Die Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und des Tages-Anzeigers zum Brexit und der EU

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Die Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und des Tages-Anzeigers zum Brexit und der EU
Die Berichterstattung der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung und des Tages-Anzeigers
zum Brexit und der EU
Eine diskurslinguistische Mehr-Ebene-Analyse

Word count: 21,439

Arne Gyssels
Student number: 01407955

Supervisor(s): Prof. Dr. Sofie Decock, Prof. Dr. Carola Strobl

A dissertation submitted to Ghent University in partial fulfilment of the requirements for the degree
of Master of Multilingual Communication

Academic year: 2017 - 2018
2
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Vorwort

Die   vorliegende   Arbeit   ist   eine   diskurslinguistische   Mehr-Ebene-Analyse     zwei
deutschsprachiger Zeitungen: Der Frankfurter Allgemeine Zeitung und des Tages-Anzeigers.
Untersucht wird, wie die beiden Zeitungen über das Brexit-Referendum und die EU berichten.
Die Analyse wurde auf Grundlage einer Studie Garcia-Blancos über die Berichterstattung
südeuropäischer Medien im Vorfeld des Brexit-Referendums durchgeführt.

Als Student im Masterstudium Mehrsprachige Kommunikation interessiere ich mich für alle
linguistischen Aspekte einer Sprache. Deswegen freute ich mich darüber, die Medien und
deren Diskurse zu einem gesellschaftlichen Thema zu analysieren. Da ich Englisch und
Deutsch studiere, habe ich mich in dieser Arbeit auf ein englisches Thema (den Brexit) und
die Berichterstattung deutschsprachiger Medien konzentriert, um beide Fremdsprachen
miteinander zu verbinden. Diese Arbeit hat mich gelehrt, der Rolle der Medien in öffentlichen
Debatten kritisch gegenüberzustehen, und mir ebenfalls geholfen, die Fähigkeit zur
analytischen Reflexion weiter zu entwickeln.

Ich habe die vorliegende Arbeit nicht alleine geschrieben. An erster Stelle möchte ich Frau
Sofie Decock, meiner Betreuerin, danken, weil sie mir während der Anfertigung dieser
Masterarbeit immer mit gutem Rat und ausführlichem Feedback zur Seite gestanden hat, auch
wenn sie selbst sehr beschäftigt war. Ich möchte mich ebenfalls herzlich bei meinen Eltern
bedanken, für ihre Hilfsbereitschaft und konstruktive Kritik, insbesondere bei meiner Mutter,
Isabelle De Meyer, für ihre sorgfältige Textrevision. Abschließend gilt ein besonderer Dank
meiner Familie und meinen Freunden für ihre Unterstützung und ihr Vertrauen.

Eeklo, 27/05/2018

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Inhaltsverzeichnis

1. Einführung .............................................................................................................................. 6
2. Begrifflicher Hintergrund ....................................................................................................... 9
   2.1. Medienlinguistik .............................................................................................................. 9
   2.2. Diskursanalyse ............................................................................................................... 12
      2.2.1. Diskurs .................................................................................................................... 12
      2.2.2. Diskursanalyse ........................................................................................................ 13
   2.3. Der Brexit ...................................................................................................................... 18
      2.3.1. Großbritannien und die EU ..................................................................................... 18
      2.3.2. Brexit-Referendum: Ergebnisse und deren Interpretation ...................................... 20
      2.3.3. Folgen des Brexit für die EU .................................................................................. 22
   2.4. Die europäische Identität ............................................................................................... 24
   2.5. Verhältnis von Deutschland und der Schweiz zur EU .................................................. 27
      2.5.1. Deutschland und die EU ......................................................................................... 27
      2.5.2. Die Schweiz und die EU ......................................................................................... 29
3. Analysemethode ................................................................................................................... 31
4. Darstellung der Ergebnisse................................................................................................... 39
   4.1. Quantitative Inhaltsanalyse ............................................................................................ 39
      4.1.1. Die benutzten Textgattungen .................................................................................. 41
      4.1.2. Subthemen der Artikel zum Brexit-Referendum .................................................... 44
      4.1.3. Ton des Titels .......................................................................................................... 47
      4.1.4. Perspektive der Artikel ........................................................................................... 49
   4.2. Qualitative Diskursanalyse ............................................................................................ 52
      4.2.1. Frankfurter Allgemeine Zeitung ............................................................................. 53
      4.2.2. Tages-Anzeiger ....................................................................................................... 62
5. Fazit und Ausblick ............................................................................................................... 71
6. Quellenverzeichnis ............................................................................................................... 76

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1. Einführung

„Ein schwarzer Tag für die EU“. „Schlag ins Konto“. „Herber Rückschlag“. Es sind nur
einige Schlagzeilen der deutschen Medien, nachdem das Brexit-Ergebnis veröffentlicht
wurde. Großbritannien hat am 23. Juni 2016 mit knapper Mehrheit dafür gewählt, die EU zu
verlassen, und als Reaktion darauf überwiegt in ganz Europa die Enttäuschung. Mit
Großbritannien verliert die EU ihre zweitgrößte Volkswirtschaft und eine politische
Großmacht auf der internationalen Bühne. Obwohl die Insel oft als Eigenbrötler innerhalb der
EU betrachtet wurde, fürchtet man sich davor, dass der Brexit das europäische
Friedensprojekt gefährdet und dass sich der Aufschwung des Nationalismus und der
Fremdenfeindlichkeit in den anderen europäischen Ländern durchsetzen wird. Nach dem 23.
Juni 2016 wurde öffentlich diskutiert, wie die übrigen EU-Mitglieder auf das Ergebnis des
Brexit-Referendums reagieren sollten und wie die EU in der Zukunft aussehen sollte.

Im Zentrum der Debatte stehen sowohl die nationale als auch die europäische Identität. Mit
dem Brexit haben sich die Briten deutlich weiter von der europäischen Identität entfernt. Im
Zuge der Finanz- und Flüchtlingskrise konnten sich die Brexiteers nicht mehr mit dem Begriff
des ‚Europäers‘ identifizieren und stellten sie unter Federführung des britischen Politikers
Nigel Farage die nationale Identität wieder in den Mittelpunkt. Das Brexit-Ergebnis kann
zudem als die Folge einer            mondialen Tendenz betrachtet werden. Die Alternative für
Deutschland (AfD) in Deutschland, Front National in Frankreich und die Wahl von Donald
Trump als Präsidenten der USA sind weitere Beispiele für einen immer beliebter werdenden
Populismus1. Die Populisten Europas sehen die EU als ihren Hauptfeind und haben in den
letzten Jahren von den unterschiedlichen Krisen und von der gesellschaftlichen Polarisierung,
die sie selber weiter vorantreiben, profitieren können.

Im Bereich des Nationalismus und Populismus spielen Angst und Abgrenzung eine wichtige
Rolle. Ziel der nationalistischen Populisten ist es, einerseits, die Stimme des Volkes zu
vertreten und sich vom Establishment bzw. von ‚fremden Einflüssen‘ zu distanzieren.
Andererseits spielen sie auf die Ängste der Menschen ein, indem sie die Globalisierung und

1
 Politikwissenschaftler Eckhard Jesse zum Populismus: „Populistisch ist eine politische Kraft, die beansprucht,
den wahren Volkswillen zu verkörpern, mit einfachen Lösungen wider das Establishment wettert (gegen die da
oben) und dank einer oft charismatischen Führungspersönlichkeit Stimmen einfängt“ (zitiert nach Capodici &
Lutz, 2017).
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die nationale Identität zu ihren Hauptthemen machen. Nach Politikforscher Vorländer (2017)
„fangen Populisten diffuse Ängste vor Veränderungen in einer bestimmten Rhetorik auf, die
neue Formen der Übersichtlichkeit suggeriert: Heimat, Nation, kulturelle Identität.“ Diese
Rhetorik verbreiten sie mit Hilfe gesellschaftlicher Institutionen, zu denen auch die Medien
gehören.

Wie diskursanalytische Studien in journalistischen Texten bereits herausgestellt haben, ist die
von den Medien verwendete Sprache nie neutral. In ihrer Gesamtheit vertreten die Medien
immer eine Position zu bestimmten relevanten Themen und damit beeinflussen sie die
sozialen Verhältnisse. Sie sind also in der Lage, gesellschaftliche Denkmuster zu bestätigen,
weiterzuführen und schließlich auch zu ändern. Das heißt, dass die Rhetorik oder die Diskurse
der Medien im Anlauf zum Brexit-Referendum entscheidend für das Wahlverhalten der
Menschen und die öffentliche Meinung zur EU gewesen sind. Dieser Einfluss der Medien gilt
nicht nur für die britischen, sondern auch für die Medien in den übrigen EU-Mitgliedstaaten.

In seinem Beitrag stellte Dr. Inaki Garcia-Blanco fest, dass sich die untersuchten Zeitungen in
Südeuropa insbesondere in Frankreich, Spanien und Italien in ihrer Berichterstattung zum
Brexit vor allem auf die nationalen Interessen konzentriert haben statt eines Diskurses über
eine weitere Anbindung an die EU zu bevorzugen (2016). Die vorliegende Arbeit wird prüfen,
ob dieses Phänomen auch in den deutschsprachigen Medien zu beobachten ist. Der
Schwerpunkt wird auf die erste Woche nach dem Brexit-Referendum gelegt, weil aufgrund
des Ergebnisses die Chance auf eine andere Rhetorik zum Brexit und zur EU in dieser Periode
am größten ist. Hauptziel ist es mit anderen Worten, festzustellen, ob sich die ausgewählten
Medien nach dem Referendum von der europäischen Identität entfernen, oder ob sie sich der
EU und deren Werten annähern.

Anhand einer Diskursanalyse wurde die deutsche Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) mit
dem schweizerischen Tages-Anzeiger (TA) verglichen. Aus der Analyse sollte eine
Konklusion über die Position beider Zeitungen gegenüber dem Brexit, der EU und der
europäischen Identität gezogen werden. Da Deutschland und die Schweiz eine
unterschiedliche Beziehung zur EU aufgebaut haben und sich deshalb unterschiedlich mit der
EU identifizieren, versucht diese Arbeit sowohl die Ähnlichkeiten als auch die wesentlichen
Unterschiede in der Berichterstattung zwischen den Zeitungen darzustellen. Wie schon

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erwähnt wurde, üben die Mediendiskurse einen Einfluss auf das gesellschaftliche Denken und
Handeln aus, und dies macht das Durchführen einer Diskursanalyse relevant: Über eine
Beschreibung und Analyse der benutzten diskursiven Strategien offenbart sie die Macht der
Medien.

Im zweiten Kapitel wird auf für diese Arbeit relevante begriffstheoretische Aspekte
eingegangen. Mit der Absicht, auf Basis einer Diskursanalyse zu beschreiben, wie sich die
deutschsprachigen Medien in der Woche nach dem Brexit-Referendum gegenüber der
europäischen Identität positionierten, sollten diese Begriffe zuerst erläutert werden. Eine
Begriffserläuterung in Bezug auf Konzepte wie Diskursanalyse, den Brexit, die Europäische
Union und die europäische Identität gibt eine bessere Einsicht ins Arbeitsfeld dieser
Untersuchung und bildet zudem das Fundament der Analyse. Kapitel 2.1. und 2.2. zur
Medienlinguistik resp. zur Diskursanalyse thematisieren überdies das Verhältnis zwischen
der Sprache und der sozialen Wirklichkeit, die Diskursanalyse als Forschungsmethode und
die Relevanz einer derartigen Analyse für die vorliegende Arbeit.

Darüber hinaus wird in den Kapiteln 2.3., 2.4. und 2.5. auf die Themen des Brexit, der
europäischen Identität und des Verhältnisses von Deutschland und der Schweiz zur EU
eingegangen. Hintergrundkenntnisse bezüglich dieser gesellschaftlichen Themen führen zu
einem besseren Verständnis der öffentlichen Debatten, die in den Medien anlässlich des
Brexit-Referendums geführt werden. Eine Auseinandersetzung mit diesen Themen stellt den
Ausgangspunkt dieser Arbeit dar und ist notwendig, um die Forschungsfragen verstehen und
beantworten zu können.

Im dritten Teil wird die Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit erörtert. Zuerst wird der
Prozess der Quellenauswahl geschildert. Für diese Arbeit werden Zeitungsartikel aus der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung, einer Zeitung aus Deutschland, und aus dem Tages-
Anzeiger, einer Zeitung aus der Schweiz, verwendet. Sowohl die Frankfurter Allgemeine
Zeitung als auch der Tages-Anzeiger gehören zu den Leitmedien in ihrem Land und wurden
aufgrund ihres Profils bzw. ihrer politischen Ausrichtung gewählt. Anschließend werden die
wichtigsten Forschungsfragen vorgestellt, die in einem starken Zusammenhang mit den
Befunden aus der Studie von Garcia-Blanco stehen. Es wird erklärt, weshalb diese
Untersuchungsfragen im Zentrum der Untersuchung stehen und für diese Arbeit relevant sind.

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Schließlich wird die Analysemethode besprochen, die als quantitative Inhaltsanalyse und
qualitative Diskursanalyse bezeichnet werden kann.

Anschließend werden im vierten Kapitel die Zeitungsartikel analysiert, um auf dieser
Grundlage die Berichterstattung der ausgewählten deutschsprachigen Zeitungen und deren
Position gegenüber dem Brexit und der europäischen Identität beschreiben zu können. In der
quantitativen Inhaltsanalyse (Kapitel 4.1.) geht es insbesondere darum, zu bestimmen, über
welche Themen die ausgewählten Zeitungen am häufigsten berichten, aus welcher
Perspektive sie dies tun, und wo die wichtigsten Unterschiede liegen. Danach soll die
qualitative Diskursanalyse (Kapitel 4.2.), die vom DIMEAN-Modell von Spitzmüller und
Warnke (2008) ausgeht, nicht nur die Diskurse über den Brexit und die EU, sondern auch die
Rolle der Medien in der öffentlichen Debatte zur EU darlegen.

2. Begrifflicher Hintergrund
2.1. Medienlinguistik

Im Zuge der Erfindung der Buchdruckerkunst von Johannes Gutenberg wurden in
Deutschland ab Anfang des 17. Jahrhunderts die ersten modernen Zeitungen veröffentlicht.
Damit wurde die Gesellschaft mit dem Phänomen der Medien vertraut und obwohl sie sich
noch im Anfangsstadium befand, beeinflusste diese Informationsindustrie in kürzester Zeit
gesellschaftliche und kulturelle Werte und Normen, soziale Denkmuster und die
Beweggründe der Menschen selbst. Trotz dieser langen Geschichte der Medien, wurde der
Begriff „Medienlinguistik“ Daniel Perrin (2015) erst Anfang des 21. Jahrhunderts von Möhn
et al. (2001) und Androutsopoulus (2003) eingeführt.

Der Begriff Medienlinguistik lässt sich am besten auf Basis der Trennung des
zusammengesetzten Wortes beschreiben. Linguistik geht aus etymologischer Sicht auf das
lateinische Substantiv lingua zurück, von dem das deutsche Äquivalent ‚Sprache‘ oder ‚Rede‘
ist. Der Fachbereich der Linguistik beschäftigt sich also ausschließlich mit den linguistischen
Aspekten der Sprache. Vor diesem Hintergrund definiert Perrin (2015, S.28) Linguistik als
eine „wissenschaftliche Disziplin, die sich befasst mit der Sprache als einer menschlichen
Fähigkeit, mit den natürlichen Einzelsprachen und mit dem Sprachgebrauch.“

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Auch der Begriff Medium geht auf das Lateinische zurück und wird nicht nur in der
Linguistik, sondern auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen wie etwa Physik, Biologie
und Psychologie verwendet. Ludwig Jäger et al. (2016, S.901) merken an, dass ein Medium
„in kommunikationsbezogenen Zusammenhängen das Mittel ist, das der Vermittlung von
Mitteilungen dient.“ In diesem Sinne kann ein Medium als Hilfsmittel für sowohl sprachliche
Prozesse als auch für andere, nuanciertere Kommunikationsformen wie Kleidung oder
Gesichtsausdrücke bezeichnet werden.

Die Pluralform Medien bezieht sich im Bereich der Medienlinguistik auf die Gesamtheit von
Unternehmen und Institutionen, die für die kommunikative Verbreitung redaktioneller Inhalte
und die Übermittlung gesellschaftlicher Informationen verantwortlich sind (Pürer, 2003).
Diese Gesamtheit von Unternehmen und Institutionen wird mit einem Wort die
Massenmedien genannt, weil sie mit ihrer Kommunikation einen möglichst großen Teil der
Bevölkerung, das heißt die Masse, erreichen wollen.

In den letzten Jahrzehnten macht man außerdem einen Unterschied zwischen den alten
Medien (Zeitungen, Magazinen, Radio, Fernsehen) und den neuen Medien (Internet, sozialen
Medien). Die Medienlinguistik beschäftigt sich mit allen Medienformen und wird von Perrin
(Perrin, 2015, S.28) als eine „Teildisziplin der Linguistik, die sich befasst mit dem
Zusammenhang von Sprache und Medien“, beschrieben. Mit diesem Zusammenhang
impliziert Perrin, dass die Medien unlöslich mit Sprache verbunden sind, da sich eine
Botschaft nur über Sprache vermitteln und interpretieren lässt.

Um den Gebrauch und die Bedeutung von Sprache in den Medien eingehender zu
untersuchen, müssen sich Forscher auf mediale Texte stützen, die in mehreren Gestalten
vorkommen können. In seinem Beitrag zu Pressetextsorten unterscheidet Stöckl (2012, S.20)
drei Medientexttypen, die auch das „Forschungsspektrum der Medienlinguistik markieren.“
Die nachfolgende Abbildung zeigt die verschiedenen Texttypen:

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Abbildung 1: Medientexttypen (übernommen von Stöckl, 2012, S.20)

Für diese Arbeit sind Artikel von zwei deutschsprachigen Zeitungen analysiert worden. Diese
Arbeit beschäftigt sich also nur mit der sogenannten Printgruppe. Zudem stellt Stöckl (2012)
fest, dass Forscher in der Vergangenheit schon andere Möglichkeiten zur Klassifizierung von
Texttypen introduziert haben, bei denen sie zum Beispiel nicht von Zeichenmodalitäten2
ausgehen, sondern von thematischen Bereichen, journalistischen Darstellungsformen,
Textfunktionen oder Formen von thematischer Entfaltung.

Schließlich legt Androutsopoulus (2003) verschiedene Methoden dar, um eine linguistische
Medienanalyse durchzuführen. Für diese Studie wird nur die Diskursanalyse als Möglichkeit
zur Beantwortung der im Kapitel eins vorgestellten Forschungsfragen verwendet. Obwohl die
Medienlinguistik nach Androutsopoulus (2003, S.5) „keine vollkommen neuen Methoden der
Datenerhebung und Auswertung entwickelt hat, lehnt es sich an Forschungstraditionen der
empirischen Sprachwissenschaft an, die dem spezifischen Gegenstandsbereich angepasst
werden“ und die Diskursanalyse ist ein Beispiel davon.

Zur Beantwortung der Frage wie deutschsprachige Medien sich gegenüber der europäischen
Identität positionieren wurde für eine Diskursanalyse gewählt, weil diese davon ausgeht, dass
Sprachgebrauch in den Massenmedien nicht neutral ist. Allgemein wird angenommen, dass
die Medien implizit oder explizit bestimmte ideologische Stellungnahmen annehmen und

2
 Von Stöckl (2012, S.20) als “Kodes” oder “Zeichentypen” bezeichnet. Abbildung 1 stellt pro Medientexttyp
auch die verschiedenen Arten von Zeichenmodalitäten dar. Diese Arbeit fokussiert sich zum Beispiel auf die
Zeichenmodalität Schrift.
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reproduzieren. Das heißt, dass sich aus den gesammelten Artikeln auch eine ideologische
Position entwickeln lässt. Vorliegende Arbeit versucht anhand einer Diskursanalyse ihre
Position bloßzulegen.

Die unterschiedlichen Eigenschaften der Diskursanalyse und deren Relevanz für diese Arbeit
werden im nächsten Kapitel erläutert.

2.2. Diskursanalyse

2.2.1. Diskurs

Mit der Absicht, in dieser Arbeit anhand eines diskursanalytischen Ansatzes festzustellen, wie
deutschsprachige Medien über den Brexit berichten und wie sie die europäische Identität
konstruieren und sich dazu positionieren, soll zuerst erklärt werden, wie in der vorliegenden
Arbeit Diskurs definiert wird, und was eine solche Diskursanalyse beinhaltet. Die Sprache ist
dem Menschen inhärent. In allen gesellschaftlichen Kontexten, vom Alltag bis in
spezialisierte Domänen wie Wissenschaft oder Gericht, wird die Sprache von den Menschen
verwendet. Die Sprache wird also von Menschen gestaltet und ist stark in sozialen Kontexten
eingebettet, was dementsprechend auch heißt, dass sie nicht neutral ist: Sie ist mit sozialen
Denkmustern verflochten, die auch immer wieder sprachlich bestätigt und fortgesetzt werden
können.

Im Hinblick auf die soziale Dimension der Sprache teilte der schweizerische Linguist
Ferdinand de Saussure (1974) Sprache in Langue (Sprache) und Parole (Rede) auf. Mike
Gane (2002, S.70) versucht in seinem Beitrag die Begriffe zu erklären:

       Langue is defined in relation to parole: the former is a social fact, the latter is an individual fact. The
       individual speaker is master of parole; it is an individual act of the will. The speaking subject uses
       langue for his personal end, but it is not a function of the subject: langue imposes itself on the speaker
       from the outside, it is a social product that the individual ‘registers passively’.

Saussure betrachtet Langue mit anderen Worten als eine Art System, zu dem alle Mitglieder
einer Gemeinschaft Zugang haben und welches zur gleichen Zeit auch die Basis für den
individuellen Sprachgebrauch darstellt.

Mit dem Begriff Diskurs wird versucht, diese soziale Dimension der Sprache besser zu
erfassen. Der Diskursbegriff des französischen Philosophen und Historiker Michel Foucault

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ist in diesem Kontext sehr einflussreich. Seiner Meinung nach sei Diskurs „eine Menge von
Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“ (zitiert von Spitzmüller, 2005,
S.35). Dabei soll angemerkt werden, dass eine Aussage „niemals isoliert zu betrachten ist,
dass es stets den geschichtlichen und kulturellen Kontext mitzuberücksichtigen gilt“
(Spitzmüller, 2005, S.34). Diskurse können demnach unter Einfluss des gesellschaftlichen
Gegenstands und der jeweiligen Epoche festgelegt, wiederholt und auch verändert werden.
Indem Diskurse oft einer institutionellen Kontrolle ausgesetzt sind, betonen mehrere
ForscherInnen den Zusammenhang zwischen Sprache, Macht und Wissen (e.g. zum Beispiel
Foucault X, Fairclough, 1989). Im Gegensatz zu Saussure glaubt er, dass es keine
„Außenbeziehung zwischen Sprache und der Gesellschaft, sondern eine „interne und
dialektische Beziehung“ gäbe.

Zum Verhältnis von Diskurs, Macht und Wissen äußert Siegfried Jäger (2001, S.89) sich
folgendermaßen:

       Diskurse üben Macht aus, da sie Wissen transportieren, das kollektives und individuelles Bewusstsein
       speist. Dieses zustande kommende Wissen ist die Grundlage für individuelles und kollektives Handeln
       und die Gestaltung der Wirklichkeit.

Diskurse beeinflussen also die gesellschaftliche Realität und das soziale Denken und Handeln,
die das Fundament einer Gemeinschaft bilden, wird von Sprache bzw. Diskursen angetrieben.
Auch die gesellschaftlichen Machtverhältnisse werden in den verschiedenen Diskursen
organisiert und reproduziert.

Aus diesen Einsichten geht hervor, dass Sprache mehr ist als ein Mittel zur menschlichen
Kommunikation. Sprache ist vielmehr Teil eines Sozialprozesses, in dem gesellschaftliche
Bedeutungen bzw. Diskurse für relevante, zeitgenössische Themen geschaffen werden. Aus
dem Kapitel 2.2.2, das sich der Diskursanalyse widmet, wird deutlich, dass die Medien eine
wichtige Rolle bei der Entwicklung und Vermittlung dieser Diskurse spielen.

2.2.2. Diskursanalyse

Im vorherigen Kapitel wurde erläutert, dass es sich bei Diskursen nicht nur um Sprache,
sondern auch um Macht handelt. Die Diskursanalyse versucht anhand entwickelter
diskursanalytischer Methoden zu untersuchen wie in den Medien, in offiziellen Dokumenten

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und von der breiten Öffentlichkeit über gesellschaftlich relevante Themen geredet oder
geschrieben wird. Aus diesem Grund wird die Diskursanalyse auch als eine Methode
innerhalb der Medienlinguistik anerkannt. Stöckl et al. (2012, S. 25) erklärt warum:

       Für die Medienlinguistik sind diskursanalytische Ansätze daher dann besonders hilfreich, wenn es gilt
       Zusammenhänge zwischen Texten in Serien und thematischen Clustern zu rekonstruieren oder die
       unterschiedliche Perspektivierung von Themen in verschiedenen Medien kritisch zu reflektieren.

Diese Arbeit wird sich demnach darum bemühen, die unterschiedliche Perspektivierung einer
deutschen und schweizerischen Zeitung gegenüber dem Brexit und der EU anhand einer
quantitativen und qualitativen Analyse zu erörtern, wobei auch kritisch überprüft wird, wie
dabei die europäische Identität in diesen Zeitungen diskursiv beschrieben wird.

Tereick (2016, S.19) zufolge war es Michel Foucault, der die Fundamente zur Entwicklung
einer methodologischen Diskursanalyse skizzierte, da er mit seiner konstruktivistischen
Sichtweise eine Theorie einführte, welche er hervorhob, dass nicht „natürliche, evidente
Beziehungen, sondern diskursive Praxis das Wissen einer Diskursgemeinschaft formiert.“ Auf
Basis seiner Ansätze entwickelten sich in den 80er und 90er Jahren unterschiedliche Typen
diskursanalytischer Forschung.

Obwohl Michel Foucault bis zu einem gewissen Maß eine allgemeine Grundlage zur
Diskursanalyse geschafft hat, haben sich nach Tereick (2016, S. 15) verschiedene Ansätze wie
die Kritische Diskursanalyse entwickelt, um „die Lücke zu füllen und damit Foucaults
Theorie operabel zu machen“. Im Allgemeinen wird diese von Van Dijk, Fairclough und
Wodak entwickelte Critical Discourse Analysis oder auf Deutsch Kritische Diskursanalyse
(KDA) als der einflussreichste Bereich innerhalb der Diskuranalyse betrachtet.

Wenn ForscherInnen sich nicht auf den Textinhalt, das heißt auf die genaue Aussage, sondern
auf die Art und Weise, wie etwas formuliert wird, fokussieren, und wenn sie im Anschluss
daran versuchen daraus bestimmte Schlussfolgerungen in Bezug auf die sozialen oder
gesellschaftlichen Verhältnisse zu ziehen, ist von einer Kritischen Diskuranalyse die Rede. In
diesem Sinne bedeutet das Wort kritisch überhaupt nicht, dass ForscherInnen Diskursen
negativ gegenüberstehen. Es enthält aber die Annahme, dass sie den Inhalt nicht als
selbstverständlich ansehen oder bestimmte Dogmen und Ideologien nicht bedenkenlos

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übernehmen sollen und, dass sie auch Selbstreflexion über ihre eigene Rolle als
ForscherInnen ausüben (Wodak, 2007).

Grundsätzlich bringt die KDA eine kritisch-soziologische Analyse und eine linguistische
Analyse zusammen, indem der Zusammenhang zwischen Sprache und der gesellschaftlichen
Wirklichkeit bei der Analyse eine zentrale Rolle erhält. Darüber hinaus interessiert sich die
KDA nach Tereick (2016, S.23) vor allem für die „Effekte von Macht in der Gesellschaft und
die soziale Ungleichheit, die aus der Verteilung der Macht entsteht.“ Blommaert und Bulcain
(2000, S.448) beschreiben die Eigenschaften der KDA wie folgt: „CDA states that discourse
is socially constitutive as well as socially conditioned. Furthermore, discourse is an opaque
power object in modern societies and CDA aims to make it more visible and transparent.” In
diesem Sinne unterscheidet sich die KDA außerdem von diskursanalytischen Ansätzen, die
sich nicht als kritisch verstehen und im Vergleich zur KDA eine deskriptive Perspektive
annehmen (Tereick, 2016, S.24)

Vor diesem Hintergrund verbindet Siegfried Jäger (2001, S.81) den Forschungsbereich der
KDA mit vier Hauptfragen:

   1. Was ist jeweils gültiges Wissen?
   2. Wie kommt gültiges Wissen zustande, wie wird es reproduziert und weitergegeben?
   3. Welche Funktion hat es für die Gestaltung von Subjekten und der Gesellschaft?
   4. Welche Auswirkungen hat das Wissen auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung?

Diese Hauptfragen sind auch wichtig im Rahmen der Forschungsfragen der vorliegenden
Arbeit. Bartel und Ullrich (2008, S.55) erklären die von Jäger formulierten Fragen
folgendermaßen: „Die erste Frage zielt auf eine Untersuchung der historisch sich wandelnden
Diskursinhalte, die folgende auf die Analyse diskursiver Praxen.“ Diese Arbeit wird sich auch
damit beschäftigen: Zunächst ist es wichtig, das gültige und geltende Wissen über die
europäische Identität im Kontext des Brexit zu identifizieren und darzustellen. Daraufhin wird
in der Analyse geprüft, wie sich diese Identität entwickelt hat und wie sie von den Medien in
den untersuchten Brexitartikeln reproduziert und vermittelt wird. Schließlich wird erläutert,
welche möglichen Folgen die Darstellung der europäischen Identität in den Medien für den
europäischen Einigungsprozess hat.

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Innerhalb der KDA gibt es noch weitere Ansätze, aber diejenigen, die hier genannt werden,
sind maßgeblich und am meisten verbreitet.

Der diskurshistorische Ansatz von Ruth Wodak3 als Teil der Kritischen Diskursanalyse ist ein
einflussreiches Beispiel. Münch (2015, S.77) verdeutlicht: „Seine zentrale Prämisse lautet,
dass alle Diskurse historisch sind und nur mit Referenz auf ihren Kontext verstanden werden
können. Daraus erwächst der Verweis auf außerlinguistische Faktoren wie Kultur,
Gesellschaft und Ideologie.“

Auch Norman Fairclough introduziert mit seinem Dialectical-Relational Approach einen
bedeutenden Ansatz. In seiner Theorie spielt die soziale Praxis eine zentrale Rolle, indem
Sachen wie soziale Beziehungen, soziale Identitäten, kulturelle Werte usw. dialektisch mit der
sozialen Praxis verbunden sind (Wodak & Meyer, 2009). Zudem war Teun van Dijk mit dem
Sociocognitive Approach wichtig für den Fachbereich, da er Wodak und Meyer zufolge
(2009) der KDA eine soziopsychologische Dimension hinzufügt.

Im deutschen Sprachraum gibt es Siegfried Jäger mit der Dispositivanalyse, die ebenfalls
stark an den Theorien Foucaults orientiert ist. Laut Tobias Philipp (2013) ist es Jägers
Verdienst, die komplizierte Diskurstheorie konkretisiert und abstrakte Begriffe mit Blick auf
eine praktische Anwendung erläutert und definiert zu haben.

Die unterschiedlichen Theorien innerhalb der KDA haben alle auf ihre eigene Weise
Interdisziplinarität gemeinsam. In manchen Fällen ist diese Interdisziplinarität bereits Teil des
theoretischen Rahmens, während ForscherInnen in anderen Fällen disziplinär in der
Datenerhebung und Datenanalyse sind (Wodak & Meyer, 2009). Zusammenfassend nennen
Angermuller et al. (2014, S.24) die Diskursanalyse „ein breites, interdisziplinäres Feld von
Methoden, die die Produktion von Sinn als eine sozial gerahmte und situierte Praxis
erforschen.“

3
  Andreas Reichard (2016, S.50) zum diskurshistorischen Ansatz Ruth Wodaks: “Wodaks Ansatz der KDA setzt
sich folglich mit sprachlichen Formen auf der Ebene der konkreten sprachlichen Realisierung diskursiver Inhalte
auseinander, zudem werden dabei die von einer bestimmten Gesellschaftsstruktur bedingten Einflussfaktoren auf
die individuellen sprachlichen Handlungen (sozusagen den Makrokontext, den gesellschaftlichen Kontext)
berücksichtigt.“
                                                                                                            16
Vor diesem Hintergrund haben Spitzmüller und Warnke (2008) das Modell einer
diskurslinguistischen Mehr-Ebene-Analyse (DIMEAN) entwickelt, in dem sie die
„intratextuelle Analyse“, die Analyse der „Akteure“ und die „transtextuelle Analyse“
unterscheiden. Sie beschreiben ihr DIMEAN-Modell als „ein Synthesemodell für mixed
methodologies als Voraussetzung einer empirischen Sprachwissenschaft der transtextuellen
Ebene“ (2011, S. 200). Damit betonen sie außerdem, dass DIMEAN nicht als Methode,
sondern als Methodologie4 zu definieren ist. Das heißt, dass es von der Untersuchung selbst
abhängig ist, welche Methoden die ForscherInnen anwenden und welche Ebenen des
DIMEAN-Modells sie zur Beantwortung ihrer Forschungsfragen brauchen.

Das Modell von Spitzmüller und Warnke ist ein geeignetes Instrument für eine
Diskursanalyse der Medien, weil es den ForscherInnen die Freiheit gibt, selbst zu überlegen,
auf welchen Ebenen und Analysekategorien sie sich im Rahmen ihrer Untersuchung
fokussieren sollen. Die nächste Tabelle zeigt die wichtigsten Analysekategorien pro Ebene:

          Ebenen                                  Analysekategorien
    Transtextuelle          • u.a. Ideologien, Topoi, Frames, Intertextualität
    Ebene
    Ebene der Akteure       •     Interaktionsrollen (u.a. Produzentenrollen, Rezipientenrollen)
                            •     Diskurspositionen (u.a. Macht, voice, Diskursgemeinschaften)
                            •     Medialität (u.a. Medium, Kommunikationsformen)
    Intratextuelle Ebene    •     Textorientierte Analyse (u.a. lexikalische Felder, Isotopie- und
                                  Oppositionslinien, Themenentfaltung, Text-Bild-Beziehungen,
                                  Materialität)
                            •     Propositionsorientierte Analyse (u.a. syntaktische Muster,
                                  Implikaturen, Präsuppositionen, Sprechakte, rhetorische
                                  Figuren und Tropen)
                            •     Wortorientierte Analyse (u.a. Schlüsselwörter, nomina
                                  collectiva)

                                (übernommen von Decock & Schaffers, akzeptiert)

Im dritten Kapitel wird erläutert, mit welchen Analysekategorien sich diese Arbeit
beschäftigen wird und warum.

4
  “Der entscheidende Unterschied zwischen einer Methode und einer Methodologie besteht darin, dass Methoden
unmittelbar umsetzbare Verfahren der wissenschaftlichen Analyse anwendbar sind, während eine Methodologie
die Funktion der Entscheidungshilfe bzw. Begründung von Methoden hat“ (Spitzmüller & Warnke 2011; zitiert
in Felder, 2013, S. 91).
                                                                                                        17
2.3. Der Brexit

2.3.1. Großbritannien und die EU

Der Brexit ist ein Neologismus und besteht aus einer Zusammensetzung der englischen
Wörter Britain und Exit. Der Begriff bezeichnet den Austritt des Vereinigten Königreiches
aus der Europäischen Union (EU), einem wirtschaftlichen und politischen Staatenbund von 28
europäischen Ländern. Die Briten haben am 23. Juni 2016 anhand eines Referendums für
einen Brexit gewählt. In der ersten Phase der Verhandlungen zwischen Großbritannien und
der EU wurde abgemacht, dass der Austritt im März 2019 vollzogen werden soll.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg das Britische Empire durch die Dekolonisierung zerfiel,
versuchte Großbritannien seine wirtschaftliche und sicherheitspolitische Machtposition in der
Welt zu gewährleisten. Das Land „verfolgte in der Außenpolitik seine Drei-Kreis-Theorie,
nach der Großbritannien sich im Mittelpunkt dreier Kreise befand: des Commonwealth, der
USA und Kontinentaleuropas“ (Lehmkuhl, 2016, S.59). Die Absicht Großbritanniens war es,
seine Beziehungen auf internationaler Ebene, die es wegen der bevorzugten Position des
Britischen Empire erlangt hatte, zu sichern. Demzufolge nahm Großbritannien eine
abwartende Haltung gegenüber der europäischen Einigung in den 50er Jahren an.

Der Vorläufer der Europäischen Union, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG),
wurde mit dem Vertrag von Rom 1957 von den sechs Gründungsländern, das heißt, Belgien,
Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden errichtet. Ziel war es,
nach dem für manche Länder katastrophalen Zweiten Weltkrieg ein Europa des Friedens mit
wichtigen Werten wie Demokratie, Freiheit und Gleichstellung zu schaffen. Großbritannien
trat der EU erst bei der ersten Erweiterung 1973 zusammen mit Dänemark und Irland bei.
Von Ondarza (2016, S. 5) beschreibt, auf welchen Grundlagen diese Entscheidung beruhte:

       Die Beweggründe für den Beitritt waren anders als etwa in Frankreich und Deutschland primär
       wirtschaftlicher Natur. In den 1970er-Jahren galt Großbritannien als ‚sick man of Europe, der nach dem
       Verlust des Empire auch drohte, wirtschaftlich hinter der Entwicklung auf dem Kontinent
       zurückzubleiben.

Die Tatsache, dass Großbritannien nicht zu den Gründungsländern der EWG gehört und der
lediglich pragmatische Grund des Beitritts 1973 beweisen, dass das Land im Vergleich zu
Ländern wie Deutschland, Frankreich und Italien eine andere Perspektive auf das europäische
                                                                                                          18
Projekt hat. Deswegen wurde der wirtschaftliche Aufschwung Großbritanniens in den 80er
Jahren Geppert (2016) zufolge „nicht Europa zugeschrieben, sondern als Ergebnis eines
heroischen nationalen Alleingangs gegen Widerstände aus Brüssel interpretiert.“ Dieser
Gedanke wurde vor allem von der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher unterstützt
und verbreitet, da sie von Anfang an der Dominanz eines europäischen Superstaates skeptisch
gegenüberstand.

Im Laufe der Jahre hat sich Großbritannien als Mitglied der EU einerseits „für eine
Vertiefung des EU-Binnenmarkts und die Ausweitung des Freihandels eingesetzt“ (von
Ondarza, 2016, S.6) aber andererseits hat sich das Land vor allem auf außenpolitischer Ebene
von der EU-Politik entfremdet, weil es seine Beziehung zu den USA weiterführen wollte.
Außerdem gehört Großbritannien zusammen mit Bulgarien, Kroatien, Polen, Rumänien,
Schweden, der Tschechischen Republik, Ungarn und Dänemark nicht zum Euro-
Währungsgebiet (Europäische Union, 2018). Trotzdem haben nur Großbritannien und
Dänemark im Maastrichter Vertrag ein Recht auf Nichtteilnahme am Euro vereinbaren
können. Von Ondarza (2016, S.8) betont, dass sich Großbritannien auf diese Art und Weise
„in der EU einen Sonderstatus ausgehandelt hat und außen- und sicherheitspolitisch auf die
Kooperation mit den USA sowie die bilaterale Partnerschaft mit Frankreich setzt.“

Das Behalten der nationalen Souveränität ist für Großbritannien immer ein Grund gewesen,
die EU mit einem kritischen Blick zu betrachten. Wegen einer unterschiedlichen Annäherung
an die Verfassung als Deutschland zum Beispiel, sei es nach Geppert (2016) „aus britischer
Sicht nicht selbstverständlich, dass ein übernationales Pooling von Souveränität ein Ersatz für
verlorengegangene nationale Souveränität ist – oder gar eine Verbesserung gegenüber einem
solchen Zustand.“ Durch diesen Drang nach nationaler Souveränität sah sich der ehemalige
Premierminister David Cameron veranlasst, seinen Wählern im Wahlkampf 2013 ein
Referendum zum Brexit zu versprechen. Damit wollte er auf EU-kritische Stimmen innerhalb
seiner konservativen Partei und auch auf antieuropäische Parteien wie Ukip reagieren.

Obwohl Cameron oft Kritik an der EU äußerte, bevorzugte er selbst jedoch einen Verbleib,
weil er glaubte, dass der Brexit „die Sicherheit des Landes gefährden, Großbritannien auf
internationaler Bühne schwächen und der Wirtschaft schaden würde“ (Bukovec, 2016, S. 37).
Trotzdem konnte er sowohl Mitglieder seiner eigenen Partei, die für einen Austritt warben, als

                                                                                            19
auch die Mehrheit der britischen Bevölkerung nicht von einer weiteren Mitgliedschaft in der
Europäischen Union überzeugen.

2.3.2. Brexit-Referendum: Ergebnisse und deren Interpretation

Das Ergebnis des Referendums überraschte die Welt, weil fast alle Umfragen einen Sieg für
den sogenannten ‚Remain camp‘ vorhergesagt hatten. Trotzdem wählten über 70 Prozent der
Stimmberechtigten mit einer knappen Mehrheit von 51,9 Prozent zugunsten eines Brexit.
Unterstehende Grafik zeigt, wie die Briten abgestimmt haben:

                          Abbildung 2: Wahlergebnisse Brexit-Referendum
                                    (von der Zeit übernommen)

Aus der obigen Grafik geht hervor, dass es eine deutliche Spaltung zwischen dem Norden und
dem Süden gibt. Obwohl Schottland und Nordirland einen Verbleib in der EU bevorzugten,
wählten England und Wales sehr deutlich für einen Ausstieg. Es ist zudem besonders
auffallend, dass London, das Herz Großbritanniens, ‚Nein‘ zum Brexit gesagt hat. Es ist
wahrscheinlich, dass dies der Position Londons als einem der ökonomischen Zentren der Welt
zugeschrieben werden kann, da ein Brexit für die Stadt und deren Unternehmen und Banken
einen Zugang zum europäischen Markt erschweren würde. Ein letztes bedeutendes Ergebnis
stellt sich aus der nächsten Abbildung heraus:

                                                                                        20
Abbildung 3: Brexitbefürworter nach Altersgruppen (übernommen von der FAZ, 2016)

Diese Grafik zeigt ganz deutlich, dass ein Großteil der älteren Briten für einen Brexit gewählt
hat. Das unterschiedliche Stimmverhalten den Jüngeren gegenüber geht auf die Suche nach
Souveränität und die Sehnsucht nach dem Britischen Empire zurück, die auf eine ganz andere
Weise von den Altersgruppen erlebt werden. Georgi und Steppat (2016) verdeutlichen in
einem Artikel der Frankfurter Allgemeine Zeitung:

       Meinungsforscher erklären dies damit, dass die Alten „ihr Land“ aus der „guten alten Zeit“ zurückhaben
       wollen, in der die Dinge noch unilateraler und vor allem überschaubarer schienen. Die jüngeren Briten
       hingegen, die nur die Zeit der Globalisierung und des zusammenwachsenden Europas kennen, können
       sich ein Leben mit Grenzen längst nicht mehr vorstellen.

In diesem Zitat ist also von verschiedenen Generationen, die in einer anderen Welt
aufgewachsen sind und deshalb der derzeitigen gesellschaftlichen Lage unterschiedlich
gegenüberstehen, die Rede.

Es stellt sich nun die Frage, welche Aspekte der Wahlkampfdebatten ausschlaggebend für das
Brexit-Ergebnis gewesen sind. In seiner Analyse stellt John Lancaster (2016) fest, dass sich
die Kampagne der Brexit-Gegner zu viel auf wirtschaftliche Argumente fokussiert hat. Da ein
Großteil der britischen Bevölkerung sich wirtschaftlich unterdrückt fühlt, war dies keine gute
Strategie. Seiner Meinung nach hat die Leave-Kampagne dieses Gefühl der Unterdrückung
besser angesprochen, indem sie eher einen emotionellen als einen inhaltlichen Ansatz
verwendet hat.

Außerdem widmete das Leave-Lager dem Thema der Zuwanderung, das in Großbritannien
besonders umstritten ist, viel Aufmerksamkeit. Bukovec (2016, S.50) erläutert: „Viele
britische EU-Kritiker stören sich am unbeschränkten Zuzug aus anderen EU-Staaten. Die
Einwanderung Hunderttausender EU-Bürger aus osteuropäischen Staaten in den vergangenen

                                                                                                          21
Jahren habe die britischen Sozialsysteme zu stark belastet.“ Die Brexit-Befürworter haben mit
anderen Worten erkannt, was bei der britischen Bevölkerung eine wichtige Rolle spielt, und
sie haben dies erfolgreich ausgenutzt, indem sie mit dem Versprechen geworben haben, ein
Brexit würde es erlauben, die Kontrolle zurückzugewinnen (Lancaster, 2016). Die nationale
Souveränität war demnach ein der Hauptargumente zum Ausstieg.

Darüber hinaus spielten die britischen Medien in der Debatte um die Mitgliedschaft in der EU
eine wesentliche Rolle. Manche Zeitungen vertraten öffentlich ihre eigene Meinung zur
Beantwortung der Brexit-Frage und versuchten auf diese Weise ihre Leser zu überzeugen.
Auch in den Medien traten im Allgemeinen dieselben Argumente in den Vordergrund: „Die
Boulevardblätter Sun und der Labour-nahe Daily Mirror konzentrierten sich auf Fragen der
Souveränität (und also auf Themen wie Einwanderung), während sich die großformatigen
Zeitungen – etwa der Guardian, die Times und der Daily Telegraph – überwiegend mit den
wirtschaftlichen Folgen befassten“ (Zastiral, 2016). Auf diese Weise wird die These, dass
Sprache bzw. Diskurse das soziale Denken und Handeln beeinflussen, bestätigt.

Diskurse bestimmen mit anderen Worten, welche gesellschaftlichen Themen Teil der
öffentlichen Debatte sind und helfen den Menschen damit, eine Meinung zu diesen Themen
zu bilden. In diesem Zusammenhang merkte Kentish (2016) in seinem Artikel an, dass die
Vertreter der Leave-Kampagne weitgehend koloniale Metaphern und Referenzen zu dem
Britischen Empire benutzten. Damit wollten sie sich von den kontinentaleuropäischen
Ländern unterscheiden und betonen, dass die Insel anders ist. Die Sprache, die sie verwenden
und die Einführung von Begriffen wie ‚Brexiteers‘ sollten dabei helfen, einen Austritt aus der
EU zu begründen.

2.3.3. Folgen des Brexit für die EU

Das Vollziehen des Brexit wird sowohl wirtschaftlich als auch politisch eine Vielfalt an
Auswirkungen auf nationaler und internationaler Ebene haben. Vor allem die EU steht vor
einigen Herausforderungen, da die Mitgliedstaaten sich überlegen sollen, wie sie auf den
Brexit reagieren werden und wie die Zukunft der EU aussehen soll.

Mit Großbritannien verliert die Europäische Union ihre zweitgrößte Volkswirtschaft, und ein
Brexit erschwert die unterschiedlichen Handelsbeziehungen. Theurer (2016, S.21) weist
                                                                                           22
darauf hin, dass fast alle EU-Staaten die Folgen eines Brexit tragen werden, „denn mehr als
die Hälfte der britischen Importe stammen aus dem EU-Raum.“ Großbritannien ist für
manche europäischen Unternehmen ein wichtiger Absatzmarkt. Deshalb könnte sich der
Brexit negativ auf den europäischen Binnenmarkt auswirken: Die britische Nachfrage nach
europäischen Produkten und Diensten wird voraussichtlich senken.

Die Frage, ob es zu einem ‚harten‘ oder einem ‚weichen‘ Brexit kommen wird, wird für die
wirtschaftlichen Folgen entscheidend sein. Im ersteren Fall wird Großbritannien nach den
Brexit-Verhandlungen nicht mehr zum Binnenmarkt und zur Zollunion gehören, was zu einer
allgemeinen Erhöhung der Warenpreise führen wird. Im letzteren Fall hätte das Land, ähnlich
wie Norwegen und die Schweiz, ein Handelsabkommen mit der EU. Theurer (2016, S.22)
zufolge will Großbritannien dies aber vermeiden, weil es dann im Gegenzug bestimmte EU-
Regelungen wie die freie Zuwanderung von Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten
übernehmen soll. Zudem nennt er es „eine wohl nicht hinnehmbare Auflage für viele britische
EU-Gegner, denn die ungeliebten Einwanderer vom Kontinent und die offenen Grenzen
innerhalb der EU gehören zu den Hauptgründen dafür, warum sie den Staatenbund ablehnen.“

Im Rahmen der politischen Folgen des Brexit wird sich die EU erneut definieren müssen,
wenn sie diese neue Krise unter Kontrolle halten möchte. Nach Patel und Reh (2016) könnte
der Brexit die globale Rolle der EU schwächen, weil Großbritannien über ein diplomatisches
Netzwerk, Möglichkeiten zur internationalen Zusammenarbeit und ‚soft power‘ verfügt, von
denen die EU nicht länger auf ähnliche Weise profitieren kann. Außerdem sei Großbritannien
die größte militärische Macht innerhalb der EU. Deshalb wird die Zukunft der Europäischen
Union von manchen Experten in Frage gestellt, und wird von Frankreich und Deutschland
erwartet, dass sie ihre Verantwortung übernehmen, um den Staatenbund zusammenzuhalten.

Nach dem Brexit fürchteten sich manche Politiker innerhalb und außerhalb der EU vor einem
sogenannten ‚Dominoeffekt‘, das heißt, dass andere Mitgliedstaaten den Versuch
unternehmen würden, ebenfalls einen Ausstieg aus der EU zu vollziehen. Möller (2016, S.18)
erörtert: „Länder, in denen Europakritiker gleichermaßen auf dem Vormarsch sind, könnten
sich dem britischen Beispiel anschließen in der Hoffnung, im Zuge eines Austritts ihrerseits
‚bessere‘ Konditionen für das eigene Land auszuhandeln.“ Aufgrund der wachsenden
gesellschaftlichen Unzufriedenheit im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise, gewinnen die

                                                                                         23
antieuropäischen Parteien in manchen Ländern an Popularität und wird der Ruf nach einem
Exit aus der EU in bestimmten Staaten immer größer.

In diesem Hinblick ist es vor allem für Frankreich und Deutschland eine Herausforderung, die
Mitgliedstaaten im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik zu einigen. Es ist ihre Aufgabe,
eine neue EU-Agenda festzulegen, mit der sie die anderen Länder und deren Bürger davon
überzeugen, dass die Union sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene eine
Zukunft hat. Der Austritt des schwierigsten EU-Partners bildet also mit Hilfe eines
reformierten Europäischen Parlaments eine Chance zum weiteren Ausbau des Staatenbunds.

2.4. Die europäische Identität

In dieser Arbeit wird untersucht, wie sich deutschsprachige Medien in ihrer Berichterstattung
über den Brexit gegenüber dem Konstrukt der europäischen Identität positionieren. Zu diesem
Zweck soll das Konstrukt der europäischen Identität näher erklärt werden: Was beinhaltet es,
und durch welche Eigenschaften wird es gekennzeichnet? Es soll betont werden, dass alle
kollektiven Identitäten im Laufe der Geschichte auf eine einzigartige Weise und von oben
herab geprägt worden sind. Dies gilt auch für die europäische Identität.

Eine kollektive Identität geht immer von einem Kollektiv aus, einer imaginierten
Gemeinschaft, die auf die Idee gründet, dass man über gemeinsame Normen, Werte,
Ideologien sowie über eine geteilte Geschichte verfügt. Dabei ist nicht nur von Inklusion,
sondern auch von Exklusion die Rede: „Wenn wir von kollektiver Identität sprechen, so
behaupten wir eine gewisse Ähnlichkeit der Angehörigen einer Gemeinschaft im Unterschied
zu den Außenstehenden“ (Giesen & Seyfert, 2013, S.39). Demnach stellt das Phänomen der
Abgrenzung an sich das Fundament einer kollektiven Identität dar, die sich aus
gruppenspezifischen Eigenschaften zusammensetzt und entwickelt.

Darüber hinaus merkt Schatilow (2006) an, dass „narrative Mittel“ der kollektiven Identität
zugrunde liegen und für deren Gestaltung verantwortlich sind. Er stellt die Konstruktion einer
kollektiven Identität wie folgt dar:

       Es sind meist Intellektuelle, die Eigenschaften anführen, hinsichtlich derer sich die Angehörigen des
       Kollektivs gleichen sollen. Diese Eigenschaften bauen sie als Prädikate in Erzählungen über das
       Kollektiv ein, um sie ihren Artgenossen als Identifikationsangebot zu unterbreiten.

                                                                                                         24
Die kollektive Identität kann also als eine soziale Konstruktion definiert werden, die stark mit
nationalen Mythen und Narrativen verknüpft ist. Diese sind ein wesentlicher Bestandteil der
Identitätsbildung und werden außerdem als notwendig zum Erhalten der Identität betrachtet.
Entscheidend für diese soziale Konstruktion ist das Schaffen eines Zugehörigkeitsgefühls.

Kurz zusammengefasst teilen alle Mitglieder einer Gesellschaft dieselbe kollektive Identität
mit bestimmten Normen und Werten, die diese Mitglieder von den Mitgliedern einer anderen
Gemeinschaft unterscheidet. Auch die Europäische Union definiert sich auf diese Art und
Weise und behauptet, dass „alle EU-Mitglieder die EU-Werte teilen: Sie streben eine
Gesellschaft    an,   in   der    Inklusion,    Toleranz,    Rechtsstaatlichkeit,     Solidarität   und
Nichtdiskriminierung selbstverständlich sind“ (Europäische Union, 2018). Obwohl die EU
kein Staat in der traditionellen Bedeutung des Wortes ist, verfügt sie doch über einige
wesentliche Merkmale einer Eigenstaatlichkeit wie zum Beispiel ein Parlament (Meyer &
Eisenberg, 2009). Aufgrund dieses Status als Superstaat ist die EU in der Lage, ähnlich wie
die individuellen Nationen, eine Art transnationale Identität von oben herab zu entwickeln.

Nach Jansen (1999, S.29) erklären folgende Faktoren den Prozess der europäischen
Einbindung und das Entstehen einer supranationalen Europäischen Union:

    -   The experience of history acquired by the peoples and states of Europe both in war
        and peaceful exchange;
    -   Common cultural bases5 even if their expression has been diverse;
    -   Economic necessity and shared practical interest within the market which transcend
        the national and continental framework;
    -   The setting of limits in relation to an enemy power which poses a threat to freedom
        and integrity (the USSR with its aggressive ideology and totalitarian regime).

Vor diesem Hintergrund machte die EU im Jahr 1973 in der Kopenhagener Erklärung zur
Europäischen Identität einen ersten Schritt zum Schaffen eines kollektiven europäischen
Gemeinschaftsgefühls. In dieser Erklärung hieß es unter anderem: „reviewing the common
heritage, interests and special obligations of the nine Member States, as well as the degree of

5
  Die gemeinsame kulturelle Basis ist Jansen zufolge das Ergebnis einer Kombination der griechisch-
romanischen Kultur und der germanisch-slawischen Kultur. Er meint, der maßgebende Faktor dieser Basis sei
das Christentum (1999).
                                                                                                      25
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