Mobilitätswende ausgebremst - Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie - Greenpeace
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4 Mobilitätswende ausgebremst Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie Veröffentlicht im Auftrag von: Impressum Attac Deutschland, Münchener Straße 48, 60329 Frankfurt www.attac.de Attac Österreich, Margaretenstraße 166, 1050 Wien www.attac.at Deutsche Umwelthilfe, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin www.duh.de Greenpeace e. V., Hongkongstraße 10, 20457 Hamburg www.greenpeace.de Misereor e. V., Mozartstraße 9, 52064 Aachen www.misereor.de Netzwerk Gerechter Welthandel, Marienstraße 19-20, 10117 Berlin www.gerechter-welthandel.org Powershift e. V., Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin www.power-shift.de Autor: Thomas Fritz Redaktion: Armin Paasch, Tina Lutz, Jeremy Oestreich, Alexandra Strickner, Hanni Gramann, Theresa Kofler, Jürgen Knirsch Bildredaktion: Hendrik Schnittker, Caroline Binkowski Layout, Satz / Reinzeichnung: Tilla Balzer I buk.design Titelbild: Chris Freeman Druck und Auflage: Gedruckt auf 100% Recyclingpapier von Hinkelstein Druck (Berlin), Auflage 700 Exemplare V. i. s. d. P.: Jürgen Knirsch, Greenpeace e. V., Hongkongstraße 10, 20457 Hamburg Alle Links in den Fußnoten wurden am 16.02.2022 auf Gültigkeit überprüft. Berlin, Juni 2022
Inhaltsverzeichnis 5 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung ..................................................................................................................... 6 1. Einleitung ................................................................................................................................... 9 2. Lobbyismus: Kooperation zwischen Regierungen und Verbänden ............................... 11 3. Vertragsbestandteile zum N utzen der Autoindustrie ............................... 14 Infobox: EU-Mercosur-Abkommen: Von diesen Regeln profitiert die Autoindustrie ............................................. 16 4. Ungleicher Tausch: Handel zwischen EU und Mercosur ....................................................................... 17 5. Fokus Autohandel: Absatzmarkt Mercosur .................................................................................................... 19 6. E-Autos für Europa, Verbrenner für den Mercosur ..................................... 24 Infobox: Proálcool-Programm: Erdöl sparen, Zuckerrohr stützen, VWs kaufen ............................................. 26 7. Rohstoffhandel: Der Bergbau und seine Katastrophen ................................................................ 28 8. Bioethanol: Konflikte um den Zuckerrohranbau ..................................................................... 33 9. Biodiesel: Expansion der Sojafront ................................................................................................ 36 10. Ledersitze für PKW: Waldvernichtung in Amazonien .............................................................................. 38 11. Beschäftigte: Furcht vor Verdrängungswettbewerb und Jobverlusten ....................... 41 12. Automobilanhang: Anerkennung defizitärer Zulassungen und Tests ...................................... 44 13. Unzureichend: Klauseln zur Risikoprävention .................................................................................. 46 14. Schlussfolgerungen und Empfehlungen ......................................................... 49 Endnoten ......................................................................................................................................... 54 Bildnachweise .............................................................................................................................. 59
Die bisher veröffentlichten Vertragsteile des geplanten Assoziierungs- abkommens zwischen der EU und dem Mercosur enthalten zahlreiche 7 Regelungen, die die europäische Autoindustrie, ihr ressourcenintensives Produktionsmodell und ihre Lieferketten teils erheblich begünstigen. Zusammenfassung Zugleich enthält das Abkommen keine effektiven Regelungen, um die ökologischen und menschenrechtlichen Risiken der Autoindustrie ein- zugrenzen. Ganz im Gegenteil haben die Vertragsparteien zahlreiche Vereinbarungen getroffen, die den Handel mit riskanten Rohstoffen, Komponenten und Endprodukten der Autoindustrie noch vergrößern sollen. Das Lobbying der EU-Autoindustrie war insofern überaus er- folgreich. Leidtragende aber sind Mensch und Umwelt beiderseits des Atlantiks. Die Befunde im Einzelnen: ʇ Der Lobbyismus für die Autoindustrie geht nicht nur von den Kon- zernen aus, sondern in großem Maße von der Ministerialbürokratie selbst. Pro-aktiv gingen Mitarbeiter*innen des deutschen Wirtschafts ministeriums und der EU-Kommission auf die Hersteller zu, um deren Wünsche zu erfragen und in die Verhandlungen mit dem Mercosur einzuspeisen. ʇ rgebnis des Lobbyings sind zahlreiche Vertragselemente, von denen E die EU-Autoindustrie profitiert, darunter die Beseitigung von Zöllen auf Autos, Autoteile, mineralische Rohstoffe und Biodiesel sowie eine EU-Importquote für Bioethanol. Die Mercosur-Staaten verzichten fer- ner auf diverse Exportsteuern, anerkennen schwache EU-Tests und Zertifikate und willigen in flexible Herkunftsregeln ein, die den Wett- bewerbsdruck auf ihren Märkten verstärken. Schließlich profitiert die Autoindustrie von den defizitären Schutzinstrumenten des Vertrags, die dessen ökologische und menschenrechtliche Risiken kaum be- grenzen können. ʇ ie EU-Autoindustrie, die mit zahlreichen Produktionsstätten im Mer- D cosur vertreten ist, dominiert auch den interregionalen Handel und erzielt für die EU seit vielen Jahren einen überaus hohen Handels überschuss gegenüber dem Mercosur. Der Handel mit Kraftfahr- zeugteilen ist dabei weit bedeutsamer als der mit Autos. Bei den EU-PKW-Exporten in den Mercosur entfällt der Löwenanteil noch immer auf Benziner. Im Hinblick auf die innereuropäischen Antei- le dominieren mit großem Abstand deutsche Hersteller den EU- Mercosur-Handel. ʇ isher setzen europäische Firmen nur sehr geringe Anteile von B E-Autos im Mercosur ab. Die E-Mobilität ist in der Region noch nicht sehr weit verbreitet und hat bisher auch nur eine geringe staatliche Förderung erfahren. Hinzu kommt in Brasilien die starke Konkurrenz durch die Flex-Fuel-PKW, die mit beliebigen Mischungen aus Benzin und Bioethanol betankt werden. Der Löwenanteil des Bioethanols wird in Brasilien aus Zuckerrohr erzeugt. ʇ ie vereinbarten Zollsenkungen tragen dazu bei, die Rohstoff D versorgung der Autoindustrie abzusichern und zu verbilligen. Dies gilt vor allem für Eisen, Stahl, Kupfer, Lithium sowie diverse weiter verarbeitete Rohstoffe. Doch verursachen die Bergbau-Aktivitäten vor allem in Argentinien und Brasilien zahlreiche Konflikte mit loka- len Gemeinschaften und indigenen Gruppen. Auslöser sind dabei nicht nur Umweltschäden beim Rohstoffabbau, sondern auch teils schwere Menschenrechtsverletzungen.
8 ʇ Im ariden Norden Argentiniens etwa protestieren lokale Gemein- schaften gegen die dortige Lithium-Förderung. Ihre Kritik richtet sich gegen den hohen Wasserverbrauch und die giftigen Rückstände der Minen. In Brasilien wiederum steht das Eisenerz für eine der größten Zusammenfassung Bergbaukatastrophen, als im Januar 2019 in der Gemeinde Bruma- dinho der Damm eines Rückhaltebeckens brach und 272 Menschen das Leben kostete. Kurz zuvor hatte eine brasilianische Tochter des deutschen TÜV Süd die Stabilität des Damms zertifiziert. ʇ ie Vertragsbestimmungen zu Agrotreibstoffen verstärken ebenfalls D ökologische und menschenrechtliche Risiken. Die Bioethanolquote der EU begünstigt die Expansion brasilianischer Zuckerrohrplantagen, die mit Umweltschäden und Landkonflikten einhergeht. Ähnlich befördert der von Argentinien zugestandene Abbau von Exportsteuern auf Soja und Biodiesel die Expansion der Sojafront und weitere Entwaldung. ʇ as Abkommen verstärkt zudem die Nachfrage nach Rindsleder, das D die europäische Autoindustrie zu Ledersitzen verarbeitet. Laut dem Vertrag beseitigt die EU Importzölle, die Mercosur-Staaten Export- steuern auf Rindsleder. Doch in Brasilien, Argentinien und Paraguay tragen die Rinderherden erheblich zur Entwaldung bei. Aufgrund mangelhafter Systeme der Rückverfolgung können europäische Autohersteller nicht garantieren, dass ihr Leder nicht aus illegaler Brandrodung etwa in Amazonien stammt. Auch schwere Menschen- rechtsverletzungen am Ursprung ihrer Lieferketten, wie Angriffe auf Indigene und Landarbeiter*innen, können sie nicht ausschließen. ʇ er rasche Zollabbau auf Autos und Autoteile sowie die Herkunfts D regeln verschärfen den Wettbewerbsdruck vor allem auf die Autoin- dustrie des Mercosur. Durch die Flexibilisierung der Herkunftsregeln genießen billige Vorprodukte aus Drittstaaten, die in EU-Exporten enthalten sind, die Zollpräferenzen des Mercosur. Der dadurch ver- schärfte Wettbewerb gefährdet dortige Arbeitsplätze und verstärkt die Tendenz zur Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse. ʇ Das Abkommen schwächt die Bemühungen, die Emissionen der Autoflotte zu reduzieren. Im Automobilanhang des Vertrags willi- gen die Mercosur-Staaten grundsätzlich ein, Tests und Zertifikate der Automobilzulassung anzuerkennen, die auf Basis von UNECE- oder EU-Regulierungen erfolgten. Doch die schwachen Test- und Zulassungsverfahren in der EU erleichterten den Autokonzernen nicht nur Abgasmanipulationen, sondern ermöglichen ihnen auch heute noch die rechnerische Schönung ihrer Emissionsbilanzen. ʇ usätzlich profitiert die Autoindustrie von der defizitären Ausgestal- Z tung jener Bestimmungen des Abkommens, die ökologische, soziale und menschenrechtliche Risiken eindämmen sollen. Zu nennen sind hier vor allem das nicht-sanktionsbewehrte Nachhaltigkeitskapitel, die fehlende Operationalisierung des Pariser Klimaschutzabkom- mens sowie der Mangel an effektiven Regeln zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten oder entwaldungsfreien Lieferketten. Nicht zuletzt ist zu befürchten, dass das Abkommen mit einer nur schwachen Menschenrechtsklausel ausgestattet wird. Aufgrund dieser Defizite kann es entlang der transatlantischen Lieferketten der Automobil- industrie weiterhin zu erheblichen Umweltschäden und schweren Menschenrechtsverletzungen kommen. ʇ ufgrund der schwachen Instrumente zur Risikoprävention er- A schwert das Abkommen eine sozial-ökologische Regulierung der Autoindustrie – unabhängig davon, ob sie auf Verbrennungs- oder Elektromotoren basiert. Durch die Begünstigung der Automobilwirt- schaft behindert es zudem die erforderliche Mobilitätswende, etwa Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung und zur Zurückdrängung mo- torisierten Individualverkehrs zugunsten öffentlicher Transportmittel.
10 Die Automobilindustrie spielt eine zentrale Rolle bei der Ausgestal- tung der EU-Handelspolitik – ein Phänomen, das erst in den letzten Jahren eine größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erreichte. Entsprechend tragen auch die Handelsabkommen der EU eine kaum 1. Einleitung übersehbare Handschrift der Automobilkonzerne und der mit ihnen verbundenen Zuliefer- und Rohstoffindustrien. Doch die enge Aus- richtung der EU-Handelspolitik an den Interessen der europäischen Automobilwirtschaft konterkariert in zunehmendem Maße wichtige ge- sellschaftspolitische Ziele wie den Kampf gegen den Klimawandel und die Durchsetzung der Menschenrechte – Ziele, denen auch die Europäi- sche Union verpflichtet ist. Die vorliegende Publikation untersucht die enge Verflechtung der Han- delspolitik mit dem Automobilsektor am Beispiel eines der problema- tischsten EU-Handelsverträge, dem geplanten Assoziierungsabkommen mit dem Mercosur – dem Staatenbund aus Argentinien, Brasilien, Para- guay und Uruguay. Die EU-Kommission verkündete Ende Juni 2019, sie habe eine Grundsatz-Einigung über ein Handelsabkommen mit dem Mercosur erzielt, und hat seither einige Teile des Vertrags veröffentlicht.1 Dieser soll Teil eines umfassenderen Assoziierungsabkommens mit dem Mercosur werden. Auch für die übrigen Teile des Assoziierungsabkom- mens wurden die Verhandlungen am 18. Juni 2020 abgeschlossen. 2 Des- sen Text jedoch blieb bisher unveröffentlicht. 3 Die Verhandlungen sind allerdings noch längst nicht abgeschlossen. Denn bisher wurde das Assoziierungsabkommen weder unterzeich- net noch ratifiziert. Daher besteht noch immer die Möglichkeit, dass es scheitert. Denn das Abkommen trifft nicht nur in der Zivilgesellschaft auf erhebliche Vorbehalte, sondern auch unter den Regierungen meh- rerer EU-Mitgliedsstaaten. Diese Vorbehalte wurden zusätzlich durch die Politik der aktuellen brasilianischen Regierung genährt. Unter der Prä- sidentschaft von Jair Bolsonaro haben die Brände im Amazonasgebiet und in anderen brasilianischen Regionen sowie gewaltsame Landkon- flikte erheblich zugenommen. Zugleich schwächte die Bolsonaro-Regie- rung Arbeits- und Umweltnormen ab. Die Publikation untersucht die enge Ko- operation zwischen der Europäischen Kommission und den Verbänden der Au- tomobilwirtschaft während der EU-Mer- cosur-Verhandlungen und analysiert die Regelungen des Vertragstextes, die die europäische Autoindustrie besonders be- günstigen. Daneben zeigt sie auf, welche ökologischen, sozialen und menschen- rechtlichen Risiken diese Vereinbarungen im Einzelnen bergen. Deutlich wird dabei, dass das EU-Mercosur-Abkommen den Handel mit problematischen Rohstoffen, Komponenten und Endprodukten der Autoindustrie noch erheblich ausweiten kann. Zugleich aber fehlen in dem bis- her vorliegenden Vertragswerk effektive Schutzbestimmungen, um die ökologi- schen und menschenrechtlichen Risiken der Autoindustrie eindämmen zu können. Autoflotte vor der Verschiffung in Bremerhaven. Die EU exportierte Durch die Begünstigung dieser Branche 2020 Autos im Wert von 3,7 Milliarden Euro in den Mercosur. behindert das Abkommen schließlich Foto: Ra Boe, Wikimedia auch eine erforderliche Mobilitätswende, die auf Verkehrsvermeidung und die Zu- rückdrängung des motorisierten Indivi- dualverkehrs abzielt.
11 2. Lobbyismus: Kooperation zwischen Regierungen und Verbänden
12 Der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) lässt keinen Zwei- fel an der hohen Bedeutung, die er dem EU-Handelsvertrag mit dem südamerikanischen Staatenbund beimisst: „Das Abkommen mit dem Mercosur hat eine hohe Priorität für die deutsche und europäische 2. Lobbyismus: Kooperation zwischen Regierungen und Verbänden Automobilindustrie, denn die Länder des Mercosur sind wichtige Zu- kunftsmärkte.“ 4 Dank einer engen Abstimmung mit der deutschen Bundesregierung und der EU-Kommission konnte die Autoindustrie ei- nen Großteil ihrer Forderungen in den seit Mitte 2019 vorliegenden Teilen des Vertragstextes durchsetzen. Entsprechend sparte der VDA nicht mit Lob, als die EU-Kommission Ende Juni 2019 die politische Einigung mit dem Mercosur verkündete: „Dieses Abkommen ist ein großer Erfolg für Europa und die Kommission“, erklärte der seinerzeitige VDA-Präsident Bernhard Mattes. Der Abbau von Zöllen und technischen Handelshemmnissen werde sowohl den Autoherstel- lern als auch ihren Zulieferern nützen. Mattes verwies daneben auf die großen deutschen Investitionen im Mercosur, etwa in Brasilien: „Dort sind deutsche Hersteller und Zulieferer mit über 120 Produktionsstandorten vertreten. Hinzu kommen über 20 Standorte in Argentinien“. 5 Dabei zeigen Dokumente der Bundesregierung und der EU-Kommis- sion zu den Mercosur-Verhandlungen, die durch Informationsfreiheitsan- fragen6 zugänglich wurden, dass der Lobbyismus für die Autoindustrie nicht nur von den Konzernen betrieben wird, sondern in großem Maße von der Ministerialbürokratie selbst ausgeht. Pro-aktiv gingen Mitarbei- ter*innen des deutschen Wirtschaftsministeriums und der EU-Kom- mission auf die Hersteller zu, um deren Wünsche zu erfragen und in die Verhandlungen mit dem Mercosur einzuspeisen. Am 29. Mai 2017 etwa sandte eine Mitarbeiterin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) eine E-Mail an den VDA betreffend die „EU-Mercosur Verhandlungen“. Das Ministerium wollte insbesondere wissen, mit welchen Übergangsfristen die Zölle auf Seiten des Merco- sur nach den Wünschen des VDA abgebaut werden sollen: „Daher bitte ich Sie“, heißt es in der E-Mail, „Ihre Mitgliedsunternehmen zu befragen, welche Übergangsfristen als geeignet erscheinen.“ Ergänzend fragte die Mitarbeiterin, ob bei den Übergangsfristen „zwischen Zöllen für Zwi- schenprodukte und Endprodukte“ unterschieden werden solle. Sie fügte hinzu: „Wir würden diese Position dann über die EU-Kommission in die Verhandlungen einbringen.“ 7 In seiner Antwort-Mail8 übersandte der VDA dem BMWi einen Brief sei- ner beiden europäischen Dachverbände ACEA und CLEPA an die dama- lige Handelskommissarin Cecilia Malmström. In ihrem Brief fordern die beiden Verbände die vollständige Beseitigung aller Mercosur-Zölle auf die EU-Exporte von Autos und Autoteilen. Die Zölle auf PKW und Trans- porter sollten nach zehn Jahren auslaufen, die auf Autoteile nach einer Übergangsfrist von zwei bis fünf Jahren. Ferner forderten die Verbände einen spezifischen Vertragsanhang, der sich der Beseitigung nicht- tarifärer Handelshemmnisse für Autos und Autoteile widmen soll, vor allem der Anerkennung europäischer Tests, Zertifizierungs- und Zulas- sungsverfahren. Daneben solle der Vertrag für einfache und konsistente Herkunftsregeln sorgen. Diese Regeln bestimmen, wie groß der im Her- kunftsland erbrachte Wertschöpfungsanteil an einem Exportprodukt mindestens sein muss, um in den Genuss der Zollpräferenzen des Han- delsvertrags zu kommen.9 ACEA (Association des Constructeurs Européens d’Automobiles) re- präsentiert 15 in Europa tätige Autohersteller, darunter VW, Daimler und BMW, während CLEPA (Comité de liaison européen des fabricants d’équipements et de pièces automobiles) die europäischen Autozulie- ferer organisiert. Diesem Verband gehören u.a. die deutschen Firmen Bosch, Continental, ZF Friedrichshafen, Mahle, Schaeffler, Thyssenkrupp sowie der österreichische Zulieferer Magna an.
Ebenso intensiv betreute die EU-Kommission die Automobilindustrie. Nachdem sie die Verhandlungen mit dem Mercosur nach einem län- 13 geren Stillstand im Jahr 2016 wieder aufgenommen hatte, lancierte sie im Juli 2016 eine Konsultation auf Grundlage eines ausführlichen Frage 2. Lobbyismus: Kooperation zwischen Regierungen und Verbänden bogens, die sich exklusiv an die EU-Industrie richtete und an der auch Verbände des Automobilsektors teilnahmen. Die Antworten blieben je- doch unveröffentlicht.10 Zusätzlich gab es zwischen Mai 2016 und Januar 2020 diverse Treffen von Kommissionsvertreter*innen, darunter die Handelskommissar*in- nen C ecilia Malmström und Phil Hogan, mit ACEA und einzelnen Auto konzernen, bei denen das Mercosur-Abkommen zur Sprache kam. Einige, teils umfangreich geschwärzte Dokumente dieser Treffen konnten nach einer Informationsfreiheitsanfrage durch das Forum Umwelt und Ent- wicklung über das zivilgesellschaftliche Portal „AsktheEU“ der Öffent- lichkeit zugänglich gemacht werden.11 Eines dieser Dokumente enthält einen Kommissionsbericht über ein Treffen zwischen ACEA und Sandra Gallina von der Generaldirektion Handel der EU-Kommission vom März 2017. Laut dem Bericht erklärte die Kommissionsvertreterin, „ein starkes Ergebnis“ für die Auto- und Zulieferindustrie sei ein „sine qua non“ – eine unabdingbare Voraus- setzung – für das EU-Mercosur-Abkommen.12 Am 1. Juni 2017 hielt EU- Kommissarin Malmström eine Rede bei einem Lunch-Meeting mit ACEA, in der sie die Zusammenarbeit mit der Autoindustrie bei der Be- seitigung von Handelsbarrieren beschwor. Allein die Mercosur-Einfuhr- zölle auf Autos und Autoteile kosteten EU-Unternehmen eine Milliarde Euro, so Malmström.13 In ihrer Antwort auf den gemeinsamen Brief von ACEA und CLEPA versicherte die EU-Kommissarin im Juli 2017, „dass die Sektoren der Autos und Autoteile eine Priorität der Verhandlungen über Zölle und nichttarifäre Handelsaspekte bleiben.“ Sie stimmte den Forde- rungen der beiden Verbände zu und ergänzte: „Ich kann Ihnen mitteilen, dass diese verschiedenen Gegenstände und Vorschläge mit dem Mer- cosur diskutiert werden.“ 14 Weitere Kommissionstreffen mit der Autoindustrie folgten im Februar, März und Juni 2018 sowie im Mai 2019, kurz vor der politischen Einigung zwischen der EU und dem Mercosur. Die breite Kritik aber, die das Ab- kommen unter anderem aufgrund der zunehmenden Waldvernichtung in Amazonien erfuhr, spiegelte sich auch in den Lobbygesprächen wi- der. So traf sich Cristina Rueda-Catry, Mitglied des Kabinetts von Han- delskommissar Phil Hogan, im Dezember 2019 mit Vertreter*innen von ACEA, Daimler und Volvo und forderte sie dazu auf, „die Ratifizierung des Mercosur-Vertrags aktiv zu unterstützen, um ein Gegengewicht zu den negativen Botschaften zu schaffen, die eine zunehmende mediale Auf- merksamkeit bekommen“.15 Im Januar 2020 schließlich traf sich auch ihr damaliger Chef, Handelskommissar Phil Hogan, mit einer ACEA-Delega- tion, die den Abschluss der Mercosur-Verhandlungen begrüßte.16 Insgesamt liefert die Auswertung der Kontakte des deutschen Wirt- schaftsministeriums und der EU-Kommission mit der Autoindustrie einen Beleg für die enge Abstimmung zwischen öffentlicher Verwal- tung und Konzernlobbys im Bereich der Handelspolitik. Das pro-aktive Vorgehen des Ministeriums und der Kommission im Fall des EU-Mer- cosur-Abkommens bietet dabei ein weiteres Beispiel für das schon län- ger bekannte Phänomen des „Reverse Lobbying“ – eine Umkehrung der Einflusskanäle, so dass öffentliche Behörden Unternehmen lobbyieren, damit die wiederum Behörden lobbyieren.17 Durch ihr Reverse Lobbying bestärken Ministerien und Behörden wie die EU-Kommission letztlich selbst den Verdacht, sie würden mächtige Interessenverbände wie die Autolobby gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen privilegieren.
14 3. Vertragsbestandteile zum Nutzen der Autoindustrie
15 3. Vertragsbestandteile zum Nutzen der Autoindustrie Wettbewerbsvorteile der heimischen Autoindustrie sind der EU wichtiger als Menschenrechte und Umweltschutz. Foto: Lenny Kuhne, Unsplash Wie erfolgreich das Lobbying der Autoindustrie war, zeigt ein kursori- scher Überblick der wichtigsten Vertragselemente, die diese Branche betreffen. Mit einem großen Teil ihrer Forderungen haben sich die euro- päischen Herstellerverbände durchsetzen können. Daneben enthält der Vertragstext noch weitere Elemente, die die Autoindustrie zwar nicht ex- plizit forderte, durch die sie aber dennoch begünstigt wird (siehe Box 1). Zentral sind die Einfuhrzölle auf Autos und Autoteile, die der Mercosur und die EU spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens vollständig beseitigt haben müssen. Der Zollabbau beginnt nach einer Übergangsfrist von sieben Jahren. Weitere Vorzüge für die Autoindustrie betreffen die schrittweise Zollbeseitigung auf für sie wichtige minerali- sche Rohstoffe wie Eisen, Stahl, Kupfer, Blei oder Lithium. Daneben libe- ralisiert die EU die Einfuhr von Treibstoffen aus dem Mercosur: zum einen durch die Beseitigung von Zöllen auf Biodiesel, zum anderen durch eine Importquote für Bioethanol. Weitere Gewinne der Autoindustrie: Die Mercosur-Staaten verzichten weitgehend auf die Option von Exportsteuern auf wichtige Rohstoffe und gewähren großzügige Herkunftsregeln. Diese erlauben EU-Auto- firmen die zollbegünstigte Einfuhr von Produkten in den Mercosur, die größere Bestandteile aus Drittstaaten enthalten dürfen, die wiederum häufig zu Niedriglöhnen produziert wurden. Ferner anerkennen die Mer- cosur-Staaten Tests und Zertifikate europäischer Autohersteller, die auf schwachen UN- oder EU-Regulierungen beruhen. Nicht zuletzt profitiert die Autoindustrie von den defizitären Schutzinstrumenten des Vertrags, die dessen soziale, ökologische und menschenrechtliche Risiken vorgeb- lich eindämmen sollen.
16 Box 1: EU-Mercosur-Abkommen: Von diesen Regeln profitiert die Autoindustrie 3. Vertragsbestandteile zum Nutzen der Autoindustrie Das Abkommen enthält diverse Verein- Verbot von Exportsteuern: Das Abkom- barungen, die die Automobilindustrie men enthält ein grundsätzliches Verbot und die mit ihr verbundenen Wirtschafts- der Einführung und Aufrechterhaltung zweige begünstigen. Die nachfolgende von jeglichen Steuern und Abgaben auf Zusammenstellung bietet eine knappe Exporte drei Jahre nach dessen Inkraft- Übersicht dieser Regelungen. Deren Aus- treten. Die Möglichkeit von Ausnahmen wirkungen werden in den einzelnen Kapi- haben bisher nur Argentinien und Uru- teln dieser Publikation näher erläutert. guay in sehr begrenztem Maße genutzt. Zudem verpflichtet sich Argentinien, die Zölle auf Autos: EU und Mercosur begin- Exportsteuern auf Soja und Biodiesel zu nen die Zollsenkung sieben Jahre nach senken. Folge: Ein potenzieller Kostenfak- Inkrafttreten des Abkommens. Nach 15 tor der europäischen Autoindustrie beim Jahren sollen die Zölle vollständig besei- Zugang zu Rohstoffen des Mercosur wird tigt sein (bisherige Zollsätze im Mercosur: künftig ausgeschaltet oder abgesenkt. 35 Prozent in Argentinien / Brasilien, 23 Prozent Uruguay, 20 Prozent Paraguay; Herkunftsregeln: Der Mercosur akzep- Zollsätze in der EU: LKW bis zu 22 Prozent, tiert einen niedrigeren lokalen Wert- PKW: 10 Prozent). Folge: Die Autoimporte schöpfungsanteil (Local Content) für verbilligen sich, was den Absatz stimulie- EU-Exporte von Autos und Autoteilen (55 ren kann. respektive 50 Prozent statt bisher 60 Pro- zent). Daneben akzeptiert der Mercosur Zölle auf Autoteile: Nach zehn Jahren die Selbstzertifizierung durch Exporteure sollen über 80 Prozent dieser Zölle be- für Herkunftsnachweise ihrer Produkte. seitigt sein, nach 15 Jahren die meisten Folge: Ein größerer Anteil billiger Vor- übrigen Zölle (bisherige Zollsätze im Mer- produkte aus nicht-EU-Staaten, die die cosur 14 bis 18 Prozent, EU: meist 3 bis 4,5 EU-Autoindustrie in ihre Exportwaren Prozent). Folge: Die Importe von Autotei- einbaut, genießt künftig Zollvergünsti- len der beiden Regionen werden eben- gungen im Mercosur. falls günstiger. Automobilanhang: Die Mercosur- Zölle auf Rohstoffe: Die Vertragspar- Staaten erkennen Tests und Zertifikate teien vereinbarten eine schrittweise über Autozulassungen an, die auf Basis Zollbeseitigung innerhalb von 10 Jahren der häufig zu schwachen UN- oder EU- nach dem Inkrafttreten des Abkommens Regulierungen erfolgen. Folge: Man- (Mercosur in einzelnen Fällen nach 15 Jah- gelhaft getestete Automobile, die etwa ren) bei Produkten aus Eisen, Stahl, Alu- höhere Emissionen als ausgewiesen pro- minium, Kupfer, Lithium, Blei und Zink duzieren, erhalten eine leichtere Zulas- (derzeitige EU-Zölle zwischen 1,7 und 10 sung im Mercosur. Prozent, Mercosur-Zölle zwischen 2 und 16 Prozent). Daneben beseitigt die EU ihren Schwache Schutzinstrumente: Das Ab- Regelzollsatz auf Biodiesel innerhalb von kommen enthält verschiedene Bestim- 10 Jahren. Folge: Die Einfuhr diverser un- mungen, die seine Risiken mindern sollen, verzichtbarer Rohstoffe der Autoindustrie dafür aber unzureichend sind: nicht-sank- verbilligt sich in der EU und im Mercosur. tionsbewehrtes Nachhaltigkeitskapitel, keine Operationalisierung des Pariser Bioethanol-Quote: Die EU räumt dem Klimaschutzabkommens, keine Regeln Mercosur eine Quote von 650.000 Tonnen zu Sorgfaltspflichten oder entwaldungs- des aus Zuckerrohr gewonnenen Bio- freien Lieferketten und eine womöglich ethanols ein, davon 200.000 Tonnen für schwache Menschenrechtsklausel. Folge: die Nutzung als Treibstoff zum Drittel des Die Automobilindustrie bleibt von einigen bisherigen Zollsatzes. Folge: Die EU-Im- potenziellen Kosten der Risikominimie- porte von Bioethanol, das fossilem Ben- rung verschont. zin beigemischt wird, werden gleichfalls günstiger.
17 4. Ungleicher Tausch: Handel zwischen EU und Mercosur
18 Die Corona-Krise hat auch im bilateralen Handel zwischen der EU und dem Mercosur Spuren hinterlassen. Die durch Lockdowns und Liefer- engpässe verursachte Schrumpfung des Welthandels spiegelte sich ebenfalls in einem verringerten Warenaustausch zwischen den beiden 4. Ungleicher Tausch: Handel zwischen EU und Mercosur Blöcken wider. In 2020 schrumpften die EU-Importe aus dem Mercosur gegenüber dem Vorjahr um 8,4 Prozent, die EU-Exporte in den Mercosur um knapp 14 Prozent, von 41,3 auf 35,5 Milliarden Euro. Obgleich die Exporte der EU stärker einbrachen als ihre Importe, erzielte sie – wie bereits in den acht Jahren zuvor – abermals einen Handelsüberschuss gegenüber dem Mer- cosur. Dieser belief sich 2020 auf 2,3 Milliarden Euro (2019: 5 Milliarden Euro).18 Darüber hinaus blieb auch die äußerst ungleiche Zusammenset- zung der Exportpalette der beiden Regionen erhalten. Die EU liefert zu über 80 Prozent Industriewaren in den Mercosur, knapp die Hälfte davon entfällt auf Maschinen und Kraftfahrzeugteile (siehe Grafik 1). Die Exporte von Teilen und Komponenten für die Autoindustrie sind da- bei wertmäßig bedeutsamer als die Exporte von Autos selbst. Über drei Viertel des gesamten Automobilexports in den Mercosur besteht aus den diversen Vorprodukten, seien es Motoren, Getriebe, Scheinwerfer oder Reifen. In den vergangenen Jahren entfielen rund 15 Prozent der EU-Exporte in den Mercosur auf solche Kraftfahrzeugteile.19 Dagegen stammen drei Viertel der Mercosur-Exporte in die EU aus der Landwirtschaft und dem Bergbau. Maschinen und Kraftfahrzeugteile kommen dagegen nur auf einen Anteil von etwas über 6 Prozent (siehe Grafik 2). Allerdings sind die aus dem Mercosur eingeführten Bergbauprodukte für die europäische Automobilindustrie von großer Bedeutung, seien es Eisenerz und Kupfer aus Brasilien oder Silber und Lithium aus Argenti- nien. Auch diverse Agrarprodukte aus Südamerika finden in der Auto- industrie Verwendung: Rindsleder für Sitze, Baumwolle für Bodenbeläge, Zellulose für Verkleidungen, Kautschuk für die Reifenherstellung oder Bioethanol für die Benzinbeimischung. EU-27: Exporte in den und Importe aus dem Mercosur 2020 Grafik 1 und 2: Mrd. Euro, Quelle: European Commission, 20.5.2021 Exporte: Importe: Agrar/Rohstoffe: 4,1 Agrarprodukte: 18,8 Andere: 1,5 Andere: 0,9 Maschinen / Autoteile: 13,8 Maschinen / Autoteile: 2,1 Übrige Industriewaren: 16 Übrige Industriewaren: 4,8 Bergbau / Treibstoffe: 6,4
19 5. Fokus Autohandel: Absatzmarkt Mercosur
20 Ein Blick auf die europäischen Automobilexporte in den Mercosur der vergangenen fünf Jahre bietet einige Erkenntnisse über deren spezifi- sche Zusammensetzung. Im Zeitraum 2016 bis 2020 summierten sich die gesamten Autoexporte aus EU-Ländern mit Fahrzeugproduktion in 5. Fokus Autohandel: Absatzmarkt Mercosur den Mercosur auf rund 15,7 Milliarden Euro. Der Löwenanteil entfiel dabei mit 12 Milliarden Euro auf die Ausfuhr von Kraftfahrzeugteilen, lediglich 3,7 Milliarden Euro auf Kraftfahrzeuge (siehe Grafik 3). Die hohe Bedeutung des Teile- und Komponentenexports verweist auf die zahlreichen Fertigungsstätten in den Mercosur-Staaten, in denen diese Vorprodukte weiterverarbeitet und montiert werden. Vor allem in Argentinien und Brasilien sind die großen europäischen Autohersteller mit eigenen Produktionsstätten vertreten. In beiden Länder haben VW, Renault und Stellantis PKW-Werke. BMW betreibt ein Werk in Brasilien. Daneben produzieren europäische Firmen Nutzfahrzeuge im Mercosur. In Argentinien haben Daimler und Iveco Werke, in Brasilien Daimler und die VW-Töchter MAN und Scania. 20 Hinzu kommen die Mercosur-Nieder- lassungen diverser europäischer Zulieferer wie Bosch, ZF, Mahle, Scha- effler, Continental oder Magna. Der Großteil der in den Mercosur exportierten Automobile sind PKW, nur ein kleiner Teil Nutzfahrzeuge wie Transporter. Im Hinblick auf den Antrieb der aus der EU ausgeführten PKW dominieren noch immer die Benziner, nur ein geringer Teil entfällt auf Diesel, Hybrid- oder E-Autos (siehe Grafik 4). EU-Kraftfahrzeugexporte in den Mercosur 2016–2020 Quelle: Oliver Worm / Greenpeace 2021 Grafik 3: Euro 11.957.567.887 3.705.954.604 KFZ-Teile KFZ Grafik 4: Euro, Typen 2.802.201.166 299.600.228 248.139.381 356.013.829 Benziner Diesel Hybrid+ NutzFz E-Auto
21 5. Fokus Autohandel: Absatzmarkt Mercosur Die EU exportiert vor allem Autoteile in den Mercosur, die dort in den Werken europäischer Autohersteller montiert werden. Foto: carlos aranda, Unsplash Ein Grund für den geringen Export von Diesel-PKW ist, dass in Brasilien, dem mit Abstand größten Absatzmarkt des Mercosur, mit Diesel betrie- bene PKW schon in den 1970er Jahren verboten wurden. Hintergrund war die weltweite Ölkrise und die hohe Abhängigkeit Brasiliens von teuren Erdölimporten, die die Handelsbilanz belasteten. Der Treibstoff- mangel veranlasste die brasilianische Regierung zu Einsparmaßnahmen: Zum einen ordnete sie 1975 an, Bioethanol dem fossilen Benzin beizu- mischen (siehe Box 2, S. 26), zum anderen beschränkte sie 1976 die Ver- wendung von Diesel auf kommerzielle Transportzwecke, etwa für LKWs, Busse oder Traktoren. 1994 modifizierte die Regierung die Diesel-Vor- schrift. Seither ist die Verwendung von Diesel in allen Kraftwagen mit ei- ner Nutzlast von weniger als 1.000 Kilogramm verboten. Außer in LKWs, Bussen und Traktoren, dürfen Dieselantriebe nur in schwerere Pickups und in SUVs mit Vierradantrieb eingebaut werden. 21 Gleichwohl versuchten ausländische Automobilkonzerne in den ver- gangenen Jahrzehnten, das brasilianische Dieselverbot für PKW zu kip- pen. Zu diesem Zweck gründeten einige transnationale Autozulieferer mit brasilianischen Niederlassungen, darunter die deutschen Konzerne Bosch und Mahle, vor einigen Jahren den Lobbyverband Aprove Diesel. 22 Doch bisher blieben die Initiativen zur Abschaffung des Diesel-Verbots erfolglos, auch wenn sie gelegentlich von einzelnen Kongressabgeord- neten aufgegriffen wurden, wie zuletzt im Sommer 2021. 23 Die Hersteller und Zulieferer der deutschen Automobilindustrie domi- nieren den EU-Mercosur-Handel. Von den Autos und Autoteilen im Wert von 15,7 Milliarden Euro, die die EU-Hersteller zwischen 2016 und 2020 in den Mercosur ausführten, entfielen 44 Prozent auf deutsche Firmen (siehe Grafik 5).
22 EU: Automobilexporte in den Mercosur 2016–2020 Grafik 5: Euro, Autos und Autoteile, Quelle: Oliver Worm / Greenpeace 2021 5. Fokus Autohandel: Absatzmarkt Mercosur 1.947.225.797 1.832.740.707 1.698.808.289 1.058.717.229 677.243.554 441.046.472 282.713.575 171.895.695 158.874.571 156.418.158 132.354.244 112.684.238 93.908.042 44.969.377 4.390.373 108.127 73.501 Bei den in den Mercosur exportierten PKW mit Benzinantrieb ist die deutsche Dominanz noch größer: 63 Prozent der EU-Exporte von Benzinern gehen auf das Konto der deutschen Autohersteller. Im Vergleich zu den übrigen EU-Herstellern liefern deutsche Firmen zudem überpro- portional viele große Benziner mit einem Hubraum von 1,5 bis über 3 Litern.24 Auch Österreichs Automobilindustrie, da- runter Firmen wie Magna, Miba oder AVL, profitiert vom Absatzmarkt des Mercosur. Während die Unternehmen einen klei- neren Teil ihrer Produkte direkt in den Mercosur-Ländern absetzen, entfällt ein größerer Teil auf Teile, Komponenten und Autos für europäische Markenfirmen wie VW, Daimler, BMW oder Stellantis, die ihre Kraftwagen unter anderem im Mer- cosur verkaufen. Besonders eng ist dabei die Verflechtung mit Deutschland, in das Der größte Teil der aus der EU in den Mercosur ausgeführten Österreichs Industrie rund die Hälfte ihrer PKW sind Benziner. Foto: AlfRibeiro, Adobe Stock Autoteile exportiert. 25
23 5. Fokus Autohandel: Absatzmarkt Mercosur 6.849.350.542 Die europäischen Autoproduzenten haben eine starke Position auf den beiden Hauptabsatzmärkten des Mercosur – Argentinien und Brasilien. In der Rangliste der Hersteller mit den meisten verkauften PKW in Brasi- lien rangierte VW im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre auf dem zweiten Platz, hinter dem US-Konzern General Motors. Auf dem dritten Platz finden sich die Marken der im Januar 2021 gegründeten niederlän- dischen Holding Stellantis, eine Fusion von Fiat-Chrysler (FCA) und Peu- geot (PSA), auf dem vierten Platz Renault-Nissan (siehe Grafik 6). In Argentinien sind die PKW-Marken der Stellantis-Gruppe Marktführer, gefolgt von Volkswagen auf dem zweiten Platz und Renault-Nissan auf dem vierten (siehe Grafik 7). Marktanteile der PKW-Hersteller 2016–2020 Quelle: Oliver Worm / Greenpeace 2021 Grafik 6: Brasilien, Mittelwert in Prozent 23 17 14 11 10 10 9 6 Grafik 7: Argentinien, Mittelwert in Prozent 26 19 16 15 11 11 2
24 6. E-Autos für Europa, Verbrenner für den Mercosur
Während einige Autohersteller Ausstiegsdaten für PKW mit Verbren- nungsmotor in Europa angekündigt haben und auf die Produktion von 25 E-Autos umstellen, verfolgen sie im Mercosur eine andere Strategie. Dort wollen sie weit länger als auf dem europäischen Markt an der klima- 6. E-Autos für Europa, Verbrenner für den Mercosur schädlichen Verbrennungstechnologie festhalten. Die noch mangelhafte Ladeinfrastruktur für E-Autos in den Mercosur-Ländern dient ihnen dafür als Vorwand. Daneben propagieren die Autokonzerne besonders in Bra- silien die weitere Verwendung von Agrotreibstoffen, mit denen sich die Klimabilanz ihrer Verbrennungsmotoren vermeintlich verbessern lasse. Für den Mercosur aber birgt diese Strategie erhebliche Nachteile. Zum einen verursacht die Produktion der Agrotreibstoffe erhebliche Umwelt- belastungen und zahlreiche Landkonflikte, zum anderen würde sich der Umstieg auf Elektromobilität noch weiter verzögern. Damit aber drohen den Mercosur-Staaten nicht nur höhere verkehrsbedingte Treibhausgas- emissionen, sondern auch technologische Rückstände. Während global die Antriebswende – weg vom Verbrenner hin zum Elektromotor – weiter voranschreitet, bleiben sie von der überholten Verbrennungstechnologie abhängig. Die europäischen Autokonzerne hingegen würden sich auf längere Sicht in Südamerika einen Absatzmarkt für ihre klimaschädlichen Verbrenner sichern, die sie andernorts nicht mehr absetzen können. Die Mercosur-Staaten selbst verfolgen unterschiedliche Antriebsstrate- gien. Die argentinische Regierung legte im Oktober 2021 einen umfas- senderen Gesetzentwurf vor, der auch die Entwicklung der E-Mobilität vorsieht (Ley de Movilidad Sustentable). Als Standortvorteil betrachtet die Regierung dabei die großen Lithium-Vorkommen des Landes, die sie für den Aufbau einer nationalen Batterieproduktion nutzen möchte. 26 Brasilien dagegen setzt vornehmlich auf sogenannte Flex-Fuel-PKW, die eine Betankung mit beliebigen Mischungen aus Bioethanol und Ben- zin erlauben. Die massenhafte Bioethanol-Beimischung begann bereits in den 1970er Jahren und wurde von der brasilianischen Regierung mit ihrem Proálcool-Programm intensiv gefördert (siehe Box 2). Die starke Konkurrenz der Flex-Fuel-Technologie zu anderen Antrieben lässt sich an den brasilianischen Autozulassungen ablesen. Im Jahr 2020 etwa entfielen 85 Prozent der Neuzulassungen von PKW und leich- ten Nutzfahrzeugen auf die Flex-Fuel-Wagen, lediglich ein Prozent auf Elektro-Autos (siehe Grafik 8). Brasilien: Neuzulassungen PKW und leichte Nutzfahrzeuge 2020 Grafik 8: in Prozent, Quelle: Anfavea 2021 Flex Fuel: 85 % Diesel: 11 % Benziner: 3 % E-Autos: 1 % Die brasilianische Regierung setzt auch bei ihrer künftigen Dekarbo- nisierung des Verkehrssektors in erster Linie auf Agrotreibstoffe wie Bioethanol und Biodiesel und beruft sich dafür auf eine günstigere Schadstoff- und Klimabilanz im Vergleich zu rein fossilen Treibs toffen. Unterstützung findet sie dabei vor allem bei der mächtigen Agrar industrie des Landes, die dafür die beiden wichtigsten Rohstoffe liefert: Zuckerrohr für das Bioethanol und Soja für den Biodiesel. 27
26 Box 2: Proálcool-Programm: Erdöl sparen, Zuckerrohr stützen, VWs kaufen 6. E-Autos für Europa, Verbrenner für den Mercosur Erste Erfahrungen mit der Beimischung von Bioethanol sammelte Brasilien bereits während des ersten und zweiten Weltkriegs, um den damaligen Treibstoffmangel auszugleichen. Die massenhafte Verwendung des aus Zuckerrohr gewonnenen Ethanols begann in der Ölkrise der 1970er Jahre, um teure Erdölimporte zu sparen. Zugleich litt damals die brasilianische Zuckerrohrindustrie unter Überkapazitäten, weil ihre Absatzmärkte in den USA und Europa wegfielen. In den USA begannen Softdrinkhersteller wie Coca- Cola damit, Zucker durch Maissirup zu ersetzen, während die EU ihren einstigen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifik, den sogenannten AKP-Ländern, mit dem Lomé-Abkommen eine zollfreie Importquote für Zucker gewährte. Um zugleich Erdöl zu sparen und die Zuckerrohrindustrie zu stüt- zen, beschloss die brasilianische Regierung 1975 daher das Pro- álcool-Programm, das zunächst eine geringe Beimischung von anhydriertem Bioethanol zum Benzin anordnete. Ab 1979 kamen Autos mit reinen Ethanol-Motoren auf den Markt, die vollständig mit hydriertem Bioethanol betankt werden konnten. 2003 schließ- lich folgten die Flex-Fuel-Autos, die mit beliebigen Mischungen von Bioethanol und Benzin angetrieben werden können. In den USA gab es zu dieser Zeit bereits diverse Flex-Fuel-Modelle, doch der erste Wagen dieser Art, der kommerziell auf den brasiliani- schen Markt kam, war der Volkswagen Gol 1,6 Total Flex. 28 Auch im Hinblick auf alternative Antriebe verfolgt Brasilien Projekte, die auf die Nutzung von Bioethanol setzen, etwa Flex-Fuel-Hybride. Diese Modelle kombinieren einen Elektromotor mit einem Verbrennungsmo- tor, der mit Benzin und Bioethanol betrieben werden kann. Weitere Hoff- nungen ruhen auf Brennstoffzellen-Autos, die Bioethanol als Kraftstoff verwenden. Keine Priorität hingegen hat die Förderung einer größeren Verbreitung rein batteriebetriebener E-Autos. 29 Die Autoindustrie stützt Brasiliens auf Ag- rotreibstoffe fokussierten Sonderweg, so auch Volkswagen. VW-Markenchef Ralf Brandstätter erklärte im März 2021, dass das von der Marke VW für Europa ange- strebte Datum für den Verbrenneraus- stieg – zwischen 2033 und 2035 – nicht in Schwellenländern realisierbar sei. In Brasi- lien repräsentiere Ethanol „eine effektive Brückentechnologie“ auf dem Weg zur Dekarbonisierung. VW werde in Brasilien daher ein Forschungs- und Entwicklungs- zentrum errichten, das sich neuen Techno- logien auf Basis von Ethanol und anderen Agrotreibstoffen speziell für Schwellen- In Fabriken wie dieser in Costa Pinto wird der v ermeintlich länder widmen soll. 30 Das Motiv für die nachhaltige Ethanoltreibstoff aus Zuckerrohr h ergestellt. Unterstützung des Biotreibstoffpfads liegt Foto: Mariordo, Wikimedia allerdings nahe: Die Autoindustrie kann ihre bestehenden Investitionen in Ver- brennungsmotoren noch länger nutzen, ohne modernisieren zu müssen.
Doch die Klimawirksamkeit des brasilianischen Dekarbonisierungsan- satzes im Verkehrssektor ist durchaus zweifelhaft, wie eine Studie zweier 27 Wissenschaftler*innen des Wuppertal-Instituts zeigt. Die Untersuchung verglich zwei Alternativ-Szenarien mit einem Business-as-usual-Szenario, 6. E-Autos für Europa, Verbrenner für den Mercosur das den heutigen Antriebsmix der brasilianische Autoflotte bis zum Jahr 2050 fortschreibt. Die alternativen Szenarien modellieren den schrittwei- sen Übergang Brasiliens zur vollständigen Nutzung entweder von Ag- rotreibstoffen oder von elektrischer Energie zum Antrieb von PKW und Bussen. 31 Das Ergebnis: Eine Elektrifizierung der PKW- und Busflotte bis 2050 könnte eine deutliche CO2-Einsparung von 65 bis 89 Prozent bewirken. Bei Umstellung auf Agrotreibstoffe hingegen würde Kohlendioxid in ähnlicher oder noch größerer Menge als beim Business-as-usual-Szena- rio emittiert. Als wesentlichen Grund für das schlechtere Abschneiden des Biotreibstoffpfads nennen die Wissenschaftler*innen die hohen Emissionen, die durch Landnutzungsänderungen für den Anbau der Energiepflanzen entstehen, etwa bei der Umwandlung von Wäldern und Weiden in Ackerflächen, oder bei den regelmäßigen Erntezyklen von Zu- ckerrohr und Soja. 32 Als besonders klimaschädlich erweist sich dabei der aus Sojaöl gewon- nene Biodiesel, wie eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommis- sion bestätigte. Danach entstehen bei der Produktion von Sojadiesel etwa doppelt so hohe Treibhausgasemissionen im Vergleich zu fossilem Diesel, vor allem aufgrund der Landnutzungsänderungen. 33 Vor diesem Hintergrund sollten die Mercosur-Staaten sich nicht auf die Strategie der europäischen Autoindustrie einlassen, die die Region weiter in Ab- hängigkeit von Verbrennungsmotoren und Agrotreibstoffen halten will. Vielmehr sollten sie die Autoindustrie dazu verpflichten, den Ausbau der Ladeinfrastruktur und die Elektrifizierung der Autoflotte im Mercosur zu beschleunigen. Allerdings genügt es auch in den Mercosur-Ländern nicht, den wachsen- den motorisierten Individualverkehr lediglich zu elektrifizieren. Denn ob fossil, mit Agrotreibstoffen oder elektrisch angetrieben: Der Individual- verkehr geht einher mit einem nicht nachhaltigen Rohstoffverbrauch, der das Klima schädigt und menschenrechtliche Konflikte erzeugt. Eine reine Antriebswende kann also auch im Mercosur keine umfassendere Mobilitätswende ersetzen. Vielmehr sollte auch hier die Fahrzeugflotte reduziert und der Ausbau kollektiver Verkehrsmittel wie Busse und Bahnen gefördert werden. Wo auf Autos aber nicht verzichtet werden kann, sollten sie möglichst klein und elek- trisch angetrieben sein. Da auch E-Autos große Mengen an Roh- stoffen verbrauchen, müssen sie klein, langlebig und ihre Bauteile wiederver- wendbar sein. Aus diesem Grunde sollte etwa Argentinien, das den Aufbau eige- ner Produktionsstätten für Batterien anstrebt, die Hersteller zu deren Rezyklier- barkeit verpflichten. Mit entsprechenden Vorschriften könnte das Land nicht nur technologische, sondern auch umwelt- politische Fortschritte erzielen. Denn bei Ausschöpfung ihres Recyclingpotenzials macht der Materialverbrauch der Bat- terien nur einen winzigen Bruchteil des Bei einer Umstellung auf E-Mobilität könnten im Gegensatz zu Flex Treibstoffs aus, den Verbrennungsmoto- Fuels 65-89 Prozent CO 2 eingespart werden. Allerdings muss die Zahl der Autos insgesamt sinken, um Rohstoff- und Stromübernutzung zu ren unwiederbringlich verbrauchen. 34 verhindern. Foto: Ivan Radic, Flickr
28 7. Rohstoffhandel: Der Bergbau und seine Katastrophen
Im Jahr 2010 beklagte sich der Automobilverband ACEA über die hohen Eisenerzpreise auf dem Weltmarkt und forderte die EU dazu auf, eine 29 Rohstoffstrategie zu entwickeln und die Rohstoffversorgung aus Dritt- staaten zu wettbewerblichen Bedingungen zu sichern. 35 In einem Posi- 7. Rohstoffhandel: Der Bergbau und seine Katastrophen tionspapier legte der Verband 2012 nach und forderte von der EU, den „Hebel“ der Handelsverhandlungen zu nutzen, um den Rohstoffzugang zu gewährleisten. Vor allem sollten die Handelsabkommen die Export- beschränkungen eindämmen, die rohstoffreiche Länder einsetzen. 36 Die EU-Kommission setzt diese Industriewünsche auch in ihrem Ab- kommen mit dem Mercosur um. Mehrere Vereinbarungen im bisher vorliegenden Vertragstext zielen darauf ab, den Zugang zu essenziellen Rohstoffen möglichst kostengünstig zu sichern. Zu den für die Automo- bilherstellung besonders wichtigen Rohstoffen gehören Eisen und Stahl, Aluminium, Kupfer, Blei, Zink und das für Elektro-Autos zunehmend wichtige Lithium. Doch nicht nur für diese Werkstoffe enthält das Ab- kommen spezifische Regelungen. Es betrifft auch den Handel mit Treib- stoffen, seien diese – wie Benzin und Diesel – aus Erdöl erzeugt oder aus nachwachsenden Rohstoffen, wie im Fall von Bioethanol und Biodiesel (siehe Kapitel 8 und 9). Die Mercosur-Staaten, allen voran Brasilien und in etwas geringerem Maße Argentinien, sind wichtige Rohstofflieferanten für die EU und Deutschland. Viele der aus Brasilien und Argentinien stammenden Bergbauprodukte sind völlig unverzichtbar für die Automobilindustrie. Mengenmäßig zu den wichtigsten Materialien gehört dabei das aus Bra- silien eingeführte Eisenerz – Rohstoff für die Herstellung von Stahl, der zu großen Mengen im Autobau verwendet wird. Die Abhängigkeit von brasilianischen Rohstoffen ist in Deutschland be- sonders ausgeprägt. Nach einer Untersuchung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) stammt 44,8 Prozent des nach Deutschland eingeführten Eisenerzes aus Brasilien (siehe Grafik 9). Auch die deutschen Importe von Roheisen und Rohstahl stammen zu rund 31 respektive 24 Prozent aus Brasilien. Kupfer – nach Stahl und Aluminium das dritthäufigste Metall im Autobau – führt Deutschland ebenfalls in großen Mengen aus Brasilien ein. Die größte Abhängigkeit besteht beim seltenen Schwermetall Niob, das meist zur Herstellung von besonders festem Spezialstahl eingesetzt wird, der ebenfalls in der Autoindustrie Verwendung findet. 37 Aufgrund der hohen Abhängigkeit von den brasi- lianischen Vorkommen zählt die EU Niob zu den kritischen Rohstoffen. 38 Deutschland: Rohstoffimporte aus Brasilien 2019 Grafik 9: Anteile an Gesamteinfuhr, Prozent, Quelle: BGR, Nov. 2020 86,1 64,4 44,8 42 40,1 37,8 30,9 24 23,5 18,5 16 15,3 14,6 10,5
30 Auch Argentinien ist ein bedeutender Rohstofflieferant der EU und Deutschlands, vor allem für Silber, Kupfer, Blei und Lithium – unver- zichtbare Materialien der Autoindustrie. Allein 26 Prozent der deutschen Silber-Importe stammen aus dem südamerikanischen Land, wie die 7. Rohstoffhandel: Der Bergbau und seine Katastrophen BGR ermittelte. 39 Silber findet sich vor allem in großen Mengen in der Autoelektronik. Das argentinische Lithium findet ebenfalls seinen Weg in europäische Autos, vor allem in Form von Lithium-Ionen-Batterien für E-Autos oder Hybride. Nach Angaben des US-amerikanischen Geologischen Dienstes gehören die argentinischen Lithium-Ressourcen zu den zweitgrößten der Welt, nach denen Boliviens.40 Bisher wird Lithium in Argentinien in zwei Anlagen für den Export gefördert, zahlreiche weitere sollen folgen. Eine der beiden produzierenden Anlagen besitzt das US-Unternehmen Livent, das im Frühjahr 2021 den Abschluss eines mehrjährigen Lieferver- trags mit BMW verkündete. BMW will den Rohstoff für die eigene Batte- riezellenproduktion u.a. in Deutschland verwenden.41 Nach den bisher vorliegenden Vertragsteilen dürfte das EU-Mercosur- Abkommen dazu beitragen, die Rohstoffversorgung der Autoindustrie nicht nur abzusichern, sondern auch zu verbilligen. Zwar liegen die EU- Einfuhrzölle für manche der wichtigen Rohstoffe bereits bei null, etwa für Rohöl, Eisenerz, Rohkupfer oder Silber. Dies gilt jedoch nicht für an- dere Materialien wie Aluminium, viele Eisen-, Stahl- und Kupferprodukte sowie zahlreiche weiterverarbeitete Rohstoffe, die für die Autoindustrie unverzichtbar sind. So können auf Mercosur-Produkte aus Eisen und Stahl in der EU Zölle zwischen 1,7 und 5,7 Prozent anfallen, auf Kupferwaren zwischen 3 und 5,2 Prozent, auf Aluminium zwischen 5 und 10 Prozent, auf Lithium zwi- schen 5,2 und 5,5 Prozent sowie auf Blei- und Zink zwischen 2,5 und 5 Prozent.42 Hinzu kommen Antidumping-Zölle, die die EU seit Oktober 2017 gegenüber brasilianischen Stahlerzeugern auf die Exporte von Flachstahl erhebt (zwischen 53 und 63 Euro pro Tonne).43 Nicht minder wichtig für die im Mercosur ansässigen europäischen Au- tobauer und Zulieferer sind die Zölle, die Argentinien und Brasilien auf die Einfuhr von Rohstoffen erheben. So müssen auf Lithium 2 Prozent entrichtet werden, auf Aluminiumprodukte zwischen 2 und 16 Prozent, auf Kupferwaren zwischen 6 und 16 Prozent sowie auf Blei- und Zinkwa- ren zwischen 2 und 16 Prozent.44 In den Marktzugangslisten des Assoziierungsabkommens haben sich EU und Mercosur nun dazu verpflichtet, den Großteil dieser Zölle in meh- reren Schritten innerhalb von 10 Jahren nach Inkrafttreten des Abkom- mens zu beseitigen. In diesem Zeitrahmen verpflichtet sich die EU meist dazu, die Zollbeseitigungen etwas früher umzusetzen, der Mercosur ten- denziell in den späteren Jahren. In einzelnen Fällen will der Mercosur die Zölle auch erst nach 15 Jahren auslaufen lassen.45 Eine weitere überaus wichtige Bestimmung: Das Abkommen schreibt ein grundsätzliches Verbot von jeglichen Steuern und Abgaben auf Ex- porte vor. Exportsteuern sind ein wichtiges entwicklungs- und industrie- politisches Instrument, mit dem Regierungen sowohl Staatseinnahmen erzielen als auch die inländische Verfügbarkeit knapper Rohstoffe si- cherstellen können, seien dies Lebensmittel oder Bergbauprodukte. So können Exportsteuern beispielsweise dafür eingesetzt werden, die günstige Rohstoffverfügbarkeit für den Aufbau eigener Industriezweige zu gewährleisten. Doch in Artikel 8 des Kapitels über den Güterhandel heißt es, dass drei Jahre nach Inkrafttreten des EU-Mercosur-Abkom- mens keine der Vertragsparteien derartige Exportabgaben einführen oder aufrechterhalten soll. Allerdings räumt das Abkommen den Mer- cosur-Staaten die Möglichkeit ein, Ausnahmen von dieser Regel in spezi- fischen Verpflichtungslisten einzutragen.46
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