Im Fokus: Digitale Staats-Modernisierung - Im Fokus - Schwarzbuch
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Die Corona-Pandemie hat die Bedeu- men und auch die eigene Verwaltung zu tung der Digitalisierung für eine funktionie- entlasten – in Zeiten hoher Schulden und rende Gesellschaft unter Krisenbedingun- steuerlicher Belastungen ist dies notwendi- gen mit Wucht ins Bewusstsein gerufen. ger denn je. Die digitale Modernisierung des Gesundheitsämter, die mit Faxgeräten und Staates erfordert ein neues Denken in der Tabellen Infektionen nachvollziehen, um so Verwaltung. Wichtig dabei ist, die Bedürfnis- die Pandemie einzudämmen, sowie langsa- se der Bürger und der Unternehmen stärker me, betrugsanfällige Antragsverfahren für in den Blick zu nehmen, diese von Bürokratie Hilfszahlungen und nicht zuletzt Schulen, zu entlasten und Leistungen unkompliziert denen es an Technik und Konzepten für den zur Verfügung zu stellen. digitalen Fernunterricht fehlte, haben die Die große Aufmerksamkeit, die die digitale Nachteile des Digitalrückstands schmerzlich Staatsmodernisierung – von der Verwaltung offengelegt. über den öffentlichen Gesundheitsdienst Dabei bringt eine konsequente Digitali- bis hin zum öffentlichen Bildungssystem – sierung der Verwaltung erhebliche Potenzi- seit Beginn der Pandemie genießt, ist eine ale zur Entbürokratisierung und Einsparung Chance. Vieles ist in Bewegung geraten und mit sich. Denn Digitalisierung ist kein Selbst- wurde beschleunigt. Jetzt müssen die rich- zweck. Ziel ist ein besseres und effizienteres tigen Lehren aus der bisher schleppenden Handeln des Staates, um Bürger, Unterneh- Digitalisierung gezogen werden. Das Wichtigste in Kürze: Strukturen modernisie- ren, Wettbewerb und Innovationen ermöglichen Die Analyse der Themenfelder zeigt das nis nun eine breite Basis hat, ist eine Chance, Potenzial einer konsequenten digitalen um die seit Jahren viel zu zögerliche digitale Staatsmodernisierung auf und ordnet – an- Modernisierung der Verwaltung voranzu- hand von Beispielen und internationalen bringen. Vergleichen – ein, wo Deutschland derzeit Diverse Erhebungen sowie Erfahrungen steht. Beispiele veranschaulichen die Lü- aus dem Ausland zeigen: Durch konsequen- cken, die durch die Krise offenbar wurden. te digitale Modernisierung der öffentlichen Ein Fokus liegt auch auf der Digitalisierung Verwaltung könnten den Bürgern, Unter- eines Großteils der Verwaltungsleistungen, nehmen und der Verwaltung selbst viel Zeit die gemäß dem Onlinezugangsgesetz für und somit mehrere Milliarden Euro jährlich Bürger und Unternehmen bis Ende 2022 erspart werden. Mit Blick auf die hohe öffent- flächendeckend zur Verfügung stehen sol- liche Verschuldung und Fachkräftemangel len. So komplex und unterschiedlich die ist ein Digitalisierungsschub in der Verwal- Beispiele auch sind, wird dennoch deutlich, tung unausweichlich. Nicht zuletzt müssen dass daraus allgemeine Schlüsse gezogen Bürger und Unternehmen erwarten dürfen, werden können. von bürokratischen Lasten befreit zu wer- Im Vergleich zu anderen Industrienati- den. onen ist die Digitalisierung der deutschen Vorschnell wird nun nach mehr Geld für Verwaltung weit unterdurchschnittlich ent- die Digitalisierung gerufen. Fakt ist aber, wickelt. In der Krise hat sich dieser Rückstand dass bereits erhebliche Summen zur Verfü- ganz besonders gezeigt. Dass diese Erkennt- gung stehen, die aber zum Teil nicht genutzt Schwarzbuch 2021/22 Im Fokus 11
werden. Die Erfahrung zeigt: Mehr Steuer- neut eingegeben werden zu müssen. geld wird die Probleme somit nicht lösen, Grundlage hierfür ist, dass die Register das bewilligte Geld muss auch ankommen. modernisiert werden. Vor allem muss klar sein, dass Digitalisierung ⊲ Der Nachweis der eigenen elektroni- eine Daueraufgabe ist, die langfristig und schen Identität muss deutlich nutzer- aus laufenden Einnahmen finanziert wer- freundlicher werden. Dies sollte in enger den muss. Die Digitalisierung braucht eine Zusammenarbeit mit Unternehmen pas- solide Grundfinanzierung statt kurzfristigen sieren, da die Lösungen so eine deutlich Aktionismus. breitere Akzeptanz finden. Die Verantwortlichen in Bund und Län- ⊲ Um Prozesse zu digitalisieren und un- dern müssen dies entsprechend in ihren fi- bürokratischer zu gestalten, müssen nanziellen Planungen berücksichtigen und Rechtsnormen angepasst werden. Ein Prioritäten setzen statt ad hoc weitere Schul- Digital-TÜV für Gesetze sollte alle Vor- den aufzunehmen. haben auf Digitaltauglichkeit prüfen. Folgende Schlüsse sollten aus dem aktu- ⊲ Die Digitalisierung über alle Ebenen hin- ellen Stand und den bisherigen Erfahrungen weg steckt in einer Komplexitätsfalle. der digitalen Staatsmodernisierung gezo- Daher sollte eine neue Föderalismus- gen werden: reform angestoßen werden, um Bund, Länder und Kommunen digitaltauglich Strukturen modernisieren zu entflechten. ⊲ Die Verwaltung zu digitalisieren ist eine Wettbewerb und Innovationen Querschnittsaufgabe über alle Ressorts ermöglichen und Ebenen hinweg. Dass ein eigenes Di- gitalministerium hier bessere Ergebnis- ⊲ Für die Beschaffung von Software müs- se liefert, muss bezweifelt werden. Erfolg- sen innovative Vergabeverfahren entwi- reiche Digitalnationen setzen in der Regel ckelt werden, beispielsweise durch eine auf ein bereits bestehendes Ministerium Plattform mit technischen und vertrag- als Koordinator und ergänzen dieses um lichen Standards (föderaler App-Store). eine schlagkräftige Digitalagentur, die Wichtig ist dabei, dass geschlossene Sys- den Wandel auf allen Ebenen strategisch teme vermieden werden, in denen nur unterstützen kann. wenige Anbieter und Lösungen vertreten ⊲ Der Struktur- und Kulturwandel hin zu sind. einer digitalen Verwaltung ist schwieriger ⊲ Bevor kommunale oder landeseigene zu bewältigen als der technische. Daher IT-Dienstleister Softwarelösungen entwi- braucht der organisatorische und kultu- ckeln, sollte geprüft werden, ob es nicht relle Wandel in den Behörden größere bereits gute Lösungen am Markt gibt, Aufmerksamkeit. bevor eigene und ggf. teure eigene Ent- ⊲ Um Bürger, Unternehmen und die Ver- wicklungen in Auftrag gegeben werden. waltung wirklich von Bürokratie zu ent- Dabei ist auch zu ermitteln, ob der Einsatz lasten, muss das „Once Only“-Prinzip von Open Source für das konkrete Vor- konsequent umgesetzt werden. Daten, haben vorteilhaft wäre. Wirtschaftlich- die bereits bei einer Verwaltung vorlie- keitsuntersuchungen sind konsequent gen, können dann unter Wahrung des durchzuführen. Datenschutzes durch Zustimmung des ⊲ Die begrenzten staatlichen Ressourcen Besitzers verwendet werden, ohne er- sollten – beispielsweise beim Breitband- 12 Im Fokus Schwarzbuch 2021/22
ausbau – stärker auf die Projekte fokus- einfachte Zugang zur Kfz-Zulassung. Es siert werden, bei denen es tatsächlich ein sollte geprüft werden, welche Vereinfa- Marktversagen gibt. Andernfalls könnten chungen bestehen bleiben können. private Initiativen verdrängt und der ⊲ Öffentliche Daten automatisch, elek- Wettbewerb auf Kosten der Steuerzahler tronisch und maschinenlesbar zur freien eingeschränkt werden. Wiederverwendung zur Verfügung zu ⊲ Während der Corona-Pandemie wurden stellen, hat erhebliches wirtschaftliches ausgewählte Verfahren vereinfacht, zum sowie innovatives Potenzial und macht Beispiel die elektronische Bekanntma- staatliches Handeln transparenter. Daher chung von Plänen im Planungs- und müssen öffentliche Daten konsequent Genehmigungsverfahren und der ver- zur Verfügung gestellt werden. Analyse der Themenfelder Die BdSt-Vorschläge für die digitale tungsprozessen ließen sich Effizienzpoten- Staatsmodernisierung liegen auf dem Tisch. ziale in Milliardenhöhe heben. Davon geht Die folgenden Analysen zeigen, wie mit der der Normenkontrollrat (NKR), ein seit 2006 Digitalisierung Kosten gespart und Bürokra- eingesetztes Beratergremium für die Bun- tie abgebaut werden kann, wo Deutschland desregierung, aus. im internationalen Vergleich steht, welche Eine Untersuchung für den NKR aus dem Digital-Lücken die Corona-Krise offenge- Jahr 2017 kommt zum Ergebnis, dass bei legt hat und warum mehr Geld alleine das einer vollständigen Digitalisierung der am Problem der schleppenden Digitalisierung häufigsten genutzten Verwaltungsleistun- nicht lösen wird. Abschließend werfen wir gen für Bürger, wie zum Beispiel der Antrag noch einen Blick auf den Stand der Umset- für das Kindergeld oder die Kfz-Zulassung, zung des Onlinezugangsgesetzes – eines der nahezu die Hälfte (47 Prozent) des bisheri- wichtigsten laufenden Projekte, um Verwal- gen Zeitaufwands entfiele. tungsleistungen für Bürger und Unterneh- Unternehmen würden sogar mehr als die men zu digitalisieren. Hälfte (54 Prozent) der Bürokratiekosten spa- ren, wenn die am häufigsten beanspruchten 1. Digitalisierung senkt Kosten Verwaltungsleistungen, wie etwa die An- und Bürokratie meldung eines Gewerbes, vollständig digi- talisiert würden. Dies entspräche einer Ein- Die Digitalisierung der Verwaltung kann sparung von 1 Mrd. Euro pro Jahr. Und auch den Bürgern, Unternehmen und der Ver- die Verwaltung würde so deutlich entlastet. waltung selbst eine Menge Zeit und Kosten Die Autoren schätzen, dass sich der Aufwand sparen und somit das Leben deutlich er- für die Verwaltung um rund 60 Prozent ver- leichtern. Rund 200 Kontakte zu Behörden ringern würde, was einer Einsparung von hat ein mittelständisches Unternehmen pro 3,9 Mrd. Euro pro Jahr entspräche. Jahr. Und auch die Bürger verbringen die ein Und noch einen positiven Effekt hätte die oder andere Stunde beim Warten auf dem konsequente Vernetzung vorhandener Da- Amt oder damit, sich einen Termin zu orga- ten: Die amtliche Statistik könnte mit einem nisieren oder Formulare auszufüllen. registerbasierten Zensus ihre Kosten um Durch konsequente Digitalisierung von 87 Prozent senken, was einer Einsparung von Verwaltungsdienstleistungen und Verwal- 580 Mio. Euro entspräche. Schwarzbuch 2021/22 Im Fokus 13
Entlastung bei vollständiger Digitalisierung ausgewählter Verwaltungsleistungen für Bürger* für Unternehmen** für Verwaltungen 47% 54% 60% Quelle: Nationaler Normenkontrollrat (2017) 1,4 Mrd. Euro 1 Mrd. Euro 3,9 Mrd. Euro Legende: *) bei vollständiger Digitalisierung der TOP-35-Verwaltungsleistungen; **) bei vollständiger Digitalisierung der TOP-30-Verwaltungsleistungen Auch Praktiker in der Verwaltung sehen werden. Das Kosteneinsparpotenzial durch ein erhebliches Einsparpotenzial durch die Prozessoptimierung mittels E-Government Digitalisierung. So kam die „Kommunale schätzten die Experten auf 20 bis 40 Prozent. Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsma- Dass sich die Einsparpotenziale durch nagement“ (KGSt), ein Fachverband für konsequente Digitalisierung tatsächlich in kommunales Management, der von Städ- dieser Größenordnung bewegen, zeigt die ten, Gemeinden und Landkreisen getragen Erfahrung in Dänemark. Die Digitalisierung wird, bereits 2011 in einer Studie zum Ergeb- der Verwaltung hat dort die Bearbeitungs- nis, dass rund 80 Prozent der Kernprozesse zeit um 30 Prozent reduziert. Die Digitalisie- in Städten und Gemeinden das Potenzial rung der Kommunikation spart dem Staat haben, durch E-Government effizienter zu 345 Mio. Euro pro Jahr. Bei rund 5,8 Mio. Ein- 14 Im Fokus Schwarzbuch 2021/22
wohnern sind das immerhin rund 60 Euro des „European Center for Digital Competi- pro Bürger. Auf die Einwohnerzahl Deutsch- tiveness“ aus dem Jahr 2021 zum Ergebnis, lands hochgerechnet ergäbe dies rechne- dass 94 Prozent der Führungsspitzen aus risch eine Einsparung von rund 5 Mrd. Euro Wirtschaft und Politik erheblichen Nachhol- pro Jahr. bedarf bei der Digitalisierung im staatlichen Bereich sehen. 2. Deutschland hinkt bei der Dass diese Eindrücke nicht bloß subjektiv Digitalisierung hinterher sind, bestätigen auch diverse internationale Vergleiche des E-Governments, bei denen Bei der Digitalisierung ist Deutschland Deutschland in der Regel weit hinten ran- im Vergleich zu anderen Ländern im Hinter- giert. Im „Digital Economy and Society In- treffen. Zum Stand des E-Government stellte dex (DESI)“ der Europäischen Kommission der NKR im Jahr 2021 ernüchtert fest: „Die belegt Deutschland bei der Bereitstellung Bundesregierung hat die Bedeutung der digitaler öffentlicher Dienste im Vergleich Digitalisierung der Verwaltung erkannt. Er- mit den anderen Mitgliedstaaten nur einen gebnisse aber lassen auf sich warten.“ Platz im hinteren Drittel: Platz 21 von 28 – und Dieser Eindruck ist auch unter den Bür- damit deutlich unter dem EU-weiten Durch- gern weit verbreitet. So kommt eine Studie schnitt. Quelle: Europäische Kommission (2020), Digital Economy and Society Index (DESI) Digitale öffentliche Dienste im DESI Score EU-weiten Vergleich (DESI) 100 80 60 40 20 0 Estland Spanien Dänemark Finnland Lettland Litauen Niederlande Australien Irland Schweden Malta Frankreich Portugal Luxemburg Europäische Vereinigtes Belgien Union Königreich Slowenien ZypernItalienPolen Deutschland Tschechien Bulgarien Ungarn Kroatien Slowakei Griechenland Rumänien Estland Spanien Dänemark Finnland Lettland Litauen Niederlande Österreich Irland Schweden Malta Portugal Frankreich Luxemburg Europäische Union Belgien Vereinigtes Königreich Slowenien Zypern Italien Polen Deutschland Tschechien Bulgarien Ungarn Kroatien Slowakei Griechenland Rumänien Schwarzbuch 2021/22 Im Fokus 15
Hinter diesen nüchternen Zahlen verber- Eine breit genutzte eID-Lösung hat sich gen sich konkrete Defizite mit grundle- in Deutschland also nicht etabliert: Laut gender Bedeutung und weitreichenden Bundesregierung waren Mitte 2021 rund Konsequenzen. Drei Beispiele: 62 Mio. Personalausweise im Umlauf, die grundsätzlich zum elektronischen Identi- ⊲ Digitale Identität tätsnachweis genutzt werden können. Bei schätzungsweise 39 Mio. davon war immer- Die eigene Identität elektronisch nach- hin die eID-Funktion aktiviert. Doch diese weisen zu können, ist ein Grundbaustein Ausweise kamen kaum zum Einsatz, wie für die digitale Gesellschaft und ein wesent- eine Studie der Beratungsunternehmen liches Element für die Digitalisierung des BCG und Nortal zeigt. Dort schätzen die Ex- Staates, schließlich soll es den Bürgern doch perten die mit der eID getätigten Transaktio- bis Ende 2022 möglich sein, wesentliche nen für das Jahr 2020 auf 2,5 bis 3 Mio. Verwaltungsleistungen online abzurufen. Im internationalen Vergleich ist dies sehr Hierfür müssen sie sich elektronisch identi- wenig: Im kleinen Estland (1,3 Mio. Einwoh- fizieren können. ner) wird die eID rund 344 Mio. Mal pro Jahr Der elektronische Nachweis der eige- genutzt, in Dänemark (5,8 Mio. Einwohner) nen Identität (eID) ist in Deutschland zwar rund 800 Mio. Mal und in Schweden (10,3 Mio. schon seit rund 10 Jahren möglich. Jedoch Einwohner) gar 4,8 Mrd. Mal pro Jahr. gilt das Verfahren als umständlich und we- Der Blick ins Ausland zeigt auch, dass die nig nutzerfreundlich. Zudem gab es lange erfolgreichen eID-Lösungen in enger Koope- Zeit nur sehr wenige Anwendungen für die ration zwischen Staat und Wirtschaft entwi- elektronische Identität mit dem Personal- ckelt wurden. Das ist folgerichtig, da die weit ausweis. Dementsprechend gering sind die überwiegende Anzahl der Anwendungsfäl- Nutzungszahlen. le der elektronischen Identitätsnachweise Nutzung der elektronischen Identität im internationalen Vergleich Quelle: BCG/Nortal, Eurostat, eigene Berechnungen Transaktionen pro Einwohner im Jahr 2020 465 259 137 ~ 0,04 Schweden Estland Dänemark Deutschland 16 Im Fokus Schwarzbuch 2021/22
nicht für den Kontakt zu Behörden genutzt geraten und später hohe wiederkehrende wird, sondern vor allem für Anwendungen Ausgaben oder Kosten durch den Wechsel von Banken. So wird beispielsweise die auf andere Produkte verschulden. Der Ein- schwedische eID zu rund drei Viertel für An- satz freier Software kann den Wettbewerb wendungen der Finanzwirtschaft genutzt der Anbieter und somit die Wahlmöglich- und zu weniger als 10 Prozent für E-Govern- keiten der öffentlichen Verwaltung erhöhen. ment. In Estland zeichnet sich ein ähnliches Wurde Software mit Steuergeld entwi- Bild. In Dänemark wird die eID etwa zur Hälf- ckelt, kann es sinnvoll sein, diese ebenfalls te zur Identifizierung für Anwendungen der Open Source zur Verfügung zu stellen. So Finanzwirtschaft genutzt. müssten Lösungen nicht doppelt entwi- Eine breit akzeptierte eID-Lösung in ckelt werden. Das kann Kosten für die Be- Deutschland hätte nach Einschätzung schaffung in anderen Verwaltungen oder der Experten das Potenzial, beispielsweise bei Unternehmen senken und Innovationen im Online-Banking für rund 3,5 bis 4 Mrd. begünstigen. Transaktionen pro Jahr genutzt zu werden. Wichtig ist jedoch, dass durch den Einsatz Das Potenzial für den Einsatz für das E-Go- öffentlicher IT-Dienstleister privater Wett- vernment wird bei rund 415 Mio. Transakti- bewerb nicht verdrängt und somit das An- onen pro Jahr gesehen. Das zeigt: Die Zu- gebot guter Lösungen nicht eingeschränkt sammenarbeit mit der Privatwirtschaft ist wird. Daher sollte grundsätzlich immer ge- sinnvoll, da elektronische Identitäten vor al- prüft werden, ob es tatsächlich eine eigene lem privatwirtschaftlich genutzt werden, die Entwicklung mit Steuergeld braucht, oder breite Akzeptanz dieser Lösungen aber auch ob es nicht am Markt oder in anderen Län- für E-Government-Anwendungen dringend dern bereits bewährte Lösungen gibt, die nötig ist. Bisher blieb die Anzahl an Anwen- funktionieren und ggf. wirtschaftlicher sind. dungen und Nutzerfreundlichkeit, und so- Bei der Diskussion um Beschaffung darf mit die Akzeptanz, weit hinter dem Mögli- auch das Management vorhandener Lizen- chen zurück. zen nicht aus den Augen verloren werden. So Um die Nutzerfreundlichkeit und damit hat beispielsweise jüngst der Landesrech- auch die Verbreitung des elektronischen nungshof Baden-Württemberg festgestellt, Identitätsnachweises zu erhöhen, beschlos- dass die Ministerien und nachgeordnete Ein- sen Bundestag und Bundesrat im Sommer richtungen des Landes zum Teil eigenstän- 2021 ein Gesetz, das den Weg für den Einsatz dig Software beschaffen und die Lizenzen in des elektronischen Identitätsnachweises Eigenregie und nicht zentral managen. Un- mit dem Smartphone oder Tablet ebnen soll. klar sei zudem, in welchem Umfang die be- schaffte Software tatsächlich genutzt wird ⊲ Lizenzen und Open Source und ob der Einsatz wirtschaftlich ist. Wird Software in der Verwaltung be- ⊲ Open Data schafft, stellt sich die Frage, ob auf Open Source-Lösungen gesetzt werden sollte. In der öffentlichen Verwaltung fallen Un- Für den Einsatz freier Software spricht, dass mengen an Daten an, beispielsweise über die teure Lock-in-Effekte vermieden werden Art und Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge, können. Durch Vertragsklauseln oder ge- Umwelt- und Geodaten, gezahlte Steuern schlossene Standards, die inkompatibel zu oder über gemeldete Infektionskrankheiten, anderen Lösungen sind, könnten Verwal- wie beispielsweise in der Covid-Pandemie. tungen in die Abhängigkeit eines Anbieters Diese Daten maschinenlesbar und zur freien Schwarzbuch 2021/22 Im Fokus 17
Weiterverwendung öffentlich zur Verfügung ihrer Geschäfte verwenden. Laut Bundes- zu stellen (Open Data), hat viele Vorteile. wirtschaftsministerium gehen Studien da- Ein freier Zugang zu offenen Daten nützt von aus, dass der volkswirtschaftliche Nut- zum einen der Verwaltung selbst. Das zeigt zen offener Daten für ganz Deutschland bei eine Studie des Instituts für Innovation und geschätzt mindestens 12 Mrd. Euro im Jahr Technik (iit) im Auftrag des Bundeswirt- liege. schaftsministeriums. Demnach stammt Trotz dieser überwältigenden Argumente mehr als die Hälfte aller Zugriffe auf die Da- für das Bereitstellen öffentlicher Daten ran- ten und Dienste der Hamburger Datenplatt- giert Deutschland im internationalen Ver- form, die städtische Daten zur Verfügung gleich eher im oberen Mittelfeld statt an der stellt, von der Verwaltung der Hansestadt Spitze. Im Ranking des „Global Open Data In- selbst. dex“ belegt Deutschland Platz 24 von 94. Im Zudem ist laut dieser Studie die Anzahl „Open Data Maturity Report 2020“ kommt von Bürgeranfragen an die Verwaltung in Deutschland auf Platz 8 von 35 verglichenen Großbritannien um 30 Prozent gesunken, Ländern. nachdem deren Daten standardmäßig öf- Mit dem Zweiten Open-Data-Gesetz fentlich zugänglich sind. wurde im Sommer 2021 eine entspre- Zum anderen werden durch eine bessere chende Richtlinie der Europäischen Union Verfügbarkeit der Daten auch die Zivilgesell- (PSI-Richtlinie) umgesetzt und somit die schaft und die Demokratie gestärkt, da das Pflichten der Bundesverwaltung geregelt, Handeln der Regierung transparenter wird. offene Daten bereitzustellen. Doch trotz ein- Die öffentlichen Daten bieten Bürgern die zelner Initiativen und Bemühungen ist es bis zur flächendeckenden und standardisierten Bereitstellung möglichst vieler öffentlicher Daten noch ein weiter Weg. 3. Pandemie legt Digital-Rückstand offen Bedeutende Veränderungen verlaufen Foto: UX Indonesia/Unsplash selten linear – sie tauchen sprunghaft auf. So hat die Corona-Pandemie viele Verwal- tungen, Schulen und Gesundheitsämter kalt erwischt. Gleichzeitig erwarten 88 Prozent der Kommunen, dass die Corona-Krise die Digitalisierung in Städten und Gemeinden vorantreiben wird. Dies hat eine repräsen- tative Umfrage des Digitalverbands Bitkom und des Deutschen Städte- und Gemeinde- bundes unter Bürgermeistern und Digita- Möglichkeit, diese zu nutzen und sich besser lisierungsverantwortlichen ergeben. Trotz informiert einzubringen. dieses positiven Ausblicks muss der Digi- Und auch für Unternehmen kann die freie tal-Rückstand aufgearbeitet werden, den Verfügbarkeit von öffentlichen Daten wich- die Krise offengelegt hat – in der Verwal- tige Impulse setzen. Sie können auf deren tung, dem öffentlichen Gesundheitswesen Basis neue Anwendungen bereitstellen, sie und der öffentlichen Bildung. Die folgenden für die Risikobewertung oder Entwicklung Beispiele zeigen dies exemplarisch. 18 Im Fokus Schwarzbuch 2021/22
Foto: Markus Winkler/Unsplash ⊲ Corona-Hilfen – langsam und Dadurch stand die Verwaltung jetzt vor betrugsanfällig dem Dilemma, entweder langsame Verfah- ren mit erheblicher Prüftiefe oder schnellere Der Bund hat seit Beginn der Pandemie Verfahren anzubieten und dafür Fehler und diverse Hilfsprogramme für Unternehmen Missbrauch in Kauf zu nehmen.“ Das Fazit aufgelegt. Für die „Soforthilfen“, die zu Be- der Experten: „Festzuhalten ist: Betrugsfäl- ginn der Pandemie kleinen Unternehmen, le dieses Umfangs […] wären mit Unterneh- Solo-Selbstständigen und Freiberuflern hel- menskonto und Registerverknüpfung nicht fen sollten, standen zig Milliarden Euro zur möglich gewesen.“ Verfügung. Für nachfolgende Hilfsprogramme Für die Bearbeitung der Anträge und („Novemberhilfe“, „Dezemberhilfe“, „Über- die Auszahlungen waren die Bundesländer brückungshilfen“) wurde das Verfahren für zuständig, die dabei jeweils auf eigene Ver- die Antragstellung geändert, um es weni- fahren gesetzt haben. Dementsprechend ger betrugsanfällig zu machen. Aber: Die unterschiedlich waren auch die Wartezeiten Anträge mussten nun über Steuerberater, für die Betroffenen – die Berichte reichen Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprü- von Auszahlungen der Hilfen nach wenigen fer eingereicht werden, die die gemachten Tagen bis hin zu wochenlangen Wartezeiten. Angaben prüften und den Antrag dann auf Dabei wurden die Hilfen auch an Empfänger einer bundeseinheitlichen Antragsplattform gezahlt, die keinen Anspruch auf die Hilfen eingereicht haben. Das Verfahren war für die hatten. Letztlich ermittelten die Staatsan- Antragsteller demnach aufwendiger und waltschaften in tausenden Fällen wegen teurer. Subventionsbetrug. Es stimmt leider, dass bei der Beantra- Der Normenkontrollrat findet zum Cha- gung von Zuschüssen Betrug nie vollstän- os rund um die Soforthilfen klare Worte: dig ausgeschlossen werden kann. Klar ist „Die Probleme bei der Beantragung und aber auch, dass Schnelligkeit und Präzision Auszahlung der Soforthilfen sind hausge- keinen Gegensatz darstellen müssen – zu- macht: Sie sind das Ergebnis einer jahrelang mindest dann nicht, wenn die Chancen der verschleppten Verwaltungsdigitalisierung. Digitalisierung genutzt werden. Schwarzbuch 2021/22 Im Fokus 19
UMSATZSTEUERBETRUG – DIGITAL BEKÄMPFEN Durch den Betrug bei der Umsatzsteu- trug vor. Darin weisen die Prüfer darauf hin, er entgehen dem deutschen Fiskus jähr- dass neben den klassischen Betrugsma- lich vermutlich mehrere Milliarden Euro an schen digitale Betrugsmodelle wie etwa Steuereinnahmen. Konkrete Daten darüber beim Online-Handel zunehmen. liegen naturgemäß nicht vor. Schätzungen Sie kritisieren, dass es beispielsweise mit liegen jedoch zwischen 30 und 50 Mrd. Blick auf Bescheinigungen in Papierform Euro, die den EU-Mitgliedstaaten jährlich oder nicht vorhandene Online-Recherche- durch Betrug bei der Umsatzsteuer ent- werkzeuge viel Raum für digitale Verbesse- gehen. Ein wesentlicher Teil dieser Min- rungen gebe und fordern, die Finanzbehör- dereinnahmen dürfte auf den deutschen den digital aufzurüsten, um alte und neue Fiskus entfallen. Dies schadet nicht nur den Formen des Umsatzsteuerbetrugs künftig öffentlichen Haushalten, sondern ist auch wirksamer bekämpfen zu können. unfair gegenüber den ehrlichen Steuer- Klar ist auch, dass dieses Thema europa- zahlern. weit angepackt werden muss. Daher ist die Im Oktober 2020 legte der Bundesrech- jüngst gegründete EU-Staatsanwaltschaft nungshof dem Deutschen Bundestag ei- zu begrüßen (Lesetipp: Fall zu EU-Staatsan- nen Sonderbericht zum Umsatzsteuerbe- waltschaft, S. 155). ⊲ Digitalisierung im Gesundheitswesen – erkennen und wirksam zu unterbrechen, um zu spät und zu zögerlich genutzt die Gesundheit der Bürger zu schützen, den Öffentlichen Gesundheitsdienst in der Pan- Deutschland hinkt bei der Digitalisierung demie zu entlasten und Einschränkungen, des Gesundheitswesens anderen Ländern etwa durch Schließungen von Schulen und weit hinterher. Digitale Werkzeuge wur- Geschäften, sowie die Kosten für die Steu- den in der Pandemiebekämpfung lange erzahler zu minimieren. Der Wissenschaft- viel zu zögerlich verwendet. So waren zum liche Beitrat beim Bundesministerium für Beispiel zu Beginn der Pandemie nur weni- Wirtschaft und Energie kommt zu einem ge Labore elektronisch an die Systeme der klaren Urteil: „In der Pandemie haben die- Gesundheitsämter angebunden. Zudem se Schwächen eine wirksame Antwort der wurden die Kontakte vielerorts durch ma- Politik auf die Krise und die Begrenzung des nuelle Auswertung von Listen mit Kontakt- ökonomischen Schadens massiv behindert.“ personen nachverfolgt. Beides hat in den Gesundheitsämtern viel Personal gebunden Digitales Corona-Impfzertifikat und trotz großen Engagements Warnungen Ein Parade-Beispiel für den Digi- verlangsamt. tal-Rückstand ist auch der digitale Coro- Erfreulich ist, dass der Einsatz digitaler na-Impfpass. Zwar ist dieser nützlich und Werkzeuge zur Pandemie-Bekämpfung wird gut angenommen. Jedoch konnten die zugenommen hat. Fakt ist aber auch, dass digitalen Corona-Impfzertifikate erst rund diese zu spät und nach wie vor teils zögerlich ein halbes Jahr nach Beginn der Impfkam- zum Einsatz kommen. Damit wurde wertvol- pagne ausgestellt werden, sodass Millionen le Zeit vertan, Infektionsketten frühzeitig zu von Impfungen nachträglich aufwendig 20 Im Fokus Schwarzbuch 2021/22
und mit zusätzlichen Kosten bescheinigt erleichtern sollte. Bis dies flächendeckend werden mussten (Lesetipp: Fall digitaler Co- in nahezu allen Gesundheitsämtern zur Ver- rona-Impfpass, S. 30). fügung stand, verging jedoch ein weiteres halbes Jahr. Infektionsmeldungen elektronisch über- mitteln – DEMIS LESE-TIPP Eine etablierte Möglichkeit zur elektroni- schen Meldung von Infektionskrankheiten Mehr zu DEMIS stand zum Ausbruch der Corona-Pande- lesen Sie auf mie nicht flächendeckend zur Verfügung. schwarzbuch.de Im Ergebnis war das Bearbeiten der Daten aufwendiger und Meldungen verzögerten sich. Der Einsatz des Faxgerätes in den Ge- www.schwarzbuch.de/demis sundheitsämtern ist dabei nicht nur eine Anekdote. Der Datenaustausch mit den La- boren erfolgte im Sommer 2020 tatsächlich Kontakte digital nachverfolgen – SORMAS bei rund zwei Drittel der Gesundheitsämter Die Kontaktnachverfolgung von Infizier- zumindest teilweise mit dem (Digital-)Fax. ten ist eine wesentliche Aufgabe der Ge- Seit Mitte 2020 stand mit DEMIS, dem Deut- sundheitsämter in der Pandemie. Obwohl schen Elektronischen Melde- und Informati- grundsätzlich spezialisierte Software im Ein- onssystem für den Infektionsschutz, ein Sys- satz ist, kamen in mehr als einem Drittel der tem zur Verfügung, das den Datenaustausch Ämter im Sommer 2020 noch Excel-Listen sowie die Zusammenarbeit aller Beteiligten zum Einsatz. 37% Prozent der Gesundheitsämter haben zu Beginn der Pandemie Kontakte mit Excel-Tabellen nachverfolgt Quelle: Deutscher Landkreistag/Deutscher Städtetag Um die Gesundheitsämter bei der Iden- zurück – teils aus mangelnder Akzeptanz, tifizierung und Überwachung von Kontakt- aber sicher auch wegen des ungünstigen personen im Rahmen der Corona-Pandemie Zeitpunkts der Softwareeinführung wäh- zu unterstützen, beschlossen die Gesund- rend einer laufenden Pandemie. heitsminister den flächendeckenden Ein- Wären etablierte und erprobte Verfah- satz der Kontaktnachverfolgungssoftware ren des digitalen Kontaktmanagements SORMAS. Die Nutzung in den Gesundheits- bereits zu Beginn der Pandemie eingeführt ämtern blieb jedoch hinter den Erwartungen gewesen, hätte dies die Gesundheitsämter Schwarzbuch 2021/22 Im Fokus 21
substanziell entlasten können. Zudem wäre neue Funktionen integriert. Für eine breite eine schnellere Nachverfolgung der Kon- Akzeptanz wurde auf eine dezentrale und takte möglich gewesen, um die Pandemie datensparsame Lösung gesetzt, die keine wirksamer einzudämmen und Schäden zu Anbindung an die Gesundheitsämter hat. begrenzen. Die Geschwindigkeit der Meldungen wur- de anfangs verzögert, da es lange gedauert hat, bis der überwiegende Teil der PCR-Test- LESE-TIPP labore und viele der Schnelltest-Zentren an Mehr zu SORMAS die App angeschlossen waren, um die Er- lesen Sie auf gebnisse automatisch zu übermitteln. Dar- schwarzbuch.de über, inwieweit die App einen echten Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leistet, ge- schwarzbuch.de/sormas hen die Meinungen auseinander. Welchen Beitrag sie tatsächlich geliefert hat, legt eine Hochrechnung des RKI (Stand Apps: Corona-Warn-App und Luca-App März 2021) nahe: Innerhalb eines Jahres Als weiterer Baustein in der Pandemiebe- konnte eine Infektion bei rund 140.000 Per- kämpfung kommen Apps zum Einsatz, mit sonen erkannt werden. denen sich Nutzer an bestimmten Orten registrieren oder sich vor möglichen Infekti- LESE-TIPP onen warnen können. Bundesweit bekannt sind die Corona-Warn-App (CWA) und die Mehr zu CWA Luca-App. lesen Sie auf Die CWA wurde mit Mitteln des Bundes schwarzbuch.de entwickelt und soll dabei helfen, Infektions- ketten möglichst schnell zu erkennen und schwarzbuch.de/cwa zu unterbrechen. Nach und nach wurden Ausgaben der Bundesländer für das Luca-System, in Mio. Euro Bayern Baden-Württemberg Niedersachsen Hessen Rheinland-Pfalz Berlin Brandenburg Summe: Schleswig-Holstein Sachsen-Anhalt 21,33 Mio. Euro Hamburg Mecklenburg-Vorpommern Saarland Bremen 0 1 2 3 4 5 Quelle: DER SPIEGEL Nr.33/2021 basierend auf Umfrage bei den Gesundheitsministerien der Bundesländer 22 Im Fokus Schwarzbuch 2021/22
Mit der privatwirtschaftlich entwickelten Auswirkungen auf die Lernerfolge sind ent- Luca-App können die Kontaktdaten von Per- sprechend: Lehrer berichten von deutlichen sonen, die sich an einem bestimmten Ort Lernrückständen bei den Schülern. aufhalten, digital erfasst werden. Besteht der Verdacht einer Infektion, kann das örtli- Mangelnde technische Ausstattung che Gesundheitsamt diese Daten abfragen, Monatelange Schulschließungen ha- um mögliche Infektionsketten nachzuvoll- ben normalen Unterricht in den Schulen ziehen. Später wurden weitere Funktionen unmöglich gemacht. Alternativ wurde – ergänzt, beispielsweise eine Warnung der soweit möglich – auf digitale Lernformate Nutzer vor erhöhtem Infektionsgeschehen. im Distanzunterricht gesetzt. Dabei war Für die Nutzer ist die App kostenfrei. Aller- nach Einschätzung der Lehrer zu Beginn dings müssen die Behörden beispielsweise der Pandemie (April 2020) nur jede dritte für die Lizenzen, Infrastruktur und den Sup- Schule gut oder sehr gut für den digitalen port zahlen. 13 Bundesländer haben Jahres- Fernunterricht ausgestattet. Das ist das Er- lizenzen erworben. Laut Recherchen des Ma- gebnis einer Forsa-Umfrage unter Lehrern. gazins DER SPIEGEL betragen die Ausgaben Selbst ein Dreivierteljahr später (Dezember der Bundesländer zusammen rund 21,3 Mio. 2020) hatte sich dieser Wert nur unwesent- Euro. lich verbessert. Der praktische Nutzen der App in den Dabei hakt es schon bei grundlegenden Kommunen wird unterschiedlich bewertet. Anforderungen: Nur gut ein Drittel der Leh- Manche geben an, mit dem Luca-System zu- rer sagte aus, dass ihre Schule über eine aus- frieden zu sein. Andere gebrauchen es mit reichend starke Internetverbindung verfügt. Verweis auf Datenschutz, Sicherheit und feh- Diesen subjektiven Eindruck verstärken Da- lenden Nutzen nicht. ten des Bundesministeriums für Verkehr Aus Sicht der Steuerzahler ist vor allem kri- und digitale Infrastruktur (BMVI), aus de- tisch zu sehen, dass manche Bundesländer nen hervorgeht, dass die Verfügbarkeit von die Leistungen für einen längeren Zeitraum Breitbandanschlüssen mit höheren Übertra- und nicht abhängig vom tatsächlichen Ge- gungsraten in Schulen gering ist. brauch eingekauft haben, was die Nutzung vermutlich teurer als nötig gemacht hat. (Le- Fehlende Konzepte und Kommunikation setipp: Luca-Fall aus Sachsen-Anhalt, S. 42). Die anhaltenden Probleme beim digita- len Fernunterricht sind nicht allein auf die technische Ausstattung zurückzuführen. LESE-TIPP Es mangelte auch an Kommunikation und Mehr zur Luca-App Konzepten. lesen Sie auf Auch ein Dreivierteljahr nach den ersten schwarzbuch.de Schulschließungen hatten 40 Prozent der Schulen noch immer kein Konzept, wie sie schwarzbuch.de/luca den Kontakt mit den Schülern und Eltern im Fernunterricht aufrechterhalten wollen, wie aus der genannten Forsa-Umfrage hervor- ⊲ Digitale Schulen – mangelnde Ausstat- geht. Weniger als jede vierte Schule hatte tung trifft auf fehlende Konzepte demnach ein Konzept dafür, wie im Fernun- terricht Schüler mit Lernschwierigkeiten un- Auch das öffentliche Bildungssystem terstützt werden können. Auch tatsächlicher wurde kalt von der Pandemie erwischt. Die oder vermeintlicher Datenschutz schien Schwarzbuch 2021/22 Im Fokus 23
Breitbandverfügbarkeit an Schulen in Deutschland je Breitbandklasse in Prozent 96,6 100 90,7 88,0 75,0 80 62,7 55,5 60 Quelle: BMVI (Stand Ende 2020) 37,2 40 20 0 ≥ 16 Mbit/s ≥ 30 Mbit/s ≥ 50 Mbit/s ≥ 100 Mbit/s ≥ 200 Mbit/s ≥ 400 Mbit/s ≥ 1.000 Mbit/s mancher pragmatischen Lösung im Wege 1,4 Mrd. Euro wurden beantragt, aber noch zu stehen. nicht abgerufen. Somit sind zwei Jahre nach Dennoch hat die Pandemie einen deut- dem Start des Digitalpaktes nur etwas mehr lichen Entwicklungssprung ausgelöst. So als ein Zehntel der zur Verfügung stehenden hat die Nutzung digitaler Tools merklich Mittel tatsächlich in den Schulen angekom- zugenommen – beispielsweise für den indi- men. viduellen Austausch mit Schülern oder das Die Gründe für den langsamen Mittel- Verteilen von Aufgaben. abfluss sind vielfältig. Zum einen fehlt es an IT-Spezialisten, um Projekte umzusetzen, Finanzierung: „Digitalpakt Schule“ zum anderen müssen Aufträge ausgeschrie- Die Digitalisierung der öffentlichen Bil- ben werden, was wiederum Zeit kostet. Zu- dung scheitert bisher nicht an der Finanzie- dem wird die Bürokratie der Antragsver- rung. Das zeigt der Blick auf den „Digitalpakt fahren beklagt. Nicht zuletzt zeigt sich ein Schule“, dem der Bund mittlerweile 6,5 Mrd. häufiges Problem der Mischfinanzierung: Euro für Investitionen in die kommunale di- Die Kommunen werden mit den Folgekos- gitale Bildungsinfrastruktur zur Verfügung ten allein gelassen. Da sie diese scheuen, hal- stellt. Die Länder haben sich verpflichtet, ten sie sich bei Investitionen zurück – und die mindestens weitere 10 Prozent dieser Sum- Digitalisierung der Schulen stockt, obwohl me aufzubringen. Somit stehen im Rahmen Geld zur Verfügung steht. des „Digitalpakts Schule“ bis 2024 mehr als 7 Mrd. Euro zur Verfügung, um Schulen zu 4. Geld allein macht nicht glücklich digitalisieren. Diese Mittel werden jedoch nur schleppend abgerufen: Bis Mitte 2021 Insbesondere in der Corona-Krise saß das waren rund 852 Mio. Euro abgeflossen. Rund Steuergeld auch für digitale Projekte locker. 24 Im Fokus Schwarzbuch 2021/22
So wurden beispielsweise für die Digitalisie- les. Die für die Wahrung des Wettbewerbs rung von Verwaltungsleistungen (Umset- zuständige Monopolkommission befürchtet, zung des OZG) und die Aufbereitung und dass durch diese Förderung der privatwirt- Verknüpfung dezentraler Datenbestände schaftliche Ausbau verdrängt werden könn- (Registermodernisierung) 3,3 Mrd. Euro te. Heißt: Der Steuerzahler würde den Aus- zusätzlich durch den Bund zur Verfügung bau dort finanzieren, wo dies mit Steuergeld gestellt. Für die Digitalisierung der Schulen nicht nötig wäre. Der Staat sollte seine knap- gab es zusätzlich 1,5 Mrd. Euro. Das Problem pen Ressourcen auf die Bereiche bündeln, in dabei ist, dass diese Projekte teils durch denen partout keine privaten Investitionen Schulden – und damit nicht nachhaltig – fi- zu erwarten sind, um die politischen Ziele zu nanziert sind. Zudem vernebeln die Milliar- erreichen. (Lesetipp: Fall Breitbandausbau densummen den Blick auf drei wesentliche Brandenburg, S. 40; Fall Breitbandausbau Probleme und Hürden. Sachsen, S. 36). ⊲ Probleme und Hürden Organisationsversagen Schließlich wird deutlich, dass Geld allein Finanzierung durch Schulden nicht ausreicht, um die Digitalisierung er- Die digitale Modernisierung der Verwal- folgreich voranzubringen. Teilweise fließen tung, des öffentlichen Gesundheitswesens Mittel gar nicht erst ab, wie oben für den und der öffentlichen Bildung sind Dauer- „Digitalpakt Schule“ bereits exemplarisch aufgaben, die nicht erledigt sind, wenn die beschrieben. Auch der Wissenschaftliche schuldenfinanzierten Konjunkturmilliarden Beirat beim Bundesministerium für Wirt- – zum Beispiel für die Digitalisierung der schaft und Energie kommt zu dem Schluss, Schulen oder von Verwaltungsleistungen dass die „Bewältigung der digitalen Trans- für Bürger und Unternehmen – ausgege- formation in der öffentlichen Verwaltung ben sind. Auch danach werden Ausgaben […] nur zum Teil eine Frage der finanziellen für digitale Strukturen und Prozesse und Ressourcen“ sei. deren Pflege notwendig sein. Daher müs- Weiter stellen die Berater fest: „Auch sen diese Ausgaben aus den laufenden Ein- eine massive Erhöhung der zur Verfügung nahmen bestritten werden können. Aufgabe stehenden Mittel könnte keine Beschleu- der Politik ist es, die richtigen Prioritäten im nigung bewirken, wenn nicht gleichzeitig Haushalt zu setzen, damit diese Ausgaben Abläufe bei Planung und Umsetzung ver- dauerhaft finanzierbar sind. einfacht und Aufgaben besser verteilt wer- den.“ Die Regierungsberater urteilen, dass Steuergeld kann private Initiativen der „Rückstand Deutschlands bei der Digi- verdrängen talisierung oftmals weniger auf fehlenden Es besteht die Gefahr, dass staatliches finanziellen Mitteln oder Marktversagen, Geld private Anbieter verdrängt und der sondern auf verschiedenen Formen von Or- Staat somit mehr ausgibt als zum Erreichen ganisationsversagen“ beruht. der Ziele notwendig ist. Ein Beispiel ist der Fazit: Statt aktionistisch neues Steuergeld Breitbandausbau, den die Bundesregierung zu bewilligen, muss die Finanzierung durch seit Jahren mit zig Milliarden Euro fördert. richtige Prioritäten langfristig sichergestellt Zuletzt wurde die Förderung erheblich aus- werden. Zudem muss die Politik wesentliche geweitet: Jetzt werden auch Gebiete geför- Hürden aus dem Weg räumen und die rich- dert, in denen es ein einigermaßen schnelles tigen Weichen für die Digitalisierung stellen. Internet gibt, aber noch kein super-schnel- Folgendes ist nötig: Schwarzbuch 2021/22 Im Fokus 25
⊲ Digitale Transformation – kulturelle tauglichkeit zu prüfen – ob sie also mit den und organisatorische Herausforderun- neuen digitalen Möglichkeiten einfach voll- gen meistern zogen werden können. In Dänemark wurde mit dem bereits 2018 eingeführten obliga- Der Koordinierungsaufwand und der torischen digitalen Tauglichkeitscheck gute damit einhergehende Struktur- und Kultur- Erfahrungen gemacht. Dabei wird u. a. ge- wandel der Digitalisierung der Verwaltung prüft, ob digitale Kommunikation und eine wurden unterschätzt. Soll die Digitalisierung automatische Sachbearbeitung möglich der Verwaltung gelingen, braucht es mehr sind. Geprüft wird aber auch, ob Begriffe als nur neue Technik. Die digitale Transfor- einheitlich definiert sind und Daten wieder- mation braucht ein neues Denken: neue Or- verwendet werden können. Sichere Daten- ganisationsformen, eine neue Art der Füh- verwaltung spielt dabei ebenso eine Rolle rung und Weiterbildung. wie die Vermeidung von Betrug und Fehlern. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl kon- kreter Themen organisatorischer und recht- Grundlegendes zuerst: Standards setzen licher Art, die angegangen werden müssen. Wenn digitale Verwaltungsangebote flächendeckend in allen föderalen Ebe- Digital-TÜV etablieren und Recht digital- nen funktionieren sollen, ist es essenziell, tauglich machen verbindliche Standards festzulegen – für Die Digitalisierung von Verwaltungsleis- Schnittstellen und die Gesamtarchitektur. tungen ist ein guter Anlass, um bestehen- Wenn an allen Enden gewerkelt wird, muss de Verfahren insgesamt zu vereinfachen. zuvor definiert worden sein, wie die Teile zu- Geschehen ist bisher jedoch wenig. Zwar sammenpassen sollen. Laut Einschätzung wollten CDU, CSU und SPD laut Koalitions- des Normenkontrollrats (NKR) hat Deutsch- vertrag der vergangenen Legislaturperiode land hier noch großen Nachholbedarf. Auf „alle bisherigen und zukünftigen Gesetze die verbindliche Klärung dieser Fragen muss auf ihre Digitaltauglichkeit überprüfen und mehr Energie verwendet werden! E-Government-fähig machen“. In Wirklich- keit ist aber wenig passiert. Innovative Vergabeverfahren für Software Damit wurde die Chance vertan, schlan- Nicht zuletzt muss im Vergabewesen kere und unbürokratischere Verfahren zu berücksichtigt werden, dass IT-Lösungen schaffen, die wiederum die Voraussetzung schnelllebig sind und agil erarbeitet werden. für nutzerfreundliche und praxistaugliche Insgesamt sollte die Beschaffung standardi- technische Lösungen sind. sierter Softwarelösungen vereinfacht wer- Hinderlich für digitale Verfahren ist bei- den – beispielsweise über eine gemeinsame spielsweise, dass Rechtsbegriffe nicht ein- Plattform, eine Art föderaler App-Store, wie heitlich definiert sind. Dies betrifft u. a. den es der NKR anregt. Wichtig ist dabei, dass Einkommensbegriff. Es ist von Verfahren diese Plattform auch offen für Lösungen der zu Verfahren zum Teil unterschiedlich, was Privatwirtschaft ist, um den Wettbewerb für darunter verstanden wird. Dies macht es die besten und wirtschaftlichsten Lösungen schwierig, den Grundsatz umzusetzen, dass zuzulassen. Bürger und Unternehmen Daten nur ein- mal bei einer Verwaltung eingeben müssen Digital-Agentur statt Digital-Ministerien („Once Only“). Populär ist die Forderung nach Digi- Deutschland braucht endlich einen Di- tal-Ministerien – im Bund und in den Län- gital-TÜV für Gesetze, um sie auf Digital- dern. In ersten Bundesländern sind bereits 26 Im Fokus Schwarzbuch 2021/22
Foto: Adi Goldstein/Unsplash Digital-Ministerien eingerichtet worden. doch keine gute Idee zu sein. Helfen könn- Auch auf Bundesebene gibt es Forderungen te eine schlagkräftige Digital-Agentur, die nach einem eigenen Ministerium für Digita- den Verwaltungen in Bund, Ländern und lisierung. Kommunen vor allem strategisch und kon- Dabei sprechen internationale Erfahrun- zeptionell zur Seite steht. Auch wenn eine gen nicht dafür, ein eigenes Ministerium solche Agentur viele Mitarbeiter beschäfti- einzurichten, wie eine aktuelle Untersu- gen müsste, wäre dies nach Einschätzung chung von Experten der Hertie School zeigt: des NKR nur ein Bruchteil der verteilten Mit- Obwohl drei europäische Länder (Polen, Lu- arbeiterressourcen in Bund, Ländern und xemburg, Griechenland) eigene Digital-Mi- Kommunen, die sogar zusammen nicht jene nisterien haben, belegen sie hintere Plätze Schlagkraft aufbringen würden. bei internationalen Vergleichen. Demnach sind bei den Digital-Spitzen- Föderalismusreform reitern zwei wesentliche Gemeinsamkeiten Deutschland ist föderal organisiert, was festzustellen: Erstens ist die Digitalisierung viele Vorteile mit sich bringt. Die föderale in einem starken Ministerium wie dem Fi- Organisation hat aber auch dazu geführt, nanz-, Wirtschafts- oder Innenministerium dass die Verwaltungen über die föderalen oder gleich in der Regierungszentrale ange- Ebenen hinweg immer weiter verschränkt siedelt. Zweitens wurde eine starke Agentur sind. Dies erhöht die Komplexität bei der Di- für die Umsetzung etabliert. Damit wurden gitalisierung der Verwaltung erheblich. Von beispielsweise in Dänemark, Estland und einer „Komplexitätsfalle“ ist mittlerweile die Australien gute Erfahrungen gemacht. Rede. Mancher kommunale Vertreter spricht Daraus folgt: Richtig ist, dass die Digita- von einer koordinativen Überforderung und lisierung mehr politische und strategische ruft nach Vereinfachung. Aufmerksamkeit braucht. Vor dem Hin- Vor diesem Hintergrund braucht es ein tergrund der internationalen Erfahrungen neues Denken, weil die Digitalisierung nicht scheint ein eigenes Digital-Ministerium je- einfach in die herkömmlichen Verwaltungs- Schwarzbuch 2021/22 Im Fokus 27
auf. Im Zuge des Corona-Konjunkturpakets Foto: Glenn Carstens-Peters/Unsplash 2020 kamen weitere 3 Mrd. Euro aus dem Bundeshaushalt hinzu, die anteilig auch den Ländern zur Verfügung stehen. Eng mit der Digitalisierung der Verwaltungsleistungen verbunden ist auch die Modernisierung der Register, also der bei den Verwaltungen ge- speicherten Daten, für die im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets 300 Mio. Euro zur Verfügung gestellt wurde. strukturen passt. Sinnvoll scheint, die bishe- Weitere Ausgaben kamen für zusätzli- rige Aufgabenverteilung zwischen Kommu- ches Personal hinzu. Das Bundesinnenmi- nen, Ländern und dem Bund mit Blick auf die nisterium (BMI), das die Gesamtkoordina- digitale Modernisierung des Staates erneut tion übernommen hat, hat 40 zusätzliche auf den Prüfstand zu stellen. Um Bund, Län- Stellen allein bis Ende 2018 erhalten. Auch der und Kommunen digitalisierungs-dien- im Bundeskanzleramt gibt es Mitarbeiter zur lich zu entflechten, sollte eine neue Födera- Koordination. Trotzdem wird zusätzliche Ex- lismusreform angestrebt werden. pertise in Form externer Berater eingekauft. Dass dies immer nötig war, bezweifelt der 5. Exkurs Onlinezugangsgesetz (OZG) NKR und stellt kritisch fest: Dabei sei „nicht immer ersichtlich, worin das spezielle Know- Bis Ende 2022 soll es für Bürger und Un- How besteht und warum die übernomme- ternehmen möglich sein, einen großen Teil nen Aufgaben nicht von Verwaltungsmitar- ihrer Behördengänge digital zu erledigen. beitern erledigt werden könnten“. Insgesamt sollen 575 Verwaltungsleistun- gen von Kommunen, Ländern und dem ⊲ Stand der Umsetzung und bisherige Bund über ein Portal zugänglich werden – Erkenntnisse beispielsweise die Beantragung von BAföG, Elterngeld oder die Zulassung eines Autos. Die Digitalisierung von nahezu 600 Ver- Geregelt ist dies über das sogenannte On- waltungsleistungen ist alles andere als trivial. linezugangsgesetz, kurz: OZG, das Bundes- Die Verwaltungen auf allen Ebenen müssen tag und Bundesrat 2017 im Zuge der Neuord- nicht nur die technischen, sondern auch die nung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen rechtlichen und organisatorischen Voraus- beschlossen haben. Die Digitalisierung der setzungen schaffen. Erschwerend kommt Verwaltungsleistungen soll Bürgern und hinzu, dass über die Jahre hinweg auf allen Unternehmen einen bequemeren Zugang Ebenen verschiedene Einzellösungen ent- gewährleisten sowie bei ihnen und der Ver- standen sind, die zusammengefügt werden waltung Zeit und Geld sparen. müssen, damit die Bürger und Unterneh- men unkompliziert die Verwaltungsleistun- ⊲ Kosten und Personal gen nutzen können. Finanziert wird die OZG-Umsetzung Hohe Dynamik, aber unterschätzter anteilig durch den Bund und die Länder. Kulturwandel 500 Mio. Euro waren dafür in der 19. Legisla- Das Megaprojekt hat viel Bewegung aus- turperiode zunächst im Bundeshaushalt ein- gelöst, Wille und die Bereitschaft zur Digi- geplant, weitere Mittel bringen die Länder talisierung der Verwaltungsleistungen sind 28 Im Fokus Schwarzbuch 2021/22
erkennbar. Viel Energie ist dabei bisher in die ckend – also im Bund, den Ländern und allen rechtlichen und organisatorischen Struktu- Kommunen – online verfügbar. ren geflossen. Unterschätzt wurden hinge- Insgesamt bleibt festzustellen, dass trotz gen der Koordinierungsaufwand und der diverser öffentlicher Quellen zur OZG-Um- notwendige Struktur- und Kulturwandel in setzung wesentliche Informationen fehlen: der Verwaltung. Wie viele Leistungen sind wie in welcher Tie- fe digitalisiert und stehen flächendeckend Konkreter Stand der Umsetzung unklar zur Verfügung? Auch die Antwort auf eine Der genaue Stand der Digitalisierung BdSt-Anfrage im Land Nordrhein-Westfa- der Verwaltungsleistungen ist unklar. Im len, das von sich behauptet, zusammen mit Sommer 2021 verkündete der federführende Baden-Württemberg an der Spitze der Bun- Bundesinnenminister, dass bei der Digitali- desländer beim Angebot digitaler Dienst- sierung von öffentlichen Dienstleistungen leistungen zu stehen, gibt keinen umfas- „ein wunderbarer Fortschritt“ zu verzeich- senden Aufschluss über den Stand. Klar ist nen sei. 85 von 115 Bundesleistungen seien nur: Weniger als anderthalb Jahre, bevor das digitalisiert. In den Ländern und Kommunen OZG umgesetzt sein soll, ist noch viel zu tun. seien 315 von insgesamt 575 Leistungen on- line verfügbar. Weniger Bürokratie: „Once Only“ und Diese Angaben sind jedoch weniger digitale Identität aussagekräftig, als es auf den ersten Blick Um Bürger, Unternehmen und die Ver- scheint. Als erfolgreich kann die Digitalisie- waltung mittels digitaler Leistungen tat- rung der Verwaltungsleistung nämlich erst sächlich wirksam von Bürokratie zu ent- dann gelten, wenn sie flächendeckend an- lasten, müssen die Verfahren möglichst geboten und von Bürgern und Unterneh- unkompliziert sein – das gilt für den Nach- men tatsächlich genutzt wird. Daher gibt weis der eigenen Identität genauso wie für die bloße Zahl digitalisierter Einzel-Leistun- die Eingabe der erforderlichen Daten. gen noch kein verlässliches Gesamtbild zum Die eigene Identität mittels elektroni- Stand der Umsetzung. Der jüngste Bericht schem Personalausweises (eID) nachzuwei- des Normenkontrollrats verschafft immer- sen ist bisher nicht nutzerfreundlich und hin einen Eindruck zum Umsetzungsstand. wird nur spärlich genutzt. Damit fehlt bisher Demnach waren Mitte August 2021 erst 16 eine wesentliche Säule der digitalen Staats- der angepeilten 575 Leistungen flächende- modernisierung. VEREINFACHTE ONLINE KFZ-ZULASSUNG IN BAYERN Dass Online-Services gern angenom- ses (nPA) zu authentifizieren, die für die men werden, wenn sie unbürokratisch zu Bürger bisher nicht anwenderfreundlich nutzen sind, zeigt ein Versuch aus Bayern. genug gestaltet ist. Die sogenannte Bayer- Im Zuge der Corona-Pandemie wurde Fahr- nID, die mit Benutzername und Passwort zeughaltern der Zugang zur internetbasier- angelegt werden kann, reichte aus. Die ten Zulassung und Abmeldung erleichtert. Nutzungsquote stieg dank des bequeme- Es war damit nicht mehr notwendig, sich ren Zugangs laut Normenkontrollrat um mit der eID-Funktion des Personalauswei- das Neunzehnfache. Schwarzbuch 2021/22 Im Fokus 29
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