Hintergründe und praktische Impulse für die Arbeit mit Jugendlichen - Prof. Dr. Janine Trunk HSD Hochschule Döpfer, Köln Fachbereich Psychologie ...

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Hintergründe und praktische Impulse für die Arbeit mit Jugendlichen

                         Prof. Dr. Janine Trunk
                     HSD Hochschule Döpfer, Köln
                       Fachbereich Psychologie

                        Workshop in Essen, 22.01.2018
Selbstverletzendes Verhalten

Selbstverletzendes Verhalten (SVV) ist die direkte und offene Verletzung oder
Beschädigung des eigenen Körpers, die nicht sozial akzeptiert ist und die nicht
mit suizidalen Absichten einhergeht.
(nach Petermann & Winkel, 2009; Petermann & Nitkowski, 2015)

     Arme, v.a. Unterarme und Handgelenke
     Beine, v.a. Unterschenkel
     Bauch
     Kopf, Gesicht
     Brust
     Genitalbereich                                                             Nock (2010)

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Selbstverletzendes Verhalten

•   Schneiden mit scharfen Gegenständen
•   Gegen die Wand schlagen
•   Mit Scherben die Haut einritzen
•   Wiederholtes Kopfschlagen
•   Ins Gesicht schlagen
•   In die Augen bohren
•   Beißen/Zwicken/Klemmen in Hände, Lippen oder andere Körperpartien
•   Aufkratzen der Haut
•   Verbrühungen
•   Sich mit Zigaretten, Bügeleisen u.a. Verbrennungen zufügen
•   Extremes Nägelkauen, Abbeißen von Fingerkuppen
•   Chemische Substanzen oder Gegenstände schlucken usw.

                                                               Rauber, Hefti, In-Albon & Schmid (2012)

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Epidemiologie

  25 % der Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse haben sich schon einmal
  vorsätzlich selbst verletzt.
  Davon setzen 4 % SVV als Problembewältigung regelmäßig um

  Prävalenz in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird auf 40 – 60 % geschätzt

                                                                       Deutschland zählt in Europa zu den
  Einstiegsalter: 14 Jahre                                             Ländern mit der höchsten Prävalenz

  Höhepunkt: zwischen 14 und 18 Jahren

  Je früher das Einstiegsalter, desto ungünstiger die Prognose
(Brunner et al., 2007; Rauber et al., 2012; Brunner & Schmahl, 2012; Plener et al., 2012; Resch, Parzer, Brunner & the
BELLA study group, 2008)
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Funktionen von SVV. Oder:
 Man kann nicht nicht kommunizieren!

               Selbstregulation                                 Soziale Aufmerksamkeit
 Ausdruck, Kontrolle und Regulation                     Zuwendung von Bezugspersonen
 von Gefühlen
 Erleichterung, Beruhigung,                             Regulation von Nähe und Distanz
 Entspannung
 Abnahme von innerem Druck                              Gruppenzugehörigkeit
 Glücksgefühle                                          manipulativ, um z.B. geschont, nicht
                                                        kritisiert zu werden
 Selbstbestrafung
 Selbstfürsorge
 Identität                                                                         Vgl. Entwicklungsaufgaben
Petermann & Winkel (2009; 2015); Nock, (2010); Rauber et al. (2012)                      im Jugendalter!

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Die üblichen Verdächtigen?

 • Psychische Erkrankung eines Elternteils
 • Trennung der Eltern
 • Arbeitslosigkeit
 • Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit
 • Somatische Beschwerden
 • Depression
 • Aggressivität
 • Ängste
 • Alexithymie
 • Geringer Selbstwert
 • Selbstabwertung
 • Hoffnungslosigkeit
                                                                    Fliege et al. (2009)

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Modell zum SVV bei Jugendlichen (n. Petermann & Winkel, 2009)
 K                biologische                                      psychosoziale
 I              Einflussfaktoren                                  Einflussfaktoren
 N
 D
 H               Ungünstige sozio-emotionale Entwicklung und Problemlösefähigkeit,
 E                    negative Selbstannahmen, niedriger Selbstwert, geringe
 I                                  Selbstwirksamkeitserwartung
 T

           Hormonelle                                         Akute emotionale Belastung
 J        Veränderungen
 U                                                                    Lerneinflüsse
 G                                       SVV
 E                                                                 Zufällige Einflüsse
 N
 D

                   Kurzfristig verstärkende
                                                    Langfristig negative Konsequenzen
              aufrechterhaltende Konsequenzen
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Was sind Frühwarnsignale?

 • Tragen von langärmeliger Kleidung auch im Sommer und beim Sport

 • Weigerung bei Aktivitäten wie Schwimmen und Baden teilzunehmen

 • Weigerung, gemeinsame Wasch- und Umkleiden zu benutzen

 • Häufiges und lange andauerndes Einschließen im eigenen Zimmer oder im
   Bad

 • Heimliches Aufbewahren oder Mitführen von z.B. Rasierklingen, Messern,
   Scheren, Scherben, Nadeln, Bügeleisen, Kerzen, Zigaretten,
   Injektionsinstrumenten, Chemikalien (Schwefelsäure, Salzsäure)

 • Heimliches Aufbewahren von Utensilien zur Wundversorgung
   (wie z.B. Desinfektions- und Verbandmaterial)
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Was sind Frühwarnsignale?

 • Verletzungen, Verbrennungen, Kratzer und Narben, für die es keine
   plausible Erklärung gibt
  meist an für die Person leicht zugänglichen Körperstellen (vor allem
   Extremitäten)
  am nicht dominanten Arm sind Narben gehäuft, sie können aber auch
   beide Arme sowie Bauch, Brust, Beine, Genitalien oder das Gesicht von
   Narben übersät sein
  langsame und schlechte Heilung, weil die Betroffenen die Wundheilung
   stören
  Muster aus zahlreichen Schnitten in unterschiedlichem Grad der
   Abheilung

 • Bagatellisierung der Gründe für die Wunden, wie z.B. Folge von Unfällen
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Was tun?

 Dos                                          DON´Ts

 Empathie und Ruhe                            Aktionismus

 Akzeptanz der Person vermitteln, auch        Schock, Ablehnung oder Panik zeigen
 wenn das konkrete Verhalten nicht
 akzeptiert wird.
 Sorge des Umfeldes transparent machen        Ein Ultimatum stellen

 Individuelle Gründe für SVV versuchen        Zu viel Interesse zeigen (CAVE: soziale
 nachzuvollziehen                             Verstärkung!)
 Worte des Gegenübers für SVV                 Erlauben, dass Jugendliche sich über SVV
 verwenden                                    austauschen
 Bereitschaft zum Zuhören vermitteln          Über SVV vor anderen oder in der Klasse
                                              sprechen
                                              Schweigepflicht fest zusagen
                                                                             Plener et al. (2012)

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Was tun?

Verhaltensregeln zur Vorbeugung von „Epidemien“:

     Narben oder offene Wunden sollen nicht offen gezeigt werden. Auf
     entsprechende Kleidung ist zu achten.
     Blutende Schüler/innen verlassen den Unterricht.
     Vereinbarung von „EXIT“-Karten, die eine kurze Auszeit außerhalb
     des Klassenzimmers ermöglichen, wenn ein negativer affektiver
     Zustand nicht mehr ausgehalten werden kann (CAVE: Nur, wenn die
     Person sich allein stabilisieren kann, z.B. mit dem Einsatz von Skills).
     Die Kommunikation über SVV soll reduziert werden, da
     Mitschüler/innen dadurch das Verhalten für sich entdecken oder
     verstärken können.
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Was tun?

 - Ruhe bewahren

 - Wundversorgung

 - Eltern/Freund/innen informieren

 - Falls die Versorgung aus persönlichen Gründen schwerfällt:
   Betonen, dass es sich nicht um eine Ablehnung der Person
   handelt!! Trennung von Handlung (SVV) und Person
   (betroffene/r Jugendliche/r) wichtig!!

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Take Home Message

• SVV ist kein geschlechtsspezifisches Problem, keine Modeerscheinung und
  tritt unter allen sozio-ökonomischen Bedingungen auf

• Risikofaktoren reichen bis in die frühe Kindheit

• Auslöser sind meistens Überforderungserlebnisse (u.a. durch dysfunktionale
  Problemlösefertigkeiten) begünstigt durch rasche biopsychosoziale
  Veränderungen im Jugendalter

• SVV kommt kurzfristig v.a. eine emotionsregulierende Funktion durch
  Spannungsreduktion und Zurückerlangung von Kontrolle zu

• Langfristig werden keine funktionalen Problemlösefertigkeiten bei
  emotionaler Anspannung gelernt  Beibehaltung dysfunktionaler
  Bewältigungsstrategien

• Offener und unterstützender Umgang mit betroffenen Jugendlichen unter
  Aufzeigen von Grenzen
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Zugrundegelegte Literatur
American Psychiatric Association (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (5th ed.). Washington, D.C.: Autoren.
[deutsch: Falkai, P. & Wittchen, H.-U. (2014). Diagnostisches und Statisches Manual Psychischer Störungen (DSM-V). Göttingen:
Hogrefe].

Brunner, R. & Schmahl, C. (2012). Nicht-suizidale Selbstverletzung (NSVV) bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Kindheit und
Entwicklung, 21 (1), 1-5.

Brunner, R., Parzer, P., Haffner, J., Stehen, R., Roos, J., Klett, M. & Resch, F. (2007). Prevalence and psychological correlates of occasional
and repetitive deliberate self-harm in adolescents. Archives of Pediatrics and Adolescent Medicine, 161, 641-649.
Nock, M.K. (2010). Self-injury. Annual Review of Clinical Psychology, 6, 339-363.

Oerter, R. & Dreher, E. (2008). Jugendalter. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (6., vollst. überarb. Aufl., Kap. 8,
S. 271-332). Weinheim: Beltz.
Petermann, F. (2012). Selbstverletzendes Verhalten. Kindheit und Entwicklung, 21 (1), 1-4.
Petermann, F. & Winkel, S. (2009). Selbstverletzendes Verhalten – Erscheinungsformen, Ursachen und Interventionsmöglichkeiten. 2.
Auflage. Göttingen: Hogrefe.
Petermann, F. & Nitkowski, D. (2015). Selbstverletzendes Verhalten – Erscheinungsformen, Ursachen und Interventionsmöglichkeiten.
Göttingen: Hogrefe.

Preiß, D. (2008). Perspektiven für Mädchen bei selbstverletzendem und aggressivem Verhalten. Fachzeitschrift Aktion Jugendschutz, 44
(3),14-19.

Plener, P. L., Kaess, M. Bonenberger, M., Blaumer, D. & Spröber, N. (2012). Umgang mit nicht-suizidalem Verhalten (NSVV) im
schulischen Kontext. Kindheit und Entwicklung, 21 (1), 16-22.

Raithel, J. (2012). Die Bedeutung von Risikoverhalten im jugendlichen Entwicklungsprozess. In Landesstelle Jugendschutz
Niedersachsen (LJS), Jugend und Risiko. Handlungsansätze für die Suchtprävention (S. 7-13). Hannover: Hrsg.
Rauber, R., Hefti, S., In-Albon, T. & Schmid, M. (2012). Wie psychisch belastet fühlen sich Jugendliche mit selbstverletzendem
Verhalten? Kindheit und Entwicklung, 21 (1), 23-39. Walsh, B.W. (2006). Treating self-injury. New York: Guilford.
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Weiterführende Literatur

Ackermann, Stefanie (2002): Selbstverletzung als Bewältigungshandeln junger Frauen. 2. Auflage, Mabuse-Verlag.

Bergmann, Wolfgang (2004): Das Drama des modernen Kindes. Hyperaktivität, Magersucht, Selbstverletzung. 2. Auflage, Walter-
Verlag.

Bühler-Baumann, Lilianne (2004): Selbstverletzung in der weiblichen Adoleszenz. Funktionen selbstverletzenden Verhaltens und
Konsequenzen für die Soziale Arbeit. Edition Soziothek.

Levenkron, Steven (2001): Der Schmerz sitzt tiefer. Selbstverletzung verstehen und überwinden. 4. Auflage, Kösel-Verlag.

Petermann, Franz / Winkel, Sandra (2009): Selbstverletzendes Verhalten - Erscheinungsformen, Ursachen und Iterventions-
möglichkeiten. 2. Auflage, Hogrefe-Verlag.

Sachsse, Ulrich (2002): Selbstverletzendes Verhalten – Psychodynamik-Psychotherapie, das Trauma, die Dissoziation und ihre
Behandlung. 7. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht.

Schoppmann, Susanne (2003): „Dann habe ich ihr einfach meine Arme hingehalten" Selbstverletzendes Verhalten aus der Perspektive
der Betroffenen. Huber-Verlag.

Smith, Gerrilyn (2001): Selbstverletzung - Damit ich den inneren Schmerz nicht spüre... Ein Ratgeber für betroffene Frauen und ihre
Angehörigen. Kreuz-Verlag.

Tauber, Kristin (1998): Ich blute also bin ich: Selbstverletzung der Haut bei jungen Mädchen und Frauen. Centaurus-Verlag.

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Weiterführende Infos im Netz

SVV:
http://verstecktescham.de/svv
http://rotelinien.de/start.html
http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Haeufige_Probleme/s_3488.html

Borderline/SVV:
http://www.charite-psychiatrie.de/main/
patienteninformation/krankheitsbilder/borderline-persnlic.html
http://www.borderlinesyndrom.net/de/
http://www.uniklinik-freiburg.de/psych/live/patientenversorgung/ambulanzen/ambulanz-
borderline/ambulanz-borderline-kol/DBT_Infos.pdf
http://www.psychiatrie-aktuell.de/content/backgrounders/psychiatrie-aktuell.de/02_03_Seele.pdf
http://www.psychosoziale-gesundheit.net/seele/
borderline.html
http://www.borderline-borderliner.de/
http://www.borderline-plattform.de/
http://www.borderline-community.de/
http://www.borderline-angehoerige.de/
http://www.psychosoziale-gesundheit.net/pdf/Int.1-
Selbstverletzendes_Verhalten_lang.pdf
http://www.psychiatrie-aktuell.de/content/
backgrounders/psychiatrie-aktuell.de/02_03_Seele.pdf

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Bildquellen

Titel- Abschlussfolie von links nach rechts:
1.) https://www.jugendhilfeportal.de/typo3temp/pics/b26dfcd2b2.jpg
2.)
http://i303.photobucket.com/albums/nn160/natattack20/Depression_Isn__t_A_Fad_by_WhiteRab.j
pg
3.) http://www.bokelberg.com/stock-photos/336x224/Kind-blond-Glas-Pflanze-KINDER-Fisch-
42104.jpg
4.) http://www.lifeline.de/img/depression/origs115780/7256952450-w830-h830/depressives-kind-
maedchen-zusammengekauert-auf-der-couch.jpg

Folie 10/Zeitalter Depression, von links nach rechts:
1.) http://www.voelker-der-erde.de/voelker/image/alexander_der_grosse_1.jpg
2.) http://shakespeare.mit.edu/shake.gif
3.) https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cc/Galileo.arp.300pix.jpg
4.) http://www.kanopen.de/garten/assets/images/Seite_1_-_Napoleon.jpg
5.) http://www.historyplace.com/lincoln/lincpix/last.jpg
6.) http://www.planet-wissen.de/geschichte/adel/legendaere_sisi/ einemagische wirkung
   aufmaenner100~_v-gseagaleriexl.jpg
7.) https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/98/Pablo_picasso_1.jpg
8.) http://www.vfl-emslage.de/wp-content/uploads/2009/11/renke-500x276.jpg

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Kontakt
   Prof. Dr. Janine Trunk
   Klinische Psychologin

   Hochschule Döpfer
   Waidmarkt 3+9
   50676 Köln

   j.trunk@hs-doepfer.de

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Vielen Dank für Ihre
               Aufmerksamkeit

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