicht materi- elle Nutzen eines Ökosystems zu verstehen, der beispielsweise mit Erholungswerten, geistig-seeli- schen Erfahrungen oder ästhetischen Empfindungen verbunden ist. Der Nutzen dieser Leistungen lässt sich nicht konkret beziffern, sondern bestimmt sich in erster Linie aus den gelebten Erfahrungen des Menschen mit der Umwelt. Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 17
C. Die Umwelt als Basis der wirtschaftlichen Entwicklung Tabelle 1 – Die wichtigsten Ökosystemleistungen der Küste und des Binnenlands und ihre Bedeutung Küste und Binnenland Leistungen Beispiele Beispiele für Achse-4-Projekte mit positiven Auswirkungen auf die Leistung (Nicht Achse 4 –Projekte kursiv) VERSORGUNG Nahrungsmittel Gewerbliche Erzeugung tierischer Fisch vom Kutter, Deutschland Biomasse Fasern, Holz, Kraftstoff Gewerbliche Erzeugung Nutzpflanzen und Nebenerzeugnisse, pflanzlicher Biomasse ITSASOA, Frankreich Biochemische Erzeugnisse Stoffgewinnung aus Organismen Gewinnung von Stoffen aus Krustentieren für die Biomedizin, Portugal REGULIERUNG Klimaregulierung Regulierung von Treibhausgasen Fischmehl aus Fischabfällen, Spanien; und Klima zur Sicherung der Marke „Km 0“ für regionale Herkunft, Grundlagen menschlichen Lebens Portugal Schadstoffabbau und Zurückhaltung, Rückgewinnung Kooperation zwischen Muschelzüchtern Entgiftung und Beseitigung überschüssiger und Landwirten zwecks Kontrolle und Nähr- und Schadstoffe Verringerung der Wasserverschmutzung, CAP2000, Frankreich Elementarrisiken Schutz vor Hochwasser, Sturm Projektidee –Studien zur Erosion der und Erosion inländischen Küsten, Schweden KULTUR Geistig-seelisch und inspirativ Persönliche Empfindungen und Wiederherstellung des Kulurerbes wegen persönliches Wohlbefinden seines historischen und produktiven Nutzens, DE BOET, Niederlande Erholung Chancen für den Tourismus Schulungen für Fischer, Finnland; Erschließung eines Erholungsgebietes, Estland LEBENSRAUM Biodiversität Lebensraum für Arten mit oder Einbindung von Fischern in die ohne wirtschaftlichem Wert Bewirtschaftung eines MSG, Frankreich Projektbeispiel Weitere Angaben über die Projekte in der Tabelle finden sich auf (Achse 4) der Internetseite – http://tinyurl.com/aa4dj6l Quelle: basierend auf Millennium Ecosystem Assessment, 2005. Ökosysteme und menschliches Wohlbefinden: Feuchtgebiete- und Gewässersynthese. Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 18
C. Die Umwelt als Basis der wirtschaftlichen Entwicklung Flüsse, Teiche Ästuare, Moore, Lagunen, Gezeitenflach- Binnengewässer, Sümpfe Salzwiesen gewässer, Strände, Korallen-bänke, Dünen Seegrasfelder +++ ++ ++ + +++ +++ +++ + + + ++ + +++ ++ ++ ++ + ++ +++ +++ ++ +++ ++ + + ++ +++ +++ ++ +++ +++ +++ +++ + +++ +++ ++ ++ + +++ +++ Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 19
C. Die Umwelt als Basis der wirtschaftlichen Entwicklung Infobox 4 • Die Biodiversitätsstrategie der EU und die Studie „Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität“ (TEEB). Ökosystemdienstleistungen: Maßnahme 5 der Biodiversitätsstrategie der EU „Die Mitgliedstaaten werden mit Unterstützung der Kommission den Zustand der Ökosysteme und Ökosys- temdienstleistungen in ihrem nationalen Hoheitsgebiet bis 2014 kartieren und bewerten, den wirtschaftli- chen Wert derartiger Dienstleistungen prüfen und die Einbeziehung dieser Werte in die Rechnungslegungs- und Berichterstattungssysteme auf EU-und nationaler Ebene bis 2020 fördern.“ Die Studie „Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität“ (TEEB) ist eine unter anderem vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen und von der Europäischen Kommission finanzierte Initiative, die in einer Reihe von Berichten Aufschluss darüber gibt, wie unterschiedliche Interessengruppen Ökosystem- dienstleistungen zum Thema der politischen Entscheidungsfindung machen können. Sowohl der Bericht zur Kommunal- und Regionalpolitik (TEEB D2) als auch die Berichte zu den Themen Privathaushalte und gewerbliche Unternehmen (TEEB D3 & D4) bieten teilweise wertvolle Informationen und Hilfen, die für die FLAG und die Projektträger von Nutzen sein könnten. Diese Berichte enthalten beispielsweise praktische Ratschläge, wie sich auf kommunaler und regionaler Ebene dem Problem des Verlusts der biologischen Vielfalt entgegentreten lässt, sowie Informationen über Methoden zur Bewertung von Umweltleistungen (siehe Abschnitt C2 dieses Leitfadens). Die FLAG sollten wissen, welche Dienstleistungen die Der Reichtum der Küstenökosysteme hat zur Folge, Umwelt in ihrem Gebiet erbringt. Sie sollten sich sogar dass sie große Aufmerksamkeit und großes Interesse vergewissern, inwieweit Wohlstand und Lebensqua- auf sich ziehen. Die Küstennatur wird in vielen unter- lität in ihrem Gebiet von diesen Leistungen abhängen, schiedlichen Formen genutzt, was zu Spannungen und und mögliche Bedrohungen erkennen. Zudem besteht Konflikten zwischen den miteinander konkurrierenden die Möglichkeit, dass manche Ökosystemleistungen Nutzern führen kann. Das Management von Nutzung nicht erschöpfend in Anspruch genommen werden und Konflikten bei gleichzeitiger Maximierung des und deshalb neue Wachstumschancen bieten. Aller- Nutzens für die Gesellschaft als Ganzes zählen zu den dings sollten die FLAG stets bedenken, dass man die Herausforderungen, die im Zuge der lokalen Entwick- möglichen Vorteile dieser Leistungen verantwortungs- lung zu bewältigen sind. Darauf wird in Abschnitt D2 voll nutzen sollte. Darunter ist zu verstehen, dass bei dieses Leitfadens eingegangen. Sind die unterschied- der Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit unter lichen Leistungsarten eines Ökosystems einmal ermit- Nutzung eines Ökosystems sowohl die Umweltver- telt, müssen sie bewertet werden, damit fundierte träglichkeit der Tätigkeit als auch die Tragfähigkeit Entscheidungen getroffen werden können. Dieses des Ökosystems zu gewährleisten ist. Daher kann es Thema ist Gegenstand des nächsten Abschnitts. notwendig sein, die Beeinträchtigung der Umwelt durch die Inanspruchnahme von Ökosystemleistungen und den Bedarf an entsprechenden Ausgleichsmaß- nahmen zu prüfen. Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 20
C. Die Umwelt als Basis der wirtschaftlichen Entwicklung C.2 Bewertung des Umweltkapitals: Messung des ökonomischen Wertes der Umwelt Warum der Umwelt einen Wert Wirtschaftslehre als negativer externer Effekt oder nega- zumessen? tive Externalität bezeichnet. Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass die Natur Der gewerbliche Fischfang hat beispielsweise zur Folge, für die Bewohner von Ökosystemen viele verschiedene dass weniger Fisch für Sportangler oder Hobbytaucher unverzichtbare Leistungen erbringt. Doch auch wenn übrig bleibt. Insofern kann er sich negativ auf die Touris- völlige Einigkeit darüber besteht, dass es beispielsweise tenzahlen in diesem Sektor auswirken. Umgekehrt wichtig ist, saubere Luft atmen oder in schadstofffreier kann die Einrichtung von Meeresschutzgebieten, die Umgebung leben zu können, so gestaltet es sich oft aufgrund des größeren Fischreichtums mehr Taucher schwierig, diesen Leistungen einen Wert beizumessen. anlocken dürften, einen Rückgang der gewerblichen Fangmengen nach sich ziehen (zumindest kurzfristig; Politische Entscheidungen werden vielfach unter Abwä- siehe Abschnitt D3 zum Thema Schutzgebiete) und so gung umwelt-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischer die Ertragslage der Flotte verschlechtern. Gesichtspunkte getroffen in dem Bemühen, die Ressour- cennutzung zugunsten des Gemeinwohls zu maximieren. Die ökonomische Bewertung der Umwelt ermög- Man vergleicht einfach Möglichkeit A mit Möglichkeit B licht eine Analyse der Lage und ein Nachdenken über und C, und auch wenn die wirtschaftspolitischen Erwä- die Nutzungsformen. Im Anschluss daran lassen sich gungen nicht die einzigen Bestimmungsgrößen des die einzelnen Wahlmöglichkeiten und die Folgen der Entscheidungsprozesses darstellen, so bilden sie doch Änderung einer Wahl miteinander vergleichen. Durch stets dessen Kern. Aus diesem Grund ist es wichtig, den den Ansatz eines ökonomischen Wertes für Umweltleis- Wert der Ökosystemleistungen beziffern zu können. tungen und einer möglichen Wertminderung infolge des Entstehens neuer oder anderer Nutzungsformen Es gibt Stimmen, die den Versuch einer Bezifferung des lassen sich die tatsächlichen Kosten bzw. der tatsäch- Umweltwertes rundweg ablehnen. Theoretisch müsste liche Nutzen für die Gesellschaft erfassen. man den Wert der Natur ja als unbegrenzt betrachten, da sie Grundlage allen irdischen Lebens und somit Unterschiedliche Arten Grundlage jeglichen Handelns ist. Ein solcher unbe- des ökonomischen Wertes grenzter Wert der Natur lässt sich jedoch wirtschafts- wissenschaftlich nicht wiedergeben, so dass Risiken Der ökonomische Wert von Umweltdienstleistungen schlichtweg keine Berücksichtigung finden. lässt sich aus deren Nutzungsart ableiten. Da unter- schiedliche Umweltleistungen (siehe Abschnitt C1 Indem man den Dienstleistungen der Natur einen dieses Leitfadens) auch unterschiedlich genutzt werden ökonomischen Wert zumisst, kann man dafür Sorge können, weisen sie der Nutzung entsprechende Nutz- tragen, dass dieser Wert bei der Entscheidungsfindung werte auf. Die drei wichtigsten Nutzwerte von Umwelt- beachtet und ihm bewusst Rechnung getragen wird. leistungen sind der Wert der direkten Nutzung, der Wert Darüber hinaus wird die Umwelt, wie bereits dargestellt, der indirekten Nutzung und der nutzungsfreie Wert.21 auf ganz unterschiedliche Art und Weise genutzt. Eine Ressource lässt sich jedoch nicht unbegrenzt für unter- schiedliche Zwecke in Anspruch nehmen. Das liegt darin begründet, dass die Nutzung einer Ressource durch 21 einen bestimmten Wirtschaftzweig ihre Verfügbarkeit für Die wirtschaftswissenschaftliche Literatur kennt eigentlich mehr als drei Arten und Unterarten des ökonomischen Wertes. Die eine andere wirtschaftliche Nutzung häufig einschränkt, Verfasser des Leitfadens haben sich aus Vereinfachungsgründen und dass die Aufnahme einer bestimmten wirtschaftli- auf den Wert der direkten, der indirekten und der fehlenden chen Tätigkeit die Entstehung anderer Nutzungsformen Nutzung beschränkt. Ein weiterführender Text über die beeinträchtigt. Diese Negativbeziehung wird in der unterschiedlichen Wertarten findet sich hier: http://www. teebweb.org/resources/ecosystem-services/#tabbed_box_1 Farnet Leitfaden 6 _ Grünes Wachstum in den Fischwirtschaftsgebieten Europas 21
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