Im Fokus: Digitale Staats-Modernisierung - Im Fokus - Schwarzbuch

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Im Fokus

Im Fokus:
Digitale Staats-
Modernisierung

10   Im Fokus   Schwarzbuch 2021/22
Im Fokus: Digitale Staats-Modernisierung - Im Fokus - Schwarzbuch
Die Corona-Pandemie hat die Bedeu-             men und auch die eigene Verwaltung zu
tung der Digitalisierung für eine funktionie-     entlasten – in Zeiten hoher Schulden und
rende Gesellschaft unter Krisenbedingun-          steuerlicher Belastungen ist dies notwendi-
gen mit Wucht ins Bewusstsein gerufen.            ger denn je. Die digitale Modernisierung des
Gesundheitsämter, die mit Faxgeräten und          Staates erfordert ein neues Denken in der
Tabellen Infektionen nachvollziehen, um so        Verwaltung. Wichtig dabei ist, die Bedürfnis-
die Pandemie einzudämmen, sowie langsa-           se der Bürger und der Unternehmen stärker
me, betrugsanfällige Antragsverfahren für         in den Blick zu nehmen, diese von Bürokratie
Hilfszahlungen und nicht zuletzt Schulen,         zu entlasten und Leistungen unkompliziert
denen es an Technik und Konzepten für den         zur Verfügung zu stellen.
digitalen Fernunterricht fehlte, haben die            Die große Aufmerksamkeit, die die digitale
Nachteile des Digitalrückstands schmerzlich       Staatsmodernisierung – von der Verwaltung
offengelegt.                                      über den öffentlichen Gesundheitsdienst
   Dabei bringt eine konsequente Digitali-        bis hin zum öffentlichen Bildungssystem –
sierung der Verwaltung erhebliche Potenzi-        seit Beginn der Pandemie genießt, ist eine
ale zur Entbürokratisierung und Einsparung        Chance. Vieles ist in Bewegung geraten und
mit sich. Denn Digitalisierung ist kein Selbst-   wurde beschleunigt. Jetzt müssen die rich-
zweck. Ziel ist ein besseres und effizienteres    tigen Lehren aus der bisher schleppenden
Handeln des Staates, um Bürger, Unterneh-         Digitalisierung gezogen werden.

Das Wichtigste in Kürze: Strukturen modernisie-
ren, Wettbewerb und Innovationen ermöglichen
    Die Analyse der Themenfelder zeigt das        nis nun eine breite Basis hat, ist eine Chance,
Potenzial einer konsequenten digitalen            um die seit Jahren viel zu zögerliche digitale
Staatsmodernisierung auf und ordnet – an-         Modernisierung der Verwaltung voranzu-
hand von Beispielen und internationalen           bringen.
Vergleichen – ein, wo Deutschland derzeit             Diverse Erhebungen sowie Erfahrungen
steht. Beispiele veranschaulichen die Lü-         aus dem Ausland zeigen: Durch konsequen-
cken, die durch die Krise offenbar wurden.        te digitale Modernisierung der öffentlichen
Ein Fokus liegt auch auf der Digitalisierung      Verwaltung könnten den Bürgern, Unter-
eines Großteils der Verwaltungsleistungen,        nehmen und der Verwaltung selbst viel Zeit
die gemäß dem Onlinezugangsgesetz für             und somit mehrere Milliarden Euro jährlich
Bürger und Unternehmen bis Ende 2022              erspart werden. Mit Blick auf die hohe öffent-
flächendeckend zur Verfügung stehen sol-          liche Verschuldung und Fachkräftemangel
len. So komplex und unterschiedlich die           ist ein Digitalisierungsschub in der Verwal-
Beispiele auch sind, wird dennoch deutlich,       tung unausweichlich. Nicht zuletzt müssen
dass daraus allgemeine Schlüsse gezogen           Bürger und Unternehmen erwarten dürfen,
werden können.                                    von bürokratischen Lasten befreit zu wer-
    Im Vergleich zu anderen Industrienati-        den.
onen ist die Digitalisierung der deutschen            Vorschnell wird nun nach mehr Geld für
Verwaltung weit unterdurchschnittlich ent-        die Digitalisierung gerufen. Fakt ist aber,
wickelt. In der Krise hat sich dieser Rückstand   dass bereits erhebliche Summen zur Verfü-
ganz besonders gezeigt. Dass diese Erkennt-       gung stehen, die aber zum Teil nicht genutzt

Schwarzbuch 2021/22                                                              Im Fokus      11
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werden. Die Erfahrung zeigt: Mehr Steuer-              neut eingegeben werden zu müssen.
geld wird die Probleme somit nicht lösen,              Grundlage hierfür ist, dass die Register
das bewilligte Geld muss auch ankommen.                modernisiert werden.
Vor allem muss klar sein, dass Digitalisierung     ⊲   Der Nachweis der eigenen elektroni-
eine Daueraufgabe ist, die langfristig und             schen Identität muss deutlich nutzer-
aus laufenden Einnahmen finanziert wer-                freundlicher werden. Dies sollte in enger
den muss. Die Digitalisierung braucht eine             Zusammenarbeit mit Unternehmen pas-
solide Grundfinanzierung statt kurzfristigen           sieren, da die Lösungen so eine deutlich
Aktionismus.                                           breitere Akzeptanz finden.
    Die Verantwortlichen in Bund und Län-          ⊲   Um Prozesse zu digitalisieren und un-
dern müssen dies entsprechend in ihren fi-             bürokratischer zu gestalten, müssen
nanziellen Planungen berücksichtigen und               Rechtsnormen angepasst werden. Ein
Prioritäten setzen statt ad hoc weitere Schul-         Digital-TÜV für Gesetze sollte alle Vor-
den aufzunehmen.                                       haben auf Digitaltauglichkeit prüfen.
    Folgende Schlüsse sollten aus dem aktu-        ⊲   Die Digitalisierung über alle Ebenen hin-
ellen Stand und den bisherigen Erfahrungen             weg steckt in einer Komplexitätsfalle.
der digitalen Staatsmodernisierung gezo-               Daher sollte eine neue Föderalismus-
gen werden:                                            reform angestoßen werden, um Bund,
                                                       Länder und Kommunen digitaltauglich
Strukturen modernisieren                               zu entflechten.

⊲ Die Verwaltung zu digitalisieren ist eine        Wettbewerb und Innovationen
     Querschnittsaufgabe über alle Ressorts        ermöglichen
     und Ebenen hinweg. Dass ein eigenes Di-
     gitalministerium hier bessere Ergebnis-       ⊲ Für die Beschaffung von Software müs-
     se liefert, muss bezweifelt werden. Erfolg-       sen innovative Vergabeverfahren entwi-
     reiche Digitalnationen setzen in der Regel        ckelt werden, beispielsweise durch eine
     auf ein bereits bestehendes Ministerium           Plattform mit technischen und vertrag-
     als Koordinator und ergänzen dieses um            lichen Standards (föderaler App-Store).
     eine schlagkräftige Digitalagentur, die           Wichtig ist dabei, dass geschlossene Sys-
     den Wandel auf allen Ebenen strategisch           teme vermieden werden, in denen nur
     unterstützen kann.                                wenige Anbieter und Lösungen vertreten
⊲    Der Struktur- und Kulturwandel hin zu             sind.
     einer digitalen Verwaltung ist schwieriger    ⊲   Bevor kommunale oder landeseigene
     zu bewältigen als der technische. Daher           IT-Dienstleister Softwarelösungen entwi-
     braucht der organisatorische und kultu-           ckeln, sollte geprüft werden, ob es nicht
     relle Wandel in den Behörden größere              bereits gute Lösungen am Markt gibt,
     Aufmerksamkeit.                                   bevor eigene und ggf. teure eigene Ent-
⊲    Um Bürger, Unternehmen und die Ver-               wicklungen in Auftrag gegeben werden.
     waltung wirklich von Bürokratie zu ent-           Dabei ist auch zu ermitteln, ob der Einsatz
     lasten, muss das „Once Only“-Prinzip              von Open Source für das konkrete Vor-
     konsequent umgesetzt werden. Daten,               haben vorteilhaft wäre. Wirtschaftlich-
     die bereits bei einer Verwaltung vorlie-          keitsuntersuchungen sind konsequent
     gen, können dann unter Wahrung des                durchzuführen.
     Datenschutzes durch Zustimmung des            ⊲   Die begrenzten staatlichen Ressourcen
     Besitzers verwendet werden, ohne er-              sollten – beispielsweise beim Breitband-

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ausbau – stärker auf die Projekte fokus-         einfachte Zugang zur Kfz-Zulassung. Es
    siert werden, bei denen es tatsächlich ein       sollte geprüft werden, welche Vereinfa-
    Marktversagen gibt. Andernfalls könnten          chungen bestehen bleiben können.
    private Initiativen verdrängt und der        ⊲   Öffentliche Daten automatisch, elek-
    Wettbewerb auf Kosten der Steuerzahler           tronisch und maschinenlesbar zur freien
    eingeschränkt werden.                            Wiederverwendung zur Verfügung zu
⊲   Während der Corona-Pandemie wurden               stellen, hat erhebliches wirtschaftliches
    ausgewählte Verfahren vereinfacht, zum           sowie innovatives Potenzial und macht
    Beispiel die elektronische Bekanntma-            staatliches Handeln transparenter. Daher
    chung von Plänen im Planungs- und                müssen öffentliche Daten konsequent
    Genehmigungsverfahren und der ver-               zur Verfügung gestellt werden.

Analyse der Themenfelder
    Die BdSt-Vorschläge für die digitale         tungsprozessen ließen sich Effizienzpoten-
Staatsmodernisierung liegen auf dem Tisch.       ziale in Milliardenhöhe heben. Davon geht
Die folgenden Analysen zeigen, wie mit der       der Normenkontrollrat (NKR), ein seit 2006
Digitalisierung Kosten gespart und Bürokra-      eingesetztes Beratergremium für die Bun-
tie abgebaut werden kann, wo Deutschland         desregierung, aus.
im internationalen Vergleich steht, welche           Eine Untersuchung für den NKR aus dem
Digital-Lücken die Corona-Krise offenge-         Jahr 2017 kommt zum Ergebnis, dass bei
legt hat und warum mehr Geld alleine das         einer vollständigen Digitalisierung der am
Problem der schleppenden Digitalisierung         häufigsten genutzten Verwaltungsleistun-
nicht lösen wird. Abschließend werfen wir        gen für Bürger, wie zum Beispiel der Antrag
noch einen Blick auf den Stand der Umset-        für das Kindergeld oder die Kfz-Zulassung,
zung des Onlinezugangsgesetzes – eines der       nahezu die Hälfte (47 Prozent) des bisheri-
wichtigsten laufenden Projekte, um Verwal-       gen Zeitaufwands entfiele.
tungsleistungen für Bürger und Unterneh-             Unternehmen würden sogar mehr als die
men zu digitalisieren.                           Hälfte (54 Prozent) der Bürokratiekosten spa-
                                                 ren, wenn die am häufigsten beanspruchten
1. Digitalisierung senkt Kosten                  Verwaltungsleistungen, wie etwa die An-
und Bürokratie                                   meldung eines Gewerbes, vollständig digi-
                                                 talisiert würden. Dies entspräche einer Ein-
    Die Digitalisierung der Verwaltung kann      sparung von 1 Mrd. Euro pro Jahr. Und auch
den Bürgern, Unternehmen und der Ver-            die Verwaltung würde so deutlich entlastet.
waltung selbst eine Menge Zeit und Kosten        Die Autoren schätzen, dass sich der Aufwand
sparen und somit das Leben deutlich er-          für die Verwaltung um rund 60 Prozent ver-
leichtern. Rund 200 Kontakte zu Behörden         ringern würde, was einer Einsparung von
hat ein mittelständisches Unternehmen pro        3,9 Mrd. Euro pro Jahr entspräche.
Jahr. Und auch die Bürger verbringen die ein         Und noch einen positiven Effekt hätte die
oder andere Stunde beim Warten auf dem           konsequente Vernetzung vorhandener Da-
Amt oder damit, sich einen Termin zu orga-       ten: Die amtliche Statistik könnte mit einem
nisieren oder Formulare auszufüllen.             registerbasierten Zensus ihre Kosten um
    Durch konsequente Digitalisierung von        87 Prozent senken, was einer Einsparung von
Verwaltungsdienstleistungen und Verwal-          580 Mio. Euro entspräche.

Schwarzbuch 2021/22                                                            Im Fokus     13
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Entlastung bei vollständiger Digitalisierung ausgewählter
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                                                             für Bürger*                für Unternehmen**                 für Verwaltungen
                                                                 47%                           54%                               60%
Quelle: Nationaler Normenkontrollrat (2017)

                                                            1,4 Mrd. Euro                    1 Mrd. Euro                    3,9 Mrd. Euro

                                                   Legende: *) bei vollständiger Digitalisierung der TOP-35-Verwaltungsleistungen; **) bei vollständiger
                                                   Digitalisierung der TOP-30-Verwaltungsleistungen

                                                 Auch Praktiker in der Verwaltung sehen               werden. Das Kosteneinsparpotenzial durch
                                              ein erhebliches Einsparpotenzial durch die              Prozessoptimierung mittels E-Government
                                              Digitalisierung. So kam die „Kommunale                  schätzten die Experten auf 20 bis 40 Prozent.
                                              Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsma-                     Dass sich die Einsparpotenziale durch
                                              nagement“ (KGSt), ein Fachverband für                   konsequente Digitalisierung tatsächlich in
                                              kommunales Management, der von Städ-                    dieser Größenordnung bewegen, zeigt die
                                              ten, Gemeinden und Landkreisen getragen                 Erfahrung in Dänemark. Die Digitalisierung
                                              wird, bereits 2011 in einer Studie zum Ergeb-           der Verwaltung hat dort die Bearbeitungs-
                                              nis, dass rund 80 Prozent der Kernprozesse              zeit um 30 Prozent reduziert. Die Digitalisie-
                                              in Städten und Gemeinden das Potenzial                  rung der Kommunikation spart dem Staat
                                              haben, durch E-Government effizienter zu                345 Mio. Euro pro Jahr. Bei rund 5,8 Mio. Ein-

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Im Fokus: Digitale Staats-Modernisierung - Im Fokus - Schwarzbuch
wohnern sind das immerhin rund 60 Euro                                                                                                           des „European Center for Digital Competi-
                                                                                  pro Bürger. Auf die Einwohnerzahl Deutsch-                                                                                                       tiveness“ aus dem Jahr 2021 zum Ergebnis,
                                                                                  lands hochgerechnet ergäbe dies rechne-                                                                                                          dass 94 Prozent der Führungsspitzen aus
                                                                                  risch eine Einsparung von rund 5 Mrd. Euro                                                                                                       Wirtschaft und Politik erheblichen Nachhol-
                                                                                  pro Jahr.                                                                                                                                        bedarf bei der Digitalisierung im staatlichen
                                                                                                                                                                                                                                   Bereich sehen.
                                                                                  2. Deutschland hinkt bei der                                                                                                                        Dass diese Eindrücke nicht bloß subjektiv
                                                                                  Digitalisierung hinterher                                                                                                                        sind, bestätigen auch diverse internationale
                                                                                                                                                                                                                                   Vergleiche des E-Governments, bei denen
                                                                                     Bei der Digitalisierung ist Deutschland                                                                                                       Deutschland in der Regel weit hinten ran-
                                                                                  im Vergleich zu anderen Ländern im Hinter-                                                                                                       giert. Im „Digital Economy and Society In-
                                                                                  treffen. Zum Stand des E-Government stellte                                                                                                      dex (DESI)“ der Europäischen Kommission
                                                                                  der NKR im Jahr 2021 ernüchtert fest: „Die                                                                                                       belegt Deutschland bei der Bereitstellung
                                                                                  Bundesregierung hat die Bedeutung der                                                                                                            digitaler öffentlicher Dienste im Vergleich
                                                                                  Digitalisierung der Verwaltung erkannt. Er-                                                                                                      mit den anderen Mitgliedstaaten nur einen
                                                                                  gebnisse aber lassen auf sich warten.“                                                                                                           Platz im hinteren Drittel: Platz 21 von 28 – und
                                                                                     Dieser Eindruck ist auch unter den Bür-                                                                                                       damit deutlich unter dem EU-weiten Durch-
                                                                                  gern weit verbreitet. So kommt eine Studie                                                                                                       schnitt.
Quelle: Europäische Kommission (2020), Digital Economy and Society Index (DESI)

                                                                                                                                                                     Digitale öffentliche Dienste im
                                                                                    DESI Score
                                                                                                                                                                      EU-weiten Vergleich (DESI)
                                                                                      100

                                                                                       80

                                                                                       60

                                                                                       40

                                                                                       20

                                                                                        0
                                                                                            Estland
                                                                                                 Spanien
                                                                                                     Dänemark
                                                                                                          Finnland
                                                                                                                Lettland
                                                                                                                      Litauen
                                                                                                                          Niederlande
                                                                                                                                Australien
                                                                                                                                        Irland
                                                                                                                                            Schweden
                                                                                                                                                  Malta
                                                                                                                                                     Frankreich
                                                                                                                                                           Portugal
                                                                                                                                                                Luxemburg
                                                                                                                                                                  Europäische
                                                                                                                                                                           Vereinigtes
                                                                                                                                                                            Belgien
                                                                                                                                                                              Union Königreich
                                                                                                                                                                                       Slowenien
                                                                                                                                                                                              ZypernItalienPolen
                                                                                                                                                                                                             Deutschland
                                                                                                                                                                                                                   Tschechien
                                                                                                                                                                                                                         Bulgarien
                                                                                                                                                                                                                                Ungarn
                                                                                                                                                                                                                                    Kroatien
                                                                                                                                                                                                                                         Slowakei
                                                                                                                                                                                                                                             Griechenland
                                                                                                                                                                                                                                                    Rumänien
                                                                                             Estland
                                                                                                       Spanien
                                                                                                                 Dänemark
                                                                                                                            Finnland
                                                                                                                                       Lettland
                                                                                                                                                  Litauen
                                                                                                                                                            Niederlande
                                                                                                                                                                          Österreich
                                                                                                                                                                                       Irland
                                                                                                                                                                                                Schweden
                                                                                                                                                                                                           Malta

                                                                                                                                                                                                                                Portugal
                                                                                                                                                                                                                   Frankreich

                                                                                                                                                                                                                                           Luxemburg
                                                                                                                                                                                                                                                       Europäische Union
                                                                                                                                                                                                                                                                           Belgien
                                                                                                                                                                                                                                                                                     Vereinigtes Königreich
                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Slowenien
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Zypern
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Italien
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Polen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Deutschland
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Tschechien
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Bulgarien
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Ungarn
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Kroatien
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Slowakei
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Griechenland
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Rumänien

                                                                                  Schwarzbuch 2021/22                                                                                                                                                                                                                                                              Im Fokus                                       15
Hinter diesen nüchternen Zahlen verber-              Eine breit genutzte eID-Lösung hat sich
                                                    gen sich konkrete Defizite mit grundle-          in Deutschland also nicht etabliert: Laut
                                                    gender Bedeutung und weitreichenden              Bundesregierung waren Mitte 2021 rund
                                                    Konsequenzen. Drei Beispiele:                    62 Mio. Personalausweise im Umlauf, die
                                                                                                     grundsätzlich zum elektronischen Identi-
                                                    ⊲ Digitale Identität                             tätsnachweis genutzt werden können. Bei
                                                                                                     schätzungsweise 39 Mio. davon war immer-
                                                        Die eigene Identität elektronisch nach-      hin die eID-Funktion aktiviert. Doch diese
                                                    weisen zu können, ist ein Grundbaustein          Ausweise kamen kaum zum Einsatz, wie
                                                    für die digitale Gesellschaft und ein wesent-    eine Studie der Beratungsunternehmen
                                                    liches Element für die Digitalisierung des       BCG und Nortal zeigt. Dort schätzen die Ex-
                                                    Staates, schließlich soll es den Bürgern doch    perten die mit der eID getätigten Transaktio-
                                                    bis Ende 2022 möglich sein, wesentliche          nen für das Jahr 2020 auf 2,5 bis 3 Mio.
                                                    Verwaltungsleistungen online abzurufen.              Im internationalen Vergleich ist dies sehr
                                                    Hierfür müssen sie sich elektronisch identi-     wenig: Im kleinen Estland (1,3 Mio. Einwoh-
                                                    fizieren können.                                 ner) wird die eID rund 344 Mio. Mal pro Jahr
                                                        Der elektronische Nachweis der eige-         genutzt, in Dänemark (5,8 Mio. Einwohner)
                                                    nen Identität (eID) ist in Deutschland zwar      rund 800 Mio. Mal und in Schweden (10,3 Mio.
                                                    schon seit rund 10 Jahren möglich. Jedoch        Einwohner) gar 4,8 Mrd. Mal pro Jahr.
                                                    gilt das Verfahren als umständlich und we-           Der Blick ins Ausland zeigt auch, dass die
                                                    nig nutzerfreundlich. Zudem gab es lange         erfolgreichen eID-Lösungen in enger Koope-
                                                    Zeit nur sehr wenige Anwendungen für die         ration zwischen Staat und Wirtschaft entwi-
                                                    elektronische Identität mit dem Personal-        ckelt wurden. Das ist folgerichtig, da die weit
                                                    ausweis. Dementsprechend gering sind die         überwiegende Anzahl der Anwendungsfäl-
                                                    Nutzungszahlen.                                  le der elektronischen Identitätsnachweise

                                                          Nutzung der elektronischen Identität
                                                          im internationalen Vergleich
Quelle: BCG/Nortal, Eurostat, eigene Berechnungen

                                                          Transaktionen pro Einwohner im Jahr 2020

                                                                 465                         259                    137             ~ 0,04
                                                              Schweden                     Estland               Dänemark        Deutschland

                                                    16    Im Fokus                                                            Schwarzbuch 2021/22
nicht für den Kontakt zu Behörden genutzt        geraten und später hohe wiederkehrende
wird, sondern vor allem für Anwendungen          Ausgaben oder Kosten durch den Wechsel
von Banken. So wird beispielsweise die           auf andere Produkte verschulden. Der Ein-
schwedische eID zu rund drei Viertel für An-     satz freier Software kann den Wettbewerb
wendungen der Finanzwirtschaft genutzt           der Anbieter und somit die Wahlmöglich-
und zu weniger als 10 Prozent für E-Govern-      keiten der öffentlichen Verwaltung erhöhen.
ment. In Estland zeichnet sich ein ähnliches        Wurde Software mit Steuergeld entwi-
Bild. In Dänemark wird die eID etwa zur Hälf-    ckelt, kann es sinnvoll sein, diese ebenfalls
te zur Identifizierung für Anwendungen der       Open Source zur Verfügung zu stellen. So
Finanzwirtschaft genutzt.                        müssten Lösungen nicht doppelt entwi-
    Eine breit akzeptierte eID-Lösung in         ckelt werden. Das kann Kosten für die Be-
Deutschland hätte nach Einschätzung              schaffung in anderen Verwaltungen oder
der Experten das Potenzial, beispielsweise       bei Unternehmen senken und Innovationen
im Online-Banking für rund 3,5 bis 4 Mrd.        begünstigen.
Transaktionen pro Jahr genutzt zu werden.           Wichtig ist jedoch, dass durch den Einsatz
Das Potenzial für den Einsatz für das E-Go-      öffentlicher IT-Dienstleister privater Wett-
vernment wird bei rund 415 Mio. Transakti-       bewerb nicht verdrängt und somit das An-
onen pro Jahr gesehen. Das zeigt: Die Zu-        gebot guter Lösungen nicht eingeschränkt
sammenarbeit mit der Privatwirtschaft ist        wird. Daher sollte grundsätzlich immer ge-
sinnvoll, da elektronische Identitäten vor al-   prüft werden, ob es tatsächlich eine eigene
lem privatwirtschaftlich genutzt werden, die     Entwicklung mit Steuergeld braucht, oder
breite Akzeptanz dieser Lösungen aber auch       ob es nicht am Markt oder in anderen Län-
für E-Government-Anwendungen dringend            dern bereits bewährte Lösungen gibt, die
nötig ist. Bisher blieb die Anzahl an Anwen-     funktionieren und ggf. wirtschaftlicher sind.
dungen und Nutzerfreundlichkeit, und so-            Bei der Diskussion um Beschaffung darf
mit die Akzeptanz, weit hinter dem Mögli-        auch das Management vorhandener Lizen-
chen zurück.                                     zen nicht aus den Augen verloren werden. So
    Um die Nutzerfreundlichkeit und damit        hat beispielsweise jüngst der Landesrech-
auch die Verbreitung des elektronischen          nungshof Baden-Württemberg festgestellt,
Identitätsnachweises zu erhöhen, beschlos-       dass die Ministerien und nachgeordnete Ein-
sen Bundestag und Bundesrat im Sommer            richtungen des Landes zum Teil eigenstän-
2021 ein Gesetz, das den Weg für den Einsatz     dig Software beschaffen und die Lizenzen in
des elektronischen Identitätsnachweises          Eigenregie und nicht zentral managen. Un-
mit dem Smartphone oder Tablet ebnen soll.       klar sei zudem, in welchem Umfang die be-
                                                 schaffte Software tatsächlich genutzt wird
⊲ Lizenzen und Open Source                       und ob der Einsatz wirtschaftlich ist.

   Wird Software in der Verwaltung be-           ⊲ Open Data
schafft, stellt sich die Frage, ob auf Open
Source-Lösungen gesetzt werden sollte.              In der öffentlichen Verwaltung fallen Un-
Für den Einsatz freier Software spricht, dass    mengen an Daten an, beispielsweise über die
teure Lock-in-Effekte vermieden werden           Art und Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge,
können. Durch Vertragsklauseln oder ge-          Umwelt- und Geodaten, gezahlte Steuern
schlossene Standards, die inkompatibel zu        oder über gemeldete Infektionskrankheiten,
anderen Lösungen sind, könnten Verwal-           wie beispielsweise in der Covid-Pandemie.
tungen in die Abhängigkeit eines Anbieters       Diese Daten maschinenlesbar und zur freien

Schwarzbuch 2021/22                                                            Im Fokus     17
Weiterverwendung öffentlich zur Verfügung        ihrer Geschäfte verwenden. Laut Bundes-
                              zu stellen (Open Data), hat viele Vorteile.      wirtschaftsministerium gehen Studien da-
                                 Ein freier Zugang zu offenen Daten nützt      von aus, dass der volkswirtschaftliche Nut-
                              zum einen der Verwaltung selbst. Das zeigt       zen offener Daten für ganz Deutschland bei
                              eine Studie des Instituts für Innovation und     geschätzt mindestens 12 Mrd. Euro im Jahr
                              Technik (iit) im Auftrag des Bundeswirt-         liege.
                              schaftsministeriums. Demnach stammt                  Trotz dieser überwältigenden Argumente
                              mehr als die Hälfte aller Zugriffe auf die Da-   für das Bereitstellen öffentlicher Daten ran-
                              ten und Dienste der Hamburger Datenplatt-        giert Deutschland im internationalen Ver-
                              form, die städtische Daten zur Verfügung         gleich eher im oberen Mittelfeld statt an der
                              stellt, von der Verwaltung der Hansestadt        Spitze. Im Ranking des „Global Open Data In-
                              selbst.                                          dex“ belegt Deutschland Platz 24 von 94. Im
                                 Zudem ist laut dieser Studie die Anzahl       „Open Data Maturity Report 2020“ kommt
                              von Bürgeranfragen an die Verwaltung in          Deutschland auf Platz 8 von 35 verglichenen
                              Großbritannien um 30 Prozent gesunken,           Ländern.
                              nachdem deren Daten standardmäßig öf-                Mit dem Zweiten Open-Data-Gesetz
                              fentlich zugänglich sind.                        wurde im Sommer 2021 eine entspre-
                                 Zum anderen werden durch eine bessere         chende Richtlinie der Europäischen Union
                              Verfügbarkeit der Daten auch die Zivilgesell-    (PSI-Richtlinie) umgesetzt und somit die
                              schaft und die Demokratie gestärkt, da das       Pflichten der Bundesverwaltung geregelt,
                              Handeln der Regierung transparenter wird.        offene Daten bereitzustellen. Doch trotz ein-
                              Die öffentlichen Daten bieten Bürgern die        zelner Initiativen und Bemühungen ist es bis
                                                                               zur flächendeckenden und standardisierten
                                                                               Bereitstellung möglichst vieler öffentlicher
                                                                               Daten noch ein weiter Weg.

                                                                               3. Pandemie legt Digital-Rückstand offen

                                                                                   Bedeutende Veränderungen verlaufen
Foto: UX Indonesia/Unsplash

                                                                               selten linear – sie tauchen sprunghaft auf.
                                                                               So hat die Corona-Pandemie viele Verwal-
                                                                               tungen, Schulen und Gesundheitsämter kalt
                                                                               erwischt. Gleichzeitig erwarten 88 Prozent
                                                                               der Kommunen, dass die Corona-Krise die
                                                                               Digitalisierung in Städten und Gemeinden
                                                                               vorantreiben wird. Dies hat eine repräsen-
                                                                               tative Umfrage des Digitalverbands Bitkom
                                                                               und des Deutschen Städte- und Gemeinde-
                                                                               bundes unter Bürgermeistern und Digita-
                              Möglichkeit, diese zu nutzen und sich besser     lisierungsverantwortlichen ergeben. Trotz
                              informiert einzubringen.                         dieses positiven Ausblicks muss der Digi-
                                 Und auch für Unternehmen kann die freie       tal-Rückstand aufgearbeitet werden, den
                              Verfügbarkeit von öffentlichen Daten wich-       die Krise offengelegt hat – in der Verwal-
                              tige Impulse setzen. Sie können auf deren        tung, dem öffentlichen Gesundheitswesen
                              Basis neue Anwendungen bereitstellen, sie        und der öffentlichen Bildung. Die folgenden
                              für die Risikobewertung oder Entwicklung         Beispiele zeigen dies exemplarisch.

                              18    Im Fokus                                                           Schwarzbuch 2021/22
Foto: Markus Winkler/Unsplash
⊲ Corona-Hilfen – langsam und                   Dadurch stand die Verwaltung jetzt vor
  betrugsanfällig                               dem Dilemma, entweder langsame Verfah-
                                                ren mit erheblicher Prüftiefe oder schnellere
   Der Bund hat seit Beginn der Pandemie        Verfahren anzubieten und dafür Fehler und
diverse Hilfsprogramme für Unternehmen          Missbrauch in Kauf zu nehmen.“ Das Fazit
aufgelegt. Für die „Soforthilfen“, die zu Be-   der Experten: „Festzuhalten ist: Betrugsfäl-
ginn der Pandemie kleinen Unternehmen,          le dieses Umfangs […] wären mit Unterneh-
Solo-Selbstständigen und Freiberuflern hel-     menskonto und Registerverknüpfung nicht
fen sollten, standen zig Milliarden Euro zur    möglich gewesen.“
Verfügung.                                         Für     nachfolgende     Hilfsprogramme
   Für die Bearbeitung der Anträge und          („Novemberhilfe“, „Dezemberhilfe“, „Über-
die Auszahlungen waren die Bundesländer         brückungshilfen“) wurde das Verfahren für
zuständig, die dabei jeweils auf eigene Ver-    die Antragstellung geändert, um es weni-
fahren gesetzt haben. Dementsprechend           ger betrugsanfällig zu machen. Aber: Die
unterschiedlich waren auch die Wartezeiten      Anträge mussten nun über Steuerberater,
für die Betroffenen – die Berichte reichen      Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprü-
von Auszahlungen der Hilfen nach wenigen        fer eingereicht werden, die die gemachten
Tagen bis hin zu wochenlangen Wartezeiten.      Angaben prüften und den Antrag dann auf
Dabei wurden die Hilfen auch an Empfänger       einer bundeseinheitlichen Antragsplattform
gezahlt, die keinen Anspruch auf die Hilfen     eingereicht haben. Das Verfahren war für die
hatten. Letztlich ermittelten die Staatsan-     Antragsteller demnach aufwendiger und
waltschaften in tausenden Fällen wegen          teurer.
Subventionsbetrug.                                 Es stimmt leider, dass bei der Beantra-
   Der Normenkontrollrat findet zum Cha-        gung von Zuschüssen Betrug nie vollstän-
os rund um die Soforthilfen klare Worte:        dig ausgeschlossen werden kann. Klar ist
„Die Probleme bei der Beantragung und           aber auch, dass Schnelligkeit und Präzision
Auszahlung der Soforthilfen sind hausge-        keinen Gegensatz darstellen müssen – zu-
macht: Sie sind das Ergebnis einer jahrelang    mindest dann nicht, wenn die Chancen der
verschleppten Verwaltungsdigitalisierung.       Digitalisierung genutzt werden.

Schwarzbuch 2021/22                                                           Im Fokus     19
UMSATZSTEUERBETRUG – DIGITAL BEKÄMPFEN

         Durch den Betrug bei der Umsatzsteu-       trug vor. Darin weisen die Prüfer darauf hin,
     er entgehen dem deutschen Fiskus jähr-         dass neben den klassischen Betrugsma-
     lich vermutlich mehrere Milliarden Euro an     schen digitale Betrugsmodelle wie etwa
     Steuereinnahmen. Konkrete Daten darüber        beim Online-Handel zunehmen.
     liegen naturgemäß nicht vor. Schätzungen          Sie kritisieren, dass es beispielsweise mit
     liegen jedoch zwischen 30 und 50 Mrd.          Blick auf Bescheinigungen in Papierform
     Euro, die den EU-Mitgliedstaaten jährlich      oder nicht vorhandene Online-Recherche-
     durch Betrug bei der Umsatzsteuer ent-         werkzeuge viel Raum für digitale Verbesse-
     gehen. Ein wesentlicher Teil dieser Min-       rungen gebe und fordern, die Finanzbehör-
     dereinnahmen dürfte auf den deutschen          den digital aufzurüsten, um alte und neue
     Fiskus entfallen. Dies schadet nicht nur den   Formen des Umsatzsteuerbetrugs künftig
     öffentlichen Haushalten, sondern ist auch      wirksamer bekämpfen zu können.
     unfair gegenüber den ehrlichen Steuer-            Klar ist auch, dass dieses Thema europa-
     zahlern.                                       weit angepackt werden muss. Daher ist die
         Im Oktober 2020 legte der Bundesrech-      jüngst gegründete EU-Staatsanwaltschaft
     nungshof dem Deutschen Bundestag ei-           zu begrüßen (Lesetipp: Fall zu EU-Staatsan-
     nen Sonderbericht zum Umsatzsteuerbe-          waltschaft, S. 155).

⊲ Digitalisierung im Gesundheitswesen –             erkennen und wirksam zu unterbrechen, um
     zu spät und zu zögerlich genutzt               die Gesundheit der Bürger zu schützen, den
                                                    Öffentlichen Gesundheitsdienst in der Pan-
    Deutschland hinkt bei der Digitalisierung       demie zu entlasten und Einschränkungen,
des Gesundheitswesens anderen Ländern               etwa durch Schließungen von Schulen und
weit hinterher. Digitale Werkzeuge wur-             Geschäften, sowie die Kosten für die Steu-
den in der Pandemiebekämpfung lange                 erzahler zu minimieren. Der Wissenschaft-
viel zu zögerlich verwendet. So waren zum           liche Beitrat beim Bundesministerium für
Beispiel zu Beginn der Pandemie nur weni-           Wirtschaft und Energie kommt zu einem
ge Labore elektronisch an die Systeme der           klaren Urteil: „In der Pandemie haben die-
Gesundheitsämter angebunden. Zudem                  se Schwächen eine wirksame Antwort der
wurden die Kontakte vielerorts durch ma-            Politik auf die Krise und die Begrenzung des
nuelle Auswertung von Listen mit Kontakt-           ökonomischen Schadens massiv behindert.“
personen nachverfolgt. Beides hat in den
Gesundheitsämtern viel Personal gebunden            Digitales Corona-Impfzertifikat
und trotz großen Engagements Warnungen                  Ein Parade-Beispiel für den Digi-
verlangsamt.                                        tal-Rückstand ist auch der digitale Coro-
    Erfreulich ist, dass der Einsatz digitaler      na-Impfpass. Zwar ist dieser nützlich und
Werkzeuge zur Pandemie-Bekämpfung                   wird gut angenommen. Jedoch konnten die
zugenommen hat. Fakt ist aber auch, dass            digitalen Corona-Impfzertifikate erst rund
diese zu spät und nach wie vor teils zögerlich      ein halbes Jahr nach Beginn der Impfkam-
zum Einsatz kommen. Damit wurde wertvol-            pagne ausgestellt werden, sodass Millionen
le Zeit vertan, Infektionsketten frühzeitig zu      von Impfungen nachträglich aufwendig

20      Im Fokus                                                              Schwarzbuch 2021/22
und mit zusätzlichen Kosten bescheinigt         erleichtern sollte. Bis dies flächendeckend
werden mussten (Lesetipp: Fall digitaler Co-    in nahezu allen Gesundheitsämtern zur Ver-
rona-Impfpass, S. 30).                          fügung stand, verging jedoch ein weiteres
                                                halbes Jahr.
Infektionsmeldungen elektronisch über-
mitteln – DEMIS
                                                   LESE-TIPP
   Eine etablierte Möglichkeit zur elektroni-
schen Meldung von Infektionskrankheiten
                                                   Mehr zu DEMIS
stand zum Ausbruch der Corona-Pande-
                                                   lesen Sie auf
mie nicht flächendeckend zur Verfügung.
                                                   schwarzbuch.de
Im Ergebnis war das Bearbeiten der Daten
aufwendiger und Meldungen verzögerten
sich. Der Einsatz des Faxgerätes in den Ge-        www.schwarzbuch.de/demis
sundheitsämtern ist dabei nicht nur eine
Anekdote. Der Datenaustausch mit den La-
boren erfolgte im Sommer 2020 tatsächlich       Kontakte digital nachverfolgen – SORMAS
bei rund zwei Drittel der Gesundheitsämter         Die Kontaktnachverfolgung von Infizier-
zumindest teilweise mit dem (Digital-)Fax.      ten ist eine wesentliche Aufgabe der Ge-
Seit Mitte 2020 stand mit DEMIS, dem Deut-      sundheitsämter in der Pandemie. Obwohl
schen Elektronischen Melde- und Informati-      grundsätzlich spezialisierte Software im Ein-
onssystem für den Infektionsschutz, ein Sys-    satz ist, kamen in mehr als einem Drittel der
tem zur Verfügung, das den Datenaustausch       Ämter im Sommer 2020 noch Excel-Listen
sowie die Zusammenarbeit aller Beteiligten      zum Einsatz.

           37% Prozent der Gesundheitsämter haben zu Beginn der
             Pandemie Kontakte mit Excel-Tabellen nachverfolgt

                                                 Quelle: Deutscher Landkreistag/Deutscher Städtetag

    Um die Gesundheitsämter bei der Iden-       zurück – teils aus mangelnder Akzeptanz,
tifizierung und Überwachung von Kontakt-        aber sicher auch wegen des ungünstigen
personen im Rahmen der Corona-Pandemie          Zeitpunkts der Softwareeinführung wäh-
zu unterstützen, beschlossen die Gesund-        rend einer laufenden Pandemie.
heitsminister den flächendeckenden Ein-            Wären etablierte und erprobte Verfah-
satz der Kontaktnachverfolgungssoftware         ren des digitalen Kontaktmanagements
SORMAS. Die Nutzung in den Gesundheits-         bereits zu Beginn der Pandemie eingeführt
ämtern blieb jedoch hinter den Erwartungen      gewesen, hätte dies die Gesundheitsämter

Schwarzbuch 2021/22                                                              Im Fokus       21
substanziell entlasten können. Zudem wäre                  neue Funktionen integriert. Für eine breite
     eine schnellere Nachverfolgung der Kon-                    Akzeptanz wurde auf eine dezentrale und
     takte möglich gewesen, um die Pandemie                     datensparsame Lösung gesetzt, die keine
     wirksamer einzudämmen und Schäden zu                       Anbindung an die Gesundheitsämter hat.
     begrenzen.                                                    Die Geschwindigkeit der Meldungen wur-
                                                                de anfangs verzögert, da es lange gedauert
                                                                hat, bis der überwiegende Teil der PCR-Test-
           LESE-TIPP
                                                                labore und viele der Schnelltest-Zentren an
           Mehr zu SORMAS                                       die App angeschlossen waren, um die Er-
           lesen Sie auf                                        gebnisse automatisch zu übermitteln. Dar-
           schwarzbuch.de                                       über, inwieweit die App einen echten Beitrag
                                                                zur Bekämpfung der Pandemie leistet, ge-
           schwarzbuch.de/sormas                                hen die Meinungen auseinander.
                                                                   Welchen Beitrag sie tatsächlich geliefert
                                                                hat, legt eine Hochrechnung des RKI (Stand
      Apps: Corona-Warn-App und Luca-App                        März 2021) nahe: Innerhalb eines Jahres
         Als weiterer Baustein in der Pandemiebe-               konnte eine Infektion bei rund 140.000 Per-
      kämpfung kommen Apps zum Einsatz, mit                     sonen erkannt werden.
      denen sich Nutzer an bestimmten Orten
      registrieren oder sich vor möglichen Infekti-
                                                                   LESE-TIPP
      onen warnen können. Bundesweit bekannt
      sind die Corona-Warn-App (CWA) und die                       Mehr zu CWA
      Luca-App.                                                    lesen Sie auf
         Die CWA wurde mit Mitteln des Bundes                      schwarzbuch.de
      entwickelt und soll dabei helfen, Infektions-
      ketten möglichst schnell zu erkennen und                     schwarzbuch.de/cwa
      zu unterbrechen. Nach und nach wurden

    Ausgaben der Bundesländer für das Luca-System, in Mio. Euro
                   Bayern
      Baden-Württemberg
           Niedersachsen
                  Hessen
          Rheinland-Pfalz
                    Berlin
             Brandenburg                                                             Summe:
       Schleswig-Holstein
          Sachsen-Anhalt                                                      21,33 Mio. Euro
                Hamburg
Mecklenburg-Vorpommern
                 Saarland
                  Bremen
                             0              1               2                3               4               5

           Quelle: DER SPIEGEL Nr.33/2021 basierend auf Umfrage bei den Gesundheitsministerien der Bundesländer

      22     Im Fokus                                                                      Schwarzbuch 2021/22
Mit der privatwirtschaftlich entwickelten       Auswirkungen auf die Lernerfolge sind ent-
Luca-App können die Kontaktdaten von Per-           sprechend: Lehrer berichten von deutlichen
sonen, die sich an einem bestimmten Ort             Lernrückständen bei den Schülern.
aufhalten, digital erfasst werden. Besteht
der Verdacht einer Infektion, kann das örtli-       Mangelnde technische Ausstattung
che Gesundheitsamt diese Daten abfragen,                Monatelange Schulschließungen ha-
um mögliche Infektionsketten nachzuvoll-            ben normalen Unterricht in den Schulen
ziehen. Später wurden weitere Funktionen            unmöglich gemacht. Alternativ wurde –
ergänzt, beispielsweise eine Warnung der            soweit möglich – auf digitale Lernformate
Nutzer vor erhöhtem Infektionsgeschehen.            im Distanzunterricht gesetzt. Dabei war
    Für die Nutzer ist die App kostenfrei. Aller-   nach Einschätzung der Lehrer zu Beginn
dings müssen die Behörden beispielsweise            der Pandemie (April 2020) nur jede dritte
für die Lizenzen, Infrastruktur und den Sup-        Schule gut oder sehr gut für den digitalen
port zahlen. 13 Bundesländer haben Jahres-          Fernunterricht ausgestattet. Das ist das Er-
lizenzen erworben. Laut Recherchen des Ma-          gebnis einer Forsa-Umfrage unter Lehrern.
gazins DER SPIEGEL betragen die Ausgaben            Selbst ein Dreivierteljahr später (Dezember
der Bundesländer zusammen rund 21,3 Mio.            2020) hatte sich dieser Wert nur unwesent-
Euro.                                               lich verbessert.
    Der praktische Nutzen der App in den                Dabei hakt es schon bei grundlegenden
Kommunen wird unterschiedlich bewertet.             Anforderungen: Nur gut ein Drittel der Leh-
Manche geben an, mit dem Luca-System zu-            rer sagte aus, dass ihre Schule über eine aus-
frieden zu sein. Andere gebrauchen es mit           reichend starke Internetverbindung verfügt.
Verweis auf Datenschutz, Sicherheit und feh-        Diesen subjektiven Eindruck verstärken Da-
lenden Nutzen nicht.                                ten des Bundesministeriums für Verkehr
    Aus Sicht der Steuerzahler ist vor allem kri-   und digitale Infrastruktur (BMVI), aus de-
tisch zu sehen, dass manche Bundesländer            nen hervorgeht, dass die Verfügbarkeit von
die Leistungen für einen längeren Zeitraum          Breitbandanschlüssen mit höheren Übertra-
und nicht abhängig vom tatsächlichen Ge-            gungsraten in Schulen gering ist.
brauch eingekauft haben, was die Nutzung
vermutlich teurer als nötig gemacht hat. (Le-       Fehlende Konzepte und Kommunikation
setipp: Luca-Fall aus Sachsen-Anhalt, S. 42).          Die anhaltenden Probleme beim digita-
                                                    len Fernunterricht sind nicht allein auf die
                                                    technische Ausstattung zurückzuführen.
   LESE-TIPP
                                                    Es mangelte auch an Kommunikation und
   Mehr zur Luca-App                                Konzepten.
   lesen Sie auf                                       Auch ein Dreivierteljahr nach den ersten
   schwarzbuch.de                                   Schulschließungen hatten 40 Prozent der
                                                    Schulen noch immer kein Konzept, wie sie
   schwarzbuch.de/luca                              den Kontakt mit den Schülern und Eltern im
                                                    Fernunterricht aufrechterhalten wollen, wie
                                                    aus der genannten Forsa-Umfrage hervor-
⊲ Digitale Schulen – mangelnde Ausstat-             geht. Weniger als jede vierte Schule hatte
   tung trifft auf fehlende Konzepte                demnach ein Konzept dafür, wie im Fernun-
                                                    terricht Schüler mit Lernschwierigkeiten un-
  Auch das öffentliche Bildungssystem               terstützt werden können. Auch tatsächlicher
wurde kalt von der Pandemie erwischt. Die           oder vermeintlicher Datenschutz schien

Schwarzbuch 2021/22                                                               Im Fokus     23
Breitbandverfügbarkeit an Schulen in Deutschland
                         je Breitbandklasse in Prozent
              96,6
100                          90,7          88,0

                                                         75,0
80
                                                                        62,7
                                                                                        55,5
60

                                                                                                                     Quelle: BMVI (Stand Ende 2020)
                                                                                                      37,2
40

20

 0
           ≥ 16 Mbit/s    ≥ 30 Mbit/s   ≥ 50 Mbit/s   ≥ 100 Mbit/s   ≥ 200 Mbit/s   ≥ 400 Mbit/s ≥ 1.000 Mbit/s

      mancher pragmatischen Lösung im Wege                      1,4 Mrd. Euro wurden beantragt, aber noch
      zu stehen.                                                nicht abgerufen. Somit sind zwei Jahre nach
          Dennoch hat die Pandemie einen deut-                  dem Start des Digitalpaktes nur etwas mehr
      lichen Entwicklungssprung ausgelöst. So                   als ein Zehntel der zur Verfügung stehenden
      hat die Nutzung digitaler Tools merklich                  Mittel tatsächlich in den Schulen angekom-
      zugenommen – beispielsweise für den indi-                 men.
      viduellen Austausch mit Schülern oder das                     Die Gründe für den langsamen Mittel-
      Verteilen von Aufgaben.                                   abfluss sind vielfältig. Zum einen fehlt es an
                                                                IT-Spezialisten, um Projekte umzusetzen,
      Finanzierung: „Digitalpakt Schule“                        zum anderen müssen Aufträge ausgeschrie-
         Die Digitalisierung der öffentlichen Bil-              ben werden, was wiederum Zeit kostet. Zu-
      dung scheitert bisher nicht an der Finanzie-              dem wird die Bürokratie der Antragsver-
      rung. Das zeigt der Blick auf den „Digitalpakt            fahren beklagt. Nicht zuletzt zeigt sich ein
      Schule“, dem der Bund mittlerweile 6,5 Mrd.               häufiges Problem der Mischfinanzierung:
      Euro für Investitionen in die kommunale di-               Die Kommunen werden mit den Folgekos-
      gitale Bildungsinfrastruktur zur Verfügung                ten allein gelassen. Da sie diese scheuen, hal-
      stellt. Die Länder haben sich verpflichtet,               ten sie sich bei Investitionen zurück – und die
      mindestens weitere 10 Prozent dieser Sum-                 Digitalisierung der Schulen stockt, obwohl
      me aufzubringen. Somit stehen im Rahmen                   Geld zur Verfügung steht.
      des „Digitalpakts Schule“ bis 2024 mehr als
      7 Mrd. Euro zur Verfügung, um Schulen zu                  4. Geld allein macht nicht glücklich
      digitalisieren. Diese Mittel werden jedoch
      nur schleppend abgerufen: Bis Mitte 2021                     Insbesondere in der Corona-Krise saß das
      waren rund 852 Mio. Euro abgeflossen. Rund                Steuergeld auch für digitale Projekte locker.

      24       Im Fokus                                                                        Schwarzbuch 2021/22
So wurden beispielsweise für die Digitalisie-      les. Die für die Wahrung des Wettbewerbs
rung von Verwaltungsleistungen (Umset-             zuständige Monopolkommission befürchtet,
zung des OZG) und die Aufbereitung und             dass durch diese Förderung der privatwirt-
Verknüpfung dezentraler Datenbestände              schaftliche Ausbau verdrängt werden könn-
(Registermodernisierung) 3,3 Mrd. Euro             te. Heißt: Der Steuerzahler würde den Aus-
zusätzlich durch den Bund zur Verfügung            bau dort finanzieren, wo dies mit Steuergeld
gestellt. Für die Digitalisierung der Schulen      nicht nötig wäre. Der Staat sollte seine knap-
gab es zusätzlich 1,5 Mrd. Euro. Das Problem       pen Ressourcen auf die Bereiche bündeln, in
dabei ist, dass diese Projekte teils durch         denen partout keine privaten Investitionen
Schulden – und damit nicht nachhaltig – fi-        zu erwarten sind, um die politischen Ziele zu
nanziert sind. Zudem vernebeln die Milliar-        erreichen. (Lesetipp: Fall Breitbandausbau
densummen den Blick auf drei wesentliche           Brandenburg, S. 40; Fall Breitbandausbau
Probleme und Hürden.                               Sachsen, S. 36).

⊲ Probleme und Hürden                              Organisationsversagen
                                                       Schließlich wird deutlich, dass Geld allein
Finanzierung durch Schulden                        nicht ausreicht, um die Digitalisierung er-
   Die digitale Modernisierung der Verwal-         folgreich voranzubringen. Teilweise fließen
tung, des öffentlichen Gesundheitswesens           Mittel gar nicht erst ab, wie oben für den
und der öffentlichen Bildung sind Dauer-           „Digitalpakt Schule“ bereits exemplarisch
aufgaben, die nicht erledigt sind, wenn die        beschrieben. Auch der Wissenschaftliche
schuldenfinanzierten Konjunkturmilliarden          Beirat beim Bundesministerium für Wirt-
– zum Beispiel für die Digitalisierung der         schaft und Energie kommt zu dem Schluss,
Schulen oder von Verwaltungsleistungen             dass die „Bewältigung der digitalen Trans-
für Bürger und Unternehmen – ausgege-              formation in der öffentlichen Verwaltung
ben sind. Auch danach werden Ausgaben              […] nur zum Teil eine Frage der finanziellen
für digitale Strukturen und Prozesse und           Ressourcen“ sei.
deren Pflege notwendig sein. Daher müs-                Weiter stellen die Berater fest: „Auch
sen diese Ausgaben aus den laufenden Ein-          eine massive Erhöhung der zur Verfügung
nahmen bestritten werden können. Aufgabe           stehenden Mittel könnte keine Beschleu-
der Politik ist es, die richtigen Prioritäten im   nigung bewirken, wenn nicht gleichzeitig
Haushalt zu setzen, damit diese Ausgaben           Abläufe bei Planung und Umsetzung ver-
dauerhaft finanzierbar sind.                       einfacht und Aufgaben besser verteilt wer-
                                                   den.“ Die Regierungsberater urteilen, dass
Steuergeld kann private Initiativen                der „Rückstand Deutschlands bei der Digi-
verdrängen                                         talisierung oftmals weniger auf fehlenden
   Es besteht die Gefahr, dass staatliches         finanziellen Mitteln oder Marktversagen,
Geld private Anbieter verdrängt und der            sondern auf verschiedenen Formen von Or-
Staat somit mehr ausgibt als zum Erreichen         ganisationsversagen“ beruht.
der Ziele notwendig ist. Ein Beispiel ist der          Fazit: Statt aktionistisch neues Steuergeld
Breitbandausbau, den die Bundesregierung           zu bewilligen, muss die Finanzierung durch
seit Jahren mit zig Milliarden Euro fördert.       richtige Prioritäten langfristig sichergestellt
Zuletzt wurde die Förderung erheblich aus-         werden. Zudem muss die Politik wesentliche
geweitet: Jetzt werden auch Gebiete geför-         Hürden aus dem Weg räumen und die rich-
dert, in denen es ein einigermaßen schnelles       tigen Weichen für die Digitalisierung stellen.
Internet gibt, aber noch kein super-schnel-        Folgendes ist nötig:

Schwarzbuch 2021/22                                                               Im Fokus     25
⊲ Digitale Transformation – kulturelle             tauglichkeit zu prüfen – ob sie also mit den
     und organisatorische Herausforderun-          neuen digitalen Möglichkeiten einfach voll-
     gen meistern                                  zogen werden können. In Dänemark wurde
                                                   mit dem bereits 2018 eingeführten obliga-
    Der Koordinierungsaufwand und der              torischen digitalen Tauglichkeitscheck gute
damit einhergehende Struktur- und Kultur-          Erfahrungen gemacht. Dabei wird u. a. ge-
wandel der Digitalisierung der Verwaltung          prüft, ob digitale Kommunikation und eine
wurden unterschätzt. Soll die Digitalisierung      automatische Sachbearbeitung möglich
der Verwaltung gelingen, braucht es mehr           sind. Geprüft wird aber auch, ob Begriffe
als nur neue Technik. Die digitale Transfor-       einheitlich definiert sind und Daten wieder-
mation braucht ein neues Denken: neue Or-          verwendet werden können. Sichere Daten-
ganisationsformen, eine neue Art der Füh-          verwaltung spielt dabei ebenso eine Rolle
rung und Weiterbildung.                            wie die Vermeidung von Betrug und Fehlern.
    Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl kon-
kreter Themen organisatorischer und recht-         Grundlegendes zuerst: Standards setzen
licher Art, die angegangen werden müssen.              Wenn digitale Verwaltungsangebote
                                                   flächendeckend in allen föderalen Ebe-
Digital-TÜV etablieren und Recht digital-          nen funktionieren sollen, ist es essenziell,
tauglich machen                                    verbindliche Standards festzulegen – für
    Die Digitalisierung von Verwaltungsleis-       Schnittstellen und die Gesamtarchitektur.
tungen ist ein guter Anlass, um bestehen-          Wenn an allen Enden gewerkelt wird, muss
de Verfahren insgesamt zu vereinfachen.            zuvor definiert worden sein, wie die Teile zu-
Geschehen ist bisher jedoch wenig. Zwar            sammenpassen sollen. Laut Einschätzung
wollten CDU, CSU und SPD laut Koalitions-          des Normenkontrollrats (NKR) hat Deutsch-
vertrag der vergangenen Legislaturperiode          land hier noch großen Nachholbedarf. Auf
„alle bisherigen und zukünftigen Gesetze           die verbindliche Klärung dieser Fragen muss
auf ihre Digitaltauglichkeit überprüfen und        mehr Energie verwendet werden!
E-Government-fähig machen“. In Wirklich-
keit ist aber wenig passiert.                      Innovative Vergabeverfahren für Software
    Damit wurde die Chance vertan, schlan-            Nicht zuletzt muss im Vergabewesen
kere und unbürokratischere Verfahren zu            berücksichtigt werden, dass IT-Lösungen
schaffen, die wiederum die Voraussetzung           schnelllebig sind und agil erarbeitet werden.
für nutzerfreundliche und praxistaugliche          Insgesamt sollte die Beschaffung standardi-
technische Lösungen sind.                          sierter Softwarelösungen vereinfacht wer-
    Hinderlich für digitale Verfahren ist bei-     den – beispielsweise über eine gemeinsame
spielsweise, dass Rechtsbegriffe nicht ein-        Plattform, eine Art föderaler App-Store, wie
heitlich definiert sind. Dies betrifft u. a. den   es der NKR anregt. Wichtig ist dabei, dass
Einkommensbegriff. Es ist von Verfahren            diese Plattform auch offen für Lösungen der
zu Verfahren zum Teil unterschiedlich, was         Privatwirtschaft ist, um den Wettbewerb für
darunter verstanden wird. Dies macht es            die besten und wirtschaftlichsten Lösungen
schwierig, den Grundsatz umzusetzen, dass          zuzulassen.
Bürger und Unternehmen Daten nur ein-
mal bei einer Verwaltung eingeben müssen           Digital-Agentur statt Digital-Ministerien
(„Once Only“).                                         Populär ist die Forderung nach Digi-
    Deutschland braucht endlich einen Di-          tal-Ministerien – im Bund und in den Län-
gital-TÜV für Gesetze, um sie auf Digital-         dern. In ersten Bundesländern sind bereits

26     Im Fokus                                                             Schwarzbuch 2021/22
Foto: Adi Goldstein/Unsplash
Digital-Ministerien eingerichtet worden.          doch keine gute Idee zu sein. Helfen könn-
Auch auf Bundesebene gibt es Forderungen          te eine schlagkräftige Digital-Agentur, die
nach einem eigenen Ministerium für Digita-        den Verwaltungen in Bund, Ländern und
lisierung.                                        Kommunen vor allem strategisch und kon-
    Dabei sprechen internationale Erfahrun-       zeptionell zur Seite steht. Auch wenn eine
gen nicht dafür, ein eigenes Ministerium          solche Agentur viele Mitarbeiter beschäfti-
einzurichten, wie eine aktuelle Untersu-          gen müsste, wäre dies nach Einschätzung
chung von Experten der Hertie School zeigt:       des NKR nur ein Bruchteil der verteilten Mit-
Obwohl drei europäische Länder (Polen, Lu-        arbeiterressourcen in Bund, Ländern und
xemburg, Griechenland) eigene Digital-Mi-         Kommunen, die sogar zusammen nicht jene
nisterien haben, belegen sie hintere Plätze       Schlagkraft aufbringen würden.
bei internationalen Vergleichen.
    Demnach sind bei den Digital-Spitzen-         Föderalismusreform
reitern zwei wesentliche Gemeinsamkeiten             Deutschland ist föderal organisiert, was
festzustellen: Erstens ist die Digitalisierung    viele Vorteile mit sich bringt. Die föderale
in einem starken Ministerium wie dem Fi-          Organisation hat aber auch dazu geführt,
nanz-, Wirtschafts- oder Innenministerium         dass die Verwaltungen über die föderalen
oder gleich in der Regierungszentrale ange-       Ebenen hinweg immer weiter verschränkt
siedelt. Zweitens wurde eine starke Agentur       sind. Dies erhöht die Komplexität bei der Di-
für die Umsetzung etabliert. Damit wurden         gitalisierung der Verwaltung erheblich. Von
beispielsweise in Dänemark, Estland und           einer „Komplexitätsfalle“ ist mittlerweile die
Australien gute Erfahrungen gemacht.              Rede. Mancher kommunale Vertreter spricht
    Daraus folgt: Richtig ist, dass die Digita-   von einer koordinativen Überforderung und
lisierung mehr politische und strategische        ruft nach Vereinfachung.
Aufmerksamkeit braucht. Vor dem Hin-                 Vor diesem Hintergrund braucht es ein
tergrund der internationalen Erfahrungen          neues Denken, weil die Digitalisierung nicht
scheint ein eigenes Digital-Ministerium je-       einfach in die herkömmlichen Verwaltungs-

Schwarzbuch 2021/22                                                             Im Fokus     27
auf. Im Zuge des Corona-Konjunkturpakets
Foto: Glenn Carstens-Peters/Unsplash

                                                                                        2020 kamen weitere 3 Mrd. Euro aus dem
                                                                                        Bundeshaushalt hinzu, die anteilig auch den
                                                                                        Ländern zur Verfügung stehen. Eng mit der
                                                                                        Digitalisierung der Verwaltungsleistungen
                                                                                        verbunden ist auch die Modernisierung der
                                                                                        Register, also der bei den Verwaltungen ge-
                                                                                        speicherten Daten, für die im Rahmen des
                                                                                        Corona-Konjunkturpakets 300 Mio. Euro zur
                                                                                        Verfügung gestellt wurde.
                                       strukturen passt. Sinnvoll scheint, die bishe-      Weitere Ausgaben kamen für zusätzli-
                                       rige Aufgabenverteilung zwischen Kommu-          ches Personal hinzu. Das Bundesinnenmi-
                                       nen, Ländern und dem Bund mit Blick auf die      nisterium (BMI), das die Gesamtkoordina-
                                       digitale Modernisierung des Staates erneut       tion übernommen hat, hat 40 zusätzliche
                                       auf den Prüfstand zu stellen. Um Bund, Län-      Stellen allein bis Ende 2018 erhalten. Auch
                                       der und Kommunen digitalisierungs-dien-          im Bundeskanzleramt gibt es Mitarbeiter zur
                                       lich zu entflechten, sollte eine neue Födera-    Koordination. Trotzdem wird zusätzliche Ex-
                                       lismusreform angestrebt werden.                  pertise in Form externer Berater eingekauft.
                                                                                        Dass dies immer nötig war, bezweifelt der
                                       5. Exkurs Onlinezugangsgesetz (OZG)              NKR und stellt kritisch fest: Dabei sei „nicht
                                                                                        immer ersichtlich, worin das spezielle Know-
                                           Bis Ende 2022 soll es für Bürger und Un-     How besteht und warum die übernomme-
                                       ternehmen möglich sein, einen großen Teil        nen Aufgaben nicht von Verwaltungsmitar-
                                       ihrer Behördengänge digital zu erledigen.        beitern erledigt werden könnten“.
                                       Insgesamt sollen 575 Verwaltungsleistun-
                                       gen von Kommunen, Ländern und dem                ⊲ Stand der Umsetzung und bisherige
                                       Bund über ein Portal zugänglich werden –            Erkenntnisse
                                       beispielsweise die Beantragung von BAföG,
                                       Elterngeld oder die Zulassung eines Autos.          Die Digitalisierung von nahezu 600 Ver-
                                       Geregelt ist dies über das sogenannte On-        waltungsleistungen ist alles andere als trivial.
                                       linezugangsgesetz, kurz: OZG, das Bundes-        Die Verwaltungen auf allen Ebenen müssen
                                       tag und Bundesrat 2017 im Zuge der Neuord-       nicht nur die technischen, sondern auch die
                                       nung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen           rechtlichen und organisatorischen Voraus-
                                       beschlossen haben. Die Digitalisierung der       setzungen schaffen. Erschwerend kommt
                                       Verwaltungsleistungen soll Bürgern und           hinzu, dass über die Jahre hinweg auf allen
                                       Unternehmen einen bequemeren Zugang              Ebenen verschiedene Einzellösungen ent-
                                       gewährleisten sowie bei ihnen und der Ver-       standen sind, die zusammengefügt werden
                                       waltung Zeit und Geld sparen.                    müssen, damit die Bürger und Unterneh-
                                                                                        men unkompliziert die Verwaltungsleistun-
                                       ⊲ Kosten und Personal                            gen nutzen können.

                                          Finanziert wird die OZG-Umsetzung             Hohe Dynamik, aber unterschätzter
                                       anteilig durch den Bund und die Länder.          Kulturwandel
                                       500 Mio. Euro waren dafür in der 19. Legisla-        Das Megaprojekt hat viel Bewegung aus-
                                       turperiode zunächst im Bundeshaushalt ein-       gelöst, Wille und die Bereitschaft zur Digi-
                                       geplant, weitere Mittel bringen die Länder       talisierung der Verwaltungsleistungen sind

                                       28    Im Fokus                                                             Schwarzbuch 2021/22
erkennbar. Viel Energie ist dabei bisher in die   ckend – also im Bund, den Ländern und allen
rechtlichen und organisatorischen Struktu-        Kommunen – online verfügbar.
ren geflossen. Unterschätzt wurden hinge-             Insgesamt bleibt festzustellen, dass trotz
gen der Koordinierungsaufwand und der             diverser öffentlicher Quellen zur OZG-Um-
notwendige Struktur- und Kulturwandel in          setzung wesentliche Informationen fehlen:
der Verwaltung.                                   Wie viele Leistungen sind wie in welcher Tie-
                                                  fe digitalisiert und stehen flächendeckend
Konkreter Stand der Umsetzung unklar              zur Verfügung? Auch die Antwort auf eine
    Der genaue Stand der Digitalisierung          BdSt-Anfrage im Land Nordrhein-Westfa-
der Verwaltungsleistungen ist unklar. Im          len, das von sich behauptet, zusammen mit
Sommer 2021 verkündete der federführende          Baden-Württemberg an der Spitze der Bun-
Bundesinnenminister, dass bei der Digitali-       desländer beim Angebot digitaler Dienst-
sierung von öffentlichen Dienstleistungen         leistungen zu stehen, gibt keinen umfas-
„ein wunderbarer Fortschritt“ zu verzeich-        senden Aufschluss über den Stand. Klar ist
nen sei. 85 von 115 Bundesleistungen seien        nur: Weniger als anderthalb Jahre, bevor das
digitalisiert. In den Ländern und Kommunen        OZG umgesetzt sein soll, ist noch viel zu tun.
seien 315 von insgesamt 575 Leistungen on-
line verfügbar.                                   Weniger Bürokratie: „Once Only“ und
    Diese Angaben sind jedoch weniger             digitale Identität
aussagekräftig, als es auf den ersten Blick          Um Bürger, Unternehmen und die Ver-
scheint. Als erfolgreich kann die Digitalisie-    waltung mittels digitaler Leistungen tat-
rung der Verwaltungsleistung nämlich erst         sächlich wirksam von Bürokratie zu ent-
dann gelten, wenn sie flächendeckend an-          lasten, müssen die Verfahren möglichst
geboten und von Bürgern und Unterneh-             unkompliziert sein – das gilt für den Nach-
men tatsächlich genutzt wird. Daher gibt          weis der eigenen Identität genauso wie für
die bloße Zahl digitalisierter Einzel-Leistun-    die Eingabe der erforderlichen Daten.
gen noch kein verlässliches Gesamtbild zum           Die eigene Identität mittels elektroni-
Stand der Umsetzung. Der jüngste Bericht          schem Personalausweises (eID) nachzuwei-
des Normenkontrollrats verschafft immer-          sen ist bisher nicht nutzerfreundlich und
hin einen Eindruck zum Umsetzungsstand.           wird nur spärlich genutzt. Damit fehlt bisher
Demnach waren Mitte August 2021 erst 16           eine wesentliche Säule der digitalen Staats-
der angepeilten 575 Leistungen flächende-         modernisierung.

  VEREINFACHTE ONLINE KFZ-ZULASSUNG IN BAYERN

     Dass Online-Services gern angenom-           ses (nPA) zu authentifizieren, die für die
  men werden, wenn sie unbürokratisch zu          Bürger bisher nicht anwenderfreundlich
  nutzen sind, zeigt ein Versuch aus Bayern.      genug gestaltet ist. Die sogenannte Bayer-
  Im Zuge der Corona-Pandemie wurde Fahr-         nID, die mit Benutzername und Passwort
  zeughaltern der Zugang zur internetbasier-      angelegt werden kann, reichte aus. Die
  ten Zulassung und Abmeldung erleichtert.        Nutzungsquote stieg dank des bequeme-
  Es war damit nicht mehr notwendig, sich         ren Zugangs laut Normenkontrollrat um
  mit der eID-Funktion des Personalauswei-        das Neunzehnfache.

Schwarzbuch 2021/22                                                             Im Fokus       29
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