KUNST AM BAU DIGITAL. DAS "MUSEUM DER 1000 ORTE" - Bundesamt für Bauwesen und ...

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KUNST AM BAU DIGITAL. DAS "MUSEUM DER 1000 ORTE" - Bundesamt für Bauwesen und ...
DOKUMENTATION
 Festveranstaltung

KUNST AM BAU DIGITAL.
  DAS „MUSEUM DER 1000 ORTE“
KUNST AM BAU DIGITAL. DAS "MUSEUM DER 1000 ORTE" - Bundesamt für Bauwesen und ...
Inhalt

         1    Grußwort
              Lothar Fehn Krestas

         3    Das „Museum der 1000 Orte“
              Ute Chibidziura

         8    Von der Kunstkammer bis zum Museum 4.0 – wie digital sind
              unsere Museen?
              Kirsten Baumann

         15   Kunst am Bau digital. Das „Museum der 1000 Orte“
              Podiumsgespräch
KUNST AM BAU DIGITAL. DAS "MUSEUM DER 1000 ORTE" - Bundesamt für Bauwesen und ...
Lothar Fehn Krestas
                                             Grußwort

                                             Es ist so weit – das „Museum der 1000 Orte“, das Onlinemuseum für die Kunst am Bau des
                                             ­Bundes, wurde am 21. Juni 2017 von Bundesbauministerin Dr. Barbara Hendricks eröffnet.
                                              Mehr als 120 Kunstwerke sind darin inzwischen zu besichtigen und laden zu einer virtuellen
                                             Weltreise ein.
                                             Warum eröffnen wir ein solches Museum und wieso braucht der Bund ein solches? Die Bauten
                                               des Bundes müssen besonderen baukulturellen Maßstäben genügen. In ihnen manifestiert sich
                                              nicht nur unser demokratisch verfasster Staat, sondern sie werden auch täglich von tausenden
                                              Menschen besucht und genutzt. Sie sollen Identifikationsorte sein. Der Bund nimmt diese An-
                                              forderung ernst und entspricht ihr mit nachhaltig geplanten, qualitativ und ästhetisch hoch-
                                             wertigen Bauwerken – und mit der Realisierung von Kunst am Bau. Denn Kunst kann auf den
                                              räumlichen, örtlichen, institutionellen Kontext reagieren und zur Aussagekraft der Architektur
                                               einen entscheidenden Beitrag leisten.
Lothar Fehn Krestas studierte Archi-
tektur in Stuttgart und Atlanta, G
                                 ­ eorgia,
                                              Kunst am Bau ist seit 1950 integraler Bestandteil der Bauherrenaufgabe des Bundes. An die
USA. Nach dem Referendariat bei der            zehntausend Kunstwerke wurden seither im In- und Ausland an gesamtstaatlich wichtigen
Bundesbaudirektion in Berlin über-            Bauten realisiert. Die bedeutendsten Künstlerinnen und Künstler Deutschlands haben dazu
nahm er 1997 im Bundesamt für B      ­ au-     beigetragen, dass eine international einzigartige Sammlung von Nachkriegskunst entstanden
wesen und Raumordnung (BBR) die               ist, die einen hervorragenden Querschnitt durch das Kunstschaffen der letzten Jahrzehnte bie-
Projektleitung u. a. für die Berliner
                                              tet und nahezu alle künstlerische Ausdrucksformen, Techniken und Materialien umfasst. Mit
Projekte Wiederaufbau Neues Museum
                                               dem „Museum der 1000 Orte“ kann dieser reiche Bestand an Kunst am Bau nun erstmals öffent-
und Neubau Bundesnachrichtendienst.
2013 wurde ihm die Leitung der Abtei-         lich zugänglich gemacht und die baukulturelle Leistung des Bundes wie der beteiligten Künst-
lung baufachliche Dienste im BBR und          lerinnen und Künstler angemessen präsentiert werden.
zudem die stellvertretende Hauslei-           Die inhaltliche Grundlage für das „Museum der 1000 Orte“ wurde vom Bundesamt für Bau-
tung übertragen. Seit 2016 leitet er         wesen und Raumordnung geschaffen, das in unserem Auftrag die Kunst am Bau des Bundes
die Unterabteilung Bauwesen, Bau-              dokumentiert und dafür eine spezielle Kunst-am-Bau-Datenbank entwickelt hat. Das „Museum
wirtschaft im Bundesministerium für
                                               der 1000 Orte“ ist kein Projekt, das in Kürze zu bewerkstelligen war. Es ist eine Aufgabe, die
Umwelt, ­Naturschutz, Bau und Reaktor-
                                              uns schon einige Zeit beschäftigt und uns auch noch weiter beschäftigen wird. Nach und nach
sicherheit (BMUB).
                                               sollen all die Kunstwerke im Museum eingestellt werden, die seit 1950 als Kunst am Bau an
                                              Bundesbauten entstanden sind.
                                              Für die ausgezeichnete Umsetzung des „Museums der 1000 Orte“ möchte ich mich an dieser
                                              Stelle bei allen Beteiligten sehr herzlich bedanken und zum überaus gelungenen Ergebnis
                                              ­g ratulieren. Sie als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes lade ich herzlich ein, sich die hervor-
                                              ragenden Arbeiten anzusehen, im virtuellen Museum und natürlich vor Ort.

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KUNST AM BAU DIGITAL. DAS "MUSEUM DER 1000 ORTE" - Bundesamt für Bauwesen und ...
KUNST AM BAU DIGITAL. DAS "MUSEUM DER 1000 ORTE" - Bundesamt für Bauwesen und ...
Ute Chibidziura
                                         Das „Museum der 1000 Orte“

                                         Das Kunst-am-Bau-Engagement des Bundes fußt auf der Entscheidung des ersten Deutschen Bun-
                                         destags, einen Teil der Kosten von öffentlichen Bauten für Kunst einzusetzen. Denn auf Wunsch
                                         der Abgeordneten sollte eine Begegnung mit Kunst nicht nur in Museen und Ausstellungen mög-
                                         lich sein, sondern auch im Arbeitsumfeld – ja Kunst sollte Teil des öffentlichen Lebens werden!
                                         Die entsprechenden Rahmenbedingungen für eine flächendeckende Beteiligung von Künstlerin-
                                         nen und Künstlern bei Baumaßnahmen des Bundes wurden spätestens 1953 mit der Einführung
                                         der Richtlinien zur Durchführung von Bauaufgaben des Bundes (RBBau) geschaffen; sie sind bis
                                         heute gültig. Als Ergänzung und Handreiche dazu wurde 2005 vom Bundesbauministerium der
                                         Leitfaden Kunst am Bau herausgegeben, der seit 2012 in einer aktualisierten Fassung vorliegt. Er
                                         konkretisiert die Ermessensspielräume der RBBau, beschreibt die Auswahl- und Vergabeverfah-
                                         ren, den Kostenrahmen für die Realisierung neuer Kunst am Bau und deren Dokumentation. Der
                                         Leitfaden formuliert aber auch Aufgaben und Pflichten hinsichtlich des Umgangs mit bzw. der
Dr. Ute Chibidziura studierte Kunstge-
schichte, Archäologie und Philosophie
                                         Unterhaltungsleistungen für bestehende Kunst am Bau, die von den Eigentümern und Nutzern in
in Graz und Köln. Danach war sie wis-    Abstimmung mit der Bundesbauverwaltung erbracht werden.
senschaftliche Referentin beim Stadt-    Auf der Basis der genannten Regelwerke wird seit nunmehr fast sieben Jahrzehnten Kunst am
konservator Köln, Geschäftsführerin      Bau bei Bauten für Regierung und Bundesbehörden, Botschaften und Auslandsschulen, Polizei
des Bundes Deutscher Architekten         und Bundeswehr sowie Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen im In- und Ausland realisiert.
Köln und des Hauses der Architektur
                                         Nahezu alle bedeutenden Künstlerinnen und Künstler ihrer Zeit waren für den Bund tätig und
Köln. Seit 2006 ist sie im Bundesamt
                                         haben einzigartige Kunstwerke geschaffen, die sich mit dem spezifischen baulichen und institu-
für Bauwesen und Raumordnung für
Grundsatzfragen der Kunst am Bau         tionellen Kontext auseinandersetzen. An die zehntausend Kunst-am-Bau-Werke sind auf diese
beim Bund zuständig.                     Weise seit 1950 entstanden. In Form von malerischen, skulpturalen, kinetischen, akustischen,
                                         installativen oder konzeptuellen Arbeiten sind sie auf Böden, Wänden und Decken präsent oder
                                         tragen als Wasser-, Licht- und Videoinstallationen zur Gestaltung von Fassaden, Plätzen und
                                         Grünanlagen bei.
                                         Zusammengenommen bildet die Kunst am Bau des Bundes eine hervorragende Sammlung an
                                         Nachkriegskunst, die nicht nur sämtliche künstlerische Strömungen und Ausdrucksformen um-
                                         fasst, sondern auch in Umfang und Vielfalt international einzigartig ist.
                                         Eine Besonderheit dieser Sammlung ist allerdings, dass sie auf hunderte Standorte und Liegen-
                                         schaften in Deutschland und weltweit verstreut ist und die einzelnen Kunstwerke aufgrund der
                                         geographischen Entfernung oder der hohen Sicherheitsanforderungen meist nicht besichtigt
                                         werden können. Wohl auch deshalb ist die Kunst am Bau des Bundes bislang selbst in Fachkrei-
                                         sen weitgehend unbekannt und nur in Ausnahmefällen zum Gegenstand übergreifender wissen-
                                         schaftlicher Betrachtungen geworden.

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Um die ungemein vielfältige und durch neue Wettbewerbe
     weiter anwachsende Kunst-am-Bau-Sammlung des Bundes
      zu erfassen und zu katalogisieren, werden vom Bundesamt
      für Bauwesen und Raumordnung (BBR) im Rahmen der For-
      schungsinitiative Zukunft Bau seit Jahren Forschungsaufträge
      zur wissenschaftlichen und fotografischen Dokumentation
     vergeben. Die qualitätvollen Ergebnisse dieser Aufträge sind als
      Onlinepublikation über die Homepage www.Kunst-am-Bau-in-
     Deutschland.de allgemein zugänglich und bereits in meh-
      rere Buchpublikationen eingeflossen. Allerdings fehlte bislang
      ein geeignetes Medium, um auch die ältere Kunst am Bau des
     ­Bundes in angemessener Form zu vermitteln – dies haben wir
      nun mit dem Online­museum gefunden.
      Unter der sinnfälligen Bezeichnung „Museum der 1000 Orte“
      hat das BBR in Zusammenarbeit mit der Kölner Agentur
     HauptwegNebenwege eine Onlinepräsentation entwickelt, die
      in ansprechender Weise die Kunstwerke in ihrem baulichen
      und institutionellen Kontext vorstellt und sowohl vom hei-
      matlichen Rechner als auch unterwegs über Tablet und Smart-
      phone angesteuert werden kann. Grundlage und Datenbasis
      für die Onlinepräsentation ist eine spezielle Kunst-am-Bau-
     Datenbank, die das BBR eigens erstellt hat, um sowohl eine
      optimale baufachliche Betreuung der Kunst am Bau zu leis-
      ten als auch die spezifischen Anforderungen seitens des „Museums der 1000 Orte“ zu bedienen.
     Bei der Einrichtung der Internetseite für das „Museum der 1000 Orte“ wurde darauf geachtet,
      den Besuchern und Nutzern des Online­a ngebots verschiedene Wege zur Kunst zu eröffnen.
     Demzufolge bietet die Startseite über die Bildergalerie mit wechselnden großformatigen Einzel-
      bildern oder über die Wolke mit kleinen Einzelbildern einen schnellen, visuellen Zugang zu den
     Kunstwerken. Per Mausklick kommt man beispielsweise zu Ferdinand K      ­ riwets „Lesewald“, den
      er 1988 für die Ministeretage des damals neu errichteten Bundesministeriums für Post- und
    ­Telegraphenwesen in Bonn geschaffen hat; heute wird das Gebäude vom Bundesministerium
      für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit genutzt. In gleicher Weise kann auch
      mit den aufgeführten Namen der Künstlerinnen und Künstler und den auf der Startseite abge-
      bildeten Bauwerken verfahren werden.
    Alternativ zur intuitiven Nutzung ist ein systematischer Zugang zur Kunst über die Bereiche
     Museum, Orte, Künstler und Kunstwerke möglich. Der mit Museum überschriebene Bereich
      bietet Wissenswertes zu Inhalt und Aufbau des „Museums der 1000 Orte“, aber auch zur Ge-
      schichte der Kunst am Bau, zur baubezogenen Kunst in der DDR sowie zu den Regularien für
      die Kunst am Bau beim Bund. Im Weiteren wird über Forschungen zu Kunst am Bau infor-
      miert und auf die Frage eingegangen, wie Kunst am Bau entsteht und warum sie überhaupt
      beauftragt wird.

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Der Reiter Orte listet die im Museum befindlichen Liegenschaften mit ihrer aktuellen Bezeich-
 nung in alphabetischer Reihung auf. Sofern eine Liegenschaft mehrere Bauwerke umfasst, ist das
 anhand der hinterlegten Bilder von den Bauwerken ersichtlich. Hier kann sowohl nach Orten sor-
 tiert als auch durch die Eingabe einer Postleitzahl gefiltert werden, um Kunstwerke im näheren
 Umkreis auszuwählen.
Für die Freitextsuche können auch ältere Bezeichnungen einer Liegenschaft genutzt werden, um
 z. B. über den Begriff Bundespostministerium zum heutigen Bundesministerium für Umwelt,
­Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit in Bonn zu gelangen.
Wenn man im Bereich Orte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
 torsicherheit in Bonn aufruft, erhält man zunächst die Adresse und einen Kartenausschnitt der
 Stadt Bonn, der beliebig vergrößert werden kann. Im Weiteren erfährt man, wie die Liegenschaft
 strukturiert ist, wie viele Bauwerke sie umfasst und welche Kunstwerke auf dieser Liegenschaft
verortet sind. Der Link zum Bauwerk führt zu einer Charakterisierung des Bauwerks sowie zu
 einer Zusammenfassung der Nutzungsgeschichte des Gebäudes – und natürlich zu den konkret
 in diesem Bauwerk befindlichen Kunstwerken.
 Unter dem Reiter Künstler werden die Künstlerinnen und Künstler in alphabetischer Reihung
 ausgegeben und zu jeder Person bis zu drei im Onlinemuseum verfügbare Kunstwerke ange-
 zeigt. Ein Klick auf den Namen oder das Foto des Kunstwerks verlinkt zur Vita der Künstlerin

                                                                                                  5
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bzw. des Künstlers und zu den weiteren im ­Museum befindli-
    chen Werken derselben Person.
    Im Bereich Kunstwerke werden die Arbeiten in chronologischer
    oder alphabetischer Reihung vorgestellt. Sie lassen sich anhand
    verschiedener Kategorien nach Zugänglichkeit, Anbringungs-
    jahr, künstlerischen Techniken oder Nutzergruppen filtern,                                          Museum der 1000 Orte
    um einen bestimmten Werkkreis zu erhalten. Die Anwendung                                            Kunst am Bau im Auftrag des Bundes seit 1950

    mehrerer Suchkriterien ist dabei ebenso möglich wie die Kom-
    bination vorkonfigurierter Kategorien mit einer Freitextsuche.                                      Adresse Liegenschaft
    Wenn man hier beispielsweise auf die Wandarbeit von Katha-                                          Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherhe
                                                                                                        Stresemannstraße 128-130
    rina Grosse klickt, kommt man zu dem Kunstwerk, das sie für
                                                                                                        10117 Berlin
    das Foyer im 5. Obergeschoss vor dem großen Sitzungssaal des
    Bundesbauministeriums in Berlin geschaffen hat. Die Spray-                                          Das Museum der 1000 Orte ist ein Projekt von
    arbeit wird zunächst in einer Bilderfolge vorgestellt und dann
    in ihrem baulichen und institutionellen Kontext unter Angabe
    von Literaturhinweisen ausführlich beschrieben. Kerninforma-
    tionen zu Material, Technik, Kosten und Vergabeart sowie zum
    Standort und zur öffentlichen Zugänglichkeit werden ebenso
    vermittelt wie Informationen zur Künstlerin. Ein Ausschnitt
    des Stadtplans und ein Bild des Bauwerks mit Informationen
    zum Gebäude sowie zu dessen Nutzungsgeschichte runden                                               Quelle
    das Angebot ab.
                                                                                                        https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/o-t-wan
    Sollen die Informationen zu einem Kunstwerk ausgedruckt
    oder abgespeichert werden, kann dies in Form eines Projektblattes im PDF-Format geschehen,
    das die Beschreibung des Kunstwerks mit sämtlichen Angaben und Abbildungen in komprimier-
    ter Form enthält. Auf dem Projektblatt ist eine Besonderheit zu finden, die in die Zukunft weist:
    nämlich ein QR-Code. Dieser soll zukünftig in die Beschilderung der Kunstwerke übernommen
    werden, um direkt auf die Präsentation im „Museum der 1000 Orte“ zu verlinken und so ausführ-
    lich über das Kunstwerk zu informieren.

    Das „Museum der 1000 Orte“ präsentiert also Kunst, die für Bauten des Bundes in Deutschland
    und auf deutschen Auslandsliegenschaften entstanden ist. Es stellt Arbeiten vor, die für die ört-
    liche Präsenz in ihrem baulichen Kontext geschaffen wurden und die die künstlerische, gesell-
    schaftliche und politische Entwicklung in Deutschland in einem Zeitraum von siebzig Jahren
    dokumentieren. Auch baubezogene Kunst der DDR ist im „Museum der 1000 Orte“ vertreten,
    sofern sie für gesamtstaatlich wichtige Institutionen entstanden ist oder für Bauten, die heute
    von Bundesinstitutionen genutzt werden. Aufgenommen ist auch Kunst für solche Bauwerke,
    die ursprünglich für den Bund errichtet wurden, heute aber privatisiert sind. Zudem sind im
    Onlinemuseum Kunstwerke zu finden, die verschollen sind oder inzwischen nicht mehr exis-
    tieren, weil sie entweder das Ende ihrer Lebenserwartung erreicht haben oder, wie z. B. in der
    Deutschen Botschaft in Afghanistan, Opfer von Kriegshandlungen wurden; insofern ist das

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„Museum der 1000 Orte“ auch ein Archiv der Kunst am Bau. Dementsprechend ist das Online­
 museum als wachsendes Angebot angelegt, in das nach und nach sämtliche Kunstwerke einge-
 stellt werden sollen, die seit 1950 im Auftrag des Bundes als Kunst am Bau entstanden sind.
Architektur und Kunst am Bau sind öffentliche Ereignisse: Sie sind dauerhaft präsent, und spie-
 geln die Kreativität eines Landes wider. Man könnte sagen, sie sind die gebauten Visitenkarten
 Deutschlands – und genau deshalb werden sie im „Museum der 1000 Orte“ gezeigt.

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Kirsten Baumann
    Von der Kunstkammer bis zum Museum 4.0 – wie digital
    sind unsere Museen?

    Seit vielen Jahren sind Museen dabei, ihre Sammlungen digital zu inventarisieren, d. h. die meist
    seit weit mehr als 100 Jahren zusammengetragenen Objekte in Datenbanken zu erfassen. Wenn
    das erledigt ist, sieht es im Idealfall so aus wie im British Museum in London: Die Datenbank
    ist für die Öffentlichkeit zugänglich und die Objekte sind online recherchierbar. Ein weiteres
    Beispiel ist das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Hier kann man sich seine eigene
    Sammlung zusammenstellen, man kann mit dem Material „spielen“ – das ist von dem Museum
    auch ausdrücklich erwünscht. Oder man surft in der Sammlung des Städel Museums in Frankfurt
    am Main, das in Deutschland als das Museum mit der am weitesten fortgeschrittenen digitalen
    Strategie gilt. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg.
    Die Bandbreite beim Status quo der digitalen Inventarisierung ist auch unter den großen Häusern
    enorm. Zudem machen die digitale Inventarisierung und das Online-Stellen von Daten noch
    lange keine digitale Strategie aus; das wäre ein grobes Missverständnis – aber sie ist die Grund-
                                                                                                         Dr. Kirsten Baumann studierte Kunst-
    voraussetzung für eine solche. Museum ist nicht gleich Museum, aber eines eint sie alle: Jedes       geschichte, Archäologie, Neuere und
    Museum hat eine Sammlung, und jedes professionell betriebene Haus ist denselben ethischen            Mittlere Geschichte in Trier und B
                                                                                                                                          ­ ochum.
    Grundsätzen des International Council of Museums ICOM verpflichtet. Kernaufgaben sind und           1997–2009 war sie bei der Stiftung Bau-
    bleiben das Sammeln, Bewahren, Erforschen und Vermitteln von Objekten.                               haus Dessau tätig, ab 2005 als stellver-
    Auf Schloss Gottorf haben wir erst vor drei Jahren mit der digitalen Erfassung unserer Bestände      tretende Direktorin. 2009 wurde sie
                                                                                                         Direktorin des Museums der Arbeit
    begonnen – geschätzte 120.000 Objekte sind zu inventarisieren. Grundlage sind dabei unsere seit
                                                                                                         in Hamburg und leitete 2010/11 als
    über 100 Jahren geführten Inventarkarten sowie die Sammlungszugangsverzeichnisse. Alle In-
                                                                                                        ­Alleinvorstand die Stiftung Histori-
    formationen von analog auf digital umzustellen wird Jahrzehnte dauern und viel Geld kosten.          sche Museen Hamburg. Seit 2013 ist
    Online gestellt ist jedoch noch kein Objekt, das planen wir für das nächste Jahr.                    sie ­Direktorin des Landesmuseums für
                                                                                                         Kunst und Kulturgeschichte Schloss
                                                                                                         Gottorf in Schleswig.
    Geschichte des Sammelns, Geschichte der Museen

    Bereits seit der Antike werden bedeutsame und lehrreiche oder exemplarische Gegenstände in
    Sammlungen aufbewahrt, kategorisiert, erforscht und Teile davon ausgestellt. Die uns heute
    bekannten Museen der Neuzeit gingen vielfach aus adeligen oder kirchlichen Kunst- und
    Wunderkammern hervor, so auch die zwischen 1558 und 1563 erbaute Kunstkammer der
    Wiener Hofburg, die früheste ihrer Art. Fürstliche Kunstkammern waren für das gelehrte
    17. Jahrhundert wissenschaftliche Arsenale, Modelle der Welt, die man durch das Sammeln
    und Untersuchen, durch eine beginnende systematische Forschung versuchte in den Griff zu
    bekommen.

8
Von Interesse war zunächst alles, was zur Erkenntnis des Kosmos beitragen konnte, z. B. Globen,
                                    Fernrohre, Mikroskope, Messinstrumente und Uhren, Waffen, Porzellan, Münzen und Medail-
                                    len sowie Kostüme aus aller Welt. Neben exotischen Zeugnissen der Flora und Fauna wurden
                                    auch gerne „Kuriosa“, also wundersame Phänomene bzw. Abnormitäten aus der Natur, gesam-
                                    melt, da man vor allem über das Abweichende von der Norm an die Norm selbst zu kommen
                                    glaubte. Antrieb des Sammelns war also nicht nur die Neugier, sondern ein voraufklärerisches
                                    Denken, die Suche nach einer Systematik, nach der Ordnung der Dinge – etwas, das Museen
                                    bis heute vor allem anderen auszeichnet. Nicht zufällig waren die ersten privaten Sammler des
                                    16. und 17. Jahrhunderts oft Ärzte, immer auf der systematischen Suche nach Heilmitteln. Bei
                                    ihnen stießen aber auch Wale, Krokodile, Riesenfische, Elefanten, Stoßzähne – alles, was man
                                    als grotesk empfand – auf großes Interesse. Kenntnis über die Welt zu erlangen hieß, sich mit
                                    unterschiedlichen Kulturen und fremden Ländern und ihren Völkern zu befassen. „Reisemit-
                                    bringsel“ waren daher sehr in Mode, und so gesellten sich Naturkunde, Völkerkunde, Handwerk
                                    und Kunst friedlich unter einem Dach zusammen. Diese Kunstkammern der Spätrenaissance
                                    und des Barock sind die Ursprünge unserer heutigen Museen.
                                    Voraussetzung für das Sammeln war das Reisen, das vor allem durch die Handelsrouten der
                                    Niederländer und Engländer zunahm. Seefahrer verkauften ihre Stücke an interessierte Höfe
                                    und Privatleute. So kam auch die „Gottorfische Kunstkammer“ zustande, eine Sammlung des
                                    niederländischen Arztes Paludanus, die Friedrich III. 1651 von diesem erwarb. Er folgte damit
                                    einem Beispiel seines Schwiegervaters, des Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen sowie auch
                                    dessen Vaters, der die Dresdner Kunstkammer begründete. Neben der Kunstkammer wurde in
                                    Gottorf auch eine Bibliothek installiert; beide dienten fortan der wissenschaftlichen Forschung.
                                    Über die „Gottorfische Kunstkammer“ existiert ein Buch von Adam Olearius, dem Gottorfer
                                    Universalgelehrten, das er 1666 verfasste und mit 36 Radierungen bebilderte. Es gilt als eines
Inventarkarte und Zugangsbuch,
Landesmuseum für Kunst und          der ersten Sammlungskataloge überhaupt und stellt eine Auswahl der Sammlung vor, die
Kulturgeschichte Schloss Gottorf,   im 18. Jahrhundert infolge des Großen Nordischen Krieges von Gottorf nach Kopenhagen ver-
Schleswig                           bracht wurde.

                                                                                                                                       9
Im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelten sich die Kunst- und Wunderkammern zu dem, was             Adam Olearius, Gottorfische Kunst-
     wir heute unter einem Museum verstehen. Ein berühmtes Londoner Museum entstand, als 1753             kammer, 2. Auflage 1674
      der Arzt und Wissenschaftler Sir Hans Sloane seine sehr umfangreiche Literatur- und Kunst-
                                                                                                          Daphne als Trinkgefäß, Abraham
      sammlung dem Staat übereignete. Das Parlament beschloss, diese Sammlung unter dem Namen
                                                                                                          Jamnitzer, Nürnberg, Ende 16. Jahr-
     British Museum zu erhalten und zu pflegen. In Braunschweig wurde 1754 das Herzog Anton
                                                                                                          hundert, Silber, größtenteils ver­
     ­U lrich-Museum als erstes öffentliches Museum auf dem europäischen Kontinent eröffnet.              goldet, Koralle, Höhe: 68 cm, Grünes
     In einigen Städten im deutschen Sprachraum kam es im 19. Jahrhundert zu bürgerlichen Grün-           Gewölbe, Inv. Nr. IV 260. Das Grüne
      dungen wie der Kunsthalle Bremen, dem Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main, der           Gewölbe der Staatlichen Kunst-
     Hamburger Kunsthalle, der Kunsthalle Wien und dem Museum Wiesbaden. Auch die Sammlung,               sammlungen Dresden ist die histori-
      die heute auf Schloss Gottorf zu sehen ist, geht auf einen Privatmann zurück. Der Kieler Univer-    sche Museumssammlung der ehe-
                                                                                                          maligen Schatzkammer der Wettiner
      sitätsprofessor Gustav Ferdinand Thaulow stiftete seine kunstgewerbliche Sammlung 1875 der
                                                                                                          Fürsten von der Renaissance bis
      preußischen Provinz Schleswig-Holstein, die schon drei Jahre später in Kiel als Thaulow-Museum
                                                                                                          zum Klassizismus
      eröffnet wurde. Im Zweiten Weltkrieg klugerweise ausgelagert, wurde die Sammlung schließlich
      der Grundstock des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte in Schleswig.

     Die digitalen Strategien, ihre Chancen und Risiken

     Vielleicht sind wir heute nicht mehr auf der Suche nach der Erkenntnis der Welt, aber doch sicher
     auf der Suche nach Erklärungen gesellschaftlicher, politischer, wissenschaftlicher oder künstleri-
     scher Zusammenhänge. Was müssen Museen im 21. Jahrhundert dafür können, und welche Rolle
     spielt eine digitale Strategie dabei? An keine andere Kulturinstitution werden heute so viele un-
     terschiedliche Anforderungen gestellt wie an ein Museum. Vor allem sind in den letzten dreißig

10
Jahren drei der vier Kernaufgaben des Museums, nämlich das Sammeln, das Bewahren und das
                                 Erforschen, in vielen Häusern stark in den Hintergrund getreten. Museen reüssieren heutzutage
                                 vor allem mit publikumswirksamen Ausstellungen und Installationen. Die Arbeit hinter den Ku-
                                 lissen, das Restaurieren, das Bewahren und Erforschen, hat massiv an Stellenwert verloren, dabei
                                 ist dies eine enorm wichtige Aufgabe.
                                 Selbstverständlich bieten wir Ausstellungen auf höchstem ästhetischem und wissenschaftlichem
                                 Niveau, ein attraktives Begleitprogramm mit musikalischen Darbietungen, Lesungen, Filmvor-
                                 führungen etc. Es gibt Stationen, die das Anfassen von Objekten möglich machen, damit auch
                                 ein haptischer Eindruck vermittelt wird, daneben Angebote für alle Altersgruppen, vom Kin-
                                 dergartenkind bis zur Seniorengruppe. Inzwischen ist auch Inklusion ein großes Thema in den
                                 Museen – Barrierefreiheit für Einschränkungen aller Art, sei es Demenz, Geh- und Sehbehin-
                                 derung, Höreinschränkungen, Lernschwierigkeiten (Stichwort leichte Sprache). Museen arbeiten
                                 mit Flüchtlingen und leisten damit einen Beitrag zur Integration verschiedener Nationalitäten,
                                 Kulturen, Sprachen und Bildungsgrade. Neben klassischen Führungen werden auch Programme
                                 für Individualbesucher entwickelt, es gibt multimediale Angebote in Ausstellungen und es wer-
                                 den Wissensspiele veranstaltet.
                                 Kurzum: das Museum ist nicht primär, wie noch bis in die 1970er/80er Jahre, ein Ort der histo-
                                 rischen und ästhetischen Bildung und der Kontemplation oder nur ein sogenannter außerschu-
                                 lischer Lernort. Das Museum dient heute der Unterhaltung, des sozialen Miteinanders, es ist ein

Gotische Halle, Landesmuseum
für Kunst und Kulturgeschichte
Schloss Gottorf, Schleswig

                                                                                                                                    11
12
Magazin neue Malerei, Landes-
museum für Kunst und Kulturge-
schichte Schloss Gottorf, Schleswig

                                       Ort der kulturellen Verständigung, des Austauschs, des Erlebnisses, aber auch der kulturellen
                                       Identifikation und nach wie vor der Wissenschaft.
                                       Museen können nicht die Welt retten. Aber Museen machen Kontexte sichtbar und dadurch ver-
                                       ständlich: Hier werden historisch schwierige Sachverhalte verhandelt, hier wird diskutiert, hier
                                       können kulturelle Zusammenhänge erklärt werden, wie es kein Wikipedia und kein Eintrag in
                                       die Datenbank kann, sondern so, wie es nur anhand von originalen Objekten im Museum möglich
                                       ist. Die Exponate müssen aber sachgerecht im Depot aufbewahrt, konservatorisch behandelt und
                                       restauriert werden. Unser Anspruch ist, auch in 100 Jahren die Objekte noch in einem guten Zu-
                                       stand präsentieren zu können. Die Fragen an die Werke werden sich ständig ändern, die Medien
                                       verändern sich, aber die angesammelten Objekte werden bleiben und fordern unsere Aufmerk-
                                       samkeit. Sie müssen erforscht und kontextualisiert werden. Daher sind gut ausgebildete Wis-
                                       senschaftlerinnen und Wissenschaftler notwendig, die ihre Sammlung kennen und langjährig
                                       betreuen sowie gemeinsam mit den Kollegen der Bildung und Vermittlung Geschichten dazu er-
                                       zählen. Marketing nimmt bei Museen heute einen sehr viel größeren Stellenwert ein als noch vor
                                       einigen Jahren. Die Konkurrenz unter den Museen in Deutschland ist gewachsen, der Wettbewerb
                                       mit anderen Kultureinrichtungen und der Unterhaltungsindustrie ist größer geworden – auch
                                       durch die Digitalisierung der Welt. Anschlussfähig sind Museen hier aber durchaus.
                                       Der interne Nutzen einer digitalisierten Sammlung ist für uns Museumsleute gar nicht hoch genug
Luftbild mit frühbarockem Terrassen-
garten, Landesmuseum für Kunst und     einzuschätzen. Erst durch sie ist ein kompletter oder doch zumindest teilweiser Überblick über
Kulturgeschichte Schloss Gottorf,      den Bestand eines Hauses möglich. Aber die wenigsten deutschen Museen haben alle ihre Objekte
Schleswig                              digital inventarisiert. Die ersten haben vor 25 Jahren damit begonnen und sind entsprechend

                                                                                                                                          13
weit. Wir in Schleswig haben vor gerade drei Jahren damit angefangen, stecken noch in den Kin-
     derschuhen und sind trotzdem schon einen gewaltigen Schritt vorangekommen. Das müssen wir
     auch, denn wir werden in den nächsten Jahren unsere Dauerausstellungen neu konzipieren und
     gestalten, wofür alle entscheidenden Werke digital inventarisiert sein sollten.
     Es gibt einige wenige große Museen in Deutschland, die tatsächlich eine digitale Strategie für
     ihr Haus entwickelt haben und diese systematisch umsetzen bzw. noch umsetzen werden. Klar
     ist allerdings schon jetzt: Die Digitalisierung in Museen ist keine vorübergehende Erscheinung
     und kann nicht losgelöst von der analogen Strategie gesehen werden, beides ist eine Einheit und
     wird uns in Zukunft begleiten. Je eher wir uns mit den Anforderungen auseinandersetzen, desto
     besser. Das Ziel einer digitalen Strategie sollte sein, einen Mehrwert vor allem für die Besuche-
     rinnen und Besucher zu bieten. Grundvoraussetzung dafür ist die digitale Inventarisierung der
     Sammlungen, zumindest der bedeutendsten Objekte, denn nur auf dieser Grundlage kann man
     weitere Angebote für die Besucher entwickeln. Man kann die Sammlung online stellen und frei
     verfügbar machen, wie es z. B. das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg tut, um dadurch
     zur Steigerung der Bekanntheit des Museums beizutragen. Das Städel Museum beispielsweise
     bietet einen digitalen Kunstkurs an und nutzt die Digitalisate zur Erforschung der historischen
     Sammlungspräsentation. Es stellt seinen Nutzern zudem eine App als digitale Begleitung für den
     Museumsbesuch zur Verfügung und bietet für Kinder sogar ein edukatives App-Game.
     Digitale Angebote holen die Museen aus der „ach-sind-die-verstaubt“-Ecke heraus und machen sie
     anschlussfähig an die digitale Gesellschaft. Sie sind ein zusätzliches und eigenständiges Angebot.
     Man sollte sich jedoch auch der Konsequenzen bewusst sein: Digitale Angebote kosten zusätzli-
     ches Geld und sind meist teurer als analoge Angebote. Sie benötigen mehr Zeit in der Entwicklung
     und haben eine kürzere Halbwertszeit. Sie sind eine Daueraufgabe und niemals abgeschlossen.
     Ihre Entwicklung und Pflege erfordert zusätzliches Personal.
     Die Erarbeitung und Umsetzung einer digitalen Strategie stellt einen Paradigmenwechsel in ei-
     nem Museum dar, bei dem alle Mitarbeiter eines Hauses mitgenommen werden müssen. Dabei
     wird das originale Objekt immer das Zentrale, das Wichtigste einer Sammlung sein, es ist unser
     Ausgangpunkt, und gerade in Zeiten der Di-
     gitalisierung wird sich sein Stellenwert noch
     einmal erhöhen. Vor diesem Hintergrund ist
     die digitale Strategie des Bundes, für die weit
     verstreute und normalerweise nicht zugäng-
     liche Kunst am Bau des Bundes ein digitales
     Museum zu schaffen, sehr zu begrüßen. Denn
     sie eröffnet eine Art der Teilhabe, der Zugäng-
     lichkeit und der Vermittlung, die es bislang so
     nicht gab und die auch kaum anders zu leisten
                                                                                                          Museumsbesucherin mit Mediaguide,
     ist. Ich bin gespannt auf die weiteren Entwick-
                                                                                                          Eisenkunstgussmuseum Büdelsdorf,
     lungen und Möglichkeiten und kann Sie zur                                                            Dependance des Landesmuseums
     Eröffnung des „Museums der 1000 Orte“ nur                                                            für Kunst und Kulturgeschichte
     beglückwünschen.                                                                                     Schloss Gottdorf, Schleswig

14
Podiumsgespräch
Kunst am Bau digital. Das „Museum der 1000 Orte“

Peter Grabowski – Moderation
Kunst am Bau zeichnet aus, dass sie für einen konkreten räumlichen oder institutionellen Kon-
text geschaffen wird und oft auch eine physische Verbindung zur Architektur hat. Dabei spielt
sowohl die Haptik der Objekte als auch ihre exklusive Präsenz eine bedeutende Rolle. Was die
Vermittlung eines realen, räumlich verorteten Kunstwerks in einem digitalen Präsentationsraum
wie dem „Museum der 1000 Orte“ für die Kunst, den Betrachter und die Rezeption von Kunst be-
deutet und welche Chancen und Risiken mit der Digitalisierung verbunden sind, darüber wollen
wir heute sprechen. Frau Hagedorn-Saupe, was gefällt Ihnen am „Museum der 1000 Orte“?

Monika Hagedorn-Saupe
Ganz besonders gefällt mir, dass man im Onlineportal baugebundene Kunstwerke, die sich an
einem festen Ort befinden, virtuell zusammenbringen kann. Das ist etwas, was man ohne das
Digitale gar nicht oder nur mit sehr viel Aufwand machen kann, indem man Modelle der Kunst

                                                                                                15
nachbaut und zusammen ausstellt. Nur die digitale Präsentation eröffnet die Chance, die Kunst
     am Bau als Sammlung zu sehen, sie unter verschiedenen Gesichtspunkten anschauen zu können
     und sie für ein allgemeines Publikum zu jeder Zeit von jedem Ort zugänglich zu machen.

     Moderation
     Die jederzeitige Verfügbarkeit ist ja ein Ideal unserer Zeit. Frau Wagler, Sie arbeiten in ähnlichen
     Zusammenhängen bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Sie inventarisieren und digi-
     talisieren auch. Was gefällt Ihnen an diesem Konzept besonders?

     Silke Wagler
     Die Möglichkeit, immobile, auf tausende von Orten verstreute Kunstwerke in einem virtuellen
     Katalog zu vereinen. Außerdem durfte ich die Entwicklung des „Museums der 1000 Orte“ als
                                                                                                            Peter Grabowski lebt in Wuppertal
     Mitglied des Sachverständigenkreises Kunst am Bau in vielen Gesprächen begleiten. Mein großes          und Düsseldorf. Der Journalist arbei-
     Kompliment, dass der Grundstock des Onlineportals in relativ kurzer Zeit geschaffen wurde. Nun         tet im öffentlich-rechtlichen Hörfunk,
     muss die Bestandserfassung weiter ausgebaut werden.                                                    schreibt für Fachmagazine wie die Zeit-
                                                                                                            schrift „politik & kultur“ des Deutschen
     Moderation                                                                                             Kulturrats und betreibt den Blog „der
                                                                                                            kulturpolitische reporter“. Er moderiert
     Das „Museum der 1000 Orte“ zeigt uns Standorte von Kunst am Bau in einem Ausmaß, die wir bei
                                                                                                            regelmäßig Panels und Konferenzen zur
     einer Weltreise gar nicht besuchen könnten. Meinrad Grewenig, ist das ein neues Museumskon-
                                                                                                            Kulturpolitik sowie zur Rolle von Kunst
     zept, mit dem man auch andere, weit verstreute, aber inhaltlich zusammenhängende Kunstfor-             und Kultur(-Wirtschaft) in der Gesell-
     men und Genres für das 21. Jahrhundert aufarbeiten kann?                                               schaft.

     Meinrad Maria Grewenig
     Ich denke, das ist ein richtiger, guter Weg in die Zukunft. Ich würde gern die Perspektive des bis-
     her Gesagten weg von der Objektorientierung hin zur Nutzerorientierung lenken. Was das BBR
     hier bietet, ist eine neue Form von Visibility, also Sichtbarkeit von dem, was die Kunst am Bau
     des Bundes darstellt – nämlich außergewöhnliche Kunstwerke, an zum Teil qualitativen Archi-
     tekturen oder in deren Umfeld mit einem meist kleinen Rezipientenkreis. Das haben auch schon
     die sehr guten Bücher gezeigt, die den Bestand der letzten Jahre erschließen. Aber dazu muss der
     Rezipient bibliophil und bücherorientiert sein. Mit dem Onlineportal als digitales Medium eröff-
     net sich die Chance, einen Zugang zu diesem Kunstbestand zu erreichen, der bisher für neunzig
     Prozent der Bevölkerung unsichtbar war. Gerade für die jüngere Nutzergeneration passiert da et-
     was sehr Entscheidendes: Die potenzielle Zugänglichkeit und die dadurch mögliche Orientierung
     kann eine neue Welt erschließen. Ich halte dies für einen bedeutenden und epochalen Schritt, der
     hier gemacht wurde.
     Der nächste Punkt ist für mich essentiell: Wenn man heute ein Museum besucht, muss man an
     einen Ort gehen. Dort finden sich ausgewählte Exponate in der Sammlung oder in der Ausstel-
     lung. Anders im „Museum der 1000 Orte“. Hier besteht die Möglichkeit, einen Gesamtüberblick zu
     erhalten, aus dem man sich lokal, topografisch oder auch thematisch bestimmte Inhalte heraus-
     suchen kann. Und mit dem Stadtplan gibt es die Anleitung dazu, wie man dort hinkommt. Dies
     dreht im Grunde das Verhältnis vom Museum als objektorientierte Institution, deren Menschen

16
nichts anderes tun, als diese Objekte zu schützen – und ich halte das für sehr wichtig –, in die
                                          Perspektive für diejenigen um, die diese Objekte nutzen, nämlich unsere Besucherinnen und Be-
                                          sucher. Deshalb ist das ein wichtiger und epochaler Schritt.

                                          Moderation
                                          Mischa Kuball, wie stehen Sie als Künstler zu dieser ständigen Verfügbarkeit und Nutzung von
                                          Kunst und urheberrechtlich geschützten Werken? Und was raten Sie als Hochschullehrer Ihren
                                          Kunststudenten dazu?

                                          Mischa Kuball
                                          Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Die Errichtung von Bauten und Kunst ist in den letzten
                                          siebzig Jahren Ergebnis eines demokratischen Prozesses gewesen. Das wird mit dem „Museum der
Mischa Kuball arbeitet seit 1984 künst-
lerisch im öffentlichen und institutio-
                                          1000 Orte“ in einer größeren Dimension erkennbar. Damit unterscheidet sich die Kunst am Bau
nellen Raum. Mit Hilfe des Mediums        der Bundesrepublik deutlich vom staatlich beauftragten Kunstschaffen unter den Nationalsozi-
Licht – in Installationen und Fotogra-    alisten, das sehr stark politisch geprägt war. Es hat lange Zeit gebraucht, um in diesem gestörten
fien – erforscht er architektonische      Verhältnis wieder einen neuen Zugang zur Kunst am Bau zu finden.
Räume und deren soziale und politi-       Vor diesem Hintergrund ist die Initiative für ein „Museum der 1000 Orte“ ein interessanter Pro-
sche Diskurse. Seit 2007 ist Mischa
                                          zess. Er ermöglicht etwas, was die Künstlerinnen und Künstler nicht unbedingt beabsichtigt
Kuball Professor für public art an der
                                          haben – ihre eigentlich ortsgebundenen Werke werden plötzlich ortsunabhängig. Der Betrach-
Kunsthochschule für Medien, Köln, as-
soziierter Professor für Medienkunst an   ter muss sich nicht mehr an den Ort begeben, der mit dem vom Künstler oder vom Produktions-
der Hochschule für Gestaltung/ZKM,        prozess bestimmten Raum identisch ist. Der physische Resonanzraum der Begegnung, der vor
Karlsruhe und seit 2015 Mitglied der      Ort – trotz der mitunter eingeschränkten Zugänglichkeit – gegeben ist, wird zugunsten einer
Akademie der Wissenschaften und           Betrachtung aufgelöst, die nicht mit dem Ort und mit dem Werk direkt verbunden ist. Das ist
Künste NRW, Düsseldorf. Im Januar         neu. Das ist wie mit dem fahrerlosen Fahren. Es braucht eine Ethik, eine Idee, wie wir mit den
2016 wurde er mit dem Deutschen
                                          Informationen umgehen. Die Tatsache, dass es zehntausend Werke an hunderten von Standor-
Lichtkunstpreis ausgezeichnet.
                                          ten gibt, ist an sich noch keine Qualität. Sie zeigt erstmal nur die Arbeit, die bei der digitalen
                                          Erfassung zu leisten ist.
                                          Herr Grewenig hat beispielsweise die Völklinger Hütte konvertiert, modifiziert und als Kultur-
                                          raum neu besetzt. Das Ausstellungsprogramm bringt Kultur- und Industriegeschichte mit neuen
                                          künstlerischen Fragestellungen in einem freien demokratischen Dialog zusammen. Das ist eine
                                          Qualität am Ort. Wenn ich ein Programm hingegen online verfolge, bleibe ich in meinem Zu-
                                          stand, das heißt, in meinem direkten persönlichen Umfeld. Da können Museumskuratoren, Wis-
                                          senschaftler oder Kustoden nicht bestimmen, wie mein Rezeptionsverhalten aussieht. Und das
                                          ist problematisch, weil die intentional ortsbezogene Kunst am Bau plötzlich ortsunbestimmt
                                          wahrgenommen wird. Hier leistet das „Museum der 1000 Orte“ allerdings sehr viel. Es singula-
                                          risiert, kanalisiert und fokussiert und öffnet so einen neuen Rezeptionsraum, der nicht anders
                                          erschlossen werden kann.
                                          Sie haben nach den Konsequenzen für die künstlerische Lehre gefragt. Es gibt eine netzba-
                                          sierte Kunst, eine digitale Kunst, eine postdigitale, eine internetbezogene, also eine Kunst, die
                                          versucht, mit den Möglichkeiten zu arbeiten. Als Lehrer einer Kunsthochschule für Medien, die
                                          diese ­Digitalität schon impliziert, kann ich aber sagen, dass auch andere Qualitäten wichtig sind:

                                                                                                                                                17
Berührung, Körper, Multisensualität. Fast wäre man geneigt zu sagen, es geht um psychologische
     Modelle der Gestalt, die die Ganzheit des Menschen in seiner Komplexität anspricht.
     Das Digitale ist da nur ein Aspekt. Ich teile die Euphorie, weil wir dadurch neue Werte dazu
     bekommen. Die wollen wir haben. Ich bejahe diese Entwicklung, aber wir brauchen auch eine
     Haltung dazu. Diese Haltung muss genauso prozessual begriffen werden. Es ist nicht nur ein
     Sammeln, ein Zusammenstellen, ein Nutzbarmachen, sondern auch eine Befragung: Wo bin ich,
     wenn ich auf diese Kunst schaue?

     Moderation
     Wir reden über ganz unterschiedliche Formen von Visibility, Sichtbarkeit, den Umgang damit
     und die unterschiedlichen Perspektiven darauf. Was bedeutet das für die Besucherinnen und Be-
     sucher? Die werden jetzt all die wunderbaren Kunstwerke aus Kopf und Hand von bedeutenden,
                                                                                                            Silke Wagler ist Kunsthistorikerin und
     nicht nur deutschen Künstlern, erstmals im Netz anschauen können. Müssen wir analog zu den             Kulturmanagerin. Seit 2003 leitet sie
     Besucherschlangen bei der Neueröffnung von Museen in den ersten Tagen damit rechnen, dass              den Kunstfonds des Freistaates Sach-
     die Server des Bundesministeriums wegen der Zugriffszahlen zusammenbrechen?                            sen, der seit 2004 Teil der Staatlichen
                                                                                                            Kunstsammlungen Dresden ist. Silke
     Monika Hagedorn-Saupe                                                                                  Wagler ist für die Sammlungsbestände
                                                                                                            des Kunstfonds verantwortlich und
     Sie liegen nicht ganz falsch. Als die virtuelle Bibliothek Europeana ans Netz ging, hatte es genau
                                                                                                            konzipiert und organisiert deren Aus-
     diesen Effekt, weil zu viele Menschen zum gleichen Zeitpunkt auf das neue Angebot zugegriffen
                                                                                                            stellung und Vermittlung. Sie ist Mit-
     haben. Ich will aber noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Im Museum ist immer             glied im Sachverständigenkreis Kunst
     die Kontextualisierung des einzelnen Objekts wichtig. Wir sagen, ein Objekt wird eigentlich erst       am Bau des Bundesministeriums für
     dann zu einem musealen Objekt, wenn es seinen Kontext bekommt. Das ist beim „Museum der                Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
     1000 Orte“ in jedem Fall gegeben. Kunst am Bau ist naturgemäß mit dem Bauwerk verbunden.               sicherheit.
     Und diese Information wird bei der digitalen Präsentation auch vermittelt. Wenn ein Künstler
     ein Objekt für einen bestimmten Bau plant, denkt er sich natürlich etwas dabei. Diese Kombina-
     tion und Kontextualisierung muss präsentiert werden – und wird es auch. Dass man bei einem
     Onlinemuseum nichts über die unmittelbare Reaktion seiner Besucher auf die Kunst erfährt, ist
     zwar richtig. Aber die kennen Sie auch nicht, wenn diese an einem realen Objekt vorbeilaufen. Ich
     würde daher nicht so strikt zwischen dem Physischen und dem Digitalen trennen.

     Moderation
     Frau Wagler, der Kunstfonds des Freistaates Sachsen ist an die Staatlichen Kunstsammlungen Dres-
     den angegliedert und umfasst mehr als 30.000 Objekte aller Sub-Genres der bildenden Kunst seit
     1945. Der Kern stammt aus DDR-Zeiten. Das Land kauft aber auch weiter im Rahmen seiner Mög-
     lichkeiten dazu und ergänzt diese Sammlung. Sie und Ihr Team haben den Bestand nicht nur inven-
     tarisiert, sondern auch digitalisiert. Sachsen ist da im bundesweiten Vergleich Vorreiter auf diesem
     Gebiet. Wer kann auf die digitalen Bestände zugreifen? Wer macht es tatsächlich, und warum?

     Silke Wagler
     Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben in Zusammenarbeit mit der Firma Robotron
     eine eigene Datenbank entwickelt, die das bietet, was für die einzelnen Sammlungen tatsächlich

18
gebraucht wird. Da zum Beispiel die Porzellansammlung, das Münzkabinett, der Mathema-
                                         tisch-Physikalische Salon, das Kupferstich-Kabinett oder die Gemäldegalerie Alte Meister teils
                                         objektsortierte, teils künstlersortierte und teils regional organisierte Sammlungen sind, ist die
                                         interne Struktur der zusammengenommen 1,2 Millionen Objekte umfassenden Datenbank letzt-
                                         lich doch wieder ein komplexes Gebilde geworden. Sie kann ein klassisches Inventar nicht hun-
                                         dertprozentig ersetzen, aber muss für Recherchen und die Arbeit damit natürlich das bieten, was
                                         man sonst mühsam nachschlagen müsste. Ein Teil der darin befindlichen Objekte ist bereits für
                                         die Onlinerecherche entsprechend aufbereitet und freigegeben, der Rest bisher nur für den inter-
                                         nen Gebrauch nutzbar.
                                         Von den reichlich 30.000 Objekten des Kunstfonds sind inzwischen etwa zehn Prozent online re-
                                         cherchierbar. Das entspricht bei dieser sogenannten ‚Sammlung ohne Museum‘ ungefähr dem,
                                         was man im Idealfall ausstellen könnte. Umso mehr betrachten wir die Datenbank auch als On-
                                         linekatalog und haben den Anspruch, nicht nur Kerninformationen zu den Objekten, sondern
Wolf-Eike Kuntsche, Völkerfreund-        auch deren historischen, persönlichen oder räumlichen Kontext mit zu vermitteln, der real häufig
schaft, 1976-1986, in situ in Dresden,   nicht mehr existiert.
Staatliche Kunstsammlungen Dresden,      Zur Frage nach den Nutzern und dem Nutzen von digital erfassten Sammlungen: Die Internetprä-
Kunstfonds (Online Collection)
                                         sentation ermöglicht es, über Sprache, Begrifflichkeiten, Künstlernamen oder Titel zu recherchie-
                                         ren, was vielfach genutzt wird, wie die unterschiedlichen Rückmeldungen und Anfragen zeigen.
Dieter Gubsch, Fassadengestaltung,
um 1989, Dresden-Gorbitz, zerstört,      Mit Hilfe der Nutzer konnten wir zum Beispiel Zuschreibungen bei Porträts aus der Zeit der DDR
Staatliche Kunstsammlungen Dresden,      klären, wo uns keine Informationen zu den Dargestellten vorlagen oder in der vergleichsweise
Kunstfonds (Online Collection)           relativ kurzen Zeit seit der Entstehung tatsächlich schon verloren gegangen sind. Das ist natürlich

                                                                                                                                               19
Die „4. UrbanArt Biennale® 2017“ im
                                                                                                          Weltkulturerbe Völklinger Hütte,
                                                                                                          Kunstwerke: Shepard Fairey: Defend
                                                                                                          Dignity, 2017 / Shepard Fairey: Are
                                                                                                          Greater Than Fear, 2017 / Jef Aérosol:
                                                                                                          Black is beautiful!, 2014 / Les Francs
                                                                                                          Colleurs / Vlady: Prove You’Re Not
                                                                                                          A Robot, 2016

     ein Zusatzeffekt des Internet-Katalogs. Zum Teil aber gewinnen wir über das Onlineangebot auch
     Besucher, die wir auf anderen Wegen nicht so einfach erreicht hätten. Ich selbst nutze den Online-
     zugang zur Datenbank der Staatlichen Kunstsammlungen zum Beispiel häufig, wenn ich unter-
     wegs bin und mit Dritten über bestimmte Künstler oder Themen spreche. Dann kann ich gleich
     Beispiele zeigen, die bereits freigegeben sind.

     Moderation
     Meinrad Grewenig, Sie leiten seit 18 Jahren das Weltkulturerbe Völklinger Hütte, die einst größte
     Produktionsstätte für Eisenträger in Deutschland. Sie ist mit 600.000 Quadratmetern das wohl
     größte Museum der Welt und firmiert heute als Europäisches Zentrum für Kunst und Industrie­
     kultur. Zurzeit läuft bei Ihnen die UrbanArt Biennale. Welche Möglichkeiten wachsen einem
     ­solchen Kulturort durch die Digitalisierung zu bzw. welche nutzen Sie aktuell besonders?

     Meinrad Maria Grewenig
     Die 4. UrbanArt Biennale 2017 zeigt 100 Künstler mit 150 Exponaten aus 17 Ländern von vier
     Kontinenten. Wenn man die drei Biennalen davor hinzunimmt, haben wir die 200 wichtigsten
     Künstler der Welt in diesem Segment ausgestellt. Die haben alle eine Facebook-Seite, einen In-
     stagram-Account oder eine Snapchat-Präsentation. Wir stellen die bei uns gezeigten Exponate
     auch ins Netz und flankieren unsere Ausstellungen mit Festivals, Electro Magnetic oder Urban-
     Art HipHop. Wenn dann der DJ und Produzent Robin Schulz beispielsweise drei oder vier dieser
     Künstler auf seine Homepage nimmt, sind wir gleich millionenfach mit der großen, weltweiten
     Community verlinkt. Das ist für uns eine Art ungeregelte Internetpräsenz.

20
Diese Chance hat auch das „Museum der 1000 Orte“. Durch das digitale Teilen und Verlinken wird
eine Präsenz ermöglicht, die kein Buch und keine Mund-zu-Mund-Propaganda – das sonst wich-
tigste Mobilisierungsinstrument im Kulturbereich – leisten kann. Darüber hinaus kann digita-
les Material einfach mal auf dem Smartphone oder Tablet gezeigt werden. Das ist der Schritt ins
21. Jahrhundert und ich finde es toll, dass der mit der Kunst am Bau des Bundes gelungen ist.

Moderation
Jetzt haben Sie den ungeregelten Teil der Nutzung der digitalen Kanäle erläutert. Was ist der
geregelte?

Meinrad Maria Grewenig
Der geregelte Teil ist das, was digital von uns kontrolliert wird. Wir haben bei uns auf der Home-
page beispielsweise ein digitales Archiv unserer Aktivitäten und natürlich stellen wir dort auch
die aktuellen Programme vor. Wir sind selbst nicht mit derselben Intensität auf Facebook, Snap-
chat und Instagram aktiv, wie viele Künstlerinnen und Künstler, aber wir stellen die entsprechen-
den Informationen auf verschiedenen Kanälen bereit, um gerade diese junge, digital sozialisierte
Generation zu erreichen.

                                                                                                     21
Moderation
     Mischa Kuball, Sie arbeiten seit über dreißig Jahren als Konzeptkünstler oft im öffentlichen Raum
     und gerne mit Licht. Im vergangenen Jahr haben Sie den Deutschen Lichtkunstpreis bekommen.
     Ich als Wuppertaler werde seit fünf Jahren von Ihrer wunderschönen Installation auf der Bergi-
     schen Universität bestrahlt, und zwar jede Nacht. Dort haben Sie eine Kunst am Bau für den öf-
     fentlichen Raum geschaffen, die das Zeichensystem der Stadt verändert hat. Wir haben schon
     über das Auratische von Orten gesprochen und auch über die Bestimmung eines Kunstwerks für
     einen spezifischen Bau, in einer bestimmten Stadt, an einer ausgewählten Stelle, für eine beson-
     dere Perspektive. Wie groß ist die Sorge des Künstlers, dass durch die Dekontextualisierung der
     Sinn des Kunstwerks verloren gehen kann?

     Mischa Kuball
     Vielleicht ist Verlust nicht immer gleich der Gegensatz zum Nutzen, der deutlich ist. Die Idee,
     online zu gehen, bedeutet ja nicht, dass dadurch automatisch eine nicht kontrollierte, nicht
     steuerbare Öffentlichkeit Zugriff auf die Kunst hat. Es ist ein Kommunikationsweg. Mindes-
     tens ebenso wichtig ist, darüber nachzudenken, wie man mit dem „Museum der 1000 Orte“
     die Leute erreicht, die sich heute nicht an diesem Ort oder zu dieser Stunde hier versammeln
     konnten.
     Was mich mehr besorgt, ist, dass die Digitalisierung allgemein als Leistung oder als Perspek-
     tive für das 21. Jahrhundert gilt. Die größere Leistung besteht meines Erachtens aber darin, dass
     wir uns mit hohem Abstraktionsvermögen Dinge vorstellen können. Ich möchte beispielsweise
     weder im Louvre noch in anderen Museen von einem Audio-Guide gegängelt werden. Ich sage
     deswegen gängeln, weil es hier um Deutungshoheit geht. Eine Web-Plattform macht das in ge-
     wisser Weise auch. Denn zu den Bildern werden Informationen gegeben, und schon die Aus-
     wahl der Information ist Politik, ist Informationspolitik, ist Teil von Bildungspolitik, ist Teil von
     Rezeptionspolitik.
     Ich möchte zum Beispiel etwas falsch interpretieren dürfen, weil ich glaube, dass Fehler große
     kulturelle Leistungen erst möglich machen, indem wir erkennen, dass wir etwas anders einge-
     schätzt haben. Und darüber treten wir ins Gespräch. Das ist das Element des Diskursiven und
     zwar auf der Ebene des wirklich Dialogischen und nicht auf der Metaebene. Ich bin ein großer
     Freund der Metaebene, aber an diesem Punkt fordere ich sozusagen eine andere Beziehungskon-
     stellation ein.
     Gern möchte ich einen weiteren Gegenstand in die Untersuchung einführen, die Körperpolitik.
     Wenn man Menschen damit digital erreichen kann, indem man ihnen suggeriert, dass sie Zugang
     zu Meisterwerken haben, dann muss man sich darüber auch immer im Klaren sein, dass das in
     letzter Konsequenz dazu führen könnte, dass sie gar nicht mehr ins Museum gehen, um diese
     Arbeiten real anzusehen.
     Wer vor einem Bild von Lucas Cranach steht, hat einen direkten, unmittelbaren Kontakt mit
     dem Kunstwerk. Der Begriff Aura ist vielleicht ein bisschen problematisch, weil er fast schon so
     eine Art Glaubensbegriff ist. Aber ich würde sagen, es gibt ein Verhältnis zwischen den Dingen
     und den Menschen. Das ist eine Beziehung, die jeder für sich selber bestimmt und die von den

22
Mischa Kuball, public preposition /   Objekten mitbestimmt wird. Kunst lebt eben auch von einem Strahlfaktor. Wenn ich den auf
MetaLicht, 2012, Bergische Uni-       glänzende, reflektierende Oberflächen, auf Tablets oder auf Smartphones übertrage, verliert der
versität, Wuppertal                   Künstler aus der Perspektive des Produzenten jede Kontrolle. Wer bestimmt über den kalibrier-
                                      ten Bildschirm? Wer hat den so eingestellt, dass die Farbigkeit, die Kontraste real rüberkommen?
                                      Wer hat übrigens den Renaissance-Künstler gefragt, ob er wirklich will, dass der Betrachter wie
                                      jetzt bei Google Arts and Culture die Möglichkeit hat, so tief in die Welten eines Hieronymus
                                      Bosch einzudringen, die Figuren fast schon rechnergroß hervorzuholen und diese Wimmelbild-
                                      charakteristik zu verlassen? Das sind manipulative Eingriffe, die den Betrachter zum Macher,
                                      zum Gestalter werden lassen.
                                      Warum bringe ich den Körperpolitik-Begriff hinein? Weil er für die Rezeption von Kunst am Bau
                                      wie im öffentlichen Raum und auch im Museum gilt: Das heißt, ich komme in den Raum und
                                      habe eine reale Begegnung. Die ist definiert durch diesen Moment, in dem wir beide einen Handel
                                      miteinander eingehen. Das Bild ist an der Stelle, wo ich es erwarte, oder die Skulptur oder Instal-
                                      lation – bitte denken Sie alle anderen künstlerischen Medien mit und meine Präsenz. Das ist der
                                      definierte Augenblick, der unwiederholbar ist. Der ist eine Besonderheit und eine Qualität. Wir
                                      drohen, diese Qualität zugunsten einer Informationspolitik und eines Zugangs zu vielen Dingen
                                      aufzugeben. Additiv habe ich kein Problem mit digitalen Angeboten, als Ersatz hätte ich große
                                      Bedenken anzumelden.

                                                                                                                                            23
Meinrad Maria Grewenig
     Ich würde dem zustimmen, aber ich würde es auch mit einer gewissen Distanz sehen. Unsere Er-
     fahrung ist, dass die digitalen Angebote nicht den Besuch im Museum ersetzen. Denn die Grund-
     frage „Wie riecht das dort?“ ist auch mit dem besten Tablet nicht zu vermitteln. Und die Erfahrung
     lehrt auch, dass Menschen in der Regel in Gruppen in Museen kommen, weil sie über das, was
     sie dort sehen, reden wollen. Ich begreife die digitalen Angebote so, dass sie eine größere Chance
     eröffnen, diese Orte zu besuchen. Das Verhalten der Museumsbesucher vor Ort hat sich – zumin-
     dest im Laufe meines Museumslebens – drastisch verändert. Vor vierzig Jahren wurde andächtig
     betrachtet, fast mit sakralem Ernst, heute wird lebendig diskutiert. Museen haben inzwischen
     eine starke urbane Qualität und ziehen auch junge Menschen an. In diesem Konzept ist die Bereit-
     stellung digitaler Informationen unabdingbar und eine Riesenchance, um Neues zu entdecken.
     Ich habe keine Angst davor, dass durch die Digitalisierung der Kontext verloren geht. Denn wenn
     die Kunst gut ist, steckt sie das locker weg. Es wird nur dort problematisch, wo es vor allem auf
     den Kontext ankommt.

     Moderation
     Im Rahmen der Digitalisierung stellt sich die Frage, wann die Aufmerksamkeit so massiv vom
     Kunstwerk abgezogen und zu einem Erlebnisraum hingelenkt wird, der dann quasi mit anderen
     Erlebnisräumen – auch der Unterhaltungsbranche – konkurrieren kann, aber dem eigentlichen
     Zweck widerspricht?

     Mischa Kuball
     Das Problem mit dem Digitalen ist die Konkurrenz in der Umgebung, wo vielleicht noch ein Film
     läuft, die Zeitung aufgeschlagen ist, Freunde quatschen. Wenn ich mir dazwischen auch noch
     Kunst anschaue und behaupte, ich hätte das und das gesehen, wird es schwierig. Denn ich war
     weder an dem Ort noch habe ich mir diese Qualität wirklich erschlossen. Deswegen habe ich ver-
     sucht, mit Körperpolitik eine Entschleunigung in die Euphorie des Digitalen reinzubringen. Ich
     glaube, das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert, das sich am stärksten mit den Auswirkungen
     neuer Möglichkeiten und Technologien beschäftigen muss, und zwar auch mit den Schwierigkei-
     ten und Herausforderungen, die damit verbunden sind.

     Meinrad Maria Grewenig
     Die Entwicklung eines Fairplay und die Emotionalisierung sind im Grunde die Instrumente für
     eine zukünftige Mobilisierung im Museums- und Ausstellungsbereich sowie für Kunst am Bau
     und im öffentlichen Raum. Denn das sind die Orte, an denen etwas passiert, die authentisch sind
     und Menschen anziehen. Insofern ist die digitale Konkurrenz kein Problem, eher ein Ansporn.

     Moderation
     Frau Hagedorn-Saupe, was sagt eigentlich Ihre Besucherforschung zu diesem Thema? Beschäf-
      tigen Sie sich mit der Frage der veränderten Wahrnehmung und dem Umgang mit Kunst in
     ­Museen? Und wenn ja, können Sie uns etwas empirisch Fundiertes darüber sagen?

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