KUNST AM BAU DIGITAL. DAS "MUSEUM DER 1000 ORTE" - Bundesamt für Bauwesen und ...
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Inhalt 1 Grußwort Lothar Fehn Krestas 3 Das „Museum der 1000 Orte“ Ute Chibidziura 8 Von der Kunstkammer bis zum Museum 4.0 – wie digital sind unsere Museen? Kirsten Baumann 15 Kunst am Bau digital. Das „Museum der 1000 Orte“ Podiumsgespräch
Lothar Fehn Krestas Grußwort Es ist so weit – das „Museum der 1000 Orte“, das Onlinemuseum für die Kunst am Bau des Bundes, wurde am 21. Juni 2017 von Bundesbauministerin Dr. Barbara Hendricks eröffnet. Mehr als 120 Kunstwerke sind darin inzwischen zu besichtigen und laden zu einer virtuellen Weltreise ein. Warum eröffnen wir ein solches Museum und wieso braucht der Bund ein solches? Die Bauten des Bundes müssen besonderen baukulturellen Maßstäben genügen. In ihnen manifestiert sich nicht nur unser demokratisch verfasster Staat, sondern sie werden auch täglich von tausenden Menschen besucht und genutzt. Sie sollen Identifikationsorte sein. Der Bund nimmt diese An- forderung ernst und entspricht ihr mit nachhaltig geplanten, qualitativ und ästhetisch hoch- wertigen Bauwerken – und mit der Realisierung von Kunst am Bau. Denn Kunst kann auf den räumlichen, örtlichen, institutionellen Kontext reagieren und zur Aussagekraft der Architektur einen entscheidenden Beitrag leisten. Lothar Fehn Krestas studierte Archi- tektur in Stuttgart und Atlanta, G eorgia, Kunst am Bau ist seit 1950 integraler Bestandteil der Bauherrenaufgabe des Bundes. An die USA. Nach dem Referendariat bei der zehntausend Kunstwerke wurden seither im In- und Ausland an gesamtstaatlich wichtigen Bundesbaudirektion in Berlin über- Bauten realisiert. Die bedeutendsten Künstlerinnen und Künstler Deutschlands haben dazu nahm er 1997 im Bundesamt für B au- beigetragen, dass eine international einzigartige Sammlung von Nachkriegskunst entstanden wesen und Raumordnung (BBR) die ist, die einen hervorragenden Querschnitt durch das Kunstschaffen der letzten Jahrzehnte bie- Projektleitung u. a. für die Berliner tet und nahezu alle künstlerische Ausdrucksformen, Techniken und Materialien umfasst. Mit Projekte Wiederaufbau Neues Museum dem „Museum der 1000 Orte“ kann dieser reiche Bestand an Kunst am Bau nun erstmals öffent- und Neubau Bundesnachrichtendienst. 2013 wurde ihm die Leitung der Abtei- lich zugänglich gemacht und die baukulturelle Leistung des Bundes wie der beteiligten Künst- lung baufachliche Dienste im BBR und lerinnen und Künstler angemessen präsentiert werden. zudem die stellvertretende Hauslei- Die inhaltliche Grundlage für das „Museum der 1000 Orte“ wurde vom Bundesamt für Bau- tung übertragen. Seit 2016 leitet er wesen und Raumordnung geschaffen, das in unserem Auftrag die Kunst am Bau des Bundes die Unterabteilung Bauwesen, Bau- dokumentiert und dafür eine spezielle Kunst-am-Bau-Datenbank entwickelt hat. Das „Museum wirtschaft im Bundesministerium für der 1000 Orte“ ist kein Projekt, das in Kürze zu bewerkstelligen war. Es ist eine Aufgabe, die Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- uns schon einige Zeit beschäftigt und uns auch noch weiter beschäftigen wird. Nach und nach sicherheit (BMUB). sollen all die Kunstwerke im Museum eingestellt werden, die seit 1950 als Kunst am Bau an Bundesbauten entstanden sind. Für die ausgezeichnete Umsetzung des „Museums der 1000 Orte“ möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Beteiligten sehr herzlich bedanken und zum überaus gelungenen Ergebnis g ratulieren. Sie als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes lade ich herzlich ein, sich die hervor- ragenden Arbeiten anzusehen, im virtuellen Museum und natürlich vor Ort. 1
Ute Chibidziura Das „Museum der 1000 Orte“ Das Kunst-am-Bau-Engagement des Bundes fußt auf der Entscheidung des ersten Deutschen Bun- destags, einen Teil der Kosten von öffentlichen Bauten für Kunst einzusetzen. Denn auf Wunsch der Abgeordneten sollte eine Begegnung mit Kunst nicht nur in Museen und Ausstellungen mög- lich sein, sondern auch im Arbeitsumfeld – ja Kunst sollte Teil des öffentlichen Lebens werden! Die entsprechenden Rahmenbedingungen für eine flächendeckende Beteiligung von Künstlerin- nen und Künstlern bei Baumaßnahmen des Bundes wurden spätestens 1953 mit der Einführung der Richtlinien zur Durchführung von Bauaufgaben des Bundes (RBBau) geschaffen; sie sind bis heute gültig. Als Ergänzung und Handreiche dazu wurde 2005 vom Bundesbauministerium der Leitfaden Kunst am Bau herausgegeben, der seit 2012 in einer aktualisierten Fassung vorliegt. Er konkretisiert die Ermessensspielräume der RBBau, beschreibt die Auswahl- und Vergabeverfah- ren, den Kostenrahmen für die Realisierung neuer Kunst am Bau und deren Dokumentation. Der Leitfaden formuliert aber auch Aufgaben und Pflichten hinsichtlich des Umgangs mit bzw. der Dr. Ute Chibidziura studierte Kunstge- schichte, Archäologie und Philosophie Unterhaltungsleistungen für bestehende Kunst am Bau, die von den Eigentümern und Nutzern in in Graz und Köln. Danach war sie wis- Abstimmung mit der Bundesbauverwaltung erbracht werden. senschaftliche Referentin beim Stadt- Auf der Basis der genannten Regelwerke wird seit nunmehr fast sieben Jahrzehnten Kunst am konservator Köln, Geschäftsführerin Bau bei Bauten für Regierung und Bundesbehörden, Botschaften und Auslandsschulen, Polizei des Bundes Deutscher Architekten und Bundeswehr sowie Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen im In- und Ausland realisiert. Köln und des Hauses der Architektur Nahezu alle bedeutenden Künstlerinnen und Künstler ihrer Zeit waren für den Bund tätig und Köln. Seit 2006 ist sie im Bundesamt haben einzigartige Kunstwerke geschaffen, die sich mit dem spezifischen baulichen und institu- für Bauwesen und Raumordnung für Grundsatzfragen der Kunst am Bau tionellen Kontext auseinandersetzen. An die zehntausend Kunst-am-Bau-Werke sind auf diese beim Bund zuständig. Weise seit 1950 entstanden. In Form von malerischen, skulpturalen, kinetischen, akustischen, installativen oder konzeptuellen Arbeiten sind sie auf Böden, Wänden und Decken präsent oder tragen als Wasser-, Licht- und Videoinstallationen zur Gestaltung von Fassaden, Plätzen und Grünanlagen bei. Zusammengenommen bildet die Kunst am Bau des Bundes eine hervorragende Sammlung an Nachkriegskunst, die nicht nur sämtliche künstlerische Strömungen und Ausdrucksformen um- fasst, sondern auch in Umfang und Vielfalt international einzigartig ist. Eine Besonderheit dieser Sammlung ist allerdings, dass sie auf hunderte Standorte und Liegen- schaften in Deutschland und weltweit verstreut ist und die einzelnen Kunstwerke aufgrund der geographischen Entfernung oder der hohen Sicherheitsanforderungen meist nicht besichtigt werden können. Wohl auch deshalb ist die Kunst am Bau des Bundes bislang selbst in Fachkrei- sen weitgehend unbekannt und nur in Ausnahmefällen zum Gegenstand übergreifender wissen- schaftlicher Betrachtungen geworden. 3
Um die ungemein vielfältige und durch neue Wettbewerbe weiter anwachsende Kunst-am-Bau-Sammlung des Bundes zu erfassen und zu katalogisieren, werden vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) im Rahmen der For- schungsinitiative Zukunft Bau seit Jahren Forschungsaufträge zur wissenschaftlichen und fotografischen Dokumentation vergeben. Die qualitätvollen Ergebnisse dieser Aufträge sind als Onlinepublikation über die Homepage www.Kunst-am-Bau-in- Deutschland.de allgemein zugänglich und bereits in meh- rere Buchpublikationen eingeflossen. Allerdings fehlte bislang ein geeignetes Medium, um auch die ältere Kunst am Bau des Bundes in angemessener Form zu vermitteln – dies haben wir nun mit dem Onlinemuseum gefunden. Unter der sinnfälligen Bezeichnung „Museum der 1000 Orte“ hat das BBR in Zusammenarbeit mit der Kölner Agentur HauptwegNebenwege eine Onlinepräsentation entwickelt, die in ansprechender Weise die Kunstwerke in ihrem baulichen und institutionellen Kontext vorstellt und sowohl vom hei- matlichen Rechner als auch unterwegs über Tablet und Smart- phone angesteuert werden kann. Grundlage und Datenbasis für die Onlinepräsentation ist eine spezielle Kunst-am-Bau- Datenbank, die das BBR eigens erstellt hat, um sowohl eine optimale baufachliche Betreuung der Kunst am Bau zu leis- ten als auch die spezifischen Anforderungen seitens des „Museums der 1000 Orte“ zu bedienen. Bei der Einrichtung der Internetseite für das „Museum der 1000 Orte“ wurde darauf geachtet, den Besuchern und Nutzern des Onlinea ngebots verschiedene Wege zur Kunst zu eröffnen. Demzufolge bietet die Startseite über die Bildergalerie mit wechselnden großformatigen Einzel- bildern oder über die Wolke mit kleinen Einzelbildern einen schnellen, visuellen Zugang zu den Kunstwerken. Per Mausklick kommt man beispielsweise zu Ferdinand K riwets „Lesewald“, den er 1988 für die Ministeretage des damals neu errichteten Bundesministeriums für Post- und Telegraphenwesen in Bonn geschaffen hat; heute wird das Gebäude vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit genutzt. In gleicher Weise kann auch mit den aufgeführten Namen der Künstlerinnen und Künstler und den auf der Startseite abge- bildeten Bauwerken verfahren werden. Alternativ zur intuitiven Nutzung ist ein systematischer Zugang zur Kunst über die Bereiche Museum, Orte, Künstler und Kunstwerke möglich. Der mit Museum überschriebene Bereich bietet Wissenswertes zu Inhalt und Aufbau des „Museums der 1000 Orte“, aber auch zur Ge- schichte der Kunst am Bau, zur baubezogenen Kunst in der DDR sowie zu den Regularien für die Kunst am Bau beim Bund. Im Weiteren wird über Forschungen zu Kunst am Bau infor- miert und auf die Frage eingegangen, wie Kunst am Bau entsteht und warum sie überhaupt beauftragt wird. 4
Der Reiter Orte listet die im Museum befindlichen Liegenschaften mit ihrer aktuellen Bezeich- nung in alphabetischer Reihung auf. Sofern eine Liegenschaft mehrere Bauwerke umfasst, ist das anhand der hinterlegten Bilder von den Bauwerken ersichtlich. Hier kann sowohl nach Orten sor- tiert als auch durch die Eingabe einer Postleitzahl gefiltert werden, um Kunstwerke im näheren Umkreis auszuwählen. Für die Freitextsuche können auch ältere Bezeichnungen einer Liegenschaft genutzt werden, um z. B. über den Begriff Bundespostministerium zum heutigen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit in Bonn zu gelangen. Wenn man im Bereich Orte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- torsicherheit in Bonn aufruft, erhält man zunächst die Adresse und einen Kartenausschnitt der Stadt Bonn, der beliebig vergrößert werden kann. Im Weiteren erfährt man, wie die Liegenschaft strukturiert ist, wie viele Bauwerke sie umfasst und welche Kunstwerke auf dieser Liegenschaft verortet sind. Der Link zum Bauwerk führt zu einer Charakterisierung des Bauwerks sowie zu einer Zusammenfassung der Nutzungsgeschichte des Gebäudes – und natürlich zu den konkret in diesem Bauwerk befindlichen Kunstwerken. Unter dem Reiter Künstler werden die Künstlerinnen und Künstler in alphabetischer Reihung ausgegeben und zu jeder Person bis zu drei im Onlinemuseum verfügbare Kunstwerke ange- zeigt. Ein Klick auf den Namen oder das Foto des Kunstwerks verlinkt zur Vita der Künstlerin 5
bzw. des Künstlers und zu den weiteren im Museum befindli- chen Werken derselben Person. Im Bereich Kunstwerke werden die Arbeiten in chronologischer oder alphabetischer Reihung vorgestellt. Sie lassen sich anhand verschiedener Kategorien nach Zugänglichkeit, Anbringungs- jahr, künstlerischen Techniken oder Nutzergruppen filtern, Museum der 1000 Orte um einen bestimmten Werkkreis zu erhalten. Die Anwendung Kunst am Bau im Auftrag des Bundes seit 1950 mehrerer Suchkriterien ist dabei ebenso möglich wie die Kom- bination vorkonfigurierter Kategorien mit einer Freitextsuche. Adresse Liegenschaft Wenn man hier beispielsweise auf die Wandarbeit von Katha- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherhe Stresemannstraße 128-130 rina Grosse klickt, kommt man zu dem Kunstwerk, das sie für 10117 Berlin das Foyer im 5. Obergeschoss vor dem großen Sitzungssaal des Bundesbauministeriums in Berlin geschaffen hat. Die Spray- Das Museum der 1000 Orte ist ein Projekt von arbeit wird zunächst in einer Bilderfolge vorgestellt und dann in ihrem baulichen und institutionellen Kontext unter Angabe von Literaturhinweisen ausführlich beschrieben. Kerninforma- tionen zu Material, Technik, Kosten und Vergabeart sowie zum Standort und zur öffentlichen Zugänglichkeit werden ebenso vermittelt wie Informationen zur Künstlerin. Ein Ausschnitt des Stadtplans und ein Bild des Bauwerks mit Informationen zum Gebäude sowie zu dessen Nutzungsgeschichte runden Quelle das Angebot ab. https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/o-t-wan Sollen die Informationen zu einem Kunstwerk ausgedruckt oder abgespeichert werden, kann dies in Form eines Projektblattes im PDF-Format geschehen, das die Beschreibung des Kunstwerks mit sämtlichen Angaben und Abbildungen in komprimier- ter Form enthält. Auf dem Projektblatt ist eine Besonderheit zu finden, die in die Zukunft weist: nämlich ein QR-Code. Dieser soll zukünftig in die Beschilderung der Kunstwerke übernommen werden, um direkt auf die Präsentation im „Museum der 1000 Orte“ zu verlinken und so ausführ- lich über das Kunstwerk zu informieren. Das „Museum der 1000 Orte“ präsentiert also Kunst, die für Bauten des Bundes in Deutschland und auf deutschen Auslandsliegenschaften entstanden ist. Es stellt Arbeiten vor, die für die ört- liche Präsenz in ihrem baulichen Kontext geschaffen wurden und die die künstlerische, gesell- schaftliche und politische Entwicklung in Deutschland in einem Zeitraum von siebzig Jahren dokumentieren. Auch baubezogene Kunst der DDR ist im „Museum der 1000 Orte“ vertreten, sofern sie für gesamtstaatlich wichtige Institutionen entstanden ist oder für Bauten, die heute von Bundesinstitutionen genutzt werden. Aufgenommen ist auch Kunst für solche Bauwerke, die ursprünglich für den Bund errichtet wurden, heute aber privatisiert sind. Zudem sind im Onlinemuseum Kunstwerke zu finden, die verschollen sind oder inzwischen nicht mehr exis- tieren, weil sie entweder das Ende ihrer Lebenserwartung erreicht haben oder, wie z. B. in der Deutschen Botschaft in Afghanistan, Opfer von Kriegshandlungen wurden; insofern ist das 6
„Museum der 1000 Orte“ auch ein Archiv der Kunst am Bau. Dementsprechend ist das Online museum als wachsendes Angebot angelegt, in das nach und nach sämtliche Kunstwerke einge- stellt werden sollen, die seit 1950 im Auftrag des Bundes als Kunst am Bau entstanden sind. Architektur und Kunst am Bau sind öffentliche Ereignisse: Sie sind dauerhaft präsent, und spie- geln die Kreativität eines Landes wider. Man könnte sagen, sie sind die gebauten Visitenkarten Deutschlands – und genau deshalb werden sie im „Museum der 1000 Orte“ gezeigt. 7
Kirsten Baumann Von der Kunstkammer bis zum Museum 4.0 – wie digital sind unsere Museen? Seit vielen Jahren sind Museen dabei, ihre Sammlungen digital zu inventarisieren, d. h. die meist seit weit mehr als 100 Jahren zusammengetragenen Objekte in Datenbanken zu erfassen. Wenn das erledigt ist, sieht es im Idealfall so aus wie im British Museum in London: Die Datenbank ist für die Öffentlichkeit zugänglich und die Objekte sind online recherchierbar. Ein weiteres Beispiel ist das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Hier kann man sich seine eigene Sammlung zusammenstellen, man kann mit dem Material „spielen“ – das ist von dem Museum auch ausdrücklich erwünscht. Oder man surft in der Sammlung des Städel Museums in Frankfurt am Main, das in Deutschland als das Museum mit der am weitesten fortgeschrittenen digitalen Strategie gilt. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg. Die Bandbreite beim Status quo der digitalen Inventarisierung ist auch unter den großen Häusern enorm. Zudem machen die digitale Inventarisierung und das Online-Stellen von Daten noch lange keine digitale Strategie aus; das wäre ein grobes Missverständnis – aber sie ist die Grund- Dr. Kirsten Baumann studierte Kunst- voraussetzung für eine solche. Museum ist nicht gleich Museum, aber eines eint sie alle: Jedes geschichte, Archäologie, Neuere und Museum hat eine Sammlung, und jedes professionell betriebene Haus ist denselben ethischen Mittlere Geschichte in Trier und B ochum. Grundsätzen des International Council of Museums ICOM verpflichtet. Kernaufgaben sind und 1997–2009 war sie bei der Stiftung Bau- bleiben das Sammeln, Bewahren, Erforschen und Vermitteln von Objekten. haus Dessau tätig, ab 2005 als stellver- Auf Schloss Gottorf haben wir erst vor drei Jahren mit der digitalen Erfassung unserer Bestände tretende Direktorin. 2009 wurde sie Direktorin des Museums der Arbeit begonnen – geschätzte 120.000 Objekte sind zu inventarisieren. Grundlage sind dabei unsere seit in Hamburg und leitete 2010/11 als über 100 Jahren geführten Inventarkarten sowie die Sammlungszugangsverzeichnisse. Alle In- Alleinvorstand die Stiftung Histori- formationen von analog auf digital umzustellen wird Jahrzehnte dauern und viel Geld kosten. sche Museen Hamburg. Seit 2013 ist Online gestellt ist jedoch noch kein Objekt, das planen wir für das nächste Jahr. sie Direktorin des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf in Schleswig. Geschichte des Sammelns, Geschichte der Museen Bereits seit der Antike werden bedeutsame und lehrreiche oder exemplarische Gegenstände in Sammlungen aufbewahrt, kategorisiert, erforscht und Teile davon ausgestellt. Die uns heute bekannten Museen der Neuzeit gingen vielfach aus adeligen oder kirchlichen Kunst- und Wunderkammern hervor, so auch die zwischen 1558 und 1563 erbaute Kunstkammer der Wiener Hofburg, die früheste ihrer Art. Fürstliche Kunstkammern waren für das gelehrte 17. Jahrhundert wissenschaftliche Arsenale, Modelle der Welt, die man durch das Sammeln und Untersuchen, durch eine beginnende systematische Forschung versuchte in den Griff zu bekommen. 8
Von Interesse war zunächst alles, was zur Erkenntnis des Kosmos beitragen konnte, z. B. Globen, Fernrohre, Mikroskope, Messinstrumente und Uhren, Waffen, Porzellan, Münzen und Medail- len sowie Kostüme aus aller Welt. Neben exotischen Zeugnissen der Flora und Fauna wurden auch gerne „Kuriosa“, also wundersame Phänomene bzw. Abnormitäten aus der Natur, gesam- melt, da man vor allem über das Abweichende von der Norm an die Norm selbst zu kommen glaubte. Antrieb des Sammelns war also nicht nur die Neugier, sondern ein voraufklärerisches Denken, die Suche nach einer Systematik, nach der Ordnung der Dinge – etwas, das Museen bis heute vor allem anderen auszeichnet. Nicht zufällig waren die ersten privaten Sammler des 16. und 17. Jahrhunderts oft Ärzte, immer auf der systematischen Suche nach Heilmitteln. Bei ihnen stießen aber auch Wale, Krokodile, Riesenfische, Elefanten, Stoßzähne – alles, was man als grotesk empfand – auf großes Interesse. Kenntnis über die Welt zu erlangen hieß, sich mit unterschiedlichen Kulturen und fremden Ländern und ihren Völkern zu befassen. „Reisemit- bringsel“ waren daher sehr in Mode, und so gesellten sich Naturkunde, Völkerkunde, Handwerk und Kunst friedlich unter einem Dach zusammen. Diese Kunstkammern der Spätrenaissance und des Barock sind die Ursprünge unserer heutigen Museen. Voraussetzung für das Sammeln war das Reisen, das vor allem durch die Handelsrouten der Niederländer und Engländer zunahm. Seefahrer verkauften ihre Stücke an interessierte Höfe und Privatleute. So kam auch die „Gottorfische Kunstkammer“ zustande, eine Sammlung des niederländischen Arztes Paludanus, die Friedrich III. 1651 von diesem erwarb. Er folgte damit einem Beispiel seines Schwiegervaters, des Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen sowie auch dessen Vaters, der die Dresdner Kunstkammer begründete. Neben der Kunstkammer wurde in Gottorf auch eine Bibliothek installiert; beide dienten fortan der wissenschaftlichen Forschung. Über die „Gottorfische Kunstkammer“ existiert ein Buch von Adam Olearius, dem Gottorfer Universalgelehrten, das er 1666 verfasste und mit 36 Radierungen bebilderte. Es gilt als eines Inventarkarte und Zugangsbuch, Landesmuseum für Kunst und der ersten Sammlungskataloge überhaupt und stellt eine Auswahl der Sammlung vor, die Kulturgeschichte Schloss Gottorf, im 18. Jahrhundert infolge des Großen Nordischen Krieges von Gottorf nach Kopenhagen ver- Schleswig bracht wurde. 9
Im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelten sich die Kunst- und Wunderkammern zu dem, was Adam Olearius, Gottorfische Kunst- wir heute unter einem Museum verstehen. Ein berühmtes Londoner Museum entstand, als 1753 kammer, 2. Auflage 1674 der Arzt und Wissenschaftler Sir Hans Sloane seine sehr umfangreiche Literatur- und Kunst- Daphne als Trinkgefäß, Abraham sammlung dem Staat übereignete. Das Parlament beschloss, diese Sammlung unter dem Namen Jamnitzer, Nürnberg, Ende 16. Jahr- British Museum zu erhalten und zu pflegen. In Braunschweig wurde 1754 das Herzog Anton hundert, Silber, größtenteils ver U lrich-Museum als erstes öffentliches Museum auf dem europäischen Kontinent eröffnet. goldet, Koralle, Höhe: 68 cm, Grünes In einigen Städten im deutschen Sprachraum kam es im 19. Jahrhundert zu bürgerlichen Grün- Gewölbe, Inv. Nr. IV 260. Das Grüne dungen wie der Kunsthalle Bremen, dem Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main, der Gewölbe der Staatlichen Kunst- Hamburger Kunsthalle, der Kunsthalle Wien und dem Museum Wiesbaden. Auch die Sammlung, sammlungen Dresden ist die histori- die heute auf Schloss Gottorf zu sehen ist, geht auf einen Privatmann zurück. Der Kieler Univer- sche Museumssammlung der ehe- maligen Schatzkammer der Wettiner sitätsprofessor Gustav Ferdinand Thaulow stiftete seine kunstgewerbliche Sammlung 1875 der Fürsten von der Renaissance bis preußischen Provinz Schleswig-Holstein, die schon drei Jahre später in Kiel als Thaulow-Museum zum Klassizismus eröffnet wurde. Im Zweiten Weltkrieg klugerweise ausgelagert, wurde die Sammlung schließlich der Grundstock des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte in Schleswig. Die digitalen Strategien, ihre Chancen und Risiken Vielleicht sind wir heute nicht mehr auf der Suche nach der Erkenntnis der Welt, aber doch sicher auf der Suche nach Erklärungen gesellschaftlicher, politischer, wissenschaftlicher oder künstleri- scher Zusammenhänge. Was müssen Museen im 21. Jahrhundert dafür können, und welche Rolle spielt eine digitale Strategie dabei? An keine andere Kulturinstitution werden heute so viele un- terschiedliche Anforderungen gestellt wie an ein Museum. Vor allem sind in den letzten dreißig 10
Jahren drei der vier Kernaufgaben des Museums, nämlich das Sammeln, das Bewahren und das Erforschen, in vielen Häusern stark in den Hintergrund getreten. Museen reüssieren heutzutage vor allem mit publikumswirksamen Ausstellungen und Installationen. Die Arbeit hinter den Ku- lissen, das Restaurieren, das Bewahren und Erforschen, hat massiv an Stellenwert verloren, dabei ist dies eine enorm wichtige Aufgabe. Selbstverständlich bieten wir Ausstellungen auf höchstem ästhetischem und wissenschaftlichem Niveau, ein attraktives Begleitprogramm mit musikalischen Darbietungen, Lesungen, Filmvor- führungen etc. Es gibt Stationen, die das Anfassen von Objekten möglich machen, damit auch ein haptischer Eindruck vermittelt wird, daneben Angebote für alle Altersgruppen, vom Kin- dergartenkind bis zur Seniorengruppe. Inzwischen ist auch Inklusion ein großes Thema in den Museen – Barrierefreiheit für Einschränkungen aller Art, sei es Demenz, Geh- und Sehbehin- derung, Höreinschränkungen, Lernschwierigkeiten (Stichwort leichte Sprache). Museen arbeiten mit Flüchtlingen und leisten damit einen Beitrag zur Integration verschiedener Nationalitäten, Kulturen, Sprachen und Bildungsgrade. Neben klassischen Führungen werden auch Programme für Individualbesucher entwickelt, es gibt multimediale Angebote in Ausstellungen und es wer- den Wissensspiele veranstaltet. Kurzum: das Museum ist nicht primär, wie noch bis in die 1970er/80er Jahre, ein Ort der histo- rischen und ästhetischen Bildung und der Kontemplation oder nur ein sogenannter außerschu- lischer Lernort. Das Museum dient heute der Unterhaltung, des sozialen Miteinanders, es ist ein Gotische Halle, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf, Schleswig 11
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Magazin neue Malerei, Landes- museum für Kunst und Kulturge- schichte Schloss Gottorf, Schleswig Ort der kulturellen Verständigung, des Austauschs, des Erlebnisses, aber auch der kulturellen Identifikation und nach wie vor der Wissenschaft. Museen können nicht die Welt retten. Aber Museen machen Kontexte sichtbar und dadurch ver- ständlich: Hier werden historisch schwierige Sachverhalte verhandelt, hier wird diskutiert, hier können kulturelle Zusammenhänge erklärt werden, wie es kein Wikipedia und kein Eintrag in die Datenbank kann, sondern so, wie es nur anhand von originalen Objekten im Museum möglich ist. Die Exponate müssen aber sachgerecht im Depot aufbewahrt, konservatorisch behandelt und restauriert werden. Unser Anspruch ist, auch in 100 Jahren die Objekte noch in einem guten Zu- stand präsentieren zu können. Die Fragen an die Werke werden sich ständig ändern, die Medien verändern sich, aber die angesammelten Objekte werden bleiben und fordern unsere Aufmerk- samkeit. Sie müssen erforscht und kontextualisiert werden. Daher sind gut ausgebildete Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftler notwendig, die ihre Sammlung kennen und langjährig betreuen sowie gemeinsam mit den Kollegen der Bildung und Vermittlung Geschichten dazu er- zählen. Marketing nimmt bei Museen heute einen sehr viel größeren Stellenwert ein als noch vor einigen Jahren. Die Konkurrenz unter den Museen in Deutschland ist gewachsen, der Wettbewerb mit anderen Kultureinrichtungen und der Unterhaltungsindustrie ist größer geworden – auch durch die Digitalisierung der Welt. Anschlussfähig sind Museen hier aber durchaus. Der interne Nutzen einer digitalisierten Sammlung ist für uns Museumsleute gar nicht hoch genug Luftbild mit frühbarockem Terrassen- garten, Landesmuseum für Kunst und einzuschätzen. Erst durch sie ist ein kompletter oder doch zumindest teilweiser Überblick über Kulturgeschichte Schloss Gottorf, den Bestand eines Hauses möglich. Aber die wenigsten deutschen Museen haben alle ihre Objekte Schleswig digital inventarisiert. Die ersten haben vor 25 Jahren damit begonnen und sind entsprechend 13
weit. Wir in Schleswig haben vor gerade drei Jahren damit angefangen, stecken noch in den Kin- derschuhen und sind trotzdem schon einen gewaltigen Schritt vorangekommen. Das müssen wir auch, denn wir werden in den nächsten Jahren unsere Dauerausstellungen neu konzipieren und gestalten, wofür alle entscheidenden Werke digital inventarisiert sein sollten. Es gibt einige wenige große Museen in Deutschland, die tatsächlich eine digitale Strategie für ihr Haus entwickelt haben und diese systematisch umsetzen bzw. noch umsetzen werden. Klar ist allerdings schon jetzt: Die Digitalisierung in Museen ist keine vorübergehende Erscheinung und kann nicht losgelöst von der analogen Strategie gesehen werden, beides ist eine Einheit und wird uns in Zukunft begleiten. Je eher wir uns mit den Anforderungen auseinandersetzen, desto besser. Das Ziel einer digitalen Strategie sollte sein, einen Mehrwert vor allem für die Besuche- rinnen und Besucher zu bieten. Grundvoraussetzung dafür ist die digitale Inventarisierung der Sammlungen, zumindest der bedeutendsten Objekte, denn nur auf dieser Grundlage kann man weitere Angebote für die Besucher entwickeln. Man kann die Sammlung online stellen und frei verfügbar machen, wie es z. B. das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg tut, um dadurch zur Steigerung der Bekanntheit des Museums beizutragen. Das Städel Museum beispielsweise bietet einen digitalen Kunstkurs an und nutzt die Digitalisate zur Erforschung der historischen Sammlungspräsentation. Es stellt seinen Nutzern zudem eine App als digitale Begleitung für den Museumsbesuch zur Verfügung und bietet für Kinder sogar ein edukatives App-Game. Digitale Angebote holen die Museen aus der „ach-sind-die-verstaubt“-Ecke heraus und machen sie anschlussfähig an die digitale Gesellschaft. Sie sind ein zusätzliches und eigenständiges Angebot. Man sollte sich jedoch auch der Konsequenzen bewusst sein: Digitale Angebote kosten zusätzli- ches Geld und sind meist teurer als analoge Angebote. Sie benötigen mehr Zeit in der Entwicklung und haben eine kürzere Halbwertszeit. Sie sind eine Daueraufgabe und niemals abgeschlossen. Ihre Entwicklung und Pflege erfordert zusätzliches Personal. Die Erarbeitung und Umsetzung einer digitalen Strategie stellt einen Paradigmenwechsel in ei- nem Museum dar, bei dem alle Mitarbeiter eines Hauses mitgenommen werden müssen. Dabei wird das originale Objekt immer das Zentrale, das Wichtigste einer Sammlung sein, es ist unser Ausgangpunkt, und gerade in Zeiten der Di- gitalisierung wird sich sein Stellenwert noch einmal erhöhen. Vor diesem Hintergrund ist die digitale Strategie des Bundes, für die weit verstreute und normalerweise nicht zugäng- liche Kunst am Bau des Bundes ein digitales Museum zu schaffen, sehr zu begrüßen. Denn sie eröffnet eine Art der Teilhabe, der Zugäng- lichkeit und der Vermittlung, die es bislang so nicht gab und die auch kaum anders zu leisten Museumsbesucherin mit Mediaguide, ist. Ich bin gespannt auf die weiteren Entwick- Eisenkunstgussmuseum Büdelsdorf, lungen und Möglichkeiten und kann Sie zur Dependance des Landesmuseums Eröffnung des „Museums der 1000 Orte“ nur für Kunst und Kulturgeschichte beglückwünschen. Schloss Gottdorf, Schleswig 14
Podiumsgespräch Kunst am Bau digital. Das „Museum der 1000 Orte“ Peter Grabowski – Moderation Kunst am Bau zeichnet aus, dass sie für einen konkreten räumlichen oder institutionellen Kon- text geschaffen wird und oft auch eine physische Verbindung zur Architektur hat. Dabei spielt sowohl die Haptik der Objekte als auch ihre exklusive Präsenz eine bedeutende Rolle. Was die Vermittlung eines realen, räumlich verorteten Kunstwerks in einem digitalen Präsentationsraum wie dem „Museum der 1000 Orte“ für die Kunst, den Betrachter und die Rezeption von Kunst be- deutet und welche Chancen und Risiken mit der Digitalisierung verbunden sind, darüber wollen wir heute sprechen. Frau Hagedorn-Saupe, was gefällt Ihnen am „Museum der 1000 Orte“? Monika Hagedorn-Saupe Ganz besonders gefällt mir, dass man im Onlineportal baugebundene Kunstwerke, die sich an einem festen Ort befinden, virtuell zusammenbringen kann. Das ist etwas, was man ohne das Digitale gar nicht oder nur mit sehr viel Aufwand machen kann, indem man Modelle der Kunst 15
nachbaut und zusammen ausstellt. Nur die digitale Präsentation eröffnet die Chance, die Kunst am Bau als Sammlung zu sehen, sie unter verschiedenen Gesichtspunkten anschauen zu können und sie für ein allgemeines Publikum zu jeder Zeit von jedem Ort zugänglich zu machen. Moderation Die jederzeitige Verfügbarkeit ist ja ein Ideal unserer Zeit. Frau Wagler, Sie arbeiten in ähnlichen Zusammenhängen bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Sie inventarisieren und digi- talisieren auch. Was gefällt Ihnen an diesem Konzept besonders? Silke Wagler Die Möglichkeit, immobile, auf tausende von Orten verstreute Kunstwerke in einem virtuellen Katalog zu vereinen. Außerdem durfte ich die Entwicklung des „Museums der 1000 Orte“ als Peter Grabowski lebt in Wuppertal Mitglied des Sachverständigenkreises Kunst am Bau in vielen Gesprächen begleiten. Mein großes und Düsseldorf. Der Journalist arbei- Kompliment, dass der Grundstock des Onlineportals in relativ kurzer Zeit geschaffen wurde. Nun tet im öffentlich-rechtlichen Hörfunk, muss die Bestandserfassung weiter ausgebaut werden. schreibt für Fachmagazine wie die Zeit- schrift „politik & kultur“ des Deutschen Moderation Kulturrats und betreibt den Blog „der kulturpolitische reporter“. Er moderiert Das „Museum der 1000 Orte“ zeigt uns Standorte von Kunst am Bau in einem Ausmaß, die wir bei regelmäßig Panels und Konferenzen zur einer Weltreise gar nicht besuchen könnten. Meinrad Grewenig, ist das ein neues Museumskon- Kulturpolitik sowie zur Rolle von Kunst zept, mit dem man auch andere, weit verstreute, aber inhaltlich zusammenhängende Kunstfor- und Kultur(-Wirtschaft) in der Gesell- men und Genres für das 21. Jahrhundert aufarbeiten kann? schaft. Meinrad Maria Grewenig Ich denke, das ist ein richtiger, guter Weg in die Zukunft. Ich würde gern die Perspektive des bis- her Gesagten weg von der Objektorientierung hin zur Nutzerorientierung lenken. Was das BBR hier bietet, ist eine neue Form von Visibility, also Sichtbarkeit von dem, was die Kunst am Bau des Bundes darstellt – nämlich außergewöhnliche Kunstwerke, an zum Teil qualitativen Archi- tekturen oder in deren Umfeld mit einem meist kleinen Rezipientenkreis. Das haben auch schon die sehr guten Bücher gezeigt, die den Bestand der letzten Jahre erschließen. Aber dazu muss der Rezipient bibliophil und bücherorientiert sein. Mit dem Onlineportal als digitales Medium eröff- net sich die Chance, einen Zugang zu diesem Kunstbestand zu erreichen, der bisher für neunzig Prozent der Bevölkerung unsichtbar war. Gerade für die jüngere Nutzergeneration passiert da et- was sehr Entscheidendes: Die potenzielle Zugänglichkeit und die dadurch mögliche Orientierung kann eine neue Welt erschließen. Ich halte dies für einen bedeutenden und epochalen Schritt, der hier gemacht wurde. Der nächste Punkt ist für mich essentiell: Wenn man heute ein Museum besucht, muss man an einen Ort gehen. Dort finden sich ausgewählte Exponate in der Sammlung oder in der Ausstel- lung. Anders im „Museum der 1000 Orte“. Hier besteht die Möglichkeit, einen Gesamtüberblick zu erhalten, aus dem man sich lokal, topografisch oder auch thematisch bestimmte Inhalte heraus- suchen kann. Und mit dem Stadtplan gibt es die Anleitung dazu, wie man dort hinkommt. Dies dreht im Grunde das Verhältnis vom Museum als objektorientierte Institution, deren Menschen 16
nichts anderes tun, als diese Objekte zu schützen – und ich halte das für sehr wichtig –, in die Perspektive für diejenigen um, die diese Objekte nutzen, nämlich unsere Besucherinnen und Be- sucher. Deshalb ist das ein wichtiger und epochaler Schritt. Moderation Mischa Kuball, wie stehen Sie als Künstler zu dieser ständigen Verfügbarkeit und Nutzung von Kunst und urheberrechtlich geschützten Werken? Und was raten Sie als Hochschullehrer Ihren Kunststudenten dazu? Mischa Kuball Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Die Errichtung von Bauten und Kunst ist in den letzten siebzig Jahren Ergebnis eines demokratischen Prozesses gewesen. Das wird mit dem „Museum der Mischa Kuball arbeitet seit 1984 künst- lerisch im öffentlichen und institutio- 1000 Orte“ in einer größeren Dimension erkennbar. Damit unterscheidet sich die Kunst am Bau nellen Raum. Mit Hilfe des Mediums der Bundesrepublik deutlich vom staatlich beauftragten Kunstschaffen unter den Nationalsozi- Licht – in Installationen und Fotogra- alisten, das sehr stark politisch geprägt war. Es hat lange Zeit gebraucht, um in diesem gestörten fien – erforscht er architektonische Verhältnis wieder einen neuen Zugang zur Kunst am Bau zu finden. Räume und deren soziale und politi- Vor diesem Hintergrund ist die Initiative für ein „Museum der 1000 Orte“ ein interessanter Pro- sche Diskurse. Seit 2007 ist Mischa zess. Er ermöglicht etwas, was die Künstlerinnen und Künstler nicht unbedingt beabsichtigt Kuball Professor für public art an der haben – ihre eigentlich ortsgebundenen Werke werden plötzlich ortsunabhängig. Der Betrach- Kunsthochschule für Medien, Köln, as- soziierter Professor für Medienkunst an ter muss sich nicht mehr an den Ort begeben, der mit dem vom Künstler oder vom Produktions- der Hochschule für Gestaltung/ZKM, prozess bestimmten Raum identisch ist. Der physische Resonanzraum der Begegnung, der vor Karlsruhe und seit 2015 Mitglied der Ort – trotz der mitunter eingeschränkten Zugänglichkeit – gegeben ist, wird zugunsten einer Akademie der Wissenschaften und Betrachtung aufgelöst, die nicht mit dem Ort und mit dem Werk direkt verbunden ist. Das ist Künste NRW, Düsseldorf. Im Januar neu. Das ist wie mit dem fahrerlosen Fahren. Es braucht eine Ethik, eine Idee, wie wir mit den 2016 wurde er mit dem Deutschen Informationen umgehen. Die Tatsache, dass es zehntausend Werke an hunderten von Standor- Lichtkunstpreis ausgezeichnet. ten gibt, ist an sich noch keine Qualität. Sie zeigt erstmal nur die Arbeit, die bei der digitalen Erfassung zu leisten ist. Herr Grewenig hat beispielsweise die Völklinger Hütte konvertiert, modifiziert und als Kultur- raum neu besetzt. Das Ausstellungsprogramm bringt Kultur- und Industriegeschichte mit neuen künstlerischen Fragestellungen in einem freien demokratischen Dialog zusammen. Das ist eine Qualität am Ort. Wenn ich ein Programm hingegen online verfolge, bleibe ich in meinem Zu- stand, das heißt, in meinem direkten persönlichen Umfeld. Da können Museumskuratoren, Wis- senschaftler oder Kustoden nicht bestimmen, wie mein Rezeptionsverhalten aussieht. Und das ist problematisch, weil die intentional ortsbezogene Kunst am Bau plötzlich ortsunbestimmt wahrgenommen wird. Hier leistet das „Museum der 1000 Orte“ allerdings sehr viel. Es singula- risiert, kanalisiert und fokussiert und öffnet so einen neuen Rezeptionsraum, der nicht anders erschlossen werden kann. Sie haben nach den Konsequenzen für die künstlerische Lehre gefragt. Es gibt eine netzba- sierte Kunst, eine digitale Kunst, eine postdigitale, eine internetbezogene, also eine Kunst, die versucht, mit den Möglichkeiten zu arbeiten. Als Lehrer einer Kunsthochschule für Medien, die diese Digitalität schon impliziert, kann ich aber sagen, dass auch andere Qualitäten wichtig sind: 17
Berührung, Körper, Multisensualität. Fast wäre man geneigt zu sagen, es geht um psychologische Modelle der Gestalt, die die Ganzheit des Menschen in seiner Komplexität anspricht. Das Digitale ist da nur ein Aspekt. Ich teile die Euphorie, weil wir dadurch neue Werte dazu bekommen. Die wollen wir haben. Ich bejahe diese Entwicklung, aber wir brauchen auch eine Haltung dazu. Diese Haltung muss genauso prozessual begriffen werden. Es ist nicht nur ein Sammeln, ein Zusammenstellen, ein Nutzbarmachen, sondern auch eine Befragung: Wo bin ich, wenn ich auf diese Kunst schaue? Moderation Wir reden über ganz unterschiedliche Formen von Visibility, Sichtbarkeit, den Umgang damit und die unterschiedlichen Perspektiven darauf. Was bedeutet das für die Besucherinnen und Be- sucher? Die werden jetzt all die wunderbaren Kunstwerke aus Kopf und Hand von bedeutenden, Silke Wagler ist Kunsthistorikerin und nicht nur deutschen Künstlern, erstmals im Netz anschauen können. Müssen wir analog zu den Kulturmanagerin. Seit 2003 leitet sie Besucherschlangen bei der Neueröffnung von Museen in den ersten Tagen damit rechnen, dass den Kunstfonds des Freistaates Sach- die Server des Bundesministeriums wegen der Zugriffszahlen zusammenbrechen? sen, der seit 2004 Teil der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist. Silke Monika Hagedorn-Saupe Wagler ist für die Sammlungsbestände des Kunstfonds verantwortlich und Sie liegen nicht ganz falsch. Als die virtuelle Bibliothek Europeana ans Netz ging, hatte es genau konzipiert und organisiert deren Aus- diesen Effekt, weil zu viele Menschen zum gleichen Zeitpunkt auf das neue Angebot zugegriffen stellung und Vermittlung. Sie ist Mit- haben. Ich will aber noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Im Museum ist immer glied im Sachverständigenkreis Kunst die Kontextualisierung des einzelnen Objekts wichtig. Wir sagen, ein Objekt wird eigentlich erst am Bau des Bundesministeriums für dann zu einem musealen Objekt, wenn es seinen Kontext bekommt. Das ist beim „Museum der Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- 1000 Orte“ in jedem Fall gegeben. Kunst am Bau ist naturgemäß mit dem Bauwerk verbunden. sicherheit. Und diese Information wird bei der digitalen Präsentation auch vermittelt. Wenn ein Künstler ein Objekt für einen bestimmten Bau plant, denkt er sich natürlich etwas dabei. Diese Kombina- tion und Kontextualisierung muss präsentiert werden – und wird es auch. Dass man bei einem Onlinemuseum nichts über die unmittelbare Reaktion seiner Besucher auf die Kunst erfährt, ist zwar richtig. Aber die kennen Sie auch nicht, wenn diese an einem realen Objekt vorbeilaufen. Ich würde daher nicht so strikt zwischen dem Physischen und dem Digitalen trennen. Moderation Frau Wagler, der Kunstfonds des Freistaates Sachsen ist an die Staatlichen Kunstsammlungen Dres- den angegliedert und umfasst mehr als 30.000 Objekte aller Sub-Genres der bildenden Kunst seit 1945. Der Kern stammt aus DDR-Zeiten. Das Land kauft aber auch weiter im Rahmen seiner Mög- lichkeiten dazu und ergänzt diese Sammlung. Sie und Ihr Team haben den Bestand nicht nur inven- tarisiert, sondern auch digitalisiert. Sachsen ist da im bundesweiten Vergleich Vorreiter auf diesem Gebiet. Wer kann auf die digitalen Bestände zugreifen? Wer macht es tatsächlich, und warum? Silke Wagler Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben in Zusammenarbeit mit der Firma Robotron eine eigene Datenbank entwickelt, die das bietet, was für die einzelnen Sammlungen tatsächlich 18
gebraucht wird. Da zum Beispiel die Porzellansammlung, das Münzkabinett, der Mathema- tisch-Physikalische Salon, das Kupferstich-Kabinett oder die Gemäldegalerie Alte Meister teils objektsortierte, teils künstlersortierte und teils regional organisierte Sammlungen sind, ist die interne Struktur der zusammengenommen 1,2 Millionen Objekte umfassenden Datenbank letzt- lich doch wieder ein komplexes Gebilde geworden. Sie kann ein klassisches Inventar nicht hun- dertprozentig ersetzen, aber muss für Recherchen und die Arbeit damit natürlich das bieten, was man sonst mühsam nachschlagen müsste. Ein Teil der darin befindlichen Objekte ist bereits für die Onlinerecherche entsprechend aufbereitet und freigegeben, der Rest bisher nur für den inter- nen Gebrauch nutzbar. Von den reichlich 30.000 Objekten des Kunstfonds sind inzwischen etwa zehn Prozent online re- cherchierbar. Das entspricht bei dieser sogenannten ‚Sammlung ohne Museum‘ ungefähr dem, was man im Idealfall ausstellen könnte. Umso mehr betrachten wir die Datenbank auch als On- linekatalog und haben den Anspruch, nicht nur Kerninformationen zu den Objekten, sondern Wolf-Eike Kuntsche, Völkerfreund- auch deren historischen, persönlichen oder räumlichen Kontext mit zu vermitteln, der real häufig schaft, 1976-1986, in situ in Dresden, nicht mehr existiert. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Zur Frage nach den Nutzern und dem Nutzen von digital erfassten Sammlungen: Die Internetprä- Kunstfonds (Online Collection) sentation ermöglicht es, über Sprache, Begrifflichkeiten, Künstlernamen oder Titel zu recherchie- ren, was vielfach genutzt wird, wie die unterschiedlichen Rückmeldungen und Anfragen zeigen. Dieter Gubsch, Fassadengestaltung, um 1989, Dresden-Gorbitz, zerstört, Mit Hilfe der Nutzer konnten wir zum Beispiel Zuschreibungen bei Porträts aus der Zeit der DDR Staatliche Kunstsammlungen Dresden, klären, wo uns keine Informationen zu den Dargestellten vorlagen oder in der vergleichsweise Kunstfonds (Online Collection) relativ kurzen Zeit seit der Entstehung tatsächlich schon verloren gegangen sind. Das ist natürlich 19
Die „4. UrbanArt Biennale® 2017“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Kunstwerke: Shepard Fairey: Defend Dignity, 2017 / Shepard Fairey: Are Greater Than Fear, 2017 / Jef Aérosol: Black is beautiful!, 2014 / Les Francs Colleurs / Vlady: Prove You’Re Not A Robot, 2016 ein Zusatzeffekt des Internet-Katalogs. Zum Teil aber gewinnen wir über das Onlineangebot auch Besucher, die wir auf anderen Wegen nicht so einfach erreicht hätten. Ich selbst nutze den Online- zugang zur Datenbank der Staatlichen Kunstsammlungen zum Beispiel häufig, wenn ich unter- wegs bin und mit Dritten über bestimmte Künstler oder Themen spreche. Dann kann ich gleich Beispiele zeigen, die bereits freigegeben sind. Moderation Meinrad Grewenig, Sie leiten seit 18 Jahren das Weltkulturerbe Völklinger Hütte, die einst größte Produktionsstätte für Eisenträger in Deutschland. Sie ist mit 600.000 Quadratmetern das wohl größte Museum der Welt und firmiert heute als Europäisches Zentrum für Kunst und Industrie kultur. Zurzeit läuft bei Ihnen die UrbanArt Biennale. Welche Möglichkeiten wachsen einem solchen Kulturort durch die Digitalisierung zu bzw. welche nutzen Sie aktuell besonders? Meinrad Maria Grewenig Die 4. UrbanArt Biennale 2017 zeigt 100 Künstler mit 150 Exponaten aus 17 Ländern von vier Kontinenten. Wenn man die drei Biennalen davor hinzunimmt, haben wir die 200 wichtigsten Künstler der Welt in diesem Segment ausgestellt. Die haben alle eine Facebook-Seite, einen In- stagram-Account oder eine Snapchat-Präsentation. Wir stellen die bei uns gezeigten Exponate auch ins Netz und flankieren unsere Ausstellungen mit Festivals, Electro Magnetic oder Urban- Art HipHop. Wenn dann der DJ und Produzent Robin Schulz beispielsweise drei oder vier dieser Künstler auf seine Homepage nimmt, sind wir gleich millionenfach mit der großen, weltweiten Community verlinkt. Das ist für uns eine Art ungeregelte Internetpräsenz. 20
Diese Chance hat auch das „Museum der 1000 Orte“. Durch das digitale Teilen und Verlinken wird eine Präsenz ermöglicht, die kein Buch und keine Mund-zu-Mund-Propaganda – das sonst wich- tigste Mobilisierungsinstrument im Kulturbereich – leisten kann. Darüber hinaus kann digita- les Material einfach mal auf dem Smartphone oder Tablet gezeigt werden. Das ist der Schritt ins 21. Jahrhundert und ich finde es toll, dass der mit der Kunst am Bau des Bundes gelungen ist. Moderation Jetzt haben Sie den ungeregelten Teil der Nutzung der digitalen Kanäle erläutert. Was ist der geregelte? Meinrad Maria Grewenig Der geregelte Teil ist das, was digital von uns kontrolliert wird. Wir haben bei uns auf der Home- page beispielsweise ein digitales Archiv unserer Aktivitäten und natürlich stellen wir dort auch die aktuellen Programme vor. Wir sind selbst nicht mit derselben Intensität auf Facebook, Snap- chat und Instagram aktiv, wie viele Künstlerinnen und Künstler, aber wir stellen die entsprechen- den Informationen auf verschiedenen Kanälen bereit, um gerade diese junge, digital sozialisierte Generation zu erreichen. 21
Moderation Mischa Kuball, Sie arbeiten seit über dreißig Jahren als Konzeptkünstler oft im öffentlichen Raum und gerne mit Licht. Im vergangenen Jahr haben Sie den Deutschen Lichtkunstpreis bekommen. Ich als Wuppertaler werde seit fünf Jahren von Ihrer wunderschönen Installation auf der Bergi- schen Universität bestrahlt, und zwar jede Nacht. Dort haben Sie eine Kunst am Bau für den öf- fentlichen Raum geschaffen, die das Zeichensystem der Stadt verändert hat. Wir haben schon über das Auratische von Orten gesprochen und auch über die Bestimmung eines Kunstwerks für einen spezifischen Bau, in einer bestimmten Stadt, an einer ausgewählten Stelle, für eine beson- dere Perspektive. Wie groß ist die Sorge des Künstlers, dass durch die Dekontextualisierung der Sinn des Kunstwerks verloren gehen kann? Mischa Kuball Vielleicht ist Verlust nicht immer gleich der Gegensatz zum Nutzen, der deutlich ist. Die Idee, online zu gehen, bedeutet ja nicht, dass dadurch automatisch eine nicht kontrollierte, nicht steuerbare Öffentlichkeit Zugriff auf die Kunst hat. Es ist ein Kommunikationsweg. Mindes- tens ebenso wichtig ist, darüber nachzudenken, wie man mit dem „Museum der 1000 Orte“ die Leute erreicht, die sich heute nicht an diesem Ort oder zu dieser Stunde hier versammeln konnten. Was mich mehr besorgt, ist, dass die Digitalisierung allgemein als Leistung oder als Perspek- tive für das 21. Jahrhundert gilt. Die größere Leistung besteht meines Erachtens aber darin, dass wir uns mit hohem Abstraktionsvermögen Dinge vorstellen können. Ich möchte beispielsweise weder im Louvre noch in anderen Museen von einem Audio-Guide gegängelt werden. Ich sage deswegen gängeln, weil es hier um Deutungshoheit geht. Eine Web-Plattform macht das in ge- wisser Weise auch. Denn zu den Bildern werden Informationen gegeben, und schon die Aus- wahl der Information ist Politik, ist Informationspolitik, ist Teil von Bildungspolitik, ist Teil von Rezeptionspolitik. Ich möchte zum Beispiel etwas falsch interpretieren dürfen, weil ich glaube, dass Fehler große kulturelle Leistungen erst möglich machen, indem wir erkennen, dass wir etwas anders einge- schätzt haben. Und darüber treten wir ins Gespräch. Das ist das Element des Diskursiven und zwar auf der Ebene des wirklich Dialogischen und nicht auf der Metaebene. Ich bin ein großer Freund der Metaebene, aber an diesem Punkt fordere ich sozusagen eine andere Beziehungskon- stellation ein. Gern möchte ich einen weiteren Gegenstand in die Untersuchung einführen, die Körperpolitik. Wenn man Menschen damit digital erreichen kann, indem man ihnen suggeriert, dass sie Zugang zu Meisterwerken haben, dann muss man sich darüber auch immer im Klaren sein, dass das in letzter Konsequenz dazu führen könnte, dass sie gar nicht mehr ins Museum gehen, um diese Arbeiten real anzusehen. Wer vor einem Bild von Lucas Cranach steht, hat einen direkten, unmittelbaren Kontakt mit dem Kunstwerk. Der Begriff Aura ist vielleicht ein bisschen problematisch, weil er fast schon so eine Art Glaubensbegriff ist. Aber ich würde sagen, es gibt ein Verhältnis zwischen den Dingen und den Menschen. Das ist eine Beziehung, die jeder für sich selber bestimmt und die von den 22
Mischa Kuball, public preposition / Objekten mitbestimmt wird. Kunst lebt eben auch von einem Strahlfaktor. Wenn ich den auf MetaLicht, 2012, Bergische Uni- glänzende, reflektierende Oberflächen, auf Tablets oder auf Smartphones übertrage, verliert der versität, Wuppertal Künstler aus der Perspektive des Produzenten jede Kontrolle. Wer bestimmt über den kalibrier- ten Bildschirm? Wer hat den so eingestellt, dass die Farbigkeit, die Kontraste real rüberkommen? Wer hat übrigens den Renaissance-Künstler gefragt, ob er wirklich will, dass der Betrachter wie jetzt bei Google Arts and Culture die Möglichkeit hat, so tief in die Welten eines Hieronymus Bosch einzudringen, die Figuren fast schon rechnergroß hervorzuholen und diese Wimmelbild- charakteristik zu verlassen? Das sind manipulative Eingriffe, die den Betrachter zum Macher, zum Gestalter werden lassen. Warum bringe ich den Körperpolitik-Begriff hinein? Weil er für die Rezeption von Kunst am Bau wie im öffentlichen Raum und auch im Museum gilt: Das heißt, ich komme in den Raum und habe eine reale Begegnung. Die ist definiert durch diesen Moment, in dem wir beide einen Handel miteinander eingehen. Das Bild ist an der Stelle, wo ich es erwarte, oder die Skulptur oder Instal- lation – bitte denken Sie alle anderen künstlerischen Medien mit und meine Präsenz. Das ist der definierte Augenblick, der unwiederholbar ist. Der ist eine Besonderheit und eine Qualität. Wir drohen, diese Qualität zugunsten einer Informationspolitik und eines Zugangs zu vielen Dingen aufzugeben. Additiv habe ich kein Problem mit digitalen Angeboten, als Ersatz hätte ich große Bedenken anzumelden. 23
Meinrad Maria Grewenig Ich würde dem zustimmen, aber ich würde es auch mit einer gewissen Distanz sehen. Unsere Er- fahrung ist, dass die digitalen Angebote nicht den Besuch im Museum ersetzen. Denn die Grund- frage „Wie riecht das dort?“ ist auch mit dem besten Tablet nicht zu vermitteln. Und die Erfahrung lehrt auch, dass Menschen in der Regel in Gruppen in Museen kommen, weil sie über das, was sie dort sehen, reden wollen. Ich begreife die digitalen Angebote so, dass sie eine größere Chance eröffnen, diese Orte zu besuchen. Das Verhalten der Museumsbesucher vor Ort hat sich – zumin- dest im Laufe meines Museumslebens – drastisch verändert. Vor vierzig Jahren wurde andächtig betrachtet, fast mit sakralem Ernst, heute wird lebendig diskutiert. Museen haben inzwischen eine starke urbane Qualität und ziehen auch junge Menschen an. In diesem Konzept ist die Bereit- stellung digitaler Informationen unabdingbar und eine Riesenchance, um Neues zu entdecken. Ich habe keine Angst davor, dass durch die Digitalisierung der Kontext verloren geht. Denn wenn die Kunst gut ist, steckt sie das locker weg. Es wird nur dort problematisch, wo es vor allem auf den Kontext ankommt. Moderation Im Rahmen der Digitalisierung stellt sich die Frage, wann die Aufmerksamkeit so massiv vom Kunstwerk abgezogen und zu einem Erlebnisraum hingelenkt wird, der dann quasi mit anderen Erlebnisräumen – auch der Unterhaltungsbranche – konkurrieren kann, aber dem eigentlichen Zweck widerspricht? Mischa Kuball Das Problem mit dem Digitalen ist die Konkurrenz in der Umgebung, wo vielleicht noch ein Film läuft, die Zeitung aufgeschlagen ist, Freunde quatschen. Wenn ich mir dazwischen auch noch Kunst anschaue und behaupte, ich hätte das und das gesehen, wird es schwierig. Denn ich war weder an dem Ort noch habe ich mir diese Qualität wirklich erschlossen. Deswegen habe ich ver- sucht, mit Körperpolitik eine Entschleunigung in die Euphorie des Digitalen reinzubringen. Ich glaube, das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert, das sich am stärksten mit den Auswirkungen neuer Möglichkeiten und Technologien beschäftigen muss, und zwar auch mit den Schwierigkei- ten und Herausforderungen, die damit verbunden sind. Meinrad Maria Grewenig Die Entwicklung eines Fairplay und die Emotionalisierung sind im Grunde die Instrumente für eine zukünftige Mobilisierung im Museums- und Ausstellungsbereich sowie für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum. Denn das sind die Orte, an denen etwas passiert, die authentisch sind und Menschen anziehen. Insofern ist die digitale Konkurrenz kein Problem, eher ein Ansporn. Moderation Frau Hagedorn-Saupe, was sagt eigentlich Ihre Besucherforschung zu diesem Thema? Beschäf- tigen Sie sich mit der Frage der veränderten Wahrnehmung und dem Umgang mit Kunst in Museen? Und wenn ja, können Sie uns etwas empirisch Fundiertes darüber sagen? 24
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