Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace

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Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
Mobilitätswende
  ausgebremst
Das EU-Mercosur-Abkommen
   und die Autoindustrie
Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
Mobilitätswende
  ausgebremst
Das EU-Mercosur-Abkommen
   und die Autoindustrie
Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
4           Mobilitätswende ausgebremst
            Das EU-Mercosur-Abkommen und die ­Autoindustrie
            Veröffentlicht im Auftrag von:
Impressum

            Attac Deutschland, Münchener Straße 48, 60329 Frankfurt
            www.attac.de

            Attac Österreich, Margaretenstraße 166, 1050 Wien
            www.attac.at

            Deutsche Umwelthilfe, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin
            www.duh.de

            Greenpeace e. V., Hongkongstraße 10, 20457 Hamburg
            www.greenpeace.de

            Misereor e. V., Mozartstraße 9, 52064 Aachen
            www.misereor.de

            Netzwerk Gerechter Welthandel, Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
            www.gerechter-welthandel.org

            Powershift e. V., Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
            www.power-shift.de

            Autor:
            Thomas Fritz

            Redaktion:
            Armin Paasch, Tina Lutz, Jeremy Oestreich,
            Alexandra Strickner, Hanni Gramann, Theresa Kofler, Jürgen Knirsch

            Bildredaktion:
            Hendrik Schnittker, Caroline Binkowski

            Layout, Satz / Reinzeichnung:
            Tilla Balzer I buk.design

            Titelbild:
            Chris Freeman

            Druck und Auflage:
            Gedruckt auf 100% Recyclingpapier von Hinkelstein Druck (Berlin),
            Auflage 700 Exemplare

            V. i. s. d. P.:
            Jürgen Knirsch, Greenpeace e. V., Hongkongstraße 10, 20457 Hamburg

            Alle Links in den Fußnoten wurden am 16.02.2022 auf Gültigkeit
            ­überprüft.

            Berlin, Juni 2022
Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
Inhaltsverzeichnis                                                                                                                                       5

                                                                                                                                                        Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung ..................................................................................................................... 6

1. Einleitung ................................................................................................................................... 9

2.	Lobbyismus:
    Kooperation zwischen Regierungen und Verbänden ............................... 11

3.	Vertragsbestandteile zum N
                             ­ utzen der Autoindustrie ............................... 14

	Infobox: EU-Mercosur-Abkommen:
  Von diesen Regeln profitiert die Autoindustrie ............................................. 16

4.	Ungleicher Tausch:
    Handel zwischen EU und Mercosur ....................................................................... 17

5.	Fokus Autohandel:
    Absatzmarkt Mercosur .................................................................................................... 19

6.	E-Autos für Europa, Verbrenner für den Mercosur ..................................... 24

	Infobox: Proálcool-Programm:
  Erdöl sparen, Zuckerrohr stützen, VWs kaufen ............................................. 26

7.	Rohstoffhandel:
    Der Bergbau und seine Katastrophen ................................................................ 28

8.	Bioethanol:
    Konflikte um den Zuckerrohranbau ..................................................................... 33

9.	Biodiesel:
    Expansion der Sojafront ................................................................................................ 36

10.	Ledersitze für PKW:
     Waldvernichtung in Amazonien .............................................................................. 38

11.	Beschäftigte:
     Furcht vor Verdrängungswettbewerb und Jobverlusten ....................... 41

12.	Automobilanhang:
     Anerkennung ­defizitärer Zulassungen und Tests ...................................... 44

13.	Unzureichend:
     Klauseln zur Risikoprävention .................................................................................. 46

14. Schlussfolgerungen und Empfehlungen ......................................................... 49

Endnoten ......................................................................................................................................... 54

Bildnachweise .............................................................................................................................. 59
Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
6

    Zusammenfassung
Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
Die bisher veröffentlichten Vertragsteile des geplanten Assoziierungs-
abkommens zwischen der EU und dem Mercosur enthalten zahlreiche
                                                                              7
Regelungen, die die europäische Autoindustrie, ihr ressourcenintensives
Produktionsmodell und ihre Lieferketten teils erheblich begünstigen.

                                                                              Zusammenfassung
Zugleich enthält das Abkommen keine effektiven Regelungen, um die
ökologischen und menschenrechtlichen Risiken der Autoindustrie ein-
zugrenzen. Ganz im Gegenteil haben die Vertragsparteien zahlreiche
Vereinbarungen getroffen, die den Handel mit riskanten Rohstoffen,
Komponenten und Endprodukten der Autoindustrie noch vergrößern
sollen. Das Lobbying der EU-Autoindustrie war insofern überaus er-
folgreich. Leidtragende aber sind Mensch und Umwelt beiderseits des
Atlantiks.

Die Befunde im Einzelnen:

ʇ   Der Lobbyismus für die Autoindustrie geht nicht nur von den Kon-
    zernen aus, sondern in großem Maße von der Ministerialbürokratie
     selbst. Pro-aktiv gingen Mitarbeiter*innen des deutschen Wirtschafts­
     ministeriums und der EU-Kommission auf die Hersteller zu, um deren
    Wünsche zu erfragen und in die Verhandlungen mit dem Mercosur
     einzuspeisen.

ʇ    rgebnis des Lobbyings sind zahlreiche Vertragselemente, von denen
    E
    die EU-Autoindustrie profitiert, darunter die Beseitigung von Zöllen
    auf Autos, Autoteile, mineralische Rohstoffe und Biodiesel sowie eine
    EU-Importquote für Bioethanol. Die Mercosur-Staaten verzichten fer-
    ner auf diverse Exportsteuern, anerkennen schwache EU-Tests und
    Zertifikate und willigen in flexible Herkunftsregeln ein, die den Wett-
    bewerbsdruck auf ihren Märkten verstärken. Schließlich profitiert die
    Autoindustrie von den defizitären Schutzinstrumenten des Vertrags,
    die dessen ökologische und menschenrechtliche Risiken kaum be-
    grenzen können.

ʇ    ie EU-Autoindustrie, die mit zahlreichen Produktionsstätten im Mer-
    D
    cosur vertreten ist, dominiert auch den interregionalen Handel und
    erzielt für die EU seit vielen Jahren einen überaus hohen Handels­
    überschuss gegenüber dem Mercosur. Der Handel mit Kraftfahr-
    zeugteilen ist dabei weit bedeutsamer als der mit Autos. Bei den
    EU-PKW-Exporten in den Mercosur entfällt der Löwenanteil noch
    immer auf Benziner. Im Hinblick auf die innereuropäischen Antei-
    le dominieren mit großem Abstand deutsche Hersteller den EU-­
    Mercosur-Handel.

ʇ    isher setzen europäische Firmen nur sehr geringe Anteile von
    B
    ­E-­Autos im Mercosur ab. Die E-Mobilität ist in der Region noch nicht
     sehr weit verbreitet und hat bisher auch nur eine geringe staatliche
     Förderung erfahren. Hinzu kommt in Brasilien die starke Konkurrenz
     durch die Flex-Fuel-PKW, die mit beliebigen Mischungen aus Benzin
     und Bioethanol betankt werden. Der Löwenanteil des Bioethanols
     wird in Brasilien aus Zuckerrohr erzeugt.

ʇ    ie vereinbarten Zollsenkungen tragen dazu bei, die Rohstoff­
    D
    versorgung der Autoindustrie abzusichern und zu verbilligen. Dies
    gilt vor allem für Eisen, Stahl, Kupfer, Lithium sowie diverse weiter­
    verarbeitete Rohstoffe. Doch verursachen die Bergbau-Aktivitäten
    vor allem in Argentinien und Brasilien zahlreiche Konflikte mit loka-
    len Gemeinschaften und indigenen Gruppen. Auslöser sind dabei
    nicht nur Umweltschäden beim Rohstoffabbau, sondern auch teils
    ­schwere Menschenrechts­verletzungen.
Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
8                 ʇ   Im ariden Norden Argentiniens etwa protestieren lokale Gemein-
                       schaften gegen die dortige Lithium-Förderung. Ihre Kritik richtet sich
                       gegen den hohen Wasserverbrauch und die giftigen Rückstände der
                      Minen. In Brasilien wiederum steht das Eisenerz für eine der größten
Zusammenfassung

                      Bergbaukatastrophen, als im Januar 2019 in der Gemeinde Bruma-
                       dinho der Damm eines Rückhaltebeckens brach und 272 Menschen
                       das Leben kostete. Kurz zuvor hatte eine brasilianische Tochter des
                       deutschen TÜV Süd die Stabilität des Damms zertifiziert.

                  ʇ    ie Vertragsbestimmungen zu Agrotreibstoffen verstärken ebenfalls
                      D
                      ökologische und menschenrechtliche Risiken. Die Bioethanolquote der
                      EU begünstigt die Expansion brasilianischer Zuckerrohrplantagen, die
                      mit Umweltschäden und Landkonflikten einhergeht. Ähnlich ­befördert
                      der von Argentinien zugestandene Abbau von Export­steuern auf Soja
                      und Biodiesel die Expansion der Sojafront und weitere Entwaldung.

                  ʇ    as Abkommen verstärkt zudem die Nachfrage nach Rindsleder, das
                      D
                      die europäische Autoindustrie zu Ledersitzen verarbeitet. Laut dem
                      Vertrag beseitigt die EU Importzölle, die Mercosur-Staaten Export-
                      steuern auf Rindsleder. Doch in Brasilien, Argentinien und Paraguay
                      tragen die Rinderherden erheblich zur Entwaldung bei. Aufgrund
                      mangelhafter Systeme der Rückverfolgung können europäische
                      Autohersteller nicht garantieren, dass ihr Leder nicht aus illegaler
                      Brandrodung etwa in Amazonien stammt. Auch schwere Menschen-
                      rechtsverletzungen am Ursprung ihrer Lieferketten, wie Angriffe auf
                      Indigene und Landarbeiter*innen, können sie nicht ausschließen.

                  ʇ    er rasche Zollabbau auf Autos und Autoteile sowie die Herkunfts­
                      D
                      regeln verschärfen den Wettbewerbsdruck vor allem auf die Autoin-
                      dustrie des Mercosur. Durch die Flexibilisierung der Herkunftsregeln
                      genießen billige Vorprodukte aus Drittstaaten, die in EU-Exporten
                      enthalten sind, die Zollpräferenzen des Mercosur. Der dadurch ver-
                      schärfte Wettbewerb gefährdet dortige Arbeitsplätze und verstärkt
                      die Tendenz zur Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse.

                  ʇ   Das Abkommen schwächt die Bemühungen, die Emissionen der
                      Autoflotte zu reduzieren. Im Automobilanhang des Vertrags willi-
                       gen die Mercosur-Staaten grundsätzlich ein, Tests und Zertifikate
                       der Auto­mobil­zulassung anzuerkennen, die auf Basis von UNECE-
                       oder EU-Regulierungen erfolgten. Doch die schwachen Test- und
                      Zulassungs­verfahren in der EU erleichterten den Autokonzernen
                       nicht nur Abgasmanipulationen, sondern ermöglichen ihnen auch
                       heute noch die rechnerische Schönung ihrer Emissionsbilanzen.

                  ʇ    usätzlich profitiert die Autoindustrie von der defizitären Ausgestal-
                      Z
                      tung jener Bestimmungen des Abkommens, die ökologische, soziale
                      und menschenrechtliche Risiken eindämmen sollen. Zu nennen sind
                      hier vor allem das nicht-sanktionsbewehrte Nachhaltigkeitskapitel,
                      die fehlende Operationalisierung des Pariser Klimaschutzabkom-
                      mens sowie der Mangel an effektiven Regeln zu unternehmerischen
                      Sorgfaltspflichten oder entwaldungsfreien Lieferketten. Nicht zuletzt
                      ist zu befürchten, dass das Abkommen mit einer nur schwachen
                      Menschenrechtsklausel ausgestattet wird. Aufgrund dieser Defizite
                      kann es entlang der transatlantischen Lieferketten der Automobil-
                      industrie weiterhin zu erheblichen Umweltschäden und schweren
                      Menschenrechtsverletzungen kommen.

                  ʇ    ufgrund der schwachen Instrumente zur Risikoprävention er-
                      A
                      schwert das Abkommen eine sozial-ökologische Regulierung der
                      Autoindustrie – unabhängig davon, ob sie auf Verbrennungs- oder
                      Elektromotoren basiert. Durch die Begünstigung der Automobilwirt-
                      schaft behindert es zudem die erforderliche Mobilitätswende, etwa
                      Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung und zur Zurückdrängung mo-
                      torisierten Individualverkehrs zugunsten öffentlicher Transportmittel.
Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
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1. Einleitung
Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
10                                              Die Automobilindustrie spielt eine zentrale Rolle bei der Ausgestal-
                                                tung der EU-Handelspolitik – ein Phänomen, das erst in den letzten
                                                Jahren eine größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erreichte.
                                                Entsprechend tragen auch die Handelsabkommen der EU eine kaum
1. Einleitung

                                                übersehbare Handschrift der Automobilkonzerne und der mit ihnen
                                                verbundenen Zuliefer- und Rohstoffindustrien. Doch die enge Aus-
                                                richtung der EU-Handelspolitik an den Interessen der europäischen
                                                Automobilwirtschaft konterkariert in zunehmendem Maße wichtige ge-
                                                sellschaftspolitische Ziele wie den Kampf gegen den Klimawandel und
                                                die Durchsetzung der Menschenrechte – Ziele, denen auch die Europäi-
                                                sche Union verpflichtet ist.

                                                Die vorliegende Publikation untersucht die enge Verflechtung der Han-
                                                delspolitik mit dem Automobilsektor am Beispiel eines der problema-
                                                tischsten EU-Handelsverträge, dem geplanten Assoziierungsabkommen
                                                mit dem Mercosur – dem Staatenbund aus Argentinien, Brasilien, Para-
                                                guay und Uruguay. Die EU-Kommission verkündete Ende Juni 2019, sie
                                                habe eine Grundsatz-Einigung über ein Handelsabkommen mit dem
                                                Mercosur erzielt, und hat seither einige Teile des Vertrags veröffentlicht.1
                                                Dieser soll Teil eines umfassenderen Assoziierungsabkommens mit dem
                                                Mercosur werden. Auch für die übrigen Teile des Assoziierungsabkom-
                                                mens wurden die Verhandlungen am 18. Juni 2020 abgeschlossen. 2 Des-
                                                sen Text jedoch blieb bisher unveröffentlicht. 3

                                                Die Verhandlungen sind allerdings noch längst nicht abgeschlossen.
                                                Denn bisher wurde das Assoziierungsabkommen weder unterzeich-
                                                net noch ratifiziert. Daher besteht noch immer die Möglichkeit, dass es
                                                scheitert. Denn das Abkommen trifft nicht nur in der Zivilgesellschaft
                                                auf erhebliche Vorbehalte, sondern auch unter den Regierungen meh-
                                                rerer EU-Mitgliedsstaaten. Diese Vorbehalte wurden zusätzlich durch die
                                                Politik der aktuellen brasilianischen Regierung genährt. Unter der Prä-
                                                sidentschaft von Jair Bolsonaro haben die Brände im Amazonasgebiet
                                                und in anderen brasilianischen Regionen sowie gewaltsame Landkon-
                                                flikte erheblich zugenommen. Zugleich schwächte die Bolsonaro-Regie-
                                                rung Arbeits- und Umweltnormen ab.

                                                                                     Die Publikation untersucht die enge Ko-
                                                                                     operation zwischen der Europäischen
                                                                                     Kommission und den Verbänden der Au-
                                                                                     tomobilwirtschaft während der EU-Mer-
                                                                                     cosur-Verhandlungen und analysiert die
                                                                                     Regelungen des Vertragstextes, die die
                                                                                     europäische Autoindustrie besonders be-
                                                                                     günstigen. Daneben zeigt sie auf, welche
                                                                                     ökologischen, sozialen und menschen-
                                                                                     rechtlichen Risiken diese Vereinbarungen
                                                                                     im Einzelnen bergen. Deutlich wird dabei,
                                                                                     dass das EU-Mercosur-Abkommen den
                                                                                     Handel mit problematischen Rohstoffen,
                                                                                     Komponenten und Endprodukten der
                                                                                     Autoindustrie noch erheblich ausweiten
                                                                                     kann. Zugleich aber fehlen in dem bis-
                                                                                     her vorliegenden Vertragswerk effektive
                                                                                     Schutzbestimmungen, um die ökologi-
                                                                                     schen und menschenrechtlichen Risiken
                                                                                     der Autoindustrie eindämmen zu können.
                Autoflotte vor der Verschiffung in Bremerhaven. Die EU exportierte   Durch die Begünstigung dieser Branche
                       2020 Autos im Wert von 3,7 Milliarden Euro in den Mercosur.   behindert das Abkommen schließlich
                                                           Foto: Ra Boe, Wikimedia
                                                                                     auch eine erforderliche Mobilitätswende,
                                                                                     die auf Verkehrsvermeidung und die Zu-
                                                                                     rückdrängung des motorisierten Indivi-
                                                                                     dualverkehrs abzielt.
11

2. Lobbyismus: Kooperation zwischen
         Regierungen und Verbänden
12                                                              Der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) lässt keinen Zwei-
                                                                fel an der hohen Bedeutung, die er dem EU-Handelsvertrag mit dem
                                                                südamerikanischen Staatenbund beimisst: „Das Abkommen mit dem
                                                                Mercosur hat eine hohe Priorität für die deutsche und europäische
2. Lobbyismus: Kooperation zwischen Regierungen und Verbänden

                                                                Automobilindustrie, denn die Länder des Mercosur sind wichtige Zu-
                                                                kunftsmärkte.“ 4 Dank einer engen Abstimmung mit der deutschen
                                                                Bundesregierung und der EU-Kommission konnte die Autoindustrie ei-
                                                                nen Großteil ihrer Forderungen in den seit Mitte 2019 vorliegenden Teilen
                                                                des Vertragstextes durchsetzen.

                                                                Entsprechend sparte der VDA nicht mit Lob, als die EU-Kommission Ende
                                                                Juni 2019 die politische Einigung mit dem Mercosur verkündete: „Dieses
                                                                Abkommen ist ein großer Erfolg für Europa und die Kommission“, erklärte
                                                                der seinerzeitige VDA-Präsident Bernhard Mattes. Der Abbau von Zöllen
                                                                und technischen Handelshemmnissen werde sowohl den Autoherstel-
                                                                lern als auch ihren Zulieferern nützen. Mattes verwies daneben auf die
                                                                großen deutschen Investitionen im Mercosur, etwa in Brasilien: „Dort sind
                                                                deutsche Hersteller und Zulieferer mit über 120 Produktionsstandorten
                                                                vertreten. Hinzu kommen über 20 Standorte in Argentinien“. 5

                                                                Dabei zeigen Dokumente der Bundesregierung und der EU-Kommis-
                                                                sion zu den Mercosur-Verhandlungen, die durch Informationsfreiheitsan-
                                                                fragen6 zugänglich wurden, dass der Lobbyismus für die Autoindustrie
                                                                nicht nur von den Konzernen betrieben wird, sondern in großem Maße
                                                                von der Ministerialbürokratie selbst ausgeht. Pro-aktiv gingen Mitarbei-
                                                                ter*innen des deutschen Wirtschaftsministeriums und der EU-Kom-
                                                                mission auf die Hersteller zu, um deren Wünsche zu erfragen und in die
                                                                Verhandlungen mit dem Mercosur einzuspeisen.

                                                                Am 29. Mai 2017 etwa sandte eine Mitarbeiterin des Bundesministeriums
                                                                für Wirtschaft und Energie (BMWi) eine E-Mail an den VDA betreffend
                                                                die „EU-Mercosur Verhandlungen“. Das Ministerium wollte insbesondere
                                                                wissen, mit welchen Übergangsfristen die Zölle auf Seiten des Merco-
                                                                sur nach den Wünschen des VDA abgebaut werden sollen: „Daher bitte
                                                                ich Sie“, heißt es in der E-Mail, „Ihre Mitgliedsunternehmen zu befragen,
                                                                welche Übergangsfristen als geeignet erscheinen.“ Ergänzend fragte
                                                                die Mitarbeiterin, ob bei den Übergangsfristen „zwischen Zöllen für Zwi-
                                                                schenprodukte und Endprodukte“ unterschieden werden solle. Sie fügte
                                                                hinzu: „Wir würden diese Position dann über die EU-Kommission in die
                                                                Verhandlungen einbringen.“ 7

                                                                In seiner Antwort-Mail8 übersandte der VDA dem BMWi einen Brief sei-
                                                                ner beiden europäischen Dachverbände ACEA und CLEPA an die dama-
                                                                lige Handelskommissarin Cecilia Malmström. In ihrem Brief fordern die
                                                                beiden Verbände die vollständige Beseitigung aller Mercosur-Zölle auf
                                                                die EU-Exporte von Autos und Autoteilen. Die Zölle auf PKW und Trans-
                                                                porter sollten nach zehn Jahren auslaufen, die auf Autoteile nach einer
                                                                Übergangsfrist von zwei bis fünf Jahren. Ferner forderten die Verbände
                                                                einen spezifischen Vertragsanhang, der sich der Beseitigung nicht-
                                                                tarifärer Handelshemmnisse für Autos und Autoteile widmen soll, vor
                                                                allem der Anerkennung europäischer Tests, Zertifizierungs- und Zulas-
                                                                sungsverfahren. Daneben solle der Vertrag für einfache und konsistente
                                                                Herkunftsregeln sorgen. Diese Regeln bestimmen, wie groß der im Her-
                                                                kunftsland erbrachte Wertschöpfungsanteil an einem Exportprodukt
                                                                mindestens sein muss, um in den Genuss der Zollpräferenzen des Han-
                                                                delsvertrags zu kommen.9

                                                                ACEA (Association des Constructeurs Européens d’Automobiles) re-
                                                                präsentiert 15 in Europa tätige Autohersteller, darunter VW, Daimler
                                                                und BMW, während CLEPA (Comité de liaison européen des fabricants
                                                                d’équipements et de pièces automobiles) die europäischen Autozulie-
                                                                ferer organisiert. Diesem Verband gehören u.a. die deutschen Firmen
                                                                Bosch, Continental, ZF Friedrichshafen, Mahle, Schaeffler, Thyssenkrupp
                                                                sowie der österreichische Zulieferer Magna an.
Ebenso intensiv betreute die EU-Kommission die Automobilindustrie.
Nachdem sie die Verhandlungen mit dem Mercosur nach einem län-
                                                                            13
geren Stillstand im Jahr 2016 wieder aufgenommen hatte, lancierte sie
im Juli 2016 eine Konsultation auf Grundlage eines ausführlichen Frage­

                                                                            2. Lobbyismus: Kooperation zwischen Regierungen und Verbänden
bogens, die sich exklusiv an die EU-Industrie richtete und an der auch
Verbände des Automobilsektors teilnahmen. Die Antworten blieben je-
doch unveröffentlicht.10

Zusätzlich gab es zwischen Mai 2016 und Januar 2020 diverse Treffen
von Kommissionsvertreter*innen, darunter die Handelskommissar*in-
nen C ­ ecilia Malmström und Phil Hogan, mit ACEA und einzelnen Auto­
konzernen, bei denen das Mercosur-Abkommen zur Sprache kam. Einige,
teils umfangreich geschwärzte Dokumente dieser Treffen konnten nach
einer Informationsfreiheitsanfrage durch das Forum Umwelt und Ent-
wicklung über das zivilgesellschaftliche Portal „AsktheEU“ der Öffent-
lichkeit zugänglich gemacht werden.11

Eines dieser Dokumente enthält einen Kommissionsbericht über ein
Treffen zwischen ACEA und Sandra Gallina von der Generaldirektion
Handel der EU-Kommission vom März 2017. Laut dem Bericht erklärte
die Kommissionsvertreterin, „ein starkes Ergebnis“ für die Auto- und
Zuliefer­industrie sei ein „sine qua non“ – eine unabdingbare Voraus-
setzung – für das EU-Mercosur-Abkommen.12 Am 1. Juni 2017 hielt EU-­
Kommissarin Malmström eine Rede bei einem Lunch-Meeting mit
ACEA, in der sie die Zusammenarbeit mit der Autoindustrie bei der Be-
seitigung von Handelsbarrieren beschwor. Allein die Mercosur-Einfuhr-
zölle auf Autos und Autoteile kosteten EU-Unternehmen eine Milliarde
Euro, so Malmström.13 In ihrer Antwort auf den gemeinsamen Brief von
ACEA und CLEPA versicherte die EU-Kommissarin im Juli 2017, „dass die
Sektoren der Autos und Autoteile eine Priorität der Verhandlungen über
Zölle und nichttarifäre Handelsaspekte bleiben.“ Sie stimmte den Forde-
rungen der beiden Verbände zu und ergänzte: „Ich kann Ihnen mitteilen,
dass diese verschiedenen Gegenstände und Vorschläge mit dem Mer-
cosur diskutiert werden.“ 14

Weitere Kommissionstreffen mit der Autoindustrie folgten im Februar,
März und Juni 2018 sowie im Mai 2019, kurz vor der politischen Einigung
zwischen der EU und dem Mercosur. Die breite Kritik aber, die das Ab-
kommen unter anderem aufgrund der zunehmenden Waldvernichtung
in Amazonien erfuhr, spiegelte sich auch in den Lobbygesprächen wi-
der. So traf sich Cristina Rueda-Catry, Mitglied des Kabinetts von Han-
delskommissar Phil Hogan, im Dezember 2019 mit Vertreter*innen von
ACEA, Daimler und Volvo und forderte sie dazu auf, „die Ratifizierung des
Mercosur-Vertrags aktiv zu unterstützen, um ein Gegengewicht zu den
negativen Botschaften zu schaffen, die eine zunehmende mediale Auf-
merksamkeit bekommen“.15 Im Januar 2020 schließlich traf sich auch ihr
damaliger Chef, Handelskommissar Phil Hogan, mit einer ACEA-Delega-
tion, die den Abschluss der Mercosur-Verhandlungen begrüßte.16

Insgesamt liefert die Auswertung der Kontakte des deutschen Wirt-
schaftsministeriums und der EU-Kommission mit der Autoindustrie
einen Beleg für die enge Abstimmung zwischen öffentlicher Verwal-
tung und Konzernlobbys im Bereich der Handelspolitik. Das pro-aktive
Vorgehen des Ministeriums und der Kommission im Fall des EU-Mer-
cosur-Abkommens bietet dabei ein weiteres Beispiel für das schon län-
ger bekannte Phänomen des „Reverse Lobbying“ – eine Umkehrung der
Einflusskanäle, so dass öffentliche Behörden Unternehmen lobbyieren,
damit die wiederum Behörden lobbyieren.17 Durch ihr Reverse Lobbying
bestärken Ministerien und Behörden wie die EU-Kommission letztlich
selbst den Verdacht, sie würden mächtige Interessenverbände wie die
Autolobby gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen privilegieren.
14

 3. Vertragsbestandteile zum
 ­Nutzen der Autoindustrie
15

                                                                             3. Vertragsbestandteile zum Nutzen der Autoindustrie
Wettbewerbsvorteile der heimischen Autoindustrie sind der EU wichtiger als
­Menschenrechte und Umweltschutz. Foto: Lenny Kuhne, Unsplash

Wie erfolgreich das Lobbying der Autoindustrie war, zeigt ein kursori-
scher Überblick der wichtigsten Vertragselemente, die diese Branche
betreffen. Mit einem großen Teil ihrer Forderungen haben sich die euro-
päischen Herstellerverbände durchsetzen können. Daneben enthält der
Vertragstext noch weitere Elemente, die die Autoindustrie zwar nicht ex-
plizit forderte, durch die sie aber dennoch begünstigt wird (siehe Box 1).

Zentral sind die Einfuhrzölle auf Autos und Autoteile, die der Mercosur
und die EU spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens
vollständig beseitigt haben müssen. Der Zollabbau beginnt nach einer
Übergangsfrist von sieben Jahren. Weitere Vorzüge für die Autoindustrie
betreffen die schrittweise Zollbeseitigung auf für sie wichtige minerali-
sche Rohstoffe wie Eisen, Stahl, Kupfer, Blei oder Lithium. Daneben libe-
ralisiert die EU die Einfuhr von Treibstoffen aus dem Mercosur: zum einen
durch die Beseitigung von Zöllen auf Biodiesel, zum anderen durch eine
Importquote für Bioethanol.

Weitere Gewinne der Autoindustrie: Die Mercosur-Staaten verzichten
weitgehend auf die Option von Exportsteuern auf wichtige Rohstoffe
und gewähren großzügige Herkunftsregeln. Diese erlauben EU-Auto-
firmen die zollbegünstigte Einfuhr von Produkten in den Mercosur, die
größere Bestandteile aus Drittstaaten enthalten dürfen, die wiederum
häufig zu Niedriglöhnen produziert wurden. Ferner anerkennen die Mer-
cosur-Staaten Tests und Zertifikate europäischer Autohersteller, die auf
schwachen UN- oder EU-Regulierungen beruhen. Nicht zuletzt profitiert
die Autoindustrie von den defizitären Schutzinstrumenten des Vertrags,
die dessen soziale, ökologische und menschenrechtliche Risiken vorgeb-
lich eindämmen sollen.
16
                                                       Box 1: EU-Mercosur-Abkommen:
                                                       Von diesen Regeln profitiert die Autoindustrie
3. Vertragsbestandteile zum Nutzen der Autoindustrie

                                                       Das Abkommen enthält diverse Verein-           Verbot von Exportsteuern: Das Abkom-
                                                       barungen, die die Automobilindustrie           men enthält ein grundsätzliches Verbot
                                                       und die mit ihr verbundenen Wirtschafts-       der Einführung und Aufrechterhaltung
                                                       zweige begünstigen. Die nachfolgende           von jeglichen Steuern und Abgaben auf
                                                       Zusammenstellung bietet eine knappe            Exporte drei Jahre nach dessen Inkraft-
                                                       Übersicht dieser Regelungen. Deren Aus-        treten. Die Möglichkeit von Ausnahmen
                                                       wirkungen werden in den einzelnen Kapi-        haben bisher nur Argentinien und Uru-
                                                       teln dieser Publikation näher erläutert.       guay in sehr begrenztem Maße genutzt.
                                                                                                      Zudem verpflichtet sich Argentinien, die
                                                       Zölle auf Autos: EU und Mercosur begin-        Exportsteuern auf Soja und Biodiesel zu
                                                       nen die Zollsenkung sieben Jahre nach          senken. Folge: Ein potenzieller Kostenfak-
                                                       Inkrafttreten des Abkommens. Nach 15           tor der europäischen Autoindustrie beim
                                                       Jahren sollen die Zölle vollständig besei-     Zugang zu Rohstoffen des Mercosur wird
                                                       tigt sein (bisherige Zollsätze im Mercosur:    künftig ausgeschaltet oder abgesenkt.
                                                       35 Prozent in Argentinien / Brasilien, 23
                                                       Prozent Uruguay, 20 Prozent Paraguay;          Herkunftsregeln: Der Mercosur akzep-
                                                       Zollsätze in der EU: LKW bis zu 22 Prozent,    tiert einen niedrigeren lokalen Wert-
                                                       PKW: 10 Prozent). Folge: Die Autoimporte       schöpfungsanteil (Local Content) für
                                                       verbilligen sich, was den Absatz stimulie-     EU-Exporte von Autos und Autoteilen (55
                                                       ren kann.                                      respektive 50 Prozent statt bisher 60 Pro-
                                                                                                      zent). Daneben akzeptiert der Mercosur
                                                       Zölle auf Autoteile: Nach zehn Jahren          die Selbstzertifizierung durch Exporteure
                                                       sollen über 80 Prozent dieser Zölle be-        für Herkunftsnachweise ihrer Produkte.
                                                       seitigt sein, nach 15 Jahren die meisten       Folge: Ein größerer Anteil billiger Vor-
                                                       übrigen Zölle (bisherige Zollsätze im Mer-     produkte aus nicht-EU-Staaten, die die
                                                       cosur 14 bis 18 Prozent, EU: meist 3 bis 4,5   EU-Autoindustrie in ihre Exportwaren
                                                       Prozent). Folge: Die Importe von Autotei-      einbaut, genießt künftig Zollvergünsti-
                                                       len der beiden Regionen werden eben-           gungen im Mercosur.
                                                       falls günstiger.
                                                                                                      Automobilanhang: Die Mercosur-
                                                       Zölle auf Rohstoffe: Die Vertragspar-          Staaten erkennen Tests und Zertifikate
                                                       teien vereinbarten eine schrittweise           über Autozulassungen an, die auf Basis
                                                       Zollbeseitigung innerhalb von 10 Jahren        der häufig zu schwachen UN- oder EU-­
                                                       nach dem Inkrafttreten des Abkommens           Regulierungen erfolgen. Folge: Man-
                                                       (Mercosur in einzelnen Fällen nach 15 Jah-     gelhaft getestete Automobile, die etwa
                                                       ren) bei Produkten aus Eisen, Stahl, Alu-      höhere Emissionen als ausgewiesen pro-
                                                       minium, Kupfer, Lithium, Blei und Zink         duzieren, erhalten eine leichtere Zulas-
                                                       (derzeitige EU-Zölle zwischen 1,7 und 10       sung im Mercosur.
                                                       Prozent, Mercosur-Zölle zwischen 2 und 16
                                                       Prozent). Daneben beseitigt die EU ihren       Schwache Schutzinstrumente: Das Ab-
                                                       Regelzollsatz auf Biodiesel innerhalb von      kommen enthält verschiedene Bestim-
                                                       10 Jahren. Folge: Die Einfuhr diverser un-     mungen, die seine Risiken mindern sollen,
                                                       verzichtbarer Rohstoffe der Autoindustrie      dafür aber unzureichend sind: nicht-sank-
                                                       verbilligt sich in der EU und im Mercosur.     tionsbewehrtes Nachhaltigkeitskapitel,
                                                                                                      keine Operationalisierung des Pariser
                                                       Bioethanol-Quote: Die EU räumt dem             Klimaschutzabkommens, keine Regeln
                                                       Mercosur eine Quote von 650.000 Tonnen         zu Sorgfaltspflichten oder entwaldungs-
                                                       des aus Zuckerrohr gewonnenen Bio-             freien Lieferketten und eine womöglich
                                                       ethanols ein, davon 200.000 Tonnen für         schwache Menschenrechtsklausel. Folge:
                                                       die Nutzung als Treibstoff zum Drittel des     Die Automobilindustrie bleibt von einigen
                                                       bisherigen Zollsatzes. Folge: Die EU-Im-       potenziellen Kosten der Risikominimie-
                                                       porte von Bioethanol, das fossilem Ben-        rung verschont.
                                                       zin beigemischt wird, werden gleichfalls
                                                       günstiger.
17

            4. Ungleicher Tausch:
Handel zwischen EU und Mercosur
18                                                      Die Corona-Krise hat auch im bilateralen Handel zwischen der EU und
                                                        dem Mercosur Spuren hinterlassen. Die durch Lockdowns und Liefer-
                                                        engpässe verursachte Schrumpfung des Welthandels spiegelte sich
                                                        ebenfalls in einem verringerten Warenaustausch zwischen den beiden
4. Ungleicher Tausch: Handel zwischen EU und Mercosur

                                                        Blöcken wider.

                                                        In 2020 schrumpften die EU-Importe aus dem Mercosur gegenüber
                                                        dem Vorjahr um 8,4 Prozent, die EU-Exporte in den Mercosur um knapp
                                                        14 Prozent, von 41,3 auf 35,5 Milliarden Euro. Obgleich die Exporte der EU
                                                        stärker einbrachen als ihre Importe, erzielte sie – wie bereits in den acht
                                                        Jahren zuvor – abermals einen Handelsüberschuss gegenüber dem Mer-
                                                        cosur. Dieser belief sich 2020 auf 2,3 Milliarden Euro (2019: 5 Milliarden
                                                        Euro).18 Darüber hinaus blieb auch die äußerst ungleiche Zusammenset-
                                                        zung der Exportpalette der beiden Regionen erhalten. Die EU liefert zu
                                                        über 80 Prozent Industriewaren in den Mercosur, knapp die Hälfte davon
                                                        entfällt auf Maschinen und Kraftfahrzeugteile (siehe Grafik 1).

                                                        Die Exporte von Teilen und Komponenten für die Autoindustrie sind da-
                                                        bei wertmäßig bedeutsamer als die Exporte von Autos selbst. Über drei
                                                        Viertel des gesamten Automobilexports in den Mercosur besteht aus
                                                        den diversen Vorprodukten, seien es Motoren, Getriebe, Scheinwerfer
                                                        oder Reifen. In den vergangenen Jahren entfielen rund 15 Prozent der
                                                        EU-Exporte in den Mercosur auf solche Kraftfahrzeugteile.19

                                                        Dagegen stammen drei Viertel der Mercosur-Exporte in die EU aus der
                                                        Landwirtschaft und dem Bergbau. Maschinen und Kraftfahrzeugteile
                                                        kommen dagegen nur auf einen Anteil von etwas über 6 Prozent (siehe
                                                        Grafik 2).

                                                        Allerdings sind die aus dem Mercosur eingeführten Bergbauprodukte
                                                        für die europäische Automobilindustrie von großer Bedeutung, seien es
                                                        Eisenerz und Kupfer aus Brasilien oder Silber und Lithium aus Argenti-
                                                        nien. Auch diverse Agrarprodukte aus Südamerika finden in der Auto-
                                                        industrie Verwendung: Rindsleder für Sitze, Baumwolle für Bodenbeläge,
                                                        Zellulose für Verkleidungen, Kautschuk für die Reifenherstellung oder
                                                        Bioethanol für die Benzinbeimischung.

                                                        EU-27: Exporte in den und Importe aus dem Mercosur 2020
                                                        Grafik 1 und 2: Mrd. Euro, Quelle: European Commission, 20.5.2021

                                                        Exporte:                                        Importe:

                                                           Agrar/Rohstoffe: 4,1                             Agrarprodukte: 18,8

                                                           Andere: 1,5                                      Andere: 0,9

                                                           Maschinen / Autoteile: 13,8                      Maschinen / Autoteile: 2,1

                                                           Übrige Industriewaren: 16                        Übrige Industriewaren: 4,8

                                                                                                            Bergbau / Treibstoffe: 6,4
19

 5. Fokus Autohandel:
Absatzmarkt Mercosur
20                                          Ein Blick auf die europäischen Automobilexporte in den Mercosur der
                                            vergangenen fünf Jahre bietet einige Erkenntnisse über deren spezifi-
                                            sche Zusammensetzung. Im Zeitraum 2016 bis 2020 summierten sich
                                            die gesamten Autoexporte aus EU-Ländern mit Fahrzeugproduktion in
5. Fokus Autohandel: Absatzmarkt Mercosur

                                            den Mercosur auf rund 15,7 Milliarden Euro. Der Löwenanteil entfiel dabei
                                            mit 12 Milliarden Euro auf die Ausfuhr von Kraftfahrzeugteilen, lediglich
                                            3,7 Milliarden Euro auf Kraftfahrzeuge (siehe Grafik 3).

                                            Die hohe Bedeutung des Teile- und Komponentenexports verweist auf
                                            die zahlreichen Fertigungsstätten in den Mercosur-Staaten, in denen
                                            diese Vorprodukte weiterverarbeitet und montiert werden. Vor allem in
                                            Argentinien und Brasilien sind die großen europäischen Autohersteller
                                            mit eigenen Produktionsstätten vertreten. In beiden Länder haben VW,
                                            Renault und Stellantis PKW-Werke. BMW betreibt ein Werk in Brasilien.
                                            Daneben produzieren europäische Firmen Nutzfahrzeuge im Mercosur.
                                            In Argentinien haben Daimler und Iveco Werke, in Brasilien Daimler und
                                            die VW-Töchter MAN und Scania. 20 Hinzu kommen die Mercosur-Nieder-
                                            lassungen diverser europäischer Zulieferer wie Bosch, ZF, Mahle, Scha-
                                            effler, Continental oder Magna.

                                            Der Großteil der in den Mercosur exportierten Automobile sind PKW,
                                            nur ein kleiner Teil Nutzfahrzeuge wie Transporter. Im Hinblick auf den
                                            Antrieb der aus der EU ausgeführten PKW dominieren noch immer die
                                            Benziner, nur ein geringer Teil entfällt auf Diesel, Hybrid- oder E-Autos
                                            (siehe Grafik 4).

                                            EU-Kraftfahrzeugexporte in den Mercosur 2016–2020
                                            Quelle: Oliver Worm / Greenpeace 2021

                                            Grafik 3: Euro

                                                                    11.957.567.887

                                                                                      3.705.954.604

                                                                      KFZ-Teile            KFZ

                                            Grafik 4: Euro, Typen

                                                             2.802.201.166

                                                                              299.600.228 248.139.381 356.013.829

                                                               Benziner           Diesel     Hybrid+    NutzFz
                                                                                             E-Auto
21

                                                                                5. Fokus Autohandel: Absatzmarkt Mercosur
Die EU exportiert vor allem Autoteile in den Mercosur, die dort in den Werken
­euro­päischer Autohersteller montiert werden. Foto: carlos aranda, Unsplash

Ein Grund für den geringen Export von Diesel-PKW ist, dass in Brasilien,
dem mit Abstand größten Absatzmarkt des Mercosur, mit Diesel betrie-
bene PKW schon in den 1970er Jahren verboten wurden. Hintergrund
war die weltweite Ölkrise und die hohe Abhängigkeit Brasiliens von
teuren Erdölimporten, die die Handelsbilanz belasteten. Der Treibstoff-
mangel veranlasste die brasilianische Regierung zu Einsparmaßnahmen:
Zum einen ordnete sie 1975 an, Bioethanol dem fossilen Benzin beizu-
mischen (siehe Box 2, S. 26), zum anderen beschränkte sie 1976 die Ver-
wendung von Diesel auf kommerzielle Transportzwecke, etwa für LKWs,
Busse oder Traktoren. 1994 modifizierte die Regierung die Diesel-Vor-
schrift. Seither ist die Verwendung von Diesel in allen Kraftwagen mit ei-
ner Nutzlast von weniger als 1.000 Kilogramm verboten. Außer in LKWs,
Bussen und Traktoren, dürfen Dieselantriebe nur in schwerere Pickups
und in SUVs mit Vierradantrieb eingebaut werden. 21

Gleichwohl versuchten ausländische Automobilkonzerne in den ver-
gangenen Jahrzehnten, das brasilianische Dieselverbot für PKW zu kip-
pen. Zu diesem Zweck gründeten einige transnationale Autozulieferer
mit brasilianischen Niederlassungen, darunter die deutschen Konzerne
Bosch und Mahle, vor einigen Jahren den Lobbyverband Aprove Diesel. 22
Doch bisher blieben die Initiativen zur Abschaffung des Diesel-Verbots
erfolglos, auch wenn sie gelegentlich von einzelnen Kongressabgeord-
neten aufgegriffen wurden, wie zuletzt im Sommer 2021. 23

Die Hersteller und Zulieferer der deutschen Automobilindustrie domi-
nieren den EU-Mercosur-Handel. Von den Autos und Autoteilen im Wert
von 15,7 Milliarden Euro, die die EU-Hersteller zwischen 2016 und 2020
in den Mercosur ausführten, entfielen 44 Prozent auf deutsche Firmen
(siehe Grafik 5).
22                                                                    EU: Automobilexporte in den Mercosur 2016–2020
                                                                      Grafik 5: Euro, Autos und Autoteile, Quelle: Oliver Worm / Greenpeace 2021
5. Fokus Autohandel: Absatzmarkt Mercosur

                                                                                                                                1.947.225.797
                                                                                                                              1.832.740.707
                                                                                                                            1.698.808.289
                                                                                                                1.058.717.229
                                                                                                          677.243.554
                                                                                                     441.046.472
                                                                                                  282.713.575
                                                                                               171.895.695
                                                                                               158.874.571
                                                                                               156.418.158
                                                                                              132.354.244
                                                                                              112.684.238
                                                                                              93.908.042
                                                                                             44.969.377
                                                                                            4.390.373
                                                                                            108.127
                                                                                           73.501

                                                                                                          Bei den in den Mercosur exportierten
                                                                                                          PKW mit Benzinantrieb ist die deutsche
                                                                                                          Dominanz noch größer: 63 Prozent der
                                                                                                          EU-­Exporte von Benzinern gehen auf das
                                                                                                          Konto der deutschen Autohersteller. Im
                                                                                                          Vergleich zu den übrigen EU-Herstellern
                                                                                                          liefern deutsche Firmen zudem überpro-
                                                                                                          portional viele große Benziner mit einem
                                                                                                          Hubraum von 1,5 bis über 3 Litern.24

                                                                                                          Auch Österreichs Automobilindustrie, da-
                                                                                                          runter Firmen wie Magna, Miba oder AVL,
                                                                                                          profitiert vom Absatzmarkt des Mercosur.
                                                                                                          Während die Unternehmen einen klei-
                                                                                                          neren Teil ihrer Produkte direkt in den
                                                                                                          Mercosur-Ländern absetzen, entfällt ein
                                                                                                          größerer Teil auf Teile, Komponenten und
                                                                                                          Autos für europäische Markenfirmen wie
                                                                                                          VW, Daimler, BMW oder Stellantis, die
                                                                                                          ihre Kraftwagen unter anderem im Mer-
                                                                                                          cosur verkaufen. Besonders eng ist dabei
                                                                                                          die Verflechtung mit Deutschland, in das
                                            Der größte Teil der aus der EU in den Mercosur ausgeführten   Österreichs Industrie rund die Hälfte ihrer
                                                       PKW sind Benziner. Foto: AlfRibeiro, Adobe Stock   Autoteile exportiert. 25
23

                                                                           5. Fokus Autohandel: Absatzmarkt Mercosur
                                          6.849.350.542

Die europäischen Autoproduzenten haben eine starke Position auf den
beiden Hauptabsatzmärkten des Mercosur – Argentinien und Brasilien.
In der Rangliste der Hersteller mit den meisten verkauften PKW in Brasi-
lien rangierte VW im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre auf dem
zweiten Platz, hinter dem US-Konzern General Motors. Auf dem dritten
Platz finden sich die Marken der im Januar 2021 gegründeten niederlän-
dischen Holding Stellantis, eine Fusion von Fiat-Chrysler (FCA) und Peu-
geot (PSA), auf dem vierten Platz Renault-Nissan (siehe Grafik 6).

In Argentinien sind die PKW-Marken der Stellantis-Gruppe Marktführer,
gefolgt von Volkswagen auf dem zweiten Platz und Renault-Nissan auf
dem vierten (siehe Grafik 7).

Marktanteile der PKW-Hersteller 2016–2020
Quelle: Oliver Worm / Greenpeace 2021

Grafik 6: Brasilien, Mittelwert in Prozent

       23

                 17

                           14

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                                               10   10
                                                          9

                                                                  6

Grafik 7: Argentinien, Mittelwert in Prozent

       26

                 19

                           16
                                     15

                                               11   11

                                                          2
24

 6. E-Autos für Europa,
 Verbrenner für den Mercosur
Während einige Autohersteller Ausstiegsdaten für PKW mit Verbren-
nungsmotor in Europa angekündigt haben und auf die Produktion von
                                                                             25
E-Autos umstellen, verfolgen sie im Mercosur eine andere Strategie. Dort
wollen sie weit länger als auf dem europäischen Markt an der klima-

                                                                             6. E-Autos für Europa, Verbrenner für den Mercosur
schädlichen Verbrennungstechnologie festhalten. Die noch mangelhafte
Ladeinfrastruktur für E-Autos in den Mercosur-Ländern dient ihnen dafür
als Vorwand. Daneben propagieren die Autokonzerne besonders in Bra-
silien die weitere Verwendung von Agrotreibstoffen, mit denen sich die
Klimabilanz ihrer Verbrennungsmotoren vermeintlich verbessern lasse.

Für den Mercosur aber birgt diese Strategie erhebliche Nachteile. Zum
einen verursacht die Produktion der Agrotreibstoffe erhebliche Umwelt-
belastungen und zahlreiche Landkonflikte, zum anderen würde sich der
Umstieg auf Elektromobilität noch weiter verzögern. Damit aber drohen
den Mercosur-Staaten nicht nur höhere verkehrsbedingte Treibhausgas-
emissionen, sondern auch technologische Rückstände. Während global
die Antriebswende – weg vom Verbrenner hin zum Elektromotor – weiter
voranschreitet, bleiben sie von der überholten Verbrennungstechnologie
abhängig. Die europäischen Autokonzerne hingegen würden sich auf
längere Sicht in Südamerika einen Absatzmarkt für ihre klimaschädlichen
Verbrenner sichern, die sie andernorts nicht mehr absetzen können.

Die Mercosur-Staaten selbst verfolgen unterschiedliche Antriebsstrate-
gien. Die argentinische Regierung legte im Oktober 2021 einen umfas-
senderen Gesetzentwurf vor, der auch die Entwicklung der E-Mobilität
vorsieht (Ley de Movilidad Sustentable). Als Standortvorteil betrachtet
die Regierung dabei die großen Lithium-Vorkommen des Landes, die
sie für den Aufbau einer nationalen Batterieproduktion nutzen möchte. 26
Brasilien dagegen setzt vornehmlich auf sogenannte Flex-Fuel-PKW, die
eine Betankung mit beliebigen Mischungen aus Bioethanol und Ben-
zin erlauben. Die massenhafte Bioethanol-Beimischung begann bereits
in den 1970er Jahren und wurde von der brasilianischen Regierung mit
ihrem Proálcool-Programm intensiv gefördert (siehe Box 2).

Die starke Konkurrenz der Flex-Fuel-Technologie zu anderen Antrieben
lässt sich an den brasilianischen Autozulassungen ablesen. Im Jahr 2020
etwa entfielen 85 Prozent der Neuzulassungen von PKW und leich-
ten Nutzfahrzeugen auf die Flex-Fuel-Wagen, lediglich ein Prozent auf
Elektro-­Autos (siehe Grafik 8).

Brasilien:
Neuzulassungen PKW und leichte Nutzfahrzeuge 2020
­Grafik 8: in Prozent, Quelle: Anfavea 2021

                                     Flex Fuel: 85 %

                                     Diesel: 11 %

                                     Benziner: 3 %

                                     E-Autos: 1 %

 Die brasilianische Regierung setzt auch bei ihrer künftigen Dekarbo-
 nisierung des Verkehrssektors in erster Linie auf Agrotreibstoffe wie
 Bioethanol und Biodiesel und beruft sich dafür auf eine günstigere
 Schadstoff- und Klimabilanz im Vergleich zu rein fossilen Treib­s toffen.
 Unterstützung findet sie dabei vor allem bei der mächtigen Agrar­
 industrie des Landes, die dafür die beiden wichtigsten Rohstoffe liefert:
­Zuckerrohr für das Bioethanol und Soja für den Biodiesel. 27
26
                                                                                  Box 2: Proálcool-Programm:
                                                                                  Erdöl sparen, Zuckerrohr stützen, VWs kaufen
6. E-Autos für Europa, Verbrenner für den Mercosur

                                                                                  Erste Erfahrungen mit der Beimischung von Bioethanol sammelte
                                                                                  Brasilien bereits während des ersten und zweiten Weltkriegs, um
                                                                                  den damaligen Treibstoffmangel auszugleichen. Die massenhafte
                                                                                  Verwendung des aus Zuckerrohr gewonnenen Ethanols begann
                                                                                  in der Ölkrise der 1970er Jahre, um teure Erdölimporte zu sparen.
                                                                                  Zugleich litt damals die brasilianische Zuckerrohrindustrie unter
                                                                                  Überkapazitäten, weil ihre Absatzmärkte in den USA und Europa
                                                                                  wegfielen. In den USA begannen Softdrinkhersteller wie Coca-
                                                                                  Cola damit, Zucker durch Maissirup zu ersetzen, während die EU
                                                                                  ihren einstigen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifik,
                                                                                  den sogenannten AKP-Ländern, mit dem Lomé-Abkommen eine
                                                                                  zollfreie Importquote für Zucker gewährte.

                                                                                  Um zugleich Erdöl zu sparen und die Zuckerrohrindustrie zu stüt-
                                                                                  zen, beschloss die brasilianische Regierung 1975 daher das Pro-
                                                                                  álcool-Programm, das zunächst eine geringe Beimischung von
                                                                                  anhydriertem Bioethanol zum Benzin anordnete. Ab 1979 kamen
                                                                                  Autos mit reinen Ethanol-Motoren auf den Markt, die vollständig
                                                                                  mit hydriertem Bioethanol betankt werden konnten. 2003 schließ-
                                                                                  lich folgten die Flex-Fuel-Autos, die mit beliebigen Mischungen
                                                                                  von Bioethanol und Benzin angetrieben werden können. In den
                                                                                  USA gab es zu dieser Zeit bereits diverse Flex-Fuel-Modelle, doch
                                                                                  der erste Wagen dieser Art, der kommerziell auf den brasiliani-
                                                                                  schen Markt kam, war der Volkswagen Gol 1,6 Total Flex. 28

                                                                               Auch im Hinblick auf alternative Antriebe verfolgt Brasilien Projekte, die
                                                                               auf die Nutzung von Bioethanol setzen, etwa Flex-Fuel-Hybride. Diese
                                                                               Modelle kombinieren einen Elektromotor mit einem Verbrennungsmo-
                                                                               tor, der mit Benzin und Bioethanol betrieben werden kann. Weitere Hoff-
                                                                               nungen ruhen auf Brennstoffzellen-Autos, die Bioethanol als Kraftstoff
                                                                               verwenden. Keine Priorität hingegen hat die Förderung einer größeren
                                                                               Verbreitung rein batteriebetriebener E-Autos. 29

                                                                                                                      Die Autoindustrie stützt Brasiliens auf Ag-
                                                                                                                      rotreibstoffe fokussierten Sonderweg, so
                                                                                                                      auch Volkswagen. VW-Markenchef Ralf
                                                                                                                      Brandstätter erklärte im März 2021, dass
                                                                                                                      das von der Marke VW für Europa ange-
                                                                                                                      strebte Datum für den Verbrenneraus-
                                                                                                                      stieg – zwischen 2033 und 2035 – nicht in
                                                                                                                      Schwellenländern realisierbar sei. In Brasi-
                                                                                                                      lien repräsentiere Ethanol „eine effektive
                                                                                                                      Brückentechnologie“ auf dem Weg zur
                                                                                                                      Dekarbonisierung. VW werde in Brasilien
                                                                                                                      daher ein Forschungs- und Entwicklungs-
                                                                                                                      zentrum errichten, das sich neuen Techno-
                                                                                                                      logien auf Basis von Ethanol und anderen
                                                                                                                      Agrotreibstoffen speziell für Schwellen-
                                                     In Fabriken wie dieser in Costa Pinto wird der v
                                                                                                    ­ ermeint­lich    länder widmen soll. 30 Das Motiv für die
                                                       ­nachhaltige Ethanoltreibstoff aus Zuckerrohr h­ ergestellt.   Unterstützung des Biotreibstoffpfads liegt
                                                                                       Foto: Mariordo, Wikimedia
                                                                                                                      allerdings nahe: Die Autoindustrie kann
                                                                                                                      ihre bestehenden Investitionen in Ver-
                                                                                                                      brennungsmotoren noch länger nutzen,
                                                                                                                      ohne modernisieren zu müssen.
Doch die Klimawirksamkeit des brasilianischen Dekarbonisierungsan-
satzes im Verkehrssektor ist durchaus zweifelhaft, wie eine Studie zweier
                                                                                                                  27
Wissenschaftler*innen des Wuppertal-Instituts zeigt. Die Untersuchung
verglich zwei Alternativ-Szenarien mit einem Business-as-usual-Szenario,

                                                                                                                      6. E-Autos für Europa, Verbrenner für den Mercosur
das den heutigen Antriebsmix der brasilianische Autoflotte bis zum Jahr
2050 fortschreibt. Die alternativen Szenarien modellieren den schrittwei-
sen Übergang Brasiliens zur vollständigen Nutzung entweder von Ag-
rotreibstoffen oder von elektrischer Energie zum Antrieb von PKW und
Bussen. 31

Das Ergebnis: Eine Elektrifizierung der PKW- und Busflotte bis 2050
könnte eine deutliche CO2-Einsparung von 65 bis 89 Prozent bewirken.
Bei Umstellung auf Agrotreibstoffe hingegen würde Kohlendioxid in
ähnlicher oder noch größerer Menge als beim Business-as-usual-Szena-
rio emittiert. Als wesentlichen Grund für das schlechtere Abschneiden
des Biotreibstoffpfads nennen die Wissenschaftler*innen die hohen
Emissionen, die durch Landnutzungsänderungen für den Anbau der
Energiepflanzen entstehen, etwa bei der Umwandlung von Wäldern und
Weiden in Ackerflächen, oder bei den regelmäßigen Erntezyklen von Zu-
ckerrohr und Soja. 32

Als besonders klimaschädlich erweist sich dabei der aus Sojaöl gewon-
nene Biodiesel, wie eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommis-
sion bestätigte. Danach entstehen bei der Produktion von Sojadiesel
etwa doppelt so hohe Treibhausgasemissionen im Vergleich zu fossilem
Diesel, vor allem aufgrund der Landnutzungsänderungen. 33 Vor diesem
Hintergrund sollten die Mercosur-Staaten sich nicht auf die Strategie
der europäischen Autoindustrie einlassen, die die Region weiter in Ab-
hängigkeit von Verbrennungsmotoren und Agrotreibstoffen halten will.
Vielmehr sollten sie die Autoindustrie dazu verpflichten, den Ausbau der
Ladeinfrastruktur und die Elektrifizierung der Autoflotte im Mercosur zu
beschleunigen.

Allerdings genügt es auch in den Mercosur-Ländern nicht, den wachsen-
den motorisierten Individualverkehr lediglich zu elektrifizieren. Denn ob
fossil, mit Agrotreibstoffen oder elektrisch angetrieben: Der Individual-
verkehr geht einher mit einem nicht nachhaltigen Rohstoffverbrauch,
der das Klima schädigt und menschenrechtliche Konflikte erzeugt. Eine
reine Antriebswende kann also auch im Mercosur keine umfassendere
Mobilitätswende ersetzen. Vielmehr sollte
auch hier die Fahrzeugflotte reduziert und
der Ausbau kollektiver Verkehrsmittel wie
Busse und Bahnen gefördert werden. Wo
auf Autos aber nicht verzichtet werden
kann, sollten sie möglichst klein und elek-
trisch angetrieben sein.

Da auch E-Autos große Mengen an Roh-
stoffen verbrauchen, müssen sie klein,
langlebig und ihre Bauteile wiederver-
wendbar sein. Aus diesem Grunde sollte
etwa Argentinien, das den Aufbau eige-
ner Produktionsstätten für Batterien
anstrebt, die Hersteller zu deren Rezyklier-
barkeit verpflichten. Mit entsprechenden
Vorschriften könnte das Land nicht nur
technologische, sondern auch umwelt-
politische Fortschritte erzielen. Denn bei
Ausschöpfung ihres Recyclingpotenzials
macht der Materialverbrauch der Bat-
terien nur einen winzigen Bruchteil des        Bei einer Umstellung auf E-Mobilität könnten im Gegensatz zu Flex
Treibstoffs aus, den Verbrennungsmoto-         Fuels 65-89 Prozent CO 2 eingespart werden. Allerdings muss die Zahl
                                               der Autos insgesamt sinken, um Rohstoff- und Stromübernutzung zu
ren unwiederbringlich verbrauchen. 34          verhindern. Foto: Ivan Radic, Flickr
28

 7. Rohstoffhandel:
 Der Bergbau und seine Katastrophen
Im Jahr 2010 beklagte sich der Automobilverband ACEA über die hohen
Eisenerzpreise auf dem Weltmarkt und forderte die EU dazu auf, eine
                                                                                                 29
Rohstoffstrategie zu entwickeln und die Rohstoffversorgung aus Dritt-
 staaten zu wettbewerblichen Bedingungen zu sichern. 35 In einem Posi-

                                                                                                 7. Rohstoffhandel: Der Bergbau und seine Katastrophen
tionspapier legte der Verband 2012 nach und forderte von der EU, den
„Hebel“ der Handelsverhandlungen zu nutzen, um den Rohstoffzugang
zu gewährleisten. Vor allem sollten die Handelsabkommen die Export-
beschränkungen eindämmen, die rohstoffreiche Länder einsetzen. 36

Die EU-Kommission setzt diese Industriewünsche auch in ihrem Ab-
kommen mit dem Mercosur um. Mehrere Vereinbarungen im bisher
vorliegenden Vertragstext zielen darauf ab, den Zugang zu essenziellen
Rohstoffen möglichst kostengünstig zu sichern. Zu den für die Automo-
bilherstellung besonders wichtigen Rohstoffen gehören Eisen und Stahl,
Aluminium, Kupfer, Blei, Zink und das für Elektro-Autos zunehmend
wichtige Lithium. Doch nicht nur für diese Werkstoffe enthält das Ab-
kommen spezifische Regelungen. Es betrifft auch den Handel mit Treib-
stoffen, seien diese – wie Benzin und Diesel – aus Erdöl erzeugt oder aus
nachwachsenden Rohstoffen, wie im Fall von Bioethanol und Biodiesel
(siehe Kapitel 8 und 9).

Die Mercosur-Staaten, allen voran Brasilien und in etwas geringerem
Maße Argentinien, sind wichtige Rohstofflieferanten für die EU und
Deutschland. Viele der aus Brasilien und Argentinien stammenden
Bergbauprodukte sind völlig unverzichtbar für die Automobilindustrie.
Mengenmäßig zu den wichtigsten Materialien gehört dabei das aus Bra-
silien eingeführte Eisenerz – Rohstoff für die Herstellung von Stahl, der
zu großen Mengen im Autobau verwendet wird.

Die Abhängigkeit von brasilianischen Rohstoffen ist in Deutschland be-
sonders ausgeprägt. Nach einer Untersuchung der Bundesanstalt für
Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) stammt 44,8 Prozent des nach
Deutschland eingeführten Eisenerzes aus Brasilien (siehe Grafik 9). Auch
die deutschen Importe von Roheisen und Rohstahl stammen zu rund 31
respektive 24 Prozent aus Brasilien. Kupfer – nach Stahl und Aluminium
das dritthäufigste Metall im Autobau – führt Deutschland ebenfalls in
großen Mengen aus Brasilien ein. Die größte Abhängigkeit besteht beim
seltenen Schwermetall Niob, das meist zur Herstellung von besonders
festem Spezialstahl eingesetzt wird, der ebenfalls in der Autoindustrie
Verwendung findet. 37 Aufgrund der hohen Abhängigkeit von den brasi-
lianischen Vorkommen zählt die EU Niob zu den kritischen Rohstoffen. 38

Deutschland: Rohstoffimporte aus Brasilien 2019
­Grafik 9: Anteile an Gesamteinfuhr, Prozent, Quelle: BGR, Nov. 2020

    86,1

           64,4

                  44,8   42    40,1   37,8
                                             30,9
                                                    24   23,5
                                                                18,5   16   15,3   14,6
                                                                                          10,5
30                                                      Auch Argentinien ist ein bedeutender Rohstofflieferant der EU und
                                                        Deutschlands, vor allem für Silber, Kupfer, Blei und Lithium – unver-
                                                        zichtbare Materialien der Autoindustrie. Allein 26 Prozent der deutschen
                                                        Silber-Importe stammen aus dem südamerikanischen Land, wie die
7. Rohstoffhandel: Der Bergbau und seine Katastrophen

                                                        BGR ermittelte. 39 Silber findet sich vor allem in großen Mengen in der
                                                        Autoelektronik.

                                                        Das argentinische Lithium findet ebenfalls seinen Weg in europäische
                                                        Autos, vor allem in Form von Lithium-Ionen-Batterien für E-Autos oder
                                                        Hybride. Nach Angaben des US-amerikanischen Geologischen Dienstes
                                                        gehören die argentinischen Lithium-Ressourcen zu den zweitgrößten
                                                        der Welt, nach denen Boliviens.40 Bisher wird Lithium in Argentinien in
                                                        zwei Anlagen für den Export gefördert, zahlreiche weitere sollen folgen.
                                                        Eine der beiden produzierenden Anlagen besitzt das US-Unternehmen
                                                        Livent, das im Frühjahr 2021 den Abschluss eines mehrjährigen Lieferver-
                                                        trags mit BMW verkündete. BMW will den Rohstoff für die eigene Batte-
                                                        riezellenproduktion u.a. in Deutschland verwenden.41

                                                        Nach den bisher vorliegenden Vertragsteilen dürfte das EU-Mercosur-
                                                        Abkommen dazu beitragen, die Rohstoffversorgung der Autoindustrie
                                                        nicht nur abzusichern, sondern auch zu verbilligen. Zwar liegen die EU-
                                                        Einfuhrzölle für manche der wichtigen Rohstoffe bereits bei null, etwa
                                                        für Rohöl, Eisenerz, Rohkupfer oder Silber. Dies gilt jedoch nicht für an-
                                                        dere Materialien wie Aluminium, viele Eisen-, Stahl- und Kupferprodukte
                                                        sowie zahlreiche weiterverarbeitete Rohstoffe, die für die Autoindustrie
                                                        unverzichtbar sind.

                                                        So können auf Mercosur-Produkte aus Eisen und Stahl in der EU Zölle
                                                        zwischen 1,7 und 5,7 Prozent anfallen, auf Kupferwaren zwischen 3 und
                                                        5,2 Prozent, auf Aluminium zwischen 5 und 10 Prozent, auf Lithium zwi-
                                                        schen 5,2 und 5,5 Prozent sowie auf Blei- und Zink zwischen 2,5 und 5
                                                        Prozent.42 Hinzu kommen Antidumping-Zölle, die die EU seit Oktober
                                                        2017 gegenüber brasilianischen Stahlerzeugern auf die Exporte von
                                                        Flachstahl erhebt (zwischen 53 und 63 Euro pro Tonne).43

                                                        Nicht minder wichtig für die im Mercosur ansässigen europäischen Au-
                                                        tobauer und Zulieferer sind die Zölle, die Argentinien und Brasilien auf
                                                        die Einfuhr von Rohstoffen erheben. So müssen auf Lithium 2 Prozent
                                                        entrichtet werden, auf Aluminiumprodukte zwischen 2 und 16 Prozent,
                                                        auf Kupferwaren zwischen 6 und 16 Prozent sowie auf Blei- und Zinkwa-
                                                        ren zwischen 2 und 16 Prozent.44

                                                        In den Marktzugangslisten des Assoziierungsabkommens haben sich EU
                                                        und Mercosur nun dazu verpflichtet, den Großteil dieser Zölle in meh-
                                                        reren Schritten innerhalb von 10 Jahren nach Inkrafttreten des Abkom-
                                                        mens zu beseitigen. In diesem Zeitrahmen verpflichtet sich die EU meist
                                                        dazu, die Zollbeseitigungen etwas früher umzusetzen, der Mercosur ten-
                                                        denziell in den späteren Jahren. In einzelnen Fällen will der Mercosur die
                                                        Zölle auch erst nach 15 Jahren auslaufen lassen.45

                                                        Eine weitere überaus wichtige Bestimmung: Das Abkommen schreibt
                                                        ein grundsätzliches Verbot von jeglichen Steuern und Abgaben auf Ex-
                                                        porte vor. Exportsteuern sind ein wichtiges entwicklungs- und industrie-
                                                        politisches Instrument, mit dem Regierungen sowohl Staatseinnahmen
                                                        erzielen als auch die inländische Verfügbarkeit knapper Rohstoffe si-
                                                        cherstellen können, seien dies Lebensmittel oder Bergbauprodukte.
                                                        So können Exportsteuern beispielsweise dafür eingesetzt werden, die
                                                        günstige Rohstoffverfügbarkeit für den Aufbau eigener Industriezweige
                                                        zu gewährleisten. Doch in Artikel 8 des Kapitels über den Güterhandel
                                                        heißt es, dass drei Jahre nach Inkrafttreten des EU-Mercosur-Abkom-
                                                        mens keine der Vertragsparteien derartige Exportabgaben einführen
                                                        oder aufrechterhalten soll. Allerdings räumt das Abkommen den Mer-
                                                        cosur-Staaten die Möglichkeit ein, Ausnahmen von dieser Regel in spezi-
                                                        fischen Verpflichtungslisten einzutragen.46
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