"Leben im Alter" - Autonomie durch Technik - Evangelische Stiftung Alsterdorf
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Magazin der Evangelischen Stiftung Alsterdorf Themenheft 01I2019 „Leben im Alter“ ››› Wohnen im Alter ››› Autonomie durch Technik ››› 30 Jahre Station 17 Selbstbestimmtheit Technisch gestützte Kreativ und inklusiv ist Trumpf Assistenz macht’s möglich
Lieferservice mal anders! Unser kostenloser Hol- und Bringservice ist immer für Sie da. Stockflethweg 30 | Hamburg | Tel. 040 . 52 72 27-0 Langenhorner Ch. 666 | Hamburg | Tel. 040 . 60 00 30-0 Wendenstraße 150-160 | Hamburg | Tel. 040 . 25 15 16-0 Service mit Leidenschaft. Bornkampsweg 2-4 | Hamburg | Tel. 040 . 89 69 1-0 Blankeneser Landstr. 43 | Hamburg | Tel. 040 . 86 66 60-0 Hoheluftchaussee 153 | Hamburg | Tel. 040 . 42 30 05-0 Auto Wichert 21 x in und um Hamburg Holsteiner Ch. 190 | Hamburg | Tel. 040 . 57 70 97-90 Charlottenburger Str. 63 | Hamburg | Tel. 040 . 66 99 19-90 Kostenloser Ersatzwagen bei Inspektion Griegstraße 69 | Hamburg | Tel. 040 . 55 89 57 3-0 Segeberger Ch. 181 | Norderstedt | Tel. 040 . 52 99 07-0 Ulzburger Straße 167 | Norderstedt | Tel. 040 . 52 17 07-0 Auto Wichert GmbH | ww.auto-wichert.de | info@auto-wichert.de Ohechaussee 194-198 | Norderstedt | Tel. 040 . 30 98 54 47-0
›››INHALT 01I19 ››› Titelthema: „Leben im Alter“ 4 Neunundneunzigeinhalb Wohnmodelle Mitten im Leben im Alter 10 Wo die Jungen alt aussehen: Ob im sozialräumlichen Leben auf der Insel der „Unsterblichkeit“ Projekt LeNa Fehlinghöhe 14 Wohnen in Gemeinschaft in Steilshoop, im Pantherhaus in St. Pauli Modelle für ein selbstbestimmtes oder im Bismarck Leben in jedem Alter Seniorenstift in 20 „Wir müssen den Abschied leben lernen“ Reinbek – selbstbestimm- Im Gespräch mit der Soziologin tes Leben im Alter Prof. Dr. Annelie Keil steht an erster Stelle. 22 Kleine Technik – große Wirkung Seite 14 „Technisch gestützte Assistenz“ bedeutet mehr Selbstbestimmung 24 Alt werden Körperkräfte schwinden – die Seele bleibt jung 26 Ganz schön alt Was lernen wir von alten Menschen? 30 Anerkennung und Freundschaften als Dank Mehr Lebens- Neue Betätigungsfelder im Ruhestand qualität durch Technik ››› Kultur Die sogenannte „technisch 28 Musiker auf Augenhöhe gestützte Assistenz“ be- Die Band Station 17 feiert ihren 30. Geburtstag deutet mehr Autonomie im Leben von Menschen mit Behinderung – in ››› Q8 36 Fünf Jahre Modellprojekt Qplus jedem Alter. Auf dem Weg zum gelingenden Alltag Seite 22 ››› Kolumne 8 Last oder Lust? Prof. Hanns-Stephan Haas über das Altwerden in der Bibel ››› Porträt 42 Auf einen Kaffee mit Ralf Schlesselmann 30 Jahre Werner Momsen im Gespräch über Station 17 Schnäppchenjäger, Secondhand und Und eine Geburtstags- einen Weltenbummler Fotos: Axel Nordmeier, Simon Hegenberg party mit prominenten Gästen wie der ››› Schnappschüsse 12 Woran merkt man, dass man alt wird? Hip-Hop-Band Fettes Brot oder Kraftwerk-Gründer Menschen auf dem Alsterdorfer Markt Michael Rother. schildern ihre ganz persönlichen Erfahrungen Seite 28 ››› Rubriken 6 Auf einen Blick 7 Veranstaltungen 7 Impressum 3
Titelthema‹‹‹ TITELTHEMA NEUNUNDNEUNZIGEINHALB Aktiv bleiben, auch wenn die eigenen Fähigkeiten dafür nachlassen – so könnte man das Rezept von Monika Rüsch für ein lebendiges Altwerden zusammenfassen. Text: Ursula Behrendt, Foto: Axel Nordmeier Monika Rüsch sitzt in ihrem Zimmer im Bismarck mich richtig eingelebt habe“, erzählt Monika Rüsch. Seniorenstift in Reinbek. Das hat sie mit ihren eigenen An den Angeboten des Bismarck Seniorenstifts nimmt Möbeln – einem Schrank, einer kleinen Kommode, sie rege teil: „Am liebsten mache ich Gedächtnistrai- einem Sideboard, Tisch und Stühlen sowie vielen ning, nehme an Spielrunden und am Singen teil.“ Sie Ölgemälden an den Wänden – gemütlich eingerichtet. hat bei den Mahlzeiten auch eine nette Tischrunde Die gebürtige Oberschlesierin wohnt mit ihren neun- gefunden und aus diesem Kreis sogar eine nette undneunzigeinhalb Jahren seit März 2018 im Bismarck Bekannte kennengelernt, mit der sie sich auch über Seniorenstift. „Nach einem Sturz konnte ich nicht Persönliches austauschen kann. Das Pflegepersonal mehr in die Wohnung zurück und habe hier ein neues findet sie „sehr zugewandt und hilfsbereit“. Lesen Zuhause gefunden“, so Monika Rüsch. „Es gefällt mir Sie mehr zum Bismarck Seniorenstift und anderen jetzt sehr gut hier. Es hat aber länger gedauert, bis ich Wohnmodellen für ältere Menschen ab Seite 14. ‹‹‹ 5
››› Auf einen Blick Neue Kampagne für Hamburger Unternehmen: „Stark für HH“ Ev. Stiftung Alsterdorf Mit der neuen Kampagne „Stark für HH“ möchte die Ev. Stiftung Alsterdorf ein deutliches Zeichen für mehr Chancen- gleichheit von benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Hamburg setzen. Dazu suchen wir Hamburger Unternehmen, die gemeinsam mit uns einen Beitrag leisten, um gesell- schaftliche Teilhabe zu fördern. Allein in Hamburg gibt es mehr als 60.000 Kinder, die in Gleiche Chancen für alle Armut aufwachsen. Oft unverschuldet und durch äußere Kinder! Unterstützen auch Sie die Kampagne „Stark für HH“ Umstände gezwungen, fehlen ihnen die Möglichkeiten, ihre der Evangelischen Stiftung Fähigkeiten zu entfalten. Ihre soziale Herkunft bestimmt Alsterdorf. häufig ihren Bildungsweg. Vielen Kindern mit einem Unter- www.stark-für-HH.de stützungsbedarf bleibt die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verwehrt. Alltägliche Dinge, wie z. B. das Mitmachen bei einem Sportkurs, sind für Kinder mit Handicap nahezu unmöglich. Ob Handicap oder sozial benachteiligte Lebensverhältnisse: Alle Kinder und Jugendlichen sollten die gleichen Bildungs- und Entwicklungschancen haben! Dafür wollen wir uns ge- meinsam mit Hamburger Unternehmenspartnern einsetzen. Partner der Kampagne „Stark für HH“ profitieren für ihr soziales Engagement von konkreten Vorteilen – angefangen von Kommunikationsmaterialien wie einem Partner-Logo über Onlinebanner, E-Mail-Signatur, eine Spendenurkunde Foto: Ev. Stiftung Alsterdorf bis hin zu einem Social Day oder einem Coaching. Unser konkretes Angebot an die Unternehmen können Sie auf alsterdorf.de nachlesen: https://www.alsterdorf.de/spenden/ stark-fuer-hh.html ‹‹‹ Kontakt: Freunde und Förderer, Hanka Nagel und Anja Hellwig, E-Mail: h.nagel@alsterdorf.de oder Kinder unterstützen und stark machen ist das Ziel der Kampagne anja.hellwig@alsterdorf.de Berufsmesse – ESA Campus Day 2019 Asiens Küche und Köche mit Herz im Café Ursprung Nach der erfolgreichen Premiere im Vorjahr geht der ESA Alle zwei Monate bekommen die Be- Campus Day am 21. Mai 2019 von 10 bis 15 Uhr auf schäftigten der alsterdorf assistenz ost dem Alsterdorfer Markt in die zweite Runde. Mit einem gGmbH, die im Rahmen der Tagesför- Mix aus Fachvorträgen, Infoständen und Führungen gibt derung im Café Ursprung in Hamburg- die Evangelische Stiftung Alsterdorf Auszubildenden, Stu- Hamm tätig sind, tatkräftige Unterstüt- dierenden und Fachkräften Einblicke in die vielfältigen Ar- zung: Ehrenamtliche Köchinnen und beitsfelder der Stiftung. Neben den Vorträgen und Work- Köche aus Taiwan und China bereiten shops gibt es die Möglichkeit, sich zu bewegen: beim dann gemeinsam mit den Beschäftig- Handicap-Parcours und beim Auftritt des Gebärdenchors ten asiatische Spezialitäten zu. Bereits HandsUp. Wer Lust hat, kann auch Teil des inklusiven seit acht Jahren kommt die Gruppe Foto: Babette Brandenburg Filmteams von barner16 werden. In dem Unternehmens- regelmäßig ins Café Ursprung. Die verbund der Evangelischen Stiftung Alsterdorf werden Zutaten zum Kochen bringen sie mit, an 180 Standorten in Hamburg und Schleswig-Holstein da sie oft nur in asiatischen Geschäften zahlreiche Arbeitsplätze in den Bereichen Assistenz für erhältlich sind. Sowohl für die Beschäf- Menschen mit Behinderungen, Bildung, Medizin, Senio- tigten der Tagesförderung als auch für renhilfe, Pflege, Sozialarbeit und vieles mehr angeboten. die Freiwilligen ist das gemeinsame Anmelden zum ESA Kochen eine große Bereicherung. Campus Day kann Den Gästen hat das Mittagsgericht – Pilzgemüse auf Reis mit gefüllten man sich auf der Teigtaschen – sehr gut geschmeckt. Das Team des Café Ursprung und die Website www. Ehrenamtlichen freuen sich schon auf das nächste gemeinsame Kochen. ‹‹‹ esa-campusday.de Das Café Ursprung befindet sich in der Carl-Petersen-Straße 59, – dort findet man 20535 Hamburg. Öffnungszeiten: Dienstag – Donnerstag, auch das ausführli- 10 – 16 Uhr. Der nächste Termin zum asiatischen Mittagstisch: che Programm. ‹‹‹ 25. April 2019 6
Gesundheitsförderung im Quartier – ein spannendes Thema für Referenten ›››Termine von und Publikum April bis Juni APRIL Samstag, 13. April, 11 – 15.00 Uhr Bugi-Schulflohmarkt. Aula, Bugenhagenschule Alsterdorf, www.bugenhagen-schulen.de/ alsterdorf/ Samstag, 20. April, 17.00 Uhr Osterfeuer. Anschließend tragen wir das Licht Foto: Q8 zur Osternachtfeier in die Kirche vor der Barakiel-Halle, www.alsterdorf.de/aktuelles 21.00 Uhr Thema „Gesundheitsförderung inklusiv: partizipativ und sozialräumlich“ Osternachtfeier. Kirche St. Nicolaus, www.alsterdorf.de/aktuelles Die Idee der „selbstverständlichen Gesundheitsförderung für alle“ darf kein Wunschdenken Freitag, 26. April, ab 18.00 Uhr bleiben: Darin waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fachtags „Gesund- Tanzpalast – Tanzen für alle. Kulturküche, heitsförderung inklusiv“ einig. Auf Einladung der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Alsterdorfer Markt 18, Gesundheitsförderung HAG, dem Verein Leben mit Behinderung und der Ev. Stiftung Alster- www.facebook.com/TanzpalastHamburg Samstag, 27. April dorf tauschten sich Anfang Februar u. a. Vertreter von Krankenkassen, Gesundheitsbehör- Miniseitz Kindertheater. Kulturküche, Alsterdorfer den, der Eingliederungshilfe sowie weitere Akteure der Gesundheitswirtschaft erstmals zum Markt 18, www.facebook.com/miniseitz Thema Gesundheitsförderung und Prävention für Menschen mit Behinderung aus. Wichtig MAI sei es, Angebote gemeinsam mit den Betroffenen zu entwickeln. „Es gibt bereits viele Ideen Sonntag, 5. Mai, 9 – 17.00 Uhr im Quartier – wir wollen diese Ansätze nutzen und stärken“, so Armin Oertel vom Bereich Flohmarkt Alsterfloh. Alsterdorfer Markt, Q8 Sozialraumentwicklung der Ev. Stiftung Alsterdorf. Das große Interesse am Fachtag und www.alsterdorf.de/aktuelles die angeregte Diskussion zeigten, wie hoch der Bedarf bei diesem Thema ist. ‹‹‹ Mittwoch, 8. Mai, 10 – 13.00 Uhr Erinnern für die Zukunft – Gedenken an die Opfer der NS-Euthanasie. Kulturküche / St. Nicolaus, www.alsterdorf.de/aktuelles Dienstag, 21. Mai, 10 – 15.00 Uhr Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ zieht erste Bilanz ESA Campus Day – Berufsmesse. „Die haben uns behandelt wie Ge- Eventzelt, Alsterdorfer Markt fangene“ – unter dieser Überschrift Mittwoch, 22. Mai, ab 18.00 Uhr Bugi-Theater-Projekt. Eventzelt, Alsterdorfer Markt stand die zweite Veranstaltung zur Samstag, 25. Mai, 15 – 23.00 Uhr „Anerkennung der Opfer von Gewalt Line-Dance-Party. Eventzelt, Alsterdorfer Markt und Unrecht in der Behindertenhilfe Sonntag, 26. Mai, 10.00 Uhr und Kinder- und Jugendpsychiatrie“. Frühshoppen mit Live-Musik, Alsterdorfer Zahlreiche Menschen mit Behinderung Kesselhaus, Eventzelt, Alsterdorfer Markt, www.alsterdorfer-kesselhaus.de/ haben in den Einrichtungen der Behin- Foto: Krings dertenhilfe Leid und Unrecht erlebt, JUNI darunter auch viele Menschen, die in Samstag, 8. Juni, 16 – 22.00 Uhr den ehemaligen Alsterdorfer Anstalten Alster-Open-Air, Alsterdorfer Markt, www.hobby-musiker-events.de V. l. n. r.: Prof. Christian Pfeiffer, Dr. Melanie Leonhard, lebten. Die bundesweite Stiftung „An- Freitag, 14. Juni, 10 – 16.00 Uhr Karin Schmüser (vorne, ehem. Bewohnerin der erkennung und Hilfe“ hat das Ziel, ge- Inklusives Sportfest – Spiele für alle. früheren Alsterdorfer Anstalten), Prof. Maike Rotzoll, schehenes Leid anzuerkennen und auf zwischen Alsterdorfer Markt und Barakiel-Halle, www.sport-alsterdorf.de Werner Boyens (ehem. Bewohner der früheren unbürokratische Weise zu helfen. Auf Sonntag, 16. Juni, 9 – 17.00 Uhr Alsterdorfer Anstalten), Prof. Hanns-Stephan Haas, Bundesebene wurden bisher ca. 5.000 Flohmarkt Alsterfloh. Alsterdorfer Markt, und Dr. Michael Wunder Anträge gestellt. In Hamburg gab es www.alsterdorf.de/aktuelles 300 Antragstellungen. Innerhalb der Sonntag, 23. Juni, 11 – 17.00 Uhr Evangelischen Stiftung Alsterdorf wurden in Hamburg und Schleswig-Holstein 201 Anträge Stoffmarkt Holland. Alsterdorfer Markt, www.stoffmarktholland.de gestellt, davon 137 bewilligt. 49 sind noch in Bearbeitung und 15 wurden abgelehnt. „Kein Geldbetrag kann das, was den Betroffenen widerfahren ist, wiedergutmachen. Aber mit der Ausgleichszahlung, die zur Verfügung steht, und mit großem Einsatz werden Wege gesucht, um individuelle Anerkennung zu ermöglichen“, betonte Senatorin Dr. Melanie ›››Impressum Herausgeber: Evangelische Stiftung Alsterdorf Leonhard zum Auftakt der Veranstaltung. Prof. Dr. Hanns-Stephan Haas (Vorstandsvorsit- Redaktionsleitung: Katja Tobias (verantwortlich), zender der Evangelischen Stiftung Alsterdorf) entschuldigte sich in seiner Rede bei allen, die Hans Georg Krings Redaktionsteam (Tel.: 0 40.50 77 34 83): in den damaligen Alsterdorfer Anstalten Leid Marion Förster, Daniela Steffen-Oschkinat, erfahren haben. Besonders bewegten dann Angelika Bester, Barbara Minta, Thomas Hülse, auch die Schilderungen früherer Bewohnerin- Ine Barske, Armin Oertel, Regina Mattheis, Hans Georg Krings, Arndt Streckwall, Frauke Benox, nen und Bewohner der ehemaligen Alsterdor- ››› Sie können unser Ursula Behrendt, Maya Voß, Jeanette Nentwig, Lena fer Anstalten, die im Gespräch mit Dr. Michael Alsterdorf Magazin Bastecky, Stefan Drescher Gestaltung: grafikdeerns.de, Hamburg Wunder (Leiter des Beratungszentrums Alster- bestellen oder Titel-Illustration: grafikdeerns.de dorf) über ihre Erlebnisse und ihr jahrelanges Lektorat: Bernd Kuschmann Leiden berichteten. ‹‹‹ auch kostenlos Druck: alsterpaper, Hamburg Weiterführende Informationen gibt es auf abonnieren unter: Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft der bundesweiten Website IBAN: DE32 2512 0510 0004 4444 02 www.stiftung-anerkennung-und-hilfe.de Evangelische Stiftung Alsterdorf BIC: BFSWDE33HAN Öffentlichkeitsarbeit E-Mail: info@alsterdorf.de Telefon: 0 40.50 77 33 44 7
››› Kolumne Last oder LUST? In der Bibel ist Altwerden ein Segen und gehört zu den wenigen Dingen, die von selbst geschehen, meint Hanns-Stephan Haas, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Text: Prof. Dr. Hanns-Stephan Haas, Fotos: Boris Rostami-Rabet, epd-bild G laubt man Glücksfor- Die größere Zufriedenheit der an. Jesus war Zimmermann wie gab: die Selbstdarstellungsmög- schern, habe ich sie Sechzigjährigen wird in der sein Vater, so gehörte sich das lichkeiten durch Fotos mit dem gerade erreicht: die Altersforschung z. B. darauf früher. Heute wachsen Mäd- Smartphone. Dahinter steht ein Lebensphase, in der zurückgeführt, dass unsere chen und Jungen Gott sei Dank ganzer Wirtschaftszweig ge- sich die Deutschen am glück- Lebenserwartung dank besse- viel freier auf. In Zeiten des wohnheitsprägender Produkte. lichsten fühlen. Das ist Anfang rer medizinischer Versorgung Fachkräftemangels stehen ihnen Es sind schlaue Apps, die uns sechzig. Ist das nicht kurios? enorm gestiegen ist. Hatte (auch bei uns in der Stiftung einladen, Fotos zu erstellen und Psalm 90 noch „siebzig, und Alsterdorf!) viele Türen offen. zu teilen. Sie verlangen schein- Wenn Sie im Kreuzworträtsel wenn’s hoch kommt, achtzig bar nichts von uns außer dem „Göttin der Jugend“ suchen, Jahre“ als Lebenserwartung im Doch der Chancen-Reichtum, Zugriff auf unsere Kontakte. haben Sie gleich drei Antwort- Blick, können heute geborene mit dem die junge Generation möglichkeiten (vier, fünf und Kinder die 100 erreichen. So aufwächst, ist ungleich verteilt. Es geht diesen Produkten aber acht Buchstaben): Hebe, Iduna gesehen ist sechzig noch nicht Handwerkskammern warnen, nicht darum, Lebensunrast zu und Juventas. Wenn Sie Hebe alt, bringt aber schon manche dass 10 % aller Schulabgänger besänftigen, sondern anzufeu- googeln, sehen Sie ihre Schön- Vorteile des Alters in Sicht. so wenig Rechtschreibung ern. „Klaus ist heute drei Kilo- heit unzählige Male in weißem beherrschen, dass sie kaum meter gelaufen. Sieh es dir an“, Marmor verewigt. Aber suchen Dazu gehört, dass vieles, was auszubilden sind. Für die „Martje hat dich eingeladen, Sie mal eine „Göttin des Alters“! junge Leute quält, mit Anfang anderen kann die Vielfalt der ihre Bilder aus Malaga anzu- Die gibt es nicht. 60 entschieden ist. Die ewige Lebensmöglichkeiten auch eine schauen“. Meine Social-Media- Qual der Wahl darf aufhören. Last bedeuten, nämlich die Apps schicken mir gerne Da bleibt Ihnen nur Geras, der Sie fängt mit der Berufswahl Angst, falsche Entscheidungen solche Nachrichten. Damit ich griechische Gott des Alters und zu treffen. sie wahrnehme, erscheinen sie Namenspatron des geriat- auf meinem Smartphone mit rischen Fachbereichs in der Medizin. Eine antike Vase zeigt Unsere Lebens- Mit der Verlängerung des Jugendalters verzögert sich der einem Kreis in der Signalfar- be Rot. Sie bringen mich auf ihn, wie ihm Herakles, junger erwartung ist Berufseinstieg. Dadurch pressen die Idee, dass jemand anders Göttergatte der Hebe, mit der sich Partnersuche, Familiengrün- womöglich gerade mehr aus Keule eins überzieht. Wenn Sie dank besserer dung, Karriere und Kinder- seinem Leben macht als ich. mich fragen: keine schmeichel- erziehung in wenige Jahre des hafte Darstellung. Betrachtet medizinischer Erwachsenenalters, die sich mit Was muss ich tun, um gut zu wird das Jugendalter gern, auch vergöttert. Aber glück- Versorgung der Pflege der alt gewordenen Eltern überschneiden. sein? Das fragt einer der be- kanntesten Jugendlichen in licher erlebt wird offenbar die sechste Lebensdekade. deutlich Hinzu kommt ein Druck, den der Bibel. Luther nannte ihn den „reichen Jüngling“ Wie kommt das? gestiegen es in meiner Jugend noch nicht (Matthäus 19). Ich finde das 8
Ältere Frauen waren in der Bibel wegen ihrer Gelassen- heit gut Sarah (rechts) führt Hagar zu Abraham angesehen etwas unfair, weil den jungen ansehen. Der junge Mann Alter doch noch eigene Familien Traumhaft ist Altwerden auch Mann mehr auszeichnet, als zieht traurig davon. „Warum gründen. Batseba, die der in der Bibel nicht. Erblindung, dass er aus reichem Hause hast du ihn gehen lassen?“, politischen Entwicklung ihres Zahnverlust und Hüftbeschwer- kommt. Zum Beispiel, dass er fragen sie Jesus hinterher, Landes im Alter eine überra- den werden Gott geklagt. Jesus ernsthaft fragt, wie ein „wer kann denn dann über- schende Wendung gibt, Hagar, Aber Altwerden ist eine gutes Leben gelingt. haupt selig werden?“ die nach viel Bitterkeit doch Erfahrung, die einfach ge- noch Trost erfährt. schieht. Man muss sie nicht Jesus stellt ihn auf die Probe: Wessen Seele davon abhängt, leisten, sondern kann sie als „Halte die 10 Gebote: nicht in den Augen der anderen gut Anders als in einer Gesellschaft, Segen begreifen. töten, nicht ehebrechen, nicht zu sein, etwa durch Reichtum, in der Jungsein gefragt, aber in stehlen …“ „Hab ich alles ge- hat es schwer, antwortet Jesus. Wahrheit kompliziert ist, wer- Das funktioniert übrigens in macht!“, strahlt der gut Biblische Geschichten schildern den ältere Frauen in der Bibel jedem Alter. Junge Leute, erzogene Mensch. Der Stress- das Glück aus einer anderen gut angesehen. Sie verkörpern die ein schönes Erlebnis sofort Test, den Jesus für ihn vorberei- Perspektive, auch das Glück jene Gelassenheit, die Glücks- mit dem Smartphone teilen, tet, liegt darin, welche Gebote im Alter. forscher der Generation 60+ wollen ja nicht immer gleich Jesus zuerst weggelassen hat. zuschreiben. Sie erleben angeben, sondern oftmals Das sind die ersten drei, in Anders als in der antiken Kunst Überraschendes, geben einfach nur Glück festhalten. denen es um die Beziehung zu kommen ältere Frauen in der Bi- entscheidende Ratschläge und Gott geht. „Wunderbar“, sagt bel oft und ausgesprochen posi- dürfen noch Träume haben Und das ist ein uraltes Jesus. „Dann verkauf alles, was tiv zu Wort. Sie erzählen von der (Joel 3,1-5). Sie leben im Wis- Glücksrezept aus der Bibel: du besitzt, und gib es Dankbarkeit für alles, was Gott sen, dass Menschen nicht per- dankbar zu sein für den Armen.“ Das schockt selbst im Leben geschenkt hat: Sarah, fekt sind und es in den Augen himmlische Momente, die die Jünger, die diese Szene mit Hannah und Elisabeth, die im Gottes auch nicht sein müssen. jedes Alter bereithält. ‹‹‹ 9
TITELTHEMA Wo die Jungen alt aussehen: Leben auf der Insel der UNSTERBLICHKEIT Wie wird man alt in einer Gesellschaft, die aufs Jungsein sehr viel Wert legt? Am besten gar nicht, glauben Bio-Konzerne und erforschen die genetischen Faktoren des Alters. Die meisten Menschen über hundert leben auf einer Insel, die viel frische Luft, aber keinen Ruhestand kennt. Text: Matthias Hengelaar, Foto: Shutterstock 10
Titelthema ‹‹‹ P rellungen, Blutergüs- fixierten Gesellschaft scheint Bio-Konzern gerne vor allen Mit- lingshaften 15 Grad im Winter se, Knochenbrüche. darum die Frage zu sein, wie bewerbern herausfinden, darum und 30 Grad im Sommer. So Das sind die typischen man gar nicht erst alt wird. sein hohes Kaufinteresse an den spielt sich viel Lebenszeit an der Verletzungen des Zumindest ist es eine Frage, für nackten Überlebenskünstlern. frischen Luft ab. Wer kann, fährt Alters. Und zwar: der 40-Jähri- die Googles Biokonzern Calico sein Leben lang fischen oder gen. Unfallchirurgen kurieren sie zurzeit viel Geld ausgibt. Ihm Wer überirdisch nach dem arbeitet als Gärtner. So etwas routiniert und kennen auch die gehören die weltweit größten Geheimnis langen Lebens sucht, wie Ruhestand gibt es kulturell Risiko-Faktoren, die sie verursa- Tierbestände des Heteroce- wird auf der Insel Okinawa fün- nicht. Und das soziale Leben chen: Skateboard und Snow- phalus glaber, des gemeinen dig. Es ist eine Inselgruppe im der Insulaner ist von vielen board. Eigentlich sind das die Nacktmulls. Von ihrem Wesen Pazifischen Ozean, die südlichs- echten Begegnungen geprägt. sportlichen Inseln, auf denen her ist diese Spezies alles andere te Präfektur Japans und weit Geselliger Freizeitsport, eine Art sich 14-Jährige von der Welt als gemein. Es sind freundliche weg von der Hauptstadt Tokio. Kricket, ist Teil der Dorfkultur, der Erwachsenen abgrenzen. Nager, die in Kolonien mit bis zu Was Okinawa dennoch Besuch auch hier: keine Altersgrenze. Doch um das Altwerden in den 30 Artgenossen außerordentlich von Wissenschaftlern aus aller westlichen Industrienationen zu sozial und arbeitsteilig unter der Welt einbringt, sind drei Zahlen. Könnte es also sein, dass digita- verstehen, lohnt sich ein Blick Erde Ostafrikas zusammenleben. Die eine ist sehr hoch, die ande- le Assistenztechnik wie Pflege- auf die Paradoxie des Jungseins. ren beiden sind sehr niedrig. Roboter, Tablets und Kommu- Jugendlichen wird ans Herz gelegt, ihren eigenen Weg zu Altern mit Hoch ist die Zahl der Hundertjäh- nikationselektronik, die auf den japanischen Hauptinseln den gehen. Aber kaum haben sie das getan und ihre eigene Kul- Würde und rigen. Die Frauen von Okinawa haben die höchste Lebenserwar- Greisen viel Arbeit abnehmen soll, das Leben zwar komfor- tur erfunden, ziehen die Alten nach. Ob Rock, Pop, Surfen nicht jung tung der Welt, nirgendwo leben mehr Hundertjährige, rund 500 tabler macht, aber nicht länger? Was immer das Geheimnis der oder Facebook – nach kurzer bleiben um unter 1,3 Millionen Einwohnern. Hundertjährigen auf Okinawa Zeit migrieren die Eltern in die Dagegen gehört die Krebsrate ausmacht: Es verschwindet. Die Freizeit-Welt der Jungen, um jeden Preis zu den niedrigsten. Und die junge Generation, die mit Fast sich selbst jung zu fühlen. So er- Zahl westlicher Kolonialherren Food, Fernseher und Playstation klären Freizeitforscher den Trend Was Altersforscher fasziniert: liegt bei null. Kaiser Wilhelm I. groß wird, ist genauso überge- zu immer riskanteren Sportar- „Die Tiere altern kaum. Sie kön- schickte mal eine Dankesbot- wichtig wie überall auf der Welt ten. Jugendliche erhöhen die nen bis zu 94 Jahre alt werden, schaft für gerettete Hamburger und altert sehr viel schneller als physischen Anforderungen, um ein Vielfaches der Lebenser- Seeleute. Ansonsten hatten sich die Generation ihrer Großeltern. die 40-Jährigen abzuschrecken, wartung von Mäusen. Sie sind keine Europäer für die pazifische bislang erfolglos. resistent gegen alle bekannten Inselgruppe interessiert. Dadurch Eine Inschrift auf Okinawa Arten von Krebs und haben ein blieben Lebensweise und Kultur begrüßt die Gäste mit den Wor- Wie wird man alt in einer geringes Schmerzempfinden“, bis zum Zweiten Weltkrieg nahe- ten: „Mit 70 bist du ein Kind, Gesellschaft, die viel Wert aufs schwärmt der Neurobiologe zu unverändert. mit 80 ein Jugendlicher und mit Jungsein legt? Die Antwort von Gary Lewin vom Max-Delbrück- 90, wenn dich deine Ahnen in Stefan Raab und Hape Kerkeling Centrum für Molekulare Medizin Wie sieht diese Lebenswei- den Himmel rufen, bitte sie zu lautete: in Würde. Beide fassten in Berlin in der ZEIT. Allerdings se aus? Anders als auf den warten, bis du 100 bist.“ Auf den Entschluss, mit 50 nicht sehen sie schon in jungen Jah- japanischen Hauptinseln ist die ein aktives Alter mit täglicher mehr vor der Kamera zu stehen. ren ziemlich schrumpelig aus. Ernährung von der chinesischen Bewegung, gesunder Ernährung Sie wussten, wie sehr die Me- Küche geprägt: viel grünes und viel Freizeit an der frischen diengesellschaft junge Gesichter Liegt das Geheimnis ihrer Gemüse, viel Fisch, grüne Luft sollte man darum nicht bis liebt. Dennoch feiern beide in enormen Altersfähigkeit in ihren Zitrusfrüchte, wenig Fett. Da zum Ruhestand warten. Oder so diesem Jahr ihr Comeback. Sich Genen oder ihrer hohen Euso- es die ärmste Präfektur Japans früh wie möglich mit dieser Art aufs Altenteil zurückzuziehen zialität, also der Fähigkeit, mit ist: kleine Mahlzeiten, dafür mit Ruhestand beginnen. Es muss ja hat sie nicht glücklich gemacht. Artgenossen ohne Stress zusam- Muße verzehrt. Hinzu kommt nicht gleich mit einer Risiko- Entscheidend in einer jugend- menleben? Das möchte Googles ein mildes Klima, zwischen früh- sportart sein. ‹‹‹ 11
››› Schnappschüsse Daniela Baqi: „Das merkt man an körperlichen Gebrechen und Woran merkt man, dass man längere Pausen braucht.“ dass man ALT wird? Diese Frage haben wir Menschen auf dem Alsterdorfer Markt gestellt. Und sie haben uns ihre ganz persönlichen Erfahrungen als Antwort gegeben. Interviews: Ursula Behrendt, Fotos: Arndt Streckwall und Ingo Siegmund Andreas Studier, DHL: „Ich merke noch nichts.“ Annemagrit Laabs: „Das merkt man an der wachsenden Langsamkeit.“ Ulrich von Schassen: „An der Krankheit Percy Eichenauer: „Ich denke da an Psalm Sebastian Lange: „Das merkt man daran, MS merke ich das.“ 42,2: Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem dass man nicht mehr so viel Energie hat.“ lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“ 12
Juergen Heerdmann: „Man merkt es, wenn man in den Spiegel guckt und an den Augen, die nicht mehr so gut sehen.“ Ille Benkmann: „Es gibt im Alter Einschränkungen, die man schubweise merkt, wie Schmerzen in den Knien oder in der Hüfte.“ Christian Wischke, Polizist: „Man merkt, dass einem sportliche Julia Rath: „Ich merke das daran, dass ich Namen, die ich ein Leben lang Aktivitäten nicht mehr so leichtfallen.“ kenne, plötzlich nicht mehr weiß.“ 13
Erna Mientki Ulrich Gutschow Bismarck Seniorenstift Pantherhaus ››› Titelthema Das Alter hat viele Gesichter Monika Schmidt Dr. Manfred Hohage Pantherhaus Bismarck Seniorenstift 14
Ellen Swiontek Angela Schütt Fehlinghöhe Fehlinghöhe Titelthema ‹‹‹ TITELTHEMA Wohnen in Gemeinschaft – Modelle für ein SELBSTBESTIMMTES LEBEN in jedem Alter Im sozialräumlichen Projekt LeNa Fehlinghöhe leben Menschen ab 60 Jahren in einer lebendigen Nachbarschaft und unterstützen einander. Im Pantherhaus in St. Pauli helfen sich junge und alte Menschen gegenseitig. Kulturveranstaltungen, Ponys streicheln, Bingo spielen – das Bismarck Seniorenstift in Reinbek bietet seinen Bewohnerinnen und Bewohnern ein abwechslungsreiches Programm. Text: Bettina Mertl-Eversmeier, Fotos: Axel Nordmeier 15
Vielfältige Aktivitäten erwarten die älteren Menschen im Bismarck Seniorenstift J ulia hat für jeden ein Das Zusammenleben Neben dem Quartiersbüro gibt sagt Julia Hochfeld, wovon man offenes Ohr“, sagt Angela im Quartier organisieren es ein mithilfe von Spenden sich sofort überzeugen kann: Schütt, die mit 64 Jahren Ende Mai 2017 sind die ersten eingerichtetes Nachbarschafts- Wilfried Clavey ist im Hausflur zu den jüngeren Mietern Mieter, die 60 Jahre oder älter büro als Anlaufstelle für alle unterwegs und erzählt, wie er im Projekt LeNa Fehlinghöhe in sind, in die neu gebauten 85 Menschen aus dem Quartier, sich ehrenamtlich einsetzt und Steilshoop gehört. Julia – das barrierefreien Wohnungen in das unter anderem Begleitung mit seinem Rollstuhl Getränke ist Julia Hochfeld, die Koordina- Steilshoop gezogen. In zehn bei Einkäufen und handwerk- für die Kochgruppe einkauft, torin vor Ort. „Ich unterstütze Wohnungen auf unterschiedli- liche Hilfen vermittelt. Hier denn Flaschen kann er damit die Nachbarn beim Aufbau von chen Etagen leben jüngere stimmen ehrenamtlich enga- gut transportieren. Er gibt auch Strukturen, die für eine sich Menschen mit Assistenzbedarf. gierte Nachbarn den Einsatz gleich Tipps, wie man Grütz- selbst organisierende Nachbar- Es besteht eine hohe Nachfra- von Freiwilligen aufeinander wurst perfekt zubereitet. Am schaft notwendig sind“, erklärt ge für alle Wohnungen, und ab. Zeit zum Klönen bleibt Mittwoch und Freitag kochen die 34-Jährige. die SAGA führt eine Warte- natürlich immer. Nachbarn zusammen in der liste. Rund um die Uhr ist das Gemeinschaftsküche für andere LeNa steht für „Lebendige Nach- Quartiersbüro der aaost im „Die Atmosphäre im Haus ist Nachbarn. Hier engagieren sich barschaft“ und ist ein Koope- Erdgeschoss für die Mieter er- angenehm, man grüßt sich, man Menschen mit und ohne Assis- rationsprojekt der städtischen reichbar. Von hier aus organisiert achtet aufeinander“, tenzbedarf. Wohnungsbaugesellschaft SAGA die aaost ihre Dienstleistung. und der alsterdorf assistenz ost Das Assistenzteam unterstützt „Die Menschen sind hier sehr gGmbH (aaost). Im Mittelpunkt die Menschen sowohl bei der Die Atmosphäre aktiv und wollen etwas für steht das lebenslange, selbstbe- Pflege als auch bei Teilhabe- den Stadtteil tun.“ stimmte Wohnen in vertrauter möglichkeiten am Leben in im Haus ist Im Erdgeschoss stehen der Nachbarschaft mit sicherer Ver- sorgung auch bei steigendem der Gemeinschaft. Die Pflege- dienstleitung der aaost, Sandrea angenehm, Nachbarschaft zwei Gemein- schaftsräume zur Verfügung. Unterstützungsbedarf. Das erste LeNa-Kooperationsprojekt zwi- Horn, erklärt: „Die Möglichkeit, immer jemanden aus dem Büro man grüßt sich, Hier treffen sich regelmäßige Gruppen, wie die Gymnas- schen der SAGA und der aaost zu unterschiedlichen Themen man achtet tik- oder die Malgruppe. Diese ist vor vier Jahren im Rungestieg ansprechen zu können, gibt sind offen für das Quartier und in Barmbek entstanden. Sicherheit.“ aufeinander werden sowohl von Mietern 16
aus dem Haus als auch von mir gedacht, nö, ins Pflegeheim wenig aussieht wie eine jüngere eine Vollversammlung der Be- Menschen aus der näheren willst du nicht. Such dir was, wo Ausgabe der Schauspielerin wohner, über die neuen Mieter. Umgebung besucht. „Es sind die du zu Hause sterben kannst.“ Hannelore Hoger, stößt als „Wir haben die acht Wohnun- Nachbarn, die die Aktivitäten Die zierliche, resolute Frau mit Studentin mit Ende 20 zum gen gleichmäßig aufgeteilt, vier planen und umsetzen“, erklärt den blonden Haaren hat außer Verein: „Alte Menschen haben für Ältere, vier für Jüngere“, Julia Hochfeld. Die Sozialarbei- Mutter und Bruder keine Ange- mich immer interessiert. erklärt Martina. terin ist auch beim LeNa-Rat hörigen. In ihrer hellen Zwei- Die Situation in den Pflegehei- dabei, der einmal im Monat zimmerwohnung mit großem men war damals katastrophal.“ Als eine der größeren Wohnun- zusammenkommt und vor Balkon in Richtung Bramfelder Die Panther kämpfen gegen gen für Familien frei wird, ziehen allem aus Mietern des Quartiers See fühlt sie sich sehr wohl. die Schicksalsergebenheit vieler Teresa Majewski und ihr Partner besteht. Er koordiniert beispiels- Rentner und demonstrieren ein, beide Anfang 30, deren weise die Gemeinschaftsräu- Die Häuserblöcke der Fehling- vor Heimen mit Sechs-Bett- Tochter bald geboren wird. me mit den entsprechenden höhe liegen an einem Innenhof Zimmern. Unter anderem durch „Unsere jüngste Mitbewohne- Gruppen, bereitet Feste vor und mit Rasen und Bänken, wo auch ihre Aktionen beginnen sich die rin, Lola, ist jetzt drei Jahre alt“, vieles mehr. Nachbarschaftsfeste für das Zustände ab Mitte der 80er- erzählt Martina. Ihr Ehemann Quartier stattfinden. „Ich habe Jahre zu bessern. Ulrich Gutschow, ein 74-jähriger Ellen Swiontek ist die ganze noch nie einen Stadtteil erlebt, Von Anfang an haben die Grau- pensionierter Deutsch- und So- Woche ausgebucht: „Montag wo alle so integriert sind, auch en Panther Hamburg e. V. ein zialkundelehrer, schwärmt vom mache ich Gymnastik, Dienstag die Menschen mit Assistenzbe- Wohnprojekt geplant, in dem gemeinsamen Malen mit Lola: male ich, Mittwoch ist das ge- darf“, hat Angela Schütt beob- junge und alte Menschen leben, „Sie bringt die Farben so voller meinsame Essen, Donnerstag ist achtet. Julia Hochfeld findet: sich gegenseitig unterstützen Energie aufs Blatt. Das ist toll.“ Kaffeetrinken, Freitag ist wieder „Die Menschen sind hier sehr und voneinander lernen sollen. Essen, und abends spielen wir aktiv und wollen etwas für den In der Lerchenstraße 37 hat der Ulrich, der seit 2001 in der auf der Spielkonsole.“ Die Dame Stadtteil tun.“ Verein das Belegungsrecht inne. Lerchenstraße wohnt, hat viel mit den kurzen braunen Locken, Wenn eine Wohnung frei wird, gelernt vom ältesten Bewohner, der man die 82 Jahre nicht Ein „Pantherhaus“ entscheidet das Plenum, also dem Kapitän Achim Schröter, ansieht, ist begeistert von der für Jung und Alt Fehlinghöhe: „Auf meiner Etage Szenenwechsel: Bevor die habe ich besonders Glück. Ich Grauen Panther Hamburg e. V. habe sehr, sehr nette Nachbarn. vor mehr als 30 Jahren ihr Wir haben unsere Schlüssel aus- Wohnprojekt für Jung und Alt getauscht, falls mal irgendetwas verwirklichen können, streiten passieren sollte.“ sie mit Behörden um Geld und Genehmigungen. Die SAGA Warum sie dieses Wohnmodell bietet ihnen schließlich ein reno- gewählt hat? „Ich habe an spä- vierungsbedürftiges Gründerzeit- ter gedacht. Ganz jung bin ich gebäude in der Lerchenstraße ja nicht mehr. Als mein Mann in St. Pauli-Nord an. Martina verstorben war, wollte ich nicht Schmidt und die anderen Pan- mehr in der Wohnung bleiben. ther sind begeistert. Nach drei Hier ist man nicht allein und Jahren mit Baubesprechungen hat die Nachbarn, mit denen und Finanzierungsproblemen man viele Dinge unternehmen beim geplanten Anbau ist das kann.“ Besonders engagiert Haus im Oktober 1986 fertig. ist sie, wenn Feste gefeiert Es gibt sogar einen 80 Quadrat- Gedächtnistraining ist auch im Alter ein fester Bestandteil der Angebote. werden. Dann kocht sie Kaffee meter großen Gruppenraum, in Auch Tiere spielen eine Rolle, wie hier im Bismarck Seniorenstift. und schenkt aus. Als ehemalige dem die Bewohner Feste feiern Kassiererin kennt sie viele Leute und Versammlungen abhalten im Quartier. werden. Angela Schütt ist Mitglied „Mit der Partei Graue Panther, im LeNa-Rat. Die ehemalige die von Trude Unruh gegrün- kaufmännische Angestellte kauft det wurde, haben wir nichts zudem für andere Nachbarn zu tun“, sagt Martina Schmidt, mit ein. „Einer 80-jährigen heute 64. Sie ist eine von drei Russin gebe ich auch einmal Ur-Panthern, die von Anfang pro Woche Deutschunterricht.“ an in der Lerchenstraße leben. Warum sie hier lebt? „Ich habe Die rothaarige Frau, die ein
In Kontakt bleiben: beim Klönschnack, im Gymnastikkurs oder bei der Planung neuer Aktivitäten in der Fehlinghöhe inzwischen 86 Jahre alt: weitig verhindert ist. Für Martina oper gegenüber ein, damit dort gespart, um mehr Gewinne zu „Das ist ein Mensch völlig frei bietet das Wohnprojekt immer kein neunstöckiger Turm mit erwirtschaften. Das sind heute von Vorurteilen. Nach der noch die ideale Art des Zusam- teuren Wohnungen entsteht. wichtige Themen.“ Sattlerlehre hat er angeheuert, menlebens. Man ist nicht allein, Eines ist das Haus definitiv nicht: sich hochgearbeitet und das kann aber im Zweifelsfall die Tür barrierefrei. „Einen Aufzug Wohnen mit individueller Schiff als Kapitän verlassen. hinter sich schließen. Auch sie einzubauen ließe die Statik Pflege und passenden Von ihm habe ich gelernt, und Ulrich leben in getrennten nicht zu“, erklärt Ulrich. „Wir Serviceangeboten Sachen pragmatischer anzuge- Wohnungen. „Für unsere Be- lieben unsere Freiheit, sind aber Gewinne erwirtschaften muss hen. Und: Der diskutiert nicht, ziehung ist das gut“, findet die ideologiefrei. Wenn im Alter die das Bismarck Seniorenstift in der packt an.“ Der Kapitän gebürtige Berlinerin. Freiheit und Kräfte nachlassen, holen wir Reinbek nicht, denn als gemein- wischt durchaus mal das Trep- Gemeinsinn, das sind die beiden uns Hilfe bei einem ambulanten nützige Einrichtung muss es nur penhaus, wenn es ihm Säulen, auf denen das Panther- Pflegedienst.“ Niemand im Haus kostendeckend arbeiten. Träger zu schmutzig ist. haus ruht. darf sich bei der Sorge um den ist die stadt.mission.mensch Im Erdgeschoss befindet sich anderen überfordert fühlen. Es gGmbH in Kiel, eine Tochter- Freiheit und Gemeinsinn das Büro der Grauen Panther gibt auch traurige Geschichten, gesellschaft der Evangelischen Ulrich ist zufrieden mit dem Hamburg e. V., das Martina wie die der alten, ehemaligen Stiftung Alsterdorf. Das Senio- Wohnprojekt, aber auch ein ehrenamtlich betreut. Es gibt Bewohnerin, die an Demenz er- renstift ist schön gelegen, in der wenig auf „dem Boden der den Notraum, elf Quadratme- krankte und schließlich doch ins Nähe des Naturschutzgebiets Tatsachen angekommen“ und ter mit Bad, für Menschen, die Pflegeheim musste. Ob Martina Billetal und des Sachsenwalds. wünscht sich manchmal eine kurzfristig Hilfe brauchen. Die und Ulrich hier bis an ihr Lebens- Der einladende Bau mit roten „verbindlichere Gemeinschaft“. Panther unterstützen sich näm- ende werden wohnen können? Klinkern und weiß verputzten Die Bewohner feiern gemeinsam lich nicht nur gegenseitig, sie „Wir haben Gottvertrauen“, Fassaden befindet sich auf Geburtstag, grillen im Garten, sind auch im Quartier aktiv. Zwei sagt Martina. einem weitläufigen Gelände schauen Fußballspiele. Der in- von ihnen hatten Flüchtlinge bei neben der Schönningstedter zwischen verstorbenen, fast blin- sich aufgenommen und ihnen Sie wünscht sich, dass die Mühle. Große Fenster lassen den Irm hatte Ulrich regelmäßig bei der Integration geholfen. Politik sich stärker mit Themen viel Tageslicht in die Räume, der vorgelesen. Jetzt bringt Martina Ur-Pantherin Ulrike Petersen, rund ums Alter beschäftigt: Empfangstresen und die Hand- manchmal Lola in die Kita, wenn 62, setzt sich für den Erhalt der „Altenheime werden privati- läufe in den Gängen sind aus deren Mutter krank oder ander- denkmalgeschützten Schiller- siert. Bei den Pflegekräften wird hellem Holz. Es duftet würzig 18
Titelthema ‹‹‹ nach frisch gekochtem Mittag- Flure.“ Das Team der Betreuung um den uns anvertrauten ihm inzwischen zur Heimat essen. Nein, Krankenhausatmo- hilft den Bewohnern vor allem, Menschen ein würdiges Leben geworden ist. Hohage fühlt sphäre kommt hier nicht auf. ihren Alltag zu gestalten, mit zu ermöglichen.“ sich hier sehr wohl: „Die Zimmer Im September 2011 sind die ers- vielen wöchentlichen Aktivitä- liegen mit mehr als 30 Quad- ten Bewohner ins neu gebaute ten, dem beliebten Bingo am An allen Aktivitäten können ratmetern über der Norm“, und Stift gezogen. „Wir sind eine Samstag, Sitzgymnastik am auch die Bewohner der angren- „das Stift funktioniert wie ein stationäre Pflegeeinrichtung mit Freitag oder dem Gedächtnis- zenden Seniorenwohnanlage eingespieltes Orchester“. Alle 87 Einzel- und Tandemzimmern. training am Mittwoch. Es gibt teilnehmen. „Für viele Menschen Bereiche arbeiten Hand in Hand In Letzteren wohnen meist auch Einzelbetreuungsangebote, ist es wichtig, zu wissen, wenn und „klingen gemeinsam har- Ehepaare“, erklärt die Einrich- etwa Spaziergänge, Gespräche sie in die Wohnanlage ziehen, monisch“. Was ihm wichtig ist: tungsleitung Regina Bargmann. oder Vorlesen. dass sie zu uns umziehen kön- „Ich habe hier meine Freiheit. Alle Zimmer sind belegt, und es nen, sollte es nötig werden“, Wenn ich die Tür zumache, gibt eine Interessentenliste. Der Schwer- sagt Regina Bargmann. werde ich nicht gestört.“ Im geschützten Wohnbereich „Sonnenweg“ mit Gartenanlage punkt liegt auf „Das Stift funktioniert wie ein eingespieltes Orchester“ Jeden Tag macht der ehemalige Verwaltungsjurist Spaziergänge leben Menschen mit demenziel- Beziehungs- Die „99 1/2“-jährige Monika im umliegenden Naturschutz- len Erkrankungen in 24 weiteren Rüsch wurde von ihrer in der Re- gebiet, oder er trifft sich mit Zimmern. Der höhere Personal- arbeit: gion lebenden Tochter zunächst seinen Kindern oder neun schlüssel ermöglicht ein offenes in eine der Senioren-Wohnungen Enkeln und Freunden inner- Konzept: „Wenn jemand gehen „Wir sind den nach Reinbek geholt. Nach halb oder außerhalb des möchte, dann gehen wir mit.“ Der Schwerpunkt liegt auf Bezie- Menschen Kriegsjahren und Flucht hatte sie als Landwirtin mit ihrem Hauses. Manfred Hohage nutzt vor allem das kulturelle Angebot hungsarbeit: „Wir sind den Men- schen Freund und Begleiter“, Freund und Ehemann in Midlum bei Bre- merhaven gelebt. „Als ich das des Bismarck Seniorenstifts. „In Würde kann ich hier meine erklärt die Einrichtungsleiterin. Manchmal müssen sie einfach in Begleiter!“ zweite Mal gestürzt bin, konnte ich nicht mehr in die Wohnung letzte Lebensstation verbringen. Dafür bin ich sehr dankbar.“ ‹‹‹ den Arm genommen werden. Zum Betreuungskonzept gehört, zurückkehren. Aber ich habe hier dass alte und junge Menschen im Bismarck Seniorenstift ein Vom „Tag der Generationen“ sich austauschen können. Am tolles Zimmer mit einer schönen und einem Shetlandpony „Tag der Generationen“ besu- Aussicht.“ Inzwischen nimmt die ››› Infokasten Den demenziell erkrankten chen Konfirmanden das Haus. gebürtige Oberschlesierin die Menschen hilft der Umgang mit Grundschüler oder Kindergar- Mahlzeiten gemeinsam mit einer WOHNANGEBOTE FÜR ÄLTERE Tieren besonders. Aber auch tenkinder singen, spielen und netten Tischgruppe ein und be- MENSCHEN die anderen Bewohner freuen basteln mit den Senioren. „Viele teiligt sich an fast allen Aktivitä- alsterdorf assistenz ost gGmbH sich schon Tage vorher, wenn unserer Bewohner können das ten „außer Kochen und Backen“. www.alsterdorf-assistenz-ost.de etwa das Shetlandpony Fritzi zu Haus nicht mehr verlassen, dann „Das hat Frau Rüsch ja ihr Leben Kooperationsprojekte mit der SAGA für Besuch kommt, das sie strei- holen wir die Menschen eben lang gemacht“, kommentiert Dr. Interessierte über 60 Jahre: cheln und füttern dürfen. „Viele hierher.“ Jeden Mittwoch und Manfred Hohage und – LeNa Steilshoop alte Menschen leiden unter Sonntag hat deshalb das Café beide lachen. (Fehlinghöhe 16, 22309 Hamburg) Einsamkeit. Beim Berühren der Sachsenwald im Stift für alle Tiere haben sie manchmal seit Reinbeker geöffnet. Dagmar Le- Der heute 86-Jährige ist im – LeNa Barmbek Langem wieder Körperkontakt“, kebusch betont: „Alle Bereiche November 2013 ins Bismarck (Rungestraße 12, 22307 Hamburg) sagt Bargmann. der Einrichtung sind wichtig, Seniorenstift gezogen, das – Assistenz- und Wohnangebot Tonndorf (Stein-Hardenberg-Straße Dagmar Lekebusch, Betreuungs- 64–68, 22045 Hamburg): Wohnen und leitung und Kulturreferentin, hat Martina Schmidt und Ulrich Gutschow aus dem Pantherhaus Assistenz für Menschen mit und ohne im letzten halben Jahr 60 durch Unterstützungsbedarf, die Spenden finanzierte Sonder- mindestens 60 Jahre alt sind veranstaltungen organisiert, – Wohn-Pflege-Gemeinschaft wie Tierbesuche, einen Tango- Hinschenfelde: Wohnangebot für Nachmittag, Kinderballett, das Senioren mit Demenz Martinsgans-Essen, Konzerte. Es – stadt.mission.mensch gGmbH trat auch ein Chor auf, dessen Bismarck Seniorenstift Sänger zu den Zimmern mit www.stadtmission-mensch.de den bettlägerigen Bewohnern 87 großzügige, seniorengerechte Ein- gingen. „Wir öffnen die Türen, zel- oder Tandemzimmer mit eigenem und der Gesang hallt durch die Sanitärbereich. 24 Plätze für Menschen mit einer demenziellen Erkrankung
TITELTHEMA „Wir müssen den ABSCHIED leben lernen“ Die Soziologin Annelie Keil, 80, hat seit Gründung der Universität Bremen 1971 den dortigen Lehrstuhl für Sozial- und Gesundheitswissenschaften innegehabt. Seit ihrer Emeritierung 2004 ist sie unter anderem in der Hospizbewegung aktiv und leitet ehrenamtlich eine Suppenküche. Zusammen mit dem früheren Bremer Bürgermeister Henning Scherf hat sie 2016 das Buch „Das letzte Tabu. Über das Sterben reden und den Abschied leben lernen“ veröffentlicht. Text: Johannes Wendland, Foto: privat Frau Professorin Keil, wie wenn Sie ein gewisses Alter lernt man, alt zu werden? erreicht haben. Veränderungen Dr. Keil: Älterwerden ist ein le- gehören zum Rhythmus des benslanger Prozess – wer leben Lebens. will, muss älter werden. Leben ist ein Weg durch die Fremde, Können Sie dafür Beispiele aber indem wir leben, lernen nennen? wir uns und das Leben kennen. Im Alter kann es passieren, dass Jeder Tag, jeder Ort, jede Be- Sie zum ersten Mal überhaupt gegnung, jede Erfahrung leisten allein leben müssen, allein ihren Beitrag. Schon für Kinder frühstücken, allein einkaufen. Es ist das mühsam: nicht mehr ge- kommen immer wieder riesige stillt zu werden, sondern essen Veränderungen auf einen zu. zu lernen, nicht mehr zu krab- Menschen kommen und gehen beln, sondern laufen zu lernen. wie vieles andere. Später gewöhnt man sich daran und fühlt sich im Vollbesitz Ab wann spielt der Tod im seiner Kräfte. Bei bestimmten Leben eine Rolle? Unterbrechungen – Krankhei- Immer schon – der Tod kann ten, eine Trennung, Arbeits- schon hinter der nächsten losigkeit – bleibt die Hoffnung, Ecke auf einen warten. Es geht dass man noch an Kraft zulegen darum, den Abschied leben zu kann. Wann das Alter beginnt, lernen. Abschied heißt hier nicht lässt sich nicht mit einer Alters- nur der physische Tod, sondern angabe festlegen. Dann beginnt dass man sich zum Beispiel in ein Abnahmeprozess. Und doch einem bestimmten Alter vom bedeutet Älterwerden auch neu Fahrradfahren verabschieden werden. und Rollatorfahren üben muss, von der Selbstständigkeit, von Wie meinen Sie das? der Hoffnung auf Enkel. Bestimmte Kräfte nehmen ab, aber andere nehmen zu. Wir Ist Alter ein Geschenk oder sind durch unsere Denkweise eine Last? darauf geeicht, dass alles, was Es ist immer ein Geschenk. Aber ist, bleibt. Doch so ist das Leben nicht alle Geschenke gefallen nicht. In jedem Moment kann einem. Manche würde man ein großer Wandel eintreten. gern zurückgeben. Das Leben Diese Erfahrung haben Sie, bekommen Sie immer nur als 20
Titelthema ‹‹‹ Möglichkeit – und leben müssen nicht so gut. Manche lernen aus, sondern sie kommen ein- Verständnis der Arbeit, wie Sie selbst. im hohen Alter, was sie immer fach. Zu einer solchen Weltsicht Sie es beschrieben haben? schon lernen wollten, sie studie- gelangt man aber nur, wenn Das hängt sogar unmittelbar Wodurch merkt man, dass ren, wagen eine Reise und vieles man die Schule des Lebens mit miteinander zusammen. Früher man „alt“ wird? mehr. Manche lernen besser als allem Auf und Ab und Unge- ging man mit 65 in die Rente Zwei Dinge kennzeichnen den je zuvor zu lieben, geduldig zu rechtigkeiten akzeptiert und und konnte den Ruhestand Altersprozess. Erstens muss man sein, zu genießen. zwischen dem unterscheiden noch fünf Jahre genießen. den Realitätssinn schärfen. Die lernt, was man ändern und was Heute leben wir noch 20 Jahre Vorstellung, dass man sich auf man eben nicht ändern kann. und schöpfen unsere Rente das verlassen kann, was war, Der Übergang voll aus. Das hält kein Renten- trifft nur bedingt zu. Und zwei- tens müssen wir lernen, mit der von der Eine Nahtstelle im Leben, die für viele Menschen eine Hür- system aus. Zudem gibt es immer mehr durchbrochene Unberechenbarkeit umzugehen. Wir wachen morgens auf und Erwerbstätigkeit de darstellt, ist der Übergang in den Ruhestand. Wie kann Arbeitsbiografien. Im Blick auf die Zukunft üben wir inzwischen wissen nicht, für was die Kraft heute reicht. Oder verlieben uns benötigt eine der gelingen? Der Übergang von der Erwerbs- mehr Kooperation zwischen den Generationen. Auch in der in einen Menschen, unseren gewisse tätigkeit benötigt eine gewisse Arbeitswelt: Es war ja klar, dass Garten oder einfach in das Vorbereitung. Wir müssen der Wechsel von ganzen Beleg- Leben. Vorbereitung lernen, dass wir nicht mehr mit schaften auf „jung“ ein Fehler hohem Tempo auf der Überhol- war. Sehr viel Erfahrung ging Sie sagen, man muss sich im Wie schafft man es, bis zum spur, sondern langsamer auf der verloren. Es wird noch eine Zeit Leben – auch im Alter – im- Schluss ein erfülltes Leben zu anderen Spur unterwegs sind. lang dauern, bis wir den Umbau mer wieder neu erfinden oder leben? Hinzu kommt, dass sich die geschafft haben. neu wahrnehmen. Kann man Man sollte möglichst früh Gesellschaft von der Vorstellung das lernen? begreifen, dass das Leben nichts lösen muss, dass Arbeit nur Er- Aber kein Grund, besorgt in Ja, wir bereiten uns das ganze versprochen hat, weder eine werbsarbeit ist. Ich glaube, dass die Zukunft zu blicken? Leben über auf den letzten glückliche Ehe noch ein gutes die Gesellschaft durch das Ende Die Sorge gehört zum Leben. Abschied vor. Wir verabschieden Einkommen oder eine gute der klassischen Erwerbstätigkeit, Der demografische Wandel uns von Menschen, die uns et- Arbeit. Wir kommen ungefragt das wir jetzt erleben, und die heißt ja „Wandel“ und nicht was bedeutet haben, wenn sie zur Welt und müssen bis zum Ablösung von der Arbeitsge- „demografischer Untergang“. sterben. Wir verabschieden uns letzten Atemzug die Frage be- sellschaft nach dem klassischen Wir müssen zur Kenntnis manchmal von einem sicheren antworten: Was gibt mir Sinn? Modell vor eine große Heraus- nehmen, dass wir die erste Einkommen. Wir verabschieden Wir müssen unseren Ort in der forderung gestellt wird. Generation sind, die nach der uns von einer intakten Gesund- Welt, in unserer Familie, bei un- Erwerbsarbeit noch Zeit hat, heit. Alterserscheinungen wie serer Arbeit selbst bestimmen. Wie wird sich die Gesellschaft 20 Jahre an ihrem Leben zu etwa Schwindelgefühle können Wir müssen in der Zeit leben, in angesichts des demografi- basteln, es zu ändern und über Sie nicht vorhersehen – einen die wir hineingeboren werden. schen Wandels verändern? das Leben nachzudenken. Was Tag geht’s gut, am nächsten Krankheiten suchen wir nicht Fördert er sogar ein neues für ein Geschenk. ‹‹‹ 21
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