Soldat sein heute Leitgedanken zur Neuausrichtung der Bundeswehr
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Bundesministerium der Verteidigung Soldat sein heute Leitgedanken zur Neuausrichtung der Bundeswehr
Unsere Neuausrichtung Die Neuausrichtung der Bundeswehr folgt den sicherheitspolitischen Veränderungen in Europa und der Welt. Die Dimension dieses Wandels beschreiben die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 und setzen damit den sicherheitspolitischen Rahmen für die Neuausrichtung der Bundeswehr. Zukunftsfähige, demographiefeste und finanzierbare Streitkräfte werden künftig Deutschlands Sicherheit gemeinsam mit unseren Bündnispartnern gewährleisten. Der Erfolg der Neuausrichtung ist aber nicht ausschließlich eine Frage von Streitkräftestrukturen, Fähigkeitsprofilen und finanzieller Ausstattung. Vielmehr sollte der Wandel auch eine geistige Orientierung anstoßen, um auf veränderte gesellschaftliche und militärische Rahmenbedingungen nicht nur organisatorisch sondern auch inhaltlich angemessen zu reagieren. Wir müssen also gleichermaßen unser berufliches Selbstverständnis und unsere Führungskultur weiterentwickeln. Diese Leitgedanken sollen Anstoß und Richtung dafür geben und ich möchte alle Soldatinnen und Soldaten, aber auch unsere zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herzlich ermuntern, sich in diesen Diskurs persönlich einzubringen. Nur so wird es uns gelingen, die Neuausrichtung der Bundeswehr umfassend zu gestalten. 1
Eine Standortbestimmung Neben den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen hat sich in den Jahrzehnten seit Ende des Kalten Krieges nicht nur das Anforderungsprofil der Soldaten der Bundeswehr verändert. Auch gesellschaftliche Entwicklungen haben Einfluss auf die Streitkräfte und verändern das „Innere Gefüge“ der Bundeswehr. Die Wiedervereinigung brachte über zwei Jahrzehnte Menschen aus Ost- und Westdeutschland mit unterschiedlichen Lebensentwürfen und Erfahrungen in der „Armee der Einheit“ zusammen. Frauen wurden ab 2001 zu allen Laufbahnen der Bundeswehr zugelassen, nachdem sie zuvor lediglich im Sanitätsdienst und den Musikkorps dienen durften. Heute sind in der Bundeswehr mehr Religionen und Glaubensrichtungen vertreten als je zuvor. Gleichzeitig stieg die Zahl der Soldatinnen und Soldaten ohne religiöse Bindung vergleichbar zum gesamtgesellschaftlichen Trend. Zunehmend gilt vor allem für die jüngeren Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere, was Sozialstudien der vergangenen Jahre für diese Generation grundsätzlich festgestellt haben: Sie sind individualistischer als frühere Jahrgänge und besitzen weniger traditionelle und religiöse Bindungen; aber Freundschaft, Verlässlichkeit, Familie und soziale Akzeptanz ihres Handelns bleiben vielen weiterhin wichtig. Gleichzeitig haben pragmatische Einstellungen zugenommen. Das politische Engagement junger Menschen verteilt sich heute vielfältiger auf die zahlreichen Angebote und ist in einer globalisierten Informationsgesellschaft zunehmend anders organisiert als in früheren Zeiten. 2
Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben heute ein sehr viel differenzierteres Weltbild als dies noch vor Jahren der Fall war. Durch intensiveren Kontakt mit ausländischen Kulturen, eine nahezu grenzenlose Europäische Union, die globalen Vernetzungsmöglichkeiten im Internet, gestiegene Kompetenz in der Mediennutzung sowie die Möglichkeiten des Tourismus haben sie auf vielfältige Weise Erfahrungen mit anderen Nationalitäten und Kulturen gesammelt. Unbestritten wachsen sie internationaler auf als vorangegangene Generationen. Das Bildungs- und Ausbildungsniveau unserer Rekruten ist dabei unverändert hoch und entspricht den Anforderungen moderner Streitkräfte. Zudem sind gute Fremdsprachenkenntnisse in Englisch wie auch in einer Reihe anderer Sprachen immer häufiger anzutreffen. Grundsätzlich sind unsere Soldaten heute also nicht besser oder schlechter für den Dienst geeignet als früher. Wohl aber erfahren Stärken und Schwächen dieser jungen Menschen heute eine andere Ausprägung. Daneben haben unverändert ältere Kameraden und Vorgesetzte ihren Platz, die noch zu Zeiten des Kalten Krieges in die Bundeswehr eingetreten sind. Viele von ihnen wurden noch im Geiste des Diktums „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“ sozialisiert und nicht alle konnten inzwischen Erfahrungen im Auslandseinsatz sammeln. Das Miteinander unterschiedlicher Erfahrungen funktioniert dort problemlos, wo alle bereit sind, ihre Erfahrungen zu teilen und voneinander zu lernen. Aber es kann zu Unstimmigkeiten führen, wenn das Verständnis füreinander fehlt, es an Lernbereitschaft mangelt oder berufliche Unzufriedenheit entsteht. Die Bevölkerung in Deutschland wird nach statistischen Erhebungen in den nächsten Jahren deutlich abnehmen. Gleichzeitig wird der Anteil 3
junger Erwerbstätiger aufgrund der Altersstruktur weiter sinken. Damit wird die Bundeswehr künftig in einem noch stärkeren Wettbewerb um geeigneten und qualifizierten Nachwuchs bestehen müssen. Die veränderte Bedrohungslage erlaubt im Rahmen der Neuausrichtung zwar eine Reduzierung der Umfänge, aber eine stärkere Technologisierung und ein hoher, vermutlich noch wachsender Bedarf an Spezialisten machen es wahrscheinlich, dass die Gewinnung von qualifiziertem Nachwuchs eine strategische Herausforderung bleiben wird. Der Dienst in der Bundeswehr erfordert traditionell eine ausgeprägte Bereitschaft zur Mobilität. Dieser Anspruch gilt mittlerweile in unterschiedlicher Ausprägung für alle Laufbahnen. Großstandorte, die eine langjährige Verwendung in unterschiedlichen Bereichen ermöglichten, sind selten geworden und konkurrieren mit der Forderung nach Präsenz in der Fläche. Zudem beobachten wir, dass die Bereitschaft, an einen neuen Standort zu ziehen, insbesondere bei jungen Familien rückläufig ist, zum Beispiel, weil zunehmend beide Partner berufstätig sind. Die Zahl der Pendler wird daher absehbar zunächst auf hohem Niveau verharren. Für viele – besonders junge Menschen – stellt sich die Frage, ob der Wunsch, eine Familie zu gründen, mit dem Dienst in den Streitkräften in Einklang zu bringen ist. Die Bundeswehr ist deshalb bemüht, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ständig weiter zu verbessern, auch wenn es unter den besonderen Bedingungen soldatischen Dienens nicht möglich sein wird, dieses Spannungsfeld gänzlich aufzulösen. Umso wichtiger ist es, dass die Vorgesetzten aller Ebenen sich der besonderen Verantwortung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bewusst sind und ihren vollen Handlungsspielraum ausschöpfen, um den ihnen anvertrauten Menschen die erforderlichen Freiräume zu schaffen. 4
Der Anpassungsdruck auf Streitkräfte ist aufgrund der aufgezeigten sicherheitspolitischen, gesellschaftspolitischen, aber auch ökonomischen Einflussfaktoren kontinuierlich spürbar. Die Dynamik der Veränderung wird auch nach der Neuausrichtung der Bundeswehr nicht nachlassen. Deshalb müssen wir geeignete Mittel und Wege finden, um Handlungsbedarf früh zu erkennen und daraus resultierende Veränderungen kontinuierlich zu ermöglichen. Ein Schlüssel zum Erfolg ist dabei die Überwindung unseres institutionellen Beharrungsvermögens, da dieses immer wieder Reformbedarf verstärkt, der dann zyklisch sehr tiefgreifende Veränderungen in der Bundeswehr erfordert. Einsatzrealität und Freiwilligenarmee Die Innere Führung gewährleistet die Verwirklichung der Werte und Normen unseres Grundgesetzes in der Bundeswehr. Sie wirkt im Spannungsfeld zwischen den soldatischen Prinzipien von Befehl und Gehorsam und den persönlichen und demokratischen Freiheitsrechten. Die gewachsene Herausforderung für die Bundeswehr besteht darin, diesen hohen Anspruch auch unter großen Belastungen durch die Einsätze und unter den Bedingungen der Freiwilligenarmee zu verwirklichen. Unsere Streitkräfte sind integraler Bestandteil einer Risikovorsorge, die den Schutz unseres Landes und seiner Bevölkerung gegen aktuelle und künftige Gefahren zum Ziel hat. Wiederholt hat sich unser Land seit 1991 erfolgreich an Missionen im Ausland beteiligt und damit seine Bereitschaft zur Übernahme internationaler Verantwortung bewiesen. Diese Haltung entspricht der Erwartung unserer Verbündeten wie der internationalen Staatengemeinschaft, dass sich Deutschland auch 5
militärisch auf eine Weise engagiert, die seiner Rolle und Bedeutung angemessen erscheint. Die Bundeswehr handelt als Bündnisarmee und operiert im engen Verbund mit ihren Partnern und befreundeten Nationen. Multinationalität ist Anspruch und kennzeichnendes Wesen deutscher Militär- und Verteidigungspolitik. Der Dienst an der Seite ausländischer Kameraden aus NATO, Europäischer Union und weiteren Partnernationen ist gelebte Realität. Dies gilt gleichermaßen für die Landes- und Bündnisverteidigung wie für die vielfältigen Auslandseinsätze jenseits unserer Bündnisgrenzen. Die enge Kooperation mit der Bevölkerung in Krisenregionen, mit Streitkräften, Regierungen und Behörden vor Ort ist von ähnlicher Bedeutung für unsere Missionen wie das enge Zusammenwirken mit staatlichen und nicht-staatlichen, deutschen und internationalen zivilen Akteuren. Die Männer und Frauen der Bundeswehr dienen in diesem Spannungsfeld durchaus konkurrierender Einflüsse im gesamten Aufgabenspektrum. Soldaten der Bundeswehr schützen, kämpfen vermitteln und helfen heute in Regionen weit jenseits unserer Bündnisgrenzen. Die Notwendigkeit, in Gefechten und militärischen Kampfhandlungen zu bestehen, trat erst in den letzten Jahren verstärkt ins Bewusstsein unserer Streitkräfte und einer breiten Öffentlichkeit. Das meint nicht weniger, als den bewussten Einsatz militärischer Gewalt gegen einen Gegner, der häufig in hochkomplexen Szenarien ohne Bindung an das humanitäre Völkerrecht seine Mittel in asymmetrischer Aufstellung zur Wirkung bringt und darüber hinaus Zeitpunkt, Ort und Wahl der Mittel selbst bestimmt. Die Bundeswehr hat sich in diesen Einsätzen behauptet und bewährt. 6
Diese Einsatzerfahrung prägt die Bundeswehr auf eine neue Weise: Begriffe wie Kameradschaft und Tapferkeit sind mittlerweile für viele von uns mit persönlichen Erlebnissen und Erinnerungen an Auslandseinsätze verbunden. Tod und Verwundung als ständige Bedrohung und fremde, oft grausame Eindrücke aus den Krisenregionen wirken nach. Zudem erfordert die Einsatzrealität von den Soldatinnen und Soldaten die Einhaltung komplexer Vorschriften und Regeln und die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen, Traditionen und Werteordnungen. Schon in der Ausbildung sind unsere Soldatinnen und Soldaten verstärkt auf jene Bewährungsproben für die Innere Führung vorzubereiten, die sich ergeben, wenn Kampf, Multinationalität und der Kontakt mit fremden Kulturen die Einsatzwirklichkeit bestimmen. Die Prinzipien der Inneren Führung wirken dabei sinnstiftend und stärken die Moral unserer Soldatinnen und Soldaten; sie erhöhen die Kampfkraft. Jede Generation, die in die Bundeswehr eintritt, besitzt spezifische Prägungen sowie eigene Stärken und Schwächen. Die Innere Führung und eine gute Ausbildung garantieren, dass wir auch vor dem Hintergrund der Freiwilligenarmee und stetigen gesellschaftlichen Wandels weiterhin jene vorzüglichen Soldaten erhalten, die den guten Ruf der Bundeswehr auch für die Zukunft begründen werden. Die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft In den Auslandseinsätzen sind unsere Soldatinnen und Soldaten oft weit umfänglicher von der Lebens- und Erfahrungswelt der deutschen Bevölkerung entfernt, als dies in früheren Zeiten der Fall war. Gefahr, Entbehrungen, Tod und Verwundung, aber auch die Ermangelung jeglicher Privatsphäre sind soldatische Erfahrungen, die in der 7
Bundeswehr vielfach, in der breiten Gesellschaft hingegen höchst selten anzutreffen sind. Gleichzeitig blieben unsere Möglichkeiten bisher beschränkt, diese Erfahrungen in die Gesellschaft zu tragen. Mit der Aussetzung der verpflichtenden Einberufung zum Wehrdienst wird die Wahrnehmung der Bundeswehr im täglichen Leben der Menschen zudem deutlich abnehmen. Die Reduzierung des Personalumfangs und die notwendige Schließung von Standorten können diese Tendenz noch verstärken. Daher wird ein großer Teil der Gesellschaft die Einsatzrealität und den militärischen Alltag unserer Soldatinnen und Soldaten weitgehend über die Berichterstattung in den Medien und viel weniger aus persönlicher Betroffenheit wahrnehmen. Darauf müssen wir uns einstellen und neue Möglichkeiten erschließen, die Bundeswehr für die breite Öffentlichkeit erfahrbar zu machen. Als Angehörige der Bundeswehr haben wir deshalb das Recht und die Pflicht, unsere Interessen und Ansichten auf verantwortungsbewusste Weise in den gesellschaftlichen Dialog gleichberechtigt einzubringen. Als Soldaten und mündige Bürger sind gerade wir es, die besonders authentisch die Sinnhaftigkeit unseres Dienstes und den Auftrag von Streitkräften auch nach außen vermitteln können. Das sollten wir nicht nur anderen überlassen. Dazu bedarf es einer Kultur des Vertrauens und der Verantwortung innerhalb der Bundeswehr, aber auch im Umgang mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und den Medien. Wenn das Verhältnis zwischen der Bundeswehr und anderen gesellschaftlichen Gruppen zudem von Unvoreingenommenheit und Respekt geprägt ist, habe ich keine Sorge, dass es selbst in 8
demographisch schwierigen Zeiten gelingen wird, genügend Freiwillige für unsere Streitkräfte zu werben. Wer die Bundeswehr in diesem Bemühen kritisiert, sollte nicht verkennen, dass auch eine gesellschaftliche Verantwortung besteht, für den Dienst in der Bundeswehr die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Eine Armee für die Gesellschaft muss eben auch eine Armee in der Gesellschaft sein. Uns ist bewusst: Die Unterstützung aller Mitbürger werden wir nie erreichen können. Aber die Anerkennung einer überwiegenden Mehrheit der Deutschen können wir gewinnen. Dies sollte unser Ziel sein. Um das Vertrauen anderer Gesellschaftsgruppen in die Bundeswehr zu stärken, müssen wir ihnen mit Offenheit und Transparenz begegnen. Militärische Geheimhaltungsinteressen, rechtliche und operative Überlegungen sowie der Persönlichkeitsschutz unserer Soldaten müssen dabei berücksichtigt werden; sie dürfen die Kommunikation aber nicht verhindern. Trotz der wachsenden medialen Aufmerksamkeit erreicht der öffentliche Diskurs über die Konsequenzen der sicherheits- und verteidigungspolitischen Entwicklungen und die Aufgaben der Bundeswehr, insbesondere Sinn und Zweck der Einsätze im Ausland, noch nicht die gewünschte Breite und Tiefe. Das wachsende Interesse in der Bevölkerung für die Soldaten im Einsatz, die öffentliche Anteilnahme an den Trauerfeiern für die gefallenen Kameraden und das große Interesse am Schicksal der an Leib oder Seele verwundeten Heimkehrer sind jedoch Anzeichen für ein wachsendes gesellschaftliches Interesse, das zuversichtlich stimmt. Auch Umfragen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr dokumentieren breite Anerkennung. 9
Insbesondere die gesellschaftliche Verantwortung für unsere Soldaten und deren Familien wird jedoch in der Öffentlichkeit zu wenig diskutiert. Diese Thematik überwindet noch zu selten die Grenzen der einschlägigen sicherheits- und verteidigungspolitischen Kreise und das unmittelbare Umfeld der Bundeswehr. Die Öffentlichkeit muss sich beispielsweise bewusst sein, dass die Angehörigen der Bundeswehr, die über Monate hohen physischen und psychischen Belastungen und der Trennung von ihrem privaten und sozialen Umfeld ausgesetzt sind, Hilfe und Unterstützung brauchen, um ihr körperliches und seelisches Gleichgewicht wieder zu erlangen. Diese Kameraden müssen gleichzeitig die Gewissheit haben, dass auch ihre Angehörigen und Familien eine ihrer besonderen Situationen angemessene Betreuung erfahren. Unsere Militärseelsorge leistet auch für diese Fälle in den Einsatzländern und in der Heimat einen unverzichtbaren Beitrag zur seelsorglichen Betreuung von Soldaten und deren Familien, die auch die anders und nicht-konfessionell gebundenen Kameradinnen und Kameraden einbezieht. Unüberhörbar ist für mich der Wunsch in den Reihen der Bundeswehr, dass die Gesellschaft den soldatischen Dienst als wertvoll und ehrenhaft anerkennt – zumal, wenn Menschen im äußersten Fall bereit sind, ihr Leben für unser Land einzusetzen. Auch deshalb sind das Ehrenmal für die Toten der Bundeswehr in Berlin, die Einführung der Tapferkeitsmedaille und der Einsatzmedaille Gefecht wichtige Gesten und Zeichen der Anerkennung treuen Dienens und unverändert gültiger soldatischer Tugenden. 10
Berufliches Selbstverständnis Die militärische Auftragserfüllung ist Anspruch und Ziel soldatischen Handelns. Die Erfüllung militärischer Aufträge in ihrer ganzen Vielfalt und Besonderheit bedarf soldatischer Tugenden wie Tapferkeit, Kameradschaft und Fürsorge, Disziplin und moralische Urteilsfähigkeit. Sie stärken auch den besonderen Zusammenhalt in der Truppe. Erziehung und Bildung müssen deshalb die Förderung unserer soldatischen Tugenden angemessen berücksichtigen. Daher stützt sich die Bundeswehr auch in ihrer künftigen Struktur auf gewachsene organische Einheiten, die soldatische Tugenden im kameradschaftlichen Miteinander erfahrbar machen. Tapferkeit allerdings erlangt gerade im Einsatz eine besondere Bedeutung. Wer zur Erfüllung seines Auftrags in kameradschaftlicher Einbindung und ethischer Verpflichtung die Furcht vor Tod und Verwundung überwindet, handelt tapfer und wird zum Vorbild für andere. Auszeichnungen für Tapferkeit sollten aber immer auch die Erfüllung anderer soldatischer Tugenden einbeziehen. Die Militärgeschichte kennt unzählige Beispiele für die Vorzüge des Prinzips „Führen mit Auftrag“. Die Komplexität der Entscheidungsfindung, mit der ein militärischer Führer konfrontiert wird, erfordert Handlungsspielräume, Mitwirkung und Mitverantwortung. Das Maß an Handlungsfreiheit richtet sich dabei oft nach der Art der zu erfüllenden Aufträge. Auf allen Ebenen müssen wir uns daher bemühen, dieses Prinzip weiter zu fördern und zu verwirklichen. Hierzu bedarf es besonderen Vertrauens und einer durch Toleranz geprägten Fehlerkultur. Die umfängliche Verwirklichung dieses Grundsatzes wird aber nur gelingen, wenn auch die Geführten entschlossen sind, ihn zu 11
beherzigen, und auf eigene Initiative gewährte Freiräume erschließen und nutzen. Führen mit Auftrag ist nicht nur ein Grundsatz für den Einsatz von Streitkräften. Verständnis und Haltung müssen wir über alle Ebenen bereits im Grundbetrieb entwickeln, denn nur auf diese Weise wird die gemeinsame Verantwortung für die Auftragserfüllung gestärkt. Die Neuausrichtung der Bundeswehr sollten wir deshalb als Chance begreifen, Freude an der Verantwortung und Mut zur Entscheidung auf allen Ebenen stärker zu fördern und den Trends zur Rückversicherung und detailversessener Kontrolle auf allen Führungsebenen bereits im Ansatz entschieden entgegen zu treten. In der Bundeswehr übernehmen Menschen in recht jungen Jahren Verantwortung als militärische Vorgesetzte. Dieses Attraktivitätsmerkmal des Soldatenberufs ist daher auch eine Herausforderung an die jeweilige Persönlichkeitsentwicklung. Militärische Vorgesetzte müssen sich bewusst sein, dass sie für das ihnen anvertraute Personal gleichermaßen Bezugsperson wie Vorbild sein müssen. Dies erfordert authentische Persönlichkeiten, deren gefestigter Charakter – bei allen altersbedingten Zugeständnissen an die persönliche Reife und jeweiligen Lebensumstände – auf klaren Wertvorstellungen gründet und sich in ihrer Lebensführung widerspiegelt. Menschen also, deren Führungsverantwortung in souveränem Handeln, Entschlossenheit, aber auch sicherem Gespür für die berechtigten Belange der anvertrauten Soldaten Ausdruck findet. Das ausgeprägte Gerechtigkeitsempfinden gerade der jungen Untergebenen kann den Vorgesetzten hierbei als Orientierung dienen. 12
Vertrauen als Grundlage soldatischer Führung setzt immer wohlverstandenes Selbstvertrauen, aber auch Aufrichtigkeit und Loyalität voraus. Militärische Vorgesetzte wirken durch Führungsanspruch sowie durch ihre den Soldaten zugewandte Haltung und fürsorgliche Pflichterfüllung. Erfolgreiche Führung ist im Ergebnis immer eine Gemeinschaftsleistung. Die Omnipräsenz medialer Wahrnehmung im Einsatz führt dazu, dass bereits taktisches Handeln auf unterer Ebene politische und strategische Bedeutung erlangen kann. Diese Wirkung darf den Vorgesetzten in seiner Entscheidungsfindung nicht lähmen. Aus diesem Grund sind situatives Gespür und Sensibilität für die Außenwirkung eigenen Handelns, aber auch ausgeprägte soziale und interkulturelle Kompetenz notwendig, um den operativen Erfolg nicht zu gefährden. Militärische Vorgesetzte finden vor diesem Hintergrund ihre größte Herausforderung als Führer im Gefecht, denn dort werden alle Qualifikationen in verdichteter Form und unter besonderer physischer und psychischer Belastung gleichzeitig abgerufen. Aus diesem Grund bleibt das Bestehen im Einsatz unter Kampfbedingungen der höchste Maßstab, an dem sich Vorgesetzte zu orientieren haben. Trotz hoch entwickelter Technik bleibt immer der Soldat entscheidend für den Erfolg im Einsatz. Unsere militärische Ausbildung hat das Ziel, charakterliche Eignung und militärische Leistungsfähigkeit unserer Soldatinnen und Soldaten in einem ganzheitlichen Ansatz zu fördern. Ausbildung muss realistisch, fordernd und, wann immer möglich, an Einsatzerfordernissen orientiert sein. Gute Ausbildung ist auch eine Verpflichtung im Rahmen unserer Vorsorge und Fürsorge. Aktuelle Einsatz- und Übungserfahrungen müssen unverzüglich und für die Truppe spürbar in die Ausbildung 13
einfließen. Ausbilder müssen neben fachlicher Kompetenz vor allem über persönliche Integrität, vorbildliches Auftreten und soziale Kompetenz verfügen. Daher darf sich Ausbildung nicht nur auf reine Wissensvermittlung beschränken, sondern muss immer auch Erziehung und Persönlichkeitsbildung einbeziehen. Sie leistet damit einen Beitrag zur Legitimation des Dienens und hilft, dessen Sinnhaftigkeit zu erkennen. Es entspricht unserer langjährigen Erfahrung, dass das politische und gesellschaftliche Meinungsbild vieler junger Soldatinnen und Soldaten stets weiterer Festigung und Prägung bedarf. Deswegen gehört die politische und ethische Bildung zum festen Bestandteil der Aus- und Weiterbildung und ergänzt so die schulische und persönliche Vorbildung in diesem Bereich nachhaltig. Die Ausbildung muss auf eine Weise gestaltet werden, die die Bundeswehr als Ganzes in den Blick nimmt und sich nicht auf den Erfolg militärischer Teildisziplinen beschränkt. Ausbildung muss stets realitätsnah die gegenwärtigen Szenare der Einsätze abbilden, ohne sie jedoch auf diese Blaupause zu beschränken. Grundlage ist und bleibt auf allen Ebenen das Beherrschen des militärischen Handwerks, das Zusammenwirken der Kräfte im Verbund und eine klare und unmissverständliche Sprache. Unter den Bedingungen der Freiwilligenarmee wird eine methodisch geschickte, umfassende Ausbildung noch weiter an Bedeutung gewinnen, da die Personalfluktuation in den Einheiten signifikant abnehmen wird. Dies erlaubt eine bessere Balance allgemeiner und einsatzvorbereitender Ausbildungsabschnitte im organischen Verbund der Einheit, der zukünftig auch über den Einsatz selbst erhalten bleibt. 14
Tradition Die Frage nach den Wurzeln unseres beruflichen Selbstverständnisses ist auch eine Frage nach unserer Tradition. Diese fördert Identität und Gemeinsinn in einem historischen Bezug über die Generationen, Teilstreitkräfte und Truppengattungen hinweg und stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir wollen die noch heute gültigen Überlieferungen und Lehren der Vergangenheit erfahrbar machen, damit sie uns helfen, die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu bestehen. Die Bundeswehr kann mittlerweile immer größere Anteile ihrer Tradition selbst begründen. Ihre Bewährung im „Kalten Krieg“, ihr Beitrag zur deutschen Einheit und zur Einigung Europas, ihr Engagement bei Hilfseinsätzen sowie ihre herausragenden Leistungen in den Auslandseinsätzen bieten hierzu die Quellen. Der derzeit gültige Traditionserlass ist vor dem Hintergrund der deutschen Teilung, des Ost-West-Konfliktes und der bisherigen Notwendigkeit einer allgemeinen Wehrpflicht entstanden. Die jüngere Geschichte der Bundeswehr wird darin nicht ausreichend reflektiert. Wir sollten ihn fortentwickeln. Schlussgedanke Wenn gesellschaftliche Veränderungen, der Wechsel zur Freiwilligenarmee und die Erfahrungen aus den Einsätzen auf die Bundeswehr einwirken, so erwachsen daraus naturgemäß Bewährungsproben in der Neuausrichtung der Bundeswehr. Diese muss eben auch gewährleisten, dass die geistige und sittliche Verfassung 15
sowie das innere Gefüge der Truppe unter den veränderten Bedingungen in Takt bleiben. Die Leitgedanken folgen diesem Anspruch und weisen die Richtung, in die wir die Neuausrichtung um ihre innere Dimension ergänzen wollen. 16
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