Impulse für die Weiterentwicklung der Familienerholung nach 16 SGB VIII
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Inhalt Vorwort 5 Einleitung 6 Zum Stand der Forschung 7 Aufbau der Studie „Impulse für die Weiterentwicklung der Familienerholung nach § 16 SGB VIII“ 9 Kernergebnisse 13 Prädiktoren für Urlaubsverzicht: ein Blick auf einzelne Risikofaktoren 18 Der Weg in die Familienferienstätte 21 Urlaubsmotivation von Familien in belastenden Situationen 23 Familienzeit in der Familienferienstätte 26 Impulse für die Weiterentwicklung der Familienerholung 29 Familienerholung als Ermöglichungsraum 29 Mögliche Aspekte der Weiterentwicklung 31 Literaturverzeichnis 33 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 35 3
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Vorwort Für viele Familien ist Zeit ein knappes Gut. Der Tag von Müttern und Vätern hat nie genug Stunden. Sie arbeiten, holen ihre Kinder aus Kita und Schule ab, kümmern sich um den Haushalt und die Hausaufgaben. Zeit für spon tane Unternehmungen, für sich selbst oder als Paar bleibt dabei oft auf der Strecke. Umso wichtiger ist es, dass es ab und zu Auszeiten gibt. Nicht alle Familien können sich einen Urlaub leisten, aber alle sollten sich erholen kön- nen. Für Familien in belasteten Lebenssituationen bietet die Kinder- und Jugendhilfe die Familienerholung an. Sie gibt es bundesweit an rund 90 Standorten. Das Bundes familienministerium fördert Baumaßnahmen und Mo dellprojekte in diesen Einrichtungen sowie die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung. Damit die gemeinnützigen Einrich tungen gut durch die Unwägbarkeiten des Jahres 2020 kommen – und auch in den kommenden Jahren offenstehen – haben wir einen Rettungsschirm aufgelegt. Denn Familienferienstätten sind als pädagogisch begleitete Erholungsorte wertvoll und für viele Familien ein attraktives Angebot. Das belegen auch die Ergebnisse einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI), die wir mit dieser Publikation vorstellen. Die Studie zeigt, wie sehr Familien von einem Aufenthalt in Familienferienstätten profitieren – und dass für einige Familien Erholungsaufenthalte ohne die Zuschüsse ihres Bundeslandes nicht bezahlbar wären. Manche Familien sind in einer Familienferienstätte, weil sie ein pflegebedürftiges Familienmitglied haben, für das sie eine besondere Infrastruktur benötigen. Andere Familien schätzen besonders den Austausch, die Kinderbetreuung, die Nähe zur Natur und die kinderfreundliche Umgebung. Das sind alles Aspekte, die das DJI in seiner Studie herausgearbeitet hat. Familienerholung ist ein Baustein einer modernen Familienpolitik, die sich an den Bedürfnissen der Familien orientiert. Sie hilft Familien und macht sie stärker. Die vorliegende Broschüre liefert für ihre Weiterentwicklung wichtige Impulse. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben. Franziska Giffey Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 5
Einleitung Urlaubsreisen sind für weite Teile der Bevölkerung und auch der Arbeitsalltag vieler Eltern hat sich gegenwärtig kein exklusives Gut mehr. Sie gehö- maßgelblich umgestellt (Andresen und andere ren zum allgemeinen Lebensstandard und ermög- 2020). Daher ist anzunehmen, dass der Wunsch lichen soziale Teilhabe. Ein Ausschluss davon und Bedarf nach Erholung für einen Großteil der kommt subjektiv einem Zeichen sozialer Ausgren- Familien stark angestiegen ist. Familien, die sich zung gleich (Sedgley und andere 2012). Insbeson- jedoch bereits vor der Pandemie in belastenden dere Familienurlaube sind eine wichtige Kompo- Lebenssituationen befanden, müssen neben ihren nente des Familienlebens (Busse/Ströhlein 1991a): Belastungen im Alltag seither mit neuen Ein- Urlaub ermöglicht Familien nicht nur Abwechs- schränkungen und Herausforderungen umgehen. lung und Erholung, sondern wirkt sich auch posi- Aufgrund von Einkommenseinbußen werden be- tiv auf die psychische und physische Gesundheit lastete Familien trotz ihres erhöhten Erholungs- der Familienmitglieder aus und bietet Raum für bedarfs im Jahr 2020 vermutlich auf Urlaub ver- soziale Interaktionen sowie neue Erfahrungen. zichten müssen. Erste Ergebnisse der Mannheimer Durch gemeinsam verbrachte Familienzeit ab- Corona-Studie zeigen, dass insbesondere Men- seits stressiger Situationen kann der gemeinsame schen mit geringem Einkommen von Kurzarbeit Urlaub Familienbeziehungen stärken und auf eine und Jobverlust betroffen sind und somit auch Weise fördern, wie dies alltägliche Routinen und früher mit den negativen wirtschaftlichen Folgen Familienrollen nicht zulassen (Hazel 2005). Zudem der Corona-Pandemie umgehen müssen (Möhring sind Familienurlaube pädagogisch wichtig, da und andere 2020). Auch die Gruppe der Ein- das Freizeitverhalten während der Kindheit und Eltern-Haushalte gibt im Vergleich zu anderen Jugend maßgeblich konstituiert wird (Busse/ Familienformen an, seit der Corona-Pandemie die Ströhlein 1991b). Urlaub trägt somit nicht nur größten Geldsorgen zu haben (Andresen und an- zur sozialen Inklusion, sondern auch zum körper- dere 2020). In Mehrkindfamilien müssen die Fami- lichen sowie emotionalen Wohlbefinden von Fa- lienmitglieder seit der Pandemie die oft knappen milienmitgliedern bei und ermöglicht Familien, räumlichen (und vermutlich auch finanziellen) ihren sozialen und kulturellen Horizont zu erwei- Ressourcen stärker untereinander aufteilen (Geis- tern (Sedgley und andere 2012). Thöne 2020) und auch das Familienklima wird bei mehreren Kindern im Haushalt als konflikthalti- Ein gemeinsamer Familienurlaub hat wohl auch ger und chaotischer beschrieben (Langmeyer und in Zeiten der Corona-Pandemie einen nach wie andere 2020). Familien mit pflegebedürftigen An- vor hohen Stellenwert. So haben die weitreichen- gehörigen müssen seit der Schließung der Institu- den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona- tionen die Betreuung größtenteils selbst organi- Pandemie das Alltagsleben vieler Familien verän- sieren, während die Sorge um die Gesundheit des dert. Neben der Schließung von Institutionen, wie pflegebedürftigen beziehungsweise kranken Fami- Schulen, Kindergärten und Krippen, sind eine lienmitglieds den Alltag wohl zusätzlich belastet. Vielzahl an Freizeitaktivitäten ausgesetzt worden 6
Einleitung Unter dem Begriff des „Social Tourism“ hat sich Angebote richten sich insbesondere an Familien die englischsprachige Literatur mit der Frage aus- in belastenden Lebenssituationen (Münder und einandergesetzt, welche Vorteile ein geförderter andere 2013). Das Leistungsangebot soll Familien Urlaub für Familien beziehungsweise Kinder und einen Aufenthalt ermöglichen, der von „Erleben, Jugendliche bietet, für die eine Urlaubreise sonst Erfahrung, Bildung, Beratung und Kommunika- nicht möglich wäre. Für Deutschland ist die Da tion“ geprägt ist, um die Erziehungs- und Fami- tenlage zum Thema „Social Tourism“ lückenhaft. lienkompetenz sowie Familiengesundheit nach- Aus der Literatur ist wenig über die Verzichts- haltig zu stärken (Bundesarbeitsgemeinschaft gründe für einen Urlaub bekannt, lediglich der Familienerholung 2017). Ziel dieser Maßnahmen Zusammenhang zwischen Urlaubsverzicht und ist es, die elterlichen Ressourcen zu aktivieren einer schwachen finanziellen Ausstattung der und ihre Selbstwirksamkeit zu stärken, damit sie Familie ist empirisch belegt. den Familienalltag besser bewältigen können. In den entsprechenden Ferienstätten soll einerseits der Familienzusammenhalt gefördert werden, (Rechtlicher) Hintergrund der zum Beispiel durch gemeinsam verbrachte Fami- Angebote der Familienerholung lienzeit, Zeit für Partnerschaft und persönliche Regeneration. Andererseits sollen die Familien ferienstätten informell Informationen über Erzie- In Deutschland ist Freizeit und Erholung im Ach- hungsverhalten, Ernährung, Mediennutzung, All- ten Sozialgesetzbuch geregelt. Das Achte Sozialge- tagsbewältigung oder strategische Hilfen zum setzbuch sieht in § 16 zur allgemeinen Förderung häuslichen Wirtschaften anbieten. Auf diese Weise der Erziehung in der Familie Angebote der Fami- sollen die Familien auch über die Dauer des lienfreizeit und der Familienerholung vor. Diese Urlaubs hinaus gestärkt und unterstützt werden. Zum Stand der Forschung Reiseverhalten der Deutschen auf 78 Prozent (FUR Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e. V. 2020). Die Tourismusana- Neueste Zahlen des Europäischen Statistikamts lyse der Stiftung für Zukunftsfragen kommt dem- Eurostat zeigen, dass 13,3 Prozent der Bundesbür- gegenüber zu dem Ergebnis, dass 61 Prozent der gerinnen und -bürger im Jahr 2019 nicht in der Gesamtbevölkerung im Jahr 2019 mindestens Lage waren, eine jährliche Urlaubsreise von min- fünf Tage verreist sind (Reinhardt 2020). destens einer Woche zu finanzieren (Europäisches Statistikamt 2020). Aus den Zahlen geht ebenso hervor, dass Alleinerziehende mit 27,9 Prozent Gründe für den Urlaubsverzicht mehr als doppelt so häufig auf Urlaub verzichteten als andere Familien. Tourismusanalysen kommen Bekannt ist, dass der Urlaubsverzicht mit einer hinsichtlich des genauen Anteils der Urlauberin- schwachen finanziellen Lage zusammenhängt nen und Urlauber zu unterschiedlichen Zahlen, (Hazel 2005), über weitere Verzichtsursachen ist stellen jedoch einheitlich fest, dass die Gesamtan- dagegen weniger bekannt. Insbesondere für Kin- zahl der Reisenden in Deutschland in den letzten der und Eltern mit knappen Ressourcen und ge- vier Jahrzehnten stetig zugenommen hat (FUR ringem Einkommen könnten Familienurlaubs Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e. V. reisen das Wohlbefinden und die Zufriedenheit 2019; Reinhardt 2019). Die Forschungsgemein- verbessern. Keinen Urlaub machen zu können, schaft Urlaub und Reisen e. V. etwa beziffert den bedeutet daher umgekehrt für diese Familien, Anteil der Bevölkerung, der 2019 eine Reise von dass sie eventuell ein geringeres Wohlbefinden wenigstens fünf Tagen Dauer unternommen hat, haben und vom gesellschaftlichen Leben ausge- 7
Einleitung schlossen werden (Sedgley und andere 2012). Ein stetig wachsender Teil der Gesamtbevölkerung Gleichzeitig sind es eben diese Familien, die, bevorzugt bei der Urlaubsplanung den klassischen statistisch gesehen, am wahrscheinlichsten keine Sommerurlaub, möchte sich also in der Sonne er- Möglichkeit haben, in den Urlaub zu fahren (Hazel holen sowie essen und bummeln gehen. Fast jeder 2005). Werden Ausgaben gekürzt und eingespart, zweite möchte grüne Ziele in einer schönen Land- steht der Familienurlaub in finanzschwachen schaft und eine intakte Natur (Reinhardt 2019). Familien an erster Stelle (ebenda). Studien zeigen, Für Familien bedeutet Urlaub vor allem, gemein- dass sich die Urlaubsplanung der Familie nach same Familienzeit zu verbringen. Da den Familien dem aktuellen Haushaltseinkommen richtet im Alltag häufig wenig Zeit füreinander bleibt, (Simon 2008). Von den Haushalten mit einem nimmt dies im gemeinsamen Urlaub einen beson- monatlichen Nettoeinkommen von unter ders wichtigen Stellenwert ein (Köchling 2017). Als 1.000 Euro haben 67 Prozent im Jahr 2019 keine beliebteste Quartierform während eines Familien- Urlaubsreise unternommen. Demgegenüber liegt urlaubs werden Ferienwohnungen beziehungs- der Anteil von Nicht-Urlauberinnen und -Urlau- weise Ferienhäuser genannt (TMGS Tourismus- bern bei Haushalten mit einem Nettoeinkommen Trends 2017). ab 3.500 Euro bei lediglich 13 Prozent (Reinhardt 2020). Erwartungen und Wünsche von Familien an Urlaubsreisen Entscheidungsfindung und Motiva- tion für Urlaubsreisen in Familien Eltern, die mit Kindern und Jugendlichen verrei- sen, erwarten sich vom Familienurlaub, abschalten In 19 Prozent der deutschen Haushalte leben ein und ausschalten zu können, aus dem Alltag her- oder mehrere Kinder unter 14 Jahren. Demnach auszukommen und Zeit füreinander zu haben muss beinahe jeder fünfte Haushalt in Deutsch- (Busse/Ströhlein 1991a). Mit zunehmenden Alter land bei der Urlaubsplanung die Bedürfnisse von der Kinder möchten Eltern allerdings für sich Kindern berücksichtigen beziehungsweise auf selbst einen stärkeren Gewinn aus dem Urlaub externe Faktoren wie Schulferien Rücksicht neh- ziehen (ebenda). Weitere Motivationen der Eltern men (Bundesministerium für Wirtschaft und sind nach Carr (2011), dem Druck der Arbeit zu Technologie 2013). Nach Simon (2008) stellt der entfliehen, zu entspannen sowie als Familie Zeit Übergang in die Elternschaft einen Wendepunkt miteinander zu verbringen und auf diese Weise dar, ab dem sich die Kriterien ändern, nach denen andere Familienmitglieder besser kennenzuler- der Urlaub geplant und gestaltet wird. So wird ein nen. Darüber hinaus möchten Eltern ihren Kin- glückliches und zufriedenes Kind auf Reisen als dern positive Erinnerungen an die Kindheit und zentral für einen entspannten Urlaub erachtet. Bei an die Familie bieten oder auch eigene schöne Entscheidungen und Plänen, die nach der Geburt Kindheitserinnerungen zusammen mit ihren des ersten Kindes anders getroffen werden, steht Kindern wiedererleben können. Auch die Bildung die Urlaubsplanung an erster Stelle (ebenda). Bei- des Kindes soll durch einen Urlaub gefördert wer- spielsweise wird in 77 Prozent der Familien mit den, indem sich Interessen und Talente durch die Kindern im Grundschulalter die Auswahl des Freizeit mit der Familie entwickeln (ebenda). Urlaubsziels mit Blick auf die Kinder getroffen. Die Kriterien, nach denen Familien Urlaubsziele Kinder haben ähnliche Urlaubswünsche wie ihre wählen, sind Familienfreundlichkeit, Preisniveau, Eltern: dem Alltagsleben entfliehen, entspannen Bademöglichkeiten, Attraktivität der Landschaft, und von den täglichen Verpflichtungen wegkom- ein gastfreundliches Klima, Möglichkeiten für men (Carr 2011). In der Grundlagenstudie „Kinder Ausflüge und andere Unternehmungen sowie eine und Urlaub“ des Bundesforums Kinder- und Umgebung, in der sich Kinder austoben können Jugendreisen wurden Kinder zu ihren Assoziatio- (ebenda). nen zum Thema Urlaub befragt: Die Entbindung von Pflichten beziehungsweise die Freiheit im 8
Einleitung Urlaub wird von 68 Prozent der befragten Kinder (ebenda). Die Top 10 der genannten Urlaubsziele genannt. 30 Prozent der Kinder assoziieren mit im Inland haben vor Ort auf Familienurlaube einem Urlaub neue Eindrücke (Bernasconi 2011). spezialisierte Angebote (Bundesministerium für Der Urlaub soll schön und unterhaltsam sein, Wirtschaft und Technologie 2013). Für den In- Entspannung und Spiel enthalten und damit eine landsurlaub spielen Gesundheit, Naturerleben Abwechslung zum Alltag bieten (ebenda). Die und Familienurlaub eine große Rolle. Familien befragten Kinder verstehen Urlaub als Raum für mit Schulkindern sind zudem etwas häufiger Neues und beschreiben ihn als eine Möglichkeit, unter den Inlands- als unter den Auslandsurlau- Freunde zu finden, Sprachen kennenzulernen berinnen und -urlaubern zu finden. Das Motiv sowie Neues zu erleben (ebenda). Entscheidende „mit den Kindern spielen/zusammen sein“ wird Urlaubsmotive der Kinder sind Freiheit und von Inlandsurlauberinnen und -urlaubern häu Ungebundenheit (Wegener-Spöhring/Peper figer genannt, was auf den höheren Anteil an hove 2008). Familien unter den Inlandsurlauberinnen und -urlaubern zurückzuführen ist (ebenda). Inlandstourismus Jeder Dritte, der in 2019 eine Urlaubsreise unter- Die berichteten Befunde geben nur beschränkten nommen hat, verbrachte seinen Haupturlaub Aufschluss über diejenigen Familien, die sich in Deutschland (Reinhardt 2020). Deutschland keinen Urlaub leisten können beziehungsweise ist das beliebteste Reiseziel der Deutschen. 2019 aus anderen Gründen zur Zielgruppe von Ange verbrachten 37,1 Prozent der Familien mit Kin- boten nach § 16 SGB VIII zu rechnen sind. Deren dern bis zu 15 Jahren ihren Haupturlaub in Bedarfe und hieraus ersichtliche Möglichkeiten Deutschland. Für einen Familienurlaub halten der Weiterentwicklung der Familienerholung die Reisenden besonders die Ostseeküste (Meck- stehen im Mittelpunkt der nachfolgend berich lenburg-Vorpommern) geeignet, gefolgt von teten Studie. Bayern und der Nordseeküste (Niedersachsen) Aufbau der Studie „Impulse für die Weiterentwick- lung der Familienerholung nach § 16 SGB VIII“ Im Koalitionsvertrag1 vom 18. März 2018 hielten Hierfür wurde ein Forschungsdesign mit zwei Mo- die Regierungsparteien fest, die Weiterentwick- dulen erstellt: Im ersten Schritt galt es zunächst, lung der Angebote zur Familienerholung zu die Zielgruppe(n) der Familienerholung klar abzu- fördern. In Anbindung an den Koalitionsvertrag grenzen und zu definieren sowie Informationen hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, über das Urlaubsverhalten zu gewinnen (Modul 1). Frauen und Jugend die Studie des Deutschen Ziel des zweiten Schritts war es, Einblicke in das Jugendinstituts „Impulse für die Weiterentwick- Erholungsverhalten dieser Familien zu gewinnen lung der Familienerholung nach § 16 SGB VIII“ und vertieftes Wissen über die Perspektive der gefördert. Das Projekt legte seinen Schwerpunkt Nutzerinnen und Nutzer der Familienerholung auf Familien in belastenden Lebenssituationen. hinsichtlich ihrer Motive, Erwartungen sowie zu Ziel der Studie war es, Informationen über die weiteren Bedarfen zu erlangen. Ein besonderes Bedarfe besonders belasteter Familien an Fami- Augenmerk sollte hierbei auf die Frage gelegt lienerholung zu gewinnen und weitere Ansatz- werden, welche Rolle der Aufenthalt in Familien- punkte zur bedarfsgerechten Qualitäts- und ferienstätten bei der Verbesserung des Familien- Weiterentwicklung der Familienerholung zu klimas und der Stärkung der Erziehungskompe- identifizieren. tenzen einnimmt (Modul 2). 1 Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien heißt es: „Gerade für Kinder und Familien in belastenden Lebenssituationen kommen Erholung und Entspannung häufig zu kurz. Für sie wollen wir die Familienerholung am Bedarf orientiert weiterentwickeln“ (CDU, CSU und SPD 2018). 9
Einleitung Modul 1 Als Belastungsindikatoren wurden – auf indivi dueller Ebene – ein erhöhtes Stressniveau und eine In Modul 1 wurde die Fragestellung untersucht, erhöhte Depressivität der befragten Eltern, – auf inwiefern bestimmte Risikofaktoren mit einem Partnerschaftsebene – eine gering eingeschätzte belasteten Familienklima zusammenhängen und Stabilität und Zufriedenheit mit der Paarbezie- ob diese Risikofaktoren einen Einfluss darauf hung sowie – auf Familienebene – eine selbstbe- haben, dass Familien nicht gemeinsam in den richtete Hilflosigkeit bei der Erziehung und eine Urlaub fahren. Grundlage hierfür war eine quanti- geringe Zufriedenheit mit dem Familienleben tative Sekundäranalyse des Sozio-oekonomischen verwendet (Castiglioni und andere 2019, Sei- Panels (SOEP) und des Beziehungs- und Familien- ten 15–17). Des Weiteren wurde untersucht, wie panels (pairfam) zum Urlaubsverhalten von Fami- monetäre und nicht monetäre Risikofaktoren lien in Deutschland. Eine detaillierte Ausführung zusammenwirken. der Ergebnisse dieser Analyse ist im Bericht „Im- pulse für die Weiterentwicklung der Familiener- holung – Bericht zur quantitativen Sekundär- Modul 2 datenanalyse (Modul 1)“ nachzulesen (Castiglioni und andere 2019). In Modul 2 wurden Familien in sechs gemein nützigen Familienferienstätten in vier deutschen Bei den untersuchten Risikofaktoren handelte Bundesländern mithilfe qualitativer Leitfaden- es sich um Eigenschaften der potenziellen Ziel- interviews zu ihrem Urlaubsverhalten befragt. gruppen von Familienerholung (Alleinerziehende, Zudem wurden Experteninterviews mit den kinderreiche Familien, Familien mit einer gerin- Leitungspersonen der Familienferienstätten gen Erwerbseinbindung, Familien mit Migrations- geführt. Es handelt sich somit lediglich um eine hintergrund und Familien mit pflegebedürftigen Auswahl beziehungsweise Stichprobe gemeinnüt- Mitgliedern)2. Neben diesen nicht monetären ziger Familienferienstätten, weshalb kein An- Faktoren wurde auch die finanzielle Lage als Indi- spruch auf Repräsentativität erhoben wird (siehe kator für eine Armutsgefährdung in die Untersu- Tabelle 1). chung einbezogen. Die Belastungssituation von Familien wurde auf drei Ebenen erfasst: 1. auf der individuellen Ebene der befragten Elternteile 2. auf der Ebene der Partnerschaft der Eltern 3. auf der Ebene der Gesamtfamilie, die zugleich am besten die Erziehungssituation in der Familie widerspiegelt (Castiglioni und andere 2019, Seite 15) 2 Die Risikofaktoren wurden in dieser Studie wie folgt operationalisiert: Alleinerziehende werden innerhalb der SOEP-Daten direkt über die Haus- haltstypologie identifiziert, während in pairfam Elternteile ohne im Haushalt lebender Partnerin oder lebenden Partner als alleinerziehend ein- gestuft werden. Weiterhin gelten in dieser Studie Familien ab vier Kindern als kinderreich. Für die Ermittlung einer geringen Erwerbseinbindung wurde zunächst eine Vollzeit-Arbeitsgrenze von 35 Stunden pro Woche pro Person festgesetzt (maximale Arbeitsstunden). Die tatsächlich geleis- teten Arbeitsstunden aller im Haushalt wohnenden Elternteile/Erwachsenen wurden anschließend durch die Summe der maximal möglichen Wochenstunden geteilt (also 35 * (Anzahl Elternteile/Erwachsene)). Einer Familie wurde dann ein Migrationshintergrund zugeschrieben, wenn im Haushalt mindestens ein Elternteil beziehungsweise eine erwachsene Person einen Migrationshintergrund in erster oder zweiter Generation auf- weist. Familien mit pflegebedürftigen Mitgliedern wurden im SOEP durch das Vorhandensein mindestens einer gesundheitlich beeinträchtigten Person im Haushalt identifiziert. Indikatoren, die für die Bildung dieser Variable aus pairfam genutzt wurden, waren ein schlechter körperlicher Zustand und eine Erwerbsminderung oder Schwerbehinderung der Eltern, der Erhalt von Leistungen wegen Erwerbsminderung oder aus Pflege- versicherung sowie Anzeichen für gesundheitliche Einschränkungen eines Kindes. 10
Einleitung Tabelle 1: Überblick über Angebote im Zeitraum der Erhebungen nach Bundesland Bundesland Veranstaltungen im untersuchten Zeitraum Baden-Württemberg Familienfreizeit & Freizeit für Menschen mit Behinderung Familienfreizeit für Alleinerziehende Mecklenburg-Vorpommern Allgemeine Familienfreizeit Rheinland-Pfalz Familienfreizeit für Familien in Notlagen Thüringen Allgemeine Familienfreizeit Familienfreizeit für einkommensschwache Familien Im Zeitraum von Juli 2019 bis September 2019 und evangelische) und nicht konfessionelle Trä- wurden neun Gruppendiskussionen und 19 Fami- gerschaften geführt und finden sich unter dem lieninterviews mit Familien geführt, die ihren Schirm der Bundesarbeitsgemeinschaft Familien- Urlaub in einer gemeinnützigen Familienferien- erholung (BAG FE) zusammen. stätte verbracht haben. Damit konnten Belas- tungslagen von Familien betrachtet und Rück- Zum jetzigen Zeitpunkt vergeben neun von schlüsse auf ihre Bedarfe in einem Urlaubskontext 16 Bundesländern eine Individualförderung an gezogen werden. Auf Basis einer Bilanzierung der Familien. In dieser Studie wurden sechs Familien- Erfahrungen der Familien in den untersuchten ferienstätten ausgewählt, die ihren Standort in Familienferienstätten ließen sich Hinweise für vier deutschen Bundesländern haben und sowohl die Weiterentwicklung der staatlich geförderten Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede hin Familienerholung formulieren. Eine detaillierte sichtlich ihrer Förderstrukturen aufweisen. Ausführung der Ergebnisse des zweiten Moduls ist im Bericht „Impulse für die Weiterentwicklung Die Bundesländer unterscheiden sich hinsicht- der Familienerholung nach § 16 SGB VIII – Die lich der Anerkennung einer Förderung (verglei- Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer der che Homepage „Urlaub mit der Familie“): Wäh- Familienferienstätten (Modul 2)“ nachzulesen rend Baden-Württemberg und Hessen keine aus (Ludwig und andere 2020). Landesmitteln finanzierte Individualförderung vergeben, bieten andere Bundesländer (Bayern, Berlin, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein- Förderpraxis Westfahlen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig- Holstein und Thüringen) Familien unter bestimm- Die Familienferienstätten unterliegen dem ten Voraussetzungen eine Individualförderung an. Grundsatz der Gemeinnützigkeit und sind daher Die Voraussetzungen hierfür sind von Bundesland steuerbegünstigt. Belastete Familien erhalten zu Bundesland unterschiedlich. In Mecklenburg- somit unter bestimmten Voraussetzungen eine Vorpommern gelten besondere Förderbedingun- Vergünstigung der Übernachtungs- und Verpfle- gen für spezielle Bildungsangebote, die in der gungskosten. Darüber hinaus steht Familien in Familienerholung angeboten werden. belastenden Situationen abhängig vom Bundes- land ihres Wohnsitzes eine Individualförderung Die Grundvoraussetzung der Bezuschussung ist zu, welche im Vorfeld eines Aufenthalts beantragt eine finanzielle Benachteiligung der Familie, die werden muss. Die gemeinnützigen Familienfe- sich einen Urlaub ohne finanzielle Zuschüsse rienstätten werden durch kirchliche (katholische nicht leisten kann. Die Benachteiligung wird 11
Einleitung entweder an einem niedrigen Familiennettoein- gen ebenfalls als erfüllt, wenn Familien andere kommen festgemacht und/oder ist an den Bezug Transferleistungen beziehen. Die folgende Tabelle staatlicher Transferleistungen gekoppelt. So gelten gibt für die hier relevanten Bundesländer einen die Voraussetzungen der Einkommensgrenzen in Überblick über die Leistungsbezüge, die für die den Bundesländern Bayern, Niedersachsen, Gewährung einer Förderung die Einkommens Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thürin- prüfung ersetzen. Tabelle 2: Auflistung der Transferleistungen, deren Bezug eine individuelle Einkommensprüfung ersetzt, in den für die Studie relevanten Bundesländern BY TH SH RP NI MV3 Leistungen aus SGB II (ALG II) ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ Leistungen aus SGB XII (Sozialhilfe) ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ Kinderzuschlag ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ Wohngeld ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ✓ ✓ Das Land Thüringen erkennt auch eine Einschät- erstreckt sich in der Regel von mindestens fünf, zung des zuständigen Jugendamts über den För- sechs oder sieben bis zu maximal 14 Tagen. derbedarf für Familien in besonders schwierigen Lediglich in Bremen wird keine Mindestdauer Lebenssituationen als ausreichend für die Gewäh- vorgeschrieben und die Förderung kann bis zu rung der Individualzuschüsse an. 21 Tage umfassen. Die staatliche Zuwendung er- folgt vorwiegend über einen bestimmten Tages Die Bundesländer Bayern, Bremen, Mecklenburg- betrag, der den Familien zur Verfügung gestellt Vorpommern, Sachsen und Thüringen führen als wird. Über alle Bundesländer hinweg beträgt die weitere Voraussetzung für die Bezuschussung Bezuschussung pro Tag und Familienmitglied eines Familienurlaubs an, dass die Familien den durchschnittlich zehn bis 15 Euro. Lediglich in geförderten Urlaub nur in dem Bundesland ihres Thüringen herrscht eine andere Vorgehensweise gemeldeten Wohnorts verbringen können.4 Eben- vor: Sie erfordert, dass die Familien einen Eigen- so gilt in den meisten Fällen, dass mindestens ein anteil von bis zu 4,40 Euro pro Tag und Person teilnehmendes Kind nicht älter als 18 Jahre sein zahlen sowie die Anreise- und Abreisekosten darf. selbst tragen. Auch gibt es Unterschiede hinsichtlich der Dauer und Höhe der Förderung: Die Dauer des geförder- ten Urlaubs geht meistens mit einer Mindest- und Höchstdauer der Urlaubstage einher. Diese 3 In Mecklenburg-Vorpommern gelten besondere Förderbedingungen für spezielle Bildungsangebote, das heißt, es gibt keine Individualförderung im engeren Sinne, sondern die Teilnahme an Maßnahmen wird gefördert. Diese erfolgt für Familien unabhängig von der Einkommensgrenze und ist ausschließlich an die in der Tabelle genannten Leistungen gekoppelt. 4 In Bayern gilt diese Bedingung allerdings nur außerhalb der Schulferien. 12
Einleitung Kernergebnisse Indikatoren für eine belastende Wahrscheinlichkeit einer belastenden Familien- Familiensituation situation auf, während eine geringe Erwerbsein- bindung kein Risikofaktor auf Familien- und Paarebene darstellt (siehe Tabelle 3). Mit der An- Aus der Analyse der Sekundärdaten in Modul 1 zahl der Risikomerkmale steigt zudem der Be wurde sichtbar, dass bestimmte nicht monetäre lastungsgrad. Weisen Familien mehr als einen Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit eines be Risikofaktor auf, sind sie signifikant öfter von lasteten Familienklimas erhöhen. Dabei weisen Belastungserscheinungen bezüglich des Familien- insbesondere Familien mit kranken und pflege klimas betroffen (siehe Abbildung 1). bedürftigen Familienmitgliedern eine höhere Tabelle 3: Wahrscheinlichkeiten negativer Bewertungen des Familienklimas, der Partnerschaftsqualität und des individuellen Wohlbefindens der Eltern in An- beziehungsweise Abwesenheit von Risikofaktoren für Belastungen Indikatoren (unten) Kinderreiche Krankheit/ Geringe Allein Migrations beziehungsweise Familien Pflegebedürf Erwerbsein erziehender hintergrund Risikofaktoren (rechts) tigkeit eines bindung Elternteil Ebene Familien mitglieds nein ja nein ja nein ja nein ja nein ja Hilflosigkeit bei der 19 % 33 % 16 % 33 % 18 % 21 % 20 % 16 % 17 % 25 % Erziehung Familie Geringe Zufriedenheit mit 29 % 25 % 25 % 45 % 28 % 33 % 27 % 42 % 29 % 27 % dem Familienleben Geringe subjektive Partnerschaft 21 % 22 % 18 % 37 % 21 % 20 % 20 % 23 % Stabilität der Partnerschaft * Geringe Zufriedenheit mit 38 % 30 % 34 % 56 % 38 % 37 % 38 % 37 % der Paarbeziehung Erhöhtes Stressniveau 27 % 24 % 25 % 35 % 27 % 23 % 26 % 33 % 27 % 27 % Individuum Erhöhte Depressivität 27 % 30 % 23 % 47 % 26 % 36 % 25 % 39 % 26 % 28 % * Nur ein kleiner Teil der Alleinerziehenden hat eine neue Beziehung begonnen. Da es dabei um eine kleine und etwas spezielle Gruppe geht, werden die Ergebnisse nicht dargestellt. Kinderreiche Familien: Kontrolliert werden Alter des jüngsten Kindes, höchster Bildungsabschluss der Eltern, Migrationshintergrund, Religiösität, Alter der Befragten, Wohnlage (Stadt/Land). Krankheit/Pflegebedürftigkeit eines Familienmitglieds: Kontrolliert werden Alter des jüngsten Kindes, höchster Bildungs abschluss der Eltern, Migrationshintergrund, Alter der Befragten, Wohnlage (Stadt/Land). Geringe Erwerbseinbindung: Kontrolliert werden Alter des jüngsten Kindes, höchster Bildungsabschluss der Eltern, Migrationshintergrund, Alter der Befragten, Wohnlage (Stadt/Land), Einkommen. Alleinerziehender Elternteil: Kontrolliert werden werden Alter des jüngsten Kindes, höchster Bildungsabschluss der Eltern, Migrationshintergrund, Religiösität, Alter der Befragten, Wohn lage (Stadt/Land). Migrationshintergrund: Kontrolliert werden Alter des jüngsten Kindes, höchster Bildungsabschluss der Eltern, Alter der Befragten, Wohnlage (Stadt/Land), Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder. Hilflosigkeit in der Erziehung n=1.336–1.475; Geringe Zufriedenheit mit dem Familienleben n=2.123–2.377; Geringe subjektive Partnerschaftsstabilität n=1.057–1.165; Geringe Zufriedenheit mit Paarbeziehung n=1.926–2.159; Erhöhtes Stressniveau n=2.115–2.368; Erhöhte Depressivität n=2.114–2.367 (n bezieht sich hier auf die Personenzahl in den den Regressionen zugrundeliegenden Stichproben). Ergebnisse aus multivariaten logistischen Regressionsmodellen; signifikante Unterschiede auf einem 95-Prozent-Niveau sind fett markiert. Quelle: Eigene Auswertungen auf Basis der pairfam-Daten, Welle 9 13
Einleitung Abbildung 1: Wahrscheinlichkeit subjektiv erlebter elterlicher Hilflosigkeit in der Kindererziehung und geringer Zufriedenheit mit dem Familienleben in Zusammenhang mit der Anzahl der auftretenden Risikofaktoren (Angaben in Prozent) Wahrscheinlichkeit der Hilflosigkeit in der Erziehung 100 80 60 40 34 Nicht schätzbar 20 20 15 0 0 1 2 3 Anzahl der Risikofaktoren Wahrscheinlichkeit einer geringen Zufriedenheit mit dem Familienleben 100 80 60 44 40 40 32 25 20 0 0 1 2 3 Anzahl der Risikofaktoren Ergebnisse aus multivariaten logistischen Regressionsmodellen. Hilflosigkeit in der Erziehung n=1.457; Geringe Zufriedenheit mit dem Familienleben n=2.319 (n bezieht sich hier auf die Personenzahl in den Regressionen zugrundeliegenden Stichproben). Anmerkungen: unter Kontrolle von Alter der Befragten, höchstem Bildungsabschluss der Eltern, Alter des jüngsten Kindes im Haushalt, vorhandener Armuts gefährdung, Wohnlage (ländlich versus städtisch) Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der pairfam-Daten, Welle 9 14
Einleitung Familien, die von nicht monetären Risikofaktoren Familienklima haben (siehe Abbildung 2 und 3). betroffen sind, berichten signifikant öfter von Be- Eine Zwischenposition nehmen Familien ein, die lastungserscheinungen. Zudem sind sie häufiger ausschließlich von Armutsgefährdung betroffen von Armutsgefährdung betroffen, die ebenfalls sind oder nur nicht monetäre Risikofaktoren eine zentrale Rolle für die Belastung des Familien- aufweisen. Hohe Belastungen des Familienklimas klimas spielt. Beide Faktoren erweisen sich auch finden sich also vor allem dann, wenn nicht unabhängig voneinander als relevant: Familien monetäre Risikofaktoren und drohende Armut ohne Armutsgefährdung und ohne Risikofaktoren zusammentreffen. Demgegenüber können Fami- weisen die geringste Wahrscheinlichkeit für eine lien ohne Armutsgefährdung Herausforderungen belastende Familiensituation auf, während Fami- besser bewältigen und das Risiko eines belasteten lien mit Risikofaktoren und Armutsgefährdung Familienklimas tritt seltener ein. die höchste Wahrscheinlichkeit für ein belastetes Abbildung 2: Wahrscheinlichkeit der subjektiven Hilflosigkeit in der Erziehung je nach An- beziehungsweise Abwesenheit von mindestens einem Risikofaktor und nach An- und Abwesenheit von Armutsgefährdung (Angaben in Prozent) Mit Risikofaktoren, armutsgefährdet 28,98 Ohne Risikofaktoren, armutsgefährdet 19,51 Mit Risikofaktoren, nicht armutsgefährdet 22,13 Ohne Risikofaktoren, nicht armutsgefährdet 14,10 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 n=1.462 Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der pairfam-Daten, Welle 9 Abbildung 3: Wahrscheinlichkeit einer geringen Zufriedenheit mit dem Familienleben je nach An- beziehungs- weise Abwesenheit von mindestens einem Risikofaktor und je nach Einkommensniveau (mit oder ohne Armutsgefährdung) (Angaben in Prozent) Mit Risikofaktoren, armutsgefährdet 40,23 Ohne Risikofaktoren, armutsgefährdet 31,10 Mit Risikofaktoren, nicht armutsgefährdet 32,45 Ohne Risikofaktoren, nicht armutsgefährdet 23,91 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 n=2.320 Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der pairfam-Daten, Welle 9 15
Einleitung Risikofaktoren für Belastungen und „ Und das ist halt, je mehr Kinder man hat, ist ihre Wirkungsweise im Alltag das halt auch äh [.] stressig, gell. Ist halt, der Alltag wird sowieso stressig; und auch wenn jetzt, so ein Tag für sich genommen, ja, aber Im zweiten Modul konnten mithilfe von Grup- du kommst halt ja nicht raus aus dieser Mühle. pendiskussionen und Familieninterviews neben Es ist ja jeden Tag, jeden Tag, jeden Tag, jeden den zuvor untersuchten auch weitere Belastungs- Tag. Und dann ist man froh, wenn es so eine faktoren ermittelt werden, die im Rahmen der Einrichtung wie diese halt gibt; das ist dann Datenanalyse im ersten Modul nicht adäquat natürlich für die Frau halt äh eine besondere untersucht werden konnten, aber das Alltagsleben Entlastung, weil halt dann [.] mit dem Kochen, von Familien in belastenden Situationen vielfach Einkaufen, weil das dann erst mal wegfällt.“ begleiten. Familien weisen oftmals mehrere Belas- (Familieninterview_5 Zeile 30–35) tungsfaktoren auf, die sich im Alltag gegenseitig verstärken. Auch können Prozesse und Überla Von ähnlichen Problemlagen berichten auch gerungen von Belastungen für die Familie nach- Familien mit pflegebedürftigen, kranken oder gezeichnet werden. behinderten Angehörigen. Medizinische Einrich- tungen müssen häufiger aufgesucht werden, was zeit- und kostenintensiv für die Familien sein Finanzielle Belastungen und geringe kann. Zudem müssen Familien sowohl im Alltag Erwerbseinbindung als auch im Urlaub besondere Bedingungen wie die Barrierefreiheit beachten. Nicht zuletzt kommen Bemühungen um das Wohlbefinden Übereinstimmend mit den Ergebnissen aus der kranken, pflegebedürftigen oder behinderten Modul 1 spielen finanzielle Aspekte bei der Kinder und die damit einhergehende Sorge um Urlaubsgestaltung eine große Rolle und werden deren Befindlichkeiten hinzu, die den Alltag und von den Familien als ausschlaggebendes Krite- das Gefühlsleben der Eltern zusätzlich belasten rium bei der Urlaubsplanung genannt. Auch wird können. der Umgang mit finanziellen Einschränkungen als Teil des eigenen Alltags beschrieben. Dabei kann Auch Alleinerziehende berichten von ähnlichen eine belastende Familiensituation in Armutsge- Belastungen durch einen erhöhten organisatori- fährdung münden oder sich aus geringen finan- schen Aufwand im Alltag. Die Befragten berichten, ziellen Ressourcen herausbilden. In Bezug auf die dass ihnen neben dem Austausch mit der Partne- Erwerbseinbindung ist auch die Reduzierung be- rin oder dem Partner jemand fehle, der ihnen zeit- ziehungsweise Aufgabe der Erwerbsarbeit zuguns- weise organisatorische Aufgaben abnehme. Um ten der Betreuungsarbeit ein häufig diskutiertes eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen und die Thema in den Interviews. Kinderbetreuung zu gewährleisten, müssen Be- treuungsaufgaben straffer organisiert werden sowie Personen außerhalb des Haushalts oder Organisatorischer Aufwand im Alltag Institutionen umfangreicher in Anspruch genom- men werden. Die interviewten Familien versuchen Familien in Belastungslagen haben im Alltag einen hierbei, auf ein Netzwerk sozialer Beziehungen erhöhten organisatorischen Aufwand zu meistern. zurückzugreifen. Der organisatorische Mehrauf- Eltern kinderreicher Familien berichten, dass sie wand und die damit einhergehende Belastung zum einen ein erhöhtes Maß an Care-Arbeit leis- wirken sich jedoch nicht nur auf das alleinerzie- ten müssen und zum anderen versuchen, den in- hende Elternteil aus, sondern übertragen sich dividuellen Bedürfnissen jedes einzelnen Kindes auch auf die Kinder. gerecht zu werden. Diese doppelte organisatori- sche Leistung erschwert es Eltern, gemeinsame Paar- und Eigenzeit zu finden, denn die gleichzei- tige Betreuung aller Kinder kann im Alltag häufig nicht realisiert werden. 16
Einleitung „ Da bin ich auch manchmal, ehrlich gesagt, Familienzeit ungeduldig und maulig, wenn’s dann nicht Die befragten Familien beschreiben als eine der so funktioniert [lacht], wie es funktionieren negativen Auswirkungen die fehlende qualitativ soll, gell. Und Kinder sollen ja nicht nur wertvolle Zeit mit dem Kind/den Kindern. Im funktionieren, die sollen ja auch frei sein Alltag bleiben Gespräche mit den Kindern, die und glücklich; aber es ist manchmal echt sich nicht um alltägliche Belange drehen, auf der nicht so einfach im Alltag.“ Strecke. Neben den alltäglichen Care-Arbeiten (Gruppendiskussion_7 Zeile 390–393) und der eigenen Erwerbsarbeit bleibt den Befrag- ten oft keine Zeit, die Beziehung zu den Kindern Einkommensschwache Familien beziehungsweise zu pflegen. Es lassen sich Hinweise darauf finden, Familien mit geringen finanziellen Ressourcen dass sowohl Kinder als auch Eltern ein Bedürfnis begleitet im Alltag die Frage, wie Anschaffungen nach gemeinsam verbrachter Zeit haben. Zudem so geplant werden können, dass alle (Lebenser wird deutlich, dass die Risikogruppen im Beson- haltungs-)Kosten der Familie gedeckt bleiben. deren durch Care-Arbeiten der gefühlten Zeitar- Die Planung des Haushaltsbudgets wird dabei als mut ausgesetzt sind und Wünsche nach mehr stressig und anstrengend empfunden. Zudem Zeitsouveränität sowie qualitativer Zeit mit den muss mit kurzfristigen finanziellen Engpässen im Kindern äußern. Alltag umgegangen werden. Ein Familienurlaub tritt dabei aufgrund dringlicherer und existenziel- ler Anschaffungen in den Hintergrund. Außerhalb der Norm Familien in Belastungslagen berichten, im Alltag Zeitarmut abwertende Erfahrungen bezüglich ihrer Fami- liensituation gemacht zu haben und das Gefühl In den Interviews wird davon berichtet, dass vermittelt zu bekommen, nicht der Norm zu ent- Familienmitglieder das Gefühl haben, zu wenig sprechen und aus dem Raster der „glücklichen (qualitative) Zeit für andere Familienmitglieder Familie“ zu fallen. Auch beschreiben die befragten und sich selbst aufbringen zu können. Eltern die Empfindung, mit ihrer Situation alleine zu sein, stärker aufzufallen, bemitleidet oder ab- Eigenzeit gewertet zu werden. Diese Aussagen lassen sich Insbesondere Mütter, welche die Betreuungsrolle sowohl bei Alleinerziehenden als auch kinderrei- innehaben, geben zu erkennen, dass es ihnen an chen Familien und Eltern von Kindern mit sicht- Eigenzeit fehle. Die gefühlte Zeitarmut steht im baren Beeinträchtigungen finden. Genauso be- Zusammenhang mit der Care-Arbeit, weswegen richten einkommensschwache Familien, dass ihr insbesondere Alleinerziehende und kinderreiche Alltag von Armutserfahrungen geprägt sei und Eltern von dem Wunsch nach mehr Eigenzeit von dem Gefühl begleitet werde, nicht der berichten. Aber auch bei Familien mit pflegebe- gesellschaftlichen Norm zu entsprechen: dürftigen, kranken oder behinderten Angehörigen wird die gefühlte Zeitarmut deutlich erkennbar: „ Ich bin jetzt mal eine Woche lang kein Da die pflegenden Personen ständig in ihrer Be- Hartz-IV-Empfänger, sondern ich bin jetzt treuungsaufgabe stehen, wird der Mangel an auch mal [.] Urlauber [lacht]. Ja. Muss man Eigenzeit hier durch die Mehrbelastung bei der so sagen!“ organisatorischen Care-Arbeit bedingt. Zu der (Gruppendiskussion_5 Zeile 154–155) dauerhaften Belastung durch die Betreuungsauf- gabe kommen jedoch auch die mit der unheil baren Krankheit oder der Behinderung verbun denen Belastungen hinzu. 17
Einleitung Soziales Umfeld Ineinandergreifen von Belastungsfaktoren Im Rahmen der Interviews wird das soziale Umfeld als ein weiterer Belastungsfaktor thematisiert, der im ersten Modul des Projekts nicht adäquat unter- Familien sind oftmals nur schwer einer Risiko- sucht werden konnte. Das soziale Umfeld bezie- gruppe zuzuordnen. Vielmehr wird erkennbar, hungsweise der soziale Raum wird des Öfteren in dass sich mehrere Belastungslagen innerhalb einer den Gesprächen als nicht kindgerecht oder gar Familie wiederfinden und einander bedingen. So feindlich wahrgenommen. In Städten wohnhafte können etwa Fürsorgetätigkeiten mit einer gerin- Eltern äußern die Sorge um die Sicherheit ihrer gen Erwerbseinbindung einhergehen, was wieder- Kinder, die sie durch einen regen Stadtverkehr ge- um zu einer finanziellen Belastung führen kann. fährdet sehen. Kinder müssen somit im öffentli- Weiterhin ließ sich beobachten, dass die Belas- chen Raum beaufsichtigt und im Straßenverkehr tungsfaktoren teilweise zeitlich begrenzt bezie- von den Eltern begleitet werden, wodurch sich der hungsweise vorübergehend belastend sind, etwa Betreuungsaufwand für die Eltern erhöht. Wird das wenn eine Familie aufgrund von Elternzeit über nachbarschaftliche Umfeld als kinderfeindlich be- ein geringes Haushaltseinkommen verfügt und schrieben, sind Eltern in stärkerem Maße darüber aus diesem Grund einen geförderten Familien- besorgt, ihre Kinder könnten von Außenstehenden urlaub in Anspruch nimmt. Als langfristige Belas- oder Anwohnerinnen und Anwohnern als störend tungslagen konnten eine dauerhafte geringe Er- wahrgenommen werden. Demgegenüber wird in werbseinbindung, ein andauernder Pflegebedarf anderen Fällen der soziale Raum als positiv und als bei Angehörigen, eigene physische oder psychi- wichtige Unterstützungsressource hinsichtlich der sche Erkrankungen oder das Alleinerziehend- Kinderbetreuung beschrieben. Durch soziale Netz- Sein identifiziert werden. werke, wie nachbarschaftliche beziehungsweise freundschaftliche Beziehungen oder Verwandte, können Eltern Betreuungsengpässe bewältigen und ihren Zeitdruck etwas reduzieren. Prädiktoren für Urlaubsverzicht: ein Blick auf einzelne Risikofaktoren Ein Zusammenhang zwischen den identifizier- wenn sie nicht armutsgefährdet sind (29 Prozent). ten Risikofaktoren und einem (unfreiwilligen)5 Ähnlich große Wahrscheinlichkeiten eines Ur Urlaubsverzicht wurde in der Sekundärdaten laubsverzichts zeigen sich bei alleinerziehenden analyse in Modul 1 festgestellt. Sofern Risiko Eltern und Familien mit pflegebedürftigen Ange- faktoren vorliegen, ist die Wahrscheinlichkeit hörigen. Hingegen fällt der Zusammenhang einer eines Urlaubsverzichts erhöht (siehe Abbildung 4). hohen Kinderzahl zum Urlaubsverzicht geringer Wenn Familien armutsgefährdet sind, ist die aus, und Familien mit und ohne Migrationshinter- Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Urlaub verzich- grund unterscheiden sich überhaupt nicht signi- ten, nahezu doppelt so groß (62 Prozent), als fikant6 hinsichtlich des Urlaubsverzichts. 5 Strenggenommen lässt sich aus den Antworten auf diese Fragen lediglich die Realisierung oder Nicht-Realisierung eines Urlaubs abbilden. Selbst wenn keine Urlaubsreise realisiert wurde, widerspricht das nicht zwangsläufig den Wünschen der Befragten oder deutet zwingend auf einen un- freiwilligen Verzicht hin. Ergebnisse aus dem Flash Eurobarometer 432 im Jahr 2016 haben allerdings ergeben, dass lediglich bei 16 Prozent der Befragten, die nicht auf Urlaubsreise waren, ein freiwilliger Verzicht stattfand, weil kein Interesse bestand oder man es bevorzugte, zu Hause zu bleiben (European Commission 2016). 2007 wurden im Rahmen des Eurobarometers 279 Informationen über die Definition von Deprivation und Exklusion erhoben: In der deutschen Stichprobe haben nur etwa 20 Prozent der Befragten angegeben, dass eine einwöchige Urlaubsreise im Jahr für die soziale Teilhabe nicht nötig sei, während nur etwa zehn Prozent dies als unwichtig für eine positive kindliche Entwicklung erachteten (Eu- ropean Commission 2009). Insgesamt gibt es also starke Hinweise darauf, dass die Nicht-Realisierung einer Urlaubsreise für die Mehrheit der Be- fragten auf einen unfreiwilligen Verzicht zurückzuführen ist. 6 Dies lässt sich daran erkennen, dass sich die Konfidenzbänder in den beiden zum Risikofaktor Migrationshintergrund gehörenden Balken über- schneiden, was sonst bei keinem anderen Risikofaktor der Fall ist. 18
Einleitung Abbildung 4: Wahrscheinlichkeit des Urlaubsverzichts in Ab- und Anwesenheit relevanter Risikofaktoren (Angaben in Prozent) nein 33,80 66,20 Alleinerziehend ja 58,60 41,40 nein 37,70 62,30 Kinderreich (4+) ja 45,70 54,30 nein 39,20 60,80 Migrationshintergrund ja 37,10 62,90 nein 34,50 65,50 Krankeit/Behinderung/ Pflege ja 57,40 42,60 nein 29,40 70,60 Armutsgefährdet ja 62,20 37,80 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Urlaubsverzicht Kein Urlaubsverzicht Alleinerziehend: Kontrolliert werden höchster Bildungsabschluss der Eltern, Vorhandensein von Kindern unter drei Jahren und keine Freizeit am Werktag (n=4.516). Kinderreiche Familien: Kontrolliert werden Durchschnittsalter der erwachsenen Mitglieder und Migrationshintergrund (n=4.593). Familien mit Migrationshintergrund: Kontrolliert werden Erwerbseinbindung, Anzahl der Kinder, Durchschnittsalter der erwachsenen Mitglieder, Wohnlage (ländlich versus städtisch), Ost/West und Bildung (n=4.482). Familien mit kranken, behinderten oder pflegebedürftigen Mitgliedern: Kontrolliert werden Durchschnittsalter der erwachsenen Mitglieder und eine Haushaltsgröße ab fünf Personen (n=4.593). Armutsgefährdete Familien: Kontrolliert werden Erwerbseinbindung, Durch schnittsalter der erwachsenen Mitglieder, Bildung, Wohnlage (ländlich versus städtisch) und Ost/West (n=4.325). n bezieht sich hier auf die Personenzahl in den Regressionen zugrunde liegenden Stichproben. Quelle: SOEP 2016, ungewichtete Daten, eigene Berechnungen Hinsichtlich der Kumulation von Risikofaktoren mutsgefährdung und nicht monetären Risikofak- zeigt sich, dass mit der Anzahl der Risikomerk toren erkennbar: Kommen zu einer vorliegenden male die Realisierungswahrscheinlichkeit eines Armutsgefährdung nicht monetäre Risikofaktoren Urlaubs sinkt (siehe Abbildung 5). Dies entspricht hinzu, ist der Urlaubsverzicht umso wahrschein- den Befunden zu Belastungen des Familienklimas. licher (siehe Abbildung 6). Darüber hinaus ist ein Zusammenspiel von Ar- 19
Einleitung Abbildung 5: Wahrscheinlichkeit des Urlaubsverzichts nach der Anzahl der nicht monetären Risiko faktoren (Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Familien mit kranken, behinderten oder pflegebe dürftigen Mitgliedern) (Angaben in Prozent) 0 31 69 Anzahl zutreffender nicht monetärer Risiken 1 50 50 2 66 34 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Urlaubsverzicht Kein Urlaubsverzicht n=4.543; verwendete Kontrollvariablen: höchster Bildungsabschluss der Eltern, Durchschnittsalter der erwachsenen Haushaltsmitglieder, Migrationshintergrund Die Kategorie für mehr als drei Risikofaktoren kann aufgrund der geringen Fallzahlen nicht sinnvoll interpretiert werden und wird daher nicht dargestellt. Quelle: SOEP 2016, ungewichtete Daten, eigene Berechnungen Abbildung 6: Wahrscheinlichkeit des Urlaubsverzichts nach der Anzahl zutreffender nicht monetärer Risikofaktoren (alleinerziehend, kinderreiche Familie, Familie mit kranken, behinderten oder pflege bedürftigen Mitgliedern) für verschiedene Einkommensgruppen (Angaben in Prozent) 100 90 84 80 77 Wahrscheinlichkeit Urlaubsverzicht 67 66 60 53 39 40 27 20 14 10 5 7 0 −20 0 1 2 3 Anzahl zutreffender nicht monetärer Risikern Niedriges Einkommen Mittleres Einkommen Hohes Einkommen Einkommensgruppen: niedriges Einkommen = weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens, mittleres Einkommen = mindestens 60 Prozent und maximal 130 Prozent des Medianeinkommens, hohes Einkommen = mehr als 130 Prozent des Medianeinkommens; n=614–2.620, je nach Modell Verwendete Kontrollvariablen: höchster Bildungsabschluss der Eltern, Durchschnittsalter der erwachsenen Haushaltsmitglieder, Migrationshintergrund Quelle: SOEP 2016, ungewichtete Daten, eigene Berechnungen 20
Einleitung Die Ergebnisse des ersten Moduls konnten dem- gehen mit Urlaubsverzicht einher. Das Angebot nach zeigen, dass einige Risikofaktoren mit dem der Familienerholung richtet sich, wie eingangs Urlaubsverzicht und einem belasteten Familien- erwähnt, insbesondere an Familien in belastenden klima zusammenhängen: Kinderreichtum, Ar- Lebenssituationen. Die von diesen Risikofaktoren mutsgefährdung, Pflegebedürftigkeit mindestens betroffenen Familien qualifizierten sich somit als eines Familienmitglieds und Alleinerziehend-Sein Zielgruppen einer staatlich geförderten Familien- kennzeichnen familiale Belastungslagen und erholung. Der Weg in die Familienferienstätte Informationsbeschaffung Diese Wege des Zugangs sind vermehrt in Fami- lienferienstätten mit einem informellen Bildungs- Ein wichtiger Themenschwerpunkt ist die Frage, angebot vorzufinden. Auch die regionale Bekannt- wie Familien in die Familienferienstätte gelangen. heit der Erholungsstätte beeinflusst die Kenntnis Die Wissensaneignung habe laut den Befragten der Familie über die Familienferienstätte. Ein auf persönlichem Wege im privaten Umfeld oder wesentlicher Teil der Familien stammt aus der über den Kontakt mit Fachkräften erfolgt. Region, sodass lange Anfahrtswege vermieden werden. Der Weg zur Familienferienstätte über private Kontakte Der Weg zur Familienferienstätte über institutio Die häufigste Antwort von Familien auf die Frage nelle Unterstützungssysteme zum Zugang ist die „Mund-zu-Mund-Propaganda“ Besonders belastete Familien geben zu erkennen, beziehungsweise „das Hörensagen“. Als Vermittle- dass vor allem Fachkräfte die Impulsgeber für rinnen und Vermittler dienen Verwandte und einen Besuch in einer Familienferienstätte waren. Bekannte, die bereits selbst einen Urlaub in einer Hinsichtlich der Fachkräfte, die in staatlichen Familienferienstätte verbracht haben. Sie erläu- Strukturen auf die Familien zukommen, werden tern nicht nur das Konzept der Familienferien vor allem das Jugendamt und das Arbeitsamt als stätten, vielmehr geben sie auch persönliche Informationsvermittler genannt. Die Aussagen der Erfahrungen und Schilderungen weiter. In den befragten Familien deuten jedoch darauf hin, dass Familienferienstätten sind vermehrt Stammgäste es sich hierbei nicht um eine systematische Wis- anzutreffen, die selbst wiederum Werbung in sensvermittlung oder eine strukturell verbreitete ihrem Umkreis machen. Auch werden Urlaubs- Maßnahme handelt, sondern dass diese unsyste- freundschaften deutlich, die in der Familienferien matisch von einzelnen Personen an bestimmte stätte entstanden sind, und mit denen nun Ab- Familien herangetragen wird. Als weiteren profes- sprachen getroffen werden, den nächsten Urlaub sionellen Zugang lassen sich kirchliche Zugangs- gemeinsam zu verbringen. vermittler nennen. Über Einrichtungen wie Cari- tas, Diakonie, Kirche, Seelsorge im Krankenhaus Langjährige Bindungen an die Familienferienstät- und christliche Kindergärten können die kirch- te zeigen sich in Erzählungen von Stammgästen, lichen Träger viele Familien erreichen. Des Weite- die schon selbst als Kind einen Urlaub in einer ren dienen auch Stiftungen und Vereine sowie Familienferienstätte verbracht haben und dies Personen aus der Familienberatung, -hilfe und nun mit den eigenen Kindern wieder erleben -therapie, die sich mit den Belastungslagen von möchten. Somit spielen zufriedene Familien eine Familien auseinandersetzen, als Wissenvermittle- wichtige Rolle, weshalb dem erstmaligen Besuch rinnen und Wissensvermittler. Mitunter haben für die Bindung der Familien an die Familien Familien auch über vereinzelte Aushänge oder ferienstätte eine zentrale Bedeutung zukommt. Flyer von der geförderten Familienfreizeit erfahren. 21
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