"Gute Schulden": Sind höhere Staatsschulden für das Konjunkturpaket gerechtfertigt? - ifo Institut

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"Gute Schulden": Sind höhere Staatsschulden für das Konjunkturpaket gerechtfertigt? - ifo Institut
»Gute Schulden«: Sind höhere Staatsschulden
  für das Konjunkturpaket gerechtfertigt?
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Die Konjunkturpakete können nicht aus dem regulären Staatsetat finanziert werden. Was bleibt,
ist eine massive Kreditaufnahmen. Sind der Anstieg der Staatsverschuldung und die Abkehr von
dem zumindest im vergangenen Jahr erfolgreichen gesamtstaatlichen Konsolidierungskurs ange-
sichts des dramatischen Konjunktureinbruchs gerechtfertigt?

Gute Schulden – schlechte                      sich hierbei in der Gesellschaft von min-
Schulden                                       destens fünf weiteren europäischen Staa-
                                               ten befindet und sich die Schuldenstands-
Weltweite Konjunkturkrise und                  quote der dem Maastrichter Vertrag ins-
Konjunkturprogramme                            gesamt unterworfenen Staaten bereits in
                                               diesem Haushaltsjahr mit einer prognos-
Zu Beginn dieses Jahres versucht nicht         tizierten Quote von 67,4% des BIP eben-
nur die Bundesregierung, sondern es be-        falls außerhalb der Maastricht-Norm be-
mühen sich die Regierungen aller wichti-       wegt, ist dies kein Freibrief für eine mas-
ger OECD-Staaten, allen voran hier die         sive Expansion der staatlichen Kreditauf-
USA, der sich in einem unerwarteten Tem-       nahme, sondern eher eine Verpflichtung,
po wie auch Ausmaß verschärfenden Fi-          als größte europäische Volkswirtschaft in-
nanz- und Konjunkturkrise durch die Ver-       nerhalb der Eurozone als »fiskalischer Sta-
abschiedung milliardenschwerer kreditfi-       bilitätsanker« zu wirken.                                      Winfried Fuest*
nanzierter Konjunkturprogramme entge-
genzutreten. Faktum ist einerseits, dass
                                               Konsolidierung oder Nachfrage-
gegenwärtig in einem besorgniserregen-
                                               stabilisierung à la Keynes
den Tempo und Ausmaß die Realwirt-
schaft von der Finanzkrise in Mitleiden-
                                               Vor dem Hintergrund dieser zweifellos
schaft gezogen wird und damit die
                                               schwierigen Haushaltssituation stellt sich
Wachstumsraten und die Beschäftigungs-
                                               nun bereits heute die Frage, ob angesichts
entwicklung in allen wichtigen Industrie-
                                               des dramatischen Konjunktureinbruchs
ländern 2009 negative Vorzeichen aufwei-
                                               einerseits wie des ebenso dramatischen
sen werden. Tatsache ist andererseits
                                               Anstiegs der Staatsverschuldung ande-
aber auch, dass die öffentliche Verschul-
                                               rerseits eine Rückkehr zu der seit den
dung als Reflex auf diese Entwicklung
                                               achtziger Jahren in der etablierten Finanz-
ebenfalls in einem besorgniserregenden
                                               wissenschaft kritisch oder gar kontrapro-
Tempo und Umfang zunimmt. Dieses gilt
                                               duktiv beurteilten »Deficit-Spending-Stra-
auch oder gerade für die Bundesrepublik,
                                               tegie à la Keynes« die richtige finanzpoli-
wo die Nettokreditaufnahme des Bundes
                                               tische Antwort zur Lösung dieser Krise ist.
mit bis zu 50 Mrd. € und auch der gesamt-
                                               Ist damit zugleich auch eine Abkehr von
wirtschaftliche Schuldenstand bereits in
                                               dem zumindest in dem vergangenen Jahr
diesem Jahr neue Negativrekorde verbu-
                                               erfolgreichen gesamtstaatlichen Konsoli-
chen dürfte und 2010 mit hoher Wahr-
                                               dierungskurs das Gebot der Stunde? Ei-
scheinlichkeit erneut die Maastricht-Kri-
                                               ne voreilige Antwort auf diese Fragen soll-
terien verfehlen wird. So prognostiziert die
                                               te nicht gegeben werden. Denn gegen-
EU-Kommission in ihrem im Januar 2009
                                               wärtig durchläuft nicht nur die Bundesre-
publizierten Interimsbericht für Deutsch-
                                               publik, sondern erleiden alle OECD-Staa-
land im Jahr 2010 ein am BIP gemesse-
                                               ten einen bisher in der Vergangenheit nicht
nes gesamtwirtschaftliches Finanzie-
                                               zu beobachtenden massiven konjunktu-
rungsdefizit von 4,2% sowie einen Schul-
                                               rellen Abschwung aus einer kumulierten
denstand von 72,3% des BIP (vgl. Euro-
                                               Finanz- und Wirtschaftskrise. Weitgehen-
pean Commission 2009). Damit würden
die beiden im Maastricht-Vertrag verein-
barten Verschuldungsgrenzen von maxi-          * Prof. Dr. Winfried Fuest ist der stellv. Leiter des Wis-
mal 3% bei der Neuverschuldung sowie             senschaftsbereichs Wirtschaftspolitik und Sozial-
                                                 politik am Institut der deutschen Wirtschaft Köln
60% beim Schuldenstand deutlich über-            und Professor für VWL an der Fachhochschule der
troffen. Auch wenn die Bundesrepublik            Wirtschaft, Bergisch Gladbach.

                                                                                                     62. Jahrgang – ifo Schnelldienst 4/2009
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4   Zur Diskussion gestellt

    de Einigkeit besteht in Wissenschaft und Politik allenfalls dar-   er- und Beitragsaufkommen in den öffentlichen Haushalten
    in, dass sich in einer derartigen außergewöhnlichen Krise für      schmerzhaft bemerkbar machen. Als Reaktion hierauf mit
    die größte europäische Volkswirtschaft sowohl ein untätiges        einer staatlich verordneten Parallelpolitik, üblicherweise in
    finanzpolitisches Erstarren wie auch hektischer Aktionismus        Form von Ausgabekürzungen im investiven Bereich, zu rea-
    verbietet. Damit ist jedoch noch kein Lösungsweg aufge-            gieren, wird niemand ernsthaft fordern, denn dadurch wür-
    zeigt, wie denn der Staat sein Policy-Mix für eine konjunk-        de das Problem eher verschärft als gemildert. Dies sind zu-
    turgerechte Finanzpolitik ausrichten soll. Ein Patentrezept        mindest die in Theorie wie auch Empirie gewonnenen siche-
    oder auch empirisch abgesicherte Lösungsvorschläge exis-           ren Ergebnisse.
    tieren nicht. Im Gegenteil ist die Unsicherheit groß, welche
    Rezeptur letztlich erfolgversprechend sein wird. Wie auch          Zweifellos ist es auch eine ökonomisch gesicherte Erkennt-
    der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzminister in          nis, dass es in einer wirtschaftlichen Krise geboten erscheint,
    seinem jüngst veröffentlichten Brief betont (vgl. Wissenschaft-    die sog. automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen und
    licher Beirat 2008), drängt sich gegenwärtig tatsächlich die       damit die zu erwartenden konjunkturbedingten Steuermin-
    nicht nur rhetorisch gemeinte Frage auf, warum die Bundes-         dereinnahmen sowie Mehrausgaben nicht durch diskretio-
    regierung in dieser Konjunkturkrise defizitfinanzierte fiskal-     näre Steueranhebungen zu kompensieren, sondern als kon-
    politische Maßnahmen für eine Ausweitung der gesamtwirt-           junkturell bedingte Defizite zu verbuchen und damit hinzu-
    schaftlichen Nachfrage ergreifen soll, wo von Seiten der Wis-      nehmen. Diese so auch ohne staatliche Aktivität zu erzielen-
    senschaft wie auch Politik seit Beginn der achtziger Jahre         de Stabilisierungswirkung, führt zwar zu einer Glättung des
    hiervon abgeraten wurde, weil die Erfolge einer derartigen         Konjunkturzyklus, reicht jedoch zur Stabilisierung oder gar
    Strategie in der Vergangenheit mehr als unbefriedigend wa-         Trendumkehr des gegenwärtigen massiven weltweiten Kon-
    ren und allenfalls zu einer nachhaltig angelegten Verschul-        junktureinbruchs wohl kaum aus. Empirische Untersuchun-
    dungsexpansion in den öffentlichen Haushalten geführt ha-          gen der OECD kommen im Fall der Bundesrepublik zwar
    ben (vgl. Fels 1983, 90). Zudem gibt es eine Vielzahl von em-      zu dem Ergebnis, dass via automatische Stabilisierung die
    pirischen Studien und plausiblen ökonomischen Argumen-             Konjunkturschwankungen in der Vergangenheit um etwa ein
    ten, die belegen, dass zumindest in langfristiger Sicht eine       Drittel gemindert werden konnten (vgl. SVR 2008). Jedoch
    Konsolidierungsstrategie im Vergleich zu der kurzfristig an-       ist zu vermuten, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt diese
    gelegten Deficit-Spending-Variante besser geeignet ist, für        Stabilisierungswirkung geringer ausfallen wird, weil durch
    ein höheres Wachstum und Beschäftigungsplus zu sorgen              die jüngeren Reformen im Bereich der Einkommensbesteue-
    und daher auch die politisch gebotene Strategie darstellt.         rung sowie der Arbeitslosenversicherung die automatischen
    So gelangt das Bundesministerium der Finanzen in einer be-         Stabilisatoren in ihrer Wirkungsfähigkeit geschwächt wer-
    reits 1985 veröffentlichten Analyse (BMF 1985) zu dem Er-          den, was dann als ein weiteres Argument für eine aktive
    gebnis, dass die staatliche Finanzpolitik dann ihren besten        staatliche Finanzpolitik herangezogen werden muss.
    Beitrag zu einer konjunkturellen Belebung leistet, wenn sie
    in den Augen der Wirtschaftssubjekte verlässlich auf einen
    Rückgang der öffentlichen Defizite hinwirkt und somit die          Anforderungen an eine konjunkturgerechte
    Voraussetzungen für eine Geldwertstabilität, niedrige Zinsen       diskretionäre Finanzpolitik
    und Steuerentlastungen schafft. Nimmt man noch das Pro-
    blem der impliziten Verschuldung und die Gefahr                    Damit ist es notwendig, auch die Strategie einer diskretio-
    von Tragfähigkeitslücken mit in das Kalkül auf, so spricht         nären antizyklisch ausgerichteten Finanzpolitik mit in den
    all dieses gegen eine Rückkehr zu der »alten, allzu beque-         »Instrumentenkasten« zur Bekämpfung der aktuellen Krise
    men« Schuldenpolitik der permanenten Heraufstabilisierung          aufzunehmen, selbst dann, wenn dadurch die konjunktur-
    der Konjunktur über den Zyklus hinweg (vgl. Fuest und              bedingten Defizite wieder in die Höhe schnellen. So hat die
    Thöne 2007).                                                       Europäische Kommission zu Beginn dieses Jahres ihren Mit-
                                                                       gliedstaaten und damit auch der Bundesrepublik empfoh-
                                                                       len, nicht nur allein auf die Wirkungsweise der automatischen
    Dringender finanzpolitischer Handlungsbedarf für                   Stabilisatoren zu vertrauen, sondern zusätzlich ein kreditfi-
    die Bundesregierung                                                nanziertes Konjunkturprogramm in Höhe von 1,2% des Brut-
                                                                       toinlandsproduktes aufzulegen (vgl. European Commission
    Jedoch stellt sich anderseits in der aktuellen weltweiten          2009). Zwar muss man auch hier konzedieren, dass von Sei-
    Krisensituation auch in Deutschland ebenso drängend die            ten der Empirie gegenüber einer derartigen Strategie eben-
    Frage, worin der ökonomische Preis einer finanzpolitischen         falls Skepsis geboten ist, weil in der Vergangenheit die auf
    Abstinenz liegt. Der selbst von der Bundesregierung in ih-         diesem Weg erzielten Stabilisierungsergebnisse eher be-
    rem jüngsten Jahreswirtschaftsbericht erwartete massive            scheidener Natur waren oder gar im Extremfall negativ aus-
    Konjunkturabschwung bereits im laufenden Jahr wird sich            fallen, d.h. dann im Klartext sogar prozyklisch wirken. Je-
    durch eine steigende Arbeitslosigkeit und Ausfälle beim Steu-      doch könnten diese unerwünschten Ergebnisse vermieden

    ifo Schnelldienst 4/2009 – 62. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt                      5

oder gar in ihren positiven Bereich gekehrt werden, wenn ei-       nung des gesamtwirtschaftlichen Defizits methodisch nicht
ne intelligente, d.h. konjunkturgerechte staatliche Stabili-       einfach, gleichwohl notwendig, um nicht zu neuen besorg-
sierungsstrategie realisiert würde. Dazu ist die Realisierung      niserregenden Tragfähigkeitslücken im Staatshaushalt zu
eines sowohl auf kurze Frist wirksamen antizyklischen staat-       gelangen und damit bereits heute zukünftige Generationen
lichen Maßnahmenbündels wie ebenso ein auf mittelfristige          ungefragt zur Finanzierung dieser Defizite heranzuziehen.
Sicht ausgerichtetes Programm zur Stärkung des Potenti-            Somit ist es notwendig, auch den häufig in der Vergangen-
alwachstums notwendig. Hieraus ergibt sich dann die Not-           heit bei Politikern in Vergessenheit geratenen Teil 2 der key-
wendigkeit, eine konjunkturgerechte staatliche Finanzpolitik       nesianischen Deficit-Spending-Strategie anzuwenden. Die-
an folgenden Kriterien auszurichten (vgl. SVR 2008; Wissen-        ser sieht bekanntermaßen den Abbau der zuvor eingegan-
schaftlicher Beirat 2008):                                         genen konjunkturbedingten Defizite in einer späteren Auf-
                                                                   schwungsphase vor. Zur Vermeidung struktureller Defizite
– Time lags, also Zeitverzögerungen in der Wirkungskette           bedarf es daher zusätzlicher Anstrengungen. Die gerade von
  derartiger konjunkturpolitischer Maßnahmen müssen so-            der Bundesregierung im Rahmen der Föderalismusreform
  weit wie möglich minimiert werden.                               II beschlossene Schuldenbremse ist hier allenfalls ein erster
– Maßnahmen mit »Gießkannencharakter« sollten vermie-              Schritt in die richtige Richtung. Der derzeit diskutierte Zeit-
  den und im Gegenzug eine hohe Zielgenauigkeit erstrebt           plan zur verbindlichen Umsetzung dieser Schuldenbremse
  werden.                                                          ist jedoch wenig ehrgeizig und nährt den Verdacht der Po-
– Dauerhaft angelegte konsumtive wie auch sozialpoliti-            litökonomie, dass unter dem Nutzenkalkül der Politiker das
  sche Ausgabenprogramme sind ebenfalls zu vermeiden,              Ziel der Wiederwahl höher angesetzt wird als das der not-
  weil sie die Gefahr struktureller Defizite oder aber mittel-     wendigen nachhaltigen Schuldenbegrenzung. Unter diesem
  fristig notwendiger Steuer- und Abgabenerhöhungen in             Aspekt wäre eine verbindliche Festschreibung des gesamt-
  sich bergen.                                                     staatlichen Verschuldungsverbots in »konjunktureller Nor-
– Zur Stärkung des Potentialwachstums sollten hingegen             malsituation« im Grundgesetz selbst für die finanzschwa-
  staatliche Investitionen wie auch Steuer- und Sozialab-          chen Bundesländer bereits vor dem Jahr 2020 sinnvoll und
  gabensenkungen herangezogen werden.                              daher geboten.

Schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme und                        Literatur
Schuldenbremse als siamesische Zwillinge
                                                                   Bundesministerium der Finanzen (1985), Aufgaben und Ziele einer neuen Fi-
                                                                   nanzpolitik – Grenzen staatlicher Verschuldung, Schriftenreihe Heft 36, Bonn.
Zieht man einmal diese Kriterien als Beurteilungsmaßstab           Donges, J.B., J. Eekhoff, W. Franz, C. Fuest, W. Möschel und M.J.M. Neu-
                                                                   mann (Kronberger Kreis) (2005), Den Stabilitäts- und Wachstumspakt här-
für die beiden von der Bundesregierung inzwischen auf den          ten, Schriftenreihe der Stiftung Marktwirtschaft Frankfurter Institut, Band 43,
Weg gebrachten Konjunkturprogramme heran, so ist das               Berlin.
                                                                   European Commission (2009), »Interim Forecast. January 2009«, Press Con-
bereits Anfang November 2008 verabschiedete »Programm              ference of 19 January 2009.
zur Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung«               Fels, G. (1983), »Die Konsequenzen der Staatsverschuldung«, in: Perspek-
zu wenig zielgenau ausgerichtet, weil es aus 15 nicht auf-         tiven der deutschen Wirtschaftspolitik, Stuttgart, Berlin, Köln, München.
                                                                   Fuest, W. und M. Thöne (2007), Tragfähige Finanzpolitik. Ein weiter Weg für
einander abgestimmten Einzelmaßnahmen besteht. Das ge-             Deutschland, IW-Positionen Nr. 25, Beiträge zur Ordnungspolitik aus dem In-
rade verabschiedete zweite Konjunkturprogramm ist bei al-          stitut der deutschen Wirtschaft Köln, Köln.
                                                                   Heinemann, F. (1994), Staatsverschuldung. Ursachen und Begrenzung, Bei-
ler Kritik an der Ausgestaltung der einzelnen Maßnahmen,           träge zur Wirtschafts- und Sozialpolitik (214), Institut der deutschen Wirt-
sowohl was sein Volumen wie auch seine Struktur anbe-              schaft Köln, Köln.
                                                                   Institut der deutschen Wirtschaft Köln (2009), Konjunkturprogramme. Kraft-
langt, hier durchaus besser zu bewerten, weil es gesamt-
                                                                   akte gegen die Krise, iwd – Informationsdienst des Instituts der deutschen
wirtschaftlich sinnvoller ausgerichtet ist. So versucht die Bun-   Wirtschaft Köln (6), Jg. 35, Köln.
desregierung mit zusätzlichen öffentlichen Investitionen in        Maier, G. (1983), »Hat die Staatsverschuldung die Rezession mit verursacht?«,
                                                                   Wirtschaftsdienst (6), 255–260.
die Infrastruktur, Steuersenkungen und Entlastungen bei den        SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
gesetzlichen Sozialabgaben sowohl auf kurzfristige Sicht           Entwicklung (2008), Die Finanzkrise meistern – Wachstumskräfte stärken,
                                                                   Jahresgutachten 2008/09, Textziffer 412, http://www.sachverstaendigenrat-
den Konjunkturabschwung zu bremsen und in mittelfristiger          wirtschaft.de/gutacht/ga-content.php?gaid=53 &node=a.
Perspektive die Wachstumskräfte zu stärken.                        Wissenschaftlicher Beirat des Bundesministeriums der Finanzen (2008), »Be-
                                                                   steht in Deutschland weiterer fiskalpolitischer Handlungsbedarf zur Stabili-
                                                                   sierung der Konjunktur?«, Brief des Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Bei-
Vor diesem Hintergrund ist dann der mit diesem zweiten             rats an den Bundesminister der Finanzen Peer Steinbrück vom 3. Dezem-
Konjunkturprogramm verbundene spürbare Anstieg der                 ber 2008, Oxford.

Staatsverschuldung eher tolerierbar, als das bei dem ers-
ten Programm der Fall ist. Diese Einschätzung gilt jedoch
nur unter der Prämisse, dass es tatsächlich gelingt, eine
strikte Trennung zwischen strukturellem und konjunkturel-
lem Defizit vorzunehmen. Bekanntlich ist eine derartige Tren-

                                                                                             62. Jahrgang – ifo Schnelldienst 4/2009
6   Zur Diskussion gestellt

                                                                                    die Breite des Programms zu wünschen übrig. So ist es zwei-
                                                                                    felhaft, ob die umfangreiche energetische Sanierung von öf-
                                                                                    fentlichen Gebäuden in so kurzer Zeit gelingen kann, ohne
                                                                                    massive Kapazitätsengpässe zu bewirken.

                                                                                    Der Fokus dieses Beitrags soll jedoch in der Finanzierung
                                                                                    der zusätzlichen und vorübergehenden Staatsausgaben
                                                                                    bestehen. Hier haben wir die Wahl zwischen Pest und Cho-
                                                                                    lera und müssen in der aktuellen Situation das kleinere Übel
                                                                                    wählen. Dies ist eindeutig die Schuldenfinanzierung der
                                                                                    vorübergehenden Ausgaben, weil ansonsten enorme Steu-
                                                                                    ererhöhungen in diesem und dem nächsten Jahr erfor-
                                                                                    derlich wären. Für die Schuldenfinanzierung spricht also
    Reinhold Schnabel*                                                              in diesem Fall die damit verbundene Steuerglättung. Dies
                                                                                    steigert aber die fiskalischen Probleme in der Zukunft ge-
                                                                                    rade in Deutschland, das besonders rasant altert. Nach
                                                                                    Überwindung der Rezession wird daher die Konsolidierung
    Auch gute Schulden sind eine Last                                               der öffentlichen Haushalte umso dringlicher. Das Vertrau-
                                                                                    en der Finanzmärkte in die deutsche Fiskalpolitik ist hier
    In der akuten Krise verfolgt die Bundesrepublik – wie alle an-                  ein ganz zentrales Gut, das nicht aufs Spiel gesetzt wer-
    deren Industriestaaten – eine expansive Fiskalpolitik. Nach-                    den darf. Wie gefährlich der eingeschlagene Weg ist, zeigt
    dem geldpolitische Instrumente und auch die Bankenret-                          sich an der Krise der EU-Südländer.
    tungspläne ganz offensichtlich nicht eine tiefgreifende Re-
    zession verhindern konnten, sollen erhöhte Staatsausgaben                       Auch vermeintlich gute Schulden sind eine Last: Der Anstieg
    die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage schließen. Die                         der Staatsverschuldung wird zu einer nochmals steigen-
    Finanzierung der zusätzlichen Ausgaben erfolgt nicht durch                      den Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte in naher Zu-
    erhöhte Steuern (schon gar nicht durch Ausgabenkürzun-                          kunft führen. Allein die für 2009 und 2010 vorgesehene –
    gen an anderer Stelle), sondern durch Verschuldung. Da                          bisher nur grob geschätzte – Neuverschuldung soll rund
    die aktuelle Krise besonders tief und voraussichtlich auch                      170 Mrd. € betragen. Leicht könnte es auch mehr werden.
    lang andauernd ist, greifen einige Argumente gegen keyne-                       Durch die bisher geplante Neuverschuldung steigt die jähr-
    sianische Fiskalpolitik nicht mehr. Insbesondere der Einwand,                   liche Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte um rund
    die expansive Wirkung setze zu spät ein und wirke damit                         7,5 Mrd. € an, wenn man die verhältnismäßig niedrige Um-
    prozyklisch, erscheint nun unangebracht. Auch die negati-                       laufrendite der letzten zehn Jahre zugrunde legt. Zur Finan-
    ven Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise mit einer restrikti-                   zierung dieser Zinszahlungen wird ein Preis zu zahlen sein.
    ven Fiskalpolitik können als Begründung für eine schnelle                       Denn nach der Rezession müssen die Abgaben erhöht oder
    und massive expansive Fiskalpolitik herangezogen werden.                        die Ausgaben gekürzt werden. In einer Zeit, in der durch
    Zudem ist der innen- und außenpolitische Druck enorm,                           die demographische Alterung ohnehin die Belastungen auf
    »irgendetwas« zu tun.                                                           beiden Seiten des Budgets steigen, wird sowohl das eine
                                                                                    als auch das andere schwer fallen.
    Die Wirtschaftskrise legitimiert aber nicht jeden Unsinn. So
    sollten Firmen, die strukturell defizitär sind, durch den Staat                 Der finanzpolitische Spielraum ist leider auch deshalb ge-
    nicht künstlich am Leben gehalten werden. Zudem müs-                            ring, weil in den zurückliegenden Jahren nicht genug für
    sen konjunkturell begründete Ausgabenprogramme so ge-                           die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte geleistet
    staltet werden, dass sie im Aufschwung wieder zurückge-                         wurde. Die Bundesrepublik hatte schon in dem letzten
    fahren werden. Auch dies wäre fraglich, wenn strukturell                        relativ milden Abschwung die EU-Stabilitätsbedingungen
    schwache Firmen subventioniert würden. Das zweite Kon-                          viermal nacheinander verletzt. Ein ausgeglichener Haus-
    junkturpaket hat insofern bisher keine schwerwiegenden                          halt wurde nur im anschließenden Aufschwung erzielt dank
    Fehler begangen. Der fiskalische Impuls in der Größenord-                       stark rückläufiger Arbeitslosigkeit und steigender Steuer-
    nung von 50 Mrd. € verteilt über zwei Jahre wird angesichts
                                                                                    einnahmen.
    der schwerwiegenden Rezession keinesfalls das Produkti-
    onspotential der Volkswirtschaft überfordern. Allenfalls lässt
                                                                                    So ist Deutschland mit einer Verschuldung von rund
                                                                                    1 600 Mrd. € in die aktuelle Rezession gestartet. Dies ent-
    * Prof. Dr. Reinhold Schnabel ist Inhaber der Professur für Volkswirtschafts-   spricht 64% des Bruttoinlandsprodukts. Die Zinszahlungen
      lehre, insbesondere Finanzwissenschaften, an der Universität Duisburg-
      Essen und Forschungsprofessor beim Zentrum für Europäische Wirtschafts-
                                                                                    der öffentlichen Haushalte betrugen im Jahr 2008 etwa
      forschung (ZEW), Mannheim.                                                    66 Mrd. € und machten damit schon in den guten Zeiten

    ifo Schnelldienst 4/2009 – 62. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt            7

rund 6% des öffentlichen Gesamthaushalts aus. Im Bund,                              zialen Sicherung zu. Diese Entwicklung birgt größere Haus-
der den Hauptteil der Verschuldung trägt, verschlang die Be-                        haltsrisiken als die Konjunkturprogramme und die Finanz-
dienung der Schulden gar 15% des Budgets.                                           marktstabilisierung. Die Agenda 2010 war ein mutiger Ver-
                                                                                    such, angesichts der besonders dramatischen demographi-
Hier schlummert eine große Gefahr: Den öffentlichen Haus-                           schen Alterung Deutschlands eine Lösung zu finden. Je-
halten kommen zurzeit (noch) historisch niedrige Zinssätze                          doch wurden die Reformen an vielen Stellen verwässert.
zugute. Steigen aber die Zinssätze in der Zukunft an, etwa
weil die Kreditwürdigkeit des Staates leidet, dann kann sich                        – In der Rentenpolitik wurde die »Rente mit 67« halbherzig
die Zinslast ohne weiteres verdoppeln. Dass dies innerhalb                            umgesetzt. Außerdem wurde der Riesterfaktor ausge-
kurzer Zeit geschehen kann, mussten Griechenland, Ita-                                setzt.
lien, Spanien und Portugal schon leidvoll erfahren. Selbst                          – In der Arbeitsmarktpolitik wurde die Bezugsdauer des
Irland, das bis zum Ausbruch der Krise mit einem niedrigen                            ALG I für ältere Arbeitnehmer wieder erhöht; auch die ak-
Schuldenstand glänzte, wurde von den Finanzmärkten bru-                               tive Arbeitsmarktpolitik wird trotz der ungünstigen Eva-
tal abgestraft. Doch auch Deutschland ist vor einer derarti-                          luationsergebnisse auf immer noch hohem Niveau wei-
gen Entwicklung nicht gefeit, wenn die Staatsverschuldung                             tergeführt.
ausufert. Deutschland aber ist ein Land, das im Vergleich                           – In der Sozialpolitik liegen die Ausgaben für die Grundsi-
zu den meisten anderen Industrieländern durch die demo-                               cherung weit über denen vor der Hartz-IV-Reform. Trotz-
graphische Alterung eine besondere Belastung zu tragen                                dem steigt der gesellschaftliche Druck zugunsten zusätz-
hat. Dies hat zwei Gründe: Erstens altert Deutschland im                              licher Leistungen. Als Folge wurden die Bedarfssätze für
Vergleich zu anderen Ländern besonders schnell, weil die                              Kinder zwischen 6 und 14 Jahren angehoben.
Geburtenraten seit nunmehr 40 Jahren extrem niedrig sind.                           – In der Kranken- und Pflegeversicherung schließlich ist
Zweitens besitzt Deutschland ein relativ großzügiges sozia-                           eine Stabilisierung trotz zahlreicher »Reformen« überhaupt
les Sicherungssystem, das demographisch anfällig ist. Zwar                            nicht absehbar. Stattdessen steigen dort die Beitragssät-
leisten sich beispielsweise die skandinavischen Staaten ei-                           ze beschleunigt weiter.
ne umfangreiche soziale Sicherung, doch ist ihre Bevölke-
rungsentwicklung aufgrund höherer Geburtenraten deutlich                            Die Ausgabendynamik der Sozialversicherung wird weitere
günstiger als die deutsche. Deutschland hat somit ein dop-                          Erhöhungen der Beitragssätze in der Größenordnung von
peltes Problem: Die Sozialausgaben drohen besonders stark                           gut 6 Prozentpunkten erforderlich machen. Dieser Anstieg
anzusteigen, während die Fähigkeit zur Steigerung der Ein-                          setzt sich wie folgt zusammen. In der Rentenversicherung
nahmen begrenzt ist. Ein Schuldenstand in Höhe von 160%                             wird der Beitragssatz im günstigsten Fall um 2% steigen,
des BIP im Jahr 2030 liegt nach Schätzungen des ZEW im                              während gleichzeitig die Belastung des Bundeshaushalts
Bereich des Möglichen.1                                                             durch den Bundeszuschuss wächst. In der gesetzlichen
                                                                                    Krankenversicherung kommt zur demographischen Alterung
Nur kurzfristig erscheint die Entwicklung der öffentlichen Aus-                     noch die Einführung neuer Behandlungsmöglichkeiten hin-
gaben in einem günstigen Licht. So ist die Staatsausga-                             zu, so dass auch hier mit einem Anstieg des Beitragssat-
benquote Deutschlands im letzten Konjunkturzyklus zwar                              zes um mehrere Prozentpunkte zu rechnen ist. In der Pfle-
von 48,5 (im Jahr 2005) auf 44% (im Jahr 2008) zurückge-                            geversicherung muss mit einer Verdopplung der Beitrags-
gangen. Entsprechend ist auch die Neuverschuldung zu-                               sätze gerechnet werden. Die zunehmende Steuerfinanzie-
rückgegangen. Dieser Rückgang war jedoch zu einem gro-                              rung der Sozialbeiträge, zuletzt in der Krankenversicherung
ßen Teil konjunkturell bedingt. Die Sozialausgaben – mit rund                       beschlossen, ist kein Ausweg, sondern reine Augenwische-
zwei Dritteln der größte Teil der Staatsausgaben – sind auch                        rei zur Vertuschung der Belastungen.
im Boom nicht gesunken, sondern bloß langsamer ange-
wachsen als das Sozialprodukt. Günstig wirkte sich vor al-                          Andererseits sind die Möglichkeiten der Einnahmeerzielung
lem der Rückgang der Arbeitslosigkeit aus, der die Ausga-                           begrenzt. Die Staatseinnahmen lassen sich in einer offenen
ben der Bundesagentur von 2005 auf 2007 um 17 Milliar-                              Volkswirtschaft durch Erhöhung von Beitrags- und Steuer-
den schrumpfen ließ. In der Rentenversicherung konnten die
                                                                                    sätzen nicht beliebig steigern – zumindest nicht ohne erheb-
Ausgaben durch Riesterfaktor und Nachhaltigkeitsfaktor vor-
                                                                                    liche Einbußen an wirtschaftlicher Leistung.
übergehend begrenzt werden.
                                                                                    Die Konjunkturpolitik im Allgemeinen und das zweite Kon-
Eine zentrale Rolle für die mittel- und langfristige Stabilität
                                                                                    junkturpaket im Besonderen stellen eine erhebliche zusätz-
der öffentlichen Haushalte kommt der Entwicklung der so-
                                                                                    liche Belastung der öffentlichen Haushalte dar. Diese mag
                                                                                    in der außergewöhnlichen Situation angemessen sein. Je-
1   Vgl. ZEWnews 10/2005. Diese Schätzung ist zwar schon einige Jahre alt,          doch kommt es entscheidend darauf an, ob es im Zuge
    hat aber nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Sie berücksichtigt zwar nicht
    die günstige wirtschaftliche Entwicklung der Jahre 2006–2008, aber auch
                                                                                    des nächsten wirtschaftlichen Aufschwungs gelingt, die Ver-
    nicht die Finanzkrise.                                                          schuldung wieder zu begrenzen und eine nachhaltige Kon-

                                                                                                        62. Jahrgang – ifo Schnelldienst 4/2009
8   Zur Diskussion gestellt

    solidierung der öffentlichen Haushalte einzuleiten. Andern-
    falls droht auch Deutschland eine Spirale aus steigender Ver-
    schuldung und Verlust der Kreditwürdigkeit.

    Diese Mahnung ist besonders wichtig, da angesichts des
    Bankenrettungsplans weitere Staatsausgaben gefordert wer-
    den nach dem Motto: »den Banken werden Milliarden ge-
    schenkt und den ALG-II-Empfängern wird eine Erhöhung
    der Regelsätze verwehrt.« Ein ähnliches Argument wird zu-
    gunsten von Interventionen zur Rettung einzelner Indus-
    trieunternehmen bemüht. Diese populistischen Argumente
    verkennen dreierlei. Erstens wird nur ein Teil der »Banken-
    milliarden« budgetwirksam, und zwar in dem Maße, in dem
    der Staat tatsächlich für Garantien einspringen muss. Zwei-
    tens werden die zweifellos erheblichen Summen nicht dau-
    erhaft nötig sein, sondern nur einmalig anfallen. Drittens
    beträgt das Volumen der Sozialausgaben Jahr für Jahr 30%
    des Sozialprodukts – mithin rund 700 Mrd. € und das Jahr
    für Jahr. Es kann also überhaupt nicht davon die Rede sein,
    dass sozial Schwache oder Durchschnittsverdiener leer aus-
    gehen.

    Die wesentlichen Gefahren des zweiten Konjunkturpakets
    und weiterer Beschlüsse bestehen demnach darin, dass
    einige der Maßnahmen nicht bloß vorübergehende Ausga-
    benerhöhungen darstellen, sondern eine anhaltende Erhö-
    hung von Staatsausgaben bewirken – seien es struktur-
    politische oder soziale »Wohltaten«. Dies würde die drin-
    gend erforderliche Konsolidierung der öffentlichen Haus-
    halte, die nach der Rezession auf der Tagesordnung steht,
    bedrohen.

    ifo Schnelldienst 4/2009 – 62. Jahrgang
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