HOTSPOT FURKA Biologische Vielfalt im Gebirge Erika Hiltbrunner und Christian Körner - ALPFOR

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HOTSPOT FURKA Biologische Vielfalt im Gebirge Erika Hiltbrunner und Christian Körner - ALPFOR
HOTSPOT FURKA
Biologische Vielfalt im Gebirge
            Erika Hiltbrunner und Christian Körner

                                     Alpine
                                     Forschungs-
                                     und Ausbildungs-
                                     station Furka
HOTSPOT FURKA Biologische Vielfalt im Gebirge Erika Hiltbrunner und Christian Körner - ALPFOR
HOTSPOT FURKA Biologische Vielfalt im Gebirge Erika Hiltbrunner und Christian Körner - ALPFOR
HOTSPOT FURKA
Biologische Vielfalt im Gebirge

Erika Hiltbrunner und Christian Körner

Basel, 2018
HOTSPOT FURKA Biologische Vielfalt im Gebirge Erika Hiltbrunner und Christian Körner - ALPFOR
Impressum

Herausgeber
Erika Hiltbrunner und Christian Körner
Alpine Forschungs- und Ausbildungssta-
tion Furka (ALPFOR) und Universität Basel,
Schönbeinstrasse 6, CH-4056 Basel
www.alp­for.ch
ISBN 978-3-033-06701-1

                Alpine
                Forschungs-
                und Ausbildungs-
                station Furka

Mit Beiträgen von
Florian Altermatt, Georg F. J. Armbruster,
Georg Artmann-Graf, Gerhard Bächli, Simo-
ne Baumgartner, Thomas Brodtbeck, Walter
Brücker, Daniel Burckhardt, Sarah Burg, De-
nise Camenisch, Auriel Chatelain, Claudia Ei-
senring, Andreas Erhardt, Barbara M. Fischer,
Rolf Geisser, Christoph Germann, Ambros
Hänggi, Oliver Heiri, Erika Hiltbrunner, Moni-
ca Kaiser-Benz, Christian Körner, Daniel Küry,
Enrique Lara, Holger Martz, Edward Mitchell,
Jürg Paul Müller, Christoph Mullis, Fritz Oehl,
Heinrich Schatz, Irene Schatz, Christoph
Scheidegger, Benjamin Seitz, Beatrice Senn,
Eva M. Spehn, Eva Sprecher, Salome Steiner,
Edi Stöckli, Veronika Stöckli, Jürg Stöcklin,
Alex Szallies, Lukas Taxböck, Edi Urmi, Denis
Vallan, Maarten van Hardenbroek, Mathias
Vust, Markus Wilhelm, Denise Wyniger
Redaktion Erika Hiltbrunner, Gregor Klaus,
Christian Körner
Layout und Satz estherschreier.ch
Papier Allegro holzfrei weiss halbmatt ge-
strichen, Bilderdruck, 100% PEFC-zertifiziert.
150 g/m2 (Inhalt), 250 g/m2 (Umschlag)
Druck Print Media Works, Schopfheim, D
Auflage 4200
Umschlagfotos vorne: Das immergrüne
Felsenblümchen Draba aizoides mit Blick auf
das Finsteraarhorn. Foto E. Hiltbrunner
Sonstige Umschlagfotos aus den Beiträgen.
Zitiervorschlag
Hiltbrunner E., Körner C., (2018). Hotspot
Furka. Biologische Vielfalt im Gebirge. Alpine
Forschungs- und Ausbildungsstation Furka
und Universität Basel, 60 Seiten.
ISBN 978-3-033-06701-1
Bezugsadresse
Alpine Forschungs- und Ausbildungsstation
Furka (ALPFOR), Schönbeinstr. 6, 4056 Basel,
erika.hiltbrunner@unibas.ch
© Alpine Forschungs- und Ausbildungs­-
station Furka (ALPFOR) 2018

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HOTSPOT FURKA Biologische Vielfalt im Gebirge Erika Hiltbrunner und Christian Körner - ALPFOR
Inhalt

4   Vorwort
    Alpiner Hotspot der Biodiversität
    Erika Hiltbrunner und Christian Körner

6   Einführung                                                   36 Tag- und Nachtfalter in alpinen Lebensräumen
    Leben im Hochgebirge                                            Florian Altermatt und Andreas Erhardt
    Christian Körner, Christoph Mullis und Erika Hiltbrunner

                                                                 38 Käfer: Räuber und Pflanzenfresser
12 Alpenflora der Schweiz: auf kleinstem Raum                       Eva Sprecher, Christoph Germann, Irene Schatz,
   Jürg Stöcklin, Rolf Geisser und Walter Brücker                   Salome Steiner und Alex Szallies

14 Moose: klein aber fein                                        40 Kurzflügelkäfer: der Wurm unter den Käfern
   Edi Urmi unter Mitarbeit von Ariel Bergamini, Thomas             Irene Schatz
   Kiebacher, Markus Meier und Norbert Schnyder

                                                                 41 Wanzen und Blattflöhe: saugende Winzlinge
16 Flechten: auf Gedeih und Verderb verflochten                     Denise Wyniger und Daniel Burckhardt
   Christoph Scheidegger und Mathias Vust

                                                                 .42 Hundertfüssler: flink und lichtscheu
18 Pilze: mit und ohne Hut                                           Edi Stöckli
   Beatrice Senn, Markus Wilhelm und Thomas Brodtbeck

                                                                 43 Hornmilben: gepanzerte Minimonster
20 Endomykorrhiza: mikroskopische Bodenpilze                        Heinrich Schatz und Barbara M. Fischer
   Fritz Oehl und Benjamin Seitz

                                                                 44 Spinnen: Jäger mit grosser Wirkung
22 Schalenamöben: wichtige Einzeller                                Ambros Hänggi
   Auriel Chatelain, Enrique Lara und Edward Mitchell

                                                                 46 Amphibien und Reptilien: alpin angepasst
24 Leben im Wasser: zwischen Eis und Bergbach                       Denis Vallan
   Daniel Küry, Florian Altermatt, Simone Baumgartner, Claudia
   Eisenring, Maarten van Hardenbroek, Oliver Heiri und
   Lukas Taxböck                                                 48 Vögel: die höchste Kolonie der Mehlschwalbe
                                                                    Veronika Stöckli, Georg F. J. Armbruster und
                                                                    Sarah Burg
27 Alpine Muscheln und Wasserschnecken
   Daniel Küry
                                                                 50 Säugetiere: Leben unter und über dem Schnee
                                                                    Jürg Paul Müller und Denise Camenisch
28 Gehäuseschnecken: klein und gut versteckt
   Georg F. J. Armbruster und Eva M. Spehn
                                                                 52 Alpine Biodiversität: eine Zwischenbilanz
                                                                    Erika Hiltbrunner und Christian Körner
30 Ameisen: nur kleine Staaten im Gebirge
   Monica Kaiser-Benz und Holger Martz
                                                                 54 Forschende in Aktion

32 Heuschrecken, Bienen und Schlupfwespen
   Georg Artmann-Graf                                            56 Experten und Expertinnen

34 Fliegen und Mücken im Hochgebirge                             60 Förderer
   Gerhard Bächli

                                                                                                                     3
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Vorwort

                                                Alpiner Hotspot der Biodiversität
                                                Obwohl es oft als öd und unwirtlich bezeich­                       Sonne (Exposition) schafft auf gleicher Meeres­-
                                                net wird, gibt es in jenem Drittel der Schweiz,                    höhe Unterschiede im Tagesklima, die dem
                                                das über 2000 m Höhe liegt, einen enormen                          Temperaturunterschied von mehr als tausend
                                                Reichtum an Leben. Der vermeintlichen Un­                          Höhenmetern entsprechen können. Die Struk­
                                                gunst des Klimas zum Trotz lebt zwischen der                       tur der Landoberfläche (Topographie) schafft
                                                Obergrenze des Bergwaldes und den höchs­                           zusätzlich ein buntes Mosaik von Habitaten,
                                                ten Alpengipfeln rund ein Viertel aller ein­                       die sich in Mikroklima, Schneedeckendauer,
                                                heimischen Blütenpflanzenarten der Schweiz.                        Wasser- und Nährstoffangebot unterscheiden.
                                                Diese Vielfalt ist wichtig, da sie unter anderem                   Der geologische Untergrund beeinflusst
                                                steile Hänge vor Erosion sichert und so die Tä­                    den Bodentyp (Karbonat- oder Silikatböden).
                                                ler bewohnbar macht.*                                              Feuchtlebensräume wie Quellmoore, Berg­
                                                Der grosse Artenreichtum der Gebirgsland­                          seen und Bergbäche bereichern die Lebens­
                                                schaft gründet in der Vielfalt der Lebensräu­                      raumvielfalt.
                                                me (Habitate) auf kleinem Raum. Steile Hö­                         Wo die Lebensraumvielfalt ein Maximum er­
                                                hengradienten vereinen über kurze Distanz                          reicht, erreicht auch die biologische Vielfalt
                                                Klimabedingungen, die sonst nur über Tau­                          ein Maximum. Am Furkapass an der Grenze
                                                sende von Kilometern in Richtung der Pole                          zwischen dem Kanton Uri und dem Kanton
                                                zu finden sind. Die Ausrichtung der Hänge zur                      Wallis, am Übergang von fetten Alpweiden
Die beiden Initiatoren des Hotspot Furka                                                                           zum ewigen Schnee, sind solche Bedingun­
Erika Hiltbrunner und Christian Körner          * Körner C. (2004). Mountain biodiversity, its causes and func­-   gen gegeben. Das Gebiet ist ein Hotspot der
Foto Beat Ernst, Basel                           tion. Ambio Special Report 13, 11–17.                             alpinen Biodiversität.

Karte Das Hotspot-Furka-Inventar in unmittel­
barer Nähe der Alpinen Forschungs- und
Ausbildungsstation ALPFOR in den Schweizer
Zentralalpen

                                                                                           ALPFOR

                                                                                              Furka

4                                               Hotspot Furka | Biologische Vielfalt in den Alpen
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Vom 23. bis 26. Juli 2012 versammelten sich       Die vorliegende Broschüre fasst die Resulta-
47 Expertinnen und Experten aus dem In- und       te allgemein verständlich zusammen. Die or-
Ausland zu vier intensiven Arbeitstagen an der    ganismische Vielfalt ist überwältigend – und
Alpinen Forschungs- und Ausbildungsstati-         dies an einem Ort, der auf den ersten Blick fast
on (ALPFOR; www.alpfor.ch) in 2440 m Höhe         leer erscheint. Etliche für die Schweiz oder
nahe dem Furkapass. Ziel war ein möglichst        überhaupt bisher unbekannte Arten wurden
umfassendes Inventar der Vielfalt der Arten im    entdeckt. Dies ist ein starkes Motiv, diese letz-
alpinen Lebensraum. Neben den bereits gut         te grosse Urlandschaft Europas zu schätzen,
erfassten rund 300 Blütenpflanzenarten im         zu schützen und wissenschaftlich im Auge zu
Umkreis der Station (gut die Hälfte der gesam-    behalten. Nicht zuletzt kommt auch ein gross-
ten Artenzahl der alpinen Flora der Schweiz)      er Teil unseres Trinkwassers und der Strom­
sollten auch Schmetterlinge und Käfer, Vögel      erzeugung aus diesen Gebirgsökosystemen.
und Kleinsäuger, Fliegen und Bienen, Boden-       Die Dauerbeob­   achtungsflächen werden in
tiere, Algen, Moose, Flechten, Pilze sowie die    den folgenden Jahren und Jahrzehnten die
Organismen der Gewässer erhoben werden.           Möglichkeit bieten, «am Ball» zu bleiben, um
Bei strahlendem Hochsommerwetter fanden           Veränderungen der Lebewelt im Hochgebir-
die Spezialistinnen und Spezialisten mehr als     ge zu erkennen und zu dokumentieren.
2000 Arten von Organismen. Dies sind rund
zwei Drittel der vermuteten Arten (ohne Bak-
terien und andere Mikroorganismen). Bis spät
in die Nacht wurde präpariert, mikroskopiert
und bestimmt. Viele Arten konnten erst in
mühsamer Kleinarbeit in den Wochen und
Monaten danach identifiziert werden. Am 27.
Juli 2012 wurden die ersten Resultate in An-      Erika Hiltbrunner und Christian Körner
dermatt der Öffentlichkeit vorgestellt.           ALPFOR und Universität Basel
Das Besondere und von den Teilnehmen-
den geschätzte Konzept dieses «alpinen Erst­-
inventars» war es, dass definierte Lebensräu-
me gemeinsam untersucht wurden, anstatt
unkoordiniert zu sammeln. Nur für hochmobi-
le Organismen (Wirbeltiere, Falter) waren indi-
vidualisierte Aufsammlungen und Beobach-
tungen nötig. Elf charakteristische alpine Ha-
bitattypen (10 davon doppelt) und etliche Son-
derstandorte wurden markiert, so dass man
die insgesamt 21 Dauerbeobachtungsflächen
von rund 400 bis 600 m2 Grösse sowie die
Sonderhabitate zu einem späteren Zeitpunkt
nochmals aufsuchen kann.
Die Testflächen wurden klimatisch und bo-
denkundlich charakterisiert. Mit einer hoch-
auflösenden Infrarot-Wärmebildkamera wur-
den Temperaturspektren jeder Fläche aufge-
zeichnet. Die Boden- und Wassertemperatu-
ren wurden automatisch gemessen, und die
pflanzliche Biomasseproduktion der Flächen
wurde ermittelt. So wird es möglich, die Ar-
tenvielfalt der unterschiedlichen Organis-
mengruppen miteinander zu vergleichen
und Bezüge zu den Umweltbedingungen
herzustellen. Vergleich und Vergleichbarkeit
waren die Leitmotive dieser Biodiversitätser-
hebung.

                                                                                            Vorwort   5
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Einführung

                                                  Leben im Hochgebirge
Stark schwankende Lebensbedingun-                 Im Gebirge bestimmt die Vielfalt der Habitate              (aquatische Habitate). Andere Organismen-
gen, mechanischer und klimatischer                die Artenvielfalt.* Die auszuwählenden Dauer­-             gruppen sind Habitat-unspezifisch oder ope-
Stress, gegenseitiger Schutz, funktionel-         beobachtungsflächen mussten daher die Le-                  rieren auf grösserer Skala (Falter, Vögel und
le Ergänzung und komplexe Nahrungs-               bensraumtypen der Hochalpen repräsenta-                    andere Wirbeltiere).
netze benötigen ein reiches Spektrum              tiv abbilden. Eine zufällige statistische «Ras-
an biologischen Leistungen und damit              terfahndung» (mit einem Gitternetz) würde                  Starke Mikroklimaeffekte
eine Vielfalt an Arten. Diese sich wech-          häufige Lebensraumtypen überbewerten                       Die tatsächlichen klimatischen Lebensbedin-
selseitig bedingende Diversität lässt sich        und seltene wären überhaupt nicht vertreten.               gungen alpiner Organismen weichen stark
nur aufdecken, wenn man streng lebens-            Als Beginn einer langfristigen Umweltbeob-                 von denen ab, die an meteorologischen Sta-
raumspezifische, organismische Inven-             achtung im Kern der alpinen Stufe orientierte              tionen gemessen werden. Beispielsweise be-
tare erstellt und diese in regelmässigen          sich das Projekt «Hotspot Furka» im Sommer                 trug die Durchschnittstemperatur der Luft auf
Abständen wiederholt.                             2012 am Habitatkonzept (Abb. unten): Es wur-               der Furka im Sommer 2012 (11. Juli bis 2. Sep-
Christian Körner, Christoph Mullis und Erika      den 11 Landlebensräume sowie verschiede-                   tember) in 2 Metern Höhe 8.4 °C. Gleichzeitig
Hiltbrunner                                       ne aquatische Habitattypen (Fliessgewässer                 lag die mittlere Temperatur im Boden in 3 cm
                                                  und stehende Gewässer) ausgewählt (Tabelle                 Tiefe – also dort, wo sich die Bildungsgewe-
                                                  Seite 7, Fotos Seite 8, 9).                                be der meisten Pflanzenarten befinden und
                                                  Expertinnen und Experten sollten möglichst                 die höchste Aktivität der Bodenorganismen
                                                  viele unterschiedliche Organismengruppen                   stattfindet – je nach Habitat zwischen 9.8 und
                                                  in markierten Beobachtungsflächen von etwa                 13.1 °C (siehe Tabelle Seite 7), was umgerech-
                                                  400 bis 600 m2 Grösse erfassen. Pro Habitat                net in Hö­­henmeter (0.55 Grad pro 100 m) ei-
                                                  wurden zwei Flächen ausgeschieden (ausser                  ner Höhenausdehnung von 600 m entspricht.
                                                  von Typ 10). Von jeder dieser 21 Flächen, die              Die untersuchten Lebensräume liegen also
                                                  vom Gletschervorfeld bis zu üppigen alpinen                thermisch 200 bis 800 m tiefer, als es die ge-
                                                  Wiesen reichen, wurden zudem Bodenmerk-                    messene Lufttemperatur anzeigt. Dieser Er-
                                                  male, Klimadaten sowie die Biomasseproduk-                 wärmungseffekt entsteht aus dem Zusam-
                                                  tion erhoben (Tabelle Seite 7). Alle folgenden             menwirken von Hangneigung, Hangrichtung,
                                                  Kapitel beziehen sich auf diese Habitattypen.              Niederwüchsigkeit der Vegetation und der
                                                  Für einzelne Organismengruppen wurden                      treibenden Kraft, nämlich der Sonnenstrah-
                                                  zusätzlich spezifische Standorte einbezogen                lung.
                                                  * Körner C. (2003). Alpine Plant Life. Springer, Berlin.

Rechts Die alpinen Dauerbeobachtungs-
flächen im Furkagebiet (Kreise, 6 verschiedene
Habitat­typen in unmittelbarer Nähe der
Forschungs­station ALPFOR). Auf jeder Fläche
(2 pro Habitattyp) wurde versucht, «das Hotspot
Furka» Konzept anzuwenden. Foto und Grafik
E. Hiltbrunner

6                                                 Hotspot Furka | Biologische Vielfalt in den Alpen
HOTSPOT FURKA Biologische Vielfalt im Gebirge Erika Hiltbrunner und Christian Körner - ALPFOR
Merkmale der ausgewählten alpinen Habitate im Furkagebiet. Bodentemperaturen a (°C) in 3 bis 4 cm
Tiefe (11. 7.–2. 9. 2012), Bodenmerkmaleb,c (in 1 bis 6 cm Tiefe) und Produktivität d,e für 11 Lebensraum­
typen der alpinen Stufe am Furkapass in 2420 bis 2480 m ü. M.

                                                                               b         c        c        d        e           f
Habitatcode / Habitat                         T Min    T Max T Mittelwert pH         C       Ca       BM       TM       Arten
     Referenz: Luft in 2 m Höhe                -3.0     20.2          8.4
1    Bürstlingsrasen (6) a                      5.6     22.2         12.7    3.3    5.5       1       222       74        30
2    Bürstlingsrasen mit Besenheide (6)         4.3     23.9         13.1    3.6    5.7      13       335      194        48
3    Zwergstrauchheide mit Alpenazalee (5)      3.7     16.1          9.8    3.5   12.2      28       495 g     10        28
4    Violettschwingelrasen (5)                  6.1     19.1         12.4    3.8    7.3      85       363      226        63
5    Rasen mit Solifluktion, Nordhang (6)       3.6     15.7          9.8    4.1    4.7      98       227       62        47
6    Krummseggenrasen (5) 	                     4.2     19.5         11.3    3.2    5.6       2       276      100        36
7    Nährstoffreicher Rasen, Westhang (5)       4.7     20.3         11.6    3.6    3.9      23       271      108        62
8    Schneetälchen (6)                          3.9     21.2         12.2    3.5    4.3       2       110       21        20
9    Gletschervorfeld (2)                       2.3     23.0         11.8    5.8    0.4      82        21        3        52
10   Nacktriedrasen (1)                         6.3     16.3         11.2    3.6    7.2      61       195      106        62
11   Flachmoor (2)                              4.2     20.5         12.0    3.9    3.6      72       172       35        26
     Mittelwert 1–11                            4.4     19.8         11.6
a Zahlen in Klammer geben die Anzahl automatischer Temperatursonden an, aus deren stündlichen Registrierungen die
  Mittelwerte berechnet wurden. Die Nummern vor dem Habitatnamen stehen für den Habitatcode.
b Jeweils 6 Proben pro Habitattyp für pH, (nur 3 bei Typ 10). Der pH wurde in einer Bodensuspension mit 0.01 M CaCl2
  Lösung gemessen.
c 10 Proben für C in % und Kalzium in mg/100 g des ofentrockenen gesiebten Feinbodens.
d Biomasse (BM) bezieht sich auf lebende oberirdische Pflanzenteile.
e Totmasse (TM) ist der noch an der Pflanze haftende (oft stehende) abgestorbene Teil (dies sind grobe Richtwerte in
  g Trockensubstanz pro m2, Mittelwert aus 2 Ernteflächen von 25325 cm zum Zeitpunkt des vegetativen Höhepunktes;
                                                                                                                                                          0.008
  Ernteflächen im Gletschervorfeld: 50350 cm).
f Die Artenzahl bezieht sich auf Blütenpflanzen (Mittel von zwei ca. 400 m2 grossen Testflächen).

                                                                                                                                    Relative Häufigkeit
g Verholzte, mehrjährige Triebe eingeschlossen.                                                                                                           0.006

                                                                                                                                                          0.004

                                                                                                                                                          0.002

                                                                                                                                                          0.000
                                                                                                                                                               10   15            20         25        30
                                                                                                                                                                         Oberflächentemperatur in °C

                                                                                                                                      Oben Die Dauerbeobachtungsfläche Bürstlings-
                                                                                                                                      rasen mit Besenheide
                                                                                                                                      Mitte Die gleiche Fläche mit der Wärmebild­­-
                                                                                                                                      kamera aufgenommen
                                                                                                                                      Unten Die Häufigkeitsverteilung der Oberflä-
                                                                                                                                      chentemperaturen (Bild Mitte). Die Oberflächen-
                                                                                                                                      temperaturen schwankten zwischen 11.4 und
                                                                                                                                      33.7 °C bei einer Lufttemperatur von 13.1 °C am
                                                                                                                                      18. Juli 2012, 12:54 Uhr

                                                                                                                                       Links Das Infrarotbild mit der Wärmebild-
                                                                                                                                       kamera aufgenommen zeigt in hoher Auflösung
                                                                                                                                       ein Mosaik von thermischen Mikrohabitaten.
                                                                                                                                       Blick in Richtung Stotziger First. Vorne links der
                                                                                                                                       ALPFOR-Teich

                                                                                                                Einführung                                                                                  7
HOTSPOT FURKA Biologische Vielfalt im Gebirge Erika Hiltbrunner und Christian Körner - ALPFOR
Die Vielfalt an Lebensräumen in der alpinen
Stufe ist enorm

Oben Violettschwingelrasen, Habitat 4. Foto
C. Körner
Mitte Bürstlingsrasen, Habitat 1. Links im Bild die
Forschungsstation ALPFOR. Foto C. Körner
Unten Kriechende Nelkenwurz Geum reptans im
Gletschervorfeld des Muttgletschers, Habitat 9.
Foto E. Hiltbrunner

Die Habitatnummern entsprechen denjenigen
in der Tabelle auf Seite 7.

8                                                     Hotspot Furka | Biologische Vielfalt in den Alpen
Die Topographie, die Geologie und
             das Angebot an Wasser prägen die
             Lebensräume

             Oben links Krummseggenrasen, Habitat 6
             Oben rechts Flachmoor, Habitat 11

             Mitte Zwergstrauchheide mit Alpen­azalee,
             Habitat 3

             Unten links Rasen mit Solifluktion (Nord-
             hang), Habitat 5. Foto E. Hilt­brunner
             Unten rechts Schneetälchen, Habitat 8

             Alle anderen Fotos C. Körner

             Die Habitatnummern entsprechen den-
             jenigen in der Tabelle auf Seite 7.

Einführung                                               9
Eine sehr dichte Vegetationsdecke, eine ho-         Versauerte Böden
     he Biomasse, Nordexposition oder schlecht           Pflanzen wachsen nicht nur auf bestimmten
     abbaubarer Pflanzenabfall mit starker Rohhu-        Böden, sondern bestimmte Böden entste-
     musbildung «isolieren» den Boden thermisch          hen nur dort, wo Pflanzen lange genug Zeit
     und erzeugen kühle Böden (durchschnittlich          hatten, dem Ökosystem ihren Stempel aufzu-
     nur 9.8 Grad unter Alpenazaleen und den             drücken, indem sich ihre abgestorbenen Tei-
     nord­exponierten Rasen). Südexposition und          le mit dem Ausgangssubstrat zu Humus ver-
     offene Bestände schaffen dagegen warme Bö-          binden. Eine Anreicherung mit organischer
     den (Durchschnittswerte für Bürstlingsrasen         Substanz als Nettoresultat der Photosynthe-
     bei 13 °C, aber auch erstaunliche 12 °C in den      se führt immer dazu, dass der Boden saurer
     karg bewachsenen Schneetälchen). Die Spit-          wird, also der pH-Wert sinkt. Deshalb entste-
     zentemperaturen im Boden bei Schönwetter            hen auch auf kalkhaltigem Untergrund sau-
     liegen bei 23 °C im Gletschervorfeld und 24 °C      re Böden. Je älter und je ungestörter Böden
     im Bürstlingsrasen (überraschende 21 °C in          sind, desto saurer werden sie natürlicherwei-
     den Schneetälchen). Lebensräume, die man            se. Karbonathaltiges, von Wind und Oberflä-
     intuitiv als kalt einstufen würde, sind erstaun-    chenabfluss eingetragenes Feinsubstrat kann
     lich warm. Solche Informationen helfen dabei,       dem entgegenwirken, ebenso wie Bodentie-
     standörtliche Biodiversitätsunterschiede zu         re (Regenwürmer, wühlende Wirbeltiere), die
     verstehen.                                          die Bodenschichten vermischen. In alpinen
     Noch ausgeprägter werden diese Mikroklima-          Ökosystemen ist diese Durchmischung aller-
     effekte, wenn man die Temperatur der direkt         dings meist sehr gering.
     von der Sonne bestrahlten Pflanzendecke             Es kommt also nicht überraschend, dass das
     betrachtet. Bei sonnigem Wetter steigen die         älteste und stabilste alpine Ökosystem, der
     mit der Infrarot-Wärmebildkamera gemesse-           Krummseggenrasen, mit einem Boden-pH
     nen Temperaturen auf fast allen Flächen täg-        von nur 3.2 das «sauerste» Habitat darstellt
     lich über 20 Grad und erreichen mittags re-         (siehe Tabelle). Ihm folgen dicht mit 3.3 bis
     gelmässig Maximalwerte zwischen 25 und 35           3.5 Schneetälchen, Zwergstrauchheiden mit
     Grad, wie sie auch in Tieflagen vorkom­men.         Alpen­azalee und Bürstlingsrasen. Flächen, die
     Blätter und Blüten sind bei sonnigem Wetter         unter Karbonateinfluss stehen, sei es aus dem
     mittags im Durchschnitt 6 bis 10 Grad wär-          geologischen Untergrund, durch Moränen-
     mer als die Luft. Der niedrige, dichte Bewuchs      schutt oder durch Staubeintrag, weisen eine
     schafft also günstige Lebensbedingungen             etwas geringere Ansäuerung auf: Besenhei-
     für Pflanzen und Tiere – solange die Sonne          dereicher Bürstlingsrasen, Violettschwingel-
     scheint. Bei bedecktem Himmel sind die Er-          rasen und Nacktried liegen zwischen pH 3.6
     wärmungseffekte mit 1 bis 2 Grad sehr gering.       und 3.8. Fehlt die Bodenbildung weitgehend,
     Alpine Organismen müssen also die Gunst             wie im Gletschervorfeld (pH 5.8), nähern sich
     der Stunde nutzen. Die Häufigkeitsverteilung        die Werte auch auf Silikat dem Neutralpunkt.
     der Temperaturen in den Beobachtungsflä-            Man kann also nicht direkt aus dem geolo-
     chen macht deutlich, welche Lebensbedin-            gischen Umfeld auf die Bodenverhältnisse
     gungen ein Habitat aufweist und wie häufig          schliessen.
     diese Mikrohabitate sind (Abb. Seite 7 Mitte        Der Gehalt an organischem Kohlenstoff (Hu-
     und unten).                                         mus) erlaubt eher Rückschlüsse. Mit 4 bis 12%
     Ungleich weniger schwanken in dieser Hö-            Kohlenstoff-Gewichtsanteil sind diese alpi-
     he die Temperaturen in Bächen, Teichen und          nen Böden alle sehr humusreich. Die organi­
     Seen (Abb. Seite 11, links). Bäche bleiben ganz-    sche Substanz dürfte im frischen, gequolle­
     jährig kalt, tiefe Karseen (Schwärzisee) errei-     nen Zustand im Oberboden mehr als die
     chen im Hochsommer kurzzeitig Temperatu-            Hälfte des Bodenvolumens einnehmen. Es ist
     ren bis +10 °C, eine Temperatur, die in flachen     bemerkenswert, dass selbst Böden mit stark
     Niedermoorteichen stundenweise überschrit -         saurer Reaktion (z. B. im Violettschwingel­
     ten wurde. Keines der Gewässer fror im Win-         rasen) oder rein mineralische Böden (z. B. im
     ter vollkommen durch; die Nullgradgrenze,           Gletschervorfeld) einen hohen Vorrat an Kal-
     die ein Eis-Wasser-Gemisch anzeigt, wurde           zium aufweisen können, was die hohe Arten-
     in den Gewässern nie unterschritten. Das be-        diversität in diesen Habitaten miterklärt.
     deutet, dass Tiere und Pflanzen in den Gewäs-
     sern überwintern können und die Gewässer
     nicht jeden Frühling neu besiedelt werden
     müssen.

10   Hotspot Furka | Biologische Vielfalt in den Alpen
Produktive Flora
    Geschlossene Rasen weisen in dieser Meeres­
    höhe im August eine Summe aus lebender
    und toter oberirdischer Pflanzensubstanz
    zwischen 300 und 600 g Trockengewicht pro
    Quadratmeter auf (Tabelle Seite 7). Bei einer
    Wachstumsperiode von nur etwa 2 Monaten
    ergibt sich aus der lebenden Substanz (Bio-
    masse) eine monatliche, oberirdische Pro-
    duktivität von 100 bis 180 g pro Quadratme-
    ter (wenn man Standorte mit mehrjährigen
    Holzpflanzen, Flächen mit unvollständiger
    Deckung wie Gletschervorfeld und Sonder­
    standorte wie Schneetälchen und Flachmoo-
    re ausklammert). Den kurzen Bergsommer
    nutzen die Alpenpflanzen somit pro Monat (!)
    ähnlich gut wie die naturnahe Vegetation im
    Tal. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man
    die Temperaturen betrachtet. Deutlich gerin-
    ger ist die Produktivität wegen unvollständi-
    ger Bodendeckung in Schneetälchen und im
    Gletschervorfeld. Die unterirdische Biomasse
    (Wurzeln, Rhizome) kann ein Mehrfaches der
    oberirdischen betragen.
    In den untersuchten Rasengesellschaften be-
    steht kein Bezug zwischen der Zahl der Blü-
    tenpflanzenarten und der Produktivität. In
    den Alpenazaleenbeständen spielen Moose
    und Flechten eine sehr grosse Rolle (200–500
    g/m2), während deren Biomasseanteil sonst
    unter 50 g pro Quadratmeter liegt (nur am of-
    fenen Schneeboden bis 70 g/m2). Weil Flech-
    ten mehrjährig sind und je nach Habitat uralt
    werden, wird ihre Masse nicht zur jährlichen
    Biomasseproduktivität gerechnet.                                                                                                                          Oben Die Lufttemperatur (siehe Grafik links)
                                                                                                                                                              ge­­messen in 2 m Höhe entspricht nicht den
                                                                                                                                                              Temperaturen, welche die Pflanzen erfahren.
                                                                                                                                                              Foto C. Körner
                                                                                                                                                              Mitte Die drei Schwärziseen in 2640 m Höhe.
                                                                                                                                                              Foto I. Inauen

                                20
                                16      Lufttemperatur
                                        ALPFOR
                                12
                                                                                                           Maximum
                                 8
                                 4
                                 0
                                 -4
                                                                                                           Mittel         Links Der Jahresgang der Luft-
                                 -8
                                                                                                                          und Wasser­temperaturen im
Monatsmittel-Temperatur in °C

                                -12
                                                                                                                          Furkagebiet 2013
                                -16
                                                                                                           Minimum        Lufttemperatur ALPFOR-Wetter­
                                -20
                                                                                                                          station. Wassertemperaturen im
                                                                                                                          Sidelenbach (Gletscherbach),
                                                                                                                          ALPFOR-Teich und im obersten
                                                                                                                          Schwärzisee (2649 m ü. M., ein ca.
                                                                                                                          10 ha grosser Karsee, Foto Mitte).
                                10      Wassertemperaturen                            Schwärzisee 0.3 m
                                                                                                                          Der Sidelenbach bleibt das ganze
                                 8
                                                                                                                          Jahr kalt. Der Schwär­­zisee erwärmt
                                 6                                                               Schwärzisee 3.35 m       sich im Sommer in den oberen
                                 4                                                                                        Wasserschichten (0.3 m), während
                                                                                                      ALPFOR-Teich
                                 2                                             Sidelenbach                                im Winter die un­­­teren Schichten
                                 0                                                                                        wärmer sind (Dichteanomalie des
                                  Jan    Feb    Mär      Apr   Mai   Jun    Jul Aug     Sep   Okt    Nov    Dez     Jan   Wassers).
                                                                           2013

                                                                                                                                                 Einführung                                                  11
Alpenflora der Schweiz: auf kleinstem Raum
In den elf untersuchten Lebensraum­                 Blütenpflanzen stellen mit ca. 300 000 Ar­ten       ten alpinen Zwergsträucher des Alpenraums
typen fanden wir insgesamt 186 Blüten­­­-           die artenreichste und weitverbreitetste Pflan-      vertreten sind (verschiedene Heidekrautarten
pflanzenarten. Je nach Bodentyp und                 zengruppe der Erde dar. Die Blüte ist ihre          und Zwergweiden).
Schneebedeckung variiert die Arten­                 wichtigste evolutionäre Neuerung und in der         Die am häufigsten vorkommenden Arten
zahl zwischen 20 und 67 Arten pro                   Regel spezialisiert für die Bestäubung durch        sind der Bunte Wiesenhafer (Helictotrichon
Habitattyp. Wegen der Vielfalt an                   Insekten, Vögel, andere Tiere oder auch «nur»       versicolor), das Alpenrispengras (Poa alpina) –
Lebens­räumen und dem Nebeneinan­                   durch Wind. Diese Spezialisierung ist ein we-       meist in seiner «lebendgebärenden» (pseudo-
der von sauren und karbonatreichen                  sentlicher Grund für die Vielfalt von Formen,       viviparen) Form – und das Schweizer Milch-
Böden ist die Pflanzenwelt der Furka                Farben und Strukturen der Blüten.                   kraut (Leontodon helveticus). Eine besondere
ein repräsentatives Abbild für die alpi­            In der alpinen Stufe gibt es weltweit rund          Augenweide und die einzige Rote Liste-Art der
ne Flora der Schweiz.                               8000 bis 10 000 Arten von Blütenpflanzen.           Furka ist der Berg-Drachenkopf (Dracocepha-
Jürg Stöcklin, Rolf Geisser und Walter Brücker      Berggebiete sind trotz der harschen Um-             lum ruyschiana), der im Violett­schwingelrasen
                                                    weltverhältnisse und der im Vergleich zum           der Furka eines seiner höchsten Vorkommen
                                                    Tiefland geringen Fläche der alpinen Stufe          in der Schweiz haben dürfte. Unerwartet für
                                                    sehr artenreich. In der Schweiz sind von den        diese Höhenlage war, dass während der Furka-
                                                    etwa 2500 einheimischen Blütenpflanzen­             Hotspot-Tage neu der Röhrige Gelbstern (Ga-
                                                    arten rund 600 alpin.                               gea fragifera) gefunden wurde, eine Art eher
                                                                                                        fetter Wiesen tieferer Lagen.
                                                    Die Flora der Furka                                 Zu den eindrucksvollsten Arten der Flora der
                                                    Die Blütenpflanzenflora der Furka ist äusserst      Furka gehört die gelblich-weiss blühende
                                                    artenreich. In der näheren Umgebung der             Strauss-Glo­­ckenblume (Campanula thyrsoides).
                                                    Furkapasshöhe (maximal 2.5 km Entfernung),          Diese ty­pi­sche Kalkpflanze bildet zuerst eine
                                                    zwischen 2200 und 2900 m ü. M. wurden in ei-        eng dem Boden anliegende Rosette, die erst
                                                    nem ersten Gesamtinventar 301 Blütenpflan-          nach 7 bis 10 Jahren einen auffällig grossen
                                                    zen aus 152 Gattungen und 49 Familien gefun-        Blütenstand bildet. In einem Blütenstand rei-
                                                    den.* Die Artenzahl ist ge­messen an der klei-      fen bis zu 50 000 Samen, danach stirbt die
                                                    nen Untersuchungsfläche und der strikten Be-        Pflanze. Eine Besonderheit ist auch das Zwerg-
                                                    schränkung auf die alpine Stufe überraschend        knabenkraut (Chamorchis alpina) auf karbonat­-
                                                    hoch; zahlenmässig ist sie ebenso gross wie         beeinflussten Hangkanten, eine der vier Orchi­
                                                    andere Regionalfloren der Alpen, obwohl die-        deenarten auf der Furka.
                                                    se in der Regel ein viel umfangreicheres Ge-
                                                    biet über einen ausgedehnteren Höhenbe-             Artenzahl nach Habitatstypen
                                                    reich umfassen. Die grosse Artenvielfalt resul-     In den für die Untersuchung ausgewählten
                                                    tiert aus der Vielfalt der Lebensräume und der      terrestrischen Habitatstypen wurden 186 und
                                                    kleinräumig wechselnden Geologie.                   damit mehr als die Hälfte der über 300 auf
Oben Der Berg-Drachenkopf Dracocephalum             Fast ohne Ausnahme sind diese Pflanzenar-           der Furka vertretenen Blütenpflanzen gefun­-
ruyschiana an einem der höchstgelegenen             ten mehrjährig. Nur ganz wenige Arten wie           den. Die Zahl der Arten pro Lebensraum­
Standorte dieser Rote-Liste-Art in den Alpen.       der Zwerg-Augentrost sind «einjährig»; sie kei-     typ auf jeweils 400–600 m2 liegt zwischen
Foto C. Körner                                      men, blühen und die Samen reifen in nur ei-         20 und 63 (Mittelwert von 2 Flächen), unter­-
                                                    nem Sommer. Je nachdem, wo sich die emp-            scheidet sich also um mehr als das Dreifache
                                                    findlichen Wachstumsgewebe (Me­risteme, Er-         (siehe Tabelle). Der Bodentyp, die Kargheit
                                                    neuerungsknospen) bei den ausdauernden              bzw. das Nähr­stoffangebot und die Länge
                                                    Pflanzen befinden, werden verschiedene Le-          der Schneebedeckung bestimmen weit­       ge­
                                                    bensformen unter­schieden. 68% der Arten            hend die Artenzahl. Am tiefsten ist diese in
                                                    auf der Furka haben ihre Erneuerungsknos-           den Schneetälchen. Wenig mehr Arten finden
                                                    pen an oder knapp unter der Bodenoberflä-           sich in windexponierten Zwerg­strauchheiden.
                                                    che; die Knospen sind durch Streu, Humus            Saure Rasen mit Krummsegge und Borstgras
                                                    und im Winter durch Schnee geschützt. 20%           sind bereits erstaunlich artenreich und kön-
                                                    der Arten haben die Winterknospen deutlich          nen zwischen 40 und 50 Arten erreichen. Am
                                                    über der Bodenoberfläche (z.B. Zwergstäu-           höchsten ist die Arten­zahl im Violettschwin-
                                                    cher, Polsterpflanzen). Diese Arten benötigen       gelrasen auf kalkhaltigem Sub­strat, wo kalk-
                                                    im Winter einen verlässlichen Schneeschutz.         liebende, boden-pH-tolerante und eher saure
Anzahl Arten von Blütenpflanzen                     Nur 8% der Arten tragen ihre Überdauerungs-         Böden bevorzugende Arten nebeneinander
pro Lebensraumtyp
                                                    knospen im Verborgenen an Zwiebeln, Knol-           vorkom­men. Bemerkenswert ist, dass steile
Habitat                                 Artenzahl   len oder Rhizomen tief im Boden (Geophyten).        Rasen auf Silikat ähnlich viele Arten haben
Bürstlingsrasen auf Silikat                 26–30   Wie in der gesamten alpinen Flora der Schweiz       können wie die Rasen auf karbonathaltigem
Bürstlingsrasen mit Besenheide auf Silikat 46–49    ist auch in der Furkaregion die Familie der         Substrat. Dies kann durch Viehtritt, frische,
Zwergstrauchheide mit Alpenazalee           21–35
                                                    Korbblütler am artenreichsten (43 Arten), ge-       bergseitige Mineralstoffeinwaschung oder
Violettschwingelrasen                       61–65
Rasen mit Solifluktionsböden, Nordhang 46–48        folgt von Süssgräsern (36 Arten), Nelkenge-         Flugstaub (und da­­ mit nährstoffreichere Bo-
Krummseggenrasen auf Silikat                31–40   wächsen (19 Arten) und Schmetterlingsblüt-          denbedingungen) er­­klärt werden.
Nährstoffreicher Rasen, Westhang            55–67   lern (15 Arten). Unter den Gattungen stechen
Schneetälchen                               19–21   Steinbrecharten (11 Arten), Sauergräser (10 Ar­­-
Gletschervorfeld                            50–54   ten), Enziane (8 Arten), Habichtskräuter (8 Ar-
Nacktriedrasen                                 62                                                       Literatur
                                                    ten), Kleearten (7 Arten) und Nelken (6 Arten)      * Hefel C., Stöcklin J. (2010). Flora der Furka.
Flachmoor                                   24–27   hervor. Erwähnenswert ist auch, dass die meis-       Bauhi­­nia 22, 33–59.

12                                                  Hotspot Furka | Biologische Vielfalt in den Alpen
Alpine Blütenpflanzen

                            Oben links Der Zweiblütige Steinbrech Saxifraga
                            biflora kommt auf feuchtem Feinschutt bis in
                            grosse Höhen in den Alpen vor. Foto J. Noroozi
                            Oben Mitte Der Alpenklee Trifolium alpinum
                            ist die höchst steigende Kleeart im Furkagebiet.
                            Sie wird gerne von Gämsen, Murmeltieren und
                            Schafen gefressen. Foto C. Körner
                            Oben rechts Die Krummsegge Carex curvula ist
                            die häufigste Segge auf sauren Böden in den
                            Alpen und blüht bereits 5 bis 7 Tage nach der
                            Schnee­schmelze. Foto C. Körner

                            Mitte Der Gletscherhahnenfuss Ranunculus
                            glacialis. Typische Art im Gletschervorfeld. Foto
                            C. Körner

                             Unten links Die Strauss-Glockenblume Campa-
                             nula thyrsoides blüht gelblich-weiss und
                             wächst auf Kalk. Die Pflanze braucht mehrere
                             Jahre bis sie blüht. Nach der Blüte stirbt sie.
                             Foto J. Noroozi
                             Unten Mitte Die Alpenaster Aster alpina. Eine der
                             äl­­testen alpinen Arten, meist auf Kalk. Sie über-
                             dauerte die Eiszeiten in den Alpen. Foto
                             C. Körner
                             Unten rechts Die Silikat-Polsternelke Silene ex­sca-­
                            ­pa. Es dauert mehrere Jahrzehnte bis eine Pols-
                             ternelke diese Grösse erreicht. Foto C. Körner

Blütenpflanzen im Gebirge                                                      13
Moose: klein aber fein
Stammesgeschichtlich sind Moose die              Nur Salz ist der filigranen Schönheit der Moose                Bedrohte Arten
ersten grünen Pflanzen, die das Land             abträglich. Sie kommen daher ausser im Meer                    Auf 6 Dauerbeobachtungsflächen in unter­
vor rund 450 Millionen Jahren er­ober­           überall auf der Erde vor. Viele bevorzugen                     schied­lichen Lebensraumtypen fanden sich
ten. Heute kommen sie, oft so­­gar               feuchte Standorte. Die meisten können aber                     49 Moosarten. 35 davon sind jeweils nur in
landschaftsbestimmend, in fast allen             unbeschadet zeitweise austrocknen (sogar                       einer Fläche vertreten, und keine Art kommt
Ökosystemen vor. Während der                     jahrelang). Für die sexuelle Fortpflanzung be­­                in allen sechs untersuchten Habitaten vor. Ein
Feld­­tage wurden aus je einer Dauer-            nötigen sie allerdings Wasser.                                 Widertonmoos (Polytrichum juniperinum) fehlt
fläche von sechs unterschiedlichen               Aus der befruchteten Eizelle entwickelt sich                   nur auf der kalkbeeinflussten Wiese und dem
Lebens­raum­typen 49 Moosarten be-               eine Kapsel, die auf der grünen Mutterpflan-                   Gletschervorfeld. Am besten vertreten sind
stimmt. Insgesamt sind bisher für                ze bleibt. Darin bilden sich winzige Sporen, die               die Gattungen Pohlia (Bohnenmoose) und Po-
das Furkagebiet 166 Moosarten nach-              der Ausbreitung dienen. Moose können sich                      lytrichum (Widertonmoose) mit je vier Arten.
ge­wiesen.                                       auch mit Hilfe von Brutorganen vege­ta­­­tiv ver-              Vier Kollegen sammelten zu einem späteren
Edi Urmi, unter Mitarbeit von Ariel Bergamini,   mehren und bilden in der Regel Klo­ne. Sie sind                Zeitpunkt ausserhalb der ausgewählten Be­
Thomas Kiebacher, Markus Meier und               daher ausserordentlich rege­ne­rationsfähig.                   ob­achtungsflächen weitere 90 Arten. Von den
Norbert Schnyder                                 Weltweit gibt es ca. 20 000 Moosarten (Laub-,                  bekannten 166 Arten des Furkagebiets (15%
                                                 Leber- und Hornmoose).                                         der gesamten Moosflora der Schweiz) wurden
                                                                                                                139 im Jahr 2012 identifiziert. Typische Hoch­­­­-
                                                 Wichtige Player in Ökosystemen                                 gebirgsmoosarten machen davon einen Drit­­
                                                 Die ökologische Funktion der Moose ist viel­-                  tel aus, wobei 18 Arten, die in den Dauer­be­
                                                 fältig. Sie können schnell viel Wasser auf­                    ob­achtungsflächen gefunden wurden, für die
                                                 nehmen und geben es langsam wieder ab.                         Region neu sind. Darunter sind triviale Arten,
                                                 So wirken sie ausgleichend auf den Was­                        aber auch ein Beutel-Lebermoos (Marsupella
                                                 serhaushalt der Ökosysteme. Als Pionier­pflan­                 sparsifolia) mit nur wenigen Schwei­zer Fund-
                                                 zen fördern sie Bodenbildung und Besiedlung                    stellen, das in der Roten Liste als «verletzlich»
                                                 durch Gefässpflanzen. Sie sind zu­    dem Le­                  eingestuft ist. Insgesamt 20 der gefundenen
                                                 bensraum für zahlreiche kleine Organismen                      Moosarten stehen auf der Roten Liste, unter
                                                 (z. B. Bärtierchen, verschiedene Insekten).                    anderem ein Neufund für das Gebiet, das Glo-
                                                 Torfmoose finden sich hauptsächlich in den                     ckenhutmoos En­calypta affinis, das als «vom
                                                 ausgedehnten Mooren der Nordhemisphäre,                        Aus­­sterben bedroht» gilt.
                                                 wo sie mächtige Torflager bilden. Diese sind
                                                 als CO2-Senken für den globalen Kohlen­
                                                 stoffkreislauf enorm wichtig. Da Moose Was­
                                                 ser, Nährstoffe, aber auch Schadstoffe über
                                                 ihre Oberfläche aufnehmen, eignen sie sich
                                                 hervorragend als Bioindikatoren, vor allem zur
                                                 Überwachung der Schwermetallbelastung.

                                                 Anzahl Moosarten pro Lebensraumtyp im Furkagebiet
                                                 Habitattyp, je eine Fläche beprobt Laubmoose Lebermoose      Total
                                                 Violettschwingelrasen auf Karbonat         14          1        15
                                                 Krummseggenrasen auf Silikat                9          1        10
                                                 Nährstoffreicher Rasen auf Silikat         10          7        17
                                                 Schneetälchen                              10          3        13
                                                 Gletschervorfeld                            6          0         6
                                                 Nacktriedrasen                              5          2         7
                                                 Total in den untersuchten Flächen          38         11        49

                                                 Ausserhalb der Hotspotflächen              61         29        90
                                                 Vor 2012 nachgewiesen                      26          1        27
                                                 Furkagebiet total                         125         41       166
                                                 Davon typische Hochgebirgsarten            43         20        63
                                                 Schweiz total                         ca. 840    ca. 260 ca. 1 100
                                                 Die totale Artenzahl entspricht nicht der Spaltensumme, weil etliche Arten in meh­
                                                 reren Habitattypen vorkamen

14                                               Hotspot Furka | Biologische Vielfalt in den Alpen
Alpine Moose

                   Oben links Das Alpen-Kissenmoos Grimmia
                   alpestris wächst auf silikatischem Gestein
                   Oben rechts Schleichers Birnmoos Bryum schlei-
                   cheri. Die Art wächst, wie auf dem mittleren Bild
                   zu sehen, in Quellfluren unterschiedlicher Art

                   Mitte Alpine Quellflur mit Schleichers Birnmoos
                   und anderen Bryum-Arten. Die Gattung Bryum
                   ist mit rund 1000 Arten eine der artenreichsten
                   Gattungen der Laubmoose. Im Hintergrund die
                   Gärstenhörner und der schwindende Rhone-
                   gletscher. Foto C. Körner

                   Unten links Das Flügel-Lebermoos Nardia
                   breidleri (stark vergössert) kommt auf Schnee-
                   böden vor
                   Unten rechts Das Zungenmoos (Tortula hop-
                   peana = Desmatodon latifolius) ist ein typisches,
                   in den Alpen häufiges Gebirgsmoos

                   Alle Nahaufnahmen N. Schnyder

Moose im Gebirge                                                  15
Flechten: auf Gedeih und Verderb verflochten
Sind alpine Lebensräume reich an Blü-              Flechten sind Symbiosen, welche sich bei mi-                  300 Flechtenarten
 ten­pflanzen, finden sich oftmals auch            kroskopischer Betrachtung als Dop­pelwesen                    Im Furkagebiet wurden während der Hotspot-
viele Flechtenarten. Insgesamt konnten          aus einem Pilz und einer Alge oder einem Cy-                     tage sowie zwei weiteren Exkursions­tagen mit
gegen 300 Flechtenarten zwischen                anobakterium entpuppen. Weil sich die Syste-                     der Schweizerischen Vereinigung für Bryolo-
der Furkapasshöhe und dem Kleinen                  matik der Flechten primär am Pilzsystem ori-                  gie und Lichenologie über 270 Flechtenar-
Furkahorn (3026 m ü. M.) entdeckt               entiert, bezieht sich der Name der Flechten                      ten bestimmt. Viele Lebensräume wie alpine
werden. Die Grate und Gipfelfelsen stell-       auf den Pilzpartner. Die Algen werden bei der                    Kleingewässer konnten erst unvollständig
­ten sich als die arten­reichsten Lebens­          Bestimmung der Flechten, wenn überhaupt,                      untersucht werden; noch un­bestimmte Bele-
 räume heraus – vor allem Krustenflech­            nicht bis auf Artniveau identifiziert. Die Be-                ge lassen vermuten, dass im Furkagebiet weit
 ten weisen dort eine sehr hohe Arten­          ziehung zwischen den beiden Symbionten                           über 300 Flechtenarten vorkommen dürf-
 vielfalt auf. Mehrere Arten konnten hier          bleibt während der gesamten Lebensdau-                        ten. Dies entspricht mehr als 15% aller in der
 erstmals für die Schweiz nachgewiesen          er der Flechten bestehen, was bei Gesteins-                      Schweiz nachgewiesenen Arten (ca. 1700).
 werden.                                        flechten der alpinen Stufe vermutlich weit                       In den untersuchten Lebensraumtypen konn­
 Christoph Scheidegger und Mathias Vust           über 1000 Jahre dauern kann. Sogar bei der                     ten zwischen 15 (Flachmoor) und maxi­mal 64
                                                Vermehrung bleiben die beiden Partner oft                        Flechten (Zwergstrauchheide mit Alpenaza-
                                                zusammen, indem körnchenartige Ausbrei-                          lee) nachgewiesen werden. Für die windge-
                                                   tungseinheiten sowohl Pilz- als auch einige                   fegten Zwergstrauchheiden typisch, gedei-
                                                Algenzellen umfassen. Gerade in der alpinen                      hen dort viele Strauchflechten, daneben aber
                                                Stufe gibt es sogar einige Arten, bei welchen                    auch sehr zahlreiche, winzige Krustenflech-
                                                Algen an den geschlechtlich ge­bildeten Pilz-                    ten, oftmals an kleinen Stein­chen an offenen,
                                                sporen kleben und dann ge­meinsam verbrei-                       windverblasenen Stellen. Im Grasland waren
                                                  tet werden.                                                    es oftmals die gesteins­bewohnenden Arten
                                                   Flechten kommen in den Alpen bis auf die                      der Berg­sturzblöcke, welche die Artenzahl er-
                                                   höchsten Gipfel vor und erreichen an geeigne-                 höhten.
                                                  ten, nicht zu lange schneebedeckten Stellen                    Anhand der verschiedenen Flechtenarten
                                                   hohe Artenzahlen und Deckungswerte. Dort                      konnte auch zwischen Lebensräumen mit
                                                   bilden sie den Hauptteil der Biomasse und                     oder ohne Karbonateinfluss unterschieden
                                                   bieten herbivoren Gliedertieren Nahrung und                   werden. Die Schneeböden waren relativ ar-
                                                Schutz. Flechten sind aber auch Lebensraum                       tenarm, zeichneten sich aber durch eine rela-
                                                   für eine Vielzahl parasitischer Pilze, welche                 tiv häufige und im Untersuchungsgebiet erst-
                                                sich spezifisch auf Flechtenarten entwickeln.                    mals fertil gefundene und damit bestimmbare
                                                   Etwas tiefer, in den alpinen Rasen­ge­sell­schaf­-            Krustenflechte aus, welche als Ainoa geochroa
                                                ­­­ten, sind erdbewohnende Flech­­­­ten ein wesent­­-            erstmals für die Schweiz bestimmt werden
Oben Die Flechtenspezialisten im Schneeboden.      licher Teil der biologi­schen Bo­­­den­­­­­krus­­ten,         konnte. Die eindeutige Bestimmung weiterer
Foto C. Körner                                     welche eine erosions­hem­mende Haut über                      Arten mit teilweise kleinen, schwarzen Frucht-
                                                sonst unbewachsene Boden­stellen bzw. Ve-                        körpern, welche meist ein endolithisches La-
                                                getationslücken bilden. Strauch­­­­flech­ten in                  ger (d. h. die Flechte dringt ins Gestein ein)
                                                   Windheiden sind zudem Winternahrung für                       aufweisen, muss für die Zukunft (ev. unter Zu-
                                                Schneehuhn, Schneehase, Steinbock und                            hilfenahme von molekularen Methoden) auf-
                                                Gämse und bremsen den Wind ab.                                   gespart werden.

                                                                                                                 Flechteneldorado Furka
                                                                                                                 An einem weiteren Exkursionstag im Herbst
                                                                                                                 konnten die Gipfelgrate des Kleinen Fur­     ka­
                                                                                                                 horns zwischen 2800 bis 3000 m ü. M. ab­
                                                Anzahl Flechtenarten in den verschiedenen
                                                Habitaten. Nach Anzahl Flechtenarten geordnet                    gesucht werden. Dort findet sich für den Liche-
                                                                                                                 nologen schlichtweg das Flech­     ten­
                                                                                                                                                       eldorado!
                                                Lebensraumtyp (Nr.) 1           Anzahl Flechtenarten
                                                Gletschervorfeld (9)                              13
                                                                                                                 Kulm-, Steil-, Vertikal- und Über­hangsflächen
                                                Flachmoor (11)                                    15             in unterschiedlicher Expo­  sition weisen eine
                                                Violettschwingelrasen (4)                         24             nicht enden wollende Vielfalt an charakteristi-
                                                Krummseggenrasen (6 )                             35             schen Arten auf, da­runter vielen Krustenflech-
                                                Nährstoffreicher Rasen, Westhang (7)              40             ten. Insbesondere Nordost ex­po­nierte Vertikal­
                                                Schneetälchen (8)                                 42             flächen waren sehr reich an selten gesammel-
                                                Rasen mit Solifluktion, Nordhang (5)              50             ten oder für die Schweiz erstmals nachgewie-
                                                Bürstlingsrasen (1)                               52             senen Arten.
                                                Bürstlingsrasen mit Besenheide (2)                52
                                                                                                                 Nach der Entdeckung mit der Lupe am Fels
                                                Nacktriedrasen (10)                               55
                                                Zwergstrauchheide mit Alpenazalee (3)             64             folgt die Aufsammlung von Belegexempla-
                                                Solitärfelsen                                                    ren mit Hammer und Meissel, damit die Ar-
                                                (ausserhalb der gewählten Lebensraumtypen)        12             ten im Labor mit Mikroskop und oft unter Zu­
                                                1
                                                    (Nr.) bezieht sich auf Habitatnummer (Tabelle auf Seite 7)
                                                                                                                 hilfenahme chemischer Analysen bestimmt
                                                                                                                 werden können. Damit die von Flechten ge-
                                                                                                                 staltete Patina einer Felswand nicht für Jahr-
                                                                                                                 hunderte verunstaltet wird, achten die For-
                                                                                                                 schenden auf eine sorgfältige Sam­mel­tätigkeit.

16                                              Hotspot Furka | Biologische Vielfalt in den Alpen
Alpine Flechten

                      Oben links Die Blattflechte Umbilicaria cylindrica.
                      An einem zentralen Punkt auf der Unterseite
                      angewachsen (Nabel = Umbilicus). Hier mit der
                      Landkartenflechte Rhizocarpon geo­graphicum.
                      Die grüngelbe Flechte ist sehr ty­­pisch auf Sil­i-
                      k­at­blöcken und weit verbreitet. Foto C. Schei­-
                      d­egger
                      Oben rechts In Zwergstrauchheiden mit Al­­pen-
                      azalee sind Strauchflechten der Gattun­gen
                      Cladonia, Cetraria und Thamnolia aspekt­­be­­stim­
                      mend. Foto M. Vust

                      Mitte Exponierte Felsrippen sind Lebensraum
                      für Nabelflechten und Dutzende von Krus­
                      tenflechten wie Ophioparma ventosum und viele
                      Arten der Gattung Rhizocarpon. Foto M. Vust

                      Unten links Auf Silikat-Schneeböden wächst
                      die auffällige Blattflechte Solorina crocea mit
                      oranger Unterseite. Auf der Oberseite sieht man
                      die braunen Fruchtkörper. Foto M. Vust
                      Unten rechts Die Krustenflechte Rhizocarpon
                      pu­­sillum. Foto C. Scheidegger

Flechten im Gebirge                                                   17
Pilze: mit und ohne Hut
Das Datenzentrum für Pilze (www.swiss-                    Im Hochgebirge vermutet man nicht viele             Die kleinen Abbauer
fungi.ch) sammelt und prüft Fundan­                       Pilze, vermutlich, weil bekannte Arten wie          Ein Heer von Pilzen sorgt zusammen mit Bak-
gaben zu Pilzen für alle Pilzgruppen aus                  der Steinpilz, der Fliegenpilz oder die Eier-       terien und Bodentieren dafür, dass das jähr­-
der ganzen Schweiz. Unter Einbezug                        schwämme noch nie in der alpinen Stufe              lich anfallende abgestorbene Pflan­zen­­mate-
von Literaturangaben und Herbarbele-­                     gefunden wurden, was auch nicht erstaunt,           rial abgebaut wird. In das durch­feuchtete, tote
gen dürften in der alpinen Stufe der                      sind diese Arten doch alle an bestimmte Wald-       Pflanzengewebe dringen Pilz­­hyphen ein, und
Schweiz gegen 2000 Pilzarten vorkom­                      bäume als Wirt gebunden. Wer aber gezielt           bald wachsen kahle oder haarige Becherchen
men. Die meisten sind klein und un­­                      nach Pilzen Ausschau hält, wird rasch bei-          (Discomyceten) oder schwarze Wärzchen (Py-
scheinbar. Auf über 2100 m ü. M. wur­                     spielsweise Hasenboviste entdecken und mit          renomyceten) heran. Diese Arten reifen lang-
den in der Schweiz mehr als 1200 Arten                    Erstaunen feststellen, dass sich immer wieder       sam und sind auf Feuchteperioden zwischen
nachgewiesen. Allein auf der Furka                        auffällige Lamellenpilze finden lassen, wenn        Schnee­schmelze, Sommergewitter, Taunäch-
in Höhenlagen von über 2400 m ü. M.                       auch meist mit sehr kleinen Fruchtkörpern.          ten und Herbstnebeln angewiesen, oder sie
konnten 313 Arten gezählt werden.                                                                             über­dauern einen Winter und bilden ihre Spo­
Beatrice Senn, Markus Wilhelm und Thomas                  Wurzelpilze mit Hut                                 ren erst im Folgejahr aus. Besonders ar­tenreich
Brodtbeck                                                 Ein Sechstel aller alpinen Pilze lebt als Ekto­     sind diese Pilze auf dünnen Halmen von Süss-
                                                          mykorrhiza in Symbiose mit überwiegend              und Sauergräsern.
                                                          verholzten Pflanzen wie Zwergweiden und             Bereits den ersten Alpenbotanikern wie Carl
                                                          Silberwurz. Der Begriff Mykorrhiza setzt sich       Schröter fiel auf, dass die gebräunten Blatt­­
                                                          aus den beiden altgriechischen Wörtern «my-         spitzen der Krummsegge (Carex cur­vula) stets
                                                          kes» (Pilz) und «rhiza» (Wurzel) zusammen und       von einem Pilzchen besiedelt sind. Clathro­
                                                          beschreibt die Lebensgemeinschaft zwischen          spora elynae heisst diese all­ge­genwärtige Art
Anzahl von Pilzarten in den beiden Flächen                den Bodenpilzen und den meis­ten Pflanzen-          mit sehr auffälligen schwarzen Sporenlagern.
der verschiedenen Lebensraumtypen,                        arten (siehe Endomykorrhiza Seite 20). Der Ek-      Mykologen wie Otto Jaap no­tierten sie bereits
aufgeteilt nach Asco- und Basidiomyceten
                                                          tomykorrhiza-Pilz bildet um die Wur­zelenden        1905 auf der Furka.
		                             Asco- Basidio-             einen dichten Mantel, wächst in die Zwischen-       Tierische Exkremente sind ein weiteres gefun-
Code Lebensraumtyp           myceten myceten
                                                          räume der Wurzelrinde, dringt aber nicht            denes Fressen für hunderte hoch­spezialisierte
 1.1                               9    6
     Bürstlingsrasen                                      in die Pflanzenzellen ein (deshalb der Zusatz       kleine Pilze. Auf dem Dung von Schafen,
 1.2		                             0    6
                                                          Ekto = ausserhalb). Die Pilzfäden reichen von       Schnee­hasen und Schneehühnern der Furka-
 2.1 Bürstlingsrasen mit          15    9
 2.2 Besenheide                    2    4                 den verdickten Wurzelenden bis weit in den          region wurden über 30 Arten fest­gestellt, dar-
 3.1 Zwergstrauchheide             7    6 (2) a           Boden und versorgen die Pflanzen mit Wasser         unter drei mögliche Erstfunde für die Schweiz
 3.2 mit Alpenazalee               3    1                 und Nährstoffen.                                    (Coprotus leucopocillum, De­litschia intonsa, Co-
 4.1                               4    5                 Eine Besonderheit in der alpinen Stufe ist, dass    niochaeta vagans).
     Violettschwingelrasen
 4.2                               0    3                 auch zwei unverholzte Pflanzen, nämlich der
 5.1 Rasen mit Solifluktion,       6   18                 Lebendgebärende Knöterich (Polygonum vivi­-         Parasitische Pilze
 5.2 Nordhang                     14   11                 parum) und das Nacktried (Elyna myo­su­roi­des),    Parasitische Pilze wie die hochspezialisierten
 6.1                               9    0
 6.2
     Krummseggenrasen              1    5
                                                          Ektomykorrhiza aufweisen. Zu den Ektomy­kor­­-      Rost- und Brandpilze befallen lebende Pflan­
 7.1 Nährstoffreiche Rasen,        4    9                 ­rhiza-Pilzen gehören die Arten mit den grös­­­     zenteile auch in der alpinen Stufe. Durch den
 7.2 Westhang                      3    2                  sten und auffälligsten Fruchtkörpern in der al­    lokalen Befall wird in der Regel die Pflanze et-
 8.1                               2    0                  pinen Stufe wie der Hochgebirgs-Speitäubling       was beeinträchtigt, die Pflanzen sterben aber
     Schneetälchen
 8.2                              13    1 (1) a            (Russula nana) oder der Silber­wurz-Milchling      nicht ab. Parasitische Pilze finden sich bis in
 9.1
     Gletschervorfeld
                                   5    3                  (Lactarius dryadophilus).                          grosse Meereshöhen (bis 2850 m).
 9.2                               2    0                                                                     Eine Reihe von Rostpilz-Arten ist durch das
11.1                               5    4                                                                     Vorkommen ihrer Wirtspflanze ausschliess-
     Flachmoor
11.2                               4    0
                                                                                                              lich auf die alpine Stufe beschränkt. Trachyspo-
a Andere Pilze: Zygomyceten (Jochpilze), Myxamoe-
ba (Schleimpilze), insgesamt 3 Arten. Nacktriedrasen
                                                                                                              ra pentaphylleae bildet ihre rotbraunen Lager
(Habitatcode 10) wurde nicht untersucht.                                                                      an Blättern des Schneetälchen-Frauenman-
                                                                                                              tels (Alchemilla pentaphyllea) zwischen 2000
                                                                                                              und 2600 m aus. An zwei moosbewachse-
                                                                                                              nen quell­­artigen Standorten konnte der sel-
                                                                                                              tene Rost Puccinia saxifragae an Blättern des
                                                                                                              Sternblütigen Steinbrechs (Saxifraga stellaris)
Anzahl Pilzarten auf der Furka im Vergleich mit Nachweisen aus Höhenstufen über                               gefunden werden. Gut kenntlich sind Vertre-
2100 m ü. M. (zwei Gebiete, mittlere Spalte) und dem geschätzten Artenreichtum                                ter der Brandpilzgattung Anthracoidea in den
der Schweiz (linke Spalte)
                                                                                                              Blüten von Seggen-Arten. Die häufigste Art,
                                                       Schweiz       >2100 m       Furka >2400 m              Anthracoidea sempervirentis, fehlt praktisch in
Rostpilze, Urediniomycota                                  540           110                  42              keinem Bestand der Horst-Segge (Carex sem-
Brandpilze, Ustilaginomycota                               200            25                   9              pervirens) bis 2700 m Höhe. Zwischen den
Flaumtaue, Oomycota                                        220            20                   7
                                                                                                              Spelzen einzelner Blüten ragen schwarze, koh-
Mehltaue, Erysiphales                                      140            11                   5
Übrige phytoparasitische Ascomycota                        450           100                  40              lig stäubende, 3 mm dicke Kugeln hervor; die
Saprobe Ascomycota                                       5 000           206                  83              Sporen werden durch den Wind verbreitet.
Bauchpilze                                                 235            31                   8
Lamellenpilze (inkl. Röhrlinge), Agaricomycetes          5 000           620                 110
Übrige Ständerpilze                                      2 000            94                   6
Schleimpilze                                               450             6                   3
Total                                                   13 235         1 223                 313

18                                                        Hotspot Furka | Biologische Vielfalt in den Alpen
Alpine Pilze

                   Oben links Der Alpine Scheidenstreifling Ama­
                   nita nivalis. Die Gattung Amanita umfasst
                   Mykorrhizapilze und teilweise sehr giftige Pilz­
                   arten wie den Knollenblätterpilz
                   Oben Mitte Der Alpine Weiden-Schleimfuss
                   Cortinarius (Myxacium) alpinus. Mykorrhizapilz,
                   spinn­webenartige Hüllenreste (Velum) am Hut
                   Oben rechts Der Zwergweiden-Saftling Hygro­
                   cybe salicis-herbaceae. Mykorrhizapilz auf der
                   Krautweide

                   Mitte Der Silberwurz-Milchling Lactarius dryado­
                   philus inmitten der Silberwurz Dryas octapetala,
                   einem alpinen Zwergstrauch

                   Unten links Der bodenbewohnende Samtfuss-
                   Nabeling Omphalina velutipes, ein fragiles Hüt­-
                   chen
                   Unten Mitte Der Rostpilz Puccinia mei-mamillata
                   auf Blättern des Lebendgebärenden Knöte­­richs
                   Polygonum viviparum. Der Pilz vollführt einen
                   Wirtswechsel vom Doldenblütler Ligusticum
                   mutellina auf die Knöterichgewächse Polygo­
                   num viviparum und P. bistorta
                   Unten rechts Saprophytische Pilze: A Sporor­
                   miel­la octo­mera (Ascus, daneben eine Spore mit
                   Schleimhülle) auf Schneehasenlosung.
                   B Podo­spora deci­piens (Ascosporen mit Stiel,
                   Keimpori und flossenartigen Schleim­­anhäng­
                   seln) auf Schaf- und Rinderdung. Zeichnungen
                   T. Brod­t­beck

                   Alle Fotos M. Wilhelm

                              A                     B

Pilze im Gebirge                                                  19
Endomykorrhiza: mikroskopische Bodenpilze
Die unsichtbaren arbuskulären (bäum­           Arbuskuläre Mykorrhizapilze (kurz AM-Pilze)           Überraschend grosse Vielfalt
chenbildenden) Mykorrhizapilze ko­             gehören im Reich der Pilze seit 2018 wieder           Bis vor wenigen Jahren wurde nicht erwar-
lonisieren beinahe jede Pflanze, liefern       zu der Abteilung Glomeromycota (= Knäuel­             tet, dass man AM-Pilze in der alpinen Stufe
Bodennährstoffe und stabilisieren              pilze), im ganz neu beschriebenen Unter-              in grosser Zahl finden würde. Der seither be­
das Sub­strat. Ihre Vielfalt und ökolo­        reich Mucoromyceta. In dieser Abteilung               kannt gewordene Artenreichtum in dieser Hö­
gische Bedeutung wurde in alpinen              sind heute 3 Pilzklassen, 5 Ordnungen und             henlage ist überraschend. Allein rund um die
Le­bens­räumen lange unterschätzt. In          etwa 300 Arten der AM-Pilze bekannt. Die              Furkapasshöhe sind etwa die Hälfte der in der
der Furkaregion sind sie allgegen-             arbuskuläre Mykorrhiza ist die sowohl häufigs-        Schweiz gefundenen Arten (62 von 140) und
wärtig und bieten der Wissenschaft             te als auch älteste My­­korrhizaform, ohne die        aller bekannten Gattungen (15 von 38) sowie
trotz ihres hohen evoluti­ven Alters           ein Landleben, wie wir es kennen, undenkbar           rund ein Viertel aller weltweit bekannten 300
(ca. 400 Millionen Jah­­re) viele Neuent­      wäre. Das Fadengeflecht der Pilze durchzieht          Arten vertreten (siehe Tabelle ganz unten)!
deckungen.                                     den Boden und wächst mit einzelnen Pilz­-             Aus verständlichen Gründen gibt es für diese
Fritz Oehl und Benjamin Seitz                  fäden (Hyphen) in die Wurzelzellen der Pflan-         Organismen keine umgangssprachlichen Na-
                                               ze und bildet dort nur im Mikroskop sichtbare,        men. Die ar­ten­reichsten Gattungen sind Acau-
                                               bäumchenartige Strukturen (Arbuskeln). Die            lospora und Glomus mit 17 resp. 15 gefunde-
                                               Er­
                                                 forschung dieser von Auge unsichtbaren              nen Arten. Dominante Arten sind Ambispora
                                               Pilzgruppe ist noch sehr jung.                        gerdemannii, Acaulospora alpina und Diversis-
                                               AM-Pilze erhalten von ihren pflanzlichen Part-        pora versiformis, welche insgesamt etwa zwei
                                               nern Photosyntheseprodukte und er­­­­­­­­­­wei­tern   Drittel aller AM-Pilzsporen der alpinen Böden
                                               im Gegenzug mit ihren mikro­sko­­pisch dün-           ausmachen.
                                               nen Hyphen das erreichbare Bodenvolumen               Rund um den Furkapass gibt es artenärme-
                                               und damit das Nährstoff­an­­­gebot enorm. Zu-         re (mit 5 Arten) und artenreichere Habitate
                                               dem schützen sie die Pflanzenwurzeln vor              (mit bis zu 30 Arten). Entgegen der Er­war­
                                               Schädlingen. Mit Hilfe des Hyphengeflech-             tung besteht kein Zusammenhang zwi­­schen
                                               tes werden Bodenaggregate verklebt (stabili-          dem Artenreichtum dieser Pilze und der Zahl
                                               siert), was der Erosion und der Auswaschung           der Blütenpflanzenarten. Viel­­­mehr spielen die
                                               von Nährstoffen entgegenwirkt.                        Böden (z. B. Boden­   temperaturen, Verwitte-
                                                                                                     rungsintensität und Bodenwassergehalt) eine
                                                                                                     wichtige Rolle für die Diversität dieser Pilze.
                                                                                                     Winter­kalte Zwergstrauchheiden mit Alpen-
                                               Anzahl Arten von arbuskulären Mykorrhiza­
                                                                                                     Alpenazalee und das Gletschervorfeld sind
                                               pilzen pro Lebensraumtyp                              deutlich ärmer an AM-Pilzen als Borstgras-,
                                               Lebensraumtypen                Anzahl Pilzarten
                                                                                                     Krummseggen- und Violettschwingelrasen
                                               Bürstlingsrasen auf Silikat                  27       auf gut entwickelten, humus­reichen Böden
                                               Bürstlingsrasen mit Besenheide auf Silikat   24       und in Schneetälchen mit hoher Boden­               -
                                               Zwergstrauchheide mit Alpenazalee            11       feuchte. Einige AM-Pilze kön­­­­­nen als Indikator­­-
                                               Violettschwingelrasen                        27       arten bezeichnet wer­den, sei es für Pionier­-
                                               Rasen mit Solifluktionsböden, Nordhang       30       standorte, für Böden mit ex­­tre­­men pH-Werten
                                               Krummseggenrasen auf Silikat                 19       oder hohen Bo­den­was­ser­gehalten.
                                               Nährstoffreicher Rasen, Westhang             17
                                               Schneetälchen                                20       Neue Arten
                                               Gletschervorfeld                              8
                                               Nacktriedrasen                               20       Von der Furka und anderen alpinen Flächen
                                               Flachmoor                                    19       der Schweiz wurden in den letzten Jahren
                                                                                                     einige weltweit neue Arten beschrieben (z. B.
                                                                                                     Acaulospora alpina, Acaulospora nivalis und
                                                                                                     Pacispora robigina). Während der Hotspottage
                        Vielfalt von arbuskulären Mykorrhizapilzen im Furkagebiet. Auch
                                                                                                     und nachfolgenden Besuchen auf der Furka
                        wenn die Na­men den meisten Leserinnen und Lesern wenig sagen,               wurden weitere, bisher noch unbekannte
                        öffnet diese Liste den Blick auf eine ganz verborgene Biodiversität          Arten beobachtet (ca. 15 Arten). Für andere
                        von grosser Bedeutung für das Pflanzen­leben                                 Arten ist ihre Verbreitung in den Alpen oder in
                        Klassen             Ordnungen              Familien          Anzahl Arten    alpinen Stufen überhaupt eine Überraschung
                        (3)                 (bekannt 5)            (bekannt 15)     (bekannt 300)    (z. B. Acaulospora punctata) oder gar eine Sen-
                        Glomeromycetes      Glomerales             Glomeraceae                 18    sation (z. B. Ambispora appendicula).
                        		                                         Entrophosporaceae            4
                                            Diversisporales        Diversisporaceae             3
                        		                                         Acaulosporaceae             17
                        		                                         Pacisporaceae                4
                        		                                         Sacculosporaceae             3
                                            Gigasporales           Scutellosporaceae            2
                        		                                         Racocetraceae                1
                        Archaeosporomycetes Archaeosporales        Ambisporaceae                5
                        		                                         Archaeosporaeae              3
                        Paraglomeromycetes Paraglomerales          Paraglomeraceae              2

20                                             Hotspot Furka | Biologische Vielfalt in den Alpen
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