Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...

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Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...
60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl • “Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums“. Franz
  Lehár im Spiegel des Ischler Wochenblattes 1903 – 1915 (Teil 2) • Quo vadis, Operette? •
                                         Operettenkrise

                                 Heft 48 / Juni 2021

Leháriana
Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...
LIEBE LEHÁRIANER! *)
Wir hoffen Sie alle bei bester Gesundheit und voller Lebensfreude! Wie glücklich sind wir, dass
wir im Sommer 2021 nun doch nicht zu „hock-down“ verurteilt sind, sondern dass unser Leben
wieder freier wird und sich die Vorhänge über unsere geliebten Werke in unseren geliebten
Theatern wieder heben.
Wir freuen uns auf zahlreiche schöne Operettenproduktionen, die wir sicher genießen werden
können. Es lebe die Gesundheit, die Freiheit und auch die Operette!
In dieser achtundvierzigsten „LEHÁRIANA“ haben wir wieder einiges Interessantes aus der
Operettenwelt von damals und heute für Sie zusammengestellt und hoffen, dass Sie Freude finden
werden an …
… der Fortsetzung des Artikels über das „Lehár Theater“ in Bad Ischl.
… einem Interview mit Thomas Enzinger, Intendant des Lehár Festivals Bad Ischl, über die erste
Spielzeit mit Corona, in der auch nachträglich des 150. Geburtstages von Franz Lehár mit einer
Uraufführung des Musiktheaterwerkes „DEIN IST MEIN GANZES HERZ“ über Leben und Werk
des Ischler Meisters gedacht wird.
… einem Gespräch „Quo vadis, Operette?“ von Wolfgang Dosch mit der deutschen Zeitschrift
„Das Orchester“ über Gegenwart und Zukunft der Kunstform.
… interessanten Stimmen von Operettenmeistern über die angebliche Operettenkrise 1929, die
Rückschlüsse auf die damalige Vergangenheit und Zukunft des Genres zulässt und Parallelen zu
der Frage „Quo vadis, Operette?“ im Jahr 2021 offensichtlich werden lässt.

Die IFLG arbeitet daran, ab Sommer wieder Veranstaltungen und Aktivitäten für Lehárianer
anzubieten. Wir planen auch einen lehárianischen Stadtrundgang, bei dem wir Orte in Wien
besuchen wollen, die in Beziehung zu Person und Werk Franz Lehárs stehen. Bei diesem lockeren
etwa einstündigen Bummel, selbstverständlich kostenlos, soll es nicht nur unterhaltsame und
informative Geschichten, sondern vor allem auch Musik mit Instrumentalist*innen und
Sänger*innen geben, die diese Orte zum Klingen bringen werden. Endpunkt wird ein
ausgewähltes Lokal sein, wo man die gemeinsamen Eindrücke bei einem Glaserl nachklingen
lassen kann. Dieser lehárianische Stadtrundgang soll jeweils am 1. Sonntagnachmittag des Monats
stattfinden und auch auf unserer Homepage zu besuchen sein.
Der 1. LEHÁRIANISCHE STADTRUNDGANG, 4. Juli 2021, beginnt um 16:00 Uhr vor dem
Theater an der Wien (die erste große Lehár-Première): Lehárgasse, Theobaldgasse
(Glockenverlag), Café Sperl. Es führt Wolfgang Dosch, dazu Überraschungsgäste und
Publikumslieblinge von heute und morgen. (Kontakt: 0664 4625882, Wolfgang Dosch)

So wünschen wir Ihnen einen fröhlichen lehárianischen Sommer und freuen uns sehr auf ein
baldiges Wiedersehen. Bleiben Sie gesund und haben Sie viel Freude an viel Schönem!
Mit lehárianischen Grüßen Ihre
LEHÁRIANA

*) „Leháriana“ verwendet vereinfachend die männliche Form in der Anrede.

IMPRESSUM
Leháriana-Nachrichten der Internationalen Franz Lehár Gesellschaft, c/o Rechtsanwaltskanzlei Dr. Alfred Roschek,
Jasomirgottstraße 6, 1010 Wien. ZVR 091289063, Heft 43 / Juni 2019. Redaktion: Univ.-Prof. Wolfgang Dosch (W. D.),
Mitarbeit: Irmgard Schäfer. Layout: Jürgen Neckam. Email: lehariana@live.at

Leháriana                                                                                                       2
Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...
60 JAHRE LEHÁR FESTIVAL BAD ISCHL 2021
Intendant Thomas Enzinger im Gespräch mit Wolfgang Dosch

Dosch Der 60er wird gefeiert, das Lehár Festival öffnet wieder seine Pforten in diesem Sommer!
Der Operette geht es um’s Glück. Jede Operette handelt von der „möglichen Leichtigkeit des
Seins“. Und so steht das Lehár Festival 2021 in seiner Jubiläums-Spielzeit wieder dafür, Träume
vom Glück wahr werden zu lassen. Lieber Thomas Enzinger, toi toi toi!
Enzinger Operette gehört auch für mich zum Schönsten und Wichtigsten meines Lebens und
natürlich auch unseres Landes und unserer Kultur. Deswegen bin ich auch dankbar und glücklich,
gerade in Bad Ischl, diesem magischen Ort, diese magische Kunstform pflegen zu können.
Und es soll in diesem Sommer wieder Träume, Musik, Theater, Tanz geben in Bad Ischl! Wir
spielen zwei der grandiosesten Werke nicht nur der Operette, sondern des gesamten
Musiktheaters, die übrigens beide auch in Bad Ischl komponiert wurden.
Dosch Als Hausherr eröffnest Du das Festival mit Deiner eigenen Inszenierung von „DIE
CSÁRDÁSFÜRSTIN“, des großen silbernen Zeitgenossen Franz Lehárs, Emmerich Kálmán.
Enzinger Kálmán ist ja tatsächlich der andere ganz große Ischler Meister und „DIE
CSÁRDÁSFÜRSTIN“ ist eines meiner meistgeliebten Werke überhaupt. Ich habe sie bereits
mehrfach inszeniert und bin jedes Mal überwältigt von der Wucht der Emotionen, der
Leidenschaft und gleichzeitig der Sensibilität dieses Werkes und seinem einmaligen Reichtum an
musikalischen Einfällen. Die Nummernfolge der „CSÁDÁSFÜRSTIN“ ist eine Hitparade! Ich
freue mich auf die fantasievolle und im wahrsten Sinne auch traum-hafte Ausstattung meines
grandiosen langjährigen Partners und nun auch Ischler Ausstattungsleiters Toto und ein
erstklassiges Operetten-Ensemble, angeführt von Ursula Pfitzner von der Volksoper und Thomas
Blondelle von der Deutschen Oper Berlin, der ebenfalls an der Volksoper in Operetten zu sehen
war und wie auch hier in Bad Ischl als Sou Chong zum Publikumsliebling avancierte. Als
Dirigenten konnte ich einen der besten Operettendirigenten der jüngeren Generation gewinnen,
László Gyükér, der ebenfalls an der Volksoper dirigiert und eine besondere Affinität zu Kálmán
hat.
Dosch Aber ganz ohne Lehár geht die chose nicht beim Lehár Festival und so wird es
selbstverständlich eine Lehár-Operette geben, aber auch die Premiere eines Auftragswerkes über
das Leben und die Musik Franz Lehárs, das anlässlich seines 150. Geburtstages 2020 seine
Premiere haben hätte sollen und dessen Uraufführung nun in diesem Jahr stattfinden wird.
Enzinger Die diesjährige große Lehár-Operette wird „DER ZAREWITSCH“ in der Inszenierung
der schauspiel- wie operettenerfahrenen Isabella Gregor sein, dirigiert von dem Ischler
Musikdirektor Marius Burkert. Auch hier bin ich glücklich und stolz auf unser Ensemble angeführt
vom wunderbaren österreichischen Tenor Bernhard Berchtold als Zarewitsch.
Mit „DEIN WAR MEIN GANZES HERZ“ hat Jenny W. Gregor ein bewegendes
Musiktheaterwerk über das spannende, abwechslungsreiche, kreative, aufwühlende Leben Franz
Lehárs in seiner oftmals tragischen Zeit geschaffen, in dem nicht nur die bekannten Melodien,
sondern vor allem auch viele leider weniger bekannte lehárianische Schätze erklingen werden.
Wir sind stolz auf dieses neue Musik-Theater-Stück über und mit Franz Lehár!

Heft 47, Dezember 2020                                                                        3
Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...
Dosch Als ob dies
nicht alles schon
genug wäre, wird der
60. Geburtstag am
25. August 2021 mit
einem „GALAKON-
ZERT DES FESTI-
VALS“ gefeiert.
Enzinger Natürlich
wollen     wir     das
Festival hier in Bad
Ischl, dem ja unser
ganzes Herz gehört,
auch       gebührend
hochleben lassen. Es
war mir ein Anliegen,
möglichst viele Musikerinnen und Musiker, die hier in Ischl zumindest teilweise leben, sich hier
zuhause und der Stadt verbunden fühlen, auf unsere Bühne zu bringen. Und so wird das Franz
Lehár-Orchester gemeinsam mit der Kurmusik Bad Ischl und allen unseren Solisten ein
abwechslungsreiches Programm mit den wunderbarsten Operettenmelodien gestalten. Die
musikalische Leitung hat Marius Burkert inne. Als Stargast freuen wir uns auf Staatsopernsängerin
Daniela Fally, die auch leidenschaftliche Operettensängerin ist und in deren Karriere Bad Ischl
eine besondere Rolle spielte.
Dosch Du bist als Regisseur und Künstler und auch als Festival-Intendant für uns „Lehárianer“
und also auch für Dein Publikum Garant für emotionale, kluge, gleichzeitig stilistisch informierte
und „schmerzfreie“ Operettenaufführungen. Dein Rezept?
Enzinger Zunächst Liebe und Leidenschaft für dieses Genre! Saubere und intensive
konzeptionelle Vorbereitung, Erstellen von Spielfassungen, die dem entsprechenden Werk und
seiner Substanz dienen. Spielfassungen werden von jedem Regisseur und jeder Regisseurin
erstellt, beinahe seit es Operetten gibt, das ist integraler Bestandteil eines Werkes des
(musikalischen) Unterhaltungstheaters. Im weiteren gilt es eine Besetzung zu finden, die dieses
Genre mit allen seinen so unterschiedlichen Disziplinen kann - und dann liegt mir viel an sauberer
schauspielerischer Arbeit. Jeder Theaterabend muss ein besonderes Erlebnis sein und das
Publikum eines Operettenabends hat Anrecht auf Glück - um wieder auf den Beginn unseres
Gespräches zurückzukommen.
Dosch Das Thema Sicherheit ist natürlich in diesem Sommer ein zentrales. Wie gehen Du und
Dein Team damit um?
Enzinger Sicherheit hat allererste Priorität! Für alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
ebenso wie auch für das Publikum. Für das Festival ist ein Konzept erarbeitet, das uns allen mit
Sicherheit einen genussvollen Operettenabend und eine glückliche Zeit in Bad Ischl ermöglichen
soll und wird!
Dosch Lieber Thomas, „Leháriana“ dankt Dir für dieses Gespräch und ich wünsche von Herzen
„toitoitoi!“

Leháriana                                                                                       4
Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...
„LIEBLINGSKOMPONIST UNSERES SOMMERPUBLIKUMS“ 1
FRANZ LEHÁR IM SPIEGEL DES ISCHLER WOCHENBLATTES 1903-
1915 (2. Teil)
Doktor Teresa Hrdlicka und Wolfgang Dosch

DAS DREIGESTIRN
Die Sommersaison 1909 in Bad Ischl wurde von dem aus Olmütz stammenden, drei Jahre
jüngeren Komponisten Leo Fall beherrscht: mit insgesamt 18 Vorstellungen seiner
Erfolgsoperetten „DIE DOLLARPRINZESSIN“ und „DIE GESCHIEDENE FRAU“ (Novität)
gegenüber Franz Lehár, der es mit „DER RASTELBINDER“ und mit „DIE LUSTIGE WITWE“
auf nur vier Abende brachte. Doch das täuschte: Lehár befand sich in seiner wohl intensivsten
Schaffensphase! Im Herbst/Winter 1909/10 brachten drei führende Wiener Theater je eine
Novität von ihm. Die Operette hatte dank Komponisten wie Franz Lehár, Leo Fall, Leo Ascher,
Edmund Eysler und Heinrich Reinhardt Hochkonjunktur – allein im Jahr 1909 hatte sich die
Anzahl von Wiener Operetten-Uraufführungen auf 36 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Eine
der ca. 14 Operettenbühnen war das von Leopold Müller, dem Vater des Ischler Theaterleiters
Erich Müller, neu gegründete Johann-Strauß-Theater in der Favoritenstraße. Er sicherte sich für
Herbst 1909 das Uraufführungsrecht für Lehárs nächstes Bühnenwerk, „DAS FÜRSTENKIND“
(7. Oktober). Nur vier Wochen später folgte „DER GRAF VON LUXEMBURG“ am Theater an
der Wien am 12. November und sieben Wochen später „DIE ZIGEUNERLIEBE“ am Carl-Theater
(8. Jänner 1910). Lehár war der umjubelte „Reformer der Operette“, mit den größten je gehabten
Serienerfolgen von Aufführungen; neben seiner ungeheuren Produktivität wurde seine subtile
Instrumentationskunst und die Annäherung der Operette an die Spieloper gerühmt.
Alle drei Operetten gelangten im Sommer
1910, ein halbes Jahr nach deren Wiener
Uraufführungen, am Bad Ischler Kurtheater
zur Aufführung, sozusagen die ersten „Lehár-
Festwochen“ der Stadt an der Traun! Das
Theater-Ensemble, das in diesem Sommer
nicht weniger als acht Premieren stemmen
musste (die größte Dichte an neuen Operetten
in der gesamten Geschichte des Hauses!)
bestand aus Kräften von den großen Theatern
in Wien, Laibach, Graz, Czernowitz,
Karlsbad, Olmütz, Brünn, Breslau, Innsbruck,
Linz und Meran. Als Kapellmeister fungierte
wie schon das Jahr zuvor Alois Dostal vom
Stadttheater in Brünn. Lehár, ab 2. Juli 1910
im Hotel zum goldenen Kreuz gemeldet, war
der Star der Saison. Seine neuesten Kreationen
hatten am 23. Juli, 30. Juli und 9. August
Premiere. „DAS FÜRSTENKIND“ spielt im
(damals exotischen) Athen und handelt von
einem Räuberhauptmann in einer Doppelrolle
                                                      Titelblatt des Klavierauszugs, Wien 1909.

1
 Zitat aus einem Bericht über die Große Künstlerakademie am 26. August 1912 in: Ischler Wochenblatt, 1.
September 1912
Heft 47, Dezember 2020                                                                                    5
Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...
– er gaukelt seiner Tochter vor, ein Fürst zu
                                                  sein, „DER GRAF VON LUXEMBURG“ ist
                                                  wieder (wie die „LUSTIGE WITWE“) im
                                                  großstädtischen       Pariser     Bohèmemilieu
                                                  angesiedelt und es geht um das Motiv der
                                                  Standesschranken, Fürst möchte Sängerin
                                                  ehelichen. „ZIGEUNERLIEBE“ schließlich ist
                                                  eine opernhafte Märchenoperette, an der
                                                  fernen      ungarisch-rumänischen         Grenze
                                                  (Siebenbürgen) angesiedelt, jedoch mit viel
                                                  ungarischem Flair, einem „Traumakt“. Die
                                                  weiblichen Hauptpartien teilten sich die
                                                  Gastsängerin vom Johann-Strauß-Theater
                                                  Wien, Betty Myra und ein neues
                                                  Ensemblemitglied: Maria Jeritza. Die erst 22-
                                                  jährige, am Beginn ihrer großen Opernkarriere
                                                  stehende Sopranistin verkörperte die
                                                  schwierige      Rolle      der      Zorika     in
                                                  „ZIGEUNERLIEBE“ und die Prinzessin Photini
                                                  in „DAS FÜRSTENKIND“. Seit Herbst 1907
                                                  war sie Mitglied des Kaiserjubiläums-
                                                  Stadttheaters (Wiener Volksoper), wo sie
                                                  offensichtlich nicht sehr glücklich war, denn in
"ZIGEUNERLIEBE", Operette von Franz Lehár,
Theaterzettel, Theater Ischl, 15. August 1910.
                                                  ihrer Autobiographie schildert sie das
                                                  Zustandekommens ihres Ischler Engagements:
„Eines Tages erzählte ich zufällig dem Direktor des Ischler Theaters, Direktor Erich Müller, wie
ich mich fühlte. Er strahlte mich an. ‚Kommen Sie doch nach Ischl und singen Sie dort für mich,‘
meinte er. ‚Das ist ein reizender Ort, der Kaiser verbringt dort den Sommer, geht auch ins
Theater, und Sie können einmal zur Abwechslung Operette statt Oper singen. Vertrödeln Sie
doch nicht Ihre Zeit, indem Sie hier herumbummeln, während die Volksoper geschlossen hat.“2
Sie stand im Kurtheater in nicht weniger als zehn Rollen auf der Bühne, u. a. als Annamirl in Leo
Falls „DER FIDELE BAUER“, Harriet in Millöckers „DER ARME JONATHAN“ und Rosalinde in
„DIE FLEDERMAUS“. Jedenfalls lernte Maria Jeritza in jenem Sommer Franz Lehár kennen, der
seine drei neuen Operetten bei den Reprisen am 14., 15. und 16. August selbst leitete. Im Jahr
1933 sollten die beiden wieder aufeinandertreffen: Jeritza sang und spielte ihre einzige Filmrolle,
die der Großfürstin Alexandra im gleichnamigen Film mit Musik von Franz Lehár!
Neben Maria Jeritza kreierte in jenem Sommer 1910 Betty Myra die Lehárrollen der
Opernsängerin Angèle Didier („DER GRAF VON LUXEMBURG“), der Mary-Ann („DAS
FÜRSTENKIND“) und der Ilona von Körösháza („ZIGEUNERLIEBE“). Die Wiener
Operettensoubrette war zuvor am Amsterdamer Rembrandt-Theater engagiert gewesen und
hatte sich bereits als Hanna Glawari („DIE LUSTIGE WITWE“) an verschiedenen österreichischen
Bühnen Lorbeeren errungen.
Die männlichen Hauptpartien waren mit Gaststar Louis Treumann als Hadschi Stavros („DAS
FÜRSTENKIND“) und Martin Pietsch vom Brünner Stadttheater als Graf René von Luxemburg
und Spielmann Jószi („ZIGEUNERLIEBE“) besetzt.

2
 Jeritza, Maria: Sunlight and Song, New York – London 1924, zitiert nach: Werba, Robert: Maria Jeritza.
Primadonna des Verismo, Wien 1981, S. 46
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Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...
Das Ischler Wochenblatt berichtet über „DAS FÜRSTENKIND“:
       Franz Lehár [hat] eine künstlerisch wertvolle, ernste, und seinem Wesen eigene, melodisch weiche,
       gleichzeitig slawisch wie wienerisch anklingende Musik geschrieben, die man in den fast durchwegs
       schmeichelhaft gehaltenen Kritiken der Wiener Blätter als opernhaft bezeichnete. Dabei hat Lehár,
       der sein ‚FÜRSTENKIND‘ zum großen Teil hier in Ischl komponiert, wiederum ganz Hervorragendes
       an Instrumentierungskunst geleistet, es singt und klingt aus allen Instrumenten in berückender
       Tonfülle und Farbengebung und ist selbst das Klavier mit einbezogen.“3 Louis Treumann „war in
       der schwierigen Doppelrolle des Hadschi-Stavros, Fürst von Parnes, wiederum der geniale,
       liebenswürdige Künstler, […] so ganz er selbst in der unvergleichlichen Art wie er sich gibt, spricht,
       singt und tanzt.

Betty Myra als Mary-Ann „zeichnete sich durch virtuose Gesangsleistung, graziöses Spiel und vornehme
Erscheinung aus.“ Maria Jeritza als Prinzessin Photini wird nur am Rande erwähnt.
Das Ischler Wochenblatt zollt dem Libretto des „DER GRAF VON LUXEMBURG“
Bewunderung: Es sei „ganz entschieden eines der gelungensten, zu denen letztweilig Operetten
geschrieben wurden.‘ Es ist vom „fruchtbaren Komponist“ und „süßer, einschmeichelnder Musik,
die höchst kunstvoll instrumentiert“ ist, die Rede. Der René des Martin Pietsch war
„geschmackvoll gesungen und flott gespielt“, Betty Myra „glänzte als Angèle Didier durch
vornehme Erscheinung, kunstvolles Singen und diskretes Spiel“. Des russischen Fürst Basilowitsch
Darstellung durch Herrn Guttmann wird „bestes Gelingen“ und „urwüchsige Komik“ bescheinigt
sowie seine Grotesktänze hervorgehoben. Kapellmeister Alois Dostal, sowie Chor und Orchester
„wurden ihrer Aufgabe vollkommen gerecht“.
        Das trotz schönstem Wetter ausverkaufte Haus spendete reichen Beifall, rief die Hauptdarsteller
        oftmals hervor und verlangte Wiederholungen der meisten Gesangs- und Tanznummern, somit von
        einem durchschlagenden Erfolg dieser Operette gesprochen werden kann, welcher in der Hofloge
        Prinzessin Gisela von Bayern mit Hofdame Baronin Rodich bis zum Schluße unter schmeichelhafter
        Anerkennung der künstlerischen Leistungen anwohnte.4

Über „ZIGEUNERLIEBE“ berichtet das Ischler Wochenblatt:
       Die zumeist sentimentale Handlung hat Lehár zu seiner letztgeschaffenen Operette verwendet, die
       voll rauschenden Melodienreichtums, gefällig und einschmeichelnd in ihren zumeist ungarisch-
       zigeunerischen Weisen, dabei wunderbar instrumentiert, aber mehr Oper als Operette ist. Erst im
       zweiten Akte kommt der Komponist, der sich im letzten Jahre schier unerschöpflich zeigte, mit einem
       Walzer ‚Nur die Liebe macht uns jung‘, den Ilona singt, auf sein ursprüngliches Gebiet zurück. Die
       Aufführung auf hiesiger Bühne, sowie auch die Ausstattung ließ nichts zu wünschen übrig. Frl. Jeritza
       führte die schwierige Partie der Zorika mit dem Aufwande ihrer großen Mittel glänzend durch, Herr
       Pietsch war in Gesang und Spiel ein prächtiger Zigeuner, Frl. Myra von reizender Koketterie als Ilona
       v. Köröshaza, Herr Stärk ein gelungener Dragotin, Herr Guttmann als fast einzige lustige Figur des
       Stückes eine Art Zsupan [….]5

Alle drei Veranstaltungen waren ausverkauft. Anlässlich einer Reprise der „ZIGEUNERLIEBE“
im September gerät der Rezensent über die zukünftige Operndiva Jeritza in Verzückung: „Sie sang

3
  Ischler Wochenblatt, 31. Juli 1910
4
  Ischler Wochenblatt, 7. August 1910
5
  Ischler Wochenblatt, 14. August 1910
Heft 47, Dezember 2020                                                                                     7
Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...
die Zorika mit ihrer großen, herrlichen Stimme geradezu gottvoll.“6 Zu den von Meister Lehár persönlich
geleiteten Reprisen Mitte August berichtet das Ischler Wochenblatt:
        Er wurde bei seinem jeweiligen Erscheinen am Dirigentenpult mit einem Musiktusch begrüßt und
        mußte speziell am ersten Abend wohl ein Dutzendmal nach Schluß des II. Aktes [,DER GRAF VON
        LUXEMBURG‘, Anm.] mit den Hauptdarstellern vor die Rampe treten und die stürmischen
        Beifallsbezeigungen des ob seiner persönlichen hinreißenden Leitung enthusiasmierten Publikums nebst
        Blumenspenden entgegennehmen.7

LETZTE OPERETTEN VOR DEM KRIEG: „EVA“ UND „ENDLICH ALLEIN“
Als einzige der drei zuletzt besprochenen Operetten schaffte es lediglich „DER GRAF VON
LUXEMBURG“ in den darauffolgenden Sommer des Jahres 1911. Der Regent jenes Sommers
hieß Georg Jarno, Bruder des Schauspielers, Theaterautors und Direktor des Theaters in der
Josefstadt Josef Jarno. Seine der berühmten Soubrette Hansi Niese auf den Leib geschriebenen
Operetten „DIE FÖRSTERCHRISTEL“ und „DAS MUSIKANTENMÄDEL“ beherrschten den
Ischler Spielplan. Außerdem debütierte ein bislang nur in der Kabarettszene bekannter
ungarischer Komponist in Ischl: Emmerich Kálmán mit seinem Operettenerstling „DAS
HERBSTMANÖVER“. Auch er sollte einer der Hauptprotagonisten der sogenannten „Silbernen
Operettenära“ werden und ein treuer Stammgast Bad Ischls.
Erst im darauffolgenden Sommer des Jahres 1912 war Franz Lehár – mittlerweile glücklicher
Ischler Hausbesitzer – wieder in aller Munde: Noch vor der Premiere seiner Operettenneuheit
                                   „EVA“ stellte er in einer Konzertakademie am 10. August
                                   1912 im großen Kurhaussaal einen Ausschnitt daraus vor:
                                   [….] dann dirigierte Leo Ascher aus eigenen Werken, mit u. a. Grete
                                   Dierkes, [….] worauf der Lieblingskomponist Meister Lehár, mit
                                   Enthusiasmus wie wohl selten ein Künstler vom Publikum empfangen,
                                   im Orchester auftauchte und a) ‚Sturmszenen‘, b) ‚Zigeunerfest‘ aus
                                   ‚GIPSY LOVE‘8, dann Walzerszene aus ‚EVA‘ dirigierte. Erstere
                                   Kompositionen, voll hinreißendem Feuer in ihrer typischen,
                                   melodiösen Gestaltung, sind Fragmente aus der englischen Aufführung
                                   der ‚ZIGEUNERLIEBE‘, die auch der deutschen Urform dieser
                                   herrlichen Operette einverleibt werden sollen. Der Erfolg Herrn Lehárs
                                   mit den hier gebotenen neuesten Schöpfungen war ein sensationeller,
                                   jubelnden und nichtendenwollenden Beifall auslösender, an dem
                                   übrigens auch das Orchester für die brillante Lösung seiner nicht
                                   geringen Aufgabe partizipieren konnte.9

                                        Der neue Ischler Theaterimpresario hieß Ludwig Stärk,
                                        Regisseur am Theater in der Josefstadt und ab Herbst im
                                        Theater an der Wien und außerdem Präsident des
                                        österreichischen Bühnenvereins. Lehárs „EVA“ unter der
                                        Leitung des Komponisten war als Festvorstellung an Kaisers
Ludwig Stärk.                           Geburtstag, dem 18. August 1912, traditionellerweise

6
  Ischler Wochenblatt, 11. September 1910
7
  Ischler Wochenblatt, 21. August 1910
8
  „Gipsy Love“ war der Titel der englischen Bearbeitung der Operette „Zigeunerliebe“, welche am 1. Juni 1912
am Londoner Daly’s Theatre Premiere hatte, und für welche Lehár starke Eingriffe machen musste.
9
  Ischler Wochenblatt, 18. August 1912
Leháriana                                                                                                      8
Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...
Höhepunkt der Ischler Saison, angekündigt. Schauplatz der neuesten Schöpfung Lehárs ist eine
Glasfabrik und die Handlung spielt im Arbeitermilieu, ein Fabriksmädel steigt zur Pariser
Lebedame auf – nicht unbedingt die ideale Wahl für den allerhöchsten Anlass. Dennoch äußerte
sich die Kritik durchwegs positiv: Lehár empfing im ausverkauften Haus „ein Musiktusch und
stürmischer Applaus“, die Musik „bedeutet eine hervorragende Probe seines Genies“ und wird
„übereinstimmend zu dem Reichsten gezählt, was Lehar bisher geschaffen und gilt dies
insbesondere auch für die Orchestrierung des Werkes“. In den führenden Rollen waren wieder
einmal Künstler des Theaters an der Wien zu Gast: Grete Timar und Ludwig Herold. „Es gab
Hervorrufe, Beifall und Blumen in reicher Fülle und mußten sich Meister Lehar und die
Hauptdarsteller wiederholt auf der Bühne zeigen“10. Die Operette war ein großer Erfolg und hielt
sich noch bis zum Sommer 1914 auf der Ischler Bühne.

Noch einmal in jenem Sommer 1912 war Lehár im
Zentrum der Aufmerksamkeit: Unter der Leitung
des           „Lieblingskomponisten             unseres
Sommerpublikums Herrn Franz Lehár“ standen die
vereinigten Orchester des Theaters und der
Kurmusik (zwei unter verschiedener Leitung
stehende getrennte Klangkörper) auf der Bühne des
Kurtheaters anlässlich einer Wohltätigkeitsver-
anstaltung zu Gunsten des Österreichischen
Bühnenvereins. Es
        steigerte sich der Beifall zum Enthusiasmus für
        Herrn Franz Lehár, als er sein reizendes
        Jugendwerk, den italienischen Walzer ‚Die schöne
        Polarin‘, wie die neue vollendet schöne
        Komposition ‚Zigeunerfest‘ aus der englischen
        Bearbeitung von ‚ZIGEUNERLIEBE‘ mit
        hinreissendem Temperament dirigierte.11

In der zweiten Abteilung begleitete Lehár noch Sängerin Timar am Klavier bei eigenen Liedern.
Im Winter 1912/13 war Lehár höchst erfolgreich in einem etwas anderen Unterhaltungsgenre:
dem Kabarett, das u. a. im kleinen Souterrain-Theater unter dem Theater an der Wien gepflegt
wurde. Dort hatte Anfang Dezember der Einakter „ROSENSTOCK UND EDELWEISS“ nach
einem Text des jüdischen Librettisten Julius Bauer Premiere. Das jüngste Lehársche Zwei-
Personen-Stücks war eine Parodie auf einen jüdischen Wiener Kaufmann als Alpentourist
(Rosenstock), der in Ischl (!) auf eine junge, naive Almbäuerin (Edelweiß) trifft, woraus sich
spaßige Missverständnisse und Verwicklungen ergeben, es wird „teils gejüdelt, teils gejodelt“ –
sozusagen eine „Sommerfrischen-Operette“12. Die Rolle des Rosenstock war dem geeichten
Ischler Kur- und Theatergast Heinrich Eisenbach auf den Leib geschrieben, ein damals äußerst
populärer Schauspieler, Komiker und Kabarettist. Er hob das Werk in Wien und Bad Ischl aus der
Taufe:

10
   Ischler Wochenblatt, 25. August 1912
11
   Ischler Wochenblatt, 1. September 1912
12
   Fink, Iris/Knie, Roland: Überlandpartie! Kabarett auf Sommerfrische, Wien 2018, S. 273
Heft 47, Dezember 2020                                                                        9
Heft 48 / Juni 2021 60 Jahre Lehár Festival Bad Ischl "Lieblingskomponist unseres Sommerpublikums". Franz Lehár im Spiegel des Ischler ...
Herr Eisenbach hat sich an witziger Komik und im parodistischen Gstanzlvortrag und Tanz seines
        jüdelnden Salontirolers selbst überboten. [….] Die Musik des gefeierten Komponisten Franz Lehár ist
        graziös hingeworfen und ergeht sich namentlich in recht liebenswürdigen Gesangsnummern.13

Der Grundstein für die nächste Operette wurde noch in jenem Sommer 1913 in Bad Ischl gelegt.
Gemeinsam mit dem Journalisten und Librettisten Alfred Maria Willner, mit dem Lehár seit
„GRAF VON LUXEMBURG“ eine erfolgreiche Zusammenarbeit verband, wurde das Werk mit
dem späteren Titel „ENDLICH ALLEIN“ für das Theater an der Wien im Café Esplanade
entworfen. Auch der zweite Autor der Operette, Robert Bodanzky, konnte gleich hinzugezogen
werden, zumal er ebenfalls seit 14. August in Ischl weilte. Der Plot – in den Schweizer Bergen
angesiedelt – mochte von der Salzkammergutlandschaft inspiriert gewesen sein und ähnelt stark
einem Filmskript: Ein verliebter, als Bergführer verkleideter Attaché, Baron Hansen, und eine
reiche Amerikanerin, Dolly Doverland, wagen den Aufstieg in die Bergwelt und sind gezwungen,
auf dem Gipfel die Nacht zu verbringen. Der ganze zweite Akt spielt auf einem Felsplateau und
gab Lehár Gelegenheit, musikdramatisch alle Register zu ziehen und sich mit diesem Experiment
weitgehend der „Schlageroperette“ zu entfernen. Lehár bekannte selbst in einem Interview im
Jahre 1918, mit diesem Werk unbetretene Pfade gesucht zu haben und den Rahmen der
landesüblichen Operette gesprengt zu haben.14 Apropos Film: Die Lehár-Operette und der noch
in den Kinderschuhen steckende (Stumm-)Film gingen sehr bald eine Liaison ein, im Jahr 1913
waren bereits „DER GRAF VON LUXEMBURG“ und „DIE LUSTIGE WITWE“ verfilmt!

Die Wiener Premiere von „ENDLICH ALLEIN“ am 30. Jänner 1914 war ein mittelmäßiger
Erfolg. Die Sommersaison in Bad Ischl konnte sich trotz der tragischen politischen Umstände bis
zum Ende des Monats Juli fast „normal“ entwickeln. Die 4. und letzte Operettenpremiere vor der
kriegsbedingten Schließung des Theaters galt Lehárs neuester Schöpfung, am 24. Juli 1914, fünf
Tage bevor Kaiser Franz Joseph Bad Ischl für immer verließ. Die schwierigen Partien des Baron
Hansen und der Dolly Doverland wurden durch Künstler aus Berlin bestritten: Kammersänger
Kurt Frederich und Leonore Strunk, deren Ischler Auftritt ihr zu einem Engagement an das
Johann-Strauß-Theater in Wien verhalf. Von einer „Sensation für unser Kurtheater“ und einem
„künstlerisch wie glänzendem äußeren Erfolg“ sprach das Ischler Wochenblatt.
         Eine ganze Fülle von liebenswürdigen, wunderschönen und feinen Nummern ist in derselben [Operette,
         Anm.] enthalten, gleich reizvoll in Form und Ausführung. Dabei mutet diesmal des genialen und
         populären Komponisten wunderbar klingende, herrlich orchestrierte Musik an mehreren Stellen und
         namentlich im zweiten Akt ganz opernhaft an. Die Aufführung war eine wirklich vorzügliche. [….]
         Die Sensation des Abends bildete aber Meister Lehár am Dirigentenpult, von wo aus er nach den
         Aktschlüssen auf der Bühne erscheinen mußte, um rauschende Ovationen und einen mächtigen
         Lorbeerkranz entgegenzunehmen.15

Lehár stellte sich im ersten Kriegssommer noch in den Dienst der patriotischen Sache und fand im
Johann Strauß-Freund, Journalisten und Verfasser bekannter Operettenlibretti Ignaz Schnitzer,
auch er ein langjähriger Sommergast Ischls, einen Mitstreiter. Am 23. August 1914 druckte das
Ischler Wochenblatt das Kriegslied „Steht auf zum Kampf, Ihr Braven!“ der beiden Künstler ab,
welches von Fritz Werner unter der Leitung von Lehár am 18. August in einer Wohltätigkeits-
Akademie mit populären Kräften wie Hansi Niese und André Hummer aufgeführt wurde. Eine

13
   Ischler Wochenblatt, 20. Juli 1913
14
   Neues Wiener Tagblatt, 31. März 1918, zitiert nach: Schneidereit, Otto a. a. O., S. 158
15
   Ischler Wochenblatt, 26. Juli 1914
Leháriana                                                                                               10
Augenzeugin beschrieb die patriotische
Wirkung des Kriegslieds in einem Artikel am
Ende der Saison 1914: „Herr Fritz Werner sang
das tiefergreifende Lied mit voller Kraft und
brachte es zur vollsten Geltung. Lehár
dirigierte. Ein Sturm der Begeisterung
durchbrauste den Saal, Thränen glänzten in
vielen Augen. Zum Schluß erhob sich das
Publikum und sang den Refrain mit. Es war ein
unvergeßlicher Augenblick!“16 Zwei Tage
zuvor war in einem Konzert des Kurorchesters
das Marschlied „Jung Österreich Ungarns
stolze Wacht“, ebenfalls von Schnitzer/Lehár
aufgeführt worden. Wenige Monate später
jedoch legte sich Lehárs Kriegsbegeisterung
bereits, wie in seinem verzweifelten
„Reiterlied 1914“ nach dem Text des noch in
den ersten Kriegsmonaten gefallenen Hugo
Zuckermann und vor allem in seinem
tragischen als ‚Frauenlied‘ bezeichneten „Ich Titelblatt des Liederzyklus "Aus eiserner Zeit".
hab‘ ein Hüg‘lein im Polenland“ (Text: Karl Dankwart Zwerger), beide aus dem Liederzyklus
„Aus eiserner Zeit“, erkennbar.

Im Sommer 1915 gelang es Direktor Stärk, den Theaterbetrieb unverändert aufrecht zu erhalten.
Die Bilanz: 29 Operettenabende (darunter „ENDLICH ALLEIN“ und „DER RASTELBINDER“),
33 Lustspiel-, Komödien und Schwankabende. Einer der Höhepunkte der Saison war ein Lehár-
Konzert des Wiener Tonkünstler-Orchesters unter der Leitung von André Hummer im großen
Kurhaussaal am 4. August 1915. Zur Aufführung gelangten Ausschnitte aus Lehárs Operetten,
frühe Kompositionen wie eine Fantasie für Violine und „Leháriana“, ein Potpourri über des
Meisters Bühnenwerke, zusammengestellt von André Hummer.
Der 1. Weltkrieg, der Tod des Kaisers, sowie das Ende der Monarchie haben das blühende
Theaterleben der Kurstadt ab 1916 jäh zu einem Stillstand gebracht. Nie wieder in den folgenden
Jahrzehnten konnte an diese Blütezeit des Theaters angeknüpft werden, die Vielfalt des Angebots
und der Aufwand an populären Gastkünstlern wurde nie mehr auch nur annähernd erreicht.
Ebenso wie Wien durch die genannten Schicksalsschläge seine Vorreiterrolle als intellektuelles
und künstlerisches Zentrum Europas einbüßte, wirkte sich dies auch auf Bad Ischl, in Sachen
Theaterkultur eine Art „Filiale“ Wiens, aus. Die über Jahrzehnte andauernde enge Verschränkung
von Wiener und Ischler Operettenpflege war durchtrennt und laut der Theaterchronistin Sandra
Leitinger17 kam erst 1931 mit „DAS LAND DES LÄCHELNS“ wieder eine Lehár-Operette in Bad
Ischl auf die Bühne.
Das Ischler Wochenblatt mit seinen detailreichen Theaterrezensionen wurde im September 1915
nach 43 Jahren eingestellt: Fast gänzlicher Ausfall von Inseraten, die Konkurrenz, u. a. durch die
Salzkammergutzeitung (Gmunden) und die Neuesten Nachrichten (Salzburg) sowie die schlechte
wirtschaftliche Lage zwangen die Herausgeber zu diesem endgültigen Schritt.

16
     Ischler Wochenblatt, 27. September 1914, Leitartikel von Hanna von Feld (Pseud.)
17
     Leitinger Sandra: Das Sommertheater Bad Ischl, Diplomarbeit Wien 2001
Heft 47, Dezember 2020                                                                         11
QUO VADIS, OPERETTE? – Eine Frage des Stils!
Wolfgang Dosch, Interview für „Das Orchester“ (Juni 2019)
(Originale ungekürzte Version)

Operette macht zu einem wesentlichen Teil meinen Beruf und mein Leben aus. Ich liebe sie.
Und ich mache sie – als Sänger, Schauspieler, Regisseur an verschiedenen Theatern in Deutschland
Österreich und der Schweiz, als Wissenschaftler und auch Professor an der MUK (Musik und
Kunst Privatuniversität der Stadt Wien) und als Leiter des dort beheimateten „Lehrganges für
Klassische Operette“. (Und natürlich auch als Generalsekretär der IFLG.)
Über Operette und ihren weiteren Weg nachzudenken bedarf zunächst einiger Klärung und einer
Bestandsaufnahme.

Operette. Was? Wie könnte ich die Kunstform „Operette“ definieren?
Ein Werk des musikalischen Unterhaltungstheaters, entstanden vor allem in der Zeit zwischen
1850 und 1950, das Dialoge, Gesangs- und Tanznummern aufweist, die zum größten Teil in
zeitgenössischen Tanzrhythmen stehen. Sie ist integraler Bestandteil, ein besonders schillerndes
Steinchen in dem vielfarbigen Mosaik unserer mitteleuropäischen Kultur. Wir schulden ihren
Autoren und Werken unsere liebende Reverenz. Sie haben uns viel zu sagen, ihre Mission war,
Menschen zu beglücken, ihre oftmals tragischen Lebensschicksale sind Teil unserer historischen
Wahrheit.

Welche Unterformen gibt es, welche Einteilungen der Kunstform?
Die Zeitspanne von etwa hundert Jahren, in denen die Operette ihre wesentliche Blüte hat,
könnte man einteilen in die Operette des 19. und des 20. Jahrhunderts, gleichbedeutend damit
könnte man auch die Einteilung in klassische und nachklassische Operette verstehen.
Ebenso gebräuchlich ist die Unterscheidung in eine goldene und eine silberne Operette, letztere
setzt man mit dem Jahr 1905 an, dem Uraufführungsjahr von „DIE LUSTIGE WITWE“. In dieser
sogenannten silbernen Operette mit ihrer so typisch jugendstilhaften Realitätsflucht und auch
Schablonenhaftigkeit sehen einige Wissenschaftler die eigentlich neue Operette, denn die
Operette davor erschienen ihnen noch Nachfahre der Komischen Oper.
Andere Wissenschaftler wiederum erachten diese Unterscheidung in Gold und Silber und die
darin enthaltene Abwertung der Zweiteren als eine aus der Gedankenwelt des Nationalsozialismus
entstandene. Dass der jüdische Librettist und Komponist Bernhard Grun, der das Glück hatte, die
Emigration in England überleben zu können, nach seiner Rückkehr nach Österreich
unaufgefordert und voll Verehrung und Liebe eine Franz Lehár-Biographie schrieb und ihr den
Titel „Gold und Silber“ gab, scheint diese These allerdings nicht zu unterstützen.
Abgesehen von diesen zeitlichen Einteilungen gibt es auch geografische Einteilungen. Diese
wiederum haben Einiges für und – naturgemäß – gegen sich. Man unterscheidet, nach dem Ort
ihrer Entstehung, hauptsächlich in eine Französische (i. e. Pariser), Englische, Spanische
(Zarzuela), eine Berliner und eine Wiener Operette. Letztere wiederum beinhaltet auch die
ungarische Operette, da diese Werke zur Zeit der damals noch existierenden kaiserlich-königlich
österreichisch-ungarischen Monarchie entstanden sind. Natürlich ist auch diese Einteilung nicht
ganz stichhaltig und natürlich unterscheidet sich die Musiksprache etwa Imre Kálmáns wesentlich
von der Leo Falls (der in Mähren geboren wurde).
Da aber auch nach 1918 und dem Zusammenbruch der Monarchie österreichische und ungarische
Operetten geschrieben wurden, unterscheiden manche Wissenschaftler wiederum eine
kakanische und nachkakanische Operette, was ich für ganz sympathisch halte.

Leháriana                                                                                    12
Einige Wissenschaftler wiederum können sich mit dieser sowohl kakanischen wie vor allem
nachkakanischen Operette nicht identifizieren, da sie ihnen als sentimental, kitschig, und ohne
gesellschaftliche Relevanz erscheint. Dies wiederum scheint mir jedoch symptomatisch für die
Bewertung des österreichisch(-ungarischen) Theaters im Allgemeinen durch Wissenschaftler
nördlich der Donau. Das sinnliche, barocke, märchenhafte, musikantische, illusionistische
Theater – und auch Leben – wird oftmals als unseriös belächelt und nicht für voll genommen. Ich
selbst, da nun einmal an der Donau und nicht an Spree oder Seine geboren, könnte mich der von
dem Politikwissenschaftler- und Journalisten Peter Scholl-Latour vorgeschlagenen geografisch-
nationalen Trennung in Pannonien und Germanien durchaus anschließen und würde sie auch als
weitere charmante Operetten-Unterteilung ansehen können. Vor allem aber scheint mir der
Begriff „Zentraleuropa“, den der Historiker Moritz Csáky für den Donauraum und die Länder der
ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie wählt, in bewusster Abgrenzung des durch
Deutschland geprägten „Mitteleuropa“-Begriffes, vor allem auch für die Wiener Operette sehr
plausibel. (Von Mortiz Csáky stammt auch eines der aufschlussreichsten und klügsten Bücher:
„Ideologie der Operette und Wiener Moderne: Ein kulturhistorischer Essay zur österreichischen
Identität“.)

Was sind die auffälligsten Unterscheidungsmerkmale einiger dieser Kategorien?
Ich könnte mich einerseits der These anschließen, dass die Operette des 19. Jahrhunderts, oder
eben bis zu „DIE LUSTIGE WITWE“ (1905) mehr oder weniger als Nachfolgerin der opèra bouffe
und der Komischen Oper angesehen werden kann, während die Operette danach, die von
manchen eben als die silberne bezeichnet wird, tatsächlich sowohl ästhetisch wie dramaturgisch
und musikalisch eine eigenständige neue Kunstform darstellt. Besonders diese Operetten sind
surreale Traumgebilde, die den Tanz auf dem Vulkan stilisieren, der Realitätsflucht fröhnen, die
Probleme wegsingen und über Abgründe hinwegtanzen, „ein Spiegelkabinett als Weltenspiegel“,
dem man mit Realitätsanspruch nur schwer beikommt, ebenso wenig allerdings wie auch mit
Travestie und Parodie.
Auffällig erscheinen mir auch die Unterscheidungsmerkmale, die sich aus dem Ort der Entstehung
ergeben: Die Französische bzw. Pariser Operette speist sich eher aus dem Cabaret, sie ist ein
Kunstwerk, das der Sprache mehr verbunden ist als der Melodie, wie es wohl das französische
Musiktheater – bedingt auch durch den Charakter der französischen Sprache - im Allgemeinen zu
sein scheint. Musikalisch dominiert in der Pariser Operette der spritzige 2/4-Takt, und auch der
¾-Takt ist hier nicht gefühlsschwanger, sondern eher pikant. Die theatralische Parodie und
Travestie, die Verspottung passen ideal zu diesem Stil. Die Zarzuela ist dominiert vom spanischen
musikalischen Idiom und Rhythmus, die Wiener Operette ist geprägt durch die jahrhundertelange
multikulturelle und -nationale Durchmischung der Stadt und Gegend und gibt sich dem dafür
typischen Lachen unter Tränen samt der ihr verbundenen Todessehnsucht voll Inbrunst hin,
ebenso wie donauabwärts die ungarische Operette unverkennbar und voll Überzeugung
magyarisch gefärbt daherkommt (und das natürlich auch vor und ohne Herrn Orbán).

Ist Berlin Kurt Tucholsky zufolge eine „Stadt der Texte“ und Wien eine „der Musik“, so scheint
mir das bei der Operette im Besonderen auffällig zu sein. Ebenso scheint mir das Bonmot durchaus
zutreffend, dass man in Biergegenden bei Blechmusik bierernst im 4/4-Takt marschiert und sich
lautstark „die Berliner Luft“ - „mir kann keener!“ - um die Nase wehen lässt, während man in
einer Weingegend sich den Himmel voller Geigen hängen lässt und im ¾-Takt „weinselig“ wird

Heft 47, Dezember 2020                                                                        13
– „Mich können’s alle!“ So feuilletonistisch wie meines Erachtens durchaus charakteristisch.
(Unterscheidungen, die ich als beinahe „natürliche“ Tatsachen und nicht als Wertungen verstehen
möchte.)

Operette. Jetzt?
Quo vadis – von wo aus? Wie stellt sich mir der „Ist-Zustand“ der Operette zu Beginn des 21.
Jahrhunderts dar?
Theater: Ich glaube, dass in Frankreich und in Österreich immer noch (!) eine etwas engere
Verbindung zu der Kunstform besteht als in Deutschland. Einschränkend möchte ich feststellen,
dass in Ostdeutschland durch die Abgeschlossenheit der DDR und aus verschiedenen anderen
Gründen ebenfalls ein Bewusstsein für die Operette erstaunlicherweise länger erhalten geblieben
ist als im Westen Deutschlands. Wohl auch durch die Pflege der Kunstform an großen
Spezialtheatern der DDR in Berlin, Dresden und Leipzig, die glücklicherweise zum Teil immer
noch mit ihren hochspezialisierten Ensembles bestehen, während bundesrepublikanische und
nachfolgend auch österreichische spezialisierte Operettentheater wie das Raimundtheater bereits
in den 1980er-Jahren zerschlagen bzw. die Operettenpflege durch verschiedene
besetzungspolitische Erwägungen und Inkompetenzen immer fragwürdiger wurde. Insofern ist
                                                  Vieles an im positiven Sinne theatralisch
                                                  gelebter     stilistischer   Aufführungspraxis
                                                  unwiderruflich verloren gegangen. Als kleiner
                                                  Trost gilt mir, dass dies sich auch in anderen
                                                  Bereichen des Musiktheaters (wie der
                                                  Italienischen Oper) schmerzlichst bemerkbar
                                                  macht.
                                                  Gaben früher an den spezialisierten Theatern
                                                  die großen „alten Clowns“ den Trick an die
                                                  nächste Generation weiter, so ist dies heute
                                                  unmöglich: Denn einerseits gibt es diese
                                                  Theater nicht mehr, andrerseits werden nicht
Lehrgang Klassische Operette 2016/17 mit Rudolf   mehr Fächer engagiert, sondern einfach
Bibl und Helga Papouschek.                        Stimmen. Darüber hinaus schrumpft die
Anzahl der Theater und der Ensembles ebenso wie die Anzahl der Premieren. So kommt es zu
ewigen Wiederholungen einer immer kleineren Anzahl sogenannter bekannter Stücke mit
Ensembles, die maximal brauchbar sind, aber nicht die für die Operette nötige Raumverdrängung
und eben Starqualität besitzen, derer die meisten Operetten aber lebensnotwendig bedürfen.

Interpretation. Musikalisch.
Wie auch in der Italienischen Oper und etwa auch in der Wagner-Interpretation scheint in den
1970er-Jahren ein Schnitt in der Aufführungspraxis und -tradierung stattgefunden zu haben. In
der Operette waren es wohl einige gutmeinende Bearbeiter und Arrangeure, die glaubten, die
Operette durch (damalige) Heutigkeit in ein neues Zeitalter retten zu müssen. So gutgemeint
diese Produktionen auch gewesen sein mögen, so – zumindest nach unserem heutigen Empfinden
– entstellend wirkten sie sich oft auf die Werke aus. Zumeist erweist sich die aktuelle Bearbeitung
bereits nach wenigen Jahren altmodischer als das Original.
Mir scheint vor allem eine musikalisch-stilistisch informierte Aufführungspraxis der Operette von
dringendster Notwendigkeit. Ebenso wie es heute selbstverständlich ist Monteverdi nicht wie
Verdi zu interpretieren, muss es auch sein Lehár nicht wie Brahms, aber auch Robert Stolz nicht

Leháriana                                                                                       14
wie Johann Strauss zu musizieren. Dieses musikalische Stilbewusstsein ist mir ein besonderes
Anliegen. So scheint es mir unabdingbar, dass auch und ganz selbstverständlich in der Operette
wohlausgebildete, geschmackvolle Dirigent*innen und Musiker*innen am Werke sind, die sich
mit der nötigen Elastizität, Sensibilität, dramatischen Pranke und Leidenschaft, der Erfahrung in
Instrumentation dieser speziellen unterhaltenden Tanz- und Theatermusik ernsthaft widmen und
nicht selbsternannte Gutmeiner und Ernstnehmer, die dann letztlich doch wieder das nicht
künstlerisch entsprechende Maß an diese Musik anlegen und Operette zum sinfonischen Brei
hochstilisieren.
Natürlich betrifft dies auch die Sänger*innen und Darsteller*innen, die versiert und mutig im
Umgang mit den für die so unterschiedlichen musikalischen Anforderungen der Kunstform
nötigen stilistischen und technischen Mitteln sind. Grundsätzlich erstrebenswert erscheint mir ein
musikalisches Herangehen an die Operette sehr ähnlich zu dem an die sogenannte Alte Musik. In
beiden Fällen bedarf es stilistischer und technischer Informiertheit und Brillanz, Fantasie, Mut und
Freiheit, denn in beiden Fällen handelt es sich in den meisten Fällen um Tanzmusik oder zumindest
tänzerische Musik, die swingen muss. Die meisten Operetten bedienen sich unterschiedlichster
Tanzrhythmen, der Walzer ist reine Rubato-Musik, der Csárdás ist magyarische Zigeunermusik,
die frei phrasiert werden muss und also schwer dirigentisch zu vermitteln ist. Überwältigend viele
Operettenkomponisten waren noch dazu jüdisch und ließen an vielen Stellen auch dieses Idiom
mehr oder weniger versteckt in ihre Musik einfließen.

Interpretation. Szenisch.
Die Operette ist eine Kunstform, die mit ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen und auch
mit ihren Rollenfächern ein breites Spektrum an musikdramatischer Darstellung zwischen Cabaret
und Boulevardschauspiel, großer Oper und Akrobatik verlangt. Die Werke sind geschrieben für
Bühnenkünstler*innen, die über diese Fähigkeiten exzellent verfügen und darüber hinaus noch
das gewisse Etwas mitbringen, das einen magischen Theaterabend möglich macht. Operetten sind
Starvehikel. Leider ist es sehr schwierig Stars zu machen und heutige Bekanntheiten findet man
eher in Dschungelcamps oder auf Kabarett-Bühnen und diese sind für die meisten Operetten eher
untauglich. Das Engagement mag den Kartenverkauf steigern, aber zweifellos zumindest das
musikalische Niveau senken.

Interpretation. Regie.
Es scheint mir, dass auch in der Operette die Regie im Vergleich zur musikalischen Interpretation
überdurchschnittlich mehr Aufmerksamkeit erhält. Das führt einerseits zur weiteren
Vernachlässigung der musikalischen Stilistik und Kunst und andererseits zu oft unsinnlichem und
unsinnigem Konzepttheater, bei dem das Programmheft oft spannender und unterhaltender ist als
die Aufführung selbst.
Jeder Operettenregisseur steht selbstverständlich vor der Herausforderung, eine neue Spiel- und
Textfassung zu erstellen. Um dies zu tun bedarf es aber wie auch bei der musikalischen Leitung
dringend stilistischer Informiertheit. Ich denke, auch hier ist es verpflichtend, zunächst sorgsam
die Quellen zu studieren, sich mit Aufführungsmaterialien vertraut zu machen, das Werk in seiner
Entstehungszeit und dem Umfeld seiner Entstehung zu begreifen. Die Erstellung einer eigenen
Spielfassung hat nach diesem Quellenstudium im Wissen um Ästhetik und Stil des Werkes zu
erfolgen. Für mich sind die meisten Operetten Theater ihrer Zeit, einer Zeit, mit der wir immer
noch zu tun haben, Werke, die in unterschiedlicher Art und Dringlichkeit ihrer Zeit einen Spiegel
vorhalten. Eben „Spiegelkabinett als Weltenspiegel“. Das bedarf bei Offenbach anderer Mittel als
bei Strauss und bei Kálmán anderer als bei Suppè, das ist eben eine Frage des Stils - und der

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Dimension der Musik. Travestie und Parodie passt zu „LA GRAND DUCHÈSSE DE
GEROLSTEIN“ besser als zum „ZIGEUNERBARON“ – und in beiden Werken geht es ums
Militär. Eine eindeutig und sehr realistisch im Ersten Weltkrieg entstandene und verortete
„CSÁRDÁSFÜRSTIN“ ist ein anderer Kosmos als etwa „GRÄFIN MARIZA“, die sich 1924
einerseits ganz bewusst „operettenhaft“ aber auch „traum-haft“ mit der kakanischen Vergangenheit
auseinandersetzt. Wenn im Uraufführungsjahr 1924 gesungen wurde „Komm‘ mit nach Varasdin,
dort ist die ganze Welt noch rot-weiss-grün!“, dann rief dies beim Publikum wohl zumindest ein
melancholisches Lächeln hervor. Denn seit 1918 gab es die kakanische Monarchie nicht mehr und
Varasdin war damals nicht mehr bei Ungarn, sondern eine kroatische Stadt. Die Titelheldin ist
Rumänin, der Buffo Ungar, das Komikerpaar aus Böhmen und der Tenor natürlich aus Wien – in
der „GRÄFIN MARIZA“ ist die gesamte Monarchie auf der Operettenbühne. Das bedarf meines
Erachtens unterschiedlicher dramaturgischer und musikdramatischer ästhetischer Konzepte.

„Quo vadis“ Operettenregie? Selbst Regisseur, möchte ich eher ein wenig bescheiden sein und
unseren Berufsstand nicht allzu überbewertet wissen. Operetten sind sehr fragil und
Operettenregie ist ein sehr eigenes und diffiziles Gewerbe: Man sollte konzeptionell und
dramaturgisch sattelfest sein, man muss mit Sänger*innen schauspielerisch präzise an Figuren,
Beziehungen und Situationen arbeiten, man muss den großen Apparat können, das heißt auch mit
Gruppen (Chor, Ballett, Kleindarsteller*innen) individuell und auch choreografisch motivierend
und disziplinierend arbeiten, man muss eine Geschichte leidenschaftlich erzählen wollen und
können, innerhalb eines ästhetischen und dramaturgischen Konzeptes und man muss Mut zu
großen Emotionen haben. Das ist viel auf einmal, das kann man nicht beim ersten Mal, da rutscht
ein Aspekt weg, da bekommt ein anderer Aspekt ein überdimensionales Gewicht und zerstört
Proportionen, da übertüncht ein Konzept ein Werk. Nicht jede Schauspielregisseur*in kann mit
dem Chor arbeiten, nicht jede Choreograf*in kann Dialogszenen bauen, nicht jede
Opernregisseur*in hat die leichte Hand für Buffoszenen. Operette ist speziell. Ich glaube, dass es
Operetten-(Fach-)Leute braucht.

„Quo vadis“ – es wird ganz selbstverständlich hinreißende, wunderbare Aufführungen geben, ich
hoffe, es werden mehr und mehr! Selbstverständlich muss man gewappnet sein, dass eine
Aufführung (auch eine eigene!) grausam an den Baum geht. Bei Operetten passiert das viel leichter
als bei einer großen Oper oder einem Musical …

Der Stand der Dinge im Bereich der Operettenproduktion stellt sich für mich derart dar:
Es wird viel behauptet und wenig gesagt, noch weniger hat Hand und Fuß. Das Wissen um Werke
und deren Aufführung ist sehr weit weg von uns. Und vor allem von sogar gutmeinenden
Verantwortungsträger*innen. Der Werke-Kanon, die Kenntnis des Repertoires und der
Autor*innen, der Quellenlage ist sehr unbefriedigend. Es werden Werke ausgewählt, die man
nicht kennt, Besetzungen zusammengestellt, die zu anderen Werken passen, musikalische
Einstudierungen gemacht, ohne jemals recherchiert und sich stilistisch informiert zu haben, es
wird in vielen Fällen großspurig ernstgenommen bis zum Todesfall eines Werkes.
Auch manche tönende und doch tönerne (Operetten-)Expert*innen haben zwar ihre Meinung,
aber nicht unbedingt Recht. Die Situation an den meisten Stadt-, Landes- und Staatstheatern stellt
sich für mich maximal gutgemeint, mehrheitlich aber uninformiert und uninspiriert dar.
Relevant erscheint mir persönlich die Operettenpflege am Gärtnerplatztheater durch den
erfahrenen Theatermann Josef Köpplinger. Erfolgreich und nicht genug zu bedanken ist für mich
auch der Einsatz für die Kunstform durch Barry Koskie und seiner Komischen Oper, der der

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großstädtischen Operette der 1920er- und 1930er-Jahre das gibt, was ihr eigen ist. Koskie hat
dadurch volle Häuser und er entriss Werke der Vergessenheit! Die Bearbeitungen der Komischen
Oper sind Kinder des Heute und werden uns vermutlich bald als „gestrig“ erscheinen, so wie das
zumeist der Fall mit Bearbeitungen war. Aber der große Verdienst bleibt, Einzelwerke mit allem
Theaterkönnen und aller Passion und vor allem völlig undidaktisch und nicht pseudo-
intellektualistisch einem Großstadtpublikum schmackhaft gemacht und also die Kunstform am
Leben erhalten zu haben.

Komische Oper: Paul Abraham „BALL IM SAVOY“ mit Katharina Mehrling.

Quo vadis Operette im Theater? Diese erwähnten Leuchtturmproduktionen an der Komischen
Oper öffnen ein neues Bewusstsein für alte Werke, speziell in und für Berlin. In kleineren Städten
wie etwa Köln klappte das Rezept weniger gut. In Stadt-, Landes- und Staatstheatern bleibt der
Operetten-Weg Glückssache. Leider ist es Tatsache, dass diese Diagnose auch für den Zustand
der Operette an der Wiener Volksoper zutrifft. Ich möchte hoffen, dass ein neues stilistisches,
ästhetisches Bewusstsein bei Interpret*innen im Orchestergraben und auf der Bühne wieder
lebendig wird. Wenn ich auch fürchte, dass der Weg zu einer tatsächlich stilistisch relevanten
Interpretation weit ist. (Wobei zugegeben werden soll, dass an diesen Theatern auch früher nicht
immer als Gold war, wo Operette draufstand.) Die Neubesetzung der Intendanz der Volksoper
und damit zusammenhängend der anderen (Leitungs-)Positionen des größten österreichischen
Theaters, dessen Kernkompetenz hier selbstverständlich Operette zu sein hat, wirft ein eher

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