IM GETRIEBE DER MEINUNGSMASCHINE - MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
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wissen aus im Getriebe der Meinungsmaschine Text: Peter Hergersberg Politische Debatten geraten heute oft zur verbalen Keilerei – vor allem in sozialen Medien. Um dem entgegenzuwirken, untersuchen Um einen sich selbst organisierenden ßern“, sagt Eckehard Olbrich „Es ist Eckehard Olbrich und Sven Prozess handelt es sich auch, wenn kaum möglich, die Debatten im De- Banisch am Max-Planck-Institut sich in einer Debatte ein Konsens tail zu verfolgen und nachzuvoll 56 oder polarisierte Standpunkte her- ziehen, warum Konflikte entstehen.“ für Mathematik in den Natur- ausbilden. Fachleute sprechen von der Daher entwickeln einige der Odyc- wissenschaften sowie Philipp Meinungs dynamik. Diese ist ein ceus-Partner mathematische Werk- Lorenz-Spreen am Max-Planck- Schwerpunkt des Odycceus-Projekts, zeuge, die helfen, die Informations- Institut für Bildungsforschung, kurz für „Opinion Dynamics and flut zu bewältigen. „Wir hoffen, dass wie es zu Polarisierung kommt Cultural Conflict in European Space“. wir dazu beitragen können, Debatten Sven Banisch hat es gemeinsam mit transparenter zu machen und Ausein- und wie Meinungsbildung in Eckehard Olbrich initiiert, der am andersetzungen zu versachlichen“, Gruppen funktioniert. Leipziger Max-Planck-Institut eine sagt Olbrich. Gr afik : VU B russe l/M ic h a e l A nsl ow Forschungsgruppe leitet. In diesem Projekt, das Olbrich heute koordiniert, Sein Kollege Sven Banisch entwickelt zu haben Forschende von acht Institutio- diesem Zweck Modelle, die abbilden, Wenn der Mathematiker Sven Banisch nen aus sechs Ländern von 2017 bis unter welchen Bedingungen eine De- erklärt, warum er politische Entwick- zum Sommer 2021 unter anderem un- batte zu einem gemeinsamen Stand- lungen untersucht, berichtet er von tersucht, wie wir uns in Kontroversen punkt oder aber zu unüberbrückbaren einem Versuch mit Ratten: Biologen positionieren oder wie Populismus Gegensätzen führt. Aus den mathe- beobachteten in kleinen Gruppen der Meinungen zu den Rändern des poli- matischen Parametern und Startbe- Tiere, dass sich stets dasselbe Zahlen- tischen Spektrums treibt. Und das vor dingungen, mit denen die Modelle verhältnis kooperierender, einzelgän- dem Hintergrund, dass heute digitale diese Prozesse realistisch wiederge- gerischer und von anderen gemobbter und vor allem soziale Medien die poli- ben, lässt sich schließen, welche ge- Tiere ergab. Dieselbe Ordnung ent- tischen Auseinandersetzungen prä- sellschaftlichen Faktoren dabei eine stand auch, wenn die Versuchsleiter gen. Dort werden Debatten selten Rolle spielen. Die Modellrechnungen aus verschiedenen Experimenten nur moderiert und arten oftmals in einen überprüfen Banisch und seine Kolle- Tiere eines Typs, zum Beispiel Einzel- wüsten Schlagabtausch aus. gen anhand von Daten. Besonders gut gänger, in einer neuen Miniaturge geht das mit Experimenten, die unter sellschaft zusammenbrachten. „Sol- „Durch die Digitalisierung stehen uns definierten Bedingungen stattfinden. che Formen sozialer Selbstorganisa- viel mehr und schnelllebigere Infor- Daher hat Sven Banisch gemeinsam tion möchte ich verstehen“, sagt Sven mationen zur Verfügung, und durch mit dem Volkswirt Hawal Shamon, Banisch, der am Leipziger Max- Kommentarfunktionen und soziale der am Forschungszentrum Jülich ar- Planck-Institut für Mathematik in Medien haben mehr Menschen die beitet, untersucht, wie stark die Vor- den Naturwissenschaften forscht. Möglichkeit, eine Meinung zu äu- eingenommenheit von Testpersonen Max Planck Forschung · 2 | 2021
wissen Aus Kultur & Gesellschaft Spuren der Debatte: Forschende der Freien Universität Brüssel haben im Odycceus-Projekt die Diskussionsverläufe zu Artikeln des britischen Guardian über den Klimawandel analysiert. Die Farben entsprechen dabei verschiedenen Themen in den Beiträgen.
wissen aus gegenüber verschiedenen Energieträ- eine Gruppe ebenfalls zum Konsens, Er hat gemeinsam mit deutsch-italie- gern die Meinungsbildung innerhalb der liegt aber unentschieden zwi- nischen Partnern gezeigt, wie sozialer einer Gruppe bestimmt. Diese kogni- schen Pro und Contra, und es dauert Austausch Meinungen auseinander- tive Verzerrung – Fachleute sprechen zudem lange, bis er erreicht wird. treiben kann. Und je eifriger Nutze- von einem Bias – bewirkt, dass glü- „Wir hoffen, dass Debatten konstruk- rinnen und Nutzer Kommentare pos- hende Anhänger von Kohle- oder tiver verlaufen, wenn wir zeigen, wel- ten, desto extremer werden ihre An- Windkraft die Argumente für ihre che Effekte der evolutionär gewach- sichten. Auf diese Weise haben die Energieform besonders gewichtig fin- sene kognitive Apparat auf kollektiver Forschenden die Spaltung reprodu- den. Das ist vielleicht nicht überra- Ebene hat“, sagt Sven Banisch. ziert, die es auf Twitter zu den drei schend – die kollektive Wirkung da- US-amerikanischen Aufregerthemen gegen schon. Denn in einer Gruppe Obamacare, Waffenkontrolle und Ab- führt ein starker kognitiver Bias zur Austausch fördert treibung gibt – wenn auch das Modell Polarisierung. Bevorzugen Menschen eine Energieform weniger stark, so Polarisierung zu weniger weit auseinanderliegen- den Positionen führte. „Die anfängli- kommt es jedoch zu einem anderen che Hoffnung, das Internet könne den Effekt: „Für uns war auch überra- Diese Voreingenommenheit lässt sich konstruktiven Austausch zwischen schend, dass sich die Probanden bei dabei selbst durch Austausch mit an- Menschen mit unterschiedlichen Mei- einer schwachen Voreingenommen- deren nicht überwinden – im Gegen- nungen fördern, hat sich nicht er- heit schnell auf eine Haltung einig- teil. Das hat ein Team gezeigt, an dem füllt“, sagt Lorenz-Spreen. Hinter ten“, sagt Banisch. Das war bei Ener- Philipp Lorenz-Spreen beteiligt war. der zersetzenden Wirkung des Aus- gieträgern wie Biomasse oder Gas der Der Physiker, der am Max-Planck-In- tauschs steckt wiederum Psychologie: Fall, die öffentlich nicht so prominent stitut für Bildungsforschung in Berlin Andere Meinungen auszuhalten, fällt und hitzig diskutiert werden. Ohne arbeitet, setzt ebenfalls auf Modelle – uns schwer. Wir neigen zur sozialen jede Voreingenommenheit gelangt und auf Daten aus sozialen Medien. Homophilie, diskutieren lieber mit Für oder gegen einzelne Energieformen führen 58 Diskutanten verschiedene Effekte an, etwa bei den Kosten oder den Emissionen. Auch die Folgen für die Menschen Biomasse wurden oft genannt. In Kernenergie Überschneidungen in den Argumenten erkennen Gr afik : Sv e n Ba n isc h /M PI fü r M at h e matik i n de n Nat u rwisse nsc h aft e n Solarenergie mathematische Modelle ideologisch verwandte Biotreibstoff Positionen – hier bei den Anhängern von Öl, Kohle und Kernkraft, sichtbar in den starken Verbindungen zwischen diesen Energieformen. Öl Wasserkraft In Argumenten genannte Effekte: Schaden Windkraft Umweltverschmutzung Menschen Emissionen Preis Kosten Erdgas Kohle Max Planck Forschung · 2 | 2021
kultur & gesellschaft Gleichgesinnten. So entstehen Echo- Vorfahren rasch zu Entscheidungen, Eckehard Olbrich das an einem Bei- kammern, in denen eine Meinung wenn es darum ging, die Gruppe spiel aus der Energiepolitik nachvoll- deutlich überwiegt und Menschen spontan zur Jagd zu versammeln und ziehen: Dort stehen sich Verfechter sich wechselseitig zu immer extreme- gegenüber feindlichen Horden die von Kohlestrom und Kernkraft ver- ren Auffassungen schieben können. Waffen oder die Flucht zu ergreifen. gleichsweise nahe, während es zwi- „In größeren Gruppen führt soziales schen ihnen und den Befürwortern Dafür sind nicht einmal inhaltliche Ar- Feedback bei Meinungsunterschie- erneuerbarer Energien eine deutlich gumente notwendig, zustimmende den jedoch schnell zur Polarisierung größere Distanz gibt. Denn manche oder ablehnende Äußerungen reichen und zur Entstehung von Echokam- Argumente wie etwa die Notwendig- bereits. „Das geht ja gar nicht“ oder mern“, erklärt Sven Banisch. Wie keit einer stabilen Energieversorgung „Ja, völlig richtig“ gehören da noch groß die gesellschaftlichen Folgen der oder die Meinung, dass Windräder zu den gepflegteren wörtlichen Äu- widerhallenden Meinungen sind, und Solarparks die Landschaft ver- ßerungen, Unterstützung lässt sich wird jedoch noch diskutiert. Studien schandeln, sprechen sowohl für Kohle sogar einfach als Like verteilen. Sozi- etwa aus den USA zeigen, dass sich als auch Atomkraft. Mit den Argu- ales Feedback nennen Sozialwissen- selbst die besonders aktiven Mei- menten für erneuerbare Energien gibt schaftler solche Kommentare. Sven nungsmacher nur selten ausschließ- es dagegen weniger Überschneidun- Banisch und Eckehard Olbrich haben lich in Echokammern aufhalten. Die gen. Auf den unterschiedlichen argu- gezeigt, dass die zustimmenden oder allermeisten konsumieren zusätzlich mentativen Fundamenten formen sich ablehnenden Beiträge helfen, in einer andere Medien, mögen die auch viel- so verschiedene Ideologien. Gruppe Einigkeit herzustellen, und leicht so wenig ausgewogen berichten zwar sehr schnell. Homophilie ist wie Fox News. Die politischen Auseinandersetzungen auch hier wieder der Grund: Die ideologischer Lager untersucht das meisten Menschen freuen sich über Leipziger Team auch anhand von Da- Schulterklopfen und fürchten Ohr Analyse von ten aus der Wirklichkeit. Dafür sind feigen, auch wenn diese nur verbal ausgeteilt werden. Daher versammeln Tweetgefechten die sozialen Netzwerke bestens geeig- net, weil in ihnen vielfältige Informa- sich Gruppenmitglieder verstärkt tionen offenliegen. Das gilt vor allem hinter einer Meinung, zu der es an- Dass die gesellschaftlichen Auswirkun- für Twitter. Hier lassen sich Kon- fangs womöglich nur eine Tendenz gen der modellierten Effekte noch fliktlinien und Allianzen daran er- 59 gab. Evolutionär ergibt das durchaus nicht klar sind, ist nicht der einzige kennen, wer welche Tweets retweetet, Sinn. Denn so fanden unsere frühen Grund, die Modellergebnisse mit das heißt mit der eigenen Gefolgs- Vorsicht zu betrachten – auch für die chaft teilt, und wer wem antwortet. Modellierer selbst: „Wir simulieren Daher hat das Leipziger Team eine Mechanismen der Meinungsbildung, Software geschrieben, die aus Twit- aber kein reales Verhalten“, sagt Phi ternutzern und ihren Tweets Netz- Auf den Punkt lipp Lorenz-Spreen. Denn dieses werke knüpft und visualisiert. Darin gebracht werde auch durch Umwelteinflüsse repräsentieren jeder Knoten eine und individuelle Unterschiede be- Nutzerin oder einen Nutzer und jede Forschende der Max- stimmt, die solche Modelle derzeit Linie zwischen zwei Knoten einen Planck-Gesellschaft noch nicht erfassten. Eckehard Ol- Retweet beziehungsweise eine Ant- möchten die Mechanismen aufdecken, die zur brich meint ebenfalls, dass die Simu- wort. Stark miteinander verknüpfte Polarisierung von Debatten lationen noch näher an die Realität Knoten ordnet das Programm zudem etwa in sozialen Medien herankommen können: „Da ist noch nah beieinander an. Damit Interes- führen. Nicht zuletzt um viel Luft nach oben.“ Trotzdem sind sierte Debatten selbst analysieren dem entgegenzuwirken, die Modellrechnungen auch in der jet- können, haben die Leipziger For- haben sie das Odycceus- zigen Form hilfreich. „Sie helfen uns schenden die Software unter dem Na- Projekt angestoßen. dabei, Theorien zu entwickeln, wie men Twitterexplorer ins Netz gestellt Voreingenommenheit und Meinungsbildung funktioniert“, sagt – samt der Anleitung, wie sie sich ins- sozialer Austausch können Sven Banisch. tallieren lässt. zur Polarisierung führen. Dabei kann eine laute Zum Beispiel eine Theorie darüber, wie Mit den Algorithmen haben die Leipzi- Minderheit die leise aus Meinungen zu verschiedenen ger Forschenden zwei Tweetgefechte Mehrheit zum Schweigen bringen. Themen ein geschlossenes Weltbild genauer untersucht: jenes zur sächsi- wird und warum es dabei zur Lager- schen Landtagswahl 2019 und das zu Künstliche Intelligenz soll bildung kommt. Warum etwa sind Krawallen in Leipzig während der helfen, Meinungen und Befürworter eines rigiden Klima- Silvesternacht 2019/20. In beiden Argumentationslinien aus schutzes oft auch offener für Einwan- Fällen bildeten sich im Retweet-Netz- Texten herauszulesen. derung – und umgekehrt? Mit einem werk zwei Meinungspole und ein deut- Modell konnten Sven Banisch und lich schwächer besetzter Bereich da- Max Planck Forschung · 2 | 2021
wissen aus Jörg Urban FDP Sachsen zwischen. Doch auch die Pole waren (Parteivorsitzender der SPD Sachsen Gr afik : F e l i x Gais bau e r , A r mi n P ou r naki , Sv e n Ba n isc h , Eck e h a r d Ol b r ic h - I de ol o gica l diff e r e nc e s i n e ngage m e n t i n pu bl ic de bat e on T witt e r unterschiedlich stark besetzt. Die AfD Sachsen) Mehrheitsfraktion, in der Politikerin- Pegida nen und Politiker der SPD, der Lin- Grüne Sachsen ken und der Grünen sowie einige Me- dien wie der MDR Sachsen oder Bild Leipzig einander mit Retweets be- dachten, brachte es auf fast dreimal so viele Anhänger wie die Minderheit vor allem mit Vertretern von AfD und CDU Sachsen Pegida. Dazwischen tummelten sich Michael Kretschmer Politiker von CDU und FDP sowie (Ministerpräsident weitere Medien wie MDR aktuell Sachsen, CDU) Katja Kipping oder Bild Dresden. (Parteivorsitzende Die Linke) Psychologische Katja Kipping Schweigespirale (Parteivorsitzende Die Linke) SPD Sachsen FDP Sachsen Ein ganz anderes Bild ergab sich für das Netzwerk der Antworten oder Replies, Michael Kretschmer (Ministerpräsident wie es im Twitterjargon heißt. Die Sachsen, CDU) beiden Cluster schienen sich nun ge- radezu ineinander zu verkeilen – vor allem die rechtslastige Minderheit CDU Sachsen Grüne Sachsen suchte die Konfrontation. Sie antwor- tete genauso oft wie die dreimal grö- 60 ßere Mehrheit. Hier kommt wieder Psychologie ins Spiel. Weil die meisten Pegida Menschen Kritik, allemal Beschimp- Jörg Urban fungen, fürchten, halten sie sich im (Parteivorsitzender der AfD Sachsen) Zweifel mit Äußerungen zurück. „So kann es zu einer Schweigespirale kom- men“, sagt Felix Gaisbauer, der am Max-Planck-Institut für Mathematik Sichtlich gespalten: Anhänger eines AfD-nahen (rosa) und eines eher linksliberalen in den Naturwissenschaften promo- (türkis) Lagers teilten zur sächsischen Landtagswahl 2019 vor allem Beiträge viert: „Eine laute Minderheit kann Gleichgesinnter. Im Retweet-Netzwerk (oben) erscheint das als Polarisierung. In der eine leise Mehrheit zum Schweigen Mitte zwischen beiden Lagern stehen weniger Nutzer (grau). Im Reply-Netzwerk bringen, sodass sie öffentlich vielleicht (unten) rücken die beiden Cluster zusammen, weil vor allem die AfD-nahe Fraktion sogar als Mehrheit wahrgenommen auf die Tweets der Gegner antwortete. wird.“ Die Gefahr besteht vor allem dann, wenn klassische Medien das Geschehen etwa auf Twitter abbilden hat ein Team um Katrien Beuls und hat sich auf maschinelles Textver- und der Entrüstung der Minderheit Tom Willaert von der Freien Univer- ständnis spezialisiert. Er bringt dabei so eine noch größere Bühne bieten. sität Brüssel den opinion facilitator seine mathematischen Fähigkeiten entwickelt, der in Texten Kausalzu mit seinem eigenen politischen Inter- Nicht zuletzt um Auseinandersetzungen sammenhänge erkennt sowie Ursa- esse zusammen. Konkret arbeitet er konstruktiver zu gestalten, entwickeln chen und Wirkungen katalogisiert. an Rechenvorschriften – vor allem die Odycceus-Partner auch mathema- Beispielhaft angewendet hat die sogenannten Topic Models –, die Mei- tische Instrumente für die Textanaly- Gruppe das Instrument auf Artikel, nungen aus Presseberichten, Posts se. „Wir möchten Kausalzusammen- die im britischen Guardian zum Kli- und anderen Online-Veröffentlichun- hänge, Meinungen und Argumentati- mawandel erschienen sind. Es zeigt, gen herauslesen sollen. Dafür müssen onslinien aus Texten herauslesen und ob für eine Wirkung wie etwa die Erd die Programme erst einmal die The- so aufbereiten, dass sie leichter nach- erwärmung verschiedene Ursachen men erkennen – auch dann, wenn vollziehbar werden“, sagt Eckehard diskutiert werden, also beispielsweise diese nicht explizit genannt werden. Olbrich. Dabei setzen die Forschen- die menschlichen Treibhausgasemis- Also lernen die Algorithmen von Trai- den auf künstliche Intelligenz, ge- sionen ebenso wie eine erhöhte Son- ningsdaten etwa, wie wahrscheinlich nauer: auf maschinelles Lernen. So nenaktivität. Auch Eckehard Olbrich es in einem Text um Mobilität geht, Max Planck Forschung · 2 | 2021
kultur & gesellschaft wenn darin Begriffe wie Verkehr, Zug, eine weitere rechtspopulistische Be- die Kompetenz, die Qualität einer In- Autobahn und Flughafen auftauchen. wegung? Ließ sich Pegida noch in das formation beurteilen zu können. Sich Solche Zusammenhänge erkennen die klassische Links-rechts-Schema ein- vor oder nach der Lektüre durch einen Algorithmen dann selbstständig auch ordnen, das stark von ökonomischen Entscheidungsbaum mit entsprechen- bei neuen Themen wie etwa Umwelt Kriterien geprägt ist? Also auf der ei- den, wiederum äußeren Kriterien zu oder Recht und Ordnung. nen Seite die Befürworter des freien hangeln, könnte Nutzern einen sol- Marktes und auf der anderen jene, die chen Schub zur systematischen Qua- Losgelassen hat Olbrich die Formeln auf für mehr staatliches Eingreifen und litätsprüfung geben. „Boosts verlan- die Wahlprogramme, welche die Par- Umverteilung plädieren. Viele Sozio- gen zwar ein relativ großes Engage- teien Deutschlands und anderer euro- logen ziehen die Konfliktlinie heute ment, dürften aber, anders als das päischer Länder sowie der USA in eher entlang kultureller Unterschiede, Nudging, auch noch wirken, wenn sie den vergangenen Jahrzehnten veröf- die mit Weltoffenheit und Heimat- entfernt werden“, sagt Lorenz- fentlicht haben. Die politischen Ab- treue verbunden sind. Eckehard Ol- Spreen. Allerdings würden alle Vor- sichtserklärungen hat das Wissen- brich arbeitet daran, diese Rekon schläge des Teams tief in das Ge- schaftszentrum Berlin in einem Pro- figuration des politischen Raums mit schäftsmodell von Youtube, Twitter jekt namens Manifesto digitalisiert. Algorithmen aus einschlägigen Tex- und Konsorten eingreifen. Denn sie „Themen identifizieren wir mit den ten herauszulesen. dürften die Informationsverbreitung Topic Models schon sehr gut“, sagt bremsen und den Plattformen so Auf- Olbrich. Das hilft bereits, die Pro- Die sozialen Medien können für eine merksamkeit nehmen. „Und das be- gramme zu vergleichen. Nun geht es solche Transformation als Schmier- deutet weniger Profit“, so Lorenz- darum, dass die künstliche Intelligenz mittel wirken. Ein Beispiel ist der Spreen. Einen Ausweg sieht er nur, auch Haltungen zu den Themen er- Graben, den Donald Trumps Twit- wenn Nutzerinnen und Nutzer selbst kennt. Dabei versuchen die Leipziger terwut über Jahre immer weiter auf- mehr Transparenz fordern und etwa Forschenden stets nachzuvollziehen, riss. Trumps wichtigstes Werkzeug zu alternativen Plattformen abwan- wie die Algorithmen zu ihren Ergeb- dabei: alternative Fakten. Wenn sich dern, die ähnlich funktionieren könn- nissen kommen. Selbstverständlich ist Fake News leichter als solche identifi- ten wie Wikipedia. „Langfristig kann das nicht: „Die praktischen Anwender, zieren und weniger leicht verbreiten ich mir sogar vorstellen, dass nach etwa die Leute von Google, sind beim ließen, könnte die gemeinsame Fak- dem Vorbild der öffentlich-recht Textverständnis schon viel weiter“, tenbasis, die heute vielen Debatten lichen Medien öffentliche Institutio- 61 sagt Olbrich. Doch da wisse man fehlt, wieder entstehen. Philipp Lo- nen solche Plattformen betreiben“, kaum, anhand welcher Kriterien die renz-Spreen möchte die Nutzerinnen sagt der Forscher. Erst einmal gehe es Algorithmen Bedeutungen zuordnen. und Nutzer sozialer Medien daher aber nicht ohne Regeln. Da bleibt unklar, ob die Algorithmen dazu bringen, sich mehr mit der Be- tatsächlich einen realen Zusammen- lastbarkeit von Behauptungen zu be- Die Europäische Kommission zeigt sich hang erkennen oder diesen nur konst- schäftigen. Mit einem internationalen mit dem Digital Service Act, der Si- ruieren. Klar, dass Letzteres Debatten Team um Ralph Hertwig, Direktor cherheits- und Haftungsvorschriften ebenso verzerren kann wie Fake News. am Max-Planck-Institut für Bildungs- für digitale Dienste festschreiben soll, forschung, hat er Vorschläge erarbei- offen für Regelungen. Auch Deutsch- tet, die nicht auf inhaltlichen Krite- land hat mit dem Netzwerkdurch Qualitätsprüfung rien, sondern nur auf äußeren Merk- setzungsgesetz gegen kriminelle digi- malen beruhen: Eine Darstellung von tale Inhalte schon einen Schritt getan. durch Stupser und Inhalten, die deren Glaubwürdigkeit Welche Maßgaben darüber hinaus für Schübe anhand der Quellen oder Absender soziale Medien gelten sollen, muss die leichter erkennbar macht, gehört Gesellschaft noch aushandeln. „Digi- ebenso dazu wie Versuche, das Teilen tale Auftritte bis ins Kleinste zu re- Mit mathematischen Werkzeugen für von Beiträgen zu verlangsamen, etwa geln, ist schwierig, aber Designdetails die Textanalyse will das Leipziger durch zusätzlich notwendige Klicks, spielen dabei durchaus eine große Team auch dazu beitragen, Fragen zu wenn User eine Meldung weiterleiten Rolle“, sagt Philipp Lorenz-Spreen. beantworten, an denen sich die Sozial- wollen, ohne sie gelesen zu haben. So- Welche Maßnahmen zu einem vor- wissenschaften derzeit abarbeiten. zialwissenschaftler nennen solche In- sichtigeren Umgang mit Informatio- Das war für Eckehard Olbrich sogar terventionen Nudges, also Stupser. nen aus sozialen Medien führen kön- eine wesentliche Motivation, im Jahr „Wir sind uns bewusst, dass Nudging nen, möchte er künftig auch mit Ecke- 2015 das Odycceus-Projekt anzusto- Menschen bevormundet“, sagt Phi hard Olbrichs Team untersuchen. ßen. Konkret ging es darum, die Hin- lipp Lorenz-Spreen. „Deshalb müsste Denn auch wenn das Odycceus-Pro- tergründe der Pegida-Bewegung auf- immer transparent sein, dass es sich jekt jetzt ausläuft: Der Weg zu einem zudecken, die nach 2014 einigen Zu- um Nudges handelt.“ fairen, faktengestützten Meinungs- lauf fand: Handelte es sich bei den austausch ist noch weit – nicht nur in Demonstrationen gegen muslimische Eine weniger paternalistische Interven- der digitalen Welt. Mitbürgerinnen und -bürger nur um tion sind Boosts, sprich Schübe für www.mpg.de/odycceus-podcast Max Planck Forschung · 2 | 2021
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