HANDREICHUNG ZUR EINSCHÄTZUNG DER BINDUNGSSICHERHEIT IN DER KITA (EIBIS) - HINTERGRÜNDE UND ERLÄUTERUNGEN ZUM VERFAHREN
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Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung Gesellschaft und Kultur Nr. 95 HINTERGRÜNDE UND ERLÄUTERUNGEN ZUM VERFAHREN HANDREICHUNG ZUR EINSCHÄTZUNG DER BINDUNGSSICHERHEIT IN DER KITA (EIBIS)
IMPRESSUM HANDREICHUNG ZUR EINSCHÄTZUNG DER BINDUNGSSICHERHEIT IN DER KITA (EIBIS) HINTERGRÜNDE UND ERLÄUTERUNGEN ZUM VERFAHREN HERAUSGEBERIN Baden-Württemberg Stiftung gGmbH Kriegsbergstraße 42 70174 Stuttgart info@bwstiftung.de www.bwstiftung.de VERANTWORTLICH Birgit Pfitzenmaier, Baden-Württemberg Stiftung gGmbH REDAKTION Sven Walter, Baden-Württemberg Stiftung gGmbH AUTOREN Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff Jesper Hohagen, M.A. KONZEPTION UND GESTALTUNG SRP. Werbeagentur GmbH, Freiburg www.srp.de DRUCKEREI Burger Druck, Waldkirch BILDMATERIAL Titelbild, S. 004, S. 011, S. 017, S. 043, S. 051, S. 057, S. 075: iStock S. 031, S. 035: shutterstock © September 2020, Stuttgart ISSN: 2366-1437 0 0 2 .
HANDREICHUNG ZUR EINSCHÄTZUNG DER BINDUNGSSICHERHEIT IN DER KITA (EIBIS) HINTERGRÜNDE UND ERLÄUTERUNGEN ZUM VERFAHREN . 0 0 3
. / Inhalt INHALT GRUSSWORT BADEN-WÜRTTEMBERG STIFTUNG 006 1. VORWORT UND KURZE EINFÜHRUNG 008 2. HINTERGRÜNDE: DIE BEDEUTUNG SICHERER BINDUNGEN 0 10 3. WEITERE ENTSTEHUNGSGESCHICHTE 018 4. ERGEBNISSE DER TESTTHEORETISCHEN ÜBERPRÜFUNG/TESTKENNWERTE 020 5. HINWEISE ZUR ANWENDUNG 026 6. WEITERGEHENDE ERLÄUTERUNGEN ZU DEN EINZELNEN ITEMS 028 (BEOBACHTUNGSSITUATIONEN) 7. HINWEISE ZUR AUSWERTUNG 032 8. PÄDAGOGISCHE HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 036 WEITERFÜHRENDE LITERATUR 044 ANHANG A: Literatur 046 B: EiBiS-Bogen 052 C: Auswertungsraster 058 D: Normwerte 062 E: Bezüge zwischen EiBiS-Beobachtungen und den Bindungstypen 074 SCHRIFTENREIHE DER BADEN-WÜRTTEMBERG STIFTUNG 076 . 0 0 5
. / Vorwort Baden-Württemberg Stiftung LIEBE LESERIN, LIEBER LESER, die Baden-Württemberg Stiftung hat in den zurück- Am Ende des Erhebungszeitraums konnten Einschät- liegenden Jahren zahlreiche Projekte ermöglicht, zungen zu mehr als 1000 Kindern in die Auswertung die auf die Förderung der sozial-emotionalen Kompe- fließen. Dieser hohe Rücklauf lässt darauf schließen, tenzen, der seelischen Gesundheit und der psychi- dass sich das EiBiS-Verfahren gut in den Einrichtungs- schen Widerstandskraft (Resilienz) bei Kindern aus- alltag integrieren lässt und die Chancen hoch sind, gerichtet waren. Denn Kinder, die über eine gute dass es auch künftig Anwendung findet. Selbstregulation und ein gutes Selbstwertgefühl ver- fügen, finden sich allgemein im Leben besser zurecht, Das in dieser Publikation vorgestellte EiBiS-Verfahren, erreichen häufig höhere Bildungsabschlüsse, sind ge- inklusive des dazu entwickelten Fragebogens samt sundheitlich weniger anfällig und neigen seltener zu Auswertungsrasters, unterstützt Fachkräfte in Kinder- antisozialem Verhalten. tageseinrichtungen, Kinder im Alter von 1,5 bis 4,5 Jah- ren systematisch zu beobachten und aus den Ergebnis- Eine wichtige Grundlage für eine gesunde seelische sen passende entwicklungsförderliche pädagogische Entwicklung stellen frühkindliche Bindungserfahrun- Begegnungen mit dem Kind zu entwickeln. gen in Kindertageseinrichtungen dar. Die Fachkräfte in den Einrichtungen können positiv auf die Entwick- Unser Dank gilt dem gesamten Team vom Zentrum lung von Bindungssicherheit einwirken, indem sie für Kinder- und Jugendforschung (ZfKJ) an der Evan- lernen, den Bindungsstatus eines Kindes systematisch gelischen Hochschule Freiburg, das an der Entwick- zu erkennen. So haben die Erzieherinnen und Erzieher lung und Vollendung des EiBiS-Verfahrens beteiligt die Möglichkeit, für jedes Kind individuelle Bezie- war. Auch danken wir den zahlreichen Fachkräften hungsformen zu gestalten. der beteiligten Einrichtungen, deren Engagement die umfangreiche Erprobung und Auswertung erst mög- Vor diesem Hintergrund wurde unter der Leitung von lich gemacht hat. Professor Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff ein Beobachtungs- verfahren zur Einschätzung der Bindungssicherheit von Den Leserinnen und Lesern dieser Publikation wün- Kindern in Kindertageseinrichtungen (EiBiS) entwickelt. schen wir, dass sie aus der Lektüre gute und wichtige Mit finanzieller Unterstützung der Baden-Württemberg Erkenntnisse für ihren Arbeitsalltag ziehen können. Stiftung konnte das Verfahren in umfangreichen Stich- proben getestet, wissenschaftlich überprüft und in seine nun gültige Form gebracht werden. 0 0 6 .
Christoph Dahl, Geschäftsführer der Birgit Pfitzenmaier, Abteilungsleiterin Baden-Württemberg Stiftung Gesellschaft & Kultur Christoph Dahl Birgit Pfitzenmaier . 0 0 7
. /.Vorwort und kurze Einführung 1. VORWORT UND KURZE EINFÜHRUNG Frühkindliche Beziehungserfahrungen und die da- lichen Methoden erforderlich (direkte mehrmalige durch erlebten Bindungsmuster haben eine große Be- Beobachtung, Befragung verschiedener Personen, Ein- deutung für die Weltbegegnung eines Kindes und für fühlen in das Kind usw.; vgl. Fröhlich-Gildhoff, Tinius sein späteres Leben. In professionellen pädagogischen & Rönnau-Böse, 2017). Zusammenhängen kann die Entwicklung von Bin- Aus den Erkenntnissen der EiBiS-Beobachtung lassen dungssicherheit unterstützt werden – wenn die päda- sich jedoch Schlussfolgerungen für entwicklungs- gogischen Fachkräfte den Bindungsstatus und das förderliche pädagogische Begegnungen mit dem Kind Bindungsverhalten eines Kindes kriteriengeleitet be- gewinnen. obachten und einzuschätzen vermögen und ihre Inter- aktion mit dem Kind darauf abstimmen. Die vorliegende Handreichung erläutert die Hinter- Daher wurde am Zentrum für Kinder- und Jugendfor- gründe des EiBiS-Bogens und gibt Erläuterungen zu schung (ZfKJ) im Forschungsverbund FIVE e. V. an der seiner Anwendung und Auswertung. Darüber hinaus Evangelischen Hochschule Freiburg über vier Jahre ein werden Hinweise gegeben für eine Nutzung der Beobachtungsverfahren zur „Einschätzung der Bin- Erkenntnisse in den Begegnungen mit dem beobach- dungssicherheit in der Kita (EiBiS)“ entwickelt, das eine teten Kind im pädagogischen Alltag. Aussage darüber ermöglichen soll, wie sicher ein Kind gebunden ist. ZUM AUFBAU DIESER HANDREICHUNG: ▶▶ Wenn Sie sich über die Hintergründe der Bin Mit dem Verfahren EiBiS können PädagogInnen Kinder dungsforschung und des Bindungskonzepts im Alter von 1 V bis 4 V Jahren beobachten. Es lässt sowie die damit verbundenen theoretischen sich dann anhand dieser Beobachtung eine Einschät- Grundlagen des EiBiS-Bogens informieren möch- zung zur Bindungssicherheit vornehmen. Zur Über- ten, so lesen Sie bitte Kapitel 2. prüfung des Verfahrens wurde es in einer großen ▶▶ Wenn Sie Näheres über die weitere Entstehungs Stichprobe von mehr als 1000 Kindern angewandt und geschichte wissen möchten, so lesen sie bitte schließlich statistisch ausgewertet. Kapitel 3. ▶▶ Die wichtigsten Ergebnisse der testtheoreti EiBiS stellt keine Konkurrenz zu bewährten Beobach- schen Überprüfung sind in Kapitel 4 kurz tungskonzepten wie „Infans“ oder den „Bildungs- und dargestellt – eine ausführliche Beschreibung Lerngeschichten“ dar, sondern es ist als Ergänzung findet sich im Projekt-Abschlussbericht (Fröh- zu verstehen. lich-Gildhoff & Hohagen, 2020) und in verschie- EiBiS ist kein klassisches klinisch-psychologisches denen Fachartikeln. Diagnoseinstrument. Es gibt empirisch abgesicherte Hinweise auf den Bindungsstatus eines Kindes und ist damit wesentlich präziser und objektiver als die „Ein- schätzung per Augenschein“. Zur Beurteilung des Ver- haltens eines Kindes und der dahinter stehenden see- lischen Befindlichkeit reicht die Einschätzung über ein Beobachtungs- oder Testverfahren allein niemals aus. Hierzu sind mehrere Einschätzungen mit unterschied- 0 0 8 .
enn Sie den Bogen anwenden und praktisch nutzen W Auch im späteren Prozess der Entstehung dieser Hand- möchten, so sind folgende Kapitel für Sie wichtig: reichung haben uns WissenschaftlerInnen und Prak- ▶▶ In Kapitel 5 finden Sie konkrete Hinweise zur tikerInnen noch einmal gezielte Rückmeldungen ge- Anwendung. geben, die diese Handreichung besser gemacht haben ▶▶ In Kapitel 6 sind die einzelnen Beobachtungs- (besonders haben sich hier Andrea Pfitzner, Beate fragen (Items) nochmals ausführlich erläutert. Hupe, Ulrike Hollick, Jutta Kerscher-Becker, Noemi Es hat sich bewährt, sich auch dieses Kapitel Famula, Iris Nentwig-Gesemann und Sibylle Fischer vorab anzuschauen. Auch beim Ausfüllen des eingebracht) – danke dafür! Bogens kann in diesem Kapitel immer wieder nachgelesen werden. Ferner möchten wir uns bei den Studierenden des Mas- ▶▶ Das Kapitel 7 beschreibt konkret die Auswer ter Studiengangs „Bildung und Erziehung im Kindes- tung des Bogens. alter“ bedanken, die als ForschungspraktikantInnen ▶▶ Wenn Sie sich – aufbauend auf der Auswertung und wissenschaftliche Hilfskräfte die empirische Un- – über weitere pädagogische Handlungs tersuchung unterstützt haben und besondere Frage- empfehlungen informieren möchten, so finden stellungen durch eigene Arbeiten beantwortet haben. Sie diese in Kapitel 8. Mitgewirkt haben: Nadja Ernst, Selina Faller, Dorothee Gscheidle, Selina Pfefferle, Michaela Schroff, Canan Im Anhang befinden sich Ulas, Nadine Werner, Nadine Wollenweber, Carolina ▶▶ die Literaturliste, Zerr, Marie Paquignon und Felicitas Klering. ▶▶ der komplette EiBiS Bogen, ▶▶ der Bogen zur Auswertung, Ein Dank geht an die Kolleginnen des ZfKJ, die bei dem ▶▶ die Tabelle mit den Normwerten für die langen Entstehungsprozess mitgewirkt (besonders: verschiedenen Altersstufen und Geschlechter, Sarah Söhnen) und Mut zugesprochen haben. um den Beobachtungswert eines Kindes mit dem seiner Vergleichsgruppe ins Verhältnis Ganz besonders bedanken wir uns bei der Baden- setzen zu können, Württemberg Stiftung, deren finanzielle Unterstüt- ▶▶ Möglichkeiten zum Herstellen von Bezügen zung die letztliche breite Untersuchung per Norm- zwischen EiBiS-Beobachtungen und den stichprobe ermöglicht hat. Bindungstypen. Wir wünschen ein anregendes Arbeiten mit dem Wir möchten uns an dieser Stelle bei den vielen, vielen EiBiS-Verfahren. Zugleich freuen wir uns über – auch pädagogischen Fachkräften in Krippen und Kitas kritische – Rückmeldungen. bedanken, die geholfen haben, dass der EiBiS-Bogen entstehen und wissenschaftlich überprüft werden Freiburg, Juli 2020 konnte, die sich also an den verschiedenen Untersu- Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff chungsphasen beteiligt haben. Ein besonderer Dank und Jesper Hohagen, M.A. geht dabei an Michael Domonell und das Team des Kinderhaus TakaTukaLand in Freiburg, die das Projekt in mehreren Erhebungsphasen unterstützt haben. . 0 0 9
. / Hintergründe: Die Bedeutung sicherer Bindungen 2. HINTERGRÜNDE: DIE BEDEUTUNG SICHERER BINDUNGEN DIE BEDEUTUNG VON (SICHEREN) BINDUNGSERFAHRUN- Abbildung 1 verdeutlicht diesen Prozess: Es finden In- GEN FÜR DIE (GESUNDE) SEELISCHE ENTWICKLUNG teraktionen zwischen dem (kleinen) Kind und seinen Das Erleben einer sicheren Bindung stellt die Grundla- Bezugspersonen statt. Diese Interaktionserfahrungen ge für späteres eigenständiges, sicheres Bindungsver- „verdichten“ sich zu Beziehungserfahrungen. Eine halten dar. Die Bindungsforschung (z. B. Grossmann & Vielzahl von realen Beziehungserfahrungen führen Grossmann, 2004) geht davon aus, dass frühe dann zu innerseelischen Abbildungen dieser Erfah- Bindungserfahrungen zu einem „inneren Arbeitsmo- rungen; dabei kommt es nicht auf einmalige, sondern dell“ (internal working model) führen, das später die auf dauerhafte, wiederkehrende Situationen und Art und Weise des Bindungsverhaltens eines Kindes entsprechende Erfahrungen an. Die inneren Abbilder prägt. Dieses „innere Arbeitsmodell“ – also ein überge- wiederum steuern auch die Erwartungen an soziale ordnetes, innerpsychisches Abbild oder Schema der Interaktionen: Wenn ein Kind oft die Erfahrung von gemachten Erfahrungen – bildet dann wiederum eine Bindungssicherheit gemacht hat, wird es erwarten, sichere Basis für Neugierverhalten und eine „offene“ dass es in neuen sozialen Situationen auch feinfühlige, Weltbegegnungshaltung – oder verhindert dies bei emotional unterstützende Begegnungen erfährt und entsprechenden Beeinträchtigungen. es wird sich entsprechend offen sowie wenig miss- trauisch und vorsichtig verhalten. BALANCE ZWISCHEN BINDUNG UND EXPLORATION Erwartungen Innerseelische Abbilder Bindungs-Verhalten, von „Bindung“ 4 Typen: ▶ M entale ▶ sicher Bindungsrepräsentationen, ▶ unsicher-vermeidend Beziehungserfahrungen „internal working model ▶ unsicher-ambivalent of attachment“ ▶ desorganisiert Interaktionsverhalten der Bezugsperson Abb. Nr. 1: Modell der Entstehung von Bindungsrepräsentationen 0 1 0 .
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. / Hintergründe: Die Bedeutung sicherer Bindungen BINDUNGSTYPEN legend unsicher darüber, ob und wann es wieder Zu- In der Bindungsforschung (für Überblicke siehe z. B. bei wendung erhält und versucht darum zu „kämpfen“. Glüer, 2017; Großmann & Großmann, 2006) werden Die Kinder zeigen häufig ein dramatisches Verhalten, klassischerweise vier Typen des Bindungsverhaltens das oft so wirkt, als wollten sie Aufmerksamkeit be- unterschieden: kommen – dieses Verhalten ist als Notreaktion zu ver- stehen. Das Kind sendet mit seinem Verhalten Signale Sichere Bindung: Wenn Kinder die Erfahrung gemacht und macht darauf aufmerksam, dass es Bindungs haben, dass ihre Lebensäußerungen feinfühlig beant- sicherheit braucht. wortet werden, dass die Bezugspersonen konstant, regelmäßig und innerlich präsent zur Verfügung Die hier aufgeführten Bindungstypen der unsicheren stehen, dann entsteht ein inneres Muster (inneres Bindung sind nicht „krankhaft“, stellen aber ein Ent- Arbeitsmodell), das durch ein grundlegendes Vertrau- wicklungsrisiko dar: „In einer zunehmenden Anzahl en des Kindes in seine Bezugspersonen (und später von […] Längsschnittstudien wurden Zusammenhänge dann andere Menschen) gekennzeichnet ist. Wenn es zwischen einer unsicheren Bindung und Verhaltens- zu – zunächst kürzeren – Trennungen kommt, kann auffälligkeiten der Kinder im Vorschul- und im Schul- sich das Kind darauf verlassen, dass die Bezugsperson alter gefunden“ (Brisch, 1999, S. 75; s. a. Brisch, 2007). wiederkommt. Es wird vielleicht ein wenig trauern, sich dann aber leicht beruhigen (lassen). Das Kind Desorganisierte Bindung: Der vierte Bindungstypus, gewinnt Eigenständigkeit und kann sich aus dem Be- der Typus der desorganisierten Bindung, steht in ziehungs-Vertrauen heraus auch offen auf neue Sach- engem Zusammenhang mit (späteren) Verhaltensauf- verhalte einlassen, die Welt entdecken und erforschen. fälligkeiten (vgl. z. B. Brisch, 1999; Fonagy et al., 2004). Bei Kindern dieses Bindungstypus handelt es sich Unsicher-vermeidende Bindung: Wenn die Lebens- jedoch um eine spezifische Risikogruppe. Kinder, die äußerungen und Bedürfnisse eines Kindes nicht dau- ein entsprechendes Verhalten zeigen – z. B. manchmal erhaft feinfühlig und regelmäßig beantwortet, son- „erstarren“, manchmal heftige, schlecht vorherseh- dern sehr oft ignoriert werden, entsteht ein inneres bare Handlungsweisen realisieren – haben sehr stark Bild, das von Unsicherheit geprägt ist. Das Kind ver- und regelmäßig die Erfahrung gemacht, dass ihre Be- traut nicht darauf, dass eine andere Person zuverlässig dürfnisse und Lebensäußerungen entweder überwie- für es da ist. Hieraus kann ein Muster von früher Über- gend ignoriert oder vernachlässigt wurden, oder sie Autonomie entstehen, der sogenannte unsicher-ver- haben extrem und oft widersprüchliche Verhaltens- meidende Bindungstypus. Die Kinder scheinen sehr weisen der Eltern (z. B. einerseits körperliche Gewalt, selbständig, fragen sehr selten nach Unterstützung, andererseits Überhäufen mit Liebe) erlebt. Dies führt wirken als könnten und wollten sie „alles allein neben dem starken Vernachlässigen der gesamten kind- regeln“. Sie zeigen ihre Not und ihre Bedürftigkeit nach lichen Bindungsbedürfnisse dazu, dass gar kein klares, feinfühliger Begegnung nicht mehr, daher fallen sie stabiles inneres Abbild von Bindungen bzw. Beziehungs- im pädagogischen Alltag oft gerade nicht auf – sie mustern aufgebaut werden kann und die Kinder dem- glauben fast nicht mehr daran, dass sie Unterstützung entsprechend keine oder bizarr anmutende Verhaltens- bekommen, wenn sie diese brauchen. weisen vor allem in Beziehungs-Situationen zeigen. Unsicher-ambivalente Bindung: Wenn ein Kind Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Studien hingegen dauerhaft die Erfahrung macht, dass die zum Bindungsverhalten und den Bindungstypen Bezugsperson(en) manchmal zur Verfügung stehen in westlichen, individualistisch geprägten Kulturen und innerlich präsent auf das Kind bezogen sind, durchgeführt wurden. Neuere Untersuchungen zum manchmal jedoch innerlich oder äußerlich abwesend Bindungsverhalten in eher kollektivistisch geprägten sind, so entsteht in der Psyche des Kindes ein tiefes Lebensformen und Kulturen bestätigen diese vier Bin- Gefühl der Unsicherheit darüber, ob es „gesehen“ wird, dungstypen nicht oder nur eingeschränkt (vgl. hierzu: ob seine Bedürfnisäußerungen beantwortet werden. Otto & Keller, o.J., https://www.nifbe.de/images/ Dies kann im Sinne des sogenannten ambivalent-un- nifbe/Infoservice/Downloads/Themenhefte/Bin- sicheren Bindungstypus dazu führen, dass ein Kind dung_und_Kultur_online.pdf; Keller, H. (2019). Mythos sehr heftige Reaktionen zeigt, wenn die Bezugsperson Bindungstheorie. Konzept · Methode · Bilanz. Kilians- sich abwendet, den Raum verlässt etc. – es ist grund- roda: Verlag das netz). 0 1 2 .
BINDUNGSFÖRDERLICHE BEZIEHUNGSGESTALTUNG ▶▶ Assistenz, Explorationsunterstützung – das Eine wesentliche Variable für die Entwicklung der bedeutet: herausfordernde, aber bewältigbare Bindungsrepräsentationen ist die „Feinfühligkeit“ Anforderungen stellen und dabei individuelle (Ainsworth et al., 1978) der Bezugspersonen. Damit ist sowie passgenaue Unterstützung anbieten. die Fähigkeit gemeint, die Signale des Kindes (1) wahr- zunehmen, (2) richtig zu interpretieren sowie (3) Zwischen dem Bindungssystem und dem Explorati- prompt und (4) angemessen zu beantworten. onssystem besteht eine enge Beziehung im Sinne einer „Waage“: Wenn die Bindungsbedürfnisse eines Kindes Weitere Kennzeichen entwicklungsförderlicher befriedigt sind, kann und wird es aus sich heraus die Beziehungsgestaltung sind (Rönnau-Böse & Fröhlich- Umwelt erkunden, sich auch von den Bezugspersonen Gildhoff, 2020; Wadepohl et al., 2017): vorübergehend lösen können. Nach Phasen der Explo- ▶▶ Verlässlichkeit, Regelmäßigkeit, Kontingenz ration werden dann die Bindungsbedürfnisse wieder (= regelhafte, wiederholende Begegnungsant- aktiviert und stärker. Dies lässt sich oft bei kleineren wort auf das Kind), Kindern beobachten, die sich krabbelnd von der ▶▶ Präsenz (= klare innere Bezogenheit), Bezugsperson, beispielsweise der Mutter oder dem ▶▶ Zuwendung, Wertschätzung und bedingungs- Vater, entfernen, sich selbst „beschäftigen“, etwas lose Akzeptanz, Interessantes finden, dabei aber immer wieder den ▶▶ Das Vermitteln von Sicherheit; dazu gehört auch Blickkontakt suchen. Nach einer Weile krabbeln sie zur „Stressreduktion“ sowie die die Co-Regulation Bezugsperson zurück, kuscheln, um sich anschließend bei besonders belastenden Erregungszuständen, wieder auf die „Forscherreise“ zu begeben. Zur Bedeu- ebenso die Unterstützung des Aufbaus von tung der Art der innerseelischen Abbilder von Selbstregulationsstrategien, Bindungserfahrungen, der Bindungsrepräsentationen, ▶▶ Halt bieten und adäquat (altersangemessen) und des damit zusammenhängenden Verhaltens für Grenzen setzen, eine (gesunde) seelische Entwicklung gibt es mittler- ▶▶ Ermutigung aussprechen und Erfolgsrückmel- weile hinreichende Belege (z. B. Großmann & Groß- dung geben; Dies bedeutet, das Kind in seiner mann, 2006; Strauß & Schauenburg, 2017). Neugier und seinem Welterkundungsverhalten Eine zentrale, übereinstimmende Erkenntnis aus zu unterstützen, ihm schrittweise Autonomie zu Entwicklungspsychologie, Resilienz- und Psychothe- ermöglichen, ohne die Sicherheit der Beziehung rapieforschung (z. B. Dornes, 2009; Grawe, Donati & infrage zu stellen, Bernauer, 2001; Luthar, 2006;) besteht darin, dass der BINDUNGSSYSTEM De-Aktivierung des Bindungssystems ▶ bei grundlegendem Gefühl von Sicherheit und Aktivierung des Explorationssystems ▶ Interesse, Neugier, Erkunden … Aktivierung des Bindungssystems bei ▶ Angst ▶ Unsicherheit ▶ Krankheit ▶ Müdigkeit ▶ Einsamkeit ▶ Verlassenheit ▶ Überforderung etc. EXPLORATIONSSYSTEM Abb. Nr. 2: Waage zwischen Explorations- und Bindungssystem . 0 1 3
. / Hintergründe: Die Bedeutung sicherer Bindungen wesentlichste Schutzfaktor, der am stärksten zu einer Aus vielfachen Beziehungserfahrungen bildet sich gelingenden Entwicklung beiträgt und viele Risikofak- dann ein grundlegendes Bild, wie und ob es sich toren abmildern kann, die Erfahrung einer stabilen, auf andere Menschen verlassen kann, ob es sich sicher verlässlichen, wertschätzenden und emotional warmen fühlen kann. Dies wird als „übergeordnetes“ Abbild Beziehung zu einer (erwachsenen) Bezugsperson ist. der Bindungserfahrungen (oder als Bindungsstatus) Umgekehrt birgt das Erleben unregelmäßigen, unsi- beschrieben. cheren oder gar desorganisierten Bindungsverhaltens der Bezugspersonen ein erhöhtes Risiko für Bindungs- Ahnert (2007) hat in Anlehnung an Booth et al. (2003) störungen und psychische Erkrankungen (Überblicke über die Feinfühligkeit – also das Wahrnehmen und z. B. Brisch, 2012, 2017). passgenaue Beantworten der Signale und Lebens- äußerungen des Kindes – hinaus weitere wichtige Merkmale beschrieben, die Bestandteil einer entwick- BINDUNGSERFAHRUNGEN IN DER KITA lungsförderlichen Interaktion sind und zugleich Die Entstehung von Bindungsrepräsentationen wurde den Aspekt der Explorations- und Neugierentwick- lange Zeit vorrangig aus den Interaktionen des Kindes lung unterstützen: mit seinen unmittelbaren Bezugspersonen, vor allem ▶▶ Zuwendung in Form von Aufmerksamkeit/ den Eltern, zu erklären versucht. Mittlerweile gibt es Präsenz und emotionaler Wärme, allerdings Hinweise, dass eine feinfühlige, responsive, ▶▶ Sicherheit bedeutet Zuverlässigkeit, das Zur- am Bindungsstatus des Kindes „ansetzende“ Interak- Verfügung-Stehen in Belastungssituationen; tionsgestaltung der pädagogischen Fachkräfte als das Kind muss die Bezugsperson als „Quelle des Bezugspersonen kompensatorisch wirken und eine Schutzes“ (Glüer, 2017, S. 99) erleben können, Änderung des Bindungssystems initiieren kann (z. B. ▶▶ Stressreduktion umfasst zunächst die Co-Regula- Glüer, 2012; Weltzien et al., 2017). tion bei besonders belastenden Erregungszu- ständen; in ruhigen Situationen ist es dann Dabei muss noch einmal darauf hingewiesen werden, notwendig, Strategien der Selbstberuhigung und dass sich durch mehrfache (oft: vielfache), kontinuier- Selbstregulation einzuüben, liche Interaktionen der erwachsenen Bezugsperson – ▶▶ Explorationsunterstützung bedeutet, das Kind in hier: der pädagogischen Fachkraft – Beziehungser- seiner Neugier und seinem Welterkundungsver- fahrungen verfestigen. Das Kind erlebt wiederholt: halten zu unterstützen, es zu ermutigen, an neue Wenn ihm etwas Angst macht, wenn es beim Bauen Aufgaben heranzugehen – ohne ihm seine nicht mehr weiter weiß usw., dass die Fachkraft dies Autonomie, sein „Tempo“ zu nehmen, erkennt und es beruhigt, unterstützt etc. Das Kind ▶▶ Assistenz bezieht sich auf die konkrete Unterstüt- macht die Erfahrung einer verstehenden, haltgeben- zung bei der Bewältigung von Herausforderun- den und unterstützenden Beziehung: Ich kann mich gen, das Geben von stützendem Feedback etc. (auf jemanden) verlassen. Interaktion (Erfahrung) Interaktion (Erfahrung) Beziehungserfahrung Interaktion Bindungsstatus Interaktion Beziehungserfahrung Interaktion Abb. Nr. 3: Zusammenhang von Interaktion, Beziehung und Bindung 0 1 4 .
Vor dem Hintergrund dieser empirisch gut abgesicher- AQS-E): Hier wird das bindungsbezogene ten Erkenntnisse und weiterer Studien, die zeigen, Verhalten der Kinder beobachtet, anhand dass neue, positive Beziehungserfahrungen vorherige vorgegebener Kategorien sortiert und in eine Risiken „abpuffern“ und kompensatorisch wirken kön- Rangreihe gebracht. nen (z. B. Glüer, 2017; s. a. Luthar, 2006), ergibt sich die ▶▶ Geschichten-Ergänzungsverfahren im Puppen- Notwendigkeit, dass pädagogische Fachkräfte ihre spiel, z. B. GEV-B (Gloger-Tippelt, 2004; Gloger- Interaktions- und Beziehungsgestaltung am Bin- Tippelt & König, 2006): Hierbei werden Kinder dungsverhalten und dem dahinter stehenden „inneren direkt befragt. Es werden ihnen fünf bindungs- Arbeitsmodell“ eines Kindes orientieren und entspre- relevante Geschichten mit vorgegebenem Mate- chende „passgenaue“ Antworten und Impulse zur rial (Puppen und weitere Gegenstände) vorgege- Weiterentwicklung geben. ben; die Kinder müssen diese Geschichten dann Dazu ist es allerdings notwendig, dass pädagogische „weiterspielen“; die Art des Spiels wird dokumen- Fachkräfte (in Kindertageseinrichtungen) auf empi- tiert und systematisch kategorial ausgewertet. risch abgesicherte Kriterien zurückgreifen können, um eine valide Einschätzung des Bindungsstatus von Kin- Die verschiedenen Verfahren beruhen auf unterschied- dern vornehmen zu können. Dabei wird im Verfahren lichen theoretischen Konstrukten – z. B. hinsichtlich der EiBiS von einem Kontinuum der Bindungssicherheit Frage, welche Bedeutung die generelle Emotionsregu- ausgegangen – von deutlich unsicherem Bindungssta- lation eines Kindes bei der Einschätzung des Verhaltens tus bis zu einem hohen Ausmaß an Bindungssicherheit. hat. Konzeptionelle Unterschiede bestehen auch in der (Grund)Annahme, ob „Bindung“ eine generalisierte oder personenspezifische Grund„fähigkeit“ ist. EINSCHÄTZUNG DES BINDUNGSVERHALTENS Weiterhin unterscheiden sich die Verfahren darin, wer Es gibt zur Einschätzung des Bindungsstatus bzw. des befragt wird (Bezugspersonen vs. Kind selbst). Zudem Bindungsverhaltens von (Klein)Kindern eine Reihe von ist die Gültigkeit (Validität) der Verfahren zumindest Verfahren (Überblicke bei Brisch, 2009; Glüer, 2017; insofern kritisch zu betrachten, als es nur vereinzelt Kirchmann & Strauß, 2008; Kirchmann et al., 2017; höhere, statistisch erfassbare Zusammenhänge Stokowy & Sahar, 2012; Zweyer, 2006): (Korrelationen) zwischen den Instrumenten gibt. Mög- ▶▶ Fremde-Situations-Test (Ainsworth, 1978), der licherweise werden unterschiedliche Aspekte der auch in der Kita durchgeführt werden kann Bindungsabbilder oder des Bindungsverhaltens ge- (Cassidy & Marvin, 1992), jedoch sehr aufwändig messen (Zweyer, 2006; Glüer, 2017). ist und eine ausführliche, vorherige Qualifizie- rung benötigt. Der Fremde-Situations-Test wird Die Verfahren sind relativ (zeit)aufwändig durchzu- in neueren Diskussionen unter ethischen führen und daher für den Alltag von Kindertagesein- Gesichtspunkten auch kritisch betrachtet richtungen unter bestehenden Rahmenbedingungen (z. B. Keller, 2019). bzw. Betreuungsrelationen kaum umzusetzen. Zudem ▶▶ DAI: Disturbances of Attachment Interview erfordert die Durchführung eine zum Teil umfangrei- (Smyke & Zeanah, 1999; dt: Kliewer-Neumann che Qualifizierung der TestleiterInnen, die in den be- et al., 2015): Dieses Interview besteht aus zwölf stehenden Strukturen der Kindertageseinrichtungen Hauptfragen, die das Vorhandensein und die gleichfalls nur schwer zu realisieren ist. Ausprägung verschiedener Symptome der Bindungsstörungen abklären und von den Diese Problematik wurde von Zweyer (2006) erkannt, zentralen Bezugspersonen eines Kindes beant- die im Rahmen ihrer Dissertation versuchte, ein Scree- wortet werden. ningverfahren zur „Bindungseinschätzung durch Er- ▶▶ Preschool Assessment of Attachment (Crittenden, zieherInnen beim Eintritt in den Kindergarten“ zu 1994; ähnlich: Main & Cassidy, 1988): Hier wird entwickeln und testtheoretisch abzusichern. Die Au- das kindliche Verhalten gezielt in Trennungs- torin verfolgte eine sorgfältige Itemauswahl, die sich und Wiedervereinigungssituationen beobachtet an den klassischen vier Bindungsverhaltenstypen und dann anhand vorgegebener Kategorien (sicher; unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend, bewertet. desorganisiert) orientierte. Dennoch bewährte sich ▶▶ Attachment-Q-Sort (Waters & Deane, 1985; dt: der Bogen in der testtheoretischen Analyse nicht. Es Ahnert, 2003, Fassung für ErzieherInnen: fanden sich keine bedeutsamen Zusammenhänge . 0 1 5
. / Hintergründe: Die Bedeutung sicherer Bindungen zwischen dem Screeningbogen und anderen Verfah- ren zur Einschätzung des Bindungsstatus. Ebenso konnten keine Zusammenhänge zwischen dem per Screeningbogen festgestellten Bindungstypus und dem Bindungsverhalten der Kinder 1,5 Jahre später festgestellt werden. Dieses ernüchternde Ergebnis führte dazu, dass zu- mindest in Deutschland zehn Jahre lang keine weite- ren Versuche unternommen wurden, ein gleicherma- ßen praktikables wie empirisch fundiertes Instrument zur Einschätzung der Bindungssicherheit von Kindern im Kindergartenalter zu entwickeln. PERSPEKTIVE In einem Workshop von WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen (Kita-Leitungen, WeiterbildnerInnen) im Februar 2017 an der Evangelischen Hochschule Freiburg erfolgte im gegenseitigen Austausch eine erste Annäherung an das Thema. Dabei wurde deut- lich, dass es hilfreich wäre, ein Screening-Instrument zu entwickeln, das ▶▶ die Einschätzung des Ausmaßes an Bindungs- sicherheit eines Kindes erlaubt, ▶▶ von pädagogischen Fachkräften ohne vertiefte Fachkenntnisse, gegebenenfalls nach einer „Einweisung“ genutzt werden kann, ▶▶ praktikabel ist und bestehende Beobachtungs- instrumente ergänzt, ▶▶ a ls Reflexionshilfe dient, damit darauf aufbau- end gezielte und passgenaue Beziehungsange- bote gestaltet werden können und ▶▶ den wissenschaftlichen Gütekriterien von Testinstrumenten (Objektivität, Reliabilität, Validität) entspricht sowie Informationen über die Dimensionalität (Skalenstruktur) und über entsprechende Indikatoren bereitstellt. Ausgehend von den Überlegungen – und der von den PraktikerInnen beschriebenen Notwendigkeit für ein solches Verfahren – wurde daraufhin der EiBiS-Bogen entwickelt. 0 1 6 .
. / Weitere Entstehungsgeschichte 3. WEITERE ENTSTEHUNGSGESCHICHTE Für die Entwicklung des EiBiS-Bogens wurde zunächst IM EINZELNEN ERFOLGTEN FOLGENDE ENTWICKLUNGSSCHRITTE: im Rahmen eines studentischen Projekts unter der Lei- 1. Es wurde eine erste Fassung des Fragebogens mit tung von Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff im Master- insgesamt 39 Items entwickelt (s. o.), die nochmals studiengang „Bildung und Erziehung im Kindesalter“ von den TeilnehmerInnen des ersten Workshops (Feb an der Evangelischen Hochschule (EH) Freiburg und 2017) kommentiert wurde; danach wurde die Endfas- unter Mitarbeit von Sarah Aileen Söhnen (wiss. Mitar- sung EiBiS-4-2017 erstellt. beiterin an der EH Freiburg) ein erstes Screeningins- trument mit 39 Items konzipiert und in einem Pre-Test 2. Dieser Fragebogen wurde an zehn verschiedene in 190 Beobachtungen in zehn Kindertageseinrichtun- Kindertageseinrichtungen (Unterschiede in Größe, gen erprobt. Parallel wurden die beteiligten pädagogi- Struktur, Konzept) aus Freiburg und dem weiteren schen Fachkräfte mittels Fragebogen und drei Grup- Umfeld mit der Bitte verteilt, die Bögen von einer pengesprächen zur Handhabbarkeit, Verständlichkeit möglichst großen Anzahl von Fachkräften ausfüllen und möglichen Tauglichkeit eines solchen Instruments zu lassen. Ebenso wurde darum gebeten, einzelne befragt. Grundsätzlich zeigte sich bei den beteiligten Kinder von mehreren (mindestens zwei) Fachkräften Fachkräften eine sehr positive Resonanz, allerdings einschätzen zu lassen (Pretest 1). wurde auch häufig der Wunsch nach weiterer Qualifi- zierung bzw. Einführung zum Thema geäußert. 3. Im Zeitraum Mai bis Juni 2017 kamen 190 nutzbar aus- gefüllte Fragebögen an das Forschungsteam zurück. 4. B ei drei Kitas fanden zusätzlich Rückmelderunden im Team statt (Gruppengespräche), die dokumen- tiert wurden. 5. Es erfolgte dann die Auswertung mit quantitativen (statistische Analyse) und qualitativen (inhaltsana- lytische Auswertung der „freien“ Anmerkungen zum Fragebogen allgemein und zu den jeweiligen Items und der Team-Rückmeldungen) Methoden. 6. In einem zweiten Workshop mit Wissenschaftler- Innen und PraktikerInnen (Juli 2017, gleiche Beset- zung wie im ersten Workshop) wurden die Ergebnis- se diskutiert. Entsprechend der Rückmeldungen aus der ersten Erprobungsphase sowie den statistischen Analysen wurden die einzelnen Items verändert und eine modifizierte Skalenstruktur erarbeitet (Fassung EiBiS-7-2017). 0 1 8 .
7. Diese Fassung wurde noch einmal statistisch Es liegen Normwerte (Prozentränge [PR] und und inhaltlich geprüft (Söhnen, 2017) und anhand sog. T-Werte) vor. Dabei wird grundsätzlich dessen wiederum leicht modifiziert; so entstand von einem Kontinuum der Bindungssicherheit die Fassung EiBiS-10-2017. Die Analysen bis zum ausgegangen. Erstellen dieser Fassung sind in den Artikeln von Fröhlich-Gildhoff & Söhnen (2018) bzw. Fröhlich- 10. Es liegt jetzt ein wissenschaftlich abgesichertes Gildhoff et al. (2017) publiziert. und praxiserprobtes Verfahren vor, das kostenfrei der Praxis zur Verfügung gestellt wird. Zudem gibt 8. D ie Fassung EiBiS-10-2017 wurde im Zeitraum Okto- es ein evaluiertes Konzept einer Kurzschulung, das ber bis Dezember 2017 erneut in einer begrenzteren gleichfalls frei verfügbar ist und im Rahmen der Anzahl von Kindertageseinrichtungen erprobt und Aus- und Fortbildung eingesetzt werden kann. im Anschluss ausgewertet (Prüfung auf Objektivi- tät, Reliabilität sowie hinsichtlich des Inhaltes und formell auf Basis von Empfehlungen zur Frage- bogenkonstruktion) und modifiziert (Söhnen, 2018). 9. Die daraus resultierende, nochmals von externen WissenschaftlerInnen geprüfte Version EiBiS-10- 2018 (vorläufige Endfassung) mit 38 Items wurde bis März 2020 an einer großen Stichprobe (N>1000) getestet und normiert. Nach den Analysen wurde die Anzahl der Beobachtungsfragen (Items) auf 36 reduziert. Normwerte stehen als Bezugswerte für drei Altersgruppen (alle 12 Monate von 1 V bis 4 V Jahren) sowie geschlechtsbezogen zur Verfügung. Eine weitere Differenzierung nach kulturellem Hin- tergrund erwies sich aufgrund der statistischen Analysen als nicht sinnvoll. Zudem wurde das Verfahren auf mehrfache Weise validiert (ExpertInnenratings, Vergleich der Einschät- zungen einer begrenzten Anzahl von Kindern mit einem anderen Verfahren zur Erfassung des Bin dungstyps AQS-E; Ahnert, 2003). Weitere Expert- Innenratings erlaubten einen Vergleich der EiBiS- Ergebnisse mit den „klassischen“ Bindungstypen. . 0 1 9
. / Ergebnisse der testtheoretischen Überprüfung/Testkennwerte 4. ERGEBNISSE DER TESTTHEORETISCHEN ÜBERPRÜFUNG/TESTKENNWERTE In diesem Kapitel sind die wichtigsten Ergebnisse der Insgesamt konnten EiBiS-Bögen von 124 Einrichtungen testtheoretischen Überprüfung des EiBiS-Beobach- für die Gesamtstichprobe zur Normierung des EiBiS- tungsbogens dargestellt. Da diese Handreichung vor Beobachtungsbogens für die Analysen verwendet allem für die praktische Anwendung konzipiert ist, werden. Dies entspricht einer Rücklaufquote auf erfolgt die Darstellung sehr knapp – alle wichtigen Einrichtungsebene von 78.0 %. Kennwerte und Berechnungen sind ausführlich im Abschlussbericht des Projekts (Fröhlich-Gildhoff & TAB. 1: VERTEILUNG DER TEILNEHMENDEN EINRICHTUNGEN AUF Hohagen, 2020) vorgestellt. VERSCHIEDENE BUNDESLÄNDER 4.1 UNTERSUCHUNGSSTICHPROBE – DARSTELLUNG Bundesländer n % UND DESKRIPTIVE ANALYSEN SOZIODEMOGRAFISCHER Baden-Württemberg 72 61.0 VARIABLEN Bayern 9 7.6 Berlin 5 4.2 4.1.1 UNTERSUCHUNGSZEITRAUM UND STRUKTURMERKMALE Hamburg 2 1.7 DER TEILNEHMENDEN EINRICHTUNGEN Hessen 18 15.2 Die Akquise von Kindertageseinrichtungen für die Teil- Nordrhein-Westfalen 5 4.2 nahme an der Haupterhebungsphase der Einschätzun- gen zur Bindungssicherheit mittels des EiBiS-Bogens Rheinland-Pfalz 1 1.2 durch pädagogische Fachkräfte fand vom September Saarland 1 1.2 2018 bis zum April 2020 statt. In diesem Zeitraum Sachsen 1 1.2 wurden EiBiS-Bögen an 159 Einrichtungen aus ver- Thüringen 3 2.5 schiedenen Bundesländern (siehe Tab. 1) und unter un- Gesamt 118 100 terschiedlicher Trägerschaft (siehe Tab. 2) verschickt. Anmerkung: N=118; 6 Einrichtungen konnten aufgrund von fehlenden Angaben keinem Bundesland zugeordnet werden STATISTISCHE KENNWERTE UND ABKÜRZUNGEN Abkürzung Statistischer Kennwert TAB. 2: VERTEILUNG DER TEILNEHMENDEN EINRICHTUNGEN AUF M (arithmetischer) Mittelwert VERSCHIEDENE TRÄGER-ARTEN Min Minimaler Wert Max Maximaler Wert Träger-Art n % N Größe der Gesamtstichprobe Öffentlich 52 49.0 n Größe der Teilstichprobe Kirchlich 31 28.2 p Wahrscheinlichkeit Privat 35 22.8 Pearsons Produkt-Moment- Gesamt 118 100 r Korrelationskoeffizient Spearmans Rang-Korrelations- Anmerkung: N=118; 6 Einrichtungen konnten aufgrund von rs Koeffizient fehlenden Angaben keiner Trägerart zugeordnet werden SD Standardabweichung 0 2 0 .
4.1.2 ALLGEMEINE ZAHLEN ZUR UNTERSUCHUNGSSTICHPROBE 516 Kinder waren männlich (50.9 %), 495 weiblich UND SOZIODEMOGRAFISCHE ANGABEN DER TEILNEHMENDEN (49.1 %). Die Eltern von 664 Kindern wurden in Deutsch- KINDER land geboren (68.8 %), von 150 Kindern wurde ein El- Innerhalb des Erhebungszeitraums wurden 2806 EiBiS- ternteil im Ausland geboren (15.5 %) und bei 151 Kindern Fragebögen an Kindertageseinrichtungen postalisch wurden beide Elternteile im Ausland geboren (15.6 %, versendet, von denen 1379 ausgefüllt und zurückge- n=965). 23.4 % der Kinder sprechen in ihrem Haushalt sandt wurden (Rücklaufquote 49.1 %). Der relativ hohe vorwiegend eine andere Sprache als Deutsch (n=989). Rücklauf ist sowohl auf das grundsätzliche Interesse der Einrichtungen an einem gut handhabbaren Beob- 4.1.3 SOZIODEMOGRAFISCHE ANGABEN DER PÄDAGOGISCHEN achtungsinstrument zur Einschätzung der Bindungs- FACHKRÄFTE (EINSCHÄTZERINNEN) sicherheit, als auch auf die rückgemeldete Prakti Die EiBiS-Bögen für die 1014 Kinder wurden von insge- kabilität des Einsatzes des Bogens im Kita-Alltag samt 545 unterschiedlichen pädagogischen Fachkräf- (ca. 15 min pro Einschätzung) zurückzuführen. Von den ten ausgefüllt (Alter: n=514, M=3.6 Jahre, SD=12.0, 1379 Einschätzungen mussten 236 aufgrund von feh- Min=18, Max=64; 93.7 % weiblich). Von den Fachkräften lenden oder fehlerhaften Angaben aussortiert werden (n=525) gaben 43 (8.2 %) an, im Haushalt überwiegend (z. B. zu hohes oder zu niedriges Alter des Kindes, feh- eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen, 482 spre- lende Angaben zu Alter und Geschlecht des Kindes, chen vorwiegend Deutsch (91.8 %). Zusätzlich wurden fehlende Einschätzungen zu den einzelnen EiBiS- die pädagogischen Fachkräfte um eine subjektive Items; Sort-Out-Quote 16.5 %). Von den gültigen Einschätzung ihrer Vertrautheit mit Beobachtungs- 1151 Einschätzungen gab es 267 Mehrfacheinschät- verfahren allgemein und mit der Bindungstheorie zungen, d. h. 130 Kinder wurden von zwei oder drei gebeten (siehe Tab.4). verschiedenen Fachkräften eingeschätzt. So ergab sich letztendlich eine Gesamt-Normstichprobe von TAB. 4: VERTRAUTHEIT DER FACHKRÄFTE MIT BEOBACHTUNGS- 1014 unterschiedlichen Kindern mit jeweils nur VERFAHREN UND BINDUNGSTHEORIE einer Einschätzung. Erfahrungsbereiche n M SD Min Max Ein Einschlusskriterium für eine gültige Einschätzung Beobachtungs- 535 7.77 1.74 0 10 der Bindungssicherheit anhand des EiBiS-Bogens war verfahren das Alter des Kindes. Dies sollte zwischen 1 V und Bindungstheorie 534 7.41 1.80 0 10 4 V Jahren liegen. Durchschnittlich betrug das Alter der 1014 Kinder 37.34 Monate (SD=30.42, Min=18, Anmerkung: Wertebereich für Vertrautheit Beobachtungs- verfahren und Vertrautheit Bindungstheorie von 0=gar Max=55). Tabelle 3 zeigt die Verteilung der Kinder hin- nicht vertraut bis 10=sehr vertraut. sichtlich des Alters in Jahresschritten – diese Unter- teilung erwies sich nach den statistischen Analysen als die sinnvollste. Die Kinder verbrachten bis zum 4.2 ERGEBNISSE DER TESTTHEORETISCHEN Zeitpunkt der Datenerhebung im Durchschnitt 13.60 ÜBERPRÜFUNG Monate in der Kindertageseinrichtung (SD=8.70, 4.2.1 DESKRIPTIVE ITEM- UND SKALENANALYSEN Min=1, Max=48; N=999). Der EiBiS-Beobachtungsbogen (EiBiS-Gesamtskala) besteht aus insgesamt 36 Items, die wiederum 4 Skalen TAB. 3: VERTEILUNG DER KINDER AUF DIE ALTERSSTUFEN IN bzw. „Unterbereichen“ zugeordnet sind. Diese Skalen JAHRESSCHRITTEN konnten durch eine konfirmatorische Faktorenanalyse nochmals empirisch für die Gesamtstichprobe abgesi- Altersstufen (Monate) n % chert werden (vgl. Fröhlich-Gildhoff & Hohagen, 2020). Tabelle 5 bietet einen Überblick über die Mittelwerte 18-30 318 31.4 (M) und Standardabweichungen (SD) der einzelnen 31-42 326 32.1 Items sowie eine Übersicht der erzeugten Mittelwerts- 43-55 370 36.5 und Summenvariablen, jeweils für die EiBiS-Gesamt- Gesamt (18-55) 1014 100 skala und die einzelnen Teil-Skalen (A-D). . 0 2 1
. / Ergebnisse der testtheoretischen Überprüfung/Testkennwerte TAB. 5: DESKRIPTIVE STATISTIKEN DER EIBIS-ITEMS, EIBIS-SKALEN UND DER EIBIS-GESAMTSKALA EiBiS-Skalen EiBiS-Items (Kurzform) M SD Min Max A Nähe suchen und zulassen 3.97 0.85 1.00 5.00 (Mittelwertsvariable) A N ähe suchen und zulassen 27.79 5.91 7.00 35.00 (Summenvariable) A1 „Körperliche Nähe“ 3.79 1.40 0 5 A2 „Nähe Bezugsperson“ 3.75 1.38 0 5 A3 „Nähe zulassen“ 4.01 1.09 0 5 A4 „Aktive Zuwendung“ 4.05 1.11 0 5 A5 „Freude Bezugsp.“ 4.36 0.96 0 5 A6r „Keine Zuwendung“ 3.84 1.58 0 5 A7r „Schwanken“ 3.98 1.30 0 5 B U mgang mit soz, bel, Situationen 4.01 0.82 0.90 5.00 (Mittelwertsvariable) B Umgang mit soz, bel, Situationen 40.06 8.24 9.00 50.00 (Summenvariable) B8r „Irritation Übergang“ 3.86 1.33 0 5 B9r „Klammern Bezugsp.“ 3.55 1.51 0 5 B10r „Unbeteiligt Übergang“ 4.04 1.26 0 5 B11r „Angst Trennung“ 4.24 1.13 0 5 B12r „Unruhe Trennung“ 3.99 1.28 0 5 B13r „Klammern Fachkraft“ 4.04 1.24 0 5 B14r „Leicht irritierbar“ 4.16 1.16 0 5 B15r „Anspannung“ 3.93 1.26 0 5 B16 „Ruhiger Umgang“ 4.14 1.33 0 5 B17 „Ausdruck viel Nähe“ 4.11 1.20 0 5 C O ffenheit für Neues, Explorationsfreude 3.68 0.92 0.46 5.00 (Mittelwertsvariable) C Offenheit für Neues, Explorationsfreude 47.77 12.00 6.00 65.00 (Summenvariable) C18 „Einlassen Spiele“ 3.87 1.19 0 5 C19 „Kooperation Kinder“ 3.99 1.15 0 5 C20 „Spiele vertiefen“ 3.78 1.24 0 5 C21 „Eigene Wirksamkeit“ 4.02 1.17 0 5 C22 „Herausforderungen“ 3.67 1.24 0 5 C23 „Strukturiertes Spiel“ 3.65 1.27 0 5 C24 „Zuwendung Dingen“ 4.26 1.06 0 5 C25 „Auffordern Mitspielen“ 3.22 1.45 0 5 C26 „Zeigt Anteilnahme“ 3.51 1.28 0 5 C27 „Holt expl. Unterstütz.“ 3.06 1.38 0 5 C28 „Kontakt aufnehmen“ 3.61 1.29 0 5 C29 „Interesse Gespräche“ 3.65 1.25 0 5 C30 „Suche Anregungen“ 3.47 1.29 0 5 0 2 2 .
EiBiS-Skalen EiBiS-Items (Kurzform) M SD Min Max D E motionsregulation und Emotionsausdruck 3.74 0.94 0.00 5.00 (Mittelwertsvariable) D Emotionsregulation und Emotionsausdruck 22.43 5.65 0.00 30.00 (Summenvariable) D31 „Schnell trösten“ 4.02 1.16 0 5 D32 „Sit.-angem. beruhigen“ 4.01 1.10 0 5 D33 „Selbst beruhigen 3.32 1.32 0 5 D34 „Vielfalt Gefühle“ 3.91 1.16 0 5 D35 „Stärke Gefühle“ 3.71 1.22 0 5 D36 „Hilfe suchen“ 3.46 1.43 0 5 Gesamtskala EiBiS (Mittelwertsvariable) 3.78 0.69 1.35 5.00 Gesamtskala EiBiS (Summenvariable) 138.04 25.68 41.00 180.00 Anmerkung: Wertebereich für EiBiS-Items von 0=fast nie bis 5=fast immer; Items A6r bis B15r sind rekodiert; N=1014 Die Mittelwerte zeigen, dass die durchschnittliche TAB. 6: INTERNE KONSISTENZ DER SKALEN UND DES Bewertung der EiBiS-Items eher im oberen Werte- GESAMTTESTS bereich liegt, also über die Einschätzungen aller Kin- der hinweg eher auf eine sichere Bindung hinweisen Interne Konsistenz Skala (wobei die Streuungen vereinzelt eher hoch sind) – (Cronbachs Alpha) dieses Ergebnis entspricht anderen Studien zur Erfas- A N ähe suchen und .787 zulassen sung der Bindungssicherheit in der Kita (Glüer, 2012; Zweyer, 2006) und weist zunächst global darauf hin, B U mgang mit sozial belastenden .846 dass es mehr sicher-gebundene Kinder gibt als Situationen unsicher-gebundene. C O ffenheit für Neues, .930 Explorationsfreude 4.2.2 ITEMSCHWIERIGKEIT, ITEMTRENNSCHÄRFE UND INTERNE D E motionsregulation, .855 KONSISTENZ DER EIBIS-SKALEN Emotionsausdruck Zur Überprüfung der Reliabilität der EiBiS-Skalen Gesamtskala .939 wurde für die jeweiligen Teil-Skalen (A-D) und die Ge- samtskala die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha) berechnet. Die Ergebnisse der Überprüfung der Relia- Die Itemschwierigkeit der einzelnen EiBiS-Items ist bilität der EiBiS-Gesamtskala sowie der einzelnen eher hoch (nach Döring & Bortz, 2016 sollte die Item- Teilskalen zeigen eine hohe (A, B, D) bis sehr hohe (C, schwierigkeit eines Items zwischen 20 % und 80 % lie- Gesamtskala) interne Konsistenz (nach Blanz, 2015: gen). Bei einigen Items liegt die Itemschwierigkeit >.7=akzeptabel, >.8=gut, >.9=exzellent; siehe Tab. 6). knapp über 80 %. Dies hängt mit der stark linksschie- fen Verteilung aller EiBiS-Items zusammen bzw. der insgesamt eher hoch eingeschätzten Bindungssicher- heit über die Items und Teilnehmenden hinweg. Die Trennschärfe der Items kann insgesamt als zufrieden- stellend (>.3, siehe Fisseni, 2004) bezeichnet werden (Ausnahme: Item B17). . 0 2 3
. / Ergebnisse der testtheoretischen Überprüfung/Testkennwerte 4.2.3 INTERRATER-RELIABILITÄT (IRR) 4.2.4 ÜBERPRÜFUNG DER KONSTRUKTVALIDITÄT DES EIBIS- Neben der Überprüfung der internen Konsistenz der MODELLS: VERGLEICH MIT DEN BINDUNGSTYPEN Skalen als Maß zur Reliabilität des EiBiS-Modells ist es Zur Überprüfung der Konstruktvalidität des EiBiS- wichtig zu untersuchen, inwiefern die Einschätzun- Bogens wurden 10 ExpertInnen-Ratings zur Entspre- gen verschiedener pädagogischer Fachkräfte zur Bin- chung von hohen und niedrigen EiBiS-Ratings zu den dungssicherheit eines Kindes miteinander zusammen- vier verschiedenen Bindungstypen eingeholt. Diese hängen bzw. wie zuverlässig die Einschätzungen subjektive Einschätzung zur Entsprechung von Item- unterschiedlicher Fachkräfte insgesamt sind. Inner- Werten (hoch=EiBiS-Wert 4.5; niedrig=EiBiS-Wert 0.1) halb der EiBiS-Gesamtstichprobe konnten Daten von und den Bindungstypen (sicher gebunden, unsicher insgesamt 267 Einschätzungen zur Bindungssicherheit ambivalent, unsicher vermeidend, desorganisiert) er- von 2 oder 3 RaterInnen pro Kind gesammelt werden. folgte für jedes der 36 EiBiS-Items. Diejenigen Items Dabei zeigte sich, dass die Übereinstimmung dieser mit 100 %-Übereinstimmung 2 in der Zuordnung zu Einschätzungen zunächst nur mittelmäßig war mit einem Bindungstyp (alle 10 RaterInnen urteilten Korrelationen (Pearson-Korrelationskoeffizient) 1 von gleich) wurden als Bedingungen für eine Zuordnung .377 bei Paar-Einschätzungen und .460 bei Einschät- der EiBiS-Fälle (N=1014) zu einem Bindungstyp heran- zungen von drei Personen.Es wird vermutet, dass die gezogen (z. B. wenn Item B8r=niedrig & D31=niedrig & Interrater-Reliabilität zunächst nur mittelmäßig aus- D32=niedrig & D33=niedrig – dann Bindungstyp 2 [un- fiel, weil die Fachkräfte evtl. ein unterschiedliches sicher ambivalent]). Falls die EiBiS-Einschätzung eines Maß an Vorbereitung zum Ausfüllen des EiBiS-Bogens Kindes die Bedingung für diejenigen Items erfüllte, die vorwiesen (z. B. durch Lesen des theoretischen Hinter- von den ExpertInnen übereinstimmend als relevant grundes zur Bindungstheorie und weiteren Beobach- für einen bestimmten Bindungstyp erachtet wurden, tungsverfahren sowie den Erläuterungen zum besse- konnte das beurteilte Kind einem Bindungstyp zuge- ren Verständnis der EiBiS-Items in den beigelegten ordnet werden. Dieses Modell konnte dann durch eine Handreichungen). Um dies zu überprüfen, wurde an- Cluster-Analyse bestätigt werden (Hohagen & Fröh- hand einer kleineren Sub-Stichprobe in drei Einrich- lich-Gildhoff, in Vorb.). Die Zusammenhänge zwischen tungen eine Mikro-Schulung zum EiBiS-Bogen durch- den Einschätzungen in den einzelnen Items und der geführt, in dem die Einschätzungen zweier Fachkräfte Zuordnung zu einem Bindungstyp findet sich im An- zu einem Kind gemeinsam mit einem/r MitarbeiterIn hang E dieser Handreichung. aus dem EiBiS-Team diskutiert wurden. Hier kamen Unterschiede in der Wahrnehmung des Kindes auf- 4.2.5 ÜBERPRÜFUNG DER KONVERGENTEN VALIDITÄT DES grund verschiedener Faktoren zum Vorschein (z. B. Be- EIBIS-MODELLS: ZUSAMMENHANG MIT DEM AQS-VERFAHREN treuung des Kindes zu unterschiedlichen Tageszeiten, Ein weiteres Gütekriterium bei der Entwicklung eines in Kombination mit Peers oder alleine, Beobachtung in Beobachtungsinstrumentes und dessen testtheoreti- unterschiedlichen Räumen etc.). Anschließend sollten scher Absicherung stellt die konvergente Validität dar. die beiden Fachkräfte die Item-Erläuterungen noch- Bei der Entwicklung des EiBiS-Bogens stellt sich dabei mals lesen und dann weitere sechs Kinder mit Hilfe konkret die Frage, ob das EiBiS-Modell ein ähnliches des EiBiS-Bogens doppelt einschätzen. Die Ergebnisse Bindungskonstrukt misst, wie ein anderes etabliertes zeigen, dass die hier gemittelten Pearson-Korrelations- Beobachtungsinstrument zur Einschätzung der Bin- koeffizienten wesentlich höher sind (r=.855). dungssicherheit bzw. ob dem EiBiS-Modell im Ver- gleich zu einem anderen Screening-Instrument ein ähnliches Konstrukt von Bindung zugrunde liegt. Um dies zu überprüfen, wurden in zwei weiteren Erhe- bungsphasen mehrere Kinder (N=39) der EiBiS-Norm- stichprobe zusätzlich zur Beobachtung mit EiBiS eben- 1 Weitere Berechnungen zur Interrater-Reliabilität (z. B. Intra-Klas- falls mit dem Attachment-Q-Sort-Verfahren (AQS-E/G) sen-Koeffizienten (ICC)-Werte und Werte zu den einzelnen Skalen finden sich bei Fröhlich-Gildhoff & Hohagen (2020) beobachtet (ursprünglich eingesetzt zur Einschätzung 2 Insgesamt konnte bei den ExpertInnen-Ratings bei 28 der 36 Items der Bindungssicherheit von Kindern zu ihren primären eine mindestens 70 %-Übereinstimmung zu den vier klassischen Bezugspersonen; Ahnert, 2003; Waters & Deane, 1985; Bindungstypen festgestellt werden. Für die Analyse wurden jedoch nur die 100 %-Übereinstimmungen verwendet. siehe auch Glüer, 2017). 0 2 4 .
Der AQS-E/G (Ahnert, 2003) setzt sich grundlegend Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Zusammen- aus drei Untersuchungsschritten zusammen (Waters, hang zwischen den AQS-Ratings und den Mittelwer- 2008): Zunächst erfolgt eine Beobachtung des Kindes ten für die Skala D (Emotionsregulation und Emotions- zu bindungsspezifischen Verhaltensweisen zu seiner ausdruck) mit einem mittleren Effekt (rs=.318; nach Bezugsperson und darauf, wie das Kind auf fremde Cohen, 1988). Der Zusammenhang zwischen den AQS- Personen (in diesem Fall der/die BeobachterIn) reagiert. Ratings und den EiBiS-Skalen A, B und C sowie der Ei- Im Anschluss an die Beobachtung schätzen Expert BiS-Gesamtskala ist eher schwach. Eine Erklärung für Innen anhand von 90 Items die beobachtbaren bin- dieses Ergebnis kann in der kleinen Stichprobe liegen dungsrelevanten Verhaltensweisen eines Kindes zu – hier erscheinen weitere Untersuchungen notwendig, seiner Bezugsperson ein (für eine detaillierte Erläu die aufgrund der Einschränkungen in den Kitas wäh- terung der Durchführung des AQS-Verfahrens siehe rend der letzten Erhebungsphase nicht durchzuführen Hohagen et al., 2020). waren. Möglicherweise messen beide Verfahren auch Zur Überprüfung des Zusammenhangs zwischen dem unterschiedliche Aspekte des Konstrukts Bindungssi- EiBiS- und dem AQS-Verfahren wurde eine Spearman- cherheit – hierzu sollten ergänzende qualitative Ana- Korrelation berechnet. Die ermittelten Spearman- lysen, z. B. eine Befragung der BeobachterInnen zur Korrelationskoeffizienten (rs) zwischen den EiBiS-Ge- Begründung ihrer Einschätzungen bzw. Einordnun- samtscores sowie Werten der EiBiS-Skalen (A-D) und gen, vorgenommen werden. den AQS-E/G-Ratings sind in Tabelle 7 dargestellt. TAB. 7: ZUSAMMENHÄNGE ZWISCHEN DER BINDUNGSSICHERHEITSWERTEN DES AQS-E/G UND DENEN DES EIBIS-BEOBACHTUNGSBOGENS EiBiS-Subskalen N M SD rs(EiBiS-AQS) p A: Nähe suchen und zulassen 39 4.21 0.77 .202 .217 B: Umgang mit sozial belastenden Situationen 39 4.22 0.90 .157 .341 C: Offenheit für Neues, Explorationsfreude 39 4.04 0.92 .134 .417 D: Emotionsregulation und Emotionsausdruck 39 3.99 0.98 .318 .049* EiBiS-Gesamtskala 39 4.12 0.78 .234 .070 Anmerkung: rs (Spearman-Korrelationskoeffizient); p (Signifikanzwert; * p
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