Hochwasser, Stürme, Erdbeben und Vulkanausbrüche
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Hochwasser, Stürme, Erdbeben und Vulkanausbrüche: Ergebnisse der Befragung zu Wahrnehmung von Risiken aus extremen Naturereignissen Sommerakademie der Studienstiftung des Deutschen Volkes, Rot an der Rot August 2002 Tina Plapp, Ute Werner Lehrstuhl für Versicherungswissenschaft Graduiertenkolleg Naturkatastrophen Universität Karlsruhe (TH)
Hochwasser, Stürme, Erdbeben und Vulkanausbrüche: Ergebnisse der Befragung zu Wahrnehmung von Risiken aus extremen Naturereignissen Inhaltsverzeichnis 1. Zum Hintergrund der Befragung.............................................................................................1 2. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse .....................................................................2 3. Teilnehmerinnen und Teilnehmer ...........................................................................................3 4. Einschätzung von Naturrisiken im Vergleich zu anderen Risikoquellen...........................5 5. Wahrgenommene Risikomerkmale..........................................................................................7 6. Erklärungsmuster für Naturkatastrophen ..............................................................................9 7. Informationsquellen als Grundlage für die Beantwortung der Fragen ............................13 8. Risikobereitschaft.....................................................................................................................14 9. Einstellungen zu Gesellschaft und Natur.............................................................................16 10. Zitierte Literatur .......................................................................................................................18 Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern herzlich für Ihre geduldige Bereitschaft, den langen Fragebogen auszufüllen. Karlsruhe, November 2003 Tina Plapp, Ute Werner ii
1. Zum Hintergrund der Befragung In den letzten Jahrzehnten sind die Schäden durch extreme Naturkatastrophen weltweit gestiegen (vgl. MunichRe 2003). Dieser Trend ist auch in Deutschland zu beobachten. Deutschland gehört zwar aufgrund seiner geographischen Lage nicht zu den am meisten gefährdeten Regionen der Erde, doch sorgen hohe Besiedlungsdichte an Küste und Flüssen in Verbindung mit empfindli- chen Industrieanlagen und wachsender Bebauung zur gewerblichen und privaten Nutzung für ein stetig anwachsendes Schadenpotential. Die meisten Schäden aus extremen Naturereignissen wäh- rend der vergangenen 30 Jahre in Deutschland fielen vor allem durch Sturm und Hochwasser an (vgl. Münchener Rück 1999). Für die Versicherungswirtschaft stellt die Verwundbarkeit Deutsch- lands aufgrund seines hohen Schadenpotentials ein Problem dar, dem man nicht länger aus dem Weg gehen sollte. Wie sieht dies die Bevölkerung im Lande? Das Bewusstsein oder Gewahrwerden einer Bedro- hung gilt als die wichtigste Basis dafür, dass lang- oder kurzfristige präventive Maßnahmen gegen die Folgen von extremen Naturereignissen ergriffen werden. Das Bewusstsein wiederum ist stark geprägt von der Risikowahrnehmung. Daher ist die Untersuchung der Risikowahrnehmung und - bewertung ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis des Umgangs mit Naturkatastrophen. Ihren Ursprung hat die Forschung zur Risikowahrnehmung von „Laien“ in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um technische Risiken (vgl. Renn 1984). Bei Konfliktgegenständen wie der zivilen Nutzung von Atomenergie wurde anhand der Auseinandersetzungen zwischen „Exper- ten“ und „Laien“ deutlich, wie breit die Risikowahrnehmung gefächert ist und dass jeweils ganz unterschiedliche Aspekte die Grundlage für die Akzeptanz von Risiken bilden. In den Grundzü- gen lassen sich die Ansätze und Verfahren der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Wahr- nehmung technischer Risiken auf die Untersuchung der Wahrnehmung von Risiken aus Natur- katastrophen übertragen. Risikowahrnehmung und –bewertung (kurz: Risikowahrnehmung) wird hier im weiteren Sinne als der alltagsweltliche Prozess verstanden, mit dem Menschen ohne die Rückgriffsmöglichkeit auf lange Datenreihen und exakte Rechenmodelle Risiken einschätzen. Risikowahrnehmung ist das oft „intuitive“ oder rein erfahrungsbasierte, unstrukturierte Wahrnehmen von „Erfolgs- und Misserfolgsmöglichkeiten“ und von möglichen „Zusammenhängen zwischen Handlungen und Folgen“ (Banse/Bechmann 1998: 11). Demgegenüber wird in technisch-mathematisch orientierten Risikoanalysen „Risiko“ mathema- tisch-quantitativ als Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und dessen mögli- chen Schadenausmaßen definiert. Für die alltäglichen Prozesse der Risikowahrnehmung spielen Wahrscheinlichkeit und möglicher Schaden zwar auch eine Rolle, aber nicht allein: gemäß zahl- reicher Studien kann man davon ausgehen, dass auch mit der jeweiligen Risikoquelle verbundene qualitative Eigenschaften wie z.B. die Unmittelbarkeit der Folgen oder bereits vorhandene Erfah- rungen und Eigenschaften der jeweils urteilenden Person in die Risikobewertung einfließen (vgl. Slovic 1987, 1992; Jungermann/Slovic 1993a,b; Renn 1989). Aber auch die Art der Erklärung aufgetretener Naturkatastrophen gibt Hinweise auf die Risikowahrnehmung, weil auf diese Weise deutlich wird, wie Ursache-Wirkungen-Ketten in der Gesellschaft gesehen werden. Je nach Art der Ursachen-Wirkung-Kette ergibt sich eine unterschiedliche Behandlung der Ursachen, d.h. aus jeder Definition folgen spezifische Handlungsweisen, mit denen Katastrophen gemindert werden sollen. Dabei ist vor allem von Interesse, inwieweit sich Menschen selbst als Teil der Entste- hungskette von Naturkatastrophen sehen. Zu diesem Thema wurde im August 2002 unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer Sommerschule der Studienstiftung des Deutschen Volkes eine Befragung durchgeführt. Der ver- wendete Fragebogen baut auf einem dreijährigen Projekt auf, dass im Rahmen des Graduierten- kollegs Naturkatastrophen an der Universität Karlsruhe am Lehrstuhl für Versicherungswissen- schaft bearbeitet wurde (vgl. Plapp 2003). Die Thematik der Befragung erhielt durch das Som- 1
Wahrnehmung von Risiken aus Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanausbruch merhochwasser an Elbe und Donau Aktualität. Der Fragebogen befasste sich mit der Wahrneh- mung von Sturm, Hochwasser, Erdbeben und Vulkanausbruch, mit der Risikobereitschaft sowie mit Einstellungen zu Gesellschaft und Natur. Dieser Ergebnisbericht dient in erster Linie zur Information der Befragten. Zuerst folgt im nächsten Abschnitt eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. Im dritten Abschnitt wird die Stichprobe anhand sozialstruktureller Daten beschrieben und auf bereits vorhandene Erfahrung mit extremen Naturereignissen eingegangen. Anschließend werden in den Abschnitten 4 bis 9 die Ergebnisse detailliert dargestellt. 2. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse An der Befragung nahmen 77 Personen teil. Bis auf zwei Ausnahmen sind alle Befragte Studie- rende. Der Altersdurchschnitt der Befragten liegt bei etwa 25 Jahren. Zwei Drittel der Studieren- den sind in Deutschland aufgewachsen, die anderen kommen aus verschiedenen Ländern Euro- pas, Asiens und Nordamerikas. Die belegten Studienfächer decken eine breite Palette ab. Ein Viertel bis ein Drittel der Befragten hat bereits extreme Naturereignisse erlebt, vor allem Sturm, Hochwasser und Erdbeben. Für einen weitaus geringeren Teil der Befragten sind dabei Schäden entstanden. Die Befragten ordnen die generelle Gefährlichkeit von Sturm, Hochwasser, Erdbeben und Vul- kanausbruch in eine ähnliche Größenordnung wie Atomenergie, den Hausbrand, Autofahren und Wirtschaftskrise ein. Erdbeben und Vulkanausbruch schätzen sie als etwas gefährlicher ein als Hochwasser und Sturm. Insgesamt sehen sich die Befragten kaum persönlich durch die Naturrisiken gefährdet und halten es für sehr unwahrscheinlich, hierdurch ums Leben zu kommen. Sie stufen die genannten Natur- risiken zwar als altbekannt ein, aber als nicht ganz erforscht. Sie verbinden kaum Angstgefühle mit ihnen. Am wenigsten Schutzmöglichkeiten sehen sie bei Erdbeben. Vor allem Hochwasser betrachten sie als häufig auftretendes Ereignis. Bei Hochwasser und Sturm rechnen sie mit einer künftigen Zunahme der Ereignisse und Schäden. Die Befragten schätzen Sturm und Hochwasser im Gegensatz zu Erdbeben und Vulkanausbruch als vorhersagbar ein. Hinsichtlich der Ursachen-Wirkungen-Ketten unterscheiden sich die atmosphärischen Naturer- eignisse (Hochwasser, Sturm) von den geophysikalischen (Erdbeben, Vulkanausbruch). Die Be- fragten fassen zwar alle vier Arten von Extremereignissen als Schicksalsschlag auf, stufen sie aber mehr (Erdbeben, Vulkanausbruch) oder weniger (Sturm, Hochwasser) als unvorhersehbares Na- turereignis ein. Bei Sturm und bei Hochwasser sehen sie den Menschen zudem relativ stark als treibende Kraft in der Entstehungskette von Katastrophen. Ihren Angaben zufolge haben sich die Befragten für die Einschätzung der Naturgefahren über- wiegend auf Berichte aus Massenmedien bezogen. Eigene Erfahrung sowie Erzählungen von Freunden spielen eine deutlich geringere Rolle als Grundlage für die Beurteilung von Naturrisi- ken. Die Teilnehmer/-innen der Sommer School wurden auch nach ihren Einstellungen zu Gesell- schaft und Natur gefragt. Hierbei finden egalitäre, auf Ausgleich bemühte Vorstellungen die stärkste Zustimmung unter den Studierenden. Natur gilt einerseits als begrenzt zur Selbstregula- tion fähig, andererseits wird sie als fragiles Gleichgewicht gesehen. Auch die Vorstellung, Teil eines Auf und Ab, einer zyklischen Entwicklung zu sein, findet die Zustimmung der Befragten. Auf weniger Zustimmung trifft dagegen die Vorstellung, dass die Natur schlicht eine ausbeutbare Ressource sei. 2
Ergebnisse Befragung Sommerakademie 2002 3. Teilnehmerinnen und Teilnehmer 3.1 Zusammensetzung des Samples Insgesamt nahmen 77 Personen an der Befragung teil. Davon sind 32 männlich und 43 weiblich, Zwei Personen gaben ihr Geschlecht nicht an. Das Alter der Befragten liegt zwischen 21 und 40 Jahren, der Mittelwert liegt bei 25,7 Jahren (vgl. Abbildung 3.1). An der Befragung nahmen auch zwei Dozenten der Sommerakademie teil. Da ihr Antwortverhalten nicht auffallend anders ist als das der Studierenden, sind sie in die Auswertung miteinbezogen worden. Alter der Befragten 20 10 Anzahl Nennungen 0 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 32 34 37 40 Alter in Jahren Abb. 3.1: Alter der Befragten Die Bandbreite der Studienrichtungen der Befragten ist aus der Abbildung 3.2 ersichtlich. Zu den naturwissenschaftlichen Fächern zählen neben Mathematik Physik, Chemie, Biologie, Geologie, Ozeanographie und Meteorologie. Unter den ingenieurwissenschaftlich-technischen Bereich werden Bauingenieurwesen, Elektronik, Umwelttechnik, Umwelt- und Forstwissenschaften ge- fasst. Das breite Feld geisteswissenschaftlicher Studiengänge besteht aus Sprach- und Literatur- wissenschaft, Geschichte, Philosophie, Medienwissenschaften sowie Theologie. Gesellschaftswis- senschaftliche Fächer sind Soziologie, Politikwissenschaften, Pädagogik und Psychologie. Zum künstlerisch-musischen Bereich gehören u.a. Gesang, Kunst, Restauration und Architektur. Etwa die Hälfte der Befragten studiert ein naturwissenschaftliches Fach oder belegt einen Ingenieurstu- diengang. Knapp ein Drittel (30 %) haben eine Berufsausbildung vor dem Studium abgeschlos- sen. In diesem Kriterium entspricht die Stichprobe in etwa dem bundesweiten Durchschnitt (vgl. Schnitzer et al. 2001). Die Befragten stammen aus unterschiedlichen Ländern. Zwei Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind in Deutschland aufgewachsen. Die anderen Befragten kommen weit gestreut aus sehr verschiedenen Ländern: Russland (vier Personen), Schweiz, Slowakei und Polen (jeweils drei Personen) sowie aus China und Frankreich (jeweils zwei Befragte). Jeweils eine Person aus Japan, Indonesien, Mexiko, USA, Rumänien und Belarus nahm an der Befragung teil. 3
Wahrnehmung von Risiken aus Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanausbruch Fachrichtung der Befragten: Anzahl Medizin künstlerisch-musisch 4 7 Geistesw iss. Mathe, Naturw iss. 13 24 Soz., Psych., Päd. 6 Jura / Wirtschaf t Ingenieurw iss. 10 12 Gesamt: 76 Fälle Abb. 3.2: Studienrichtung der Befragten: Anzahl der Nennungen Haushaltseinkommen 50 40 30 20 Absolute Werte 10 0 kein eig. Einkommen 500€ bis unter 1250 mehr als 2250 € bis 500 € 1250 € bis unter 225 Haushaltsnettoeinkommen pro Monat Abb. 3.3: Haushaltsnettoeinkommen: Anzahl der Nennungen Wie aus der Abbildung 3.3 hervorgeht, verfügen die meisten über ein Haushaltsnettoeinkommen im Monat von 500 bis 1250 €, was in etwa dem bundesweiten Durchschnitt der finanziellen Situ- ation von Studierenden entspricht (vgl. Schnitzer et al. 2001). Kritisch sei hier angemerkt, dass die Frage nicht richtig auf die Zielgruppe des Fragebogens abgestimmt worden war: da der 4
Ergebnisse Befragung Sommerakademie 2002 Großteil der Studierenden in der Deutschland (95%) lediglich ein zusätzliches Einkommen zu finanzieller Unterstützung nach Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) oder durch die Eltern haben (vgl. ebd.), war diese Frage insbesondere durch die die Antwortmöglichkeit „kein eigenes Einkommen“ verwirrend. Korrekter und besser wäre eine Frageformulierung wie z.B. „wie viel Geld steht Ihnen monatlich zur Verfügung“ gewesen. Zudem waren die Antwortkate- gorien relativ grob gewählt. Gut zwei Drittel (50 Befragte, 65%) der Befragten gaben an, keine Religion auszuüben. Für ein Drittel spielen Religion und religiöse Werte eine Rolle (25 Nennungen, 331,2%). Drei Befragte gaben keine Antwort. 3.2 Erfahrungen aus extremen Naturereignissen Einige Befragte haben bereits extreme Naturereignisse erlebt und zum Teil auch Schäden davon- getragen. Tabelle 3.1 gibt Auskunft über die jeweilige Anzahl erlebter Ereignisse und Schadener- fahrungen. Die meisten Befragten haben Erfahrungen mit Sturm gemacht, etwas weniger mit Hochwasser und noch weniger mit Erdbeben. Einen Vulkanausbruch haben drei Befragte erlebt. Während die Erfahrungen mit Sturm und Hochwasser überwiegend im eigenen Land gemacht wurden, stammt bei den Erfahrungen mit Erdbeben ein großer Teil von Auslandsaufenthalten, vor allem bei den deutschen Befragten. Wie aus der Tabelle hervorgeht, haben weitaus weniger Befragte tatsächlich auch Schaden aus den erlebten extremen Naturereignissen davongetragen, und zwar in erster Linie aus Hochwasser und Sturm. Tab. 3.1: Anzahl von Erlebnissen und Schadenerfahrungen aus extremen Naturereignissen Sturm Hochwasser Erdbeben Vulkanausbruch Ein Erlebnis 21 14 14 3 Zwei Erlebnisse 8 7 5 - Drei und mehr Erlebnisse 1 3 - - Summe Befragte mit 30 24 19 3 Erlebnissen Eine Schadenerfahrung 11 8 1 1 Zwei und mehr Schadener- - 2 2 - fahrungen Summe Befragte mit 11 10 3 1 Schadenerfahrung 4. Einschätzung von Naturrisiken im Vergleich zu anderen Risikoquellen In diesem Abschnitt werden die Antworten zur Frage „Wie gefährlich beurteilen Sie allgemein die genannten Aktivitäten und Ereignisse?“ behandelt. 17 Risikoquellen aus unterschiedlichen Bereichen (Technik, Medizin, Umwelt und Natur, Alltags- und Freizeitaktivitäten) sollten auf einer Skala von 1 bis 100 nach ihrer Gefährlichkeit beurteilt werden. Tabelle 4.1 enthält die jewei- ligen Einschätzungen. Die Risikoquellen sind nach dem Mittelwert geordnet, beginnend mit dem höchsten Mittelwert. 5
Wahrnehmung von Risiken aus Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanausbruch Tab. 4.1: Einschätzung der generellen Gefährlichkeit 17 verschiedener Risikoquellen N Mittel- Median Standard- Varianz wert abweichung AIDS 76 77,6 83,5 22,5 505,9 Schädigung der Ozonschicht 76 71,4 74,5 20,4 415,8 Umweltverschmutzung 77 67,5 70 20,9 437,4 Rauchen 75 66,4 72 23,7 561,4 Hausbrand 77 65,3 67 25,3 639,3 Erdbeben 77 63,7 69 23,6 557,7 Vulkanausbruch 77 60,2 67 28,4 807,1 Autofahren 77 55,9 55 22,7 513,2 Atomenergie 77 55,8 58 28,9 837,1 Hochwasser 76 52,9 57 23,7 560,2 Sturm 77 47,9 48 20,9 438,0 Wirtschaftskrise 77 47,2 45 21,8 473,5 Gentechnisch veränderte 76 41,6 39,5 24,5 601,7 Lebensmittel essen Alkohol 77 37,8 36 22,9 524,9 Elektrosmog 75 36,0 31 24,4 594,2 Skifahren 77 35,8 33 20,7 427,9 Flugzeug fliegen 77 33,4 31 18,6 344,3 Gültige Werte (Listenweise) 70 Da die Streuung in den Antworten sehr groß ist (siehe Standardabweichung und Varianz), die Befragten also sehr unterschiedlich geantwortet haben, können die Antworten nur ihrer Tendenz nach interpretiert werden. Man kann aus der Tabelle 4.1 nicht ableiten, dass Umweltverschmut- zung generell gefährlicher eingeschätzt wird als Rauchen und Hausbrand und weniger gefährlich als AIDS oder die Schädigung der Ozonschicht. Man kann daraus jedoch ableiten, dass die Be- fragten die vier Naturrisiken Sturm, Hochwasser, Erdbeben und Vulkanausbruch in eine ähnliche Größenordnung hinsichtlich ihrer allgemeinen Gefährlichkeit eingeschätzt haben wie etwa Atomenergie, Hausbrand, Autofahren und die Wirtschaftskrisen. 6
Ergebnisse Befragung Sommerakademie 2002 5. Wahrgenommene Risikomerkmale Die folgende Abbildung zeigt einen Ausschnitt des Fragebogens. Am Beispiel der Naturgefahr Hochwasser ist ersichtlich, welche Merkmale in Form 5-stufiger Skalen erhoben wurden. Sie sind in bisherigen Untersuchungen wiederholt zur Erforschung des alltäglichen, intuitiven Risikover- ständnisses eingesetzt worden. Schätzen sie Hochwasser für Sie persönlich als eine Gefährdung ein? für mich keine Gefährdung 1 2 3 4 5 für mich eine große Gefährung Wie wahrscheinlich ist es Ihrer Meinung nach, dass Sie an den Folgen von Hochwasser sterben könnten? Todesfolgen unwahrscheinlich 1 2 3 4 5 Todesfolgen zu erwarten In welchem Ausmaß sind Ihrer Meinung nach Hochwasser in der Wissenschaft erforscht? vollkommen erforscht 1 2 3 4 5 vollkommen unerforscht Ist Ihnen die Gefährdung, die von Hochwasser ausgeht, schon lange bekannt oder völlig neu? ist mir lange bekannt 1 2 3 4 5 ist mir völlig neu Macht Ihnen die Gefährdung durch Hochwasser Angst? Macht mir keine Angst 1 2 3 4 5 macht mir viel Angst Inwieweit haben Sie selbst Möglichkeiten, sich vor der Gefährdung durch Hochwasser zu schützen? viele Einflussmöglichkeiten 1 2 3 4 5 keine Einflussmöglichkeiten Treten Hochwasser Ihrer Einschätzung nach fast nie oder sehr selten auf? passiert fast nie 1 2 3 4 5 passiert sehr oft Inwieweit lassen sich Ihrer Meinung nach Hochwasser vorhersagen? ist sicher vorhersagbar 1 2 3 4 5 ist gar nicht vorhersagbar Treten Ihrer Meinung nach Schäden für den Menschen durch Hochwasser in Zukunft häufiger oder seltener auf? werden seltener 1 2 3 4 5 werden häufiger Ausschnitt aus dem Fragebogen Die Abbildung 5.1 zeigt anhand des jeweiligen Mittelwertprofils die „Risikoprofile“ von Sturm, Hochwasser, Erdbeben und Vulkanausbruch.1 Insgesamt ähneln sich die vier Naturrisiken in den mit ihnen verbundenen Eigenschaften, da die „Profile“ nicht sehr weit auseinander liegen. 1 Die Linie wurde nur zur besseren Veranschaulichung gezogen, sie hat keine mathematische Bedeutung. 7
Wahrnehmung von Risiken aus Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanausbruch Risikomerkmale keine - große Gef. nicht tödl. - tödl. erforscht - unerf. alt - neu keine Angst - Angst Risikoquelle viel-kein Schutz m . Sturm selten - oft Hochwasser vorhersagbar - unv. Erdbeben Abnahm e - Zunahm e Vulkanausbruch 1,0 2,0 3,0 4,0 5,0 Mittelwert Abb. 5.1: Wahrgenommene Risikomerkmale von Sturm, Hochwasser, Erdbeben und Vulkanausbruch: Mittelwerte („Risikoprofil“) Die vier natürlichen Risikoquellen werden als nur geringe persönliche Gefährdung wahrgenom- men, insbesondere Erdbeben und Vulkanausbruch. Auch die Wahrscheinlichkeit von Todesfol- gen durch auftretende Ereignisse schätzten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Befragung als gering ein, wobei Erdbeben geringfügig höher eingestuft wird. Alle vier Naturgefahren werden von den Befragten als relativ altbekannt betrachtet und mit wenig Angstgefühl verbunden. Na- hezu gleich wird der Grad der wissenschaftlichen Erforschung der vierNaturgefahren eingeord- net: sie werden etwas mehr „unerforscht“ als „erforscht“ gesehen. Größere Unterschiede bestehen in den angenommenen Schutzmöglichkeiten vor den genannten Naturgefahren, der geschätzten Auftretenshäufigkeit, ihrer Vorhersagbarkeit und der künftigen Zu- oder Abnahme von Schäden infolge solcher Ereignisse. Bei Sturm und bei Hochwasser se- hen die Befragten noch die meisten Möglichkeiten, sich vor der Gefährdung zu schützen, etwas weniger bei Vulkanausbruch und am wenigsten bei Erdbeben. In der wahrgenommen Häufigkeit schert Hochwasser mit der größten wahrgenommenen Häufigkeit deutlich gegenüber den ande- ren vier Naturrisiken aus. Sturm und Hochwasser werden noch am ehesten als vorhersagbar ge- sehen, Vulkanausbruch und Erdbeben dagegen deutlich weniger. Was die künftige Entwicklung bezüglich Häufigkeit und Schäden angeht, so gehen die Befragten für Hochwasser und Sturm von einer deutlichen Zunahme aus. Schäden durch Vulkanausbrüche und Erdbeben werden dagegen eher als gleich bleibend betrachtet. 8
Ergebnisse Befragung Sommerakademie 2002 6. Erklärungsmuster für Naturkatastrophen Eine der häufigsten Fragen während und nach Katastrophen ist die danach, wie alles passieren konnte und wer die Verantwortung trägt: es werden Erklärungen für die Ursachen und Folgen des Geschehens gesucht. Unabhängig von den jeweiligen Gegebenheiten im Einzelfall kann man in der Art, wie in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen Katastrophen in ihrem Entstehen diskutiert werden, verschiedene Erklärungsmuster oder „Motive“ finden: Naturkatastrophen als Schicksalsschlag von außen bzw. als unvorhersehbares, zufälliges Naturereignis, als Gottes Strafe oder Rache der Natur sowie Folge des Umgangs der Menschen mit der Natur. In all diesen Er- klärungen ist der Mensch unterschiedlich wenig oder stark in die Entstehungskette von Naturka- tastrophen eingebunden. Mit der Frage nach der Zustimmung zu unterschiedlichen Ursache- Wirkungen-Definitionen von Naturkatastrophen ist daher auch die Frage verbunden, inwiefern sich der Mensch selbst als Verursacher von Naturkatastrophen sieht und daher entsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen kann bzw. muss. Auf diese Weise wird ein weiterer Aspekt der Ri- sikowahrnehmung erfasst. Zu jeder Art von extremen Naturereignis und dessen Folgen wurden den Befragten Aussagen vorgelegt, denen sie auf einer 6-stufigen Skala zustimmen oder sie ablehnen konnten. Zum besse- ren Verständnis der folgenden Abbildungen sind auch hier nochmals die im Fragebogen verwen- deten Formulierungen aufgeführt, hier am Beispiel von Hochwasser: stimme stimme stimme Stimme stimme stimme weiß gar nicht nicht zu eher teilweise zu voll zu nicht zu nicht zu zu ? ☺? ☺ ☺☺ ? Hochwasser und die Schäden daraus sind ein Schick- salsschlag. Hochwasser sind unvorhersehbare Naturereignisse. Hochwasser sind eine Strafe Gottes. Hochwasser und Überschwemmungen sind eine Rache der Natur. Hochwasser und Überschwemmungen sind ein Er- gebnis falscher Planung und falscher Umweltpolitik. Hochwasser und Überschwemmungen sind eine Folge des menschgemachten Klimawandels. Ausschnitt aus dem Fragebogen Die Befragten erklären die vier Arten von Naturkatastrophen hinsichtlich ihrer Ursachen unter- schiedlich. In der folgenden Abbildung 6.1 ist der Mittelwert aller gültigen Antworten dargestellt, da sich im Überblick über die vier Naturgefahren hinweg die Unterschiede in den Erklärungs- mustern am besten zeigen. Zur detaillierten Betrachtung sind in den Abbildungen 6.2 bis 6.5 die jeweiligen Antwortmöglichkeiten mit den Häufigkeiten ihrer Nennung aufgeführt. Aus der Betrachtung der Mittelwerte (Abbildung 6.1) geht deutlich hervor, dass große Unter- schiede vor allem bei den Erklärungsmustern bestehen, die den Menschen mit in die Entste- hungskette von Naturkatastrophen einbinden: bei der Erklärung von Naturkatastrophen als Folge falscher Umwelt- und Planungspolitik sowie bei der Erklärung als einer Folge des anthro- pogenen Klimawandels. 9
Wahrnehmung von Risiken aus Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanausbruch Erklärungsmuster 6 5 Risikoquelle 4 Sturm 3 Hochw asser Mittelwert 2 Erdbeben 1 V ulkanausbruch Sc U G R Pl An nv ac ot an hi th te .N he ck un ro ss sa p at g/ de t .K ra ur U ls rN fe m sc li m er w ei at h aw la el gn ur tp g an is ol de . l 1 - 3 Ablehnung, 4 - 6 Zustimmung Abb. 6.1: Mittelwertprofile der Erklärungsmuster Jeweils über die Hälfte der Befragten stimmen in unterschiedlichem Maße der Aussage zu, dass Sturm, Hochwasser, Vulkanausbruch und Erdbeben sowie die Folgen daraus ein Schicksalsschlag sind (vgl. Abb. 6.2 bis 6.5). Als unvorsehbares Naturereignis betrachten die meisten Befragten nur Erdbeben und Vulkanausbruch. Die Erklärung des unvorhersehbaren Naturereignisses leh- nen die meisten Befragten für Sturm und für Hochwasser dagegen ab. Die sehr große Ablehnung, Naturkatastrophen als eine Strafe Gottes zu erklären, war aufgrund vorhergehender Untersuchungen (Plapp 2003) in etwa so erwartet worden. Vor ca. 150 bis 200 Jahren wäre diese Frage in vielen Gebieten Mitteleuropas höchstwahrscheinlich noch anders be- antwortet worden (vgl. Schmidt 1999), hätte man die Bevölkerung nach ihrer Meinung gefragt. Auch heute würde diese Frage in stärker religiös geprägten Gesellschaften wie z.B. in Indien oder Indonesien anders beantwortet werden (vgl. Schlehe, 1996). Auch wenn Gott nicht als strafende Instanz gesehen wird, ist der Gedanke einer übermenschli- chen Kraft, die sich am Menschen für seine Vergehen rächt, offenbar doch nicht ganz fremd, zumindest bei Sturm und bei Hochwasser. Immerhin ein Achtel (Sturm) bzw. ein Viertel der Be- fragten (Hochwasser) stimmt hier in unterschiedlichem Grade der Erklärung von Naturkatastro- phen als „Rache der Natur“ zu. Bei Erdbeben wie bei Vulkanausbruch sind dies mit jeweils unter drei Nennungen weitaus weniger. Auch in den beiden weiteren Erklärungsmustern, die den Menschen mit in die Ursachen-Wir- kungen-Kette von Naturkatastrophen einbeziehen (Folge Umwelt- und Planungspolitik, Folge anthropogener Klimawandel), machen die Befragten Unterschiede zwischen den atmosphäri- schen Ereignissen Sturm und Hochwasser und den geophysikalischen Ereignissen Vulkanaus- bruch und Erdbeben. Bei Hochwasser und Sturm stimmt die überwältigende Mehrheit der Be- fragten den beiden Erklärungsmustern zu, dagegen nur eine Minderheit im Falle von Erdbeben und Vulkanausbruch. Für Erdbeben und Vulkanausbruch erhält das Erklärungsmuster „Folge falscher Umwelt- und Planungspolitik“ dabei noch geringfügig mehr Zustimmung als das Erklä- rungsmuster „Folge des anthropogenen Klimawandels“. 10
Ergebnisse Befragung Sommerakademie 2002 Erklärungsmuster Sturm: Anzahl der Nennungen 80 3 4 3 3 6 4 2 3 8 70 10 5 4 7 4 18 11 8 weiss nicht /k.A. 60 12 stimme voll zu 15 50 7 stimme zu stimme teilweise zu 24 30 33 40 19 stimme eher nicht zu 67 stimme nicht zu 30 10 45 stimme gar nicht zu 10 20 21 14 8 10 10 6 10 8 6 4 0 Sc Na Go Ra Pla An hi cks tur tt ess ch nu thr er eig ed ng/ opo als tra er Um ge s chl ni s fe N atu we ner ag r ltpo Klim litik aw a nd el Abb. 6.2: Erklärungsmuster von Sturm und Sturmschäden Erklärungsmuster für Hochwasser: Anzahl der Nennungen 80 5 2 4 4 3 2 7 2 4 2 3 4 70 6 weiss nicht /k.A. 9 10 13 19 21 stimme voll zu 60 stimme zu 2 stimme teilweise zu 50 25 23 20 9 stimme eher nicht zu 40 stimme nicht zu 65 33 30 13 stimme gar nicht zu 27 27 40 20 9 8 10 14 5 9 4 3 4 2 0 Sc Na Go Ra Pla An hic tur tte ch nu thr ks ere ss ed ng op als ign traf er /Um og sc is e Natu we en hla er g r ltp Kli olit ma ik w an de l Abb. 6.3: Erklärungsmuster von Hochwasser und Hochwasserschäden 11
Wahrnehmung von Risiken aus Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanausbruch Erkärungsmuste r Erdbe be n: Anzahl Ne nnunge n 80 2 5 3 5 5 8 1 9 2 4 1 2 1 70 3 7 7 10 12 8 60 17 10 weiss nicht /k.A. 14 14 50 stimme voll zu 16 15 40 stimme zu 17 63 30 11 57 stimme teilweise zu 5 46 20 5 stimme eher nicht 36 14 zu stimme nicht zu 10 18 9 0 Sc Na Go Ra Pl a An hic tu r t te ch nu t hr ks er e ss ed ng op a ls s ign tr a fe er /U og ch is Na mw en l ag tu r elt er po Kl i l iti ma k wa nd el Abb. 6.4: Erklärungsmuster von Erdbeben und Erdbebenschäden Erklärungsmuster Vulkanausbruch: Anzahl Nennungen 80 1 5 4 4 3 3 3 1 1 1 1 2 4 3 70 7 9 11 5 11 11 4 weiss nicht /k.A. 60 16 21 stimme voll zu 50 18 stimme zu 22 16 stimme teilweise zu 40 stimme eher nicht zu 19 63 stimme nicht zu 30 8 59 45 stimme gar nicht zu 7 20 35 14 10 18 7 0 Sc Na Go Ra P la An hic tur tte ch nu thr ksa ere sst ed ng op lss ign raf er /U og ch is e Na m w en lag tur elt er po Kli litik ma w an de l Abb. 6.5: Erklärungsmuster von Vulkanausbruch und den Schäden daraus 12
Ergebnisse Befragung Sommerakademie 2002 Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Befragten alle vier Naturkatastrophen als Schick- salsschlag auffassen und als mehr (Erdbeben, Vulkanausbruch) oder weniger (Sturm, Hochwas- ser) unvorhersehbares Naturereignis erklären. Bei Sturm und bei Hochwasser sehen sie den Men- schen relativ stark als treibende Kraft in der Entstehungskette von Katastrophen. 7. Informationsquellen als Grundlage für die Beantwortung der Fragen Auf welcher Informationsbasis haben die Teilnehmer/-innen die Fragen zu Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanausbruch beantwortet? Auch hierzu wurden die Befragten um Antworten gebeten, wobei drei Antwortmöglichkeiten vorgegeben waren: aus eigener Erfahrung, aus Medien aller Art (TV, Zeitungen, Büchern, Vorträgen) sowie aus Erzählungen von Freunden oder Be- kannten. Bei dieser Frage waren Mehrfachnennungen möglich. Die Abbildung 7.1 zeigt die Häufigkeit, mit der Befragte angaben, die jeweilige Informations- quelle als Grundlage für die Beurteilung der vier Naturrisiken verwendet zu haben. Bei allen vier Risikoquellen haben sie die Informationsquelle Medien und Bücher in ähnlicher Häufigkeit ge- nannt. Gleichzeitig ist diese Informationsquelle die häufigste. Dieses Ergebnis ist angesichts der Bedeutung, die Medien in unserem Leben und der Erfahrung im Geschehen in der Welt haben, sehr einleuchtend. Grundlagen der Beurteilung 160 140 27 35 120 Als Grundlage benutzt (Anzahl) 19 100 69 69 76 11 80 76 60 Erzählungen von 40 Freunden 38 32 Medien, Bücher 20 16 0 Eigene Erfahrung Sturm Erdbeben Hochw asser Vulkanausbruch Risikoquelle Abb. 7.1: Informationsquellen als Grundlagen zur Beurteilung der Naturrisiken: Anzahl der Nennungen Erzählungen von Freunden sowie eigene Erfahrungen als Beurteilungsgrundlage haben weitaus weniger Befragte angegeben. Hier sind zudem Unterschiede zwischen den vier Risikoquellen zu erkennen. Bei Sturm und bei Hochwasser kann jeweils mehr als ein Drittel der 77 Befragten auf eigene Erfahrungen und/oder Erzählungen von Freunden und Bekannten zurückgreifen. Bei Erdbeben sind es jeweils weniger als ein Drittel der Befragten, bei Vulkanausbrüchen noch weni- 13
Wahrnehmung von Risiken aus Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanausbruch ger. Dieses Ergebnis ist insofern nachvollziehbar, als Hochwasser und Sturm auch in Deutsch- land regelmäßig für Schlagzeilen und Schäden sorgen und insofern auch mehr Befragte bzw. ihre Freunde oder Bekannte Erfahrungen machen konnten oder mussten. Wie bereits oben schon angedeutet, beziehen sich viele der Erlebnisse von Erdbeben auf Auslandsaufenthalte. 8. Risikobereitschaft Die Bereitschaft, Risiken einzugehen, wurde als möglicher Einfluss auf die Einschätzung der Ge- fährlichkeit von Risikoquellen integriert. Auch wenn sich letztlich herausgestellt hat, dass die Ri- sikobereitschaft in der untersuchten Form kaum einen nennenswerten Einfluss auf die generelle Einschätzung der Gefährlichkeit hat, sollen hier zumindest die Ergebnisse zur Risikobereitschaft als solcher dargestellt werden. Die Risikobereitschaft wurde in drei Fragen erfasst. Zuerst waren die Befragten gebeten, ihre Risikobereitschaft auf einer Skala von 0 bis 100 frei einzuschätzen. Danach sollten sie angeben, wie ihrer Meinung nach die eigenen Freunde und Bekannte die Risikobereitschaft der befragten Person einschätzen würden. Diese „doppelte“ Selbsteinschätzung wurde als „Korrektiv“ für die Selbsteinschätzung erhoben. Da beide Einschätzungen letztendlich jedoch von einer Person stammen (das eigene Bild der Risikobereitschaft und das selbst angenommene „Fremdbild“ der Risikobereitschaft) ist dieses Korrektiv allerdings nur begrenzt aussagekräftig. Der statistisch nachweisbare Zusammenhang (r =0,78) zwischen beiden Schätzungen ist nicht überraschend, weist aber darauf hin, dass die Befragten durchaus zwischen subjektiv empfundener und durch Handeln abgebildeter Risikobereitschaft differenzieren. 12 10 10 8 8 6 6 4 4 2 2 Std.abw . = 21,65 Std.abw . = 23,29 Mittel = 45 Mittel = 46 0 N = 76,00 0 N = 71,00 0 40 80 0 40 80 20 60 20 60 Selbsteinschätzung Risikobereitschaft Fremdeinschätzung Risikobereitschaft Abb. 8.1: Histogramme über Angaben der Selbst- und Fremdeinschätzung der Risikobereitschaft In der Abbildung 8.1 sind in Histogrammen die Häufigkeiten der Selbsteinschätzung und der angenommenen „Fremdeinschätzung“ dargestellt. Wie man sehen kann, liegen die Selbst- und Fremdeinschätzung relativ nahe beieinander. Außerdem wird aus der Abbildung 8.1 deutlich, dass die Befragten für ihre Antworten nahezu die gesamte Bandbreite der Skala genutzt haben. Die dritte Frage zur Risikobereitschaft bestand aus einem „Lotterieexperiment“. Dabei konnten sich die Befragten bei gleichem Spieleinsatz (10 DM) zwischen zwei Lotteriearten entscheiden: bei einer Option bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit (90%) auf einen geringen Gewinn (100 14
Ergebnisse Befragung Sommerakademie 2002 DM), bei der anderen Option eine geringe Wahrscheinlichkeit (10%) auf einen hohen Gewinn (5000 DM). Die Befragten konnten sich also bei gleichem Einsatz für eine „sichere“ und auf eine „riskante“ Option entscheiden. Wie man aus dem Kreisdiagramm in Abb. 8.2 sehen kann, ent- schieden sich etwas weniger als die Hälfte der Befragten für die „riskantere“ Option und zeigen damit also eine höhere Risikobereitschaft an. Lottoexperiment zur Risikobereitschaft 10% ig 5000 DM 41,6% Fehlend 2,6% 90%ig 100 DM 55,8% Abb. 8.2: Prozentuale Anteile der gewählten Lotterieart unter den Befragten Einschätzung Risikobereitschaft gruppiert nach gewählter Lotterie 70 60 61 57 50 40 Selbsteinschätzung Risikobereitschaf t 30 32 33 Median Fremdeinschätzung 20 Risikobereitschaf t 90%ig 100 DM 10%ig 5000 DM Risikobereitschaft bei 10 DM Spieleinsatz Abb. 8.3: Gegenüberstellung der Risikobereitschaft nach Gruppen im „Lottoexperiment“ 15
Wahrnehmung von Risiken aus Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanausbruch Die beiden Gruppen der eher „sicherheitsorientierten“ und „riskanteren“, risikofreudigen Be- fragten sind in der Abb. 8.3 bezüglich ihrer Risikobereitschaft laut Selbst- und „Fremdbild“ ge- genübergestellt. Aus ihr geht hervor, dass die Befragtengruppe, die „sicherere“ Option in der Lotterie wählten, in „Fremd“- wie Selbstbild der eigenen Risikobereitschaft einen deutlich gerin- geren Mittelwert (Median) hat (linke Hälfte im Diagramm) als die Gruppe derjenigen Befragten, die die riskantere Option wählten (rechte Hälfte im Diagramm). Der Unterschied in „Fremd“- und Selbsteinschätzung zwischen den beiden Gruppen ist statistisch höchst signifikant. Bestehen Unterschiede in der Einschätzung der Gefährlichkeit der verschiedenen Risikoquellen durch die eher „sicherheitsorientierten“ und „riskanteren“ Befragten? Wie oben bereits angedeu- tet, ließen sich nur relativ geringe Unterschiede feststellen. Die risikofreudigen Befragten schätz- ten im Mittel Rauchen, Elektrosmog, Umweltverschmutzung, Hausbrand und Sturm als etwas weniger gefährlich ein als die sicherheitsorientierten Befragten. Bei den anderen Risikoquellen, die in der Gegenüberstellung der beiden Befragtengruppen in Tab. 8.1 aufgeführt sind, sind die Unterschiede in den Medianen nur sehr gering. Die Risikobereitschaft spielt also für die Ein- schätzung der Gefährlichkeit in dieser Untersuchung kaum eine nennenswerte Rolle. Dies gilt auch für die Einschätzung der Gefährlichkeit von Naturgefahren. Tab. 8.1: Unterschiede in der Einschätzung der Gefährlichkeit durch sicherheitsorientierte und risikofreudige Befragte Risikoquelle Sicherheitsorientierte Risikofreudige Signifikanzniveau Befragte, Median Befragte, Median Elektrosmog 37,5 28 0,005 Sturm 49 43,5 0,05 Rauchen 74 62,5 0,05 Hochwasser 57 56 0,05 „Genfood“ 43 33 0,005 Umweltverschmutzung 70 61,5 0,005 Hausbrand 70 61,5 0,005 Ozonschicht 75 72 0,01 In der Tabelle sind nur die Risikoquellen aufgeführt, bei denen sich ein signifikanter Unterschied in der Einschätzung durch sicherheitsorientierte und risikofreudige Befragte feststellen ließ. 9. Einstellungen zu Gesellschaft und Natur Ein theoretischer Ansatz zur Risikowahrnehmung, die cultural theory (Douglas/Wildavsky 1983, 1992) geht davon aus, dass alle Menschen in einer Gesellschaft „Kulturen“ mit einer jeweils eige- nen Weltsicht zugehören. Je nach Weltsicht unterscheiden sich auch die Risiken, die als die ge- fährlichsten wahrgenommen werden und als diejenigen Risiken, die am dringendsten vermindert und reguliert werden müssten. Die Weltsichten lassen sich mittels Einstellungen zur Gesellschaft und zur Natur erfassen. 16
Ergebnisse Befragung Sommerakademie 2002 9.1 Einstellungen zum Miteinander in der Gesellschaft Im Fragebogen war aus Platzgründen nur ein Teil der Fragen zum Miteinander in der Gesell- schaft integriert worden, weshalb auch die Auswertung nur in Teilen durchgeführt werden konnte. Insgesamt lassen sich jedoch einige Tendenzen ausmachen, die hier kurz aufgeführt wer- den. Die Befragten können am stärksten solchen Aussagen zustimmen, die sich auf ein egalitär ge- prägtes und auf Ausgleich bemühtes soziales Miteinander beziehen: hierzu gehört die Vorstel- lung, dass der Staat die Aufgabe hat, dafür zu sorgen, dass alle den gleichen Lebensstandard ha- ben, genauso wie die Auffassung, dass reichere Personen zur Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums mehr Steuern zahlen sollten als Ärmere. Außerdem gehört in die Reihe dieser Aussa- gen auch diejenige, dass die Gesellschaft weniger Probleme hätte, wenn alle Menschen gleich behandelt werden würden und die Welt friedlicher wäre, wenn die Reichtümer anders verteilt wären. Weitaus weniger stimmten die Befragten solchen Aussagen zu, die zu einer marktorientierten, individualistischen oder zu einer hierarchisch geprägten Weltsicht gehören: das sind einerseits wirtschaftliche Entwicklung ohne staatliche Interventionen, Verdienst als wichtigste Arbeitsmoti- vation und das „Recht auf Reichtum“ (individualistische, marktorientierte Weltsicht) und ande- rerseits regelförmige Abläufe und strenge Prinzipien (hierarchische, regelgebundene Weltsicht). Am wenigsten stimmen die Befragten solchen Aussagen zu, die eine fatalistische Sicht auf die Welt beschreiben: dass die Zukunft nicht selbst planbar und das Leben „wie eine Lotterie“ ist, sowie dass man von anderen oft ungerecht behandelt wurde. 9.2 Naturbilder Von besonderem Interesse für das Thema Naturkatastrophen sind die Vorstellungen von der natürlichen Umgebung. Hierzu wurden „Naturbilder“ integriert (vgl. Thompson et al. 1990, Dake 1992). Die vier Aussagen in der Befragung, die auf verschiedene Vorstellungen vom Mensch und seiner Umwelt gründen, werden hier nochmals aufgeführt. In Klammern angegeben ist jeweils die Kurzbezeichnung, wie sie in der Abbildung 9.1 verwendet werden. Natur reguliert sich selbst, wenn Mensch sich an ihre Gesetze hält (Selbstregulation). Wir sind Teil der Natur und unterliegen ihrem Auf und Ab (Zufallswelt). Die Natur stellt Ressourcen bereit, die man nutzen sollte (Ressource). Jeder Eingriff in die Natur kann unabsehbare Folgen haben (Balance). Die Abbildung 9.1 zeigt, dass die Zustimmungen zu drei Naturbildern relativ ähnlich sind: dem Bild der der fragilen Balance, dem der Zufallswelt, in die der Mensch gehört und dem Bild des (begrenzt) zur Selbstregulation fähigen Systems. Diese Naturbilder geben jeweils über die Hälfte der Befragten als „eher“ bis „völlig“ zutreffend an. Anders dagegen betrachten die Befragten das Bild der Natur als ausbeutbare Ressource: dieses Bild empfinden nur etwa ein Drittel der Befrag- ten als „eher“ bis „völlig“ zutreffend (28 von 77), während es insgesamt 18 Befragte als („eher“) nicht zutreffend ansehen. Auffallend bei diesem Naturbild ist die hohe Zahl der Befragten, die mit „teils/teils“ eine neutrale, unentschiedene Position gegenüber diesem Naturbild einnehmen. 17
Wahrnehmung von Risiken aus Hochwasser, Sturm, Erdbeben und Vulkanausbruch Zustimmung zu Naturbildern (Anzahl Nennungen) 45 16 30 21 1 trifft überhaupt nicht zu e nc trifft eher nicht zu la Ba teils/teils 3 15 30 18 10 1 trifft eher zu trifft völlig zu ce ur k.A./weiss nicht so es R 46 17 33 11 6 t el w lls fa Zu 6 4 12 31 19 5 n io at ul g re 0 20 40 60 80 100 st lb Se Abb. 9.1: Zustimmungsraten zu Naturbildern: Anzahl Nennungen 10. Zitierte Literatur Banse, Gerhard, Gotthard Bechmann, 1998: Interdisziplinäre Risikoforschung - Topics und Sichtweisen, in: Banse, G., G. Bechmann (Hg.): Interdisziplinäre Risikoforschung. Eine Bibliographie, Westdeutscher Verlag: Opladen; 7-70. Dake, Karl, 1992: Myths of Nature: Culture and the Social Construction of Risk, in: Journal of Social Issues, Vol. 48; 21-37. Douglas, Mary, Aaron Wildavsky, 1983: Risk and Culture. An Essay on the Selection of Techno- logical and Environmental Dangers, Berkeley et al.: University of California Press. Douglas, Mary, Aaron Wildavsky, 1993: Risiko und Kultur, in: Krohn, W. und G. Krücken (Hg.): Riskante Technologien: Reflexion und Regulation. Einführung in die sozialwissenschaftliche Risikoforschung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp; 113-137. Jungermann, Helmut, Paul Slovic, 1993a: Charakteristika individueller Risikowahrnehmung. In: Krohn, Wolfgang, Georg Krücken (Hrsg.): Riskante Technologien: Reflexion und Regulation. Einfüh- rung in die sozialwissenschaftliche Risikoforschung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 79-100. Jungermann, Helmut, Paul Slovic, 1993b: Die Psychologie der Kognition und Evaluation von Risiko, in: Bechmann, Gotthard (Hrsg.): Risiko und Gesellschaft. Grundlagen und Ergebnisse interdis- ziplinärer Risikoforschung. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 167-207. Krohn, Wolfgang, Georg Krücken, 1993: Risiko als Konstruktion und Wirklichkeit. Eine Einfüh- rung in die sozialwissenschaftliche Risikoforschung, in: dies. (Hg.): Riskante Technologien: Refle- xion und Regulation. Einführung in die sozialwissenschaftliche Risikoforschung, Frankfurt a.M.: Suhr- kamp; 9-44. Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, 1999a: Naturkatastrophen in Deutschland. Scha- denerfahrungen und Schadenpotentiale, München. 18
Ergebnisse Befragung Sommerakademie 2002 Munich Re Group / Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, 2003: Topics. Annual Review: Natural Catastrophes 2002, München. Plapp, Tina, 2002: Erdbeben, Stürme, Hochwasser – unvorhersehbar, unkontrollierbar, schreck- lich? Zur Wahrnehmung und Bewertung von Risiken aus extremen Naturereignissen, in: Tetzlaff, G., Trautmann, T., Radtke, K. S. (Hrsg.): Tagungsband Zweites Forum Katastrophenvor- sorge: “extreme Naturereignisse - Folgen, Vorsorge, Werkzeuge“, Deutsches Komitee für Katastrophenvorsorge e.V. (DKKV), 24. – 26. September 2001, Bonn und Leipzig; 234-241. Plapp, Tina, 2003: Wahrnehmung von Risiken aus Naturkatastrophen. Eine empirische Untersu- chung in sechs gefährdeten Gebieten Westdeutschlands, Dissertation an der Fakultät für Wirt- schaftswissenschaften der Universität Karlsruhe. Renn, Ortwin, 1984: Risikowahrnehmung der Kernenergie. Frankfurt/Main: Campus. Renn, Ortwin, 1989: Risikowahrnehmung – Psychologische Determinanten bei der intuitiven Erfassung und Bewertung von technischen Risiken. In: Hosemann, Gerhard (Hrsg.): Risiko in der Industriegesellschaft. Analysen, Vorsorge und Akzeptanz: Sieben Vorträge. Erlanger Forschungen, Band 19. Erlangen/Nürnberg: Universitäts-Bund Erlangen-Nürnberg e.V., S. 167-192. Schlehe, Johanna, 1996: Reinterpretations of Mystical Traditions. Explanantions of a Volcanic Eruption in Java, in: Anthropos, Vol. 91; 391-409. Schmidt, Andreas, 1999: Gewitter und Blitzableiter. Historische Deutungsmuster von Gewitter und deren Umschlag in Technik, in: Sieferle, R. P., H. Breuninger (Hg.): Natur-Bilder. Wahr- nehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte, Frankfurt/ New York: Campus; 279- 296. Schnitzer, Klaus, Wolfgang Isserstedt, Elke Middendorf, 2001: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik 2000. 16. Sozialerhebung des Deutschen Stu- dentenwerks, durchgeführt durch HIS Hochschul-Informations-System, herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn. Slovic, Paul, 1987: Perception of Risk, in: Science, Vol. 236; 280-285. Slovic, Paul, 1992: Perception of Risk: Reflections on the Psychometric Paradigm, in: Krimsky, Sheldon, Dominic Golding (Eds.): Social Theories of Risk. Westport/London: Praeger; 117-152. Thompson, Michael, Richard Ellis, Aaron Wildavsky, 1990: Cultural Theory, Boulder u.a.: West- view Press. 19
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