IMPULSE ZU EINER ÖKOLOGISCHEN SPIRITUALITÄT - INTERVIEW ZUM ANGEBOT DES INSTITUTES FÜR THEOLOGISCHE ZOOLOGIE

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IMPULSE ZU EINER ÖKOLOGISCHEN SPIRITUALITÄT - INTERVIEW ZUM ANGEBOT DES INSTITUTES FÜR THEOLOGISCHE ZOOLOGIE
Schwerpunkt

    IMPULSE ZU EINER
    ÖKOLOGISCHEN SPIRITUALITÄT
    INTERVIEW ZUM ANGEBOT DES INSTITUTES FÜR THEOLOGISCHE ZOOLOGIE

              Die Frage nach einem guten Leben in der krisen-       Herr Hagencord, können Sie in wenigen Sätzen
              geschüttelten Welt von heute drängt über die          die Grundidee des Institutes für theologische
              „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ in alle    Zoologie skizzieren?
              Unterrichtsfächer an den Schulen in NRW hinein.       Das Institut wurde im Dezember 2009 im Schloss
              Dabei sind die Zielsetzungen und die Möglich-         zu Münster unter Teilnahme der Primatologin und
              keiten für Unterrichtsfächer wie den katholischen     UNO-Friedensbotschafterin Jane Goodall eröffnet.
              Religionsunterricht umstritten. Einen theologisch     Mit diesem Engagement der Weltgemeinschaft
              verantworteten Ansatz zum Umgang mit der Fra-         um Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit
              ge, wie heute in dieser Welt ein gutes Leben noch     ist die eine Spur verbunden, die das Institut für
              möglich ist, versucht das Institut für theologische   Zoologie verfolgt: Wir möchten politisch wirksame
              Zoologie in Münster zu gestalten. Dabei kommen        Theologie entfalten. Damit sind wir in der Tradition
              spirituelle und erfahrungsbezogene Ansätze in         des Münsteraner Theologen Johann Baptist Metz.
              den Blick, die für die Arbeit an Schulen und auch     Die andere Spur ist mit einem zweiten Datum ver-
              für den Religionsunterricht von Bedeutung sein        bunden. 2009 war der 200. Geburtstag von Charles
              können. Mit dem Leiter des Instituts, Dr. Rainer      Darwin. Das heißt, das Projekt einer theologischen
              Hagencord, sprachen Dr. Gabriele Bußmann und          Zoologie verdankt sich der Auseinandersetzung mit
              Dr. Heiko Overmeyer.                                  dem Evolutionsparadigma. Daher ist das Institut ein
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theologisches Projekt mit einem interdisziplinären       anderen Enzykliken vergleichen, dann kann man
Ansatz unter Einbeziehung des Evolutionsparadig-         sagen: „Laudato si‘“ ist in den Schubläden der Bi-
ma. Außerdem arbeitet das Institut interreligiös. Ich    schofshäuser und Generalvikariate verschwunden.1
habe mit Bärbel Wartenberg-Potter, die Bischöfin         „Laudato si‘“ liefert auf der Spur einer anderen
in Lübeck war, eine Kuratoriumsvorsitzende ge-           Theologie einen enormen Schatz, sozusagen einen
funden, die in der Spur der feministischen und der       Masterplan, um der ökologischen Katastrophe,
befreiungstheologischen Tradition steht.                 die immer auch eine soziale Katastrophe ist, zu
                                                         begegnen. Diesen Masterplan könnte die Kirche
Wie gestaltete sich die Situation vor Ort?               doch jetzt aufgreifen. Tut sie aber nicht. Leider!
Dem Bistum Münster, besonders Bischof Felix              „Laudato si‘“ verfolgt eine Theologie, in der nicht
Genn, bin ich sehr dankbar. Er hat mich 2009 für         das Seelenheil des einzelnen Menschen im Mittel-
die wissenschaftliche Arbeit im Institut freigestellt,   punkt steht, sondern in der es um das Leiden der
was ein großes Privileg ist. Mit der theologischen       anderen geht. Heute geht es darum, dass wir uns
Fakultät ist meine Erfahrung eher ernüchternd. Pro-      der ökologischen Katastrophe stellen und eine
fessor Klaus Müller hat mir 2009 einen Lehrauftrag       Theologie unseres Umgangs mit der Schöpfung
erteilt, um mit dem Thema auch in der theologi-          vertiefen. Einer der ersten Sätze aus „Laudato si‘“
schen Fakultät wirksam werden zu können. Nach            lautet: „Unsere Schwester, die Erde, schreit auf,
der Emeritierung von Professor Müller wurde mir          aufgrund der Schäden, die wir ihr zufügen.“ Und die
mitgeteilt, es gäbe keinen Bedarf mehr für diese         etablierte Theologie hält sich die Ohren zu.
Lehrveranstaltungen.
                                                         Wo entfaltet das Projekt einer theologischen
Welche Hürden oder Widerstände aber auch                 Zoologie Wirkung?
Unterstützung gab und gibt es aus Ihrer Sicht?           Viele Anfragen für Fortbildungen erhalte ich aus
Es war 2011 und 2012 als der „Fall Hagencord“ die        anderen Bistümern speziell auch für Lehrerinnen-
Runde machte. Das Bonifatiuswerk der deutschen           und Lehrerfortbildungen. Auch gibt es eine Reihe
Katholiken hatte mich gebeten, einen Aufsatz für         von Projekten, die die Kolleginnen und Kollegen aus
Firmlinge zum Mensch-Tier-Verhältnis, zum Projekt        der Kita-Pastoral auf den Weg gebracht haben. Im
einer theologischen Zoologie, zu schreiben. Ich          Mittelbau des universitären Kontextes ist viel los;
habe in diesem Aufsatz die biblischen Grundla-           ebenso in den Gemeinden, in denen Erstkommu-
gen vorgestellt, auch einige theologische Ansätze        nion- und Firmkatechese stattfinden. Der Bedarf
formuliert. Dann habe ich die Zahlen der 2009 ge-        einer Theologie, die mit dem ökologischen Thema
schlachteten Tiere genannt und das Bonifatiuswerk        umgeht, wird größer. In den letzten vier Jahren ist
hat ohne mein Wissen neben meinem Aufsatz das            das Institut für theologische Zoologie von sieben
klassische Format einer Todesanzeige mit schwar-         Fakultäten gewürdigt worden, von einzelnen Pro-
zem Kreuz und mit den Zahlen der geschlachteten          fessorinnen und Professoren aus der islamischen,
Tiere darunter veröffentlicht. Das führte zu einem       evangelischen und katholischen Theologie, von der
Sturm der Entrüstung. Es gab dann eine Stellung-         Biologie, der Medizin, der Archäologie und von der
nahme des Bistums Münster. Darin hat sich das            Arbeitsstelle Forschungstransfer der Universität in
Bistum einerseits von mir distanziert, andererseits      Münster, von der Landschaftsökologie. Mit dem
aber auf die akademische Freiheit hingewiesen.           Rektorat der Universität legen wir gerade einen
2015 erschien die Enzyklika „Laudato si‘“. Heute         Rahmenvertrag fest, in dem sich die Uni verpflich-
könnte ich problemlos unter diese Todesanzeige           tet, das Institut für theologische Zoologie personell
Zitate aus „Laudato si‘“ setzen. Denn die Enzyklika      und auch finanziell zu unterstützten. Besonders
des Papstes spricht eindeutig vom Eigenwert der          in der Landschaftsökologie in der Arbeitsstelle
anderen Geschöpfe, also auch der Tiere. Der Papst        Forschungstransfer treffe ich auf Lehrende und
spricht davon – jetzt wird es eschatologisch – dass      Studierende mit einer großen Sehnsucht nach einer
der Himmel ein gemeinsames Staunen ist, in dem           Spiritualität, die wissenschaftlichen Standards ent-
alle Geschöpfe ihren Platz einnehmen. Wenn man           spricht und die auch politisch wirksam ist.
alle Geschöpfe meint, dann können wir keine Gren-
ze ziehen. Es kann keine bedeutsamere Stärkung              Sie erhalten viel Resonanz von außerhalb des
des Projektes zoologische Theologie geben als diese      kirchlichen und theologischen Milieus. Das korres-
päpstliche Enzyklika. Wenn wir allerdings über die       pondiert mit der Entwicklung, dass die Suche nach
Rezeption dieser Enzyklika nachdenken und mit            Spiritualität in den letzten Jahren aus dem engeren
Schwerpunkt

              kirchlichen/theologischen Bereich in andere gesell-     Wie gestaltet sich die Kooperation mit Schulen
              schaftliche Sphären eingewandert ist.                   und Kitas?
                                                                      Ökologische Spiritualität ist der Oberbegriff, unter
                  Diese Entwicklung hat die Kirche mit ihrer          dem wir arbeiten, auch in den genannten her-
              Anthropozentrik und Klerikalisierung befördert. In      meneutischen Grundlagen. Wir arbeiten mit den
              katholischen Kreisen bedeutet Spiritualität, die Sak-   Erzieherinnen und Erziehern erfahrungsorientiert.
              ramente zu empfangen oder wenn man noch from-           Das Ziel ist, einen Kontakt herzustellen mit der
              mer ist, das Beten des Stundengebetes. Das heißt,       Natur, mit den Tieren; diese Erfahrung wahrzu-
              wir kommen in kirchlichen Kontexten nur in der Fei-     nehmen und eine Sprache dafür zu entwickeln. Sich
              er der Sakramente mit der göttlichen Wirklichkeit in    einzulassen auf die „mehr als menschliche Welt“.
              eine Beziehung. Das halte ich für blasphemisch. Spi-    Dieser Begriff stammt von David Abraham, einem
              ritualität kann doch nur dann wirksam sein, wenn        amerikanischen Anthropologen. Und es geht auch
              sie eine Weise ist, unsere Verwandtschaft mit allem     um eine Vertiefung in den biblischen Grundlagen.
              Lebendigen, mit allen Mitgeschöpfen zu stärken,         Spiritualität heißt zunächst, im Moment zu sein, still
              und dafür eine Sprache zu entwickeln. Die Enzyklika     zu werden und dankbar zu sein.
              „Laudato si‘“ steht für eine ökologische Spirituali-
              tät. Hier wird zum ersten Mal ein Lehrschreiben            Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti
              formuliert, das sich vom Herrschaftsanspruch einer      drückt es in etwa so aus: „Mit zunehmender Er-
              Theologie verabschiedet. Franziskus sagt, wenn wir      kenntnis werden die Tiere den Menschen immer
              als Kirche über Schöpfung reden, müssen wir das in      näher sein. Wenn sie dann wieder so nahe sind, wie
              Augenhöhe mit naturwissenschaftlichen Erkennt-          in den ältesten Mythen, wird es kaum mehr Tiere
              nissen tun, sonst ist unsere Rede von der Schöp-        geben.“ Dieses prophetische Wort versuchen wir zu
              fung leer und wirkungslos. Ökologische Spiritualität    übersetzen. Je mehr wir über die Nähe der Tiere zu
              im Sinne der Enzyklika ist eben eine grundsätzlich      uns wissen, je mehr wir das Evolutionsparadigma in
              andere Spiritualität als die, die unsere Kirche uns     der Tiefe verstehen, dass wir mit allem Lebendi-
              immer noch anbietet.                                    gen verwandt sind, umso stärker ist unser Impuls,
                                                                      sie gnadenlos auszurotten oder sie unsichtbar zu
              Greifen andere Gruppen außerhalb der Kirche,            machen. Täglich rotten wir Millionen von Arten aus.
              zum Beispiel „Fridays for Future“, diese Ideen auf?     Schweine, Puten, Hühner und Rinder verschwin-
               Das tun wir nicht formalisiert, weder mit Fridays      den in Tierfabriken und die Tiertransporter fahren
              for Future noch mit Extinction Rebellion. Ich erlebe    nachts. Das System der industriellen Tierhaltung
              es eher in den Feldern, in denen ich arbeite, dass      und Schlachtung tritt die Würde der Tiere und auch
              Studierende und Lehrende nach einer Theologie su-       der Menschen mit Füßen
              chen, die in der theologischen Zoologie auffindbar
              ist, und die Menschen hierzu ermutigt. Wir haben           In unseren Angeboten geht es – mit Metz ge-
              vor vier Jahren in einem sehr langen und anstren-       sprochen – um eine Mystik der geöffneten Augen.
              genden Prozess mit der DBU (Deutsche Bundes-            So bekommen die Erzählungen von der Arche Noah
              stiftung für Umwelt, die größte Umweltstiftung          und vom Garten Eden, der Schöpfungspsalm 104,
              Europas) ein interreligiöses und transdisziplinär       die Erzählung von Bileams Eselin und die Predigten
              ausgerichtetes Umweltschutzprojekt im National-         Jesu vom Reich Gottes eine unfassbare Aktualität.
              park Eifel bewilligt bekommen. Kooperationspart-
              ner waren die Fachdidaktik Biologie der Universität         Wir Menschen führen einen gnadenlosen Krieg
              Bonn, das Zentrum für Islamische Theologie in           gegen die gesamte Natur. Und dieser Krieg wird
              Münster und die Jüdischen Studien in Potsdam. An        nicht aufhören. Es gibt Menschen des Friedens,
              diesem Projekt waren mehr als 1.000 Jugendliche         aber das sind nur wenige; das sind die „Noahiden“
              beteiligt und wir haben ein ansehnliches Metho-         des Friedens. Die gilt es stark zu machen. Wir
              denhandbuch herausgegeben.2 Das zweite Projekt          können noch Archen bauen. Und auf die Arche
              ist der „Kapuzinerklostergarten“, ein ähnliches         sollen nicht nur die Niedlichen und die Nützlichen,
              Projekt, ebenfalls von der Stiftung Umwelt und Ent-     sondern Alle. Von jeder Art ein Paar. Wir merken
              wicklung mit auf den Weg gebracht. Auch das wird        aktuell, dass ganze Ökosysteme in sich zusammen-
              außerhalb der Kirche gewürdigt und ernst genom-         fallen, wenn Tiere verschwinden, die uns vielleicht
              men. Wir stemmen das Projekt seit mehr als zwölf        unangenehm sind. Aber auch diesen Prozess wer-
              Jahren, ausschließlich mit ehrenamtlicher Arbeit.3      den wir nicht aufhalten. Die Erde braucht uns nicht.
Die Kirchen haben vergessen oder auch verdrängt,          Es gibt die Idee, „Andersorte zu schaffen“; Sie
dass der Regenbogen den Bund Gottes auch mit              nennen das „Archen bauen“. Welche Orte könn-
den Tieren darstellt. Die Tiere sind Bündnispartner       ten das sein?
Gottes.                                                   Wir möchten den Gedanken der Archen in der
                                                          besprochenen Hermeneutik umsetzen und dann
   Wer sich mit der momentanen Situation auf              schauen, was Menschen davon mitnehmen. Zum
unserem Planeten beschäftigt, der kann kein Opti-         Beispiel haben wir in der Zusammenarbeit mit
mist sein. Wir werden in den nächsten zehn Jahren         einem Imker einen Impuls-Lehrpfad auf den Weg
mit Verwüstungen, Überflutungen, Wassermangel             gebracht. Wenn Menschen von der Arbeit mit dem
und Lebensmittelknappheit zu tun haben. Und die           Imker inspiriert werden, fahren viele von ihnen
Flüchtlingsströme werden nicht abreißen                   nach Hause und sagen: Ich habe zwar nur einen
                                                          Balkon, aber den mache ich jetzt insektenfreund-
Wo sehen Sie im Moment die größten ethischen,             lich.“ Oder: „Ich kaufe bestimmte Dinge nicht mehr.“
moralphilosophischen und moraltheologischen               Wer mit unseren Eseln arbeitet kann wahrnehmen,
Herausforderungen?                                        dass diese beiden Tiere großartige Persönlichkeiten
Die neue politische Theologie und die Befreiungs-         sind, mit Bewusstheit, mit emotionaler Kraft und
theologie liefern das Instrumentarium. Der Begriff        sozialer Kompetenz. Er überlegt sich dreimal, ob
der strukturellen Sünde, der in den 1980er Jahren         er noch die billigen Schweineschnitzel essen will.
von der lateinamerikanischen Befreiungstheolo-            Wir setzen Impulse, die jede und jeder mitnehmen
gie geprägt wurde, ist der Schlüssel, wenn es um          kann. Sei es der Balkon, den jemand umgestaltet,
Moral, wenn es um die Frage geht, wie wir leben           oder eine Familie kauft kein Fleisch mehr …
wollen. Das System der industriellen Tierhaltung,
die Macht der Fleischbarone, sowohl hier in Europa           Es geht darum, dass sich Menschen inspirieren
als auch in Lateinamerika, richten diese Erde zu          lassen, Lebensräume zu erhalten oder zu schaffen.
Grunde. Wenn ich mir das System der industriellen         Menschen des Friedens, auch des Friedens mit den
Tierhaltung mit der Hermeneutik einer Befreiungs-         Tieren, sollen stark gemacht werden für einen Weg,
theologie ansehe, und das heißt, weg von einer            der zukunftsfähig ist. Das entlastet auch. Denn wir
Moraltheologie, die das Vergehen des Einzelnen in         werden die Welt nicht verändern. Die ökologische
den Blick nimmt, hin zu den Fragen, welche Struk-         Katastrophe ist unabwendbar. Die Natur ist unsere
turen Böses verursachen, dann sind wir genau an           Heimat und nicht die virtuelle Welt. Wir sind immer
dem entscheidenden Punkt. Das System der indust-          noch Erdlinge, Wesen dieser Erde. Wir sind von der
riellen Tierhaltung kennt außer zwei Gewinnern nur        Erde genommen und dahin kehren wir auch zurück.
Verlierer. Die natürliche Mitwelt, verliert ihre Arten-   Rückkehr in unsere Heimat, das ist angesagt. Es
vielfalt. Die nachfolgenden Generationen verlieren        macht Freude, es baut auf, es gibt Kraft. Das heißt:
durch die industrielle Fleischerzeugung einen Pla-        „Archen bauen“.
neten, der wahrscheinlich nicht mehr bewohnbar
ist. Und in Lateinamerika verhungern Menschen,            Was ist es, das uns so resistent macht, die Dinge
während nebenan Sojaplantagen entstehen. Soja ist         in ihrer ganzen Dramatik zu sehen?
ein hochwertiges Protein. Davon könnten wir uns           Wir sind evolutiv geworden. Unser Hirn ist gar nicht
ernähren. Aber das geht aus Brasilien zu 98 Prozent       dafür ausgestattet darüber nachzudenken, was
in die industrielle Tierhaltung nach Europa, damit        in zehn Jahren sein wird. Wir haben uns in eine
wir billiges Fleisch kaufen können.                       virtuelle Welt verabschiedet. Das ist der Trend der
                                                          letzten Jahre. Wir haben unsere Beheimatung auf
    Verbraucherinnen und Verbraucher nehmen das           und mit dieser Erde vergessen. Darum ist unser
immer noch nicht ernst. Es wird nicht ernst genom-        Denken auch in eine falsche Richtung gegangen. In
men, dass wir im Kern offenbar eine Religion ha-          animistischen Kulturen gibt es eine andere Haltung
ben, für die Gewalt selbstverständlich ist. Offenbar      gegenüber der Natur, die mit dem Menschsein und
ist es völlig selbstverständlich, dass wir Schlacht-      dem Tiersein – wir sind eben Tiere – kompatibel
höfe haben. Es ist völlig selbstverständlich, dass wir    ist. Die Auswanderung in die virtuelle Welt ist eine
den Tieren ihre Lebensräume nehmen. Wo bleibt             Folge der Industrialisierung und der Mechanisie-
nach „Laudato si‘“ der Aufschrei? Wir kommen nur          rung und letztlich auch eines Menschenbildes, das
weiter, wenn wir unseren Moralbegriff nicht anth-         den Menschen nicht mehr als Teil der Natur sieht,
ropozentrisch und individualistisch verengen.             sondern als außerhalb von ihr stehend.
Schwerpunkt

              Welche Reaktionen erfahren Sie aus anderen
              Religionen?
              Im Zentrum für Islamische Theologie gibt es eine
              große Bereitschaft und Offenheit. Gleichzeitig
              sagen Kolleginnen und Kollegen dort, dass auch für
              den Mainstream-Islam, diejenigen, die sich für die
              grüne Moschee einsetzen, für eine andere Sicht auf
              die Tiere, eher am Rande stehen.
                  Deborah Williger, Lehrbeauftragte bei den
              Jüdischen Studien in Potsdam, sagt, dass es durch
              die Kabbala eine große Nähe zum Denken der theo-
              logischen Zoologie gibt. Aber auch das Mainstream-
              Judentum ist nicht so offen.
                  Das Schöne am Institut für theologische Zoologie
              ist, dass die einzelnen Wissenschaftlerinnen und
              Wissenschaftler, die bei uns mittun, das Institut
              auch als eine Arche erleben. Hier finden sie Kraft,
              eine wissenschaftlich fundierte Theologie und eine
              gute Pädagogik, um damit weiterzuarbeiten.

              1
                  Nach unserem Gespräch wurde eine Arbeitshilfe der Deut-
                  schen Bischofskonferenz mit dem Titel „Vom Wert der Vielfalt
                  – Biodiversität als Bewährungsprobe der Schöpfungsverant-
                  wortung“ veröffentlicht. Vgl. den Hinweis unter der Rubrik
                  Bemerkenswert in Kirche und Schule, September 2021 auf S.
                  51.
              2
                  Das Handbuch steht unter folgendem Link zum Download zur
                  Verfügung: http://www.schoepfung-erfahren.de/programm-
                  handbuch/ (03.08.2021).
              3
                  Auch zu diesem Projekt wurde ein Programmhandbuch
                  erstellt. Eine Besprechung und den Link finden Sie unter der
                  Rubrik Lesenswert in Kirche und Schule, September 2021 auf
                  S. 50.

                                                                                 Dr. Rainer Hagencord
                                                                                 Theologe und Biologe,
                                                                                 Leiter des Instituts für Theologische
                                                                                 Zoologie e. V., Münster
                                                                                 hagencord@theologische-zoologie.de
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