Industrie aktuell 2 2021 - WKO
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industrie aktuell 2 2021 Industrieforum Positive Entwicklung am Arbeitsmarkt Industriepolitik Fernwärme und Grünes Gas als Schlüsselfaktoren zur Erreichung der Klimaziele Industriekonjunktur aktuell Schwierige Rahmenbedingungen und erste positive Signale
Bundessparte Industrie (BSI) Industriewissenschaftliche Institut (IWI) Industriellenvereinigung (IV) Die Bundessparte Industrie der Wirtschaftskammer Das Industriewissenschaftliche Institut (IWI) setzt Die Industriellenvereinigung (IV) ist die freiwillige und Österreich vertritt mit ihren Fachverbänden die einen markanten industrieökonomischen For unabhängige Interessenvertretung der österreichi Interessen von mehr als 5.000 Mitgliedsunterneh schungsschwerpunkt in Österreichs Institutsland schen Industrie und der mit ihr verbundenen Sek men. In der österreichischen Industrie sind mehr als schaft. Seit 1986 steht das Institut für die qua toren. Seit 1946 nimmt die IV an allen Gesetzwer 440.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig. litativ anspruchsvolle Verschränkung zwischen dungsprozessen als anerkannter Partner der Politik Die Industrieunternehmen Österreichs sind mit Theorie und Praxis. teil. Eine Bundesorganisation, neun Landesgruppen einer Exportquote von 66 Prozent stark inter Das intensive Zusammenspiel unterschiedlicher und das Brüsseler IV-Büro vertreten die Anliegen national vernetzt. Die Bundessparte Industrie ist Forschungsbereiche dient dazu, Produktions ihrer aktuell mehr als 4.400 Mitglieder aus produ nicht nur für eine aktive Mitgestaltung der öster strukturen systemorientiert zu analysieren und zierendem Bereich, Kredit- und Versicherungswirt reichischen Industriepolitik zuständig, sondern auch darauf aufbauend zukunftsweisende wirtschafts schaft, Infrastruktur und industrienaher Dienstleis für die Koordination und die inhaltliche Artikulierung politische Konzepte zu entwickeln. Besondere tung – in Österreich und Europa. Die IV-Mitglieder aller industrierelevanten Interessen vor allem in der Schwerpunkte finden sich in der Analyse lang repräsentieren mehr als 80 Prozent der heimischen Kollektivvertragspolitik, im Umwelt- und Energie fristiger makroökonomischer Entwicklungsten Produktionsunternehmen. Ihr Anspruch an der bereich, in der Forschungs- und Technologiepolitik denzen sowie in der Untersuchung industrieller Schnittstelle zwischen Unternehmen und Politik ist sowie in der Infrastrukturentwicklung. Netzwerke (Clusteranalysen). es, mit innovativen Konzepten und Expertise Öster reichs Gesellschaft zukunftsfit zu gestalten. Bundessparte Industrie der Industriewissenschaftliches Institut Industriellenvereinigung Wirtschaftskammer Österreich Mittersteig 10/4, 1050 Wien Schwarzenbergplatz 4, 1031 Wien, Österreich Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien Telefon: +43 1 513 44 11-0 Telefon: +43 1 71135 - 0 Telefon: 05 90 900-3460 Telefax: + 43 1 513 44 11-2099 Internet: www.iv.at, www.facebook.com/ Telefax: 05 90 900-113417 Internet: www.iwi.ac.at, industriellenvereinigung, Internet: wko.at/industrie, E-Mail: office@iwi.ac.at www.twitter.com/iv_news E-Mail: bsi@wko.at Vorstand E-Mail: office@iv.at Bundespräsidium Vorsitzender Hon.Prof. Dr. Wilfried STADLER, Präsidium Obmann Mag. Sigi MENZ, Ottakringer Getränke AG Wirtschaftsuniversität Wien, Vorstandsvor- Präsident Georg KNILL, Knill Gruppe Stellvertreter Vorstandsvorsitzender KommR DI sitzender des IWI Vize-Präsidentin Dipl.-Ing. Dr. Sabine Dr. Clemens MALINA-ALTZINGER, Reform-Werke Mag. Markus BEYRER, Business Europe HERLITSCKA MBA, Vorstandsvorsitzende Bauer & Co. Ges.m.b.H. Dr. Wolfgang DAMIANISCH, Kassier des IWI Infineon Technologies Austria AG Stellvertreter GF Thomas SALZER, Mag. Christian DOMANY, Unternehmensberater Vize-Präsident Philipp VON LATTORFF, Salzer Papier GmbH GF Mag. Andreas MÖRK, Bundessparte Industrie Geschäftsführer Boehringer Ingelheim kooptiert gem. § 63 (2) WKG: der Wirtschaftskammer Österreich RCV GmbH & Co KG Regional Center Vienna COO Günter DÖRFLINGER, MBA, Christof Dr. Erhard FÜRST, Vize-Präsident Dipl.-Ing. F. Peter MITTERBAUER, Industries Global GmbH Gen.-Sekr. Karlheinz KOPF, Wirtschaftskammer Vorstandsvorsitzender MIBA AG CEO Mag. Christian KNILL, Knill Energy Österreich, stv. Vorstandsvorsitzender des IWI Holding GmbH Gen.-Sekr. Mag. Christoph NEUMAYER Geschäftsführung GD KommR Ing. Wolfgang HESOUN, Siemens AG Industriellenvereinigung, stv. Vorstandsvor- Generalsekretär Mag. Christoph NEUMAYR Österreich sitzender des IW Vize-Generalsekretär Ing. Mag. Peter KOREN Geschäftsführer Vorst.dir. DI Dr. Manfred MATZINGER-LEOPOLD, Vize-Generalsekretärin Dr. Claudia MISCHENSKY Mag. Andreas MÖRK Münze Österreich FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. SCHNEIDER, Industriewissenschaftliches Institut Kuratorium Vorsitzender Hon.Konsul KommR Veit Schmid-Schmidsfelden, Rupert Fertinger GmbH Dir. Mag. Dr. Johannes Turner,OeNB Geschäftsführer FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. Schneider Wissenschaftlicher Leiter Univ. Prof. DI Dr. Mikuláš Luptáčik 2 industrie aktuell | 2021 | 2
inhalt editorial konjunktur Georg Knill: Kommentar zur internationalen Aufschwung und Wachstum brauchen Bildung Konjunkturentwicklung und Qualifizierung 4 FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. Schneider 30 Schwierige Rahmenbedingungen forum und erste positive Signale Positive Entwicklung am Arbeitsmarkt 6 Mag. Andreas Mörk 32 Interview: konjunktur nach branchen Mit der Joboffensive investieren wir so viel wie noch nie in Aus- und Branchenübersicht 34 Weiterbildungsmaßnahmen Gesamtindustrie 35 Dr. Martin Kocher Bergwerke und Stahl 35 Bundesminister für Arbeit, Familie und Jugend 12 Stein- und keramische Industrie 36 Glasindustrie 36 Chemische Industrie 37 politik Papierindustrie 37 Die volkswirtschaftliche Bedeutung von PROPAK – Industrielle Hersteller von go-international-Fördernehmern 16 Produkten aus Papier und Karton 38 Bauindustrie 38 Generika-Unternehmen bringen Österreichs Holzindustrie 39 Wirtschaft in Schwung 18 Lebensmittelindustrie 39 Textil-, Bekleidungs-, Interview: Schuh & Lederindustrie 40 Beim Klimawandel ist die Wirtschaft NE-Metallindustrie 40 ein unentbehrlicher Teil der Lösung Metalltechnische Industrie 41 und nicht Teil des Problems Fahrzeugindustrie 41 Karlheinz Kopf, Generalsekretär der WKO 20 Elektro- und Elektronikindustrie 42 inhalt Offenlegung, Impressum 42 Serie: Gas- und Wärmeversorgungs unternehmungen Fernwärme und Grünes Gas als Schlüsselfaktoren zur Erreichung der Klimaziele 24 Fotos: beigestellt industrie aktuell | 2021 | 2 3
forum kommentar Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung Aufschwung und Wachstum brauchen Bildung und Qualifizierung Auf nationaler und europäischer Ebene erlebt die Industrie eine Renaissance – jetzt gilt es, den weltweiten Aufschwung zu nutzen und die immer noch hohen Arbeitslosenzahlen weiter zu senken sowie den durch die Pandemie weiter verschärften Fachkräftemangel zu bekämpfen. Bildung und Qualifizierung sind die besten Mittel, um den Arbeitsmarkt zukunftsfit zu machen. Autor: Georg Knill D ie Industrie hat auch in herausfordernden sind tendenziell jene Branchen besser durch die Foto: Heidrun Henke Zeiten Arbeitsplätze, Wohlstand und Ver- Krise gekommen, die durch eine technologie- und sorgungssicherheit in Österreich gesichert wissensintensive Wertschöpfung geprägt sind. – trotz Krise gibt es heute um 15 Prozent mehr Alle Zeichen stehen derzeit auf Aufschwung – das Jobs in der Industrie als noch vor zehn Jahren. Es wirkt sich natürlich auch positiv auf die Arbeits- 4 industrie aktuell | 2021 | 2
kommentar forum losenzahlen aus, die bereits kontinuierlich sinken. Arbeitswelten heute funktionieren. Neue Tech- Die Strategien der Bundesregierung zur Senkung nologien und digitale Transformation sind wich- der Langzeitarbeitslosigkeit (siehe Aktion „Sprung- tige Hebel für die Industrie, ihre Wettbewerbs- brett“) sowie der schrittweise Abbau der Kurzarbeit fähigkeit zu verbessern – und sichern somit senden die richtigen Signale für den Wiederaufbau Arbeitsplätze. Wir müssen den Digitalisie- eines stabilen Arbeitsmarktes. Um die arbeits- rungsturbo durch die Coronakrise strategisch marktpolitischen Aufgaben zu bewältigen, braucht nutzen, um neue, höherwertige Arbeitsplätze es eine Reihe an Maßnahmen, die geeignete zu schaffen. Zudem muss das Thema Cyber Rahmenbedingungen für einen starken und wett- security forciert werden, um digitale Arbeitswel- bewerbsfähigen Standort sicherstellen. ten sicherer zu gestalten. Langzeitarbeitslosigkeit verhindern Offensive Bildung & Qualifizierung Wenngleich das Instrument der Kurzarbeit bisher Um die Lücke zwischen nachgefragter Qualifika- ausgezeichnet funktioniert hat, müssen wir nun in tion und bestehendem Angebot auf dem Arbeits- die Zukunft blicken und die Gestaltung eines effi- markt zu schließen, brauchen wir eine Ange- zienten Arbeitsmarktes anstreben. Die Arbeitslo- botsoffensive der bestehenden Bildungsein sigkeit in Österreich hat sich durch die Coronakrise richtungen für umfassende Weiterbildung, eher vertieft als verbreitert. Daher muss es aktuell höchste Priorität haben, Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern und Anreize für einen raschen Wie- dereinstieg in den Arbeitsmarkt zu fördern. Eine Neue Technologien und digitale Modernisierung des Arbeitslosengeldes, d. h. eine Transformation sind wichtige degressive Gestaltung der Leistungshöhe unter Integration der Notstandshilfe, würde positive Hebel für die Industrie, ihre Arbeitsanreize setzen und Beschäftigung fördern. Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern – und sichern somit Arbeitsplätze. Fachkräftemangel entschärfen Trotz derzeit hoher Arbeitslosigkeit sind zahlreiche Betriebe vor allem in industriestarken Regionen Neu-Qualifizierung und lebenslanges Lernen. Die wieder verstärkt mit einem Fachkräftemangel bestehenden Instrumente der Bildungspolitik konfrontiert. Was auf den ersten Blick paradox müssen sinnvoll eingesetzt und weiterentwickelt erscheint, lässt sich bei genauerem Hinschauen werden, wobei der Fokus auf arbeitsplatznahe schnell erklären: Es besteht ein Missverhältnis Weiter- und Umqualifizierung zu richten ist. Wich- zwischen dem Bedarf qualifizierter Fachkräfte in tig ist hier auch, dass Betriebe zeitnah über die der Industrie und den sehr vielen Arbeitslosen, die Angebote informiert werden. leider nicht die geforderte Qualifikation mitbringen. Der Standort braucht eine Offensive an Fortbil- Fakt ist: Die Industrie wird auch in Zukunft hoch- dungsprogrammen, unbürokratische Jobanreize, wertige Arbeitsplätze in Österreich sichern und eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote sowie zahlreiche neue schaffen – wenn wir jetzt am verstärkte Mobilität von Lehrlingen. weltweit einsetzenden wirtschaftlichen Auf- schwung nachhaltig partizipieren, unsere digitalen Chancen nutzen und mit Investitionen in Bildung Digitalisierung forcieren und Qualifizierung unserer Fachkräfte schon Die Digitalisierung ist ein wahrer Gamechanger heute die richtigen Prioritäten für einen starken und verändert nachhaltig die Art und Weise, wie Wirtschaftsstandort von morgen setzen. industrie aktuell | 2021 | 2 5
cover cover | arbeitsmarkt Bei Swietelsky kommen jährlich mehr als 100 Lehrlinge neu zum Unternehmen. Positive Entwicklung am heimischen Arbeitsmarkt Die Arbeitslosenzahlen sinken weiter. Die durchwegs erfreulichen Arbeitsmarktzahlen Ende Mai 2021 zeigen, wie stark es in unserem Land nun wieder wirtschaftlich bergauf geht. Die Unternehmen der Industrie haben einen großen Anteil daran. A m Höchststand der Pandemie – im April Mai 2021 die 400.000er-Grenze endlich wieder 2020 waren fast 600.000 Menschen auf unterschritten werden. Die Dynamik am Arbeits- Arbeitssuche, mit 392.000 arbeitslos oder markt nimmt weiter zu. in Schulung vorgemerkten Personen konnte Ende So weit, so erfreulich. Aber wie sieht es nun bei den Unternehmen der Industrie aus? Waren diese „Wir bilden ein Spektrum von doch während der Krise in fast allen Branchen der Fotos: Swietelsky, PORR, beigestellt Fels in der Brandung. Viele Industriebetriebe haben 25 Lehrberufen aus. Auch für zumindest für einige Monate Kurzarbeit in An- junge Frauen bieten wir spruch genommen, um die so heiß umkämpften attraktive Ausbildungsplätze.“ Facharbeiter im Betrieb zu halten. Denn ein Ab- Karl Weidlinger, wandern der Fachkräfte hätte einen Neustart nach Vorstandsvorsitzender Swietelsky AG der Krise verunmöglicht. Ein Blick auf die Beschäf- tigungszahlen zeigt Genaueres: Waren im Jahr 6 industrie aktuell | 2021 | 2
cover | arbeitsmarkt forum 2019 gesamt 461.386 Menschen in der Industrie beschäftigt, so sank die Beschäftigungszahl im Vorjahr auf 448.910. Dies bedeutet ein Minus von rund 2,7 Prozent. Teilt man zwischen Eigen- und Fremdpersonal, so sank hier die Anzahl beim Eigenpersonal nur um rund 1,7 Prozent, während beim Fremdpersonal fast 18 Prozent ihren Job verloren. Doch auch innerhalb der Industrie ist die Entwicklung höchst unterschiedlich. So sind In- dustriebetriebe, die dem Dienstleistungssektor zuliefern, etwa die Brauereien oder die Luftfahrt- branche, die beide eng mit dem Tourismus ver- zahnt sind, von den Auswirkungen der Pandemie Die PORR ist auch weiterhin eine sichere Arbeitgeberin mit Zukunft. nach wie vor stark betroffen. Was sich auch auf den Mitarbeiterstand auswirkt. 70.000 bis 80.000 Mitarbeiter des Produktionssektors sind weiter in „Wir sind immer auf der Suche Kurzarbeit. Die besonders betroffenen Branchen werden diese auch noch länger brauchen. nach den richtigen Mitarbeiter- innen und Mitarbeitern in allen Dennoch herrscht Aufbruchstimmung. Die Indus- Fachbereichen des Bauens.“ trie hat sich – trotz schwieriger Rahmenbedin- Karlheinz Strauss, gungen – als Konjunkturmotor erwiesen. Was sich CEO PORR natürlich auch positiv auf den Arbeitsmarkt aus- wirkt. Die Unternehmen aus allen Branchen geben an, wieder nach Mitarbeitern und Lehrlingen zu Diese Entwicklung bestätigen auch die großen suchen, und geben einen positiven Ausblick auf heimischen Bauunternehmen . Auch in der Hoch- das laufende Jahr. Natürlich hängt noch viel vom phase der Krise wurde beispielsweise bei Swie- nationalen und internationalen Impffortschritt telsky der Mitarbeiterstand im Jahresdurchschnitt sowie der Verfügbarkeit und den Preisen der Roh- weiter ausgebaut. „Es war von Beginn der Coro- stoffe ab, aber die CEOs der heimischen Leitbe- nakrise an für uns klar, dass wir unseren Mitar- triebe sind zuversichtlich, dass der Weg weiter beiterstand halten wollen. Dafür haben wir höchst bergauf führt. vorsorglich alle Mitarbeiter zur Kurzarbeit ange- meldet“, so Karl Weidlinger, Vorstandsvorsitzender der Swietelsky AG. Da man die Bautätigkeit nach Baubranche: zuverlässiger Arbeitgeber der ersten Lockdown-Phase rasch wieder hoch- Die Stimmung in der heimischen Baubranche ist fahren konnte, wurde die Kurzarbeit bei Swietels- gut. Nicht zuletzt aufgrund des starken Wohn- ky nur wenige Wochen in Anspruch genommen. bausektors dürfte das Bauvolumen in Österreich vergleichsweise früh wieder das Vorkrisenniveau In Zukunft wird die Qualität der Fachkräfte über erreichen. Die Auftragsbücher der Unternehmen die Profitabilität des Geschäftsmodells entschei- sind voll und es werden neue Mitarbeiter gesucht. den. Swietelsky erhöht daher in seinen Filialen Im März meldete die BUAK bei Arbeitern in Bau- und Tochterunternehmen stetig die Zahl der Lehr- industrie und Baugewerbe den höchsten durch- linge, jährlich kommen mehr als hundert neu zum schnittlichen Beschäftigtenstand in den letzten Unternehmen. „Wir bilden ein enorm breites zwanzig Jahren. Die Arbeitslosenzahlen für den Spektrum von 25 Lehrberufen aus. Auch für junge gesamten Hoch- und Tiefbau sanken im April Frauen bieten wir attraktive Ausbildungsplätze gegenüber dem Vorjahr um rund 38 Prozent. an, sei es im technischen oder im kaufmännischen industrie aktuell | 2021 | 2 7
cover cover | arbeitsmarkt unser Personal von der Baustelle bis zum Office unsere wichtigste Ressource. Im Schulterschluss konnten wir die schwierige Zeit überwinden und auch weiterhin eine sichere Arbeitgeberin mit Zukunft sein“, betont Karl-Heinz Strauss, CEO der PORR. Nach einem schwierigen Jahr freut man sich bei der PORR ganz besonders über die weiterhin star- ke Auftragslage. Dazu braucht es aber genügend Mitarbeiter. „Wir sind immer auf der Suche nach den richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen Fachbereichen des Bauens, ganz speziell nach Polieren, Bauleitern und Technikern. Ein gro- ßes Anliegen ist es uns auch, Frauen für den Bau zu begeistern und für uns zu gewinnen“, so Strauss. „Es ist uns wichtig, unser Die PORR beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit Humankapital zu halten. Wir dem Thema Fachkräftemangel. Der Bedarf an gut setzen hier auf Kontinuität.“ ausgebildetem Fachpersonal bleibt weiterhin hoch. Strauss: „Um top ausgebildete Mitarbeiterinnen Martin Kohlmaier, und Mitarbeiter für die PORR zu gewinnen und Vorstandsvorsitzender ABB langfristig zu halten, setzen wir auf vielfältige Maßnahmen wie flexible Arbeitszeitmodelle, be- triebliche Gesundheitsförderungen, Fitness-, Fa- Bereich. Motivierte Bewerberinnen und Bewerber milien- und Pflegebetreuungsangebote oder un- sind immer herzlich willkommen“, so Weidlinger. ser Frauennetzwerk Women@PORR.“ Dass die Zahl der Bewerber heuer wieder ansteigt, führt er darauf zurück, dass die Baubranche ein Auch heuer ist das Interesse an der Lehre bei der besonders zuverlässiger Arbeitgeber in schwieri- PORR sehr groß. Aktuell werden in Österreich 402 gen Zeiten ist. Dennoch ist der Fachkräftemangel Lehrlinge ausgebildet. Strauss: „Die Lehre bei der allgegenwärtig. „Bei den klassischen Bauberufen PORR stützt sich auf vier Säulen: Neben der BAU- ist der Fachkräftemangel natürlich auch konjunk- Akademie, der Berufsschule und der Praxis auf turgetrieben. Da wir davon ausgehen, dass die der Baustelle punkten wir mit dem österreichweit gute Baukonjunktur noch einige Zeit stabil bleibt, einzigartigen PORR Campus.“ wird sich am Fachkräftemangel kurzfristig nicht viel ändern“, sagt Weidlinger. Mitarbeiter im Betrieb halten Fotos: ABB, Hamburger Containerboard, beigestellt „Wir kamen ohne Personaleingriffe durch die Branche im Aufwind schwierige Zeit. Es ist uns wichtig, unser Hu- Trotz eines weiterhin starken Auftragsbestands mankapital zu halten. Wir setzen hier auf Konti- wurde auch die PORR im Vorjahr mit einem vor- nuität“, so Martin Kohlmaier, Vorstandsvorsitzer übergehenden Stillstand auf den Baustellen kon- ABB. Die Kurzarbeit war dabei in der Coronakrise frontiert. Dank des Kurzarbeitsmodells konnten ein wichtiger Bestandteil und wurde auch von ABB aber alle Mitarbeiter in dieser Phase gehalten in Anspruch genommen, um alle Arbeitsplätze werden. Nach drei Monaten Mitte Juni 2020 konn- erhalten zu können. ABB ist ein führendes Tech- te diese auch wieder erfolgreich beendet werden. nologieunternehmen, das weltweit die Transfor- „Bauen ist ein People‘s Business und daher ist mation von Gesellschaft und Industrie in eine 8 industrie aktuell | 2021 | 2
cover | arbeitsmarkt forum produktivere und nachhaltigere Zukunft energisch vorantreibt. Im Portfolio verbinden sich die Berei- che Elektrifizierung, Robotik, Automation und Antriebstechnik mit Software . Damit die Mitar- beiter immer auf dem neuesten Stand sind, setzt man im Konzern auf Weiterbildungsmaßnahmen, wie auch Martin Kohlmaier bestätigt. „Wir legen sehr großen Wert auf die Weiterbildung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch interne oder externe Trainings und Schulungen. Mitarbei- ter und Führungskräfte erstellen im Zuge der jähr- lichen Mitarbeitergespräche gemeinsam einen Weiterbildungsplan und Maßnahmen zur Errei- Hamburger Containerboard bietet eine berufliche Zukunft in einer chung dieser.“ attraktiven und systemrelevanten Industrie. Beim Technologieführer ist man aber auch laufend Denn in Kreislaufwirtschaft stellt das Unterneh- auf der Suche nach Technik-Talenten und Fach- men hochwertiges Verpackungsrohpapier aus- kräften sowie auch Mitarbeiterinnen und Mitar- schließlich aus recyceltem Altpapier her. beiter in den administrativen Abteilungen, auf die ein spannendes Umfeld wartet. Auch als krisenwichtiges Unternehmen blieb Ham- burger Containerboard von den Auswirkungen der Coronakrise nicht unberührt. Dennoch musste Green Jobs bei Hamburger während der gesamten Krise keiner der aktuell Die Pandemie hat den Mangel an Fachkräften in 280 Mitarbeiter am Standort in Kurzarbeit ge- den PROPAK-Unternehmen nur vorübergehend schickt werden. gedämpft. Rund 80 Prozent der Unternehmen geben an, dass die Verfügbarkeit insbesondere Fachkräftemangel verstärkt spürbar von Fachkräften schwierig ist. 20 Prozent können qualifizierte Jobs derzeit tendenziell nicht nach- Die AMAG hatte krisenbedingt nach einem zufrie- besetzen. Ähnliches gilt für die Verfügbarkeit von denstellenden ersten Quartal 2020 einen deutli- Lehrlingen. chen Einbruch in der Nachfrage im zweiten Quar- tal zu verzeichnen. Es folgte eine leichte Den Herausforderungen des Vorjahres zum Trotz Trendwende in den Sommermonaten sowie eine hat sich Hamburger Containerboard im Herbst des deutlich spürbare Erholung zum Jahresende 2020. Vorjahres dazu entschlossen, seine Nachwuchs- „Durch die rasche Einführung der Kurzarbeit konn- mannschaft aufzustocken. Seit September 2020 ten wir den Personalstand in Ranshofen, abgese- verstärken nun sechs junge, engagierte Lehrlinge, hen von natürlichen Abgängen, auf dem Niveau unter ihnen auch zwei junge Damen, die Beleg- März 2020 (1.900 Mitarbeiter) halten. Zu Jahres- schaft am Standort Pitten. Damit haben die beiden beginn 2021 waren wir aufgrund der guten Auf- Damen das insgesamt 15-köpfige Lehrlingsteam tragslage bereits wieder auf der Suche nach neu- in Pitten komplettiert. Hamburger Containerboard en Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, erklärt sieht es als Aufgabe der gesamten Branche, ver- AMAG-CEO Gerald Mayer. Mit der Kurzarbeit stärkt auch junge Frauen für eine Karriere in der konnte flexibel auf die Auslastungsschwankungen Industrie zu begeistern und ihnen die Vorteile ei- reagiert werden, gleichzeitig wurden damit die ner Ausbildung zu den Spitzenfachkräften von Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbei- morgen näherzubringen. Bei der jungen Genera- ter abgesichert und so die Kompetenz im Unter- tion wirbt Hamburger vor allem mit „Green Jobs“. nehmen erhalten. industrie aktuell | 2021 | 2 9
cover cover | arbeitsmarkt sierte einen ersten Eindruck über die Lehrlings- ausbildung in der AMAG sammeln“, so Mayer. Seit Jahres- Die Arbeitsmarktlage im Bezirk Braunau in Ober- beginn sucht österreich ist sehr gut, es gibt nahezu Vollbeschäf- die AMAG tigung. Damit stellt die Mitarbeitersuche in allen rund 100 Altersgruppen eine Herausforderung dar. Bei den neue Absolventen von höheren Schulen bzw. Fachhoch- Mitarbeiter, schulen und Universitäten ist die Anzahl der Be- um der werbungen jedenfalls zufriedenstellend, so May- steigenden Nachfrage er: „Wir sind ein im Industrievergleich relativ nachkom- junges Unternehmen mit einem Altersschnitt von men zu 39 Jahren und einer durchschnittlichen Betriebs- können. zugehörigkeit von elf Jahren. Wir suchen seit Jah- resbeginn rund 100 neue Mitarbeiterinnen und „Zurzeit haben wir noch Mitarbeiter, um der steigenden Nachfrage nach unseren Walz- und Gussprodukten nachkommen rund 40 offene Stellen in zu können. Zurzeit haben wir noch rund 40 offene verschiedensten Bereichen und Stellen in den Bereichen Management, Vertrieb, freuen uns über Bewerbungen.“ Technologie, Produktion, Produktionsplanung, Kurt Maier, Qualität, Instandhaltung, IT, Digitalisierung und CEO AMAG AG Buchhaltung anzubieten.“ Hohe Nachfrage sichert Arbeitsplätze Durch die wirtschaftliche Erholung nach der Krise wird der Mangel an Fachkräften nun auch bei der Auch im vorigen Jahr konnte LAUFEN Austria als AMAG wieder verstärkt spürbar. Dazu Mayer: „Die Zulieferer der Bauindustrie aufgrund der erhöhten Krise hat jedenfalls den Trend zur Digitalisierung Nachfrage eine positive Entwicklung verzeichnen. verstärkt und damit den Bedarf an Experten in „Während der Krise konnten somit erfreulicher- diesem Bereich deutlich erhöht. Wir versuchen weise alle Arbeitsplätze in unserer Verwaltung in diesem Trend durch eigene Traineeprogramme zu Wilhelmsburg gehalten werden, an unserem Pro- begegnen und bieten IT-Interessierten eine inte- duktionsstandort in Gmunden konnten wir sogar ressante und abwechslungsreiche Tätigkeit im Arbeitsplätze ausbauen“, sagt Christian Schäfer, industriellen Umfeld. Vorstand der LAUFEN Austria AG. Aufgrund der durchgehend hohen Nachfrage wurde im Bereich Und man sorgt auch für eigenen Nachwuchs mit der Produktion keine Kurzarbeit in Anspruch ge- einer attraktiven Lehrlingsausbildung. „Wir hatten nommen. Diese Maßnahme betraf nur die Mitar- im vorigen Jahr 57 Lehrlinge in Ausbildung und beiter im Ausstellungsraum in Wien – den LAUFEN stellen auch heuer wieder rund 20 neue Lehrlinge Space – zu Beginn der Krise für wenige Monate. Fotos: AMAG, Manner, Laufen, Beigestellt ein. Wir bieten eine Lehrlingsausbildung in den Jetzt wird wieder intensiv nach neuen Mitarbeitern Bereichen Elektrotechnik, Mechatronik, Maschi- gesucht, vor allem für die Produktion in Gmunden nenbautechnik, Zerspanungstechnik, Schweiß- aber auch für die Marketing- und Kommunikati- technik, Installations- u. Gebäudetechnik, Werk- onsabteilung. Geeignete Mitarbeiter zu finden, ist stofftechnik, Labortechnik Chemie sowie als jedoch nicht einfach. „Der Fachkräftemangel ist Industriekauffrau/-mann an. Zusätzlich besteht bereits seit einigen Jahren ein großes Thema. Mei- auch die Möglichkeit zur Lehre mit Matura. Im ner Meinung nach hatte die Krise durch teilweise Zuge eines Schnupperpraktikum können Interes- marktverzerrende Förder- und Stützmaßnahmen 10 industrie aktuell | 2021 | 2
cover | arbeitsmarkt cover eine kurzfristig verstärkende Wirkung“, so Schäfer. Neben neuen Mitarbeitern setzt man bei LAUFEN auch auf Weiterbildungsmaßnahmen für die be- stehende Belegschaft. Im Fokus stehen hier indi- Aufgrund der viduelle Maßnahmen, die im persönlichen durchgehend Gespräch mit den Mitarbeitern erarbeitet werden. hohen Das Spektrum reicht von Englischkursen über Nachfrage Fortbildungen zum Aufbau digitaler Kompetenzen, wurde bei Ausbildungen im Bereich Nachhaltigkeit bis hin zu LAUFEN im Bereich der vollständigen Masterstudiengängen. Produktion keine Attraktive Marke Kurzarbeit in Anspruch Die Lebensmittelindustrie kam in weiten Teilen genommen. gut durch die Krise, auch wenn die Branche unter den Einbrüchen im Gastgewerbe und Tourismus „Währen der Krise wurden am betroffen war. Beim legendären Schnittenherstel- ler Manner konnten jedenfalls alle Arbeitsplätze LAUFEN-Produktionsstandort erhalten bleiben. „Mit Stichtag 31.12.2020 hat in Gmunden sogar Arbeitsplätze Manner um elf Mitarbeiter mehr beschäftigt als ausgebaut.“ im Vorjahr, das entspricht einer Steigerung von Christian Schäfer, 1,4 Prozent. Auswirkungen hatte die COVID-Krise Vorstand LAUFEN Austria für uns dennoch, das EBT ist von 7,1 Millionen auf 2,6 Millionen gesunken und gerade in den Manner Shops sind die Umsätze zurückgegangen“, bringt onsbereich gesucht. Doch qualifizierte Fachkräfte Manner-CEO Andreas Kutil die Zahlen ins Spiel. sind jetzt zum Teil noch schwerer zu finden, denn Vor allem im Bereich der Manner Shops wurde die hohen Arbeitslosenzahlen besagen nicht, dass auch Kurzarbeit in Anspruch genommen. „Kurz- Fachkräfte vermehrt auf Jobsuche sind. Auch die arbeit war für uns ein gutes Instrument, um Aus-und Weiterbildung ist extrem wichtig bei Arbeitsplätze zu erhalten und unseren Mitarbei- Manner. Angeboten werden fachliche sowie per- terinnen und Mitarbeitern eine Perspektive geben zu können“, so Kutil. „Mit der Produktion in Und auch hier baut man für die Zukunft vor. Darum hat die Lehrlingsausbildung beim Traditionsbetrieb Österreich und dem positiven einen hohen Stellenwert. Im Jahr 2020 gab es im Markenimage sind wir sehr Unternehmen elf Ausbildungsplätze mit unter- attraktiv für junge schiedlichen Berufsbildern. Kutil: „Aktuell nehmen Auszubildende.“ wir Lebensmitteltechniker und Mechatroniker Andreas Kutil,CEO Manner Lehrlinge auf. In den letzten Jahren hat die Bewer- beranzahl etwas abgenommen, heuer bewerben sich wieder sehr viele junge Leute. Das freut uns. Manner kann Lehrlingen viel bieten. Mit der Pro- sönlichkeitsbildende Schulungen. Große Schwer- duktion in Österreich und dem positiven Marken- punkte sind derzeit unter anderem auch Lean image sind wir sicherlich sehr attraktiv für junge Management und Digitalisierung. Auszubildende.“ Neue Mitarbeiter werden sowohl im Produktionsbereich als auch im Administrati- Autorin: Herta Scheidinger industrie aktuell | 2021 | 2 11
forum interview | kocher „Mit der Joboffensive investieren wir so viel wie noch nie in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen.“ Martin Kocher, Bundesminister für Arbeit, Familie und Jugend, über die ersten Beschäftigungseffekte nach den Öffnungsschritten, Kurzarbeits- programme ab Juni und den Facharbeitermangel in Österreich. 12 industrie aktuell | 2021 | 2
interview | kocher forum Erst vor wenigen Monaten wurde Ihnen der Job des am Arbeitsmarkt besonders schwer haben, beim Arbeitsministers angeboten und sie haben angenom Wiedereinstieg ins Berufsleben. men. Wenn Sie heute zurückblicken, würden Sie diese Aufgabe noch einmal übernehmen? Am 19. Mai hat Österreich wieder aufgesperrt. Wel che Beschäftigungseffekte erwarten sie sich daraus? Martin Kocher: Ja würde ich. Mir ist bewusst, dass ich das Amt in einer sehr herausfordernden Zeit Durch die Öffnungen am 19. Mai hat es bereits übernommen habe. Ich wollte aber Verantwortung eine spürbare Erholung am Arbeitsmarkt gegeben. übernehmen und etwas bewirken. Das ist der Alleine in der ersten Woche inklusive des Monta- Anspruch, den ich täglich in meine Arbeit stecke. ges vor den Öffnungen ist die Arbeitslosigkeit um rund 19.000 Personen gesunken. Hat dieser Job nun auch ihren Blick auf das Thema Wissenschaft verändert? In welchen Branchen erwarten Sie sich ein schnelles Comeback? Die Expertise aus der Wissenschaft, die ich mitbrin- ge, hilft sicher in manchen Bereichen. Grundsätzlich Die Branchen Industrie, Handwerk und Handel war der Wechsel vom Experten zum Politiker aber werden sich voraussichtlich schneller erholen als doch eine Umstellung. Unterschiedliche Funktionen andere Branchen. Die Arbeitslosigkeit in diesen ergeben auch andere Blickwinkel. In meiner Rolle Bereichen liegt teilweise jetzt schon auf Vorkri- als Experte habe ich viele Jahre Politik evaluiert und senniveau oder nur leicht darüber. Eine Branche, kommentiert. Als Arbeitsminister geht es jetzt da- die stark von äußeren Faktoren, wie der Situati- rum, die Richtung selbst vorzugeben. on in anderen Ländern, abhängig ist, ist der Fernrei-severkehr, Touristen aus Ländern wie Die Arbeitslosenzahlen in Österreich sanken in den Nordamerika oder Asien sind für den österrei- vergangenen Monaten und im April waren noch chischen Städtetourismus sehr wichtig. Die hei- 433.443 Personen arbeitslos gemeldet. Das ist er mische Nachfrage wird das nur zum Teil substi- freulich, aber noch immer ist die Arbeitslosenquote tuieren können. viel zu hoch. Was sind die nächsten Maßnahmen, die gesetzt werden müssen, um den Arbeitsmarkt weiter anzukurbeln? Wir verzeichnen seit über vier Monaten sinkende Ein Schlüsselfaktor, um die Arbeitslosenzahlen, die Öffnungsschritte werden in den nächsten Wochen und Monaten natürlich Auswirkungen der Pandemie auch einen deutlich positiven Effekt auf die Be- auf den Arbeitsmarkt schäftigungssituation haben. Gleichzeitig wissen wir, dass sich Krisen am Arbeitsmarkt länger abzufedern, ist Qualifizierung. auswirken als in anderen Bereichen. Ein Schlüs- sel-faktor, um die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt abzufedern, ist Qualifizie- rung. Mit der Joboffensive investieren wir in die- Wo wird es länger dauern, bis wir eine spürbare sem und im nächsten Jahr so viel wie noch nie in Erholung haben werden? Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund des Fachkräf- Es gibt Bereiche, in denen die Auswirkungen der temangels in bestimmten Branchen entschei- Krise noch länger spürbar sein werden. Das betrifft dend. Außerdem unterstützen wir mit dem Pro- zum Beispiel die Stadthotellerie, oder aber auch gramm „Sprungbrett“ Langzeitarbeitslose, die es die Luftfahrtbranche. In diesen Branchen wird es industrie aktuell | 2021 | 2 13
forum interview | kocher vermutlich notwendig sein, wei- terhin mit der Corona-Kurzarbeit zu unterstützen, auch nach Aus- laufen von Phase vier mit Ende Juni. Gleichzeitig braucht es ei- nen schrittweisen, partiellen Ausstieg aus der Kurzarbeit, damit sich die Dynamik am Arbeitsmarkt wieder normali- sieren kann. Es steht verstärkt die Forderung im Raum, wieder ausländische Arbeitskräfte ins Land zu holen. Wäre das Angesichtes der aktu ellen Situation eine Option? Es gibt immer wieder Branchen und Berufe mit einem Fachkräf- temangel, der nicht am heimi- schen Arbeitsmarkt gedeckt werden kann. Daher gibt es auch die Mangelberufsliste, die jähr- lich den aktuellen Arbeitskräf- tebedarf abbildet. Ziel muss es sein, die Nachfra- Die Kurzarbeit war ein wichtiges Instrument, um ge heimischer Unternehmen nach Arbeitskräften die Betriebe und vor allem die Mitarbeiter über die zu decken und dabei möglichst viele Arbeitslose Krisenmonate zu bringen. Ende Juni endet nun wieder in Beschäftigung zu bringen. Phase vier bei den Kurzarbeitsprogrammen. Worauf müssen sich die Betriebe danach einstellen? Umschulungsprogramme sollen in den nächsten Jahren forciert werden. Lässt sich damit das Problem Die Gespräche mit den Sozialpartnern über ein Facharbeiter entschärfen? Nachfolgekonzept laufen gerade. Ich möchte dem nicht vorgreifen. Klar ist, dass es zu substanziellen Davon ist auszugehen und das ist auch unser Ziel, Änderungen kommen muss, um die Dynamik am das wir mit der Joboffensive verfolgen. Wir haben Arbeitsmarkt wieder zu normalisieren. in der Joboffensive vier Schwerpunktbereiche de- finiert, in denen die Nachfrage nach qualifizierten Welche Branchen dürfen über den Juni hinaus mit Fotos Seite 12–15: Bundesministerium für Arbei Arbeitskräften besonders hoch ist – im Bereich einer Unterstützung durch die Kurzarbeit rechnen? Digitalisierung, in der Pflege, aber auch in den Bereichen Nachhaltigkeit und Metallberufe. Seit Wie schon erwähnt, werden vor allem die Luft- Anlaufen der Joboffensive haben bereits 77.000 fahrtbranche ebenso wie der Städtetourismus Personen an Bildungsmaßnahmen, die damit noch einige Zeit auf Unterstützung angewiesen verbunden sind, teilgenommen. Das zeigt, dass sein. Daher wird es für diese Bereiche auch nach unsere Maßnahmen angenommen werden. Das Juni die Kurzarbeit in einer relativ großzügigen ist wichtig, um mit gut ausgebildeten Arbeitskräf- Form geben. In anderen Bereichen, in denen durch ten vorbereitet zu sein, wenn die Konjunktur die Öffnungen wieder ein Normalbetrieb möglich wieder Fahrt aufnimmt. ist, wird es aber einen Ausstieg aus der Kurzarbeit 14 industrie aktuell | 2021 | 2
interview | kocher forum brauchen. Das ist notwendig, damit die Dynamik Ein großes Thema, das unmittelbar auf den Arbeits am Arbeitsmarkt in den stark wachsenden Berei- markt wirkt, ist das Thema Bildungssystem. Von chen nicht gebremst wird. allen Seiten der Wirtschaft kommt die Forderung nach einer Reform des Bildungswesens, um wichti Wie gut wirken bereits eingesetzte Programme wie gen Nachwuchs für die heimische Wirtschaft zu der Neustartbonus oder auch der Lehrlingsbonus? Werden diese von den Betrieben angenommen? Der Neustartbonus bzw. die Kombilohnbeihilfe werden nach wie vor stark beansprucht, die- ses Jahr konnten wir mit diesen Instrumenten bereits rund 8.000 Neueinstellungen fördern. Mit dem Lehrlingsbonus konnten mit rund 50 Millionen Euro knapp 25.000 Lehrstellen geför- dert werden. Dadurch konnte der krisenbedingt vorherrschende Lehrstellenmangel einiger maßen ausgeglichen werden, mittlerweile gibt es österreich- weit wieder ein umfassendes Lehrstellenangebot, lediglich in Wien herrscht Lehrstellen mangel. Einerseits ist die Jugendarbeitslo sigkeit groß auf der anderen Seite beklagen viele Betriebe einen Lehrlingsmangel. Wie lässt sich dieser Missstand aktuell erklären? Bundesminister erhalten. Braucht es hier nicht eine engere Ver Martin Kocher Natürlich ist die Jugendarbeitslosigkeitsquote knüpfung von Bildung und Arbeitsmarkt? möchte die Nachfrage bedingt durch die Pandemie gestiegen. Gleich- heimischer zeitig sind Jugendliche die Gruppe am Arbeits- Bildung ist ein bedingender Faktor für Beschäfti- Unternehmen nach markt, in der die Pandemie verhältnismäßig die gung. Es ist wissenschaftlich belegt, dass Job- Arbeitskräften geringsten Auswirkungen zeigt. Einer Berechnung chancen mit dem Grad formaler Bildung steigen. decken und dabei von Eurostat zufolge haben wir im europäischen Auch zwischen dem Arbeits- und Bildungsressort möglichst viele Vergleich sogar die drittniedrigste Jugendarbeits- gibt es daher mehrere Querschnittsmaterien. Ein Arbeitslose wieder losigkeit. Die Lehrstellensituation in Österreich Beispiel ist unter anderem die Taskforce für in Beschäftigung ist an und für sich eine sehr gute, es gibt allerdings Jugendbeschäftigung, im Rahmen derer wir in die bringen. regionale Ungleichgewichte. In Oberösterreich verschiedensten Maßnahmen für Jugendliche und den westlichen Bundesländern gibt es derzeit investieren. einen Lehrstellenüberschuss, in Wien einen Lehr- stellenmangel. Interview: Stephan Scoppetta industrie aktuell | 2021 | 2 15
politik go-international Internationalisierungsoffensive – Die volkswirtschaftliche Bedeutung von go-international-Fördernehmern. Die Außenwirtschaft ist ein maßgeblicher Eckpfeiler der österreichischen Volkswirtschaft und Grundlage für eine positive wirtschaftliche Entwicklung des Landes. D er Export liefert für ein kleines Land wie ist die seit 2003 laufende Internationalisierungs- Österreich einen wichtigen Beitrag zu offensive go-international des Wirtschaftsminis- Wachstum und Beschäftigung, der Import teriums (BMDW) und der AUSSENWIRTSCHAFT sichert Produzenten und Konsumenten ein breites AUSTRIA der Wirtschaftskammer Österreich Spektrum an Rohstoffen, Technologien, Produkten (WKÖ). Zwischen 2003 und Mitte 2019 konnten und Dienstleistungen. Die Entwicklung der öster- insgesamt 34.800 Firmen unterstützt werden.1 reichischen Exportwirtschaft ist in den vergange- Die Leistungen von go-international umfassen nen Jahrzehnten überaus erfolgreich verlaufen. u. a. Beratungen, Veranstaltungen, Informationen Lagen die österreichischen Warenexporte vor 25 und Direktförderungen. Einen detaillierten Einblick Jahren zum Zeitpunkt des EU-Beitritts (1995) noch in das umfangreiche Förderportfolio bzw. in bei einem Volumen von rund 37 Mrd. Euro, so einzelne Förderinstrumente findet sich auf der konnte im Jahr 2019 mit rund 154 Mrd. Euro ein Homepage der Initiative.2 neuer Exportrekord erreicht werden. Österreich ist in den vergangenen Jahrzenten zu einem wich- Die vor kurzem abgeschlossene Phase VI von tigen Player am globalen Markt aufgestiegen – ein go-international (01.04.2019 bis 31.03.2021) für weltweiter Markt, der im Jahr 2020 massiv unter die 25,6 Mio. Euro an Mitteln des Bundes zur Ver- den Folgen der COVID-19-Pandemie gelitten hat fügung standen, setzte auf die drei Schwerpunkt- und nach wie vor stark negativ betroffen ist. Das themen Standortsicherung, Wachstumsmärkte stellte und stellt insbesondere auslandsaktive und Zukunftsbranchen sowie Digitalisierung, Unternehmen vor zusätzliche Herausforderungen. Innovation und Technologie.3 Jene Unternehmen, die im Rahmen dieser Förderperiode unterstützt Ein zentrales Förderinstrumentarium, um die wurden, standen im Fokus einer vom IWI durch- österreichische Exportwirtschaft zu stärken und geführten Analyse, im Zuge derer, mit Hilfe einer Foto: pixabay Unternehmen Unterstützungsinstrumente auf gesamtwirtschaftlichen Modellrechnung (Input- dem Weg in neue Märkte zur Verfügung zu stellen, Output-Analyse auf Basis eines offenen statischen 16 industrie aktuell | 2021 | 2
go-international politik Volkswirtschaftliche Effekte von go-international Fördernehmern (IO-VI) 2019 in Österreich Leontief-Modells), jene volks- wirtschaftlichen Effekte ermit- 350 342,5 1.425.850 1500 telt wurden, welche wiederkeh- x 1,79 x 1,99 x 2,14 rend durch den laufenden 54,3 300 Betrieb der geförderten Unter- 313.652 1200 nehmen generiert werden. 250 Die analysierten Fördernehmer 96,9 stellen aus volkswirtschaftlicher 191,4 447.035 900 200 Sicht eine bedeutende Unterneh- mensgruppe dar, die sich über 665.163 sämtliche Branchen der heimi- 150 600 schen Wirtschaft verteilt und ein 107,7 strukturelles Abbild der österrei- 100 21,7 chischen Volkswirtschaft dar- 191,4 191,4 665.163 665.163 stellt. Im Sample sind landwirt- 54,2 31,7 300 schaftliche Unternehmen 50 ebenso wie Industrieunterneh- 54,2 54,2 men, Händler wie Dienstleister 0 0 über sämtliche Unternehmens- Umsatz Wertschöpfung Beschäftigungsverhältnisse (in Mrd. EUR) (in Mrd. EUR) größenklassen vertreten.4 Direkte Effekte Indirekte Effekte Induzierte Effekte (im Vorleistungsverbund) Die Leistungskraft des analysier- Anm.: Berechnungen für n=5.723 geförderte Unternehmen ten Unternehmenssamples Quelle: IWI (2020) auf Basis der Statistik Austria, Input-Output-Tabellen 2016, manifestiert sich nicht nur in Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung 2000-2018 den Unternehmen selbst, sondern durch die Vernetzung mit Lieferanten und verlängert und der Fördertopf abermals mit 25,6 Partnern und ebenso in den verbundenen Unter- Mio. Euro gefüllt. Vor allem die Wiederankurbelung nehmen. Die durch den laufenden Betrieb der Un- der Corona-bedingt zurückgegangenen Exporte ternehmen im Jahr 2019 generierten Umsatzerlö- steht dabei im Mittelpunkt, und um die Internati- se belaufen sich gesamtwirtschaftlich (direkt, in- onalisierungsaktivitäten der heimischen Unterneh- direkt und induziert) auf 342,5 Mrd. Euro. Die men möglichst rasch und unbürokratisch zu unter- gesamtgesellschaftlich generierte Bruttowert- stützen, liegt der Fokus der neuen Periode von schöpfung beläuft sich auf 107,7 Mrd. Euro. Weiters go-international auf Direktförderungen. Insgesamt werden in Summe rund 1.426.000 Arbeitsplätze in wichtig wird es künftig sein, heimische Unterneh- Österreichs Volkswirtschaft durch das Unterneh- men verstärkt bei der Erschließung neuer Wachs- menssample abgesichert, was einen gesamtwirt- tumsmärkte zu unterstützen. . schaftlichen Anteil von rund 30 Prozent ergibt. Autor: Mag. Philipp Brunner Im April dieses Jahres wurde die erfolgreiche Inter- stv. Geschäftsführer; Bereichsleiter Innovation & nationalisierungsoffensive um weitere zwei Jahre Netzwerke, Industriewissenschaftliches Institut 1 www.go-international.at/ueber-uns.html (abgerufen am 25.05.2021) 2 www.go-international.at/foerderungen/uebersicht-foerderungen.html (abgerufen am 25.05.2021) 3 www.go-international.at/ueber-uns.html (abgerufen am 20.05.2021) 4 Anm.: Bildungsinstitutionen (u. a. Universitäten, Fachhochschulen), welche Leistungen von go-international in Anspruch genommen haben, sind in der gegenständlichen IO-Analyse nicht berücksichtigt. industrie aktuell | 2021 | 2 17
politik report | generika-unternehmen Generika-Unternehmen bringen Österreichs Wirtschaft in Schwung Ein IWI Report über die volkswirtschaftliche Bedeutung von Generika-Unternehmen in Österreich. U nsere Lebenserwartung und damit insbe- Die Generika-Unternehmen selbst stellen in Ös- sondere der Anteil der älteren Bevölkerung terreich zudem einen wesentlichen Wirtschafts- nimmt dank unseres Wohlstandes, der guten und Arbeitsmarktfaktor dar. Eine aktuelle Studie gesundheitlichen Versorgung und nicht zuletzt des Industriewissenschaftlichen Instituts (IWI) im durch den medizinischen Fortschritt stetig zu. Auftrag des Österreichischen Generikaverbands Heute beträgt die Lebenserwartung in Österreich (OeGV) zur volkswirtschaftlichen Bedeutung von 82 Jahre, bereits 2030 wird sie auf 83,9 Jahre Generika-Unternehmen zeigt den hohen Stellen- gestiegen sein und der Anteil der über 60-jährigen wert der Generika-Industrie als Wirtschaftsmotor wird mehr als 30 Prozent betragen. und bedeutender Arbeitgeber für Österreich. Durch die Aktivitäten der Unternehmen werden auf Die demographische Entwicklung in Kombinati- direkter, indirekter und induzierter Ebene Produk- on mit dem medizinischen Fortschritt hat aber tion, Wertschöpfung und Beschäftigung in Öster- auch zur Folge, dass finanzielle und personelle reich ausgelöst. Ressourcen knapp werden. Mit der verbesserten Gesundheitstechnik erleben immer mehr Men- Die Studie zeigt, dass durch die Produktion der schen im Laufe ihres Lebens mehr als eine Krank- heimischen Generika-Unternehmen im Untersu- heit, was zu einer erhöhten Multimorbidität führt. chungszeitraum 2019 ein gesamtwirtschaftlicher Wir investieren daher Jahr für Jahr mehr ins Ge- Umsatz von 3,79 Mrd. Euro stimuliert wurde. Zu- sundheitssystem, bislang immer im Gleichklang dem lösten die Generika-Unternehmen im selben mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Covid- Zeitraum eine gesamtwirtschaftliche Wertschöp- Pandemie wird den Anteil der Gesundheitsaus- fung in Höhe von 1,71 Mrd. Euro aus. Dabei löst gaben am BIP aber signifikant verändern, denn ein Euro an Wertschöpfung durch Unternehmen steigende Krankheitskosten treffen nun auf ein der Generika-Industrie im Schnitt 1,95 Euro an verlangsamtes Wirtschaftswachstum. Wertschöpfung in der heimischen Wirtschaft aus. Insgesamt sind Generika-Unternehmen für fast Dreiviertel unseres beitragsfinanzierten Gesund- 0,50 Prozent des österreichischen BIP verant- heitssystems wird durch öffentliche Ausgaben wortlich – gerade in Zeiten von Corona ist dieser finanziert. Daher stellt der effiziente Einsatz verlässliche Schwung für die österreichische Wirt- dieser Mittel eine besondere Verantwortung dar. schaft von großer Bedeutung. Generika, gleichwertige aber günstigere Nachfol- geprodukte patentabgelaufener Originalproduk- Sieht man sich die direkte Bruttowertschöpfung te, spielen bei diesem effizienten Mitteleinsatz in Höhe von 877 Mio. Euro an, so entspricht eine signifikante Rolle. Sie tragen wesentlich zur dieser Beitrag ziemlich genau der Wertschöpfung Grafik: Österreichischer Generikavernand nachhaltigen Finanzierbarkeit und zur Versor- der heimischen Forschung und Entwicklung in gungssicherheit der Bevölkerung mit bewährten Naturwissenschaften und Medizin (880 Mio. Arzneimitteln bei. Fast 94 Prozent der abgege- Euro. Die durch die Generika-Industrie ausge- benen Medikamenten-Packungen stammen aus lösten Gesamtsteueraufkommen (Fiskal- und dem patentfreien Segment, mehr als die Hälfte Sozialbeitragseffekte) kommen auf insgesamt davon sind Generika. Mithilfe von Generika können rund 484 Mio. Euro. Fast zwei Drittel (63 %) der in der EU heute in etwa doppelt so viele Patienten Aufwände, welche die Sozialversicherung für für das gleiche Geld behandelt werden. Generika ausgibt, werden allein durch die abge- 18 industrie aktuell | 2021 | 2
report | generika-unternehmen politik führten Sozialbeiträge der Generika-Unterneh- oder Produktionsschritten nach Asien in den men refinanziert. letzten zwei Jahrzehnten stark beschleunigt. Auch am Arbeitsmarkt ist die Generika-Industrie Umso wichtiger sind die Rahmenbedingungen für ein wichtiger Impulsgeber. Direkt bei den zehn in Generika im Gesundheitssystem und für die Er- der Studie untersuchten Generika-Unternehmen stattung. Generika-Unternehmen brauchen Pla- finden knapp 5.700 Mitarbeiter Arbeit. Insgesamt nungssicherheit und eine generikafördernde Stand- (direkt, indirekte und induziert) sichern die Un- ortpolitik sowie ausreichend Raum für Wettbewerb. ternehmen der Generika-Industrie mehr als Nicht zuletzt gilt es einseitig überschie-ßende re- 16.600 Arbeitsplätze. Das entspricht beispiels- gulierende Eingriffe in die bereits bestehenden weise der Einwohnerzahl der niederösterreichi- Preis- und Erstattungsregelungen für Generika zu schen Stadt Tulln. Jede/r direkt Beschäftigte si- vermeiden. Die bereits sehr ökonomischen Behand- chert damit beinahe zwei zusätzliche lungswege im patentfreien Segment sollten für die Arbeitsplätze in Österreich. Patientenversorgung abgesichert werden: durch Flexibilisierung der Preisbildung bzw. die Möglich- Die Generika-Unternehmen stehen allerdings auch keit zur Index-Anpassung. Nicht zuletzt muss der im Spannungsfeld zwischen stetig zunehmendem Generikaeinsatz auf allen Ebenen – Arzt, Kranken- Kostendruck und Preiserosion auf der einen Seite haus, Apotheke, Patient – gefördert werden, um und steigenden Anforderungen an Arzneimittel seinen Beitrag für eine nachhaltige Finanzierbarkeit auf der anderen Seite. Insbesondere in niedrig- der Arzneimitteltherapie umsetzen zu können. . preisigen Therapiepfaden droht vielen Produkten die wirtschaftliche Basis verloren zu gehen. Dieser Autor: Dr. Wolfgang Andiel, Druck hat auch die Auslagerung von Produktion Österreichischer Generikaverband industrie aktuell | 2021 | 2 19
politik interview | kopf „Beim Klimawandel ist die Wirtschaft ein unentbehrlicher Teil der Lösung.“ Karlheinz Kopf, Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), über die neuen Klimaziele als Herausforderung für die heimischen Unternehmen, unwirtschaftliche Investitionen und CO₂-arme Technologien und die Risiken, dass die USA und China den Wirtschaftsstandort Europa weit hinter sich lassen. Fotos: WKÖ/Marek Knopp Die Pandemie hat zu einem grundlegenden Karlheinz Kopf: Die EU hat sich mit dem European Umdenken auch auf politischer Ebene geführt. Mit Green Deal und dem EU Climate Law zum Ziel dem Green Deal auf der EU-Ebene wird nun eine gesetzt, bis spätestens 2050 klimaneutral zu sein. große Wende eingeläutet. Was bedeutet das für die Mit dem Beschluss des Europäischen Rates vom österreichische Industrie? Dezember 2020 wurde darüber hinaus noch fest- 20 industrie aktuell | 2021 | 2
interview | kopf politik gelegt, das Klimaziel 2030 zur Reduktion der EU- – etwa zur Stahl-, Zement- oder Kunststoffpro- Treibhausgasemissionen von derzeit minus 40 auf duktion – international nicht wettbewerbsfähig mindestens minus 55 Prozent anzuheben. Das wäre. Umfangreiche Investitionen in CO₂-arme neue EU-Klimaziel, dessen Aufteilung auf die ein- Technologien sind meist noch unwirtschaftlich, zelnen Sektoren – insbesondere den ETS- und da Anreize weitgehend fehlen und keine ausrei- den Non-ETS-Bereich – noch offen ist, wird dazu chende Nachfrage nach klimaneutralen Produk- führen, dass auch in Österreich noch weitgehen- ten, deren Herstellung meist teurer ist, gewähr- dere Klimaschutzmaßnahmen als bisher erfolgen leistet ist. müssen. Klar ist: für die Wirtschaft wird das ein riesiges Transformationsprojekt, das mit enormen Besonders schwer haben es energieintensive Indus- Investitionen verbunden ist. Vielfach wird man trien. Ist hier mit einer Abwanderung zu rechnen? neue Technologien einsetzen und auf Energieträ- ger und alternative Rohstoffe umsteigen müssen, Das ist richtig, gerade für die energieintensiven die momentan noch nicht entsprechend verfügbar Grundstoffindustrien erhöht das nationale Ziel sind. Umso wichtiger ist es, sowohl die finanziel- den Handlungs- und Kostendruck gewaltig. Die- le Unterstützung als auch passende rechtlichen se Unternehmen, ohne deren Produkte die Ener- Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen. giewende und Transformation der Wirtschaft ja überhaupt nicht umsetzbar ist, müssen nicht nur Erst vor wenigen Wochen haben sich die EU-Staaten die direkten Kosten der Transformation – neue auf eine Verschärfung des Klimaziels für 2030 Anlagen und Technologien – finanzieren, sondern geeinigt. Bis dahin sollen die Treibhausgase der in sehr hohem Maße auch die indirekten laufen- Europäischen Union um mindestens 55 Prozent den Kosten, also Abgaben, Steuern, Netzgebüh- unter den Wert von 1990 gesenkt werden. Welche Folgen wird dieses Klimaziel für Österreich haben? Die Ziele verschärfen das Tempo und die Breite Unsere Unternehmen brauchen der eingeforderten Maßnahmen noch weiter. effektive, technologieoffene Umso mehr gilt: Unsere Unternehmen brauchen dringend effektive, technologieoffene Investiti- Investitionsanreize und onsanreize und verlässliche kompetitive Rahmen- verlässliche kompetitive bedingungen, die die internationale Wettbewerbs- Rahmenbedingungen. fähigkeit der Industrie bewahren, wenn sie diesen Anforderungen nachkommen müssen. Ebenso notwendig ist es, dass die notwendige Infrastruk- tur geschaffen wird. ren, bis hin zu den immer teurer werdenden Emissionszertifikaten. Das nationale Ziel „Kli- Wie sehr werden diese neuen Klimaziele die öster- maneutralität 2040“ – also zehn Jahre früher als reichische Industrie treffen? auf EU-Ebene – erhöht den Handlungs- und Kostendruck in großem Maße. Es bedeutet für Das kommt darauf an, wie die heimische Politik viele Unternehmen, dass sie zehn Jahre vor ihren die Ziele konkret ausgestaltet. Die Industrie hat Mitbewerbern in anderen EU-Staaten die Trans- ihre Emissionen bereits stärker reduziert als formation bewältigen müssten. Für den auf EU- andere Sektoren. Derzeit fehlen uns aber noch Ebene geregelten und im internationalen Wett- die zentralen Voraussetzungen für den Umbau bewerb stehenden ETS-Sektor muss daher 2050 zur klimaneutralen Industrie. Einer der Gründe als Zieljahr gelten. dafür ist, dass unter den aktuellen Rahmenbe- dingungen ein CO₂-freier Produktionsstandort Ergeben sich daraus nicht auch neue Chancen? industrie aktuell | 2021 | 2 21
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