Ifo Migrationsmonitor: Entwaldung und Migration - Britta Rude, Bennet Niederhöfer und Fabio Ferrara

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DATEN UND PROGNOSEN

                    Britta Rude, Bennet Niederhöfer und Fabio Ferrara

                    ifo Migrationsmonitor: Entwaldung
                    und Migration

IN KÜRZE                                                                                          WARUM UND WIE WIRKT SICH ENTWALDUNG AUF
                                                                                                  MIGRATION AUS?

Der Beitrag befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen                                            Doch was sind Wälder wert? In den letzten Jahrzehn-
Migration und Abholzung. Dazu beschreibt er erst allgemein                                        ten wurden Wälder mehr und mehr als Hindernis für
mögliche Wechselwirkungen anhand der vorhandenen Lite­                                            Wachstum in ländlichen Regionen gesehen und ihr
                                                                                                  produktiver Wert in Frage gestellt (vgl. Deb 2014).
ratur. Dann veranschaulicht er diese am Beispiel dreier Län­
                                                                                                  Auch wenn man mit Wäldern forstwirtschaftliche
dern in Südamerika, die in den letzten Jahren eine besonders                                      Erzeugnisse, wie Heilpflanzen, Kunsthandwerk oder
hohe Abholzungsrate zu verzeichnen hatten: Brasilien, Mexi­                                       Honig, produzieren kann, sind diese meist nicht so
­ko und Paraguay. Es zeigt sich, dass die Wechselwirkungen                                        profitabel wie alternative Produktionsaktivitäten
zwischen Migration und Entwaldung vielfältig sind und viele                                       (vgl. te Velde et al. 2006). Zwar generieren Wälder
Gründe haben können. Die Migration kann sowohl Konse­                                             Brennholz und Edelholz, allerdings sind deren Inves-
                                                                                                  titionszeiträume lang. Je nach Land und Gegeben-
quenz als auch Ursache von Abholzung sein. Es bedarf wei­
                                                                                                  heiten hat produktive Forstwirtschaft einen Lebens-
terer Forschung, um einerseits potenzielle negative Effekte                                       zyklus von fünf bis 28 Jahren (vgl. Frey et al. 2018).
von Migration auf den Wald abzumildern und andererseits                                           Deshalb mussten Wälder an vielen Stellen anderen
die durch Abholzung generierten Migrationsbewegungen                                              produktiven Aktivitäten weichen, wie z.B. der Land-
vermindern zu können. Es wird empfohlen, den Wald pro­                                            und Viehwirtschaft. Paraguay z.B. ist der viertgrößte
duktiver zu nutzen und dessen Externalitäten, wie CO 2 -Ge­                                       Sojaexporteur der Welt und produziert 8 bis 9 Mio.
                                                                                                  Tonnen Soja pro Jahr (vgl. Nepcon 2019). Brasilien
nerierung oder ökologische Werte, zu internalisieren.
                                                                                                  ist der größte Exporteur von Rindfleisch. Ein Drittel
                                                                                                  aller weltweiten Rindfleischexporte kommt direkt aus
                                                                                                  dem Amazonasgebiet (vgl. McAlpine et al. 2009). Und
                                                                                                  Mexiko ist global der größte Avocadoproduzent. Etwa
                    In den letzten Jahren hat die Abholzung des Regen-                            sechs aus zehn weltweit konsumierten Avocados ha-
                    waldes überall auf der Welt mehr und mehr die Auf-                            ben ihren Ursprung im zentralamerikanischen Land
                    merksamkeit der Öffentlichkeit erregt. Wälder sind                            (vgl. Ayala 2020).
                    öffentliche Güter, die positive Externalitäten kreieren,                           Abbildung 1 gibt einen ersten Eindruck vom Wald-
                    unser Ökosystem im Gleichgewicht halten, Biodiversi-                          flächenverlust der letzten Jahre im Norden Latein-
                    tät auf der ganzen Welt fördern und für den Erhalt von                        amerikas. Die positiven Externalitäten, die die Wälder
                    Tierarten und deren Lebensräumen überlebenswichtig                            für unsere Gesellschaft generieren, werden bei ihrer
                    sind. Sie speichern CO2, mildern den Klimawandel,                             Abholzung nicht mit einkalkuliert. Für Paraguay z.B.,
                    schützen Wassereinzugsgebiete und verhindern Bo-                              wird ein CO2-Preis von 180,5 US-Dollar/tCO2 erwähnt
                    denerosion. In vielen Teilen der Welt dienen Wälder                           (vgl. Ramstein et al. 2019), während eine Richtlinie
                    immer noch dem Lebensraum alter Zivilisationen und                            der Weltbank von 40 US-Dollar bis 80 US-Dollar im
                    indigener Völker.                                                             Jahr 2020 ausgeht (vgl. World Bank 2017b). Doch Wäl-

                    Abb. 1
                    Waldflächenverlust von 2001–2015 in Lateinamerika

                    Die rote Fläche kennzeichnet Waldflächenverlust.
                    Quelle: CC by 4.0, Global Forest Watch, https://www.globalforestwatch.org/.

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der generieren noch mehr sozialen Nutzen, von der        (vgl. Kaimowitz et al. 1999). Dies könnte in der Folge
Prävention von Krankheiten, über Wasserbereinigung       zu Land-Land- oder sogar Stadt-Land-Migration von
zur Abschwächung von Fluten. Für manche Bevölke-         Menschen auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten
rungsgruppen haben sie kulturelle Werte, ästhetischer    und ungenutzten Ländereien führen.
oder spiritueller Natur und bieten Zufluchtsorte. Im          Kaimowitz et al. (1999) betonen jedoch die Kurz-
brasilianischen Amazonasgebiet leben nach Schät-         lebigkeit der ökonomischen Fortschritte durch stei-
zungen von FUNAI noch mindestens 68 unerreichte          gende Grenzkosten. Vermehrte landwirtschaftliche
Stämme (vgl. van Boehout Solinge 2010). Für diese        Aktivität, die mit der Abholzung des Regenwalds
Bevölkerungsgruppe sind Land und Ressourcen un-          in Malaysia einherging, verringerte die Armutsrate
trennbar mit ihrer Lebensgrundlage und Weltanschau-      enorm. Unterschritt die Rate jedoch einen gewissen
ung verbunden.                                           Punkt, wurde die Abholzungsrate verringert. Sobald
                                                         die ländliche Bevölkerung einen gewissen Wohlstand
Entwaldung und Arbeitsplätze                             durch die Palmölproduktion erreichte, gingen sie pro-
                                                         duktiveren Tätigkeiten in urbanen Gebieten nach (vgl.
Wenn Wälder verschwinden, verschwinden auch die          Miyamoto et al. 2014). Auch dies kann langfristig wie-
Werte, die damit verbunden sind. Deshalb ist es na-      der zu Migrationsbewegungen führen.
heliegend, dass Abholzung und die Zerstörung des
Waldes in vielen Teilen der Welt zu Migration führt.     Entwaldung und Klimawandel
Hinzu kommt, dass die alternativen Produktionsmo-
delle, die anstatt des Waldes implementiert werden,      Ein weiterer Bezugspunkt wird über den Klimawan-
oft von Großunternehmen durchgeführt werden und          del hergestellt. Das Europäische Parlament bezeich-
wenige Arbeitsplätze in ländlichen Regionen generie-     net von Naturkatastrophen oder vom Klimawandel
ren, da sie teils hochtechnologisch sind (vgl. Oxfam     bedingte Migrant*innen als Klimaflüchtlinge, oder
2020; Azevedo-Ramos 2007). Bustos et al. (2016) fin-     Klimamigrant*innen. Migration als Folge von Klima-
den, dass eine einprozentige Zunahme der Fläche,         wandel ist bekannt und wird seit einigen Jahren in
die mit gentechnisch veränderten Sojabohnen bebaut       der wissenschaftlichen Literatur vor allem in Bezug
wird, den Anteil von Beschäftigten in der Landwirt-      zu Subsahara-Afrika, aber auch zu Ländern Latein-
schaft in Brasilien um 0,09% senkt. Weiter können        amerikas beleuchtet (vgl. Barrios et al. 2006; Gray und
staatliche Investitionen zwar einerseits Großunter-      Bilsborrow 2013). Abholzung ist keine Ausnahme und
nehmen in ihrer Produktion begünstigen, anderer-         in ihrer Form eine Determinante von Migration. Die Ro-
seits jedoch Teile der ländlichen Bevölkerung ökono-     dung des Regenwaldes wird kurzfristig zur Gefahr für
misch schädigen (vgl. Garrett und Rausch 2016). Die      indigene Völker und kann deren unfreiwillige Migration
Lebensqualität der ländlichen Bevölkerung fällt, da      zur Folge haben. Langfristig können die Folgen wei-
sie sich harscheren Wetterbedingungen ausgesetzt         ter reichen als der direkte Effekt auf den Regenwald.
sehen, längere Fußwege zum Sammeln von Brennholz         Flächen, die beispielsweise zur Weidenutzung für die
zurücklegen müssen und Tiere als auch andere Nah-        Viehzucht abgeholzt werden, verursachen einen An-
rungsmittel aufgrund der Degradierung des (Regen-)       stieg der mittleren Oberflächentemperatur sowie eine
Waldes immer unzugänglicher werden. Hunger und           geringere Niederschlagsmenge (vgl. Nobre et al. 1991).
Abwanderung sind die Folge, besonders in den ärme-       Solche Anomalien in Niederschlag und Temperatur
ren Bevölkerungsgruppen. Laut WWF (2013) ist das         haben Auswirkungen auf die finanzielle Lebenssitu-
starke Wachstum, das man in Paraguay in den letzten      ation der Bevölkerung dieser Gebiete, was freiwillige
Jahren beobachten konnte, auf einem wirtschaftlichen     Migration verursachen kann (vgl. Cattaneo et al. 2019).
Modell aufgebaut, das zur Konzentration von Land,
Ressourcen, Reichtum und Macht in wenigen Händen         Migration als Ursache für Entwaldung
führt, während Kleinbäuer*innen von der nationalen
Politik nicht priorisiert und unterstützt werden.        Juniwaty et al. (2019) wiederum erklären, dass sich
     Andererseits kann Entwaldung auch Arbeitsplätze     umgekehrt Migration auch auf Wälder und deren
kreieren. Durch die Abholzung des Regenwaldes in         Nutzung auswirkt. Dies kommt zum einen daher,
Indonesien und die Palmölproduktion konnten die          dass sich ländliche Bevölkerungen durch Abwande-
ökonomischen Verhältnisse der ländlichen Bevölke-        rung verändern. Wenn z.B. hauptsächlich Männer ab-
rung verbessert werden (vgl. Afriyanti et al. 2016).     wandern und Frauen in Dörfern zurückbleiben, dann
Auf dem abgeholzten Gebiet wird Landwirtschaft mit       ändert sich die Nutzung der Wälder, da Frauen nach-
boomenden Exportgütern betrieben. In Ghana und           weislich anderen produktiven Aktivitäten in Wäldern
Burkina Faso z.B. gelten waldfreie Gebiete als ökono-    nachgehen als Männer. Zum anderen wirkt sich auch
misch wertvoller als Waldgebiete (vgl. Pouliot et al.    Zuwanderung aus den Städten oder anderen länd-
2012). In Bolivien überwogen die Profite von Holz- und   lichen Gegenden auf die Nutzung der Wälder aus.
Sojaproduktion kurzfristig die Kosten der gerodeten      Juniwaty et al. (2019) gehen auch auf die Bedeutung
Waldflächen und konnten so die Lebensumstände            von Bildungsmigrant*innen ein. Wenn Familienmit­
der Bevölkerung in ländlichen Gebieten verbessern        glieder für Bildung abwandern, generiert dies Kosten

                                                                  ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020   67
DATEN UND PROGNOSEN

     Tab. 1
     Interaktionskanäle von Migration und Entwaldung
     Migrationstypus                                                    Entwaldung
     Migration als Triebkraft für Entwaldung

         Stadt-Land-Migration/Internationale Abwanderung                Auf der Suche nach besseren Arbeitschancen und ungenutzten Ressourcen siedeln
                                                                        sich Migranten aus urbanen Gegenden in Regionen mit viel Land an, um dieses
                                                                        produktiv umzuwandeln.

         Stadt-Land-Migration/Internationale Abwanderung                Abwanderung führt dazu, dass sich die sozioökonomischen Charakteristiken der
                                                                        zurückbleibenden Bevölkerung ändern, die den Wald unterschiedlich nutzen.

         Bildungsmigration: Land-Stadt-Migration                        Familienmitglieder, die aus ländlichen Gegenden abwandern, generieren Kosten, die
                                                                        aus Erträgen von produktiven Aktivitäten auf entwaldetem Boden gedeckt werden
                                                                        können.

         Remittances                                                    Remittances generieren zusätzliches Einkommen, das den Druck auf Profit durch
                                                                        Entwaldung nehmen oder aber in Investitionen für die Intensivierung der Landwirt-
                                                                        schaft eingesetzt werden kann.

     Migration als Konsequenz von Entwaldung

         Land-Stadt-Migration/Internationale Abwanderung                Die Umwandlung des Waldes in alternative Produktionsmöglichkeiten, wie Land-
                                                                        oder Viehwirtschaft, kann zu Arbeitsplatzverlusten und Armut führen, besonders in
                                                                        Verbindung mit hoher Mechanisierung und Verlust von Eigentum und Grundstücken.

         Katastrophenbedingte Migration                                 Entwaldung führt zur Verschärfung des Klimawandels durch Flut, Temperaturerhö-
                                                                        hung und die Zerstörung von Lebensraum.

         Kulturell bedingte Migration                                   Besonders in Bezug auf indigene Völker werden kultureller und spiritueller
                                                                        Lebensraum zerstört.

     Quelle: Zusammenstellung der Autoren..

     für ländliche Haushalte, was zu einer Intensivierung                               ren Konsequenz. Tabelle 1 gibt einen Überblick über
     der Landwirtschaft und dadurch zu einer Entwal-                                    die verschiedenen Interaktionen von Migration und
     dung führen kann. Im Hinblick auf den Zuzug in Re-                                 Entwaldung.
     genwaldgebiete zeigen Thiede und Gray (2020), dass                                      Nur wenige wissenschaftliche Papiere haben
     Migrant*innen in Lateinamerika vermehrt in Gebiete                                 bislang die Auswirkung von Abholzung auf Migration
     ziehen, in denen wenig indigene Einwohner*innen le-                                genauer beleuchtet. Migrationsströme, die durch Ab-
     ben. Amacher et al. (1998) finden, dass Migrant*innen                              holzung entstehen, können Land-Land sowie Land-
     in den Philippinen Regionen bevorzugen, in denen viel                              Stadt interne Ab- und Zuwanderungen sein, jedoch
     staatlicher Wald verfügbar ist und gleichzeitig gute                               auch internationale Fluchtbewegungen generieren.
     Transportwege existieren. Das sind zugleich Eigen-                                 Daten zu unmittelbar durch Entwaldung entstandener
     schaften, die die Abholzung besonders fördern. Carr                                Migration gibt es kaum. Jedoch können naturkatast-
     (2009) beschreibt, dass gerade Waldgebiete mit gerin-                              rophenbedingte Bevölkerungsbewegungen einen Hin-
     ger Bevölkerungsdichte massiver Abholzung ausge-                                   weis darauf geben. In Paraguay gab es 2019 54 000, in
     setzt sind, da dort die Kontrolle über illegale Rodung                             Mexiko 16 000 und in Brasilien 295 000 neue katastro-
     schwerer durchsetzbar ist. Amacher et al. (2009) wei-                              phenbedingte Flüchtlinge (vgl. Internal Displacement
     sen außerdem daraufhin, dass Migration das An­gebot                                Monitoring 2020). Das IDMC gibt für 2019 die Zahl der
     an Arbeitskräften erhöht, somit die Löhne senkt und                                weltweiten Flüchtlinge aufgrund von Katastrophen
     damit die Waldrodung für Unternehmen pro­fitabler                                  mit 24,89 Millionen an.
     macht. Auch Remittances1 spielen eine Rolle. Während                                    Im Folgenden geben wir Einblicke in drei Länder,
     einige wissenschaftliche Analysen zeigen, dass das                                 die in den vergangenen Jahren hohe Abholzungsraten
     übersendete Geld in Land- und Viehwirtschaft inves-                                aufgewiesen haben. Wie spielen die Entwaldung in
     tiert wird und den Abholzungsprozess beschleunigt                                  Mexiko, Brasilien und Paraguay und deren Migrati-
     (vgl. Angelsen et al. 2020; Bakehe 2019), zeigen andere,                           onsströme zusammen? Was sind ihre Dynamiken? Was
     dass das zusätzliche Einkommen die landwirtschaftli-                               haben sie gemeinsam, und wie können wir den negati-
     che Aktivität reduziert, zu Gunsten der Erhaltung von                              ven Effekten, die daraus resultieren, entgegenwirken?
     Wäldern (vgl. Afawubo und Noglo 2019; Hecht 2008).
           Zusammenfassend gibt es zwei übergeordnete                                   ABHOLZUNG IN BRASILIEN, MEXIKO UND
     Dynamiken, die die Interaktion von Migration und                                   PARAGUAY
     Entwaldung beeinflussen, nämlich Migration so-
     wohl als Triebkraft für Entwaldung als auch als de-                                Paraguays Abholzungsrate war bis zum Jahr 2004
     1
       Remittances bezeichnen Überweisungen aus dem Ausland an Fa-
                                                                                        die höchste in ganz Südamerika. Eine Analyse des
     milienmitglieder, die im Heimatland zurückgeblieben sind.                          Earth Observation Center (2018) gibt an, dass zwi-

68   ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020
DATEN UND PROGNOSEN

schen 1999 und 2016 750 000 Hektar des atlantischen      Abb. 2
Waldes abgeholzt wurden. Heute verbleiben nur noch       Jährlicher Waldverlust in Paraguay
15% dessen in der östlichen Region Paraguays (vgl.                                                 Urbanisierung                          Waldbrände
                                                                                                   Forstwirtschaft                        Unbekannt
PROFOR 2019). Fast 20% der Gran-Chaco-Region                                                       Verlagerung der Landwirtschaft         Rohstoffbedingte Abholzung
                                                                     Mha
wurde zu landwirtschaftlichen Zwecken umgewan-           0,6
delt. Daten des Global Forest Watch zeigen, dass
                                                         0,5
93% der Abholzung zwischen 2001 und 2019 aufgrund
                                                         0,4
von rohstoffbedingter Abholzung stattfanden. 2019
wurden ca. 262 000 Hektar Land abgeholzt. 2001           0,3
waren es noch 131 000 Hektar. 100% der Abholzung         0,2
geschahen in natürlichen Wäldern, äquivalent zu          0,1
289 Mio. Tonnen von CO2 (zwischen 2013 und 2019).
                                                             0
Die Aufforstungsrate ist dagegen im mittleren Be-
reich im internationalen Vergleich mit einer Rate
von 8 940 Hektar 2010 gering. Abbildung 2 zeigt,         Quelle: GFW (2020).                                                                                          © ifo Institut
dass die Entwaldung in Paraguay hauptsächlich
rohstoffbedingt ist. Laut WWF (2020) gab es 1990         Abb. 3
noch 900 000 Hektar und 2012 schon 3 Mio. Hektar         Jährlicher Waldverlust in Mexiko
unter Sojaanbau in Paraguay. Ein ähnliches Bild er-                                                Urbanisierung                          Waldbrände
gibt sich in der Viehwirtschaft. Zwischen 2005 und                                                 Forstwirtschaft                        Unbekannt
                                                                                                   Verlagerung der Landwirtschaft         Rohstoffbedingte Abholzung
2017 stieg der Fleischexport von 186 000 Tonnen auf                  Mha
                                                         0,35
397 000 Tonnen (vgl. UNA 2017).
                                                             0,3
     Im Jahr 2010 waren 49,8 Mio. Hektar der Fläche
                                                         0,25
Mexikos mit Wald bedeckt. Dies entsprach einer be-
                                                             0,2
waldeten Gesamtfläche von 26% des Landes. In den
                                                         0,15
folgenden neun Jahren betrug der aggregierte Wald­
rückgang 321 000 Hektar (vgl. Global Forest Watch            0,1

2020). Dabei lässt sich eine kontinuierliche Steige-     0,05

rung der Rückgänge bewaldeter Flächen in den letzten             0

                                                                                                                                                                             9
                                                                                            0

                                                                                                                             1

                                                                                                                                                           6

                                                                                                                                                                 7

                                                                                                                                                                       8
                                                                      1

                                                                            2

                                                                                  3

                                                                                           9

                                                                                                                                   2

                                                                                                                                         3

                                                                                                                                               4

                                                                                                                                                     5
                                                                                           4

                                                                                           6

                                                                                           7

                                                                                           8

20 Jahren feststellen. Dies entspricht einem Äquiva-
                                                                                           5

                                                                                                                                                                            201
                                                                                        201

                                                                                                                            201

                                                                                                                                                          201

                                                                                                                                                                201

                                                                                                                                                                      201
                                                                     200

                                                                           200

                                                                                 200

                                                                                       200

                                                                                                                                  201

                                                                                                                                        201

                                                                                                                                              201

                                                                                                                                                    201
                                                                                       200

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                                                                                       200

                                                                                       200
                                                                                       200

lent von 83,3 Mio. Tonnen von CO2. Die Aufforstungs-     Quelle: GFW (2020).                                                                                          © ifo Institut
rate beträgt 633 000 Hektar während des Zeitraums
2001 bis 2012, was 0,79% der weltweiten Aufforstung      Abb. 4
in diesem Zeitraum entspricht. Der größte Teil des       Jährlicher Waldverlust in Brasilien
Waldrückgangs wird der Verlagerung der Landwirt-                                                  Urbanisierung                           Waldbrände
schaft zugeordnet. Die Verursacher der temporären                                                 Forstwirtschaft                         Unbekannt
oder permanenten Abholzung dieser Kategorie sind                                                  Verlagerung der Landwirtschaft          Rohstoffbedingte Abholzung
                                                                 Mha
kleine oder mittelgroße landwirtschaftliche Betriebe.    6
Im stark von der Abholzung betroffenen Südosten          5
des Landes setzt man vor allem auf Brandrodungen         4
für die Gewinnung von landwirtschaftlich nutzbaren
                                                         3
Flächen (vgl. Diaz-Gallegos et al. 2010).
                                                         2
     Seit Beginn der Messung durch die brasilianische
                                                         1
Behörde für Weltraumforschung INPE im Jahr 1988
variieren die jährlichen Abholzungsraten in Brasilien    0

zwischen 2,91 Mio. Hektar (Höchstwert, 1995) und
457 100 Hektar (Tiefstwert, 2012) (vgl. Arima et al.     Quelle: GFW (2020).                                                                                          © ifo Institut
2014). Nach einigen Jahren der Beruhigung für den
brasilianischen Regenwald steigt die Abholzungsrate      landwirtschaftlichen Flächen umgewandelt wurden.
seit 2013 wieder an. Allein zwischen August 2018 und     Mit 7,59 Mio. Hektar zwischen 2001–2012 hat Brasilien
Juli 2019 verschwanden über 1 Mio. Hektar des bra-       in diesem Zeitraum weltweit am viertmeisten Fläche
silianischen Regenwalds (vgl. Barlow et al. 2020). Für   aufgeforstet.
August 2019 bis Juli 2020 vermeldet das Echtzeit Re-          Abholzung hat vielfältige Gründe, die in Abbil-
genwald Monitoring System (DETER) von INPE gar ei-       dung 5 zusammengefasst sind. Migration spielt da-
nen Anstieg der Rodung um 34,6% gegenüber DETERs         bei vor allem bei der Ausweitung der Landwirtschaft,
Vorjahreszahlen. Daten von Global Forest Watch zei-      aber auch in Interaktion mit sogenannten indirekten
gen außerdem, dass die rohstoffbedingte Abholzung        Faktoren eine Rolle. Migration interagiert in den Be-
an etwa 67% des Waldverlustes in Brasilien zwischen      reichen der Demografie, Wirtschaft, Politik und Kultur
2001 und 2019 beteiligt war, während etwa 20% zu         mit Entwaldung.

                                                                            ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020        69
DATEN UND PROGNOSEN

Abb. 5                                                                                                                 nachhaltig gestalteten Produktionsmodell basieren,
Direkte und indirekte Faktoren für die Entwaldung durch den Menschen                                                   das Ressourcen konzentriert, wenig Arbeitsplätze
                                                                                                                       schafft und so zu ländlicher Verarmung und Urbani-
                                           Ursachen Entwaldung                                                         sation führt. Während laut der Volkszählung von 1982
                            Direkt                                                        Indirekt                     noch 57,25% der Bevölkerung in ländlichen Regionen
                                                                                                                       lebten, sind es 2002 nur noch 43,28%. Wenn man die
                                                                                          Demografie
                                                                                                                       Daten aus der Landwirtschaftszählung von 2002 mit
           Ausweitung der
                                                       Holzgewinnung                                                   denen von 2008 vergleicht, dann ist das Verschwin-
           Landwirtschaft                                                                   Wirtschaft                 den von 38 000 Kleinbäuer*innen und 613 000 Hektar
                                                                                           Technologie                 Land, das ihnen zugehörig war, während einem Zeit-
   Ackerland             Weideland             Handel                Brennholz                                         raum von nur sechs Jahren zu beobachten. Laut den
                                                                                                Politik
                                                                                                                       15 qualitativen Interviews, die Teil der Studie sind,
                                                                                                Kultur                 fehlen Anreize und Möglichkeiten, in ländlichen Re-
             Umsiedlung
                                                                                                                       gionen zu arbeiten. Dies liegt am Fehlen günstiger
Quelle: Geist und Lambin (2001).                                                                      © ifo Institut   Kredite und dem Ausbau des Sojaanbaus. Ein wei-
                                                                                                                       terer Faktor, der genannt wird, ist das Verschwinden
                                       Im Folgenden gehen wir auf die Verzahnung von                                   der Holz­industrie, wie beispielsweise Sägewerke oder
                                   Migration mit der Entwaldung anhand der analysier-                                  Schreinereien. Dies liegt daran, dass der Wald im Os-
                                   ten drei Länder ein.                                                                ten des Landes zum größten Teil abgeholzt ist. Das
                                                                                                                       Verkaufen des ländlichen Eigentums und die Hoffnung
                                   ABHOLZUNG UND MIGRATION: EIN PAAR                                                   für ein besseres Leben in der Stadt sind die Folge (vgl.
                                   EINBLICKE                                                                           CDE 2015). Des Weiteren wirken sich die Umwandlung
                                                                                                                       des Lebensraums indigener Völker in Paraguay und
                                   Das Jahr mit den meisten Flüchtlingen auf-                                          der damit verbundene Druck auf Landeigentum auf
                                   grund von Katastrophen in Paraguay ist 2015, mit                                    deren Migrationsbewegung aus.
                                   171 000 Flüchtlingen.2 Für das Jahr 2019 zählt die IDMC
                                   54 000 Binnenflüchtlinge.                                                           Abholzung und Migration in Mexiko

                                   Abholzung und Migration in Paraguay                                                 In den Jahren 1940 bis 1970 wirkten sich gleichzei-
                                                                                                                       tig Push- und Pull-Faktoren3 auf Migrationsströme
                                   Laut der IOM (2020) gab es zwischen 1997 und 2002                                   in Mexiko aus. In ländlichen Gebieten fehlte es der
                                   272 000 Binnenflüchtlinge. Es gibt mehr Emigrant*in-                                Bevölkerung an Kapital, um in landwirtschaftliche Ma-
                                   nen (10–12% der Bevölkerung) als Immigrant*innen                                    schinen zu investieren. Der Grund dafür waren politi-
                                   (3–5%) in Paraguay. Emigrant*innen sind hauptsäch-                                  sche Entschlüsse, die zum sogenannten Ejido-System4
                                   lich jung (zwischen 20 und 30 Jahren alt) und weib-                                 führten, das Großgrundbesitzer*innen bevorteilte und
                                   lich (60%).                                                                         Kleinbäuer*innen vernachlässigte. Landwirt*innen von
                                        Eine Studie des CDE (2015), basierend auf quali-                               kleineren Betrieben kompensierten fehlendes Kapi-
                                   tativen und quantitativen Analysen, beleuchtet Fra-                                 tal mit zusätzlicher intensivierter Arbeit als Produk-
                                   gestellungen bezüglich der Dynamiken von Migra-                                     tionsfaktor, was meistens mit einem Wachstum der
                                   tionsbewegungen in Paraguay. Die Studie betont,                                     Familie einherging. Das bewirtschaftete Land teilte
                                   dass interne Migrationsbewegungen auf einem nicht                                   sich als Folge zwischen mehr Erbberechtigten auf,
                                   2
                                      2015 gab es starke Fluten im Südkegel Lateinamerikas, die zu
                                                                                                                       was schließlich die ländliche Bevölkerung gegenüber
                                   Fluchtbewegungen führten.                                                           ökonomischen Schocks noch verletzbarer machte und
                                                                                                                       Abwanderung förderte. Gleichzeitig boomte in den
Abb. 6                                                                                                                 Städten die Industrie und war auf neue Arbeitskräfte
Katastrophenbedingte Flüchtlinge in Paraguay, 2019                                                                     angewiesen (vgl. Janvry et al. 2015). Diese Faktoren
                                                                                                                       lösten Land-Stadt- sowie internationale Migrations-
180000
                                                                                                                       bewegungen aus.
160000
                                                                                                                            Im Jahr 1950 leben 26% der Mexikaner*innen in
140000
                                                                                                                       Städten mit mehr als 15 000 Einwohnern. 50 Jahre
120000                                                                                                                 später ist deren Anteil 61%. In ihrer Sample-Analyse
100000                                                                                                                 3
                                                                                                                          Push-Faktoren beinhalten Umstände, die den Emigrationsdruck in
 80000                                                                                                                 gewissen Gebieten auf die Bevölkerung erhöht. Dazu gehören z.B.
                                                                                                                       hohe Arbeitslosigkeit, Naturkatastrophen oder eine unstabile politi-
 60000                                                                                                                 sche Lage.
 40000                                                                                                                 Pull-Faktoren beinhalten Anreize, die das Zielgebiet in Bezug auf
                                                                                                                       Migration attraktiv macht. Dazu gehören z.B. ein hoher Beschäfti-
 20000                                                                                                                 gungsgrad oder Sicherheit.
                                                                                                                       4
                                                                                                                          Während der mexikanischen Revolution wurden große Flächen an
       0
                                                                                                                       Land im Kollektiv, sogenannten »Ejidos«, gehalten. Bloß Mitglieder
                2013          2014           2015            2016          2017          2018             2019         des »Ejidos« verfügten über die Rechte, das Land zu bewirtschaften.
Quelle: IDMC (2020).                                                                                  © ifo Institut   Landflächen waren nicht handelbar.

                         70        ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020
DATEN UND PROGNOSEN

aus dem Jahr 2000 finden Villarreal und Hamilton        Abb. 7
(2012), dass Frauen aus ländlichen Regionen über-       Katastrophenbedingte Flüchtlinge in Mexiko, 2019
proportional emigrieren. Zudem siedeln tendenziell
                                                        1000000
jüngere Menschen in neue Orte über. Des Weiteren
                                                         900000
sind urbane Emigrant*innen gebildeter als ländli-
                                                         800000
che Emigrant*innen. Von 1995 bis 2015 setzt sich
                                                         700000
der Trend zur Emigration von ländlichen Gegenden
                                                         600000
in Städte oder Metropolregionen fort. Von 1995 bis
                                                         500000
2010 strömten die meisten Menschen entweder nach         400000
Mexico City, in Grenzstädte wie Tijuana und Cidad        300000
Juarez oder von wirtschaftlichem Aufschwung be­          200000
troffene Metropolen wie Cancún. In den Jahren 2010       100000
bis 2015 intensivierte sich dann die Migration zwi-                0
schen kleineren Städten (vgl. Pérez-Campuzano et                       2008    2009    2010     2011     2012   2013     2014   2015    2016    2017   2018     2019
al. 2018). Um der Armut auf dem Land zu entkom-         Quelle: IDMC (2020).                                                                                  © ifo Institut
men, arbeiten die betroffenen Menschen als Saison-
niers. Zudem wird illegale Brandrodung als Mittel       beigetragen hat. Tatsächlich hatte Brasiliens Ama-
eingesetzt, um die eigene ökonomische Situation zu      zonas-Regenwald, wie oben beschrieben, zeitgleich
verbessern (vgl. Vidal et al. 2014). Meist emigriert    steigende Abholzraten zu verzeichnen. Die meisten
die ländliche Bevölkerung wegen mangelnder Er­          der internen Migrant*innen ziehen allerdings nicht
werbsmög­lichkeiten. Migration gilt für Haushalte       in ländliche Regionen, sondern in Städte wie Manaus
als Diversifikationsstrategie der Einkommen. Somit      oder Belém (vgl. Egger 2019).
kann insgesamt als Hauptantreiber der Migration das          2005–2010 gab es in Brasilien laut der Volkszäh-
Bedürfnis nach wirtschaftlicher Sicherheit identifi-    lung von 2010 4,6 Mio. Binnenflüchtlinge (vgl. Baptista
ziert werden. Ansonsten sind Überflutungen in Me-       et al. 2018). In 32% der Fälle waren Metropolen das
xiko häufig eine Ursache für katastrophenbedingte       Ziel (2009–2010), 67% der internen Migrant*innen in
Flüchtlinge. Die Wechselwirkung von Migration und       Brasilien zogen es dagegen nicht in eine Metropol­
Abholzung kann nicht abschließend beurteilt werden.     region. Dennoch liegt das Lohngefälle zwischen dem
In einigen Gebieten wirkt sich Emigration positiv auf   Süden und dem Rest des Landes immer noch im Jahr
die Waldflächenbedeckung aus, in anderen negativ        2015 bei 31% (vgl. Firpo and Pieri 2018).
(vgl. Schmook und Radel 2008).                               Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle drei
                                                        Länder starke Migrationsbewegungen zu verzeichnen
Abholzung und Migration in Brasilien                    hatten, vor allem vom Land in die Stadt, aber auch
                                                        internationale und Stadt-Land-Migration. Dies hängt
In den 1960er und 1970er Jahren zur Zeit des soge-      mit großer Wahrscheinlichkeit auch mit einigen der
nannten »Wirtschaftswunders« in Brasilien zogen         Faktoren aus Tabelle 1 zusammen. Allerdings bedarf
große Migrationsströme von Brasiliens armen Nor-        es weiterer Studien, um einen Kausalzusammenhang
dosten in die Städte im Südosten, in denen mehr         herzustellen. Die Interaktion zwischen Migration und
Aussicht auf Arbeit bestand (vgl. Lima Amaral 2013).    Entwaldung durch Produktionsumwandlung und die
Der Anteil der städtischen Bevölkerung, die 1950 nur    Veränderung von Arbeitsmöglichkeiten sowie der
36% der Gesamtbevölkerung ausmachte, wuchs im           Verlust von Lebensraum sind jedoch unumgänglich
Lauf der Jahrzehnte auf 81% im Jahr 2000 an. Erst-      und klar.
mals lebten 1970 mehr Menschen in brasilianischen
Städten als auf dem Land (vgl. Matos und Baeninger
2001). Brasilien wandelte sich von einer Agrar- zur     Abb. 8
Stadtgesellschaft.                                      Katastrophenbedingte Flüchtlinge in Brasilien, 2019
    Dem einerseits höheren Lohnniveau in den Met­
ropolen im Südosten Brasiliens (Rio de Janeiro und      600000
São Paulo) steht andererseits ein höheres Preisniveau
                                                        500000
entgegen, weshalb, insbesondere durch den Rückzug
von Niedrigqualifizierten ausgelöst, die hohen Netto-   400000
migrationszahlen im Südosten ab den 1980er Jahren
                                                        300000
deutlich sanken. Stattdessen stiegen die Migrations-
zahlen in den Grenzregionen. Seit 1970 bis 2004 kann    200000
Brasiliens Norden, in dem sich größte Teile des Ama-
                                                        100000
zonas-Regenwalds befinden, ein konstant positives
Migrationssaldo aufweisen (vgl. Lima Amaral 2013)              0
Ein Grund für die Migrationsströme könnte die Ver-                     2008    2009   2010     2011     2012    2013     2014   2015    2016    2017   2018      2019
fügbarkeit von Land sein, die somit zur Entwaldung      Quelle: IDMC (2020).                                                                                  © ifo Institut

                                                                        ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang    16. September 2020      71
DATEN UND PROGNOSEN

     ABHOLZUNG UND MIGRATION – WAS KÖNNEN                               ten zu. Des Weiteren kreierten REDD+-Finanzierun-
     WIR TUN?                                                           gen temporäre Arbeitsplätze (vgl. Bauche 2015). Für
                                                                        eine wirksamere Entfaltung der Projektbemühungen
     Wie können diesen Wechselwirkungen entgegenge-                     konsultierte man indigene Bevölkerungsgruppen (vgl.
     wirkt werden? Es gibt mehrere Ansatzpunkte, um Ab-                 Špirić 2018). Die Kommerzialisierung von Waldgebiete
     holzung und die damit verbundenen Migrationsströme                 sowie direkte Geldflüsse an arme Bevölkerungsgrup-
     zu verhindern. Eine Möglichkeit ist es, den Wald zu                pen als Teil des Projekts können, ähnlich wie Remit-
     schützen, beispielsweise durch Verstaatlichung. Eine               tances, verschiedene Wirkungsweisen auf die Migra-
     andere ist es, den positiven Externalitäten des Waldes             tion der betroffenen Gebiete auslösen.
     einen monetären Nutzen beizumessen oder produk-                         Um aktuellsten Entwicklung der Waldrodung und
     tive Forstaktivitäten anzureizen bzw. zu subventionie-             Abholzung entgegenzuwirken, engagiert sich in Me-
     ren. Im Folgenden werden einige Beispiele erläutert.               xiko zudem die Weltbank. Sie lacierte das »Forest and
                                                                        Climate Change« Projekt: 2 Mio. Hektar Waldfläche
     Paraguay: Ein Projekt für nachhaltigen                             wurden unter nachhaltiges Management gebracht. Die
     Biomassenzuwachs                                                   Finanzierungssumme dafür betrug 460 Mio. US-Dol-
                                                                        lar. Der Fokus lag hauptsächlich auf der Verbesse-
     In Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen lan-                  rung von Institutionen, der Wissensvermittlung von
     cierte die Regierung von Paraguay 2018 das »Poverty,               nachhaltigem Waldmanagement sowie der Entwick-
     Reforestation, Energy and Climate Change«-Projekt                  lung von alternativen Erwerbsmöglichkeiten. Weiter
     (PROEZA). Das 90-Mio.-US-Dollar-Projekt soll Klima-                engagiert sich die Weltbank mit der »Strengthening
     ziele erreichen und Armut verringern. Damit nachhal-               Entrepreneurship in Productive Forest Area«-Initia-
     tig Biomassenzuwachs generiert werden kann, setzt                  tive: Sie gilt als Erweiterung des »Forest and Climate
     die Regierung Paraguays auf Marktmechanismen und                   Change«-Projekts. Dabei setzt man auf eine nach-
     schafft für Landbesitzer Anreize für Aufforstungen.                haltige Kommerzialisierung der bewaldeten Flächen
     Von indigenen Bevölkerungsgruppen profitieren schät-               für die waldabhängige Bevölkerung (vgl. World Bank
     zungsweise 14 800 Haushalte direkt von dem Projekt                 2020). Dies wiederum verringert eine Landflucht, da
     und weitere von indirekten Auswirkungen der Initia-                ökonomische Notlagen der ruralen Bevölkerung ver-
     tive (vgl. Green Climate Fund 2017). Auch Start-ups                ringert werden.
     entdecken Geschäftsmöglichkeiten in Paraguay und
     machen sich Brachflächen als nachhaltige Investi-                  Brasilien: Instrumente zur Aufforstung
     tionsmöglichkeiten zu Nutze. Aus schnell wachsen-
     dem Eukalyptus soll langfristig Profit erwirtschaftet              Zwischen 1950 und 2017 starteten in Brasilien 405 Pro-
     und gleichzeitig Aufforstung als positive Externali-               jekte, die sich gegen eine Abholzung und für eine Re-
     tät generiert werden (vgl. Treecoin 2020). Kulturell               kultivierung der Forstgebiete einsetzen. Die Hälfte der
     bedingte Migration kann somit einerseits durch das                 Initiativen lancierten Forstunternehmen. Weitere 48%
     PROEZA-Projekt und andererseits durch kommerziell                  initiierten Landwirtschaftsbetriebe in Familienbesitz.
     erfolgreiche Geschäftsideen verringert werden. Dem                 Lediglich 2% aller Projekte konnten Regierungs- und
     Wald einen produktiven Wert zu geben, führt dazu,                  Nichtregierungsorganisationen zugeschrieben werden.
     dass Arbeitsplätze kreiert werden, was wieder­um Men-              Dabei wurden die politisch auferlegten Umweltschutz­
     schen vom Emigrieren abhalten könnte, oder sogar                   erlaubnisse nicht immer eingehalten (vgl. da Cruz et al.
     dazu führen könnte, dass Menschen in diese Gebiete                 2020). Zudem ist das Amazonasgebiet in Brasilien
     migrieren.                                                         nach wie vor von illegalen Brandrodungen betroffen.
                                                                        2014 trug jeder Hektar gepflanzter Wald 2 228 US-
     Mexiko: Die Gründung einer Forstkommission                         Dollar zum BIP Brasiliens bei. Ein Aufforstungspro-
     sowie nachhaltiges Forstmanagement                                 zess einer Fläche von 12 Mio. Hektar könnte laut der
                                                                        Weltbank (2017a) bis zu 215 000 neue Arbeitsplätze
     Am 4. April 2001 rief die mexikanische Regierung die               schaffen ).
     »Comision Nacional Forestal« (CONAFOR 2020) als Teil                     Die Regierung Brasiliens gründete gegen Ende des
     des Sekretariats für Umwelt und natürliche Ressour-                20. Jahrhunderts mehrere Einrichtungen und Kommis-
     cen ins Leben. Ziel der Einrichtung stellt die Entwick-            sionen, die die Verabschiedung von regulatorischen
     lung, Förderung, Konservierung und Restauration der                Gesetzen bezüglich des Amazonasgebiets ermöglichte.
     mexikanischen Wälder dar. Die Kommission wirkte                    Politische Instrumente wurden zur Erhaltung des Re-
     unter anderem bei der internationalen Initiative für               genwalds und zur nachhaltigen Aufforstung genutzt.
     »Reducing Emissions from Deforestation and Forest                  Der bedeutendste Beitrag wurde mit dem »Action
     Degration« (REDD+) mit. Während dem sechsjährigen                  Plan for the Prevention and Control of Deforestation
     Projekt konnten Fortschritte für die Land- und Forst-              in the Legal Amazon« (PPCDAm) geleistet. Die Initia-
     wirtschaft erreicht werden. Allerdings schreibt man                tive wurde zeitlich in drei Phasen unterteilt: von 2004
     den ökologischen Auswirkungen des Projekts eher                    bis 2008, von 2009 bis 2011 sowie von 2012 bis 2015.
     Langzeitwirkungen von bestehenden Errungenschaf-                   Drei Hauptziele wurden definiert: (1) Territoriale und

72   ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020
DATEN UND PROGNOSEN

Landnutzungsplanung, (2) Umweltschutz und dessen           den Wald abfedern und andererseits die durch Abhol-
Überprüfung sowie (3) Förderung von nachhaltigen,          zung generierte Migrationsbewegungen vermindern
produktiven Aktivitäten. Die jährliche Abholzungsflä-      zu können. Es wird empfohlen, den Wald produktiver
che konnte in der Zeitspanne vom Jahr 2004 bis zum         zu nutzen und dessen Externalitäten, wie CO2-Gene-
Jahr 2012 von 2,77 Mio. Hektar auf 450 000 Hektar          rierung, und ökologische Werte, zu internalisieren.
um 84% reduziert werden. Auch die Biodiversität und        Der Wald spielt einen entscheidenden Faktor in der
die Kontrolle über öffentliches Land konnten verbes-       Bildung eines nachhaltigen und zukunftsträchtigen
sert werden (vgl. Pires und Majano 2015). Diese Maß-       Produktionsmodells.
nahmen zeigen, wie effektiv gegen den Klimawandel
vorgegangen werden kann und verringern somit ka-           LITERATUR
tastrophenbedingte Flüchtlinge. Das Brasilien unter        Afawubo, K. und Y. A. Noglo (2019), »Remittances and deforestation in
der Regierung Jair Bolsonaros vollzieht dagegen ge-        developing countries: Is institutional quality paramount?«, Research in
                                                           Economics 73(4), 304–320.
rade einen Richtungswechsel in der Umweltpolitik
                                                           Afelt, A., R. Frutos und C. Devaux (2018), »Bats, Coronaviruses, and
für die Amazonasgebiete. Die Auswirkungen, die die         Deforestation: Toward the Emergence of Novel Infectious Diseases?«,
politisch gewirkte Schwächung des brasilianischen          Frontiers in microbiology 9, 702.

Umweltamtes IBAMA, die Stärkung von Viehzüchtern           Afriyanti, D., C. Kroeze und A. Saad (2016), »Indonesia palm oil produc-
                                                           tion without deforestation and peat conversion by 2050«, The Science of
und Plantagenbesitzern und das Ende der Ausweitung         the total environment (557–558), 562–570.
von Schutzzonen für Ureinwohner auf den Regenwald          Amacher, G. S., W. Cruz, D. Grebner und W. F. Hyde (1998), »Environmen-
und den Klimawandel haben wird, sind noch nicht            tal Motivations for Migration: Population Pressure, Poverty, and
                                                           Deforestation in the Philippines«, Land Economics 74(1), 92–101.
abschätzbar.
                                                           Amacher, G. S., E. Koskela und M. Ollikainen (2009), »Deforestation and
                                                           land use under insecure property rights«, Environment and Development
FAZIT: MIGRATION ALS KONSEQUENZ UND ALS                    Economics 14(3), 281–303.

URSACHE VON ABHOLZUNG                                      Angelsen, A-, M. Aguilar-Støen, J. Ainembabazi, E. Castellanos und
                                                           M. Taylor (2020), »Migration, Remittances, and Forest Cover Change in
                                                           Rural Guatemala and Chiapas, Mexico«, Land 9(3), 88.
Das Thema Abholzung und Migration ist auch im ak-          Arima, E. Y., P. Barreto, E. Araújo und B. Soares-Filho (2014), »Public
tuellen Kontext ein hochaktuelles Thema. Nicht nur         policies can reduce tropical deforestation: Lessons and challenges from
                                                           Brazil«, Land Use Policy 41, 465–473.
Covid-19 wirkt sich auf die Lebensqualität und Sicher-
                                                           Ayala, M. O. (2020), »Avocado: the ‘green gold’ causing environment
heit von Millionen von Flüchtlingen aus, sondern auch      havoc«, verfügbar unter: https://www.weforum.org/agenda/2020/02/
auf die Abholzung des Regenwaldes (vgl. López-Feld-        avocado-environment-cost-food-mexico/, aufgerufen am 25. August
                                                           2020.
man et al. 2020). Laut Greenpeace (2020) ist die Ab-
                                                           Azevedo-Ramos, C. (2007), »Sustainable development and challenging
holzung in Gebieten mit indigenen Bewohnern im             Deforestation in the Brazilian Amazon: the good, the bad and the ugly«,
Jahr 2020 um 59% gestiegen. Der WWF (2020) gibt            verfügbar unter: http://www.fao.org/3/i0440e03.htm.
an, dass sich die Abholzung des Regenwaldes unter          Bakehe, N. P. (2019), »The effects of migrant remittances on
                                                           deforestation in the Congo basin«, Economics Bulletin 39(4),
Covid-19 bisher verdoppelt hat, allein im März ist der     42361–42373.
Regenwald um 650 000 Hektar geschrumpft. Andere            Baptista, E. A., G. J. Abel und J. Campos (2018), »Internal migration in
Studien zeigen, dass die Entstehung von Virustypen         Brazil using circular visualization«, Regional Studies, Regional Science
                                                           5(1), 361–364.
von Entwaldung begünstigt wird (vgl. Afelt et al. 2018).
                                                           Barlow, J., E. Berenguer, R. Carmenta und F. França (2020), »Clarifying
     Auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist          Amazonia’s burning crisis«, Global change biology 26(2), 319–321.
dieses Thema hochrelevant. Die Beschleunigung des
                                                           Barrios, S., L. Bertinelli und E. Strobl (2006), »Climatic Change and
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                                                           DOI: 10.2139/ssrn.925652.
ser wiederum führt zu Klimaflüchtlingen und der Zer-
störung des Lebensraumes indigener Völker. Andere          Bauche, P. (2015), »The Impacts of International REDD+ Finance: Mexico
                                                           Study«, verfügbar unter: http://www.climateandlandusealliance.org/
Ansatzpunkte für die Interaktion von Entwaldung und        wp-content/uploads/2015/08/Impacts_of_International_REDD_Finance_
Migration sind die Umwandlung des Waldes in andere         Case_Study_Mexico.pdf, aufgerufen am 26. August 2020.

produktive Aktivitäten und damit verbundene Arbeits-       Bustos, P., B. Caprettini und J. Ponticelli (2016), »Agricultural Producti-
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platzverluste oder -generierung. In anderen Fällen sie-    nomic Review 106(6), 1320–1365.
deln sich Menschen auf der Suche nach ungenutzten          Carr, D. (2009), »Rural migration: The driving force behind tropical de-
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                                                           33(3), 355–378.
das Übersenden von Remittances zu Einkommen, das
                                                           Cattaneo, C., M. Beine, C. J. Fröhlich, D. Kniveton, I. Martinez-Zarzoso,
für oder gegen Abholzung genutzt wird.                     M. Mastrorillo et al. (2019), »Human Migration in the Era of Climate
     Anhand dreier Beispiele, nämlich Paraguay, Me-        Change«, Review of Environmental Economics and Policy 13(2), 189–206.

xiko und Brasilien, haben wir gezeigt, dass die Wech-      CDE (2015), Agricultura campesina, agronegocio y migraciónEl impacto
                                                           de los modelos de producción en la dinámica de los territorios, verfügbar
selwirkungen zwischen Migration und Entwaldung viel-       unter: http://www.cde.org.py/wp-content/uploads/2015/09/Agricultu-
fältig sind und viele Gründe haben können. Migration       ra-campesina-agronegocio-y-migraci%C3%B3n.pdf.

kann sowohl Konsequenz als auch Ursache von Ab-            CONAFOR (2020), »National Forestry Commission of Mexico«, verfügbar
                                                           unter: https://forestcompass.org/who/national-forestry-commission-me-
holzung sein.                                              xico.html, aufgerufen am 26. August 2020.
     Die genauen Wechselwirkungen und Kausalzu­            Cruz, da C, J. M. R. Benayas, G. C. Ferreira, S. R. Santos und G. Schwartz
sammenhänge bedürfen weiterer Forschung, um ei-            (2020), »An overview of forest loss and restoration in the Brazilian Ama-
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nerseits potenzielle negative Effekte von Migration auf

                                                                        ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020   73
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74   ifo Schnelldienst   9 / 2020   73. Jahrgang   16. September 2020
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