Soldat sein heute Leitgedanken zur Neuausrichtung der Bundeswehr

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Bundesministerium
der Verteidigung

                Soldat sein heute
           Leitgedanken
 zur Neuausrichtung der Bundeswehr
Unsere Neuausrichtung
Die Neuausrichtung der Bundeswehr folgt den sicherheitspolitischen
Veränderungen in Europa und der Welt. Die Dimension dieses Wandels
beschreiben die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 und setzen
damit den sicherheitspolitischen Rahmen für die Neuausrichtung der
Bundeswehr.        Zukunftsfähige,     demographiefeste      und    finanzierbare
Streitkräfte werden künftig Deutschlands Sicherheit gemeinsam mit
unseren Bündnispartnern gewährleisten.

Der Erfolg der Neuausrichtung ist aber nicht ausschließlich eine Frage
von    Streitkräftestrukturen,       Fähigkeitsprofilen      und      finanzieller
Ausstattung. Vielmehr sollte der Wandel auch eine geistige Orientierung
anstoßen,     um     auf   veränderte    gesellschaftliche    und     militärische
Rahmenbedingungen nicht nur organisatorisch sondern auch inhaltlich
angemessen zu reagieren. Wir müssen also gleichermaßen unser
berufliches        Selbstverständnis       und     unsere          Führungskultur
weiterentwickeln.

Diese Leitgedanken sollen Anstoß und Richtung dafür geben und ich
möchte alle Soldatinnen und Soldaten, aber auch unsere zivilen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herzlich ermuntern, sich in diesen
Diskurs persönlich einzubringen. Nur so wird es uns gelingen, die
Neuausrichtung der Bundeswehr umfassend zu gestalten.

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Eine Standortbestimmung
Neben den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen hat sich in den
Jahrzehnten    seit   Ende     des    Kalten     Krieges      nicht   nur   das
Anforderungsprofil der Soldaten der Bundeswehr verändert. Auch
gesellschaftliche Entwicklungen haben Einfluss auf die Streitkräfte und
verändern das „Innere Gefüge“ der Bundeswehr.

Die Wiedervereinigung brachte über zwei Jahrzehnte Menschen aus
Ost- und Westdeutschland mit unterschiedlichen Lebensentwürfen und
Erfahrungen in der „Armee der Einheit“ zusammen.

Frauen wurden ab 2001 zu allen Laufbahnen der Bundeswehr
zugelassen, nachdem sie zuvor lediglich im Sanitätsdienst und den
Musikkorps dienen durften.

Heute sind in der Bundeswehr mehr Religionen und Glaubensrichtungen
vertreten als je zuvor. Gleichzeitig stieg die Zahl der Soldatinnen und
Soldaten      ohne        religiöse    Bindung            vergleichbar      zum
gesamtgesellschaftlichen Trend.

Zunehmend gilt vor allem für die jüngeren Mannschaften, Unteroffiziere
und Offiziere, was Sozialstudien der vergangenen Jahre für diese
Generation grundsätzlich festgestellt haben: Sie sind individualistischer
als frühere Jahrgänge und besitzen weniger traditionelle und religiöse
Bindungen; aber Freundschaft, Verlässlichkeit, Familie und soziale
Akzeptanz ihres Handelns bleiben vielen weiterhin wichtig.

Gleichzeitig haben pragmatische Einstellungen zugenommen. Das
politische Engagement junger Menschen verteilt sich heute vielfältiger
auf   die   zahlreichen   Angebote    und      ist   in   einer   globalisierten
Informationsgesellschaft zunehmend anders organisiert als in früheren
Zeiten.

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Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben heute ein sehr viel
differenzierteres Weltbild als dies noch vor Jahren der Fall war. Durch
intensiveren    Kontakt     mit   ausländischen        Kulturen,   eine      nahezu
grenzenlose Europäische Union, die globalen Vernetzungsmöglichkeiten
im Internet, gestiegene Kompetenz in der Mediennutzung sowie die
Möglichkeiten    des      Tourismus   haben      sie     auf   vielfältige   Weise
Erfahrungen mit anderen Nationalitäten und Kulturen gesammelt.
Unbestritten wachsen sie internationaler auf als vorangegangene
Generationen.

Das Bildungs- und Ausbildungsniveau unserer Rekruten ist dabei
unverändert     hoch   und    entspricht   den     Anforderungen          moderner
Streitkräfte. Zudem sind gute Fremdsprachenkenntnisse in Englisch wie
auch in einer Reihe anderer Sprachen immer häufiger anzutreffen.
Grundsätzlich sind unsere Soldaten heute also nicht besser oder
schlechter für den Dienst geeignet als früher. Wohl aber erfahren
Stärken und Schwächen dieser jungen Menschen heute eine andere
Ausprägung.

Daneben haben unverändert ältere Kameraden und Vorgesetzte ihren
Platz, die noch zu Zeiten des Kalten Krieges in die Bundeswehr
eingetreten sind. Viele von ihnen wurden noch im Geiste des Diktums
„Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“ sozialisiert und nicht
alle konnten inzwischen Erfahrungen im Auslandseinsatz sammeln. Das
Miteinander unterschiedlicher Erfahrungen funktioniert dort problemlos,
wo alle bereit sind, ihre Erfahrungen zu teilen und voneinander zu
lernen. Aber es kann zu Unstimmigkeiten führen, wenn das Verständnis
füreinander fehlt, es an Lernbereitschaft mangelt oder berufliche
Unzufriedenheit entsteht.

Die Bevölkerung in Deutschland wird nach statistischen Erhebungen in
den nächsten Jahren deutlich abnehmen. Gleichzeitig wird der Anteil
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junger Erwerbstätiger aufgrund der Altersstruktur weiter sinken. Damit
wird die Bundeswehr künftig in einem noch stärkeren Wettbewerb um
geeigneten und qualifizierten Nachwuchs bestehen müssen. Die
veränderte Bedrohungslage erlaubt im Rahmen der Neuausrichtung
zwar    eine   Reduzierung         der   Umfänge,        aber    eine    stärkere
Technologisierung und ein hoher, vermutlich noch wachsender Bedarf
an Spezialisten machen es wahrscheinlich, dass die Gewinnung von
qualifiziertem Nachwuchs eine strategische Herausforderung bleiben
wird.

Der Dienst in der Bundeswehr erfordert traditionell eine ausgeprägte
Bereitschaft   zur    Mobilität.   Dieser     Anspruch    gilt   mittlerweile   in
unterschiedlicher Ausprägung für alle Laufbahnen. Großstandorte, die
eine    langjährige    Verwendung        in    unterschiedlichen        Bereichen
ermöglichten, sind selten geworden und konkurrieren mit der Forderung
nach Präsenz in der Fläche. Zudem beobachten wir, dass die
Bereitschaft, an einen neuen Standort zu ziehen, insbesondere bei
jungen Familien rückläufig ist, zum Beispiel, weil zunehmend beide
Partner berufstätig sind. Die Zahl der Pendler wird daher absehbar
zunächst auf hohem Niveau verharren.

Für viele – besonders junge Menschen – stellt sich die Frage, ob der
Wunsch, eine Familie zu gründen, mit dem Dienst in den Streitkräften in
Einklang zu bringen ist. Die Bundeswehr ist deshalb bemüht, die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie ständig weiter zu verbessern, auch
wenn es unter den besonderen Bedingungen soldatischen Dienens nicht
möglich sein wird, dieses Spannungsfeld gänzlich aufzulösen.

Umso wichtiger ist es, dass die Vorgesetzten aller Ebenen sich der
besonderen Verantwortung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
bewusst sind und ihren vollen Handlungsspielraum ausschöpfen, um den
ihnen anvertrauten Menschen die erforderlichen Freiräume zu schaffen.
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Der Anpassungsdruck auf Streitkräfte ist aufgrund der aufgezeigten
sicherheitspolitischen, gesellschaftspolitischen, aber auch ökonomischen
Einflussfaktoren kontinuierlich spürbar. Die Dynamik der Veränderung
wird auch nach der Neuausrichtung der Bundeswehr nicht nachlassen.
Deshalb      müssen    wir   geeignete   Mittel   und    Wege      finden,   um
Handlungsbedarf       früh   zu   erkennen    und       daraus    resultierende
Veränderungen kontinuierlich zu ermöglichen. Ein Schlüssel zum Erfolg
ist     dabei     die        Überwindung          unseres        institutionellen
Beharrungsvermögens, da dieses immer wieder Reformbedarf verstärkt,
der dann zyklisch sehr tiefgreifende Veränderungen in der Bundeswehr
erfordert.

Einsatzrealität und Freiwilligenarmee
Die Innere Führung gewährleistet die Verwirklichung der Werte und
Normen unseres Grundgesetzes in der Bundeswehr. Sie wirkt im
Spannungsfeld zwischen den soldatischen Prinzipien von Befehl und
Gehorsam und den persönlichen und demokratischen Freiheitsrechten.
Die gewachsene Herausforderung für die Bundeswehr besteht darin,
diesen hohen Anspruch auch unter großen Belastungen durch die
Einsätze und unter den Bedingungen der Freiwilligenarmee zu
verwirklichen.

Unsere Streitkräfte sind integraler Bestandteil einer Risikovorsorge, die
den Schutz unseres Landes und seiner Bevölkerung gegen aktuelle und
künftige Gefahren zum Ziel hat. Wiederholt hat sich unser Land seit 1991
erfolgreich an Missionen im Ausland beteiligt und damit seine
Bereitschaft zur Übernahme internationaler Verantwortung bewiesen.
Diese Haltung entspricht der Erwartung unserer Verbündeten wie der
internationalen Staatengemeinschaft, dass sich Deutschland auch

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militärisch auf eine Weise engagiert, die seiner Rolle und Bedeutung
angemessen erscheint.

Die Bundeswehr handelt als Bündnisarmee und operiert im engen
Verbund mit ihren Partnern und befreundeten Nationen. Multinationalität
ist Anspruch und kennzeichnendes Wesen deutscher Militär- und
Verteidigungspolitik. Der Dienst an der Seite ausländischer Kameraden
aus NATO, Europäischer Union und weiteren Partnernationen ist gelebte
Realität.   Dies      gilt   gleichermaßen       für   die     Landes-     und
Bündnisverteidigung wie für die vielfältigen Auslandseinsätze jenseits
unserer Bündnisgrenzen. Die enge Kooperation mit der Bevölkerung in
Krisenregionen, mit Streitkräften, Regierungen und Behörden vor Ort ist
von ähnlicher Bedeutung für unsere Missionen wie das enge
Zusammenwirken mit staatlichen und nicht-staatlichen, deutschen und
internationalen zivilen Akteuren.

Die   Männer    und      Frauen   der   Bundeswehr      dienen      in   diesem
Spannungsfeld      durchaus    konkurrierender     Einflüsse   im    gesamten
Aufgabenspektrum. Soldaten der Bundeswehr schützen, kämpfen
vermitteln und helfen heute in Regionen weit jenseits unserer
Bündnisgrenzen.

Die Notwendigkeit, in Gefechten und militärischen Kampfhandlungen zu
bestehen, trat erst in den letzten Jahren verstärkt ins Bewusstsein
unserer Streitkräfte und einer breiten Öffentlichkeit. Das meint nicht
weniger, als den bewussten Einsatz militärischer Gewalt gegen einen
Gegner, der häufig in hochkomplexen Szenarien ohne Bindung an das
humanitäre Völkerrecht seine Mittel in asymmetrischer Aufstellung zur
Wirkung bringt und darüber hinaus Zeitpunkt, Ort und Wahl der Mittel
selbst bestimmt. Die Bundeswehr hat sich in diesen Einsätzen behauptet
und bewährt.

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Diese Einsatzerfahrung prägt die Bundeswehr auf eine neue Weise:
Begriffe wie Kameradschaft und Tapferkeit sind mittlerweile für viele von
uns    mit   persönlichen     Erlebnissen    und      Erinnerungen    an
Auslandseinsätze verbunden. Tod und Verwundung als ständige
Bedrohung und fremde, oft grausame Eindrücke aus den Krisenregionen
wirken nach. Zudem erfordert die Einsatzrealität von den Soldatinnen
und Soldaten die Einhaltung komplexer Vorschriften und Regeln und die
Auseinandersetzung     mit    fremden     Kulturen,    Traditionen   und
Werteordnungen.

Schon in der Ausbildung sind unsere Soldatinnen und Soldaten verstärkt
auf jene Bewährungsproben für die Innere Führung vorzubereiten, die
sich ergeben, wenn Kampf, Multinationalität und der Kontakt mit fremden
Kulturen die Einsatzwirklichkeit bestimmen. Die Prinzipien der Inneren
Führung wirken dabei sinnstiftend und stärken die Moral unserer
Soldatinnen und Soldaten; sie erhöhen die Kampfkraft.

Jede Generation, die in die Bundeswehr eintritt, besitzt spezifische
Prägungen sowie eigene Stärken und Schwächen. Die Innere Führung
und eine gute Ausbildung garantieren, dass wir auch vor dem
Hintergrund der Freiwilligenarmee und stetigen gesellschaftlichen
Wandels weiterhin jene vorzüglichen Soldaten erhalten, die den guten
Ruf der Bundeswehr auch für die Zukunft begründen werden.

Die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft

In den Auslandseinsätzen sind unsere Soldatinnen und Soldaten oft weit
umfänglicher von der Lebens- und Erfahrungswelt der deutschen
Bevölkerung entfernt, als dies in früheren Zeiten der Fall war. Gefahr,
Entbehrungen, Tod und Verwundung, aber auch die Ermangelung
jeglicher Privatsphäre sind soldatische Erfahrungen, die in der

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Bundeswehr vielfach, in der breiten Gesellschaft hingegen höchst selten
anzutreffen sind.

Gleichzeitig blieben unsere Möglichkeiten bisher beschränkt, diese
Erfahrungen in die Gesellschaft zu tragen. Mit der Aussetzung der
verpflichtenden Einberufung zum Wehrdienst wird die Wahrnehmung der
Bundeswehr im täglichen Leben der Menschen zudem deutlich
abnehmen. Die Reduzierung des Personalumfangs und die notwendige
Schließung von Standorten können diese Tendenz noch verstärken.

Daher wird ein großer Teil der Gesellschaft die Einsatzrealität und den
militärischen Alltag unserer Soldatinnen und Soldaten weitgehend über
die Berichterstattung in den Medien und viel weniger aus persönlicher
Betroffenheit wahrnehmen. Darauf müssen wir uns einstellen und neue
Möglichkeiten erschließen, die Bundeswehr für die breite Öffentlichkeit
erfahrbar zu machen.

Als Angehörige der Bundeswehr haben wir deshalb das Recht und die
Pflicht, unsere Interessen und Ansichten auf verantwortungsbewusste
Weise in den gesellschaftlichen Dialog gleichberechtigt einzubringen. Als
Soldaten und mündige Bürger sind gerade wir es, die besonders
authentisch die Sinnhaftigkeit unseres Dienstes und den Auftrag von
Streitkräften auch nach außen vermitteln können. Das sollten wir nicht
nur anderen überlassen.

Dazu bedarf es einer Kultur des Vertrauens und der Verantwortung
innerhalb der Bundeswehr, aber auch im Umgang mit anderen
gesellschaftlichen Gruppen und den Medien.

Wenn    das   Verhältnis   zwischen   der   Bundeswehr    und   anderen
gesellschaftlichen Gruppen zudem von Unvoreingenommenheit und
Respekt geprägt ist, habe ich keine Sorge, dass es selbst in

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demographisch schwierigen Zeiten gelingen wird, genügend Freiwillige
für unsere Streitkräfte zu werben. Wer die Bundeswehr in diesem
Bemühen        kritisiert,     sollte    nicht   verkennen,      dass      auch      eine
gesellschaftliche       Verantwortung        besteht,    für   den   Dienst     in   der
Bundeswehr die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Eine Armee
für die Gesellschaft muss eben auch eine Armee in der Gesellschaft
sein.

Uns ist bewusst: Die Unterstützung aller Mitbürger werden wir nie
erreichen können. Aber die Anerkennung einer überwiegenden Mehrheit
der Deutschen können wir gewinnen. Dies sollte unser Ziel sein.

Um das Vertrauen anderer Gesellschaftsgruppen in die Bundeswehr zu
stärken, müssen wir ihnen mit Offenheit und Transparenz begegnen.
Militärische     Geheimhaltungsinteressen,              rechtliche   und      operative
Überlegungen          sowie    der      Persönlichkeitsschutz    unserer      Soldaten
müssen dabei berücksichtigt werden; sie dürfen die Kommunikation aber
nicht verhindern.

Trotz der wachsenden medialen Aufmerksamkeit erreicht der öffentliche
Diskurs        über      die       Konsequenzen          der     sicherheits-        und
verteidigungspolitischen          Entwicklungen         und    die   Aufgaben        der
Bundeswehr, insbesondere Sinn und Zweck der Einsätze im Ausland,
noch nicht die gewünschte Breite und Tiefe. Das wachsende Interesse in
der Bevölkerung für die Soldaten im Einsatz, die öffentliche Anteilnahme
an den Trauerfeiern für die gefallenen Kameraden und das große
Interesse am Schicksal der an Leib oder Seele verwundeten Heimkehrer
sind jedoch Anzeichen für ein wachsendes gesellschaftliches Interesse,
das zuversichtlich stimmt. Auch Umfragen des Sozialwissenschaftlichen
Instituts der Bundeswehr dokumentieren breite Anerkennung.

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Insbesondere die gesellschaftliche Verantwortung für unsere Soldaten
und deren Familien wird jedoch in der Öffentlichkeit zu wenig diskutiert.
Diese    Thematik     überwindet   noch   zu      selten    die    Grenzen   der
einschlägigen sicherheits- und verteidigungspolitischen Kreise und das
unmittelbare Umfeld der Bundeswehr.

Die Öffentlichkeit muss sich beispielsweise bewusst sein, dass die
Angehörigen der Bundeswehr, die über Monate hohen physischen und
psychischen Belastungen und der Trennung von ihrem privaten und
sozialen Umfeld ausgesetzt sind, Hilfe und Unterstützung brauchen, um
ihr körperliches und seelisches Gleichgewicht wieder zu erlangen. Diese
Kameraden müssen gleichzeitig die Gewissheit haben, dass auch ihre
Angehörigen     und    Familien    eine   ihrer     besonderen       Situationen
angemessene Betreuung erfahren.

Unsere Militärseelsorge leistet auch für diese Fälle in den Einsatzländern
und in der Heimat einen unverzichtbaren Beitrag zur seelsorglichen
Betreuung von Soldaten und deren Familien, die auch die anders und
nicht-konfessionell    gebundenen     Kameradinnen           und     Kameraden
einbezieht.

Unüberhörbar ist für mich der Wunsch in den Reihen der Bundeswehr,
dass die Gesellschaft den soldatischen Dienst als wertvoll und ehrenhaft
anerkennt – zumal, wenn Menschen im äußersten Fall bereit sind, ihr
Leben für unser Land einzusetzen. Auch deshalb sind das Ehrenmal für
die     Toten   der   Bundeswehr     in   Berlin,     die     Einführung     der
Tapferkeitsmedaille und der Einsatzmedaille Gefecht wichtige Gesten
und Zeichen der Anerkennung treuen Dienens und unverändert gültiger
soldatischer Tugenden.

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Berufliches Selbstverständnis

Die militärische Auftragserfüllung ist Anspruch und Ziel soldatischen
Handelns. Die Erfüllung militärischer Aufträge in ihrer ganzen Vielfalt und
Besonderheit     bedarf      soldatischer         Tugenden    wie    Tapferkeit,
Kameradschaft und Fürsorge, Disziplin und moralische Urteilsfähigkeit.
Sie stärken auch den besonderen Zusammenhalt in der Truppe.
Erziehung und Bildung müssen deshalb die Förderung unserer
soldatischen Tugenden angemessen berücksichtigen. Daher stützt sich
die Bundeswehr auch in ihrer künftigen Struktur auf gewachsene
organische Einheiten, die soldatische Tugenden im kameradschaftlichen
Miteinander erfahrbar machen.

Tapferkeit allerdings erlangt gerade im Einsatz eine besondere
Bedeutung. Wer zur Erfüllung seines Auftrags in kameradschaftlicher
Einbindung und ethischer Verpflichtung die Furcht vor Tod und
Verwundung überwindet, handelt tapfer und wird zum Vorbild für andere.
Auszeichnungen für Tapferkeit sollten aber immer auch die Erfüllung
anderer soldatischer Tugenden einbeziehen.

Die Militärgeschichte kennt unzählige Beispiele für die Vorzüge des
Prinzips     „Führen      mit         Auftrag“.     Die      Komplexität    der
Entscheidungsfindung, mit der ein militärischer Führer konfrontiert wird,
erfordert Handlungsspielräume, Mitwirkung und Mitverantwortung. Das
Maß an Handlungsfreiheit richtet sich dabei oft nach der Art der zu
erfüllenden Aufträge. Auf allen Ebenen müssen wir uns daher bemühen,
dieses Prinzip weiter zu fördern und zu verwirklichen. Hierzu bedarf es
besonderen      Vertrauens      und     einer     durch   Toleranz   geprägten
Fehlerkultur.

Die umfängliche Verwirklichung dieses Grundsatzes wird aber nur
gelingen, wenn auch die Geführten entschlossen sind, ihn zu
                                                                             11
beherzigen, und auf eigene Initiative gewährte Freiräume erschließen
und nutzen.

Führen mit Auftrag ist nicht nur ein Grundsatz für den Einsatz von
Streitkräften. Verständnis und Haltung müssen wir über alle Ebenen
bereits im Grundbetrieb entwickeln, denn nur auf diese Weise wird die
gemeinsame Verantwortung für die Auftragserfüllung gestärkt.

Die Neuausrichtung der Bundeswehr sollten wir deshalb als Chance
begreifen, Freude an der Verantwortung und Mut zur Entscheidung auf
allen Ebenen stärker zu fördern und den Trends zur Rückversicherung
und detailversessener Kontrolle auf allen Führungsebenen bereits im
Ansatz entschieden entgegen zu treten.

In der Bundeswehr übernehmen Menschen in recht jungen Jahren
Verantwortung als militärische Vorgesetzte. Dieses Attraktivitätsmerkmal
des Soldatenberufs ist daher auch eine Herausforderung an die jeweilige
Persönlichkeitsentwicklung.    Militärische    Vorgesetzte    müssen    sich
bewusst   sein,   dass   sie   für   das      ihnen   anvertraute   Personal
gleichermaßen Bezugsperson wie Vorbild sein müssen.

Dies erfordert authentische Persönlichkeiten, deren gefestigter Charakter
– bei allen altersbedingten Zugeständnissen an die persönliche Reife
und jeweiligen Lebensumstände – auf klaren Wertvorstellungen gründet
und sich in ihrer Lebensführung widerspiegelt. Menschen also, deren
Führungsverantwortung in souveränem Handeln, Entschlossenheit, aber
auch sicherem Gespür für die berechtigten Belange der anvertrauten
Soldaten Ausdruck findet. Das ausgeprägte Gerechtigkeitsempfinden
gerade der jungen Untergebenen kann den Vorgesetzten hierbei als
Orientierung dienen.

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Vertrauen    als   Grundlage     soldatischer   Führung   setzt   immer
wohlverstandenes Selbstvertrauen, aber auch Aufrichtigkeit und Loyalität
voraus. Militärische Vorgesetzte wirken durch Führungsanspruch sowie
durch ihre den Soldaten zugewandte Haltung und fürsorgliche
Pflichterfüllung. Erfolgreiche Führung ist im Ergebnis immer eine
Gemeinschaftsleistung.

Die Omnipräsenz medialer Wahrnehmung im Einsatz führt dazu, dass
bereits taktisches Handeln auf unterer Ebene politische und strategische
Bedeutung erlangen kann. Diese Wirkung darf den Vorgesetzten in
seiner Entscheidungsfindung nicht lähmen. Aus diesem Grund sind
situatives Gespür und Sensibilität für die Außenwirkung eigenen
Handelns, aber auch ausgeprägte soziale und interkulturelle Kompetenz
notwendig, um den operativen Erfolg nicht zu gefährden.

Militärische Vorgesetzte finden vor diesem Hintergrund ihre größte
Herausforderung als Führer im Gefecht, denn dort werden alle
Qualifikationen in verdichteter Form und unter besonderer physischer
und psychischer Belastung gleichzeitig abgerufen. Aus diesem Grund
bleibt das Bestehen im Einsatz unter Kampfbedingungen der höchste
Maßstab, an dem sich Vorgesetzte zu orientieren haben.

Trotz hoch entwickelter Technik bleibt immer der Soldat entscheidend für
den Erfolg im Einsatz. Unsere militärische Ausbildung hat das Ziel,
charakterliche Eignung und militärische Leistungsfähigkeit unserer
Soldatinnen und Soldaten in einem ganzheitlichen Ansatz zu fördern.
Ausbildung muss realistisch, fordernd und, wann immer möglich, an
Einsatzerfordernissen orientiert sein.

Gute Ausbildung ist auch eine Verpflichtung im Rahmen unserer
Vorsorge und Fürsorge. Aktuelle Einsatz- und Übungserfahrungen
müssen unverzüglich und für die Truppe spürbar in die Ausbildung

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einfließen. Ausbilder müssen neben fachlicher Kompetenz vor allem
über   persönliche      Integrität,     vorbildliches    Auftreten     und    soziale
Kompetenz verfügen. Daher darf sich Ausbildung nicht nur auf reine
Wissensvermittlung beschränken, sondern muss immer auch Erziehung
und Persönlichkeitsbildung einbeziehen. Sie leistet damit einen Beitrag
zur Legitimation des Dienens und hilft, dessen Sinnhaftigkeit zu
erkennen.

Es entspricht unserer langjährigen Erfahrung, dass das politische und
gesellschaftliche Meinungsbild vieler junger Soldatinnen und Soldaten
stets weiterer Festigung und Prägung bedarf. Deswegen gehört die
politische und ethische Bildung zum festen Bestandteil der Aus- und
Weiterbildung und ergänzt so die schulische und persönliche Vorbildung
in diesem Bereich nachhaltig.

Die Ausbildung muss auf eine Weise gestaltet werden, die die
Bundeswehr als Ganzes in den Blick nimmt und sich nicht auf den Erfolg
militärischer Teildisziplinen beschränkt.

Ausbildung muss stets realitätsnah die gegenwärtigen Szenare der
Einsätze    abbilden,    ohne     sie     jedoch   auf    diese       Blaupause    zu
beschränken.    Grundlage       ist     und   bleibt    auf   allen    Ebenen     das
Beherrschen des militärischen Handwerks, das Zusammenwirken der
Kräfte im Verbund und eine klare und unmissverständliche Sprache.
Unter den Bedingungen der Freiwilligenarmee wird eine methodisch
geschickte,    umfassende       Ausbildung       noch    weiter       an   Bedeutung
gewinnen, da die Personalfluktuation in den Einheiten signifikant
abnehmen wird. Dies erlaubt eine bessere Balance allgemeiner und
einsatzvorbereitender Ausbildungsabschnitte im organischen Verbund
der Einheit, der zukünftig auch über den Einsatz selbst erhalten bleibt.

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Tradition
Die Frage nach den Wurzeln unseres beruflichen Selbstverständnisses
ist auch eine Frage nach unserer Tradition. Diese fördert Identität und
Gemeinsinn in einem historischen Bezug über die Generationen,
Teilstreitkräfte   und     Truppengattungen      hinweg      und     stärkt   das
Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir wollen die noch heute gültigen
Überlieferungen und Lehren der Vergangenheit erfahrbar machen, damit
sie uns helfen, die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft
zu bestehen.

Die Bundeswehr kann mittlerweile immer größere Anteile ihrer Tradition
selbst begründen. Ihre Bewährung im „Kalten Krieg“, ihr Beitrag zur
deutschen Einheit und zur Einigung Europas, ihr Engagement bei
Hilfseinsätzen     sowie      ihre    herausragenden   Leistungen       in    den
Auslandseinsätzen bieten hierzu die Quellen.

Der derzeit gültige Traditionserlass ist vor dem Hintergrund der
deutschen     Teilung,     des   Ost-West-Konfliktes   und     der    bisherigen
Notwendigkeit einer allgemeinen Wehrpflicht entstanden. Die jüngere
Geschichte der Bundeswehr wird darin nicht ausreichend reflektiert. Wir
sollten ihn fortentwickeln.

Schlussgedanke

Wenn       gesellschaftliche         Veränderungen,    der      Wechsel       zur
Freiwilligenarmee und die Erfahrungen aus den Einsätzen auf die
Bundeswehr         einwirken,        so   erwachsen    daraus        naturgemäß
Bewährungsproben in der Neuausrichtung der Bundeswehr. Diese muss
eben auch gewährleisten, dass die geistige und sittliche Verfassung

                                                                               15
sowie   das   innere   Gefüge   der   Truppe   unter   den   veränderten
Bedingungen in Takt bleiben.

Die Leitgedanken folgen diesem Anspruch und weisen die Richtung, in
die wir die Neuausrichtung um ihre innere Dimension ergänzen wollen.

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Impressum

                       Herausgeber
Bundesministerium der Verteidigung
 Generalinspekteur der Bundeswehr
             Stauffenbergstrasse 18
                       10785 Berlin

                            Internet
               www.bundeswehr.de
                    www.bmvg.de

              Gestaltung und Druck
    Bundesamt für Wehrverwaltung
  ZA 9 – Zentraldruckerei Köln/Bonn
                        Postfach 2963
                          53019 Bonn
Intranet: http://zentraldruckerei.twv

                             Stand
                           Mai 2012
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