IM FOKUS UND JETZT ALLE! - MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
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IM FOKUS … und jetzt alle! 26 | Die ganze Affenschar auf Kurs 34 | Selten mutig 40 | Die Geburt des Kollektivs Weibliche Anubispaviane mit Jungtier. Die Weibchen bleiben in der Regel ihr ganzes Leben in ihrer Horde. Sie haben eine feste Position innerhalb der Hierarchie dieser Truppe, die sie an ihre Töchter weiter- geben. Bis zum Alter von drei Monaten halten sich die Jungen am Bauch ihrer Mütter fest, später reiten sie wie Jockeys auf deren Rücken. F o t o: K at h y W e st ©2 013, Ta nz a n ia
IM FOKUS Die ganze Affenschar auf Kurs Text: Carla Avolio 27 Paviane durchstreifen in großen Gruppen die Savanne auf der Suche nach Nahrung. Meg Crofoot, Direktorin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz, hat in Kenia eine Horde Anubispaviane fast ein Jahr- zehnt lang beobachtet. Sie will verstehen, was die Gemeinschaft zusammenhält. Max Planck Forschung · 2 | 2021
IM FOKUS Es ist fünf Uhr früh im Mpala-Forschungszentrum in 2012 bestückten Crofoot und ihr Team 25 Paviane einer Kenia, und die Pavianhorde ist nirgends zu sehen. Die Horde mit GPS-Halsbändern. Sie waren damit die kühlen Temperaturen vor der Morgendämmerung Ersten, die diese Technik bei sozialen Affen einsetzten. halten sie in ihren Schlafnestern in den Bäumen hoch Die Halsbänder, die wochenlang einen GPS-Punkt über dem Boden. Zu zweit oder zu dritt zusammen- pro Sekunde aufzeichneten, haben eine schwindel gekauert, wärmen die 50 Anubispaviane einander ge- erregende Menge an Daten geliefert. Die Messungen genseitig. Sie sind dort sicher vor Leoparden, die auf haben neue Erkenntnisse über die Abhängigkeiten in- dem Boden Jagd auf sie machen. Als sich die Sonne nerhalb der Paviangesellschaften produziert – wie sich über den Horizont schiebt, kommt Leben in die das, was ein Pavian macht, auf das Verhalten eines Art- Gruppe. Und das Spiel der Kompromisse beginnt. Bei genossen auswirkt und wie die Wechselwirkungen dem Begriff Kompromiss denkt man nicht unbedingt zwischen den Tieren die Entscheidungen der anderen an Paviane. Üblicherweise konzentriert sich die Vor- Gruppenmitglieder beeinflussen. stellung von den in Gruppen lebenden Tieren auf das dominante Männchen mit seinem massigen Körper Erste Ergebnisse zeigten, dass der Rang in einer Gesell- und der Mähne, das bestimmte Aspekte des Sozial- schaft kaum eine Rolle spielt: Die Mitglieder der lebens bestimmt. Aggressiv hält es die Gruppe in Horde folgen den dominanten Männchen ebenso wenig Schach. Es darf sich an den besten Essensplätzen so wie den untergeordneten Artgenossen. Dieser Befund lange bedienen, bis es satt ist, während die anderen zu- erschütterte die Annahmen darüber, wer wen in dieser sehen müssen. Außerdem beansprucht es die besten stark hierarchischen Gesellschaft beeinflusst. „Warum Schlafplätze, die meisten Paarungsgelegenheiten und die dominanten Männchen ihre soziale Macht nicht in Fellpflegesitzungen. Führungsqualitäten umsetzen können oder wollen, das wissen wir nicht. Dieses Rätsel müssen wir noch lösen“, so Crofoot. Aber was geschieht, wenn sich die Die Mehrheit entscheidet Horde entscheiden muss, einem von zwei Pavianen zu folgen, die sich in unterschiedliche Richtungen be Doch in den letzten Jahren haben Wissenschaftlerinnen wegen? Das Team, zu dem auch Iain Couzin, Damien und Wissenschaftler, darunter auch Meg Crofoot, eine Reihe von Forschungsergebnissen veröffentlicht, die 28 dem bisherigen Schwarz-Weiß-Bild Farbe verleihen. Durch die Untersuchung einer Horde Anubispaviane im Mpala-Forschungszentrum haben Crofoot und ihr Team herausgefunden, dass die Macht nicht aus- schließlich bei den dominanten Tieren liegt. Denn wenn es um die Frage geht, wohin die Gruppe ziehen soll, können die Tiere demokratisch entscheiden. Da- mit die Horde zusammenbleiben kann, gehen Paviane Kompromisse bei ihrem bevorzugten Fortbewegungs tempo ein. Merkmale der Landschaft und Feinheiten der Gruppe spielen ebenfalls eine Rolle bei der Gestal- tung der individuellen Entscheidungen. All dies deutet auf ein weitaus nuancierteres Porträt der Paviangesell- schaften hin. „Unter Pavianen herrscht weder völlige Despotie noch Demokratie“, sagt Meg Crofoot. „Ent- F oto: Rob N elson scheidungen werden je nach der Situation unterschied- lich gefällt.“ Bevor es hochauflösende Ortungsgeräte gab, hatten Bio- logen bei der Untersuchung des Sozialverhaltens von Affen in freier Wildbahn lediglich zwei Möglichkeiten: „Entweder man beobachtete ein Tier über einen be- stimmten Zeitraum hinweg, verpasste dann aber, was im Umfeld vor sich ging“, erklärt Crofoot. „Oder man zeichnete alles auf, was sämtliche Gruppenmitglieder zu einem bestimmten Zeitpunkt machten. Dann ver- passte man allerdings die Reihenfolge der Ereignisse.“ GPS-Ortungsgeräte haben das mittlerweile geändert. Nun kann ein einzelner Forscher zentimetergenau be- stimmen, wo sich jedes Tier der Gruppe gerade befin- det und was es tut. Max Planck Forschung · 2 | 2021
IM FOKUS „In der Damien Farine und Ariana Strandburg-Peshkin vom Konstanzer Max-Planck-Institut gehörten, beobach- Paviangesellschaft tete, dass ihre Wahl davon abhängt, in welche Richtun- gen sich zwei vorausgehende Paviane entfernen – ge- herrscht weder völlige nauer: vom Winkel zwischen beiden Richtungen. Be- trägt dieser weniger als 90 Grad, gehen die folgenden Tiere einen Kompromiss ein und wählen den Mittel- Despotie noch weg. Ist der Winkel größer als 90 Grad, wählen sie die Richtung, die von mehr Mitgliedern der Gruppe be- Demokratie. vorzugt wird. Sie folgen dann also einer „Mehrheitsre- gel“ und treffen die Entscheidung demokratisch. Entscheidungen Ohne Wissen über die physische und soziale Umgebung werden je nach der war das Bild der Entscheidungsfindung bei Pavianen jedoch unvollständig. Deshalb nahm das Team erneut Situation unter- die Hilfe der Technik in Anspruch: dieses Mal eine Drohne, die während des Fluges Bilder aufnahm. An- schiedlich getroffen.“ hand der Fotos rekonstruierte Strandburg-Peshkin die Landschaft mit einer Genauigkeit von fünf Zentime- tern. Durch das Überlagern der Standortdaten der Pa- Meg Crofoot viane mit der dreidimensionalen Landschaft konnte das Team analysieren, wie die Hügel, Bäume, Straßen und anderen Merkmale des Lebensraums die Ent- scheidungen der Tiere beeinflussen. Solche Studien, die die natürliche Umgebung mit den Bewegungen von Gruppen kombinieren, sind erstaunlich selten. „Dabei können wir doch so herausfinden, wie die Tiere Informationen über ihre Gruppe und ihren Lebens- raum über verschiedene Entfernungen und Zeiträume 29 hinweg berücksichtigen.“ Das Team entdeckte, dass Straßen der Schlüssel zur Ent- scheidungsfindung bei Pavianen sind. Und zwar in ei- nem solchen Maße, dass Straßen die „Mehrheitsregel“ außer Kraft setzen. Wenn eine Horde eine Straße ent- langzieht und ein Individuum in die umliegende Vege- tation abschweifen will, braucht es nicht nur eine Mehrheit, sondern eine Supermehrheit, um die Horde zum Nachgeben zu bewegen. Die Paviane interessie- ren sich auch dafür, wo andere Gruppenmitglieder ge- wesen sind, und besuchen bevorzugt solche Orte. „Auf der Straße kommen die Tiere schneller voran. Wenn ein Pavian also seine Gruppenkameraden zu größeren Anstrengungen motivieren will, braucht es dafür mehr Überzeugungskraft“, erklärt Crofoot. Nachdem sich die Forschenden Hunderte von Stunden an Pavianvideos angesehen hatten – eine gängige Pra- xis bei der Untersuchung des Verhaltens von Tieren –, Roland Kays (links) und bemerkten sie ein auffälliges Muster. „Man konnte er- Meg Crofoot bei der Vorbereitung von kennen, wie die Horde ständig beschleunigte und ver- GPS-Halsbändern. Mit langsamte und so ihr Tempo anpasste“, erzählt Meg diesen Ortungsgeräten Crofoot. Das brachte das Team dazu, sich zu fragen, haben die Forschenden wie Gesellschaften – wie jene der Paviane, in denen eine Gruppe von Tiere unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher 25 Pavianen ausgestattet Größe und unterschiedlicher Fähigkeiten zusammen- und die Positionen aller Tiere mehrere leben – die Kosten für diesen Zusammenhalt tragen. Wochen sekundengenau Um das herauszufinden, zapfte Crofoot einen Da- aufgezeichnet. tenstrom an, den vor ihr noch niemand genutzt hatte. Max Planck Forschung · 2 | 2021
IM FOKUS F o t o: M eg C rof o o t 30 Diese Seite: Die dichte Mähne ist das typische Merkmal ausgewachsener Männchen. Diese bringen bis zu 40 Kilogramm auf die Waage und besitzen längere Eckzähne als ein Löwe. Rechte Seite: Eine Horde Anubispaviane in der Savanne Kenias. Wahrscheinlich folgen die Tiere gerne Straßen, weil sie so schneller vorankommen. Damit die Gruppe zusammenbleibt, müssen die Affen ihre Geschwin- digkeit aufeinander abstimmen. Max Planck Forschung · 2 | 2021
IM FOKUS Verknüpfung von GPS-Ortung und Rekonstruktion der Landschaft: Die Kugeln geben die Positionen der Mitglieder der Pavianhorde zwischen Gr afik : G C O nac h M eg C rof o o t Bäumen und Büschen an: Ausgewachsene Weibchen Jugendliche Weibchen Ausgewachsene Männchen Jugendliche Männchen Jungtiere Bereits 2012 hatte sie Beschleuni- mit Informatikerinnen und Infor- gungssensoren in die GPS-Halsbän- matikern hat das Team den Pavia- der integriert. Die Sensoren sammel- Auf den Punkt nen Armbänder mit noch mehr Sen- ten Informationen über die Leistungs- gebracht soren angelegt – darunter Magneto fähigkeit, das Verhalten und den meter, Gyroskop, Thermometer und Dank moderner GPS-Ortung Energieaufwand der Tiere. „Plötzlich Mikrofon. Das Ziel des Experiments können Forschende die besaßen wir eine Menge von Daten, Positionen und Bewegungen ist es, für jedes Tier ein elektroni- 32 an die sich zuvor niemand herange- aller Mitglieder einer Gruppe sches Ethogramm zu erstellen – also traut hatte“, erinnert sie sich. rund um die Uhr aufzeichnen. eine detaillierte digitale Beschrei- Damit und mit weiteren bung seines Verhaltens. Daten aus der Umwelt wollen Jeder muss sie herausfinden, was das Verhalten der Tiere bestimmt. Mit diesem Instrumentarium kön- Kompromisse machen Die Mitglieder einer nen die Forschenden nun Fragen an- gehen, auf die sie früher keine Ant- Pavianhorde folgen häufig wort erwarten konnten, die aber für Dann kam Covid-19. Internationale Rei- nicht dem dominanten ein umfassendes Verständnis des sen wurden verboten, die Feldarbeit Männchen, sondern der Sozialverhaltens unerlässlich sind. Mehrheit der Gruppe. kam zum Erliegen. Die Forschenden Die Wahl der Richtung wird Zum Beispiel: Wie schlafen Wild- saßen zu Hause fest und hatten nur dann gewissermaßen tiere, wenn sie zusammen sind? ihre Computer als Gesellschaft. Es demokratisch getroffen. „Schlaf wird normalerweise in Labo- war der perfekte Zeitpunkt, um die ren mit einzelnen Probanden unter- Daten auszuwerten. Roi Harel leitete Damit die Gruppe zusammen- sucht. Jetzt wollen wir das Schlaf- bleibt, müssen die Mitglieder die Analyse. Er stellte fest, dass die verhalten von Paviangruppen in der ihre Laufgeschwindigkeit unterschiedlichen Körpergrößen der aufeinander abstimmen. Jung- Natur studieren“, sagt Meg Crofoot. Gruppenmitglieder ein Problem für tiere müssen sich dabei die gemeinsame Fortbewegung be- stärker anpassen als ältere. „Es ist wunderbar, Paviane in freier deuten. Der Forscher erkannte, dass Wildbahn zu beobachten – wie sie jede Größenklasse Kompromisse hin- sich streiten, sich versöhnen, ein sichtlich ihrer optimalen Geschwin- ander gegenseitig helfen und sich digkeit eingeht, um die Gruppe zu- manchmal auch austricksen.“ Dabei sammenzuhalten. Die jüngsten Mitglieder, die wegen denkt die Forscherin auch an eine andere, noch außer- ihrer geringeren Größe am meisten von der Sicherheit gewöhnlichere Art. „Wir wollen herausfinden, wie wir in einer Horde profitieren, tragen dabei am stärksten Menschen im Vergleich zu anderen sozialen Tierarten zum Kompromiss bei. Interessenkonflikte überwinden können, um gemein- same Ziele zu erreichen. Dies hilft uns zu verstehen, War die Analyse der Beschleunigungsdaten schon kom- warum wir eine so außerordentlich erfolgreiche Spe- pliziert, im Vergleich zum nächsten Projekt der For- zies sind.“ schenden war sie jedoch ein Kinderspiel. Zusammen www.mpg.de/podcasts/zusammenhalt Max Planck Forschung · 2 | 2021
Forschung leicht gemacht Das Magazin der Max-Planck-Gesellschaft als ePaper: www.mpg.de/mpf-mobil www.mpg.de/mpforschung n lo s Ko s t e a d e n ! lo down
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