HANS KAISER Wirklichkeiten - DIE SAMMLUNG IM GUSTAV-LÜBCKE-MUSEUM - Wienand Verlag
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INHALT 6 Vorwort Ulf Sölter Forschung, die verbindet 9 Einleitung Lena Demary Hans Kaiser – von den Wirklichkeiten 13 Künstler im Dazwischen Lena Demary 21 Zum Frühwerk Hans Kaisers Lena Demary Die Sammlung: Annäherungen Lena Demary 31 Abstraktion 51 Raum 69 Zeichen 85 Zeit 103 Kartons in der modernen Reinhard Köpf Glasmalerei 113 Hans Kaisers Beitrag zur Hannah Steinmetz Ausstellung Sixteen German Artists 119 Schlussgedanken Diana Lenz-Weber Die Kunst des Bewahrens 123 Biografie 124 Abbildungsverzeichnis 125 Literaturverzeichnis
EINLEITUNG Lena Demary HANS KAISER – VON DEN WIRKLICHKEITEN Der Raum im Raum „Nicht mehr Kunstwerk in Bewegung, denn das Bild ist da, der Mehrdeutigkeit des Zei- da beginnt es, vor unseren Augen, in den malerischen Zeichen, aus denen chens lässt sich im Gesamt- Raum zu werden. es sich zusammensetzt, physisch ein für allemal [sic!] fest- werk Hans Kaisers klar er- Die Gedanken sind wie ein Flug. gelegt; auch kein Kunstwerk, das eine Bewegung des Be- kennen. Dies offenbart sich Sie durchbrechen trachters erforderte […]. Und dennoch offenes Kunstwerk bereits in der Skripturalität, in vollem Wortsinn – sogar gleichsam reifer und radikaler –, die man in vielen Arbeiten den Raum weil die Zeichen als Konstellationen komponiert sind, bei des Künstlers entdeckt: Ist im Raum denen die strukturelle Relation nicht von Anfang an in ein- es noch Schrift oder ist es und es wird Raum deutiger Weise festgelegt ist […].“1 schon Bild? Oder gar beides? im Raum.8 Umberto Eco In vielen künstlerischen Arbeiten Kaisers – der ein Grenzgänger zwischen Figura- Nicht selten offenbaren Kunstwerke eine gewisse Polarität tion und Abstraktion war – wird die Ambivalenz zwischen der Bestimmt- und Unbestimmtheit von Zeichen. Betrach- Bestimmt- und Unbestimmtheit spürbar und scheint darü- ter:innen werden folglich angeregt, „sich selbst die Richtun- ber hinaus sogar die wesentliche Grundlage seiner künst- gen und Verbindungen […] auszusuchen “ 2 und so eine in- lerischen Praxis zu sein. Dies lässt sich insbesondere für dividuelle Lesbarkeit des Kunstwerkes zu entwickeln. Jedes die ab den späten 1950er Jahren entstandenen informel- Objekt ist dabei sowohl für sich als auch in sich Fragment, ist len Arbeiten feststellen. Als der Philosoph und Semiotiker Ausdruck einer Wirklichkeit und gibt trotz aller Offenheit – Umberto Eco 1962 über das offene Kunstwerk schrieb, oder gerade deshalb – den Anreiz einer Bestimmung, um hatte sich die informelle Kunst in Deutschland gerade eta- deren Entschlüsselung man sich bei seiner Betrachtung bliert, was sich nicht zuletzt durch die Berufungen verschie- bemüht. Das Bestreben, in der „Mehrdeutigkeit des Zei- dener Künstler an die Kunstakademien zeigte: Hann Trier chens“ 3 eine Evidenz zu lokalisieren, ist für das offene Kunst- lehrte beispielsweise ab 1957 an der Hochschule für bil- werk gewissermaßen Voraussetzung, denn erst durch die dende Künste in Berlin, Emil Schumacher ab 1958 in Ham- Suche nach einer Erkenntnis können unterschiedliche burg und K. O. Götz ab 1959 in Düsseldorf. 4 Das Kunstwerk Abb. 1 Porträt von Hans Kaiser, Zeichenrelationen entstehen, die das offene Kunstwerk erkannte Eco „als Vorschlag eines ‚Feldes‘ interpretativer Schwarz-Weiß-Fotografie, um 1980 wiederum als solches definieren. Insbesondere die Idee Möglichkeiten“ 5. 10 11
Abb. 32 Figur, 1963/64 Abb. 30 Halbfigurenbild einer Frau vor Fensterausschnitt, 1951 Abb. 34 Das grüne Gefäß, 1965 42 43
KARTONS IN DER MODERNEN GLASMALEREI Reinhard Köpf HANS KAISERS WASHINGTONER FENSTERENTWÜRFE ALS KÜNSTLERISCHE MEDIEN IM WERKPROZESS In seinem kurzen Dokumentarfilm aus dem Jahr 1960 zeigt genie eine creatio ex nihilo, ein Werk, das ihm schließlich uns der Amateurfilmer Kurt Schaumann (1909–1970) den den alleinigen Ruhm garantiert. Künstler Hans Kaiser bei der Arbeit.1 Untermalt von einer Was aus Sicht einer Kunstmarktkunst spätestens seit eindringlichen Tonspur mit Klängen aus der Abraxas- dem Ende des Zweiten Weltkriegs als preissteigernde Vision Suite des Komponisten Werner Egk (1901–1983), inszeniert noch immer wünschenswert erscheinen mag und mit Schaumann Kaiser als suchenden, an sich zweifelnden und dem Etikett „eigenhändig“ versehen regelmäßig zu Verstei- um künstlerische Lösungen ringenden Maler.2 gerungsrekorden führt, ist auf dem Gebiet der Glasmalerei, Nur wenige Minuten nach Beginn des Films, in denen verstanden als die künstlerische Gestaltung farbiger Glas- auch einige Gemälde von Kaiser zu sehen sind, beobach- fenster, in dieser Form nicht denkbar. Die Glasmalerei un- ten wir den Künstler bei der Arbeit an einem Entwurf für ein terliegt anderen künstlerischen Bedingungen, von denen Glasfenster. Temporeich, beinahe wie im Wahn, gleitet der die Bindung an die Architektur sicher die grundlegendste Kohlestift in der Hand des Künstlers, mal dicke, mal dünne darstellt. Die von der Glasplatte tropfende Farbe, mit der Linien auf dem Zeichengrund hinterlassend, über den Kar- Hans Kaiser sein Fenster bemalt, offenbart die andere: ton. Die nächste Einstellung zeigt Kaiser, wie er auf einer Glasmalerei ist mehr als das Malen auf Glas.3 Der Weg zu Glasscheibe, die zwischen ihm und der Kamera platziert einem künstlerisch gestalteten Fenster besteht aus zahlrei- ist, scheinbar unmittelbar ein (farbiges) Glasfenster gestal- chen Schritten, die, und das ist das Entscheidende bei der Abb. 89 Dickinson Window, Entwurfskartons tet. Die Aufnahme verfehlt ihre suggestive Wirkung nicht: Glasmalerei, höchst arbeitsteilig, im Wechselspiel zwischen im Forum des Gustav-Lübcke-Museums, 1973–75 leicht, nahezu spielerisch erschafft das einsame Künstler- Künstler und Werkstatt, vonstattengehen.4 104 105
SCHLUSS- GEDANKEN Diana Lenz-Weber DIE KUNST DES BEWAHRENS „Death can really make you look like a star“ 1, bekundete kommen. Vor dem Hintergrund dieser einzigartigen demo- Andy Warhol, der zur Ikone avancierte Künstler der Pop-Art. grafischen und kultursoziologischen Entwicklung ist eine Zweifelsohne erfahren Künstler:innen, die ohnehin schon ganze Generation bildender Künstler:innen auf der Suche berühmt sind, nach ihrem Tod oft einen zusätzlichen ra- nach angemessenen und realistischen Lösungen, um ihr santen Boom. Das Ableben von Kunstschaffenden steigert Lebenswerk zu erhalten, damit es nicht in Vergessenheit jedoch nicht in allen Fällen deren Prestige. In der Sphäre gerät. Manche der Kunstschaffenden regeln noch zu Leb- der weniger bekannten Künstler:innen sieht es eher anders zeiten, was mit Arbeiten geschehen soll und beschenken aus. Deren künstlerisches Erbe ist heute gefährdeter denn Museen mit ihren Werken. Oft sind es aber die bevollmäch- je. Nicht selten wird es aufgelöst, verstreut und entsorgt, tigten Erbberechtigten, die sich dieser Verantwortung ob aus Unwissenheit und Überforderung oder anderen stellen und Sorge für den künstlerischen Nachlass tragen Gründen. Um diesem irreversiblen Verlust zu begegnen, müssen. Wenn sie sich der Kunstfülle entledigen wollen, Abb. 96 Blick ins Depot des Gustav-Lübcke- bemühen sich zahlreiche Institutionen und Initiativen wiegen sie sich in der Hoffnung, dass dem Nachlass von Museums Hamm, Fotografie, 2022 seit Jahrzehnten um eine möglichst vollständige Bewah- professioneller Seite eine dauerhafte und angemessene rung künstlerischer Hinterlassenschaften.2 Die Werke eines Bewahrung und im besten Falle sogar eine Aufwertung Nachlasses sind Quellen, Kommentare und Zeugen unse- zugesichert wird.3 res kulturellen Erbes und Vermächtnisses. Sie leben von ste- Aus Sicht der Erbberechtigten ist in der Regel das Mu- ter öffentlicher Wahrnehmung. Werden sie nicht gesehen, seum der ideale Ort: Das Museum verheißt, dem Werk studiert und erforscht, bleiben sie unbekannt. Ihre Aussage und damit auch seinem Schöpfer beziehungsweise seiner geht verloren. Nicht selten drohen auf diese Weise mög- Schöpferin Geltung zu verschaffen – zumindest ist das die licherweise auch wichtige Positionen vor allem der jünge- Erwartung. Praktisch sieht es anders aus. Einerseits ist der ren Kunstgeschichte gänzlich zu verschwinden. Nachlass im Depot zwar vor Zerstörung, Diebstahl und Nie zuvor gab es so viele aktive Künstler:innen, die nach schädlichen klimatischen Bedingungen geschützt, anderer- einer langen und produktiven Zeit ans Ende ihrer Laufbahn seits ist es erforderlich, sich mit den Werken aufgeschlossen 120 121
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