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Harald Christ: Es wurde Zeit zu gehen Entfremdungsprozess wegen Linksruck – Kurswechsel: Vom SPD-Mittelstandsbeauftragten zum FDP-Bundesschatzmeister 8 Mittelstand Digital 01/02-2021
DEUTSCHLAND D ie berufliche Erfolgsleiter von Harald Christ hat viele vorstand bei programmatischen Grundsatzfragen beraten. In Sprossen: Vertriebsdirektor der BHW Bausparkasse, dieser Funktion versuchte er die Wirtschaftskompetenz der Direktor Vertriebssteuerung für die Deutsche Bank 24, SPD zu stärken, stieß bei diesem Unterfangen – so wussten Vorsitzender des Vorstandes der Hamburger Kapitalanlagege- Insider zu berichten – aber immer wieder auf Widerstand. sellschaft HCI Capital, Generalbevollmächtigter der Berliner Alles das ist aber inzwischen hinfällig geworden. Nach der Weberbank, Vorsitzender des Vorstandes der Postbank Fi- Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zum SPD- nanzberatung AG und Vorstandsvorsitzender der ERGO Bera- Doppelvorsitz im Dezember 2019 gab Christ sein Vorhaben auf tung und Vertrieb AG – um nur einige der hochkarätigen Füh- und trat aus der SPD aus. rungspositionen in deutschen Großunternehmen und Konzer- Seine Begründung: Der Linksruck der Partei repräsentiere nen zu erwähnen. seine Mittelstands- und Wirtschaftspositionen nicht mehr. Drei Sein Vermögen erwarb Harald Christ, indem er im Jahr 2005 Monate nach seinem Parteiaustritt schloss sich Christ der FDP den Fondsanbieter HCI an die Börse führte und danach die ei- an. Die Liberalen erkannten sofort die Chance, die ihnen das genen Anteile verkaufte. politische Schwergewicht für die eigene Arbeit bot. Vor gut drei Jahren gründete Harald Christ die Beratungsfir- Kurz nach seinem Parteiwechsel nominierte das Präsidium ma Christ & Company, mit der er anderen Unternehmen bei ih- der FDP den 48-Jährigen für das Amt des Bundesschatzmeis- rer Strategie, bei Fusionen, Restrukturierung und Kommunika- ters, also für die Nachfolge von Hermann Otto Solms. Auf dem tion unter die Arme greift. FDP-Parteitag am 22. September 2020 folgten dann die Dele- Politisch konnte Christ bis vor einem Jahr auf eine über gierten dem Vorschlag des Präsidiums und wählten Harald 30jährige Mitgliedschaft in der SPD verweisen. Zur Bundes- Christ zum Finanz-Chef der Partei. tagswahl 2009 war er im Schattenkabinett des damaligen SPD- Über seine künftige Rolle als FDP-Spitzenpolitiker und über Kandidaten Frank-Walter Steinmeier sogar als Wirtschafts- seine Vorstellungen, einer liberalen Wirtschafts-, Mittelstands- minister vorgesehen. Als Beauftragter der SPD für den The- und Gesellschaftspolitik Geltung zu verschaffen, sprach Harald menbereich „Mittelstandspolitik“ sollte er zudem den Partei- Christ mit Anita Schäfer. ? Sie haben Knall auf Fall der SPD den Rücken gekehrt und Ihre neue politische Heimat in der FDP ? Auf Vorschlag von Parteichef Christian Lindner wurden Sie nicht einmal ein halbes Jahr nach heitsrechte hat auch unsere Demo- kratie gelitten. Genau darin sehen wir unsere Schwerpunkte. Wir müs- gefunden. Gab es außer dem Links- Ihrem Eintritt in die FDP in die sen stärker aus dieser Krise heraus- ruck, den die SPD nach Ihrer An- Schlüsselposition des Bundes- kommen, als wir hineingestolpert sicht vollzogen hatte, noch weitere schatzmeisters gewählt. Damit sind. 2021 braucht es wirtschaftli- Gründe für den Parteiwechsel? sind Sie automatisch Mitglied des che Kompetenz und soziale Balance. „Durch die Harald Christ: Für die Öffentlich- Präsidiums und gehören zum eng- keit war es ein „Knall auf Fall“. Für mich war es ein längerer Prozess sten Führungszirkel der Partei. Welche politischen Schwerpunkte möchten Sie in diesem Gremium Pandemie und die ? Die FDP dümpelt zurzeit in Um- fragen zwischen fünf und sechs Prozent dahin. Ist das eine Grund- des Auseinanderlebens. Die SPD, setzen – von Ihrem Job als Bundes- zahlreichen lage dafür, die von Ihnen beschrie- in der ich 1988 mit 16 Jahren Mit- schatzmeister einmal abgesehen? benen Ziele durchzusetzen? Harald Christ: Das Jahr 2020 war Harald Christ: In den neuesten glied wurde, hatte einen starken Eingriffe wirtschaftspolitischen Kern und war auch eine Partei für den Mittel- von der Corona-Pandemie geprägt, in unsere Umfragen liegen wir bei acht Pro- stand, stark auch im Handwerk. die Auswirkungen auf viele unserer Freiheitsrechte zent, das ist eine stabile Aus- Die SPD, in die ich eingetreten war, Lebensbereiche hatte. Viele fürch- gangslage. Ich möchte nur daran gibt es so nicht mehr. Die wirt- ten um ihre Gesundheit, ihre Exis- hat auch erinnern, dass wir bei der letzten schaftspolitischen Positionen ha- tenz und ihre Zukunft. Die Krise hat Bundestagswahl mehr als zehn ben sich in den letzten Jahren wei- deutlich gemacht, was wir in unsere Prozent der Stimmen erhalten ha- ter marginalisiert und wurde mit Deutschland dringend verbessern Demokratie ben – und das wird uns wieder ge- dem Votum der Mitglieder für die müssen – etwa die Digitalisierung lingen. Dafür werben wir mit einem neue Parteispitze weiter nach links im Gesundheits- und Bildungswesen gelitten.“ guten Team an Köpfen und inhalt- entschieden. Mein Austritt war da- und in der Verwaltung. Wir brauchen lichen Beiträgen. Übrigens werden her konsequent. Ich stehe für eine zudem eine Offensive für mehr Pri- im nächsten Jahr, nach allem was starke Soziale Marktwirtschaft – vatinvestitionen und neue Techno- wir heute wissen, die gesundheit- sozial und marktwirtschaftlich li- logien sowie die Entlastung für lichen Risiken zunehmend unter beral. Eine Politik gegen den Unternehmen und die arbeitende Kontrolle geraten – der Fokus wird Mittelstand und die Wirtschaft ist Mitte. Durch die Pandemie und die dann wieder verstärkt auf den In- mit mir nicht zu machen. zahlreichen Eingriffe in unsere Frei- halten liegen. Mittelstand Digital 01/02-2021 9
DEUTSCHLAND ? Ihr Wechsel von der SPD zur FDP wird auch als Zeichen da- hingehend gedeutet, dass sich die FDP der SPD als Koalitionspartner andienen will. Täuscht dieser Ein- druck? Harald Christ: Die FDP ist eine ei- genständige Partei. Wir definieren uns nicht über mögliche Koali- tionspartner, sondern über unsere eigenen Positionen und Werte. Zu unseren inhaltlichen Zielen und Überzeugungen gehören beispiels- weise die Abschaffung des Soli, ein Digitalministerium, eine Bil- dungsoffensive, eine rationale Energiepolitik und weniger Büro- kratismus. Wenn es ein faires Mit- Harald Christ und Parteichef Christian Lindner bei der Unterzeichnung des Mitgliedsantrags für die FDP einander gibt und jeder Projekte umsetzen kann, sind wir gerne Teil einer Koalition. Schnittmengen gibt es mit der Union, aber auch mit der SPD. Wir setzen selbstbe- sellschaft nicht auf Dauer domi- lich und für einen Eingriff in die wusst auf unsere eigene Stärke! nieren. Wir brauchen einen star- Grundrechte der Betroffenen hal- ken Staat, der seine Kernaufgaben ten. Unsere Position konnte sich ? In Ihrer Bewerbungsrede auf dem FDP-Parteitag haben Sie der amtierenden Bundesregierung wahrnimmt, aber wir brauchen kei- nen Staat, der sich auf Dauer in die Wirtschaft einmischt. aber nicht durchsetzen. Übrigens: Wir machen Druck, dass die zuge- sagten Hilfen in den betroffenen vorgeworfen, dass die Corona-Kri- „Wenn sich die Branchen auch zügig ankommen – se genutzt werde, „um schleichend den Sozialismus einzuführen“. Können Sie diese Kritik an zwei bis Dynamik bei ? Bleiben wir bei der Corona-Kri- se. Unisono sagen nicht nur vie- le Wissenschaftler, sondern auch hier ist die Bundesregierung noch in der Bringschuld. der Staats- drei Beispielen festmachen? Harald Christ: Dafür gibt es zwei verschuldung Mediziner, dass Zusammenkünfte von Personen in Gaststätten weni- ger die Gefahr einer Corona-Infek- ? Birgt die Corona-Krise nicht die Gefahr, einer verstärkten Staats- gläubigkeit das Wort zu reden? fortsetzt, Harald Christ: Viele Menschen Beispiele: Zum einen erleben wir tion in sich bergen, als die Zu- die höchste Aufnahme von Schul- besteht die sammenkünfte in den eigenen vier den in der Geschichte der Bundes- Wänden. Gleichwohl wurde von wünschen sich in der Corona-Pan- republik. Wenn sich diese Dynamik ernsthafte der Politik anders entschieden und demie einen starken Staat. Der ist bei der Staatsverschuldung so Gefahr der die Gastronomie in den Lockdown in der Krise sicherlich nötig. Wir fortsetzt, besteht die ernsthafte einbezogen. Hier vermisst der Freie Demokraten wollen den Men- Gefahr der Überschuldung. Ein sol- Überschuldung. mittelständische Unternehmer die schen allerdings ein anderes An- cher Corona-Sozialismus führt in FDP als Stimme der Vernunft. gebot machen. Wir werben weiter letzter Konsequenz in die Staats- Ein solcher Täuscht dieser Eindruck? für das Ideal der Eigenverantwor- Harald Christ: Die FDP hat sich im- pleite. Zum anderen nehmen in der Corona- tung. Dazu gehört auch, das Auf- aktuellen Krise die staatlichen Ein- stiegsversprechen in unserem griffe in Unternehmen immer mehr Sozialismus mer für eine verantwortungsvolle Land zu erneuern. Es ist egal, wo- zu. Denken Sie etwa an Lufthansa führt in letzter und entschlossene Bekämpfung her du kommst, wer du bist, wie du oder TUI. Dass der Staat in dieser dieser Pandemie eingesetzt. Wir aussiehst. Entscheidend ist, wohin außerordentlichen Krise aus- Konsequenz in haben allerdings für eine klügere, du willst. Für mich ist die FDP die nahmsweise hilft, um Arbeitsplät- langfristige Corona-Strategie ge- Partei, die dafür Sorge trägt, dass ze und Existenzen zu retten, ist si- die Staatspleite.“ worben. Denn die Menschen und jeder, egal wohin er will, auch sei- cher richtig. Aber problematisch Unternehmen brauchen eine klare nen Weg finden kann. Nur wir sind ist, dass es keine automatischen Perspektive. Was die Schließung der Garant dafür, dass Freiheit, Mechanismen gibt, die nach einem der Gastronomie angeht, so haben Aufstiegsversprechen und Zukunft Einstieg einen strikten Ausstiegs- wir frühzeitig gesagt, dass wir die- in diesem Land eine Stimme ha- pfad vorschreiben. Der Staat ist se aufgrund der fehlenden An- ben. Außerdem sollten wir uns ehr- nicht der bessere Unternehmer haltspunkte einer Ansteckung für lich machen und den Menschen und er sollte Wirtschaft und Ge- verfassungsrechtlich sehr bedenk- auch sagen, was auf uns zukommt. 10 Mittelstand Digital 01/02-2021
DEUTSCHLAND Wo die Herausforderungen liegen. keit voraus, um die sich die Politik bens, auch das politische und Zur Wahrheit gehört auch, der nicht wirklich kümmern muss. Da wirtschaftliche System, der Staat wird nicht auf Dauer alles werden wir viel finanzpolitische Zum Zeitpunkt Rechtsstaat, das Gesundheits- retten können. Disziplin brauchen, damit am Ende des Interviews und Bildungswesen bekommen nicht die arbeitende Mitte im Land die Auswirkungen der Krise deut- war Berlin-Mitte ? Warum nimmt die FDP klaglos hin, dass Entscheidungen von großer Tragweite wie der Lock- völlig überfordert ist. Mit der FDP jedenfalls wird es weder einen Co- rona-Soli noch eine Vermögen- als Corona- lich zu spüren. Die Corona-Pan- demie ist ein Brennglas für viele politische Versäumnisse der Ver- Risikogebiet down von einem Gremium getrof- steuer geben. Wir müssen ent- gangenheit. Wir Freie Demokra- fen werden, das es als gesetzge- schieden diesem populistischen eingestuft. ten wollen, dass Deutschland aus bendes Organ überhaupt nicht gibt Irrsinn entgegentreten. Was wir Daher wurde dieser Krise gestärkt hervorgeht. – nämlich die Runde der Minister- brauchen ist Wachstum durch Ent- Defizite, die durch die Krise be- präsidenten mit Frau Merkel. Wäre lastung und keine Diskussionen das Interview kannt geworden sind und solche, hier nicht der Gang nach Karlsruhe der Belastung. fernmündlich die vorher schon offensichtlich angezeigt? waren, müssen jetzt dringend an- geführt. Harald Christ: Grundsätzlich kann ? Glauben Sie, dass die Corona- gegangen werden. Wir müssen Krise unser Land wirtschaftlich, Mit Harald Christ die Qualität des Standorts man die Legitimation des Gremi- steuerlich und sozial nachhaltig Deutschland, seine Wettbewerbs- ums nicht in Frage stellen. Aber in verändern wird? sprach fähigkeit und die Beschäftigungs- Harald Christ: Die Corona-Pande- der MPK werden – ähnlich wie beim Anita Schäfer chancen, die Chancen auf sozia- Europäischen Rat - Entscheidungen Foto: BDS-Archiv len Aufstieg grundlegend verbes- gefällt, die faktisch endgültig und mie betrifft nicht nur alle Berei- sern – vor allem für die Zeit nach nicht mehr verhandelbar sind. Die che unseres persönlichen Le- der Krise. n Beschlüsse können nicht einmal vom Bundestag vorher diskutiert werden. Das ist intransparent und sollte die absolute Ausnahme blei- ben. Genau deswegen haben wir im Juni, als die Lage relativ entspannt war, gefordert, die epidemische Notlage aufzuheben und dem Bundestag wieder seine Rechte als Gesetzgeber zurückzugeben. Wir wollen, dass der Bundestag umfas- send in die Pandemiebekämpfung eingebunden wird, denn Demokra- tie schafft Akzeptanz und Akzep- tanz brauchen wir. ? Werden wir – nach Ihrer Mei- nung – nach Ende der Corona- Krise um Steuererhöhungen her- Archivbild von 2019: Harald Christ und Anita Schäfer beim letzten gemeinsamen Gespräch umkommen? Stichworte: Corona- Soli und Vermögenssteuer. Harald Christ: Ich befürchte, dass Dem Gemeinwohl verpflichtet die immensen Schulden, die wir jetzt aufnehmen, schnell zu den Steuererhöhungen von morgen werden können. Denn Union und ? Sie haben als Top-Manager in führenden Großunternehmen gearbeitet und waren für verschiedene Banken tätig. Inzwischen sind Sie mit Ihrer eigenen Firmengruppe ein überaus erfolgreicher Unternehmer. In dieser Eigenschaft haben Sie die „Harald-Christ-Stiftung für SPD haben sich in den zurücklie- Demokratie und Vielfalt“ ins Leben gerufen. Was wollen Sie mit Ihrer Stiftung bewirken? Harald Christ: Ich setzte mich mit meiner Stiftung für die Stärkung der „Demokratie und Viel- genden Legislaturperioden vor al- lem mit der Frage beschäftigt, wie man den Wohlstand bestmöglich falt“ ein. Toleranz, Akzeptanz und Freiheit sind mir immer eine Herzensangelegenheit. Zahlrei- verteilen, nicht aber, wie man ihn che Projekte unterstütze ich seit vielen Jahren. Nicht darüber reden, was andere tun müssten, auch in Zukunft erwirtschaften sondern es selbst einfach machen. Zukünftig wird das meine Stiftung tun. Ich habe außerdem kann. Beide Parteien setzen die testamentarisch verfügt, dass mein gesamtes Vermögen, abzüglich einer Grundabsicherung für Leistungsfähigkeit der Unterneh- meine Familie und Partner, später einmal der Stiftung zugute kommen wird. Ich gebe quasi al- men und Beschäftigten in unserem les der Gesellschaft zurück. Das ist aber eine sehr persönliche Entscheidung. Land als eine Selbstverständlich- Mittelstand Digital 01/02-2021 11
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