Historischer Bergbau als Ursache für eine Blei-Intoxikation bei einem Milchkalb - Fallbericht

 
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Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria                                       108 (2021)

Institut für Veterinärmedizinische Untersuchungen Innsbruck1 und Institut für Tierernährung und
Futtermittel Linz3 der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES)
und Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel2

Historischer Bergbau als Ursache für eine Blei-
Intoxikation bei einem Milchkalb – Fallbericht
W. GLAWISCHNIG1*, H. DENGG2 und G. LIFTINGER3

                                                                                                      eingelangt am 6. April 2021
                                                                                                   angenommen am 24. Juli 2021

Schlüsselwörter: Blei, Vergiftung, Kalb, historischer                  Keywords: lead, intoxication, calf, historic mining, en-
Bergbau, Umweltkontamination, One Health.                              vironmental contamination, One Health.

   Zusammenfassung                                                         Summary
   Wir berichten über eine Bleivergiftung bei einem sechs              Case report: Lead intoxication of a calf due to en-
Wochen alten Grauviehkalb aus einem landwirtschaftli-                  vironmental contamination from a previous mine
chen Betrieb mit Mutterkuhhaltung im Bezirk Kitzbühel,
Bundesland Tirol. Das erkrankte Tier zeigte zentralner-                  We report a case of lead intoxication in a six-week-
vale Symptome und wurde, nachdem die Behandlung                        old Tyrolean Grey calf in the district of Kitzbühel, Tyrol,
erfolglos geblieben war, euthanasiert und pathologisch                 Austria. The calf displayed neurological symptoms and
untersucht. Da im Herkunftsbetrieb in den letzten                      was euthanized as the prognosis worsened despite at-
Jahren immer wieder einzelne Jungtiere mit gleichen                    tempts to treat it. As there had been repeated fatal cas-
klinischen Symptomen verendet waren, wurde bei dem                     es of individual young animals with analogous clinical
Kalb eine toxikologische Untersuchung durchgeführt,                    symptoms on this holding in recent years, the calf was
die deutlich erhöhte Bleiwerte in Leber (12,5 ± 1,9 mg/kg              examined toxicologically and significantly increased
Organgewicht) und Niere (10,4 ± 1,6 mg/kg Organ-                       levels of lead were found in the liver (12.5 ± 1.9 mg/kg
gewicht) ergab.                                                        organ weight) and kidneys (10.4 ± 1.6 mg/kg organ
   Im Zuge der anamnestischen Abklärung konnte                         weight).
eruiert werden, dass im kalkhaltigen Erd- und Fels-                      During the course of the anamnestic investigations, it
gelände unmittelbar an das Betriebsgelände angren-                     was established that lead ore mining had taken place
zend vor Jahrhunderten ein Abbau von Bleierzen statt-                  centuries ago in the area of calcareous earth and rock
gefunden hatte. Diese Information war Anlass für                       immediately adjacent to the farm premises. This infor-
Umgebungsuntersuchungen, wobei in Bodenproben,                         mation prompted environmental sampling, during which
einer Wasserprobe aus Quellwasser in direkter Nähe                     elevated levels of lead were detected in soil samples
des landwirtschaftlichen Betriebs sowie in Grünfutter                  and a water sample from a spring in the immediate vi-
und Heuproben erhöhte Bleiwerte nachgewiesen wur-                      cinity of the farm, as well as in samples from the green
den. Auch in Blut- und Milchproben einzelner Rinder                    animal fodder and hay. The levels of lead were also
sowie in Eiern von Hühnern aus Freilandhaltung wa-                     raised in blood and milk samples from individual cattle
ren die Bleiwerte erhöht. Leber und Nieren geschlach-                  and in eggs from free-range hens. The liver and kidneys
teter Rinder unterschiedlicher Altersgruppen (n = 3) und               of slaughtered cattle (n = 3 of different ages) and fatten-
von Mastschweinen (n = 3) wiesen ebenfalls erhöh-                      ing pigs (n = 3) had elevated levels of lead, although the
te Bleiwerte auf, während der Bleigehalt im Fleisch der                lead content in the meat was below the legally stipulat-
Tiere unter dem gesetzlich festgelegten Grenzwert für                  ed maximum limit for muscle meat.
Muskelfleisch lag.                                                       The investigations showed that the farm has been ex-
   Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, dass                      posed to increased lead pollution for some time due to
der landwirtschaftliche Betrieb aufgrund der Altlasten                 the contamination from the mine, which impacted on the
aus dem historischen Bergbau seit geraumer Zeit einer                  health of the animals and the quality of the animal food

*E-Mail: walter.glawischnig@ages.at

                                                                                                                              229
Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria

erhöhten Bleibelastung ausgesetzt ist, welche gegen-                  products. Our report illustrates the complexity and im-
wärtig Auswirkungen auf die Gesundheit der Tiere                      portance of the One Health concept using a case study
und auf die Genusstauglichkeit der produzierten tieri-                in a historical context.
schen Lebensmittel hat. Unser Bericht veranschaulicht
Komplexität und Bedeutung des One Health Konzepts
an einem Fallbeispiel mit Kontext in die Vergangenheit.

   Einleitung                                                         Verseuchungen erfolgen vor allem durch verunreinig-
                                                                      tes Wasser, kontaminierte Erde oder über bleihaltigen
   Blei ist ein weiches, formbares, korrosionsbe-                     Staub und finden sich besonders in der Nähe von blei-
ständiges Schwermetall mit hoher Dichte und rela-                     verarbeitenden Industrien, Müllverbrennungen und ge-
tiv niedrigem Schmelzpunkt, das in der Natur vor al-                  genwärtigen oder ehemaligen Blei-Bergbaugebieten
lem in anorganischer Form vorliegt. Als Erz in alpinen                (LATAL et al., 2000; ZADNIK, 2004; SHARPE u. LIVESEY,
Lagerstätten kommt es meist in einer Sulfidverbindung                 2006; RODRIGUEZ-ESTIVAL et al., 2012).
als sogenannter Bleiglanz oder Galenit vor (OKRUSCH                      Für die Veterinärmedizin hat Blei zweierlei Bedeutung;
u. MATTHES, 2009). Bereits in der Antike war Blei auf-                einerseits als direkte Ursache für Vergiftungen bei
grund seiner vielseitigen Eigenschaften bei zahlreichen               Tieren und anderseits als Intoxikationsquelle für Men-
Völkern und Kulturen ein begehrtes Metall (MEIER,                     schen durch den Verzehr von bleibelasteten Lebens-
1995). Im 15. und 16. Jahrhundert wurde Blei vor al-                  mitteln tierischer Herkunft, insbesondere Innereien
lem für die Gewinnung von Silber aus kupferhaltigen                   (SHARPE u. LIVESEY, 2006) sowie Fleisch von Wild-
Fahlerzen benötigt, insbesondere im Großraum von                      tieren, welche mit Bleimunition erlegt wurden (PAIN
Kitzbühel und Schwaz in der damaligen Grafschaft Tirol                et al., 2010). Besonders in der Rinderhaltung werden
(SPERL, 2015). In der Blütezeit der Silbergewinnung                   Bleivergiftungen beobachtet, wobei akute Formen
führte der hohe Bedarf an dem Schwermetall, vor al-                   nach einmaliger Aufnahme einer vergleichsweise gro-
lem in kalkhaltigen Gebirgsstöcken der besagten geo-                  ßen Menge an Blei oder Bleiverbindungen auftreten.
graphischen Region, zu einer intensiven Prospektion                   Die akute Intoxikation zeigt sich beim Rind klinisch
nach Bleierzen und zum Abbau ertragreicher Erzadern                   primär in Form von zentralnervalen Symptomen, oft
(SRBIK, 1929).                                                        verbunden mit Hyperthermie und gastrointestinalen
   Blei besitzt keine physiologischen Funktionen und                  Beschwerden (PAYNE u. LIVESEY, 2010). Subakute
wird in jeder noch so geringen Aufnahmemenge als                      oder chronische Vergiftungsfälle entstehen durch lang-
toxisch für Mensch und Tiere, Pflanzen, Pilze sowie                   same Kumulation von Blei im Organismus und können
Bakterien eingestuft (WILHELM u. EWERS, 1993). Auch                   in akute oder perakute Vergiftungsschübe übergehen
eine kanzerogene Wirkung wird diskutiert (IARC, 2004).                (HAPKE, 1988).
Eine Aufnahme kann oral, aerogen oder über die Haut                      Berichte über Intoxikationen bei Rindern stehen
erfolgen. Im Körper werden reaktive Radikale gebildet,                häufig in Zusammenhang mit der Aufnahme von blei-
die Zellstrukturen, die DNA und Zellmembranen an-                     haltigen Farben oder Rückständen aus bleihalti-
greifen, mit zahlreichen Proteinen interferieren und un-              gen Batterien oder Motorölen (DUBOWY et al., 1990;
ter anderem die Synthese verschiedener Enzyme stö-                    SCHLERKA u. SCHUH, 1992; WUNDERLIN et al., 1992;
ren (WILHELM u. EWERS, 1993). Abhängig von Dosis                      BRAUN et al., 2000; OZMEN u. MOR, 2004; SHARPE u.
und Dauer der Exposition unterscheidet man eine aku-                  LIVESEY, 2006; PAYNE u. LIVESEY, 2010; BISCHOFF et
te und eine chronische Form der Bleivergiftung, wo-                   al., 2012; COWAN u. BLAKLEY, 2016).
bei juvenile Individuen aufgrund ihres beschleunig-                      Wir berichten im Folgenden über einen Fall von
ten Wachstums und insbesondere bei gleichzeitiger                     Bleivergiftung bei einem Kalb, der kausal durch
Milchaufnahme eine deutlich höhere Resorption und                     Altlasten aus einem historischen Bleibergbau be-
Empfindlichkeit gegenüber Blei aufweisen als adul-                    gründet ist und diskutieren die daraus resultierende
te (GUPTA, 2018). Im Körper kann das Schwermetall                     Gesamtproblematik für den betroffenen landwirtschaft-
vor allem in der Leber, den Nieren und, aufgrund von                  lichen Betrieb sowie die Umweltauswirkungen, ins-
Akkumulation, über einen langen Zeitraum in Knochen                   besondere unter dem Gesichtspunkt des One Health
nachgewiesen werden (LÖSCHER u. RICHTER, 2016).                       Konzepts.
   Weltweit ist Blei eines der wichtigsten Umweltgifte
(TONG et al., 2000) und bei Menschen für eine zu-
nehmende Zahl an Todesfällen verantwortlich                               Vorbericht
(LANPHEAR et al., 2018). Bis vor wenigen Jahren bzw.
Jahrzehnten war Tetraethylblei, welches dem Benzin                      In einem auf 1050 m Seehöhe im Bezirk Kitzbühel,
als Antiklopfmittel zur Erhöhung der Oktanzahl zu-                    Bundesland Tirol, gelegenen Mutterkuhbetrieb er-
gesetzt wurde, der wichtigste Emittent für groß-                      krankte Anfang April 2020 ein sechs Wochen al-
flächige Kontaminationen der Umwelt. Regionale                        tes Grauviehkalb mit zentralnervalen Symptomen

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Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria                                                 108 (2021)

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wie Ruderbewegungen in Seitenlage und Brüllen.                            Für den Nachweis säurefester Einschlüsse wurden die Schnitte
Aufgrund der therapieresistenten Symptomatik und                          mittels Ziehl-Neelsen gefärbt und mit denselben Vergrößerungen
aus Tierschutzgründen wurde das Tier euthanasiert                         lichtmikroskopisch untersucht. Eine Untersuchung von Kot auf
und einer pathomorphologischen Untersuchung zu-                           Rota- und Coronaviren sowie auf Kryptosporidien erfolgte mit einem
geführt. Bereits seit mehreren Jahren traten auf dem                      Schnelltest für Kälberdurchfall. Darminhalt wurde für eine bakteriolo-
Betrieb immer wieder analoge Erkrankungsfälle bei                         gische Auswertung auf Blutagarplatten und Selektivnährmedien aus-
jungen Kälbern auf, wobei die Tiere neben                                 gestrichen und nach 24 Stunden aerober und anaerober Bebrütung
                                                                          beurteilt. Die parasitologische Kotuntersuchung wurde mittels
Bewegungsstörungen, anhaltendem Brüllen, zum Teil
                                                                          Flotationsmethode durchgeführt.
in Seitenlage festlagen und vor allem laut Auskunft
der Bäuerin „glühend heiß“ waren und innerhalb we-                        Toxikologische Untersuchung
niger Stunden verendeten. Auffällig war, dass die
Erkrankungen und Todesfälle immer im Frühjahr zwi-                           Die weiterführende toxikologische Untersuchung erfolgte am
schen Februar und April auftraten, obwohl am Betrieb                      Institut für Tierernährung und Futtermittel an der AGES Linz aus
über das ganze Jahr Kälber geboren und gehalten                           folgendem Probenmaterial:
wurden. Aufgrund der klinischen Symptomatik be-
                                                                            Obduziertes Kalb
stand für den behandelnden Tierarzt der Verdacht
                                                                            • Leber und Nieren
einer Bleivergiftung, wobei die Suche nach der
                                                                            Landwirtschaftlicher Betrieb
Intoxikationsursache am landwirtschaftlichen Betrieb                        • Blutproben von Milchkälbern (n = 2, Alter 4 Wochen und 4
ergebnislos verlief.                                                          Monate) und einer Mutterkuh (n = 1, Alter 4 Jahre)
   Zum Zeitpunkt der Erkrankung des Kalbes befan-                           • Milchproben von laktierenden Mutterkühen (n = 2, Alter 4 und
den sich im Betrieb etwa 15 Mutterkühe der Rasse                              10 Jahre)
Tiroler Grauvieh einschließlich Nachzucht, un-                              • Leber, Nieren und Muskulatur von geschlachteten, 12 Monate
ter anderem mit mehreren milchsaugenden Käl-                                  alten Jungrindern (n = 2), einer 5 Jahre alten Mutterkuh
bern. Die Futterversorgung der Rinder erfolgte aus-                           (n = 1) und 9 Monate alten, in einem Freilandgatter gehaltenen
                                                                              Mastschweinen (n = 3)
schließlich mit betriebseigenem Heu und Grünfutter
                                                                            • Eier (n = 5 und n = 20) von Legehennen mit Freilauf am
ohne Kraftfutterzusatz. In einem eingezäunten Areal                           Betriebsgelände, in einem Zeitabstand von 10 Tagen stichpro-
oberhalb des Bauernhofs wurden einzelne Schwei-                               benmäßig am Betrieb entnommen
ne gehalten, auf dem Betriebsgelände hatten etwa                            • Oberflächliche Bodenproben (n = 3) in der Nähe eines alten
60 Legehennen freien Auslauf. Die Trinkwasser-                                Bergbaustollens (a), am landwirtschaftlichen Betriebsgelände
versorgung des Betriebes erfolgte zum Zeitpunkt der                           (b) und im Umgebungsbereich (c)
Bleiintoxikation über eine Quellfassung, die in einem                       • Wasserproben (n = 3) aus einer Viehtränke, die von einer kleinen
alten Bergwerksstollen oberhalb des landwirtschaftli-                         Quelle im Bereich eines alten Bergbaustollens gespeist wird (a),
                                                                              aus den Viehtränken im Stall (b) und im Auslaufbereich (c), die
chen Betriebs lag.
                                                                              beide an die Hauswasserleitung angeschlossen sind
   Anamnestisch konnte ermittelt werden, dass sich                          • Betriebseigene Heu- (n = 2) und Grünfutterproben (n = 1)
im kalkhaltigen Gebirgsstock in unmittelbarer Um-                           Jagdrevier (im Umgebungsbereich des landwirtschaftlichen
gebung des Bauernhofs mehrere Stolleneingänge und                           Betriebs)
Abraumhalden eines historischen Bleibergbaus be-                            • Leber, Nieren und Muskulatur von erlegtem Rehwild (n = 2)
finden. In historischen Aufzeichnungen und Karten-
material ist für diesen topographischen Bereich ein                          Die Probenvorbereitung der tierischen Proben erfolgte ge-
Abbau von Bleierzen (Galenit), der sich mindestens                        mäß ÖNORM EN 13804. Hierfür wurden Leber-, Nieren- und
                                                                          Muskelproben sowie Eier ohne Schale mit einer Labormessermühle
auf den Anfang des 18. Jahrhunderts rückdatieren
                                                                          10 Sekunden bei 10.000 Umdrehungen/min zerkleinert und homo-
lässt, dokumentiert.                                                      genisiert. Milchproben wurden vor dem Aufschluss gut geschüttelt
   Im Zuge zweier Betriebsbesuche für diverse Proben-                     und dann wie Wasser- und Blutproben direkt eingewogen. Feuchte
entnahmen zeigten die Rinder des Bestandes keine                          Grünfutterproben wurden bei 60 °C vorgetrocknet. Die Vermahlung
klinischen Auffälligkeiten.                                               der Futtermittelproben erfolgte gemäß ÖNORM EN ISO 6498
                                                                          mit einer Ultrazentrifugalmühle mit einer Siebweite von 0,5 mm.
                                                                          Bodenproben wurden luftgetrocknet und, wie in ÖNORM L 1053
    Material und Methode                                                  beschrieben, zerkleinert und auf 2 mm gesiebt. Das Aufschließen
                                                                          der tierischen Materialien und Futtermittel wurde gemäß ÖNORM
                                                                          EN 13805 mit 65%iger Salpetersäure pro analysi (durch subboi-
Pathomorphologische, mikrobiologische und parasitologische
                                                                          ling noch aufgereinigt) in einem Mikrowellenautoklaven bei 230 °C
Untersuchung
                                                                          durchgeführt. Der Aufschluss der Bodenproben erfolgte gemäß
                                                                          ÖNORM EN 16174 mit einem Gemisch aus Salpetersäure und
  Der Tierkörper wurde am Institut für veterinärmedizinische
                                                                          Salzsäure im Verhältnis 1:3 (Königswasser) ebenfalls im oben ge-
Untersuchungen der AGES in Innsbruck nach allgemeiner
                                                                          nannten Mikrowellenautoklaven. Die Aufschlusslösungen wurden
Standardmethode pathoanatomisch untersucht. Für die histologi-
                                                                          mit Reinstwasser verdünnt und anschließend die Messung auf ei-
sche Untersuchung, welche an der AGES in Mödling durchgeführt
                                                                          nem Massenspektrometer mit induktiv gekoppeltem Plasma gemäß
wurde, wurden Gewebestücke 48 Stunden in 7,5%iger, neutral ge-
                                                                          ÖNORM EN 15763 ohne Kollisions- oder Reaktionsgas durchge-
pufferter Formalinlösung fixiert, danach in Paraffin eingebettet, etwa
                                                                          führt. Die Kalibration erfolgte mit einem Plasma Kalibrierstandard.
5 µm dicke Schnitte mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt, und diese bei

                                                                                                                                           231
Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria

Lutetium 175 diente als interner Standard. Für die Auswertung
wurde die Summe der Blei-Isotope 206, 207 und 208 herangezo-
                                                                         Toxikologische Befunde
gen, die Richtigkeit des Verfahrens wurde durch Analyse der zer-
tifizierten Referenzprobe bovine liver - NIST 1577b bestätigt. Bei          Die Bleigehalte von Leber und Niere des obduzier-
jedem Aufschluss und jeder Messung wurden zur Absicherung ein            ten Kalbes lagen bei 12,5 ± 1,9 mg/kg bzw. bei 10,4 ±
Aufschlussblindwert sowie eine interne Referenzprobe mitanalysiert.      1,6 mg/kg (Tab. 1).
                                                                            Die Messergebnisse der Bleiwerte an einzelnen Blut-,
Bezugsquellen                                                            Milch-, Leber-, Nieren- und Fleischproben einzelner
  Interne Referenzprobe: Probe PA 15/3 aus dem                           Rinder, Schweine und Rehe sowie an Legehenneneiern
Ringversuch der Arbeitsgemeinschaft für Lebensmittel-,                   sind in Tabelle 1 dargestellt. In Tabelle 2 finden sich die
Veterinär- und Agrarwesen; Labormessermühle: GM 200,                     gemessenen Bleiwerte der diversen Boden-, Wasser-
Fa. Retsch, Haan, Deutschland; Massenspektrometer:                       und Futterproben. Die Messergebnisse in Tab. 1
Quadrupole ICP-MS 7500, Fa. Agilent, Santa Clara, USA;                   und 2 werden mit Normwerten und den gesetzlichen
Mikrowellenautoklav: Ultraclave IV, Fa. MLS, Leutkirch,                  Grenzwerten verglichen. In der VO (EG) 1881/2006 und
Deutschland; Plasma Kalibrierstandard: SCP33MS, Fa.                      der RL 2002/32/EG sind Höchstgehalte festgelegt, bei
SCP Science, Baie D´Urfé, Kanada; Referenzprobe: NIST                    deren Überschreitung die Produkte nicht in Verkehr ge-
1577b, National Institute of Standards and Technology                    bracht werden dürfen. Ebenso ist in der Trinkwasser-VO
– Gaithersburg, MD, USA; Reinstwasser: Milli-Q-                          (BGBl. II Nr. 304/2001) eine Mindestanforderung, wel-
Reference, Fa. MerckMillipore, Darmstadt, Deutschland;                   che nicht überschritten werden darf, verordnet. Dem-
Salpetersäure: Fa. Merck, Darmstadt, Deutschland;                        gegenüber dienen Aktionswerte des Bundesministeri-
Schnelltest für Kälberdurchfall: Fassisi BoDia, Fa. Fassisi,             ums für Gesundheit (BMG, 2015) dazu, Kontamina-
Göttingen, Deutschland; Ultrazentrifugalmühle: ZM 200,                   tionsquellen zu erkennen und anschließend Maß-
Fa. Retsch, Haan, Deutschland                                            nahmen zur Mängelbehebung ergreifen zu können.
                                                                         Des Weiteren sind teilweise Normwerte angegeben,
                                                                         welche übliche Bleigehalte anzeigen. Für Böden ist in
   Ergebnisse                                                            der ÖNORM L 1075 ein Richtwert festgelegt, welcher
                                                                         den größten empfohlenen Gehalt darstellt.
Pathomorphologische, mikrobiologische und
parasitologische Befunde
                                                                             Diskussion
   Das 82 kg schwere, weibliche Grauviehkalb ge-
langte in gutem Nähr- und Erhaltungszustand zur                             Im vorliegenden Fall sprechen die Ergebnisse der
Untersuchung. Die Leber hatte eine auffallend orange-                    toxikologischen Untersuchungen bei dem obduzier-
rote Organfarbe, war stumpfrandig und von weicher                        ten sechs Wochen alten Kalb zweifelsfrei für eine
Konsistenz. Die restlichen parenchymatösen Organe                        Bleivergiftung. Das Tier wies in Leber und Niere
der Brust- und Bauchhöhle waren gestaut und ohne                         deutlich erhöhte Bleiwerte (Tab. 1) auf, die um ein
besonderen Befund. Im Pansen befand sich in ge-                          Vielfaches über dem für Kälber in dieser Altersgruppe
ringgradiger Menge dunkelgrüner pflanzlicher Inhalt,                     bekannten Normwert lagen (COWAN u. BLAKLEY,
im Labmagen waren geronnene Milchklumpen, sowie                          2016). Bei Rindern werden akute Bleivergiftungen häu-
kleine verdichtete Ansammlungen von Haaren auf-                          fig bei Jungtieren beobachtet, da diese insbesonde-
findbar. Der Dünndarm hatte eine dilatierte Darmwand                     re bei gleichzeitiger Milchaufnahme eine gesteigerte
und war ohne Inhalt, der vordere Teil des Dickdarms,                     orale Bioverfügbarkeit für Bleiverbindungen besitzen
insbesondere der Blinddarm, war mit wässrigem grü-                       (SHARPE u. LIVESEY, 2006; RODRIGUEZ-ESTIVAL
nem Inhalt gefüllt. In der histologischen Untersuchung                   et al., 2012). Insofern ist es naheliegend, dass in dem
wurden in den Nieren einzelne oligofokale lymphozy-                      bleiexponierten Rinderbetrieb, wie anamnestisch fest-
täre Entzündungsherde und in der Lunge ein gering-                       gehalten, unter den verschiedenen Altersgruppen vor-
gradiges alveoläres Emphysem festgestellt. Leber,                        dergründig milchsaugende Kälber erkranken. Dies
Herz und Skelettmuskulatur waren ohne besonde-                           bestätigt auch das Untersuchungsergebnis von zwei
ren Befund. Im Gehirn fanden sich neben einzelnen                        klinisch unauffälligen Milchkälbern, bei denen im Blut
neuronalen Nekrosen geringgradige Ödeme in der                           ein fast doppelt so hoher Bleigehalt gemessen wurde
Purkinjezellschicht des Kleinhirns und im Stammhirn.                     wie bei einer Mutterkuh (Tab. 1).
Säurefeste Einschlüsse waren weder in Niere noch                            Neben geronnener Milch im Labmagen fanden sich
Leber nachweisbar. Bakteriologisch wurde im Darm                         im Pansen und Blinddarm des obduzierten Kalbes be-
ein hochgradiger Keimgehalt mit Clostridium perfrin-                     reits Hinweise auf eine pflanzliche Nahrungsaufnahme.
gens und hämolysierenden Escherichia coli nachge-                        Da in Milchproben einzelner Mutterkühe höhere
wiesen. Die Untersuchung auf Rota- und Coronaviren                       Bleiwerte nachgewiesen wurden (Tab. 1), erfolgte
sowie Kryptosporidien fiel negativ aus. Die parasito-                    bei dem Kalb eine Bleiaufnahme über die Milch. Mit
logische Untersuchung ergab einen geringgradigen                         der Aufnahme von pflanzlichem Futter hat sich für
Befall mit Kokzidienoozysten.                                            den Körper eine zusätzliche Bleibelastung ergeben

232
Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria                                                   108 (2021)

(Tab. 2). Eventuell waren diese Futterpflanzen aufgrund                    (Tab. 2). Vermutlich hat sich bei dem Kalb aufgrund
schlechter Heuwerbung noch zusätzlich mit bleihalti-                       der verschiedenen belasteten Nahrungsquellen eine
gem Erdreich verschmutzt (SHARPE u. LIVESEY, 2006).                        chronische oder subakute Bleikumulation entwickelt,
Auch im angebotenen Wasser der Viehtränke im Stall-                        die nach Überschreiten eines kritischen Grenzwertes
gebäude waren die Bleiwerte, obwohl knapp unter dem                        zu einer akuten Intoxikation mit klinischer Symptomatik
amtlich vorgeschriebenen Höchstwert liegend, erhöht                        führte (HAPKE, 1988). Warum andere Jungkälber

Tab. 1: Ergebnisse der Bleiuntersuchung an Proben tierischen Ursprungs (Überschreitungen der einzelnen Grenz- oder Normwerte sind durch
Fettdruck hervorgehoben) / Analysis of the lead concentration in samples of animal origin (numbers in bold indicate that either individual parame-
ters or legally prescribed limits were exceeded)

                                                                         Grenz- oder
                                            gemessener Wert
 Probenart           Spezifizierung                                       Normwert              Vorschriften, Gesetze, Verordnungen
                                             (mg/kg oder l)
                                                                        (mg/kg oder l)

                                                                              0,5                       VO (EG) 1881/2006
 Leber                Kalb (Sektion)            12,5 (± 1,9)
                                                                         0,16 (± 0,63)             Normwert bei unauffälligen Tieren*
                                                                              0,5                       VO (EG) 1881/2006
 Niere                Kalb (Sektion)            10,4 (±1,6)
                                                                         0,41 (± 0,62)             Normwert bei unauffälligen Tieren*
 Blut               Mutterkuh (Nr. 1)         0,126 (±0,019)            0,036 (± 0,003)            Normwert bei unauffälligen Tieren*
 Milch              Mutterkuh (Nr. 1)         0,017 (±0,004)                  0,02                          VO (EG) 1881/2006
 Milch              Mutterkuh (Nr. 2)         0,013 (± 0,003)                 0,02                          VO (EG) 1881/2006
 Blut                   Kalb (Nr. 1)          0,264 (± 0,040)           0,036 (± 0,003)            Normwert bei unauffälligen Tieren*
 Blut                   Kalb (Nr. 2)          0,290 (± 0,044)           0,036 (± 0,003)            Normwert bei unauffälligen Tieren*
 Eier                Geflügel (n = 5)         0,223 (± 0,033)                  0,1                       Aktionswert (BMG, 2015)
 Eier               Geflügel (n = 20)         0,168 (± 0,025)                  0,1                       Aktionswert (BMG, 2015)
 Muskel              Jungrind (Nr. 1)       0,0049 (± 0,0012)                  0,1                          VO (EG) 1881/2006
 Leber               Jungrind (Nr. 1)         0,646 (± 0,097)                  0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Niere               Jungrind (Nr. 1)          2,18 (± 0,33)                   0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Muskel              Jungrind (Nr. 2)       0,0077 (± 0,0019)                  0,1                          VO (EG) 1881/2006
 Leber               Jungrind (Nr. 2)         0,958 (± 0,144)                  0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Niere               Jungrind (Nr. 2)          2,19 (± 0,33)                   0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Muskel             Mutterkuh (Nr. 3)       0,0030 (± 0,0008)                  0,1                          VO (EG) 1881/2006
 Leber              Mutterkuh (Nr. 3)         0,140 (± 0,035)                  0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Niere              Mutterkuh (Nr. 3)         0,291 (± 0,058)                  0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Muskel              Schwein (Nr. 1)          0,068 (± 0,017)                  0,1                          VO (EG) 1881/2006
 Leber               Schwein (Nr. 1)            54,5 (± 8,2)                   0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Niere               Schwein (Nr. 1)            10,3 (± 1,6)                   0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Muskel              Schwein (Nr. 2)          0,082 (± 0,020)                  0,1                          VO (EG) 1881/2006
 Leber               Schwein (Nr. 2)           9,16 (± 1,37)                   0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Niere               Schwein (Nr. 2)            16,9 (± 2,5)                   0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Muskel              Schwein (Nr. 3)          0,097 (± 0,024)                  0,1                          VO (EG) 1881/2006
 Leber               Schwein (Nr. 3)            27,7 (± 4,2)                   0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Niere               Schwein (Nr. 3)            18,7 (± 2,8)                   0,5                          VO (EG) 1881/2006
 Muskel                 Reh (Nr. 1)         0,0068 (± 0,0017)                 0,25                       Aktionswert (BMG, 2015)
 Muskel                 Reh (Nr. 2)         0,0332 (± 0,0083)                 0,25                       Aktionswert (BMG, 2015)
 Leber                  Reh (Nr. 2)         0,0346 (± 0,0087)                 0,5**                   VO (EG) 1881/2006 als Basis**
 Niere                  Reh (Nr. 2)           0,157 (± 0,039)                 0,5**                   VO (EG) 1881/2006 als Basis**
* lt. COWAN u. BLAKLEY (2016)
** Für Rehe sind für Innereien keine Höchstgehalte festgelegt. Daher wurden die der anderen Tierarten für die Bewertung herangezogen

                                                                                                                                             233
Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria

Tab. 2: Ergebnisse der Bleiuntersuchung an Boden-, Wasser- und Futterproben (Überschreitungen der einzelnen Grenz- oder Normwerte sind
durch Fettdruck hervorgehoben) / Analysis of the lead concentration of environmental (soil, water and feedstuff) samples (values in bold indicate
that either individual parameters or legally prescribed limits were exceeded)

                                                                                       Grenz- oder
                                                            gemessener Wert                                    Vorschriften, Gesetze,
 Probenart                    Spezifizierung                                            Normwert
                                                             (mg/kg oder l)                                       Verordnungen
                                                                                      (mg/kg oder l)

                     Erde (oberflächlich; in Nähe ei-
 Bodenprobe                                                    4680 (± 700)                 100                 ÖNORM L 1075:2017
                       nes alten Bergbaustollens)
                      Erde (oberflächlich, am land-
 Bodenprobe                                                    2410 (± 360)                 100                 ÖNORM L 1075:2017
                        wirtschaftlichen Betrieb)
                     Erde (oberflächlich, Umgebung
 Bodenprobe             des landwirtschaftlichen                 175 (± 26)                 100                 ÖNORM L 1075:2017
                                Betriebs)
                      Viehtränke (im freien Gelände;
                                                                                                            (Trinkwasser-VO, BGBl. II Nr.
 Wasserprobe          Quelle im Bereich eines alten         0,0119 (± 0,0030)               0,01
                                                                                                                     304/2001)
                             Bergbaustollens)
                        Viehtränke ( im Stall, von                                                          (Trinkwasser-VO, BGBl. II Nr.
 Wasserprobe                                                0,0085 (± 0,0021)               0,01
                      Hauptwasserleitung gespeist)                                                                   304/2001)
                      Viehtränke (im Auslaufbereich,
                                                                                                            (Trinkwasser-VO, BGBl. II Nr.
 Wasserprobe             von Hauptwasserleitung             0,0085 (± 0,0021)               0,01
                                                                                                                     304/2001)
                                gespeist)
 Heuprobe                        1. Schnitt*                   3,04 (± 0,46)                 30                     RL 2002/32/EG
 Heuprobe                       1. Schnitt*                    3,88 (± 0,58)                 30                     RL 2002/32/EG
 Grasprobe                      Grünschnitt                    4,77 (± 0,71)                 30                     RL 2002/32/EG
* auf 88 % Trockensubstanz bezogen / calculated for 88 % dry mass

in dem Rinderbestand, die mutmaßlich derselben                             wobei insbesondere der Bleigehalt der Bodenprobe
Bleibelastung ausgesetzt waren, nicht erkrankt sind,                       in der Nähe eines alten Stolleneingangs den kausa-
bleibt ungeklärt.                                                          len Zusammenhang mit dem historischen Abbau von
  Klinische Symptome korrelieren häufig nicht mit der                      Bleierzen unterstreicht (Tab. 2). Die Kontamination des
Höhe des Bleiwertes im Blut. Als Ursache werden indi-                      Erdreichs ist in weiterer Folge für die Bleibelastung der
viduelle Faktoren diskutiert, die einen Grenzbereich, ab                   Heu- und Grünfutterproben hauptverantwortlich, wo-
dem es zu akuten toxischen Krankheitserscheinungen                         bei diese Belastung durch starke Regengüsse oder
kommt, beeinflussen (WALDNER et al., 2002). Auch                           die Art der Heuwerbung möglicherweise noch verstärkt
die Frage, warum in der Vergangenheit analoge Er-                          wurde (ZADNIK, 2004). Ob der Bleigehalt in den ge-
krankungsfälle bei jungen Kälbern, wie anamnestisch                        messenen Wasserproben (Tab. 2) in einem direkten
festgehalten, immer nur im Zeitraum Februar bis April                      Zusammenhang mit der Bodenkontamination steht,
aufgetreten sind, bleibt konkret unbeantwortet. Zum                        oder ob Quellwasser bereits in der Tiefe des kalkhalti-
Zeitpunkt der Erkrankung des Kalbes wurde die                              gen Gebirgsstocks mit Bleilösungen in Verbindung tritt,
Trinkwasserversorgung des Betriebes aus einer                              ist unklar.
Wasserquelle gespeist, die in einem alten Bergwerks-                         Die Exposition des gesamten landwirtschaftlichen
stollen gefasst wurde. Quellen führen in der Übergangs-                    Betriebs zeigt sich auch an den erhöhten Bleiwerten
zeit zwischen Winter und Frühling besonders wenig                          von Proben unterschiedlicher auf dem Bauernhof ge-
Wasser. Bezogen auf das Kalenderjahr ist Quellwasser                       haltener Tierarten (Tab. 1). Neben dem Nachweis in
in diesem Zeitraum jedoch am stärksten mit bestimmten                      Milch und Blut einzelner Rinder hatten insbesonde-
Ionenverbindungen und chemischen Elementen ange-                           re die geschlachteten Schweine, die aufgrund von
reichert (KRAINER, 2015), was vermutlich auch auf Blei                     Freilandhaltung Kontakt mit Erdreich hatten, in Leber
zutrifft und diesbezüglich eine mögliche Erklärung wäre.                   und Niere einen Bleigehalt, der deutlich über dem für
  Ausgehend von der toxikologischen Untersuchung des                       den menschlichen Verzehr zugelassenen Grenzwert
Kalbes und der unklaren Intoxikationsursache, ergaben                      lag. Bei zwei geschlachteten Jungrindern war der
sich aufgrund der Information über einen historischen                      Bleigehalt in Leber und Niere ebenfalls über dem
Bleibergbau im Umgebungsbereich des Bauernhofs                             Grenzwert liegend, im Vergleich zu den Schweinen
erste Verdachtshinweise auf eine erhöhte regionale                         jedoch niedriger. Auch in den untersuchten Eiern der
Bleibelastung. Dieser Verdacht wurde in Folge durch                        Legehennen, die auf dem Betriebsgelände freien Aus-
die von uns durchgeführten Bodenanalysen bestätigt,                        lauf mit der Möglichkeit einer erweiterten Nahrungs-

234
Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria                                                 108 (2021)

aufnahme über das Erdreich hatten, war der Bleigehalt                       Wasser und Gemüseverzehr sowie durch den Konsum
erhöht. Im Gegensatz dazu lagen die Messergebnisse                          ihrer am Betrieb produzierten tierischen Lebensmittel
bei zwei in näherer Umgebung zum Bauernhof er-                              einer erhöhten Bleiexposition ausgesetzt. Etwaige
legten Rehen im Normbereich (Tab. 1), vermutlich                            Auswirkungen auf ihre Gesundheit sind bis dato un-
da diese Wildtiere einen größeren geographischen                            klar. Bezüglich der Bleigehalte im Erdreich liegen
Einzugsbereich für ihre Nahrungsaufnahme hatten.                            noch keine genauen geologischen Bewertungen vor,
  Die Überwachung auf Schwermetallrückstände bei                            insbesondere ob im Bereich des landwirtschaftlichen
Lebensmitteln aus tierischer Produktion erfolgt in                          Betriebs eine Sanierung von kontaminiertem Erdreich
Österreich durch Veterinär- und Lebensmittelbehörden,                       notwendig ist und durchgeführt werden sollte (LATAL et
die stichprobenmäßig oder anlassbezogen Kontrollen                          al., 2000).
durchführen. Im Jahr 2019 konnten in untersuchten                             Bleivergiftungen bei Rindern durch historischen
Organ- und Muskelproben österreichischer Nutztiere                          Bergbau sind aus Regionen in England und Spanien
keine erhöhten Bleigehalte festgestellt werden                              bekannt (SHARPE u. LIVESEY, 2006; RODRIGUEZ-
(BMSGPK, 2020). Auch bei Eiern ist die Bleibelastung                        ESTIVAL et al., 2012). Unser Fallbericht mit histori-
als gering anzusehen (BMSGPK, 2020), obwohl der                             schem Kontext und seinen Auswirkungen bis in die
vermehrte Trend zur privaten Haltung einzelner weniger                      Gegenwart ist ein weiteres Beispiel für die Aktualität
Legehennen ein Risiko für eine höhere Exposition be-                        und Bedeutung des One Health Konzepts, das sich in
inhaltet (BAUTISTA et al., 2014; SOBHAKUMARI et al.,                        seinem Grundgedanken auf die sich gegenseitig be-
2019). Insofern ist der von uns vorgestellte Fallbericht                    einflussenden Zusammenhänge zwischen Umwelt
ein Einzelfall, der eine regionale Umweltkontamination                      und menschlicher und tierischer Gesundheit fokussiert
durch einen historischen Bleibergbau aufzeigt. Die vor                      (FAO-OIE-WHO, 2010). Durch Intoxikationen verur-
Jahrhunderten stattgefundene bergbauliche Tätigkeit                         sachte Tierkrankheiten können diesbezüglich Hinweise
hat bis heute Konsequenzen für die Gesundheit der                           auf kontaminierte Ökosysteme geben und in weiterer
landwirtschaftlichen Tiere und das Inverkehrbringen                         Folge potentielle Gefahrenquellen für den Menschen
von Lebensmitteln tierischer Herkunft. Auch die Be-                         aufzeigen (BUTTKE, 2011; EDWARDS et al., 2017).
wohner des Bauernhofs sind über Staubinhalation,

   Fazit für die Praxis
   Bleihaltige Farben oder mit Batterierückständen kontaminiertes Futter sind häufige Ursachen für akute
   Bleiintoxikationen bei Rindern. Im Vordergrund der Klinik stehen zentralnervale Symptome, die plötzlich auf-
   treten und von denen meist mehrere Tiere betroffen sind. Zur Abklärung eines Verdachtes ist eine genaue
   Anamnese notwendig, wobei erst die toxikologische Untersuchung von Organproben eine Vergiftung be-
   stätigt. In Regionen mit historischem Bleibergbau ist bei Rindern mit unklarer nervaler Symptomatik diffe-
   rentialdiagnostisch an eine mögliche Bleiintoxikation durch kontaminiertes Wasser oder Futter zu denken.
   Einzelne akute Erkrankungsfälle können hierbei ein Hinweis auf eine chronische Bleibelastung in einem
   Rinderbestand sein. Da in einem betroffenen Betrieb auch bei klinisch unauffälligen Tieren erhöhte Bleiwerte
   vorliegen können, sind zum Schutz der Konsumenten Organ- und Fleischproben von geschlachteten Tieren
   vor dem Inverkehrbringen auf ihren Bleigehalt zu untersuchen.

                                                                            BRAUN, U., FORRER, R., GANSOHR, G., ODERMATT, W., DIEM, F.,
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