UN-Friedenssicherung in Afrika - eine Bestandsaufnahme
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Hansen · von Gienanth | UN-Friedenssicherung in Afrika UN-Friedenssicherung in Afrika – eine Bestandsaufnahme Annika S. Hansen · Tobias von Gienanth Keine andere Region beansprucht die Institutionen in allen UN-Einsätzen von 27 Prozent im Jahr 2003 und Mechanismen der UN-Friedenssicherung mehr auf 51 Prozent im Jahr 2016 erhöht. In Missionen als Afrika. Obwohl nur 16 Prozent der Weltbevöl- auf ihrem Heimatkontinent stellen afrikanische Staa- kerung auf dem Kontinent leben, wurden dort im ten knapp zwei Drittel des uniformierten Personals. 5 Jahr 2014 52 Prozent aller gewaltsamen Zwischen- Neben dem Wachstum bei Friedenssicherungsein- fälle weltweit registriert. 1 In neun afrikanischen sätzen steigt auch die Anzahl von zivilen Politischen Staaten bemühen sich die UN um Friedenssiche- Missionen und Sondergesandten. Knapp 1000 Per- rung. Dort dienen rund vier von fünf Blauhelmen. sonen und damit rund ein Drittel des gesamten Der Beitrag stellt problematische Missionen und Er- Personals der Politischen Missionen arbeiten heute folgsgeschichten vor und zeigt Trends der Friedens- in Afrika. sicherung in Afrika auf. Dr. Annika S. Hansen, Typologie der Missionen geb. 1969, ist Zahlen und Daten Die Einsätze der UN in Afrika lassen sich ungefähr wissenschaftliche Seit Beginn des neuen Jahrtausends hat sich die An- drei Kategorien zuordnen: Die meist zu Recht kriti- Mitarbeiterin am zahl des uniformierten Personals in Friedenssiche- sche Berichterstattung in den Medien wird von den Zentrum für Inter- rungseinsätzen der Vereinten Nationen grob ver- ›Problemfällen‹ in Zentralafrika und der Sahel-Re- nationale Friedens- achtfacht. Zusätzlich hat sich der Fokus der Frie- gion beherrscht. Weniger prominent sind die weitge- einsätze (ZIF). Sie denssicherung deutlich von Europa nach Afrika ver- hend erfolgreichen westafrikanischen Missionen. Die war in verschiede- lagert. Während Mitte der neunziger Jahre rund ein Politischen Missionen, die sich mit einer verwirren- nen Friedenseinsät- Drittel der UN-Blauhelme in Afrika stationiert wa- den Vielfalt von Formaten und Bezeichnungen über zen, im UN-Sekre- ren und fünf der 14 Einsätze auf dem Kontinent den ganzen Kontinent verteilen, sind noch weniger tariat in New York stattfanden, sind heute von insgesamt etwa 102 000 bekannt. und zuvor am Militärs und Polizisten fast 85 000 in den neun af- Forschungsinstitut rikanischen Friedensmissionen im Einsatz. 2 Hinzu ›Sorgenkinder‹ und ›Dauerbrenner‹ des norwegischen kommen aktuell etwa 15 000 zivile Mitarbeiterinnen In diese Kategorie fallen die Einsätze in der Demo- Verteidigungsminis- und Mitarbeiter. 3 kratischen Republik Kongo (DRK, ehemals Zaire), teriums (FFI) tätig. Anfang des Jahres 2003 lag die Personalstärke in Mali, in Südsudan, in der Zentralafrikanischen aller UN-Einsätze noch bei unter 40 000, ein we- Republik (ZAR) sowie die hybride Mission in Dar- sentlicher Teil davon in der damaligen Mission der fur. Momentan sind etwa 88 Prozent der in Afrika Organisation der Vereinten Nationen in der Demo- eingesetzten Blauhelme in diesen Missionen statio- kratischen Republik Kongo (Mission des Nations niert. Trotz ihrer Größe sind diese Friedenssiche- Unies en République démocratique du Congo – rungseinsätze für ihre riesigen und unwegsamen MONUC). In den folgenden Jahren wurden jedoch Einsatzgebiete unterbesetzt. Sie haben allesamt höchst innerhalb eines kurzen Zeitraums vier Missionen anspruchsvolle Mandate, die eine Vielzahl von Auf- entsandt. 4 Mitte des Jahres 2013 wurde mit der gabenfeldern umfassen. Manche Zielvorgaben, wie Mehrdimensionalen integrierten Stabilisierungsmis- sion der Vereinten Nationen in Mali (Mission multi- dimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali – MINUSMA) erneut eine 1 Jakkie Cilliers, Future (Im)perfect? Mapping Conflict, Violence große Mission mandatiert. Im Jahr 2014 folgte die and Extremism in Africa, ISS Paper 287, Institute for Security Studies, Tobias von Einrichtung der Mehrdimensionalen integrierten Sta- Oktober 2015, S. 3–5. Gienanth, bilisierungsmission der Vereinten Nationen in der 2 Für weitere Zahlen und Daten siehe www.un.org/en/peace- geb. 1968, ist Zentralafrikanischen Republik (Mission multidimen- keeping/resources/statistics/contributors.shtml stellvertretender sionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabi- 3 Während die Zahlen für uniformiertes Personal leicht zugänglich Leiter des Arbeits- lisation en République centrafricaine – MINUSCA) sind, ist es schwierig, genaue Angaben über das Zivilpersonal zu re- bereichs Analyse und die Anzahl der Blauhelme in Afrika stieg im cherchieren. des ZIF in Berlin. Frühjahr 2015 erstmals auf über 85 000. 4 Siehe Übersicht der UN-Friedensmissionen in Afrika in diesem Die Verlagerung nach Afrika spiegelt sich auch Heft, S. 196. in den truppenstellenden Staaten wider: So hat sich 5 Richard Gowan, 10 Trends in Peace Operations, Global Peace Ope- der Anteil der Blauhelme aus afrikanischen Ländern rations Review, Center on International Cooperation (CIC), 17.6.2015. Vereinte Nationen 5/2016 195
Hansen · von Gienanth | UN-Friedenssicherung in Afrika etwa der umfassende Schutz der lokalen Zivilbe- ßung. Die im Jahr 1999 mandatierte Mission der völkerung, sind aufgrund des fehlenden Personals Vereinten Nationen in Sierra Leone (United Na- kaum zu erfüllen. Für manche Aufgaben mangelt es tions Mission in Sierra Leone – UNAMSIL) wurde den Blauhelmen auch an Training und Ausrüstung. im Jahr 2005 beendet. 6 Auch die Mission der Ver- Einige Aktivitäten stoßen schließlich auf Wider- einten Nationen in Liberia (United Nations Mission stand bei der lokalen Bevölkerung wie etwa die Stär- in Liberia – UNMIL) und die Operation der Ver- kung der Autorität umstrittener Regierungen. Auch einten Nationen in Côte d’Ivoire (United Nations die Rahmenbedingungen dieser Friedenseinsätze Operation in Côte d’Ivoire – UNOCI) wurden be- Von allen UN-Ein- sind höchst problematisch: In vielen Einsatzgebie- reits deutlich reduziert. sätzen in Afrika ten herrscht offener Krieg; ein politischer Friedens- Was erklärt diese positive Bilanz? Für Sierra Le- weisen Sierra Leone, prozess ist nicht erkennbar. Manche der oft zahlrei- one und Liberia sind die Erfolgsfaktoren recht ähn- Liberia und Côte chen Konfliktparteien sind weder bereit, die Kampf- lich. Die Bürgerkriege waren derart apokalyptisch, d’Ivoire die beste handlungen gegeneinander noch die Ausplünderung dass wesentliche Teile der Bevölkerung und der po- Erfolgsbilanz auf. der Zivilbevölkerung einzustellen. In der DRK, in litischen Eliten die Notwendigkeit eines Neuanfangs Sudan und Südsudan lehnen sogar die nationalen mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft Regierungen den Einsatz ganz oder teilweise ab. erkannten. Sie kooperierten daher dauerhaft – wenn auch nicht immer mit großem Enthusiasmus – mit den Westafrikanische Erfolgsgeschichten UN-Missionen. Ein Beleg hierfür ist, dass UNAMSIL Von allen UN-Einsätzen in Afrika weisen Sierra und UNMIL auch mehrere Jahre nach ihrer Statio- Leone, Liberia und Côte d’Ivoire die beste Erfolgs- nierung extrem hohe Zustimmungswerte bei Mei- bilanz auf. Sierra Leone erlebte den ultimativen nungsumfragen erhielten.7 Zusätzlich war die inter- Ritterschlag für jeden Friedenseinsatz – seine Schlie- nationale Gemeinschaft bereit, erhebliche Ressourcen Friedensmission Einsatzland Beginn Personal gesamt Budget Militär / Polizei / Zivil in Mio. US-Dollar (Juli 2016–Juni 2017) Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in Westsahara April 1991 465 56,5 Westsahara 220 / 0 / 245 (Misión de las Naciones Unidas para el réferendum del Sáhara Occidental – MINURSO) Mehrdimensionale integrierte Stabilisierungsmission der Zentralafrika- April 2014 13 365 920 Vereinten Nationen in der Zentralafrikanischen Republik nische Republik 10 400 / 2050 / 915 (Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation en République centrafricaine – MINUSCA) Mehrdimensionale integrierte Stabilisierungsmission der Mali April 2013 13 090 933 Vereinten Nationen in Mali 10 400 / 1300 / 1390 (Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali – MINUSMA) Stabilisierungsmission der Organisation der Vereinten Demokratische Juli 2010 22 530 1235 Nationen in der Demokratischen Republik Kongo Republik Kongo 17 300 / 1400 / 3830 (Mission de l’Organisation des Nations Unies pour la Stabilisation en République démocratique du Congo – MONUSCO) Hybrider Einsatz der Afrikanischen Union und der Sudan Juli 2007 20 650 1040 Vereinten Nationen in Darfur 13 800 / 3300 / 3550 (African Union/United Nations Hybrid Mission in Darfur – UNAMID) Interims-Sicherheitstruppe der Vereinten Nationen für Abyei Abyei Juni 2011 4745 268 (United Nations Interim Security Force for Abyei – UNISFA) 4500 / 15 / 230 Mission der Vereinten Nationen in Liberia Liberia September 3070 187 (United Nations Mission in Liberia – UNMIL) 2003 1200 / 570 / 1300 Mission der Vereinten Nationen in Sudan Südsudan Juli 2011 16 125 1081 (United Nations Mission in the Republic of South Sudan – 12 300 / 1450 / 2375 UNMISS) Operation der Vereinten Nationen in Côte d’Ivoire Côte d’Ivoire April 2004 4565 153 (United Nations Operation in Côte d'Ivoire – UNOCI) 2750 / 760 / 1055 Gesamt: 98 605 5,87 Milliarden 72 870 / 10 845 / 14 890 Quelle: Darstellung der Autoren 196 Vereinte Nationen 5/2016
Hansen · von Gienanth | UN-Friedenssicherung in Afrika zu investieren. In Sierra Leone war zum Zeitpunkt rend die Gemischte Kommission Kamerun-Nigeria der größten Personalstärke ein Blauhelm pro vier (Cameroon-Nigeria Mixed Commission – CNMC) Quadratkilometer stationiert, in Liberia einer pro die Markierung der Grenze zwischen Kamerun und 7,5 Quadratkilometer. Zum Vergleich: In den ak- Nigeria unterstützt. tuellen Missionen in Mali und der DRK muss ein Schließlich experimentierten die Vereinten Na- In keiner anderen Blauhelm statistisch rund 100 Quadratkilometer tionen in Afrika mit völlig neuen Formaten als Re- Region zeigt sich ›stabilisieren‹. Liberia und Sierra Leone sind darü- aktion auf eine mit herkömmlichen Einsätzen nicht die Vielfalt der ber hinaus im Fokus der Kommission für Friedens- zu bewältigende Krisensituation. So wurde die Mis- Mechanismen der konsolidierung (Peacebuilding Commission). 8 Ihre sion der Vereinten Nationen für Ebola-Nothilfe- UN zur Prävention, positive Entwicklung zeigt, dass ein ganzheitlicher maßnahmen (United Nations Mission for Ebola Schlichtung oder und kohärenter Ansatz, der das gesamte Spektrum Emergency Response – UNMEER) von 2014 bis nachhaltigen Lösung der UN-Instrumente über Jahre hinweg zum Ein- 2015 spezifisch mandatiert, um Aktivitäten und von Konflikten satz bringt, zu einer nachhaltigen Friedenssicherung Ressourcen im Kampf gegen die Ebola-Epidemie so deutlich wie beitragen kann. in mehreren westafrikanischen Ländern zu koor- in Afrika. Auch in Côte d’Ivoire zeigten die UN mit erheb- dinieren. 12 licher Unterstützung Frankreichs militärische Ent- schlossenheit.9 Ursprünglich mandatiert, um die Um- Trends der UN-Friedenssicherung setzung eines Friedensabkommens zu überwachen, in Afrika sah sich die UNOCI nach der umstrittenen Präsi- dentschaftswahl im November 2010 mit erneuten UN-Blauhelme finden in Afrika wie anderswo im- Kampfhandlungen konfrontiert. Diesen Test bestand mer schwierigere Bedingungen vor: Konfliktszena- sie: Der rechtmäßige Wahlsieger bildete nach einer rien und die anschließenden Friedensprozesse wer- kurzen Intervention durch die UN und Frankreich den komplexer, Einsatzmandate werden anspruchs- die Regierung. voller und robuster. Gastregierungen zeigen sich zu- nehmend unkooperativ bis hin zu offener Feindse- Politische Missionen und andere Feldpräsenzen ligkeit. Die Kombination aus schwachen Regie- In keiner anderen Region zeigt sich die Vielfalt der rungsstrukturen, dem Fehlen eines tatsächlichen Mechanismen der UN zur Prävention, Schlichtung Friedensprozesses und einem unbeständigen Umfeld oder nachhaltigen Lösung von Konflikten so deut- erschwert die Umsetzung der Mandate und führt lich wie in Afrika. Abgesehen vom Fehlen einer mi- litärischen Komponente und ihrer geringen Größe weisen die elf von der Hauptabteilung Politische Angelegenheiten (Department of Political Affairs – 6 Für weitere Informationen zu UNAMSIL siehe www.un.org/en/ DPA) geführten Feldeinsätze kaum Gemeinsamkei- peacekeeping/missions/past/unamsil/ ten auf. 10 Darunter sind drei sogenannte Besondere 7 Zu Sierra Leone siehe CIC, Annual Review of Global Peace Opera- Politische Missionen (Special Political Missions): die tions 2006, Boulder 2006, S. 104; Zu Liberia siehe Karen Barnes Ro- Hilfsmission der Vereinten Nationen in Somalia binson/Craig Valters/Tove Strauss/Aaron Weah, Progress in Small Steps. (United Nations Assistance Mission in Somalia – Security Against the Odds in Liberia, Overseas Development Institute, UNSOM), das Integrierte Büro der Vereinten Natio- Case Study Report, Januar 2015, S. 24. nen für die Friedenskonsolidierung in Guinea-Bis- 8 Liberia hat seit dem Jahr 2008 45 Millionen US-Dollar, Sierra Leo- sau (United Nations Integrated Peacebuilding Office ne seit dem Jahr 2007 insgesamt 52,2 Millionen US-Dollar aus dem in Guinea-Bissau – UNIOGBIS) und die Unterstüt- Friedenskonsolidierungsfonds erhalten. zungsmission der Vereinten Nationen in Libyen (Uni- 9 Mehr zur ›Opération Licorne‹ und zur Rolle Frankreichs: Marco ted Nations Support Mission in Libya – UNSMIL). Wyss, Primus inter Pares? France and Multi-Actor Peacekeeping in Die Aufgabe dieser Missionen besteht überwiegend Côte d’Ivoire, in: Marco Wyss/Thierry Tardy, Peacekeeping in Africa: in der Beratung der jeweiligen Regierung bei politi- The Evolving Security Architecture, Routledge 2014, S. 132–148. schen Versöhnungsprozessen sowie der Reform des 10 Informationen zu allen Feldeinsätzen des DPA unter www.un. Sicherheitssektors und des Rechtswesens. org/undpa/en/in-the-field/overview Zusätzlich bieten die UN in Afrika ihre ›Gute- 11 Zu diesen zählen das Büro der Vereinten Nationen bei der Afrika- Dienste-Missionen‹ (Good Offices) in Form von acht nischen Union (United Nations Office to the African Union – UNO- weiteren Einsätzen an.11 Ihre Mandate sind teilweise AU), das UNOCA, das UNOWAS, ein Sondergesandter des Generalse- sehr weit gefasst, teilweise sehr spezifisch. So sollen kretärs für die Region der Großen Seen, ein Sondergesandter des das Regionalbüro der Vereinten Nationen für Zen- Generalsekretärs für Sudan und Südsudan, ein Persönlicher Gesand- tralafrika (United Nations Regional Office for Cen- ter des Generalsekretärs für Westsahara, ein Sonderberater und Ver- tral Africa – UNOCA) und das Büro der Vereinten mittler des Generalsekretärs für den Grenzkonflikt zwischen Äqua- Nationen für Westafrika (United Nations Office for torialguinea und Gabun sowie die CNMC. West Africa and the Sahel – UNOWAS) zu Frieden 12 Informationen zur UNMEER: http://ebolaresponse.un.org/un-mis und Stabilität in ihren Regionen beitragen, wäh- sion-ebola-emergency-response-unmeer Vereinte Nationen 5/2016 197
Hansen · von Gienanth | UN-Friedenssicherung in Afrika Nach Auseinandersetzungen zwischen der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) mit einer Gruppe bewaffneter Männer mussten etwa 6000 Menschen ihren Heimatort 45 km entfernt von Juba, Südsudan, verlassen und bitten dringend um humanitäre Hilfe. UNMISS- Truppen sind vor Ort, um die humanitäre Situation und Sicherheitslage zu prüfen, September 2016. UN-Foto: Isaac Billy immer öfter zu direkten Angriffen auf UN-Perso- litisch und sozial motivierte Aufständische mit isla- nal. 13 mistischen Organisationen zusammenschließen und gezielt ›westliche Ziele‹ angreifen. Das Beispiel Mali ›No Peace to Keep‹ veranschaulicht sowohl dieses Zusammenspiel als Friedenserhaltende Missionen der UN werden zu- auch die Probleme der UN, solch eine komplexe nehmend in Einsatzgebiete entsandt, in denen es kei- Konfliktdynamik aufzulösen. 15 nen Frieden zu erhalten gibt. Viele Staaten zeichnen sich durch eine unüberschaubare Vielzahl von Kon- Robuste Einsätze fliktparteien aus, die regelmäßig ihre Bezeichnung, Seit dem Jahr 1999 gehört der Schutz der Zivilbe- Zusammensetzung und Frontstellung ändern. Zwei völkerung (Protection of Civilians – PoC) zu den Drittel aller Blauhelme befinden sich inmitten eines Kernaufgaben der meisten Missionen. So dienen Seit dem mehr oder weniger offenen Konflikts. In Südsudan 99 Prozent des uniformierten UN-Personals in Af- Jahr 1999 gehört mandatierte der UN-Sicherheitsrat im August 2016 rika in Einsätzen, die spezifisch für den PoC man- der Schutz der die zusätzliche Entsendung einer 4000 Personen datiert sind. Hinzu kommt, dass derartige PoC- Zivilbevölkerung umfassenden Regionalen Schutztruppe (Regional Mandate immer robuster werden. Die MONUSCO (Protection of Protection Force) unter dem Kommando der Mission hat seit dem Jahr 2013 das Mandat, durch die Inter- Civilians – PoC) der Vereinten Nationen in Südsudan (United Nations ventionsbrigade (Force Intervention Brigade – FIB) zu den Kern- Mission in South Sudan – UNMISS). 14 Sie soll in bewaffnete Milizen zu neutralisieren. 16 aufgaben der der Hauptstadt Juba und Umgebung, wenn nötig Trotz solcher Initiativen ist es in den meisten meisten Missionen. auch unter Einsatz von Gewalt, Übergriffe auf die Fällen unmöglich, einen umfassenden Schutz im Zivilbevölkerung, humanitäre Helferinnen und Hel- gesamten Einsatzgebiet zu gewährleisten. Truppen fer sowie auf UN-Personal unterbinden. Auch in der und Polizeieinheiten sind zum Teil mangelhaft aus- ZAR setzen die UN durch die gemeinsame Kampf- gerüstet und unterliegen oft nationalen Einsatzbe- einheit ›Joint Bangui Task Force‹ auf den Ansatz, schränkungen. Sie operieren zudem meist ohne aus- zunächst die Sicherheit in der Hauptstadt wieder- reichende Transportkapazitäten in unwegsamem Ge- herzustellen und anschließend schrittweise den Rest lände und sind personell unterbesetzt. des Landes zu befrieden. Verschärft wird diese Situation durch die zu- Allerdings schaffen Instabilität, Perspektivlosig- nehmend gefährliche Sicherheitslage, die einen sig- keit und der fehlende Zugriff staatlicher Institutio- nifikanten Teil der Ressourcen, die für den Schutz nen insbesondere in entlegenen Landesteilen Frei- der Zivilbevölkerung vorgesehen sind, für den Ei- räume, die von organisierten kriminellen und ter- genschutz der Mission bindet. Heute arbeitet fast roristischen Gruppen ausgenutzt werden. Dieser Um- die Hälfte des UN-Personals weltweit an Einsatz- stand ist nicht neu. Neu ist hingegen, dass sich po- orten, an denen die Bedrohung als »substanziell« bis 198 Vereinte Nationen 5/2016
Hansen · von Gienanth | UN-Friedenssicherung in Afrika »extrem« eingestuft wird. 17 Die UN arbeiten daher regionalen Ansatzes der ›Partnerschaften für Frie- mit Hochdruck an einer Verbesserung und Har- denssicherung‹ (peacekeeping partnerships) so wich- monisierung ihrer Sicherheitskonzepte. Im Augen- tig: Erstens erstrecken sich mehr und mehr Kon- blick leiden die Missionen noch darunter, dass sie flikte über die Grenzen eines einzelnen Staates hinaus. weder über genügend qualifiziertes Sicherheitsper- Zweitens verfügen regionale Akteure oft über ei- sonal noch über eine ausreichende Ausrüstung ver- nen Vorteil in Bezug auf ihre Kenntnisse des Kon- fügen. Die Gewinnung, Auswertung und Verteilung flikts und der Legitimation ihres Eingreifens. Drit- von sicherheitsrelevanten Informationen muss eben- tens haben regionale Akteure ein besonders hohes falls verbessert werden. Interesse an einer nachhaltigen Befriedung ihrer Nachbarschaft. 20 Afrikanische Länder sind zudem Widerwillige Zustimmung offener für robuste Einsatzformen als andere trup- Bei der Umsetzung Eine Folge der steigenden Komplexität der Kon- penstellende Staaten. 21 zweier Grundprin- fliktszenarien ist, dass UN-Missionen in Afrika im- Für Afrika ist die trilaterale Partnerschaft zwi- zipien der UN-Frie- mer öfter in Einsätze entsandt werden, denen nicht schen den UN, der Afrikanischen Union (AU) und der denssicherung – der alle Konfliktparteien zugestimmt haben. Zusätz- Europäischen Union (EU) von großer Bedeutung.22 Unparteilichkeit und lich versieht der Sicherheitsrat diese Missionen mit Mindestens zwei dieser Organisationen sind an je- dem Einverständnis dem zutiefst politischen Auftrag, die Ausdehnung dem Krisenherd des Kontinents mit einem Friedenssi- der Gastregierung – der staatlichen Autorität auf das gesamte Staatsge- cherungseinsatz und/oder einer Politischen Mission befinden sich viele biet und die Wiederherstellung des Gewaltmono- vertreten. Bislang wurden alle AU-Missionen an die Missionen in einer pols zu unterstützen. Damit stellen sich die UN de UN übergeben, sobald die Lage vor Ort ausreichend Zwickmühle. facto auf die Seite einer (teilweise unbeliebten) Re- stabilisiert war beziehungsweise die UN die Vorbe- gierung und werden so zur Zielscheibe. reitungen für ihren eigenen Einsatz abgeschlossen Die Unterstützung der lokalen Regierung ist eben- hatten. Dabei werden meist wesentliche Kontingente falls oft nur bedingt gegeben. Die Konsequenzen der AU von den UN übernommen. Dieses sogenannte reichen von mangelnder Kooperation bis hin zu ei- ›re-hatting‹ hat in der Vergangenheit zu Problemen ner aktiven Untergrabung der Arbeit der UN-Mis- geführt, da AU-Truppen oft bei Ausrüstung und sion. Sowohl in Darfur als auch in der DRK ist die Training nicht die Standards der UN erreichen. Anzahl der UN-Truppen trotz einer anhaltend schlechten Sicherheitslage auf Druck der jeweiligen Regierungen reduziert worden. Im Jahr 2014 wurde das Büro der Vereinten Nationen in Burundi (Uni- 13 Haidi Willmot/Scott Sheeran/Lisa Sharland, Safety and Security ted Nations Office in Burundi – BNUB) auf aus- Challenges in UN Peace Operations, International Peace Institute, drücklichen Wunsch der Regierung abgewickelt. Juli 2015, S. 3; Alischa Kugel, Changing Realities: New Dimensions of Momentan wehrt sich die burundische Regierung Peace Operations, Strategic Summary, Global Peace Operations Re- vehement gegen die im Juli 2016 beschlossene Ent- view, CIC, www.peaceoperationsreview.org/stratsum/ sendung von rund 228 Polizisten zur Verstärkung 14 UN-Dok. S/RES/2304 v. 12.8.2016. des Sonderberaters für Konfliktprävention, einschließ- 15 Siehe beispielsweise Grégory Chauzal/Thibault van Damme, The lich in Burundi (Special Adviser on Conflict Preven- Roots of Mali’s conflict, Moving Beyond the 2012 Crisis, CRU Report, tion, including in Burundi). 18 Netherlands Institute of International Relations Clingendael, März 2015. Bei der Umsetzung zweier Grundprinzipien der 16 Zur MONUSCO und der FIB siehe Denis M. Tull, Friedenssicherung UN-Friedenssicherung – der Unparteilichkeit und in der DR Kongo. Die MONUSCO und das Dilemma der Stabilisierung, dem Einverständnis der Gastregierung – befinden Vereinte Nationen (VN), in diesem Heft, S. 208ff. sich viele Missionen in einer Zwickmühle. Einer- 17 Seit dem Jahr 2011 benutzen die UN ein System zur Einstufung seits sind sie mit der Stärkung der lokalen Regie- der Bedrohung in Einsatzgebieten. Die sechs Stufen reichen von »mi- rung beauftragt. Andererseits stellt oft die lokale nimal« bis »extrem«, siehe dazu Willmot/Sheeran/Sharland, a.a.O. Regierung das größte Hindernis für erfolgreiche Re- (Anm. 13), S. 11. formen dar, verlangt jedoch trotzdem die vorbe- 18 UN-Dok. S/RES/2303 v. 29.7.2016. haltslose Unterstützung durch die Mission. Unter 19 Richard Gowan, When Should Blue Helmets Walk away from a solchen Umständen stellt sich die Frage, ob die Conflict? Global Peace Operations Review, CIC, 16.8.2016; Denis M. Handlungsfähigkeit der UN nicht so stark einge- Tull, When They Overstay Their Welcome: UN Peacekeepers in Africa, schränkt ist, dass ihre Anwesenheit überflüssig ge- Journal of International Peacekeeping, 17. Jg., 3–4/2013, S. 179–200. worden ist.19 20 Cedric de Coning, Regional Approaches to Peacebuilding, United Nations University Centre for Policy Research, Februar 2015. Partnerschaften 21 Die Eingreiftruppen der FIB kommen alle aus afrikanischen Staa- Im Bereich der Zusammenarbeit der UN mit regio- ten (Malawi, Südafrika und Tansania). nalen und subregionalen Organisationen hat es in 22 ZIF/Institute for Peace and Security Studies (IPSS), Report of the den letzten Jahren deutliche Fortschritte gegeben. Roundtable on Trilateral Cooperation in Peace Operations in Africa, Vor allem drei Umstände machen den Ausbau dieses Oktober 2015. Vereinte Nationen 5/2016 199
Hansen · von Gienanth | UN-Friedenssicherung in Afrika In einigen Bereichen wurde die Zusammenar- mitteln. Beispiele sind der Einsatz von Drohnen in beit zwischen UN und AU bereits institutionalisiert. der DRK oder die Stationierung der ersten UN-Ein- Es finden jährliche Treffen zwischen dem UN-Si- heit in Mali, die auf Aufklärung spezialisiert ist. cherheitsrat und dem Friedens- und Sicherheitsrat Nur technologisch weit entwickelte Länder ver- (Peace and Security Council – PSC) der AU statt. fügen über derartige Kapazitäten. Daher bemühen Während sich Beide Organisationen haben Kontaktbüros am Amts- sich die UN intensiv, die westlichen Mitgliedstaa- Kommunikation sitz der jeweils anderen Organisation eingerichtet. 23 ten zu einem verstärkten Engagement in der Frie- und Koordination Während sich Kommunikation und Koordination denssicherung zu bewegen. Tatsächlich ist ihr Bei- zwischen UN und EU zwischen UN und EU sehr verbessert haben 24 , ist trag gestiegen – allerdings nur dort, wo sie nationale sehr verbessert die Beziehung zwischen der AU und der EU verbes- Interessen betroffen sehen, wie etwa in Mali. So betei- haben, ist die Bezie- serungswürdig. Darüber hinaus gibt es bisher kein ligt sich Deutschland aktuell mit etwa 250 Solda- hung zwischen der trilaterales Forum, in dem alle drei Organisationen tinnen und Soldaten sowie 20 Polizistinnen und AU und der EU ihre Aktivitäten koordinieren könnten. Polizisten an der MINUSMA. verbesserungs- Das größte Hindernis für einen Ausbau der tri- Eine weiteres Problem muss erwähnt werden: Die würdig. lateralen Partnerschaft bleibt die Finanzierung af- UN-Friedenseinsätze in Afrika sind in Gefahr, ihre rikanischer Einsätze. Bisher kann nur ein geringer Glaubwürdigkeit durch eine Vielzahl von sexuellen Teil des Budgets der AU von ihren Mitgliedern fi- Übergriffen gegen die lokale Bevölkerung zu ver- nanziert werden – im Jahr 2015 waren es lediglich spielen. 28 Selbst wenn es sich um das Fehlverhalten 2,3 Prozent. 25 Erst vor wenigen Wochen hat die AU Einzelner handelt, bietet die Unfähigkeit des UN- eine mutige Initiative zur Reform ihrer Finanzie- Systems, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu rung beschlossen: Durch eine afrikaweite Sonder- ziehen, ein erbärmliches Bild. Die Disziplinarhoheit abgabe auf bestimmte Importe sollen bis zum Jahr über die Blauhelme liegt bei den truppenstellenden 2020 jährlich 400 Millionen US-Dollar eingenom- Staaten. Die UN können nur gesamte Kontingente men werden. Diese Summe würde rund 25 Prozent entlassen, die in vielen Fällen – zumindest kurzfris- der Kosten der AU-Friedenseinsätze abdecken. 26 Ob tig – nicht verzichtbar sind. sich dieser Plan verwirklichen lässt und ob die UN, Die Lösung der aufgeführten Probleme ist drin- die EU oder bilaterale Geber die fehlenden 75 Pro- gend notwendig, aber allein nicht ausreichend. Es zent übernehmen werden, bleibt abzuwarten. herrscht grundsätzlich Einigkeit, dass die Unter- stützung der Regierung des Gastlands, die Einbet- Ausblick tung in einen umfassenden Friedensprozess und die Abstimmung mit anderen Instrumenten der Friedens- Zurzeit sind es vor allem drei Einsatzländer, die die konsolidierung Voraussetzungen für den Erfolg ei- UN operativ beschäftigen: In der DRK stünden im nes Einsatzes sind. Ohne sie kann auch eine schnel- November 2016 turnusgemäß Präsidentschaftswah- lere Entsendung von rundum kompetenten Blauhel- len an, die allerdings nicht von der Wahlkommission men keine Abhilfe schaffen. Neben der Schärfung angekündigt wurden. Amtsinhaber Joseph Kabila der operativen Instrumente sind der politische Wil- Die Unterstützung dürfte laut Verfassung nach zwei Amtszeiten nicht le des UN-Systems und eine nachdrückliche Unter- der Regierung erneut antreten, hat dies jedoch offensichtlich vor. stützung durch die Mitgliedstaaten die grundlegen- des Gastlands, die Damit provoziert er nicht nur Massenproteste in den Erfolgsfaktoren für Friedenseinsätze – in Afrika Einbettung in der Bevölkerung, sondern auch das Verhältnis zur wie auch anderswo. einen umfassenden MONUSCO, deren Handlungsspielraum er seit Jah- Friedensprozess ren einzuschränken versucht. In Burundi hat das und die Abstim- Streben des Präsidenten nach einer illegalen dritten 23 Paul D. Williams/Arthur Boutellis, Partnership Peacekeeping: Chal- mung mit anderen Amtszeit das Land in einen gewalttätigen Konflikt lenges and Opportunities in the United Nations–African Union Rela- Instrumenten der gestürzt. Eine Verstärkung der UN-Präsenz im Land tionship, African Affairs, 113/451, April 2014, S. 254–278. Friedenskonsolidie- hat Päsident Pierre Nkurunziza kategorisch abge- 24 Wanda Hummel/Tobias Pietz, Partnering for Peace: Lessons and rung sind Vorausset- lehnt. Auch in Südsudan gibt es Widerstand seitens next Steps for EU-UN Cooperation in Peace Operations, ZIF Policy zungen für den der Regierung gegen die Präsenz der UN. Briefing, Februar 2015. Erfolg eines Zusätzlich arbeiten die UN an strategischen Maß- 25 Danielle Renwick, Peace Operations in Africa, Council on Foreign Einsatzes. nahmen zur Verbesserung ihrer Friedenssicherungs- Relations, CFR Backgrounder, 15.5.2015, www.cfr.org/peacekeeping/ einsätze. 27 Im Mittelpunkt steht das Ziel, flexibler, peace-operations-africa/p9333 gezielter und schneller reagieren zu können. Dass 26 Financing for Peace in Africa, Peace and Security Department of UN-Missionen komplexer und robuster geworden the African Union Commission, August 2016, S. 8. sind, bedeutet einerseits, dass weiterhin personalstar- 27 Siehe hierzu insbesondere den Bericht der Hochrangigen unab- ke Blauhelm-Einheiten benötigt werden, die willens hängigen Gruppe für Friedensmissionen (High-level Independent und in der Lage sind, im Notfall militärische Gewalt Panel on Peace Operations), UN Doc. A/70/95–S/2015/446 v. 16.6.2015. anzuwenden. Andererseits suchen die UN nach al- 28 Vgl. Dagmar Dehmer, Null Toleranz gegenüber sexuellem Miss- ternativen Ressourcen und technologischen Hilfs- brauch durch Blauhelme, VN, in diesem Heft, S. 201. 200 Vereinte Nationen 5/2016
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