Die Romantik von Sabine Horst Adam-Kraft-Gymnasium Schwabach 2010 - Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies

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Die Romantik von Sabine Horst Adam-Kraft-Gymnasium Schwabach 2010 - Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies
Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies:

Die Romantik
            von Sabine Horst
Adam-Kraft-Gymnasium Schwabach 2010
Die Romantik von Sabine Horst Adam-Kraft-Gymnasium Schwabach 2010 - Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies
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1. Was ist „Romantik“?
1 Was wird heute als romantisch empfunden?

1.1 Brainstorming
das intensive Erleben eines ergreifenden Moments: Liebeserklärung, Sonnenaufgang am
Meer, Dinner bei Kerzenlicht, Picknick am Strand, Spaziergang durch verschneite Land-
schaft, Liebesfilme/-gedichte, am Bärenfell vor dem Kamin, mit Kerzen in der Badewanne
Sternenhimmel, Leidenschaft, Sehnsucht, Mondschein, Sonnenuntergang, Schnee, Sommer-
wind, Regenbogen, Wolkenhimmel, Schmetterling, Sonnenstrahlen, Liebesfilm, Picknick,
leise Hintergrundmusik, Rosenstrauß, Harfe, Liebesbrief, rosarot, Blumenstrauß, Küsse, Her-
zen, Lagerfeuer, Räucherstäbchen, Glühwein, Kerzenschein, Ringe, Sauna, Rotwein, romanti-
sche SMS, Blicke, Candle-Light-Dinner, Venedig, Dessous, Liebeslieder, Schnulzen, Rü-
schen, Kitsch

Vertiefung: Stichwort „Romantik“ im Duden-Fremdwörterlexikon
Romantik [lat.-vulgärlat.-fr.-engl.]: Epoche bes. des deutschen Geisteslebens, der deutschen
Literatur u. Kunst von etwa 1800-1830, die im Gegensatz zur Aufklärung u. zum Klassizis-
mus1 stand; auch übertr. für: romantische Stimmung; [Neigung zur ] Träumerei; abenteuerli-
ches Leben.
Romantiker: Anhänger, Dichter usw. der Romantik; abschätzig für Phantast, Gefühls-
schwärmer.
romantisch [„romanhaft“]: die Romantik betreffend; wunderbar, abenteuerlich; abschätzig
für: phantastisch, gefühlsschwärmerisch; stimmungsvoll; malerisch.

 Ambivalenz dessen, was man als romantisch bezeichnet:
positive Assoziationen:                 abwertende Implikationen:
Gefühlstiefe, Sensibilität, Erlebnis-   „Ökoromantiker“, „Sozialromantiker“,
fähigkeit und Naturempfinden            Träumer ohne Einsicht in Sachzwänge wie
                                        z.B. in die technische, politische oder so-
                                        ziale Realität
= im Bereich des Privaten/Persönlichen  = im öffentlichen, politischen Bereich

 Doppelsinnigkeit romantischen Denkens als Kennzeichen der Epoche
 Die deutsche Romantik, deren zeitlicher Schwerpunkt zwischen 1798 und 1835 (evtl.
  1826) anzusetzen ist, hat wie keine andere Epoche der deutschen Geistesgeschichte die
  unterschiedlichsten Beurteilungen erfahren.
                               

1.2 Collage aus Bildmaterial (Reiseprospekte, Werbung, Illustrierten), dem Internet,
dem Fernsehprogramm und aus modernen Gedichten zu:

Was empfinden wir heute als romantisch?
1
    Anstatt von einem Gegensatz zur Klassik ist es besser, von Synchronität zu sprechen.
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2. Die Romantik als Epoche
2.1 Epochenworkshop: Informationen zur Epoche der Romantik
Erarbeitungsphase: Es werden 4 Expertenteams zu folgenden Themen gebildet:

I. Schlaglichter auf den Zeithintergrund

II. Themen und Motive in der Kunst der Romantik

III. Malerei der Romantik

IV. Dichter und Künstlerinnen der Romantik

 1. Internet-Recherche:
      www.die-poesie.de/romantik.htm
      www.orst.edu/instruct/ger341
      www.lindenhahn.de/referate/romantik
      www.die-romantik.de
      http://www2.vol.at/borgschoren/lh/lh2.htm
      http://www.pohlw.de/literatur/epochen/romantik.htm

 2. Sichtung der zur Verfügung gestellten Sekundärliteratur
zu I.:
Kinder, Hermann/Hilgemann, Werner, dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Band 2: Von der Fran-
zösischen Revolution bis zur Gegenwart, München 1966
Elmar Bozzetti, Das Jahrhundert der Widersprüche. Musik im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M.
         1997, S. 9-16; 21, 32-33
zu II.:
Hermes, Eberhard, Deutsche Literatur. Epochen – Werke – Autoren, Klett-Verlag, Stuttgart
         1994, S. 91-105
zu III.:
Nationalgalerie Berlin u.a. (Hg.), Galerie der Romantik. Ausstellungskatalog der Galerie der
         Romantik im Schloss Charlottenburg, Berlin 1987
Schroeder, Veronika, Neue Pinakothek München, München/London/New York 1999, S. 29-
39
zu IV.:
Wucherpfennig, Wolf, Geschichte der deutschen Literatur: Von den Anfängen bis zur
         Gegenwart, Klett-Verlag, Stuttgart 1997, S. 132-149
Frenzel, Herbert A. u. Elisabeth, Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abriss der deut-
schen Literaturgeschichte, Band 1: Von den Anfängen bis zum Jungen Deutschland, Köln
1987

 Expertenquiz:
Die vier Expertengruppen entsenden je eine/n Spezialistin/ten in vier sich neu zusammenset-
zende Gremien und informieren sich gegenseitig in der Kleingruppe über ihr jeweiliges Fach-
gebiet.  MINDMAP erstellen (4x) zu: Das Selbstverständnis der Romantik
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Recherchieren Sie Materialien aus dem Internet zu
folgenden Schlagwörtern:

    -   progressive Universalpoesie
    -   romantische Ironie
    -   blaue Blume der Romantik
    -   Erfindungen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts
    -   Erfindungen in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts
    -   das Waldsterben zur Zeit des beginnenden Industriezeitalters
 Welches Selbstverständnis hatten die Romantiker?

Die Romantik war nicht romantisch –
jedenfalls nicht in dem Sinne, wie wir heute „romantisch" verstehen. Sie hat nichts zu tun mit der
geselligen Gemütlichkeit eines prasselnden Lagerfeuers und klingender Gitarren, nichts mit der trau-
ten Zweisamkeit eines candle-light-dinners und nichts mit der schlicht gemalten Idylle eines bei Son-
nenuntergang röhrenden Hirsches am Bergsee.
Es war vielmehr eine ungemütliche Epoche, eine Epoche voller Widerspruche und Spannungen, in
der die Verzweiflung bei allen Künsten sehr viel häufiger Pate stand als die Freude am Leben.
Es war eine Epoche schillernder Gegensätze, die in vielfältigster Brechung ihre Zeit reflektierte und
genau dies gehört zu ihrem Programm, oder mehr noch: die Gegensätzlichkeit ist ihr Programm.
Traum und Wirklichkeit, Märchen und Gesellschaftskritik, Vergangenheit und Gegenwart, Endliches
und Unendliches, Ernst und Humor sollten sich verbinden. So suchte man beispielsweise das Meta-
physische, Religiöse, bisweilen gar das Mysteriöse und interessierte sich für die dunklen Seiten des
menschlichen Innern. Gleichzeitig aber war die Romantik eine Epoche mit Literatur voll klarsichtigen
Scharfsinns, die das Spießbürgertum ihrer Zeit geißelte, sich aber sofort auch auf sich selbst besann
und so zur augenzwinkernden Selbstironie wurde. Die Vielzahl der romantischen Themen und die
Vielschichtigkeit ihrer Darstellung zeigen die Tendenz der Epoche, immer mehr zu zerfasern, je fester
man sie in den Griff zu bekommen versucht.                                       www.lindenhahn.de

Zum Begriff der „romantischen Ironie“:
Der Zwiespalt zwischen dem Reich der romantischen Sehnsucht und der Alltagswelt wurde von den
meistens Romantikern gesehen und erlebt. Die Spannung suchten viele mit Hilfe der „romantischen
Ironie“ aushalten, einem mutwilligen Spiel mit Stoffen, Stimmungen, dem eigenen Ich und den Er-
wartungen des Publikums. In souveräner Freiheit hebt der Künstler in der ironischen Desillusionie-
rung seine eigenen Schöpfungen wieder auf, indem er dem Publikum bewusst macht, dass sie nur
Phantasiegebilde sind" (Schülerduden Literatur)
Friedrich Schlegel, der den Begriff „romantische Ironie" als Erster verwendete, nennt Kennzeichen
dieser Verfahrensweise: Er spricht von stetem Wechsel zwischen Selbstschöpfung und Selbstvernich-
tung. Wesentlich für die Dichtungen ist, dass sich ein Dichter über sein Werk hinwegsetzen kann, er
kann spielerisch mit ihm umgehen, er kann Welten schildern und dann wieder zerstören. Der Dichter
baut also zuerst eine Illusion auf, lässt den Leser aber nicht in dieser Fantasiewelt, sondern reißt ihn
abrupt heraus und konfrontiert ihn mit der Welt seines bürgerlichen Alltags.

 Wie war das Zeitgefühl der Romantiker?
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Fragebogen zur "Romantik"
Das politische Großereignis, das die damalige Welt erschütterte und auch bei den Romanti-
kern Begeisterung auslöste, danach aber eine tiefe Verunsicherung bewirkte, war
......................................................

Deren Errungenschaften wurden von..................................... nach ganz Europa "exportiert",
was die Begeisterung sehr schnell in ........................................... umschlagen ließ; eine der
Folgen dieser Kriege war in Deutschland ein neues Gefühl: .......................................................

Nach der Niederlage des französischen ............................... bei Waterloo wurde auf dem
............................................. eine Neuordnung Europas vorgenommen. Österreich, Russland
und Preußen schlossen sich zur ........................... zusammen, um die vorrevolutionären Zu-
stände in Europa wieder herzustellen. Die entsprechenden Maßnahmen waren
.....................................................................

Für viele Intellektuelle hatte das Bürgertum seine ................................................. verraten:
Bürger waren nicht mehr citoyens, sondern .......................................................... geworden.
Die Romantiker reagierten darauf mit .............................................................., Snobismus,
gleichzeitig aber auch mit Angst und Verunsicherung.

Sie waren in ihrem Selbstverständnis auf große Widersprüche gestoßen: ihre
................................... Produkte mussten sich auf dem .........................................................
verkaufen; ihre ............................................. Rolle schien vorbei zu sein, denn der Philister
hatte sich um Wichtigeres zu kümmern als um Kunst.

Viele Romantiker flüchteten vor der schlechten Realität in Träume von Stabilität:
............................................., und konzentrierten sich im weiteren v.a. auf ihr eigenes
.......................................................................... und auf die Kunst. Die romantische Literatur
war der Versuch einer ........................................................................... Kunst hatte nicht mehr
wie im 18. Jahrhundert die Aufgabe ........................................................, sondern sie diente in
vielen Fällen der .......................................... vor der Realität.

Ein wichtiger Teil der romantischen Bewegung waren die .................................................... in
Berlin und anderen größeren Städten; sie boten einer bisher diskriminierten Gruppe der Be-
völkerung die Möglichkeit von .................................: den …………………………..........

Die romantische Epoche endete mit der Revolution von ....................................................., ab
diesem Zeitpunkt wendet sich die Literatur neuen Themen zu und befasst sich wieder direk-
ter mit der ............................

Quelle: http://www2.vol.at/borgschoren/lh/lh2.htm, aufgerufen am 1.02.2010
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2.2 Der Epochenbegriff der Romantik
Als historischer Begriff bezeichnet „Romantik“ eine literarische Epoche, die sich parallel zur
Klassik und partiell synchron zu Biedermeier und Vormärz entfaltete. Auch wenn sich die
Romantik – anders als die Weimarer Klassik - in vielen Ländern Europas als literarische Be-
wegung auswirkte, so kann doch Deutschland als d a s Land der romantischen Kunstepoche
par excellence bezeichnet werden.

Die Entwicklung der Romantik verlief in mehreren Phasen an verschiedenen Zentren:
Den Ursprung romantischer Dichtung verkörperte das Berliner Freundespaar Wilhelm Hein-
rich Wackenroder (1773-1798) und Ludwig Tieck (1772-1853). 1796 erschien ihre Erzählung
„Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“, die unter dem eindrucksvollen
Erlebnis der Natur der fränkischen Schweiz entstand.
 romantische Wanderungen des vagabundierenden Lebenskünstlers
Ideal eines unbürgerlichen Künstlerdaseins
enthusiastischer religiös—unkritischer Kunstgenuss der katholischen Kultur des
   fränkischen Barock
Lebensschilderungen berühmter italienischer Maler und Lob Dürers

Frühromantik: Jena (und Berlin)
Die Jenaer Romantik war der literarische Zirkel um die Brüder Schlegel, deren Zeitschrift, das
„Athenäum“ (1798-1800), zum Kunstprogramm der Romantik wurde.
Schwerpunkte:
 von der Französischen Revolution geweckte Aufbruchsstimmung
 philosophische Spekulationen und theoretisch-kritische Überlegungen
 Vertrauen auf die Realisierbarkeit von Idealen: Glaube an ein künftiges, humaneres,
   glücklicheres Zeitalter
Als Literaturtheoretiker, -kritiker und –historiker legten die Gebrüder Schlegel in Jena zwar
den literaturtheoretischen Grundstein für die romantische Bewegung, doch eigene bedeutende
Dichtungen brachten sie nicht hervor. Ausgangspunkt war die Philosophie Fichtes. Zunächst
knüpfte die Romantik die Klassik an; durch ihre Begeisterung für das Mittelalter geriet sie
jedoch bald in Opposition zur Weimarer Klassik. 1796 kommt es zum Bruch mit Schiller we-
gen Friedrich Hegels Horen-Kritik.
Vertreter:
August Wilhelm (1767-1845) und Friedrich Schlegel, Friedrich von Hardenberg - genannt
Novalis (1772-1801), Ludwig Tieck (1773-1853) und dessen Freund Wilhelm Heinrich Wa-
ckenroder (1773-1798)
In der Romantik spielten auch Frauen eine aktivere Rolle im kulturellen Leben:
Caroline Schlegel (1763-1809) war neben Dorothea Schlegel Mittelpunkt des Jenaer Kreises.

Hochromantik: Heidelberg
Etwa zehn Jahre nach Beginn der romantischen Bewegung übernahm eine nur wenig jüngere
Generation ab 1805 in Heidelberg die Führung.
Schwerpunkte:
 Darstellung des Lebens im dichterischen Text
 Interesse an Volkspoesie und an der eigenen nationalen Vergangenheit
 In Berlin überwogen wegen der französischen Herrschaft die patriotischen Töne.
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Vertreter:
Clemens Brentano (1778-1842), Achim von Arnim (1781-1831), Joseph von Görres (1776-
1848), Jacob (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) und Joseph von Eichendorff
1788-1857) in Berlin. Eine dem Heidelberger Kreis nahe stehende Künstlerin war Karoline
von Günderode (1780-1806). Als die bedeutendste Schriftstellerin der Romantik gilt Bettina
Brentano (1785-1859).
Rahel Varnhagen (1771-1833) führte in Berlin einen literarischen Salon.

Spätromantik: Stuttgart und Berlin
Ausklang der romantischen Bewegung zwischen dem Wiener Kongress (1814/1815) und der
Julirevolution (1830): Restauration und beginnendes Industriezeitalter
Schwerpunkte:
 irrationaler Hang zum Phantastischen, Magischen und Dämonischen
 dämonisierende Darstellung des Lebens („Schwarze Romantik“): E.T. A. Hoffmann
Vertreter:
in Stuttgart v.a. Ludwig Uhland (1787-1862), Gustav Schwab (1792-1850), Wilhelm Hauff
(1802-1827), Wilhelm Waiblinger (1804-1830), Justinus Kerner (1786-1862);
Ernst Theodor Wilhelm (alias Amadeus) Hoffmann (1776-1822 ) und Joseph von Eichendorff
in Berlin

„Ende der Romantik“ und Übergang ins Biedermeier:
 Heinrich Heine
 Eduard Mörike

             ____________________________________________________________

Zusammenfassung:

„Man kann die Vielfalt der Ideen ihrer Autoren kaum auf einen Nenner bringen.
Leichter als gemeinsame Überzeugungen ist ein charakteristisches Grundgefühl
zu benennen: die Sehnsucht.“2

Die ältere, rein literarische Richtung der Romantik (Jena, Berlin, um die Gebrü-
der Schlegel, Tieck, Novalis) strebt durch subjektive Verinnerlichung (Fantasie,
Traum, mysterische Schau) nach der Auflösung der Gegensätze Natur-Geist,
Gefühl-Vernunft, Endliches-Unendliches. Sie ist sich bewusst, dass die ersehnte
„Entgrenzung der Dinge“ („blaue Blume“) nicht erreicht werden kann (romanti-
sche Ironie).
In der jüngeren Romantik (Heidelberg, Brentano, von Arnim, von Eichendorff)
geschieht die Hinwendung zu den Kräften des Volkstums: Volkslieder, Mär-
chen, Sagen, die sich organisch entwickeln, ihren geschichtlichen Eigenwert be-
sitzen (Historismus) und sich jeder Vernunftgesetzlichkeit entziehen.

2
    Rumpf, Michael, Joseph von Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts, München 52003, S. 29
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3. Historischer Zeithintergrund
Arbeitsauftrag: Lesen Sie die Informationen über die gesellschaftlichen,
politischen sowie wirtschaftlichen Verhältnisse und über die Weltanschau-
ung der Menschen zur Zeit der Romantik durch.

Verfassen Sie zu Caspar David Friedrichs Bild „Mondaufgang am Meer“ oder zu
einem anderen Bild, das Rückenfiguren darstellt, einen Dialog über das Lebens-
gefühl dieser Zeit. Bringen Sie die Weltanschauung und die Kritik, die in den
Zitaten deutlich wird, zum Ausdruck!

      C.D. Friedrich, Kreidefelsen auf Rügen       C.D. Friedrich, Zwei Männer am Meer

      Führen Sie Ihren Rollentext anschließend mit dem Rücken zu Ihrem Pub-
      likum auf! Sie können auch eine Figur auf einem Bild interviewen - so
      dass deren Antwort als Stimme aus dem Off erklingt.
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3.1               Zeitgenössische Stimmen
„Den Stier aus Eisen, der raucht, faucht und brüllt, hat der Mensch zu früh bestiegen. Nie-
mand weiß noch, was das blinde Ungetüm an Schrecken in sich birgt. Trotzdem vertraut ihm
der erwartungsfrohe Reisende seine Schätze an. Seinen alten Vater und seine Söhne wirft er
als Geiseln in den flammenden Bauch des Stiers von Karthago, der sie als Asche dem Götzen
des Goldes vor die Füße spuckt. Aber man muß über Raum und Zeit triumphieren, lebendig
ankommen oder tot. Die Händler sind habgierig. Es regnet Gold unter den Kohlen des Damp-
fes, der vorbeizieht. Der Augenblick und das Ziel sind für uns alles. Einig waren sich alle:
Vorwärts! Aber niemand beherrscht den brüllenden Drachen, den ein Weiser gebar. Wir ha-
ben mehr gewagt, als uns zuträglich ist.“3
                                                                               Alfred de Vigny

„Der Nutzen ist das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sol-
len. Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht, und aller
Aufmunterung beraubt, verschwindet sie von dem lärmenden Markt des Jahrhunderts.“
                                                                            Friedrich Schiller4

„(...) die Erde, die einst überfloß von schönem menschlichem Leben, ist fast, wie ein Amei-
senhaufe, geworden.“
                                                                  Friedrich Hölderlin, 17995

„Mein Herz war weit, und hier war alles so übermäßig engherzig, alles unterlag der Berech-
nung, alles war so kleinlich und gedrückt. Es war eine traurige Existenz. Gearbeitet wurde im
Sommer von des Morgens 6 Uhr bis abends um 7 Uhr, im Winter von des Morgens um 7 Uhr
bis abends 8 Uhr, also 13 Stunden ohne Unterbrechung.“
                             Karl Friedrich Klöden, Jugenderinnerungen (1801). Der Verfasser
                              beschreibt seine Lehrlingszeit bei einem Goldschmied in Berlin.6

„Freilich ist nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder Gegenstand mit einer jugendli-
chen Glorie umgeben scheint, sondern jenes fatale Erkennen einer miserablen Wirklichkeit,
die ich mir durch meine Phantasie (...) so viel als möglich zu verschönern suche.“
                                                                         Franz Schubert, 18247

„Überhaupt ist es ein wahres Elend, wie jetzt überall alles zur faden Prosa sich verknöchert,
wie die meisten Leute dabei ruhig zusehen oder sich gar wohl dabei befinden, wie sie ganz
allmählich über den Schlamm in den Abgrund glitschen.“
                                                                         Franz Schubert, 18258

„Ich stehe im Schlamm, und zum großen Unglück bin ich bei Verstand.“                        Rahel Varnhagen

 Recherchieren Sie bitte auch: http://www.d-unterricht.de/content/unterricht/copy_horst.pdf

3
  Alfred de Vigny (1797-1863), zit. n. Moritz, R.E. (Hg.), Das romantische Zeitalter, Band 8: Die verlorene Un-
schuld, Manuskript zur Sendereihe des Bayerischen Fernsehens, München 1984, S. 6
4
  Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung – 2. Brief (1795), Gesammelte Werke, hg. v. Netolitzky, R.,
Bielefeld 1955, Band 5, S. 323
5
  Friedrich Hölderlin, Hyperion oder der Eremit in Griechenland (1799), zit. n. Bozzetti, a.a.O., S. 16
6
  Zit. n. Bozzetti, a.a.O., S. 21
7
  Franz Schubert, Brief an seinen Bruder Ferdinand vom 16./18. Juli 1824, zit. n. Bozzetti, a.a.O., S. 21
8
  Franz Schubert, Brief vom 21. Juli 1825, zit. n. ebd.
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10

3.2 Reaktion auf die wirtschaftlichen Verhältnisse
„Wissensexplosion“9: Am Ende des 18. Jahrhunderts entsteht eine neue Welt. Jetzt erst ver-
schwindet das Mittelalter.10
 Erfindungen, die die Welt veränderten, nämlich 1769 die Dampfmaschine und 1785 der
Mechanische Webstuhl, führen im 18. Jahrhundert zu wirtschaftlichen und sozialen Verände-
rungen, die die Voraussetzungen für die Entstehung der europäischen Industriestaaten schaf-
fen.
England wird ab 1800 zum ersten Industriestaat mit technischer Revolution (ab 1789 Beginn der Mechanisierung
der Arbeit und damit der Industriellen Revolution: Antrieb einer Arbeits- mit einer Dampfmaschine), Verkehrs-
revolution (1830 fährt die erste Eisenbahn Liverpool-Manchester), Agrarrevolution, medizinische Revolution,
Bevölkerungsexplosion, Verstädterung, Entstehung des Vierten Standes usw.; Holland, Schweiz, Frankreich ab
1825, Deutschland ab 1850
 Der Entwicklungsschub findet nicht nur im wirtschaftlichen Bereich statt, sondern in allen
Lebensbereichen des Menschen. Die Welt wird in Bewegung gebracht wie nie zuvor:
„Die traditionelle, ständisch-korporative Gesellschaft geriet in Bewegung, an die Stelle relati-
ver Statik trat die Fluktuation. Allmählich bereitete sich der Übergang von einer geschlosse-
nen zu einer offenen Gesellschaft vor.“11

 Blütezeit philosophischer und literarischer Kreativität in Deutschland:
Die Romantik gilt als Gegenbewegung gegen das allzu nüchterne Denken des beginnenden
Industriezeitalters. Aber:
Kunst korrespondiert stets mit den gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen Gegeben-
heiten und Veränderungen, da diese den Menschen prägen und damit auch die Art, wie er sich
künstlerisch äußert und wie er mit Kunst umgeht. Deshalb kann die Kunst der Romantik nicht
vereinfacht nur als Versuch, einer problematischen, ungeliebten, kritisierten Wirklichkeit die
„heile Welt“ der Kunst entgegenzusetzen, angesehen werden. Es gilt der Frage nachzugehen,
wie die Literatur zusammen mit der Malerei und der Musik auf die Veränderung der Welt
reagiert hat.

 Neue Auffassung von der Rolle der Kunst: Unter dem Einfluss des Deutschen Idealis-
mus12 setzt sich die Überzeugung durch, das Kunst als Ausdruck der menschlichen Phantasie
eine eigene Welt erschafft, die als Vorschein einer künftigen besseren Welt verstanden wer-
den kann. Das Schlagwort von „... der Suche nach dem verlorenen Paradies... fasst „(w)ie in
einem Brennglas (...) zusammen, was uns als Inbegriff des Romantischen erscheint. Die Sehn-
sucht nach etwas Verlorenem, wehmütige Erinnerungen an Ursprung und Einheit, an Ein-
tracht, Glück und Zufriedenheit, die in einer fernen Vergangenheit Gegenwart waren, die aber
jetzt nur noch in der Phantasie, durch Träume, Märchen oder vermögen der Ironie oder aber
durch poetisch-philosophische Ausdeutungen von Fragmenten heraufbeschworen werden
können. Die sehnsüchtige Wiederherstellung eines verlorenen Ganzen aus den Bruchstücken
des einstigen Glücks kraft Imagination, das ist der romantische Auftrag an die Künste gegen
die kalkulierende Vernunft der Aufklärung.“13
9
  Frühwald, Wolfgang, Die Poesie und der poetische Mensch. Zu Eichendorffs Gedicht Sehnsucht, in: Sege-
brecht, Wulf (Hg.), Gedichte und Interpretationen Band 3, Stuttgart 1984, S. 387
10
   vgl. Hauser, Arnold, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, München 1975, S. 571 ff.
11
   Freund, Winfried, A. v. Chamisso, Peter Schlehmihls wundersame Geschichte, Paderborn 1980, S. 95
12
   J.G. Fichte (1762-1814) und F.W. Schelling (1775-1854) lehrten, wie sehr das menschliche Ich (das Subjekt)
die Sicht der Welt beeinflusst.
13
   Schuster, Peter-Klaus, Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies. Runge – Marc – Beuys, in: Ernste Spiele.
Der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790-1990. Katalog zur Ausstellung im Haus der Kunst Mün-
chen vom 4. Februar bis 1. Mai 1995, München 1995, S. 47
11

3.3 Reaktion auf die politischen Verhältnisse
„Kant hatte (...) die Welt (...) in zwei Provinzen geteilt: in die durch menschliche Erfahrung
wahrnehmbare, die er sich glorreich erobert, und in die terra incognita des Unsichtbaren, die
er mit der nur dem Genie eigenen heiligen Scheu auf sich beruhen ließ. Seine Schüler aber
wollten klüger sein als der Meister und alles aufklären (...) Sie setzten daher nur ihren lichtse-
ligen Verstand ganz allgemein als alleinigen Weltherrscher ein; es sollte fortan nur noch einen
Vernunftstaat, nur Vernunftreligion, Vernunftpoesie geben usw. (...) Es ist hiernach auch sehr
begreiflich, daß in dieser alles verwischenden Gleichmacherei ohne Nationalität und Ge-
schichte ein kühner Geist wie Napoleon den Gedanken einer ganz gleichförmigen europäi-
schen Nationalmonarchie fassen konnte. Aber diesen entgegen arbeiteten gleichzeitig ganz
andere Bauleute: die Freischar der Romantiker, die in Religion, Haus und Staat auf die Ver-
gangenheit wieder zurückgingen; also eigentlich die historische Schule. Das deutsche Leben
sollte aus seinen verschütteten geheimnisvollen Wurzeln wieder frisch ausschlagen, das ewig
Alte und Neue wieder zu Bewußtsein und Ehren kommen.“
                                                                        Joseph von Eichendorff14

Im Verlauf der Französischen Revolution werden sich die westeuropäischen Völker, die staat-
lich bereits geeint sind, durch aufklärerische Freiheitsideen (England, Frankreich) bzw. durch
gemeinsame Tradition (Spanien) ihrer selbst als politische Nation bewusst. Dies wird dem
deutschen Volk durch Kleinstaaterei, Obrigkeitsdenken und Zerfall des „Reiches“ versperrt.

 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts fühlen sich Dichter, Gelehrte und Gebildete zunehmend als
  Glieder einer Kultur-Nation. Sie sind Träger der zunächst unpolitischen so genannten
  deutschen Bewegung:

Lessing bekämpft die französische „Überfremdung“ der Literatur, Klopstock preist die Liebe zum
Vaterland. Johann Gottfried Herder sieht in der Volkssprache und in den Volksliedern den Aus-
druck des unbewusst schaffenden „Volksgeistes“ und entdeckt in den >Ideen zur Philosophie der Ge-
schichte der Menschheit< (1784-91) die natürliche Eigenart der Völker zur „Beförderung der Humani-
tät“. Er beeinflusst den Sturm und Drang, dessen Dichter sich auf die deutsche Vergangenheit berufen;
seine Hinwendung zum mutmaßlichen Ursprung der Poesie in der Sammlung schlichter Volkslieder
setzte sich in der Romantik in Sammlungen von Märchen, Sagen und Volksbüchern fort.

Der Deutsche Idealismus (Baustein „Philosophie“) knüpft an Kant an, indem er versucht,
über die Welt spekulative Aussagen zu machen: Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) führt in
der >Wissenschaftslehre< alles Sein auf eine ewige geistige Kraft (das „Ich“) zurück, die sich
in freier, subjektiver Tat in der Realität entfaltet und zu der sich der Mensch geistig erheben
kann.
Nach Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854) sind Natur als sichtbarer Geist und Geist als
unsichtbare Natur identisch. Der Künstler steht über dem Denker, da sein Werk das Sinnliche
vergeistigt, das Geistige versinnlicht und damit den Schöpfungen der „Weltseele“ am nächs-
ten kommt. Beide Philosophen lehren, dass das menschliche Ich, das Subjekt, die Sicht der
Wirklichkeit bestimmt.
 Entstehung eines deutschen Nationalgefühls: Während die erste Phase der Romantik, die
so genannte Jenaer oder Frühromantik, eine rein literarische Richtung bleibt, kommt es in der
jüngeren Romantik (Heidelberg: Brentano, von Arnim, von Eichendorff) zur Hinwendung zu

14
  Joseph von Eichendorff, in: Benz, R. (Hg.), Lebenswelt der Romantik, München 1948, S. 126 f., zit. n. Boz-
zetti, Elmar, Das Jahrhundert der Widersprüche. Musik im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1991, S. 32
12

den Kräften des Volkstums (Herder) und zum Durchbruch des deutschen Nationalbewusst-
seins.

Der preußische Staat wird das Vorbild und die Hoffnung der deutschen Patrioten wegen der
Sozial-, Verwaltungs- und Bildungsreformen von 1807-1814.
„Revolution von oben“ zur Bildung eines ständischen Volksstaates durch Befreiung und Erziehung der
Untertanen zu mitverantwortlichen Staatsbürgern unter Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757-
1831)
Sozialreformen zur Auflösung der Standesschranken wie Abschaffung der Erbuntertänigkeit der Bau-
ern, Aufhebung der Zünfte, Städteordnung (Selbstverwaltung der Besitzbürger durch gewählte Stadt-
verordnete), Judenemanzipation (1812).
Verwaltungsreformen mit Trennung von Justiz und Verwaltung, Einrichtung von Fachministerien,
Heeresreform zur Entwicklung eines Volksheeres mit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.
Bildungsreformen in neuhumanistischem Geist durch Wilhelm von Humboldt (1767-1835), Gründung
der Berliner Universität, Einführung einer staatlichen Gymnasialordnung nach dem Prinzip der allge-
meinen Bildung mit besonderer Pflege klassischer Sprache und Bildungsgüter, Einführung des Abi-
turs, Reform der Volksschule im Sinne des Pädagogen J.H. Pestalozzis (1746-1827).

In den Rheinbundstaaten werden – v.a. in Bayern von Montgelas und in Baden – nach franzö-
sischem Vorbild die Grundlagen des modernen Einheitsstaates geschaffen durch:
1.einheitliche Behörden (zentrale Bürokratie), Fachministerien und Fachbeamte; 2. Auflösung ständi-
scher Selbstverwaltung in den Kommunen; 3. Garantie bestimmter Freiheiten für Gewerbe, Arbeit,
Religion; 4. staatliche Kirchen- und Schulaufsicht.
Bedeutung: Die konstitutionellen Ansätze fördern – v.a. in Süddeutschland – liberales und
demokratisches Staatsdenken (= Anfänge politischer Richtungen).

 Im Gegensatz zum weltbürgerlichen Idealismus der Aufklärer und Klassiker nahm das
aufkeimende Geschichts- und Volksbewusstsein der Romantiker unter dem politischen Druck
der napoleonischen Fremdherrschaft bald einen stark patriotischen Zug an.15

Die unterschiedlichen nationalen Vorstellungen wurden zunächst dem gemeinsamen
Ziel, die französische Fremdherrschaft abzuschütteln, untergeordnet. Nach dem Sturz
Napoleons brachen nach den Befreiungskriegen (1813-15) auf dem Wiener Kongress
(1814/15) die politischen Gegensätze auf.
Auf dem Wiener Kongress wird unter Leitung des konservativen Politikers Fürst Metternich
im Rahmen der Neuordnung Europas die Neuordnung Deutschlands vorgenommen:
1815-66 Deutscher Bund (39 Mitglieder) mit ständigem Bundestag in Frankfurt (keine
Volksvertretung):  Restauration, Legitimität (Prinzip der Ansprüche der Dynastien des An-
cien régime), Solidarität (gemeinsame Interessenpolitik der Fürsten).
Der Plan Humboldts zur einheitlichen Regelung von Finanzen, Recht, Verkehr, Wirtschaft
(Münze, Maß, Gewicht) wird fallengelassen. Als liberales Zugeständnis sieht Art. 13 >Land-
ständische Verfassungen< vor.
Der Wiener Kongress enttäuschte die Hoffnungen der deutschen Patrioten auf ein geeintes
deutsches Reich. England wird zum Obdach liberaler Demokraten.

15
   Die Hochschätzung religiöser und nationaler Ideen führte die Romantiker zur Anerkennung der starrsten Insti-
tutionen von Kirche und Staat. Manche konvertierten zum Katholizismus. Im November 1815 zog Friedrich
Schlegel, vom Papst mit dem Christusorden ausgezeichnet und von Metternich zum kaiserlich-königlichen Lega-
tionsrat ernannt, in den Frankfurter Bundestag ein. Nur wenige Dichter vertraten mutig eine liberale politische
Gesinnung wie z.B. Ernst Moritz Arndt (1769-1860) und die Brüder Grimm. Vgl. Rothmann, Kurt, Kleine Ge-
schichte der deutschen Literatur, Stuttgart 172001, S. 144
13

3.4 Die Weltanschauung der Romantiker
 Tendenz zu fundamentaler Zeitkritik:
Seit Beginn des frühen 19. Jahrhunderts nehmen viele Künstler prinzipiell eine kritische Hal-
tung gegenüber politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen ein, die
Unfreiheit und Konformismus begünstigen. Zum Teil äußern sie sich recht radikal wie bei-
spielsweise Philipp Otto Runge: „Ich dachte einmal an einen Krieg, der die ganze Welt um-
kehren könnte, oder wie so einer eigentlich dastehen müßte, und sah eben gar kein anderes
Mittel (...) als den jüngsten Tag, wo die Erde sich auftun und uns alle verschlingen könnte,
das ganze menschliche Geschlecht, so daß auch gar keine Spur von allen den Vortrefflichkei-
ten heutigen Tages nachbliebe“ (1802)16.
 Kunst und Gesellschaft beginnen sich auseinander zu entwickeln: „Neben einer kritischen,
zum Teil verzweifelten Schar von Künstlern und Intellektuellen stehen im 19. Jahrhundert
schweigende Mehrheiten: die Bürger, die von Kommerzialisierung und Industrialisierung
profitieren, und die stetig anwachsende Arbeiterschaft, die bei härtester Arbeit ein klägliches
Leben fristet.“17

 Aufwertung der Natur als Gegenwelt zur Kultur (s.u.romantische Naturauffassung)

 Vorliebe für das Mittelalter:
Herders Entdeckung der Geschichtlichkeit entwickelte sich zu einer allgemeinen Geschichts-
verklärung des deutschen Mittelalters. Aufgrund der politischen Verhältnisse und unter dem
Einfluss von Friedrich Schlegel (1772-1829) und Joseph von Görres (1776-1848) wünschten
sich einige Romantiker wie beispielsweise Novalis und J. Eichendorff die Wiederherstellung
des von Napoleon 1805 aufgelösten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Sie stell-
ten sich einen nach Ständen gegliederten Staat vor, den wie im Mittelalter die gemeinsame
Religion zusammenhält und in dem Frieden herrscht. Das Mittelalter wird zu einem konserva-
tiven Wunschbild idealisiert. Es gilt nicht als rückständige Epoche voller Aberglaube und
ohne wissenschaftlichen Fortschritt, sondern wird zur goldenen Zeit stilisiert, in der man in
einem geeinten Reich ohne konfessionelle Spaltung lebte.
        „Es waren schöne, glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine
        Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte; Ein großes gemein-
        schaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen
        Reichs.“                                      Novalis, Die Christenheit oder Europa (1799)18
Der Kunst wird die Aufgabe zugewiesen, ein utopisches Gegenbild zur Zerrissenheit der Welt
zu entwerfen. Die Romantiker sehnten sich danach, der Kunst den verlorenen Einfluss auf das
Alltagsleben zurückzugeben und das Individuum wieder in ein einheitliches großes Ganzes
(in das Volk oder in die Religion) einzubinden.

 Sehnsucht nach Italien, das „gelobte Land der Kunst“, die „Kunstheimat“, die „in allen
Träumen“(Wackenroder/Tieck, Herzergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders)19 lebt,
was weniger ein reales geographisches Italien als mehr ein Land der Sehnsucht und der Poesie
meint.

 zentrale Bedeutung der Musik für jede Kunstgattung:  „Universalpoesie“

16
   Hinterlassene Schriften I/II, Göttingen 1965, I, S. 8, zit. n. ebd. S. 14
17
   Ebd.
18
   Zit. n. Rumpf, Michael, Joseph von Eichendorff. Aus dem Leben eines Taugenichts, Stuttgart 1998, S. 31
19
   Wackenroder/Tieck, zit. n. Frühwald, Wolfgang, Die Poesie und der poetische Mensch. Zu Eichendorffs Ge-
dicht Sehnsucht, in: Segebrecht, Wulf (Hg.), Gedichte und Interpretationen Band 3, Stuttgart 1984, S. 382
14

Schreibauftrag: innerer Monolog

                                                                                              20
               Georg Christoph Wilder: Zeichner in einer Landschaft sitzend (Radierung, 1815)

Was versinnbildlicht die Rückenfigur gerade aufgrund des vom Maler verweigerten Identi-
tätsnachweises?
Womit soll sich der Betrachter identifizieren?
Was lässt sich über das Verhältnis von Natur und Mensch vermuten? Deuten Sie den sehr tief
liegenden Horizont und die Ruine!

Wie bei allen Darstellungen von Rückenfiguren führt die Frage „Was sieht man?“ nach einer
Beschreibung des Sujets sehr schnell zur nächsten Frage: „Was sieht man eigentlich nicht?“
Die im verlorenen Profil dargestellte Figur, die Burgruine und die Frage nach dem nur ange-
deuteten Ausblick werfen Ungewissheiten auf und rufen Deutungen hervor. Die Evokation
von Interpretationen ist wichtiger als die biographische und topographische Identifizierung,
als das vordergründig Sichtbare oder als der Aussagegehalt des Titels.

Das Thema des Bildes ist ganz offensichtlich nicht das Porträt einer bestimmten Person, son-
dern nur aus der Symbolsprache der bildhaften Bezüge zu erschließen. Nach romantischer
Auffassung gilt, dass „…die Rückenfigur die Sehnsucht der Seele … nach der Unendlichkeit
der Natur ausdrücken soll, oder die unstillbare Sehnsucht überhaupt“21. Bearbeiten Sie einen
der folgenden Arbeitsaufträge unter Berücksichtigung des Zwiespalts zwischen romantischer
Fiktion und Alltagswelt:

Interview: Schreiben eines Rollentextes
Wir interviewen die Bildfigur. Nach der Vorbereitung der Fragen des Interviewers (Schüler
oder Schülergruppe) und den fiktiven Antworten der Bildfigur/en (von einem Schüler gespielt
oder aus dem Off gesprochen) entsteht ein Rollenspiel, das vor einem Publikum aufgeführt

20
 Bildnachweis: Georg Christoph Wilder. Ein Nürnberger Zeichner des 19. Jahrhunderts. Text und Bildauswahl
von Matthias Mende, hrsg. von der „Altnürnberger Landschaft“ e.V., Arbeitsgemeinschaft für Heimatpflege und
Heimatforschung im Raum Altdorf – Erlangen – Hersbruck – Lauf – Nürnberg, begründet von Dr. Fritz Schnel-
bögl, Band XXXVI, Nürnberg 1986, S. 45
21
  E. Forssmann, zit. n. Caspar David Friedrich (1774-1840). Ausstellungskatalog, Hamburger Kunsthalle, 14.9.-
3.11.1974, Prestel, München 1974, S. 250
15

werden kann. Umgekehrt kann auch die Bildfigur der Interviewer sein, so dass eine Figur des
19. Jahrhunderts über unsere heutige Lebensweise staunt.

                                 C. D. Friedrich, Frau am Fenster

Schreibaufgabe innerer Monolog: Verfassen Sie ein Selbstgespräch der Figur!
Beantworten Sie zunächst folgende Impulsfragen: Wann haben Sie zuletzt ein Selbstgespräch
geführt? In welchen Situationen tut man das häufiger? Haben Sie Lieblingsthemen für Ihr
Selbstgespräch? Was ist der Vorteil eines Selbstgesprächs? Welche inneren Stimmen hören
Sie bei Selbstgesprächen?22

22
  Nach: Ehrlich, Miriam/Vopel, Klaus W., Wege des Staunens. Übungen für die rechte Hemisphäre.
                                     3
Teil 1: Kreatives Schreiben, Hamburg 1989, S. 67f.
16

Arbeitsauftrag: Rollenspiel

Wie heute die „Herr der Ringe“-, „Harry Potter“- oder „Twilight“-Romane ihre
Leser kraft menschlicher Fantasie in eine Parallelwelt versetzen, entwarfen um
1800 folgende Romane ein utopisches Gegenbild zur Zerrissenheit der Welt:

M 1 „Ich verstehe jetzt deine Vorliebe fürs Landleben, ich liebe sie an dir, und ich fühle wie
du. Ich mag sie gar nicht mehr sehn, diese unbeholfnen Klumpen von allem was verderbt und
krank ist in der Menschheit; und wenn ich sie im allgemeinen denken will, erscheinen sie mir
wie wilde Tiere an der Kette, die nicht einmal frei wüten können. Auf dem Lande können die
Menschen doch noch beisammen sein, ohne sich häßlich zu drängen. Da könnten, wenn alles
so wäre wie es sollte, schöne Wohnungen und liebliche Hütten wie frische Gewächse und
Blumen den grünen Boden schmücken und einen würdigen Garten der Gottheit bilden.“
                                                            Friedrich Schlegel, Lucinde, 1799

M 2 Ludwig Tieck: Franz Sternbalds Wanderungen (1. Buch, 3. Kapitel)
Viel gelesen wurde neben Wilhelm Heinrich Wackenroders „Herzensergießungen eines kunst-
liebenden Klosterbruders“ (1796) der zweite frühe deutsche „Wanderer“-Roman der Roman-
tik: Ludwig Tiecks „Franz Sternbalds Wanderungen“ (1798). Der vorliegende Auszug er-
zählt, wie Franz nach seiner Lehrzeit als Kunstmaler bei Albrecht Dürer seine Gesellenwan-
derung beginnt und einen Brief an seinen in Nürnberg zurückgebliebenen Freund schreibt.

Noch in derselben Nacht fing er einen Brief für seinen Freund Sebastian an... Wir teilen un-
sern Lesern diesen Brief mit.
Liebster Bruder!
Ich bin erst seit so kurzer Zeit von Dir, und doch dünkt es mir schon so lange zu sein. […] Ich
schreibe diesen Brief in der Nacht, beim Schein des Vollmonds, indem meine Seele überaus
beruhigt ist; ich bin hier auf einem Dorfe bei einem Bauer, mit dem ich vier Meilen hierher
gefahren bin. Alle im Hause schlafen, und ich fühle mich noch so munter, darum will ich
noch einige Zeit wach bleiben. Lieber Sebastian, es ist um das Treiben und Leben der Men-
schen eine eigene Sache. Wie die meisten so gänzlich ihres Zwecks verfehlen, wie sie nur
immer suchen und nie finden, und wie sie selbst das Gefundene nicht achten mögen, wenn sie
ja so glücklich sind. Ich kann mich immer nicht darin finden, warum es nicht besser ist, wa-
rum sie nicht zu ihrem eigenen Glücke mit sich einiger werden. Wie lebt mein Bauer hier für
sich und ist zufrieden, und ist wahrhaft glücklich. Er ist nicht bloß glücklich, weil er sich an
diesen Zustand gewöhnt hat, weil er nichts Besseres kennt, weil er sich findet, sondern alles
ist ihm recht, weil er innerlich von Herzen vergnügt ist, und weil ihm Unzufriedenheit mit
sich etwas Fremdes ist. Nur Nürnberg wünscht er vor seinem Tode noch zu sehen und lebt
doch so nahe dabei; wie mich das gerührt hat!
Wir sprechen immer von einer goldenen Zeit, und denken sie uns so weit weg, und malen sie
uns mit so sonderbaren und buntgrellen Farben aus. O teurer Sebastian, oft dicht vor unsern
Füßen liegt dieses wundervolle Land, nach dem wir jenseits des Ozeans und jenseits der
Sündflut mit sehnsüchtigen Augen suchen.
Es ist nur das, daß wir nicht redlich mit uns selber umgehen. Warum ängstigen wir uns in un-
sern Verhältnissen so ab, um nur das bißchen Brot zu haben, das wir darüber selber nicht
einmal in Ruhe verzehren können? Warum treten wir denn nicht manchmal aus uns heraus
und schütteln alles das ab, was uns quält und drückt, und holen darüber frischen Atem, und
fühlen die himmlische Freiheit, die uns eigentlich angeboren ist? Dann müssen wir der Kriege
und Schlachten, der Zänkereien und Verleumdungen auf einige Zeit vergessen, alles hinter
17

uns lassen und die Augen davor zudrücken, daß es in dieser Welt so wild hergeht und sich
alles toll und verworren durcheinanderschiebt, damit irgendeinmal der himmlische Friede eine
Gelegenheit fände, sich auf uns herabzusenken und mit seinen süßen lieblichen Flügeln zu
umarmen.
Aber wir wollen uns gern immer mehr in dem Wirrwarr der gewöhnlichen Welthändel ver-
stricken, wir ziehn selber einen Flor über den Spiegel, der aus den Wolken herunterhängt, und
in welchem Gottheit und Natur uns ihre himmlischen Angesichter zeigen, damit wir nur die
Eitelkeiten der Welt desto wichtiger finden dürfen. So kann der Menschengeist sich nicht aus
dem Staube aufrichten und getrost zu den Sternen hinblicken und seine Verwandtschaft zu
ihnen empfinden. Er kann die Kunst nicht lieben, da er das nicht liebt, was ihn von der Ver-
worrenheit erlöst, denn mit diesem seligen Frieden ist die Kunst verwandt. Du glaubst nicht,
wie gern ich jetzt etwas malen möchte, was so ganz den Zustand meiner Seele ausdrückte,
und ihn auch bei andern wecken könnte. Ruhige fromme Herden, alte Hirten im Glanz der
Abendsonne, und Engel die in der Ferne durch, Kornfelder gehn, um ihnen die Geburt des
Herrn, des Erlösers, des Friedefürsten zu verkündigen. Kein wildes Erstarren, keine er-
schreckten durcheinandergeworfenen Figuren, sondern mit freudiger Sehnsucht müßten sie
nach den Himmlischen hinschauen, die Kindlein müßten mit ihren zarten Händlein nach den
goldnen Strahlen hindeuten, die von den Botschaftern ausströmten. Jeder Anschauer müßte
sich in das Bild hineinwünschen und seine Prozesse und Plane, seine Weisheit und seine poli-
tischen Konnexionen auf ein Viertelstündchen vergessen, und ihm würde dann vielleicht so
sein, wie mir jetzt ist, indem ich dieses schreibe und denke. Laß Dich manchmal, lieber Se-
bastian, von der guten freundlichen Natur anwehen, wenn es Dir in Deiner Brust zu enge
wird, schau auf die Menschen je zuweilen hin, die im Strudel des Lebens am wenigsten be-
merkt werden, und heiße die süße Frömmigkeit willkommen, die unter alten Eichen beim
Schein der Abendsonne, wenn Heimchen zwitschern und Feldtauben girren, auf Dich nieder-
kömmt. Nenne mich nicht zu weich und vielleicht phantastisch, wenn ich Dir dieses rate, ich
weiß, daß Du in manchen Sachen anders denkst, und vernünftiger und eben darum auch härter
bist.
Ein Nachbar besuchte uns noch nach dem Abendessen und erzählte in seiner einfältigen Art
einige Legenden von Märtyrern. Der Künstler sollte nach meinem Urteil bei Bauern oder
Kindern manchmal in die Schule gehn, um sich von seiner kalten Gelehrsamkeit oder zu gro-
ßen Künstlichkeit zu erholen, damit sein Herz sich wieder einmal der Einfalt auftäte, die doch
nur einzig und allein die wahre Kunst ist. Ich wenigstens habe aus diesen Erzählungen vieles
gelernt; die Gegenstände, die der Maler daraus darstellen müßte, sind mir in einem ganz neu-
en Lichte erschienen. Ich weiß Kunstgemälde, wo der rührendste Gegenstand von unnützen
schönen Figuren, von Gemäldegelehrsamkeit und trefflich ausgedachten Stellungen so einge-
baut war, daß das Auge lernte, das Herz aber nichts dabei empfand, als worauf es doch vor-
züglich abgesehn sein müßte. So aber wollen einige Meister größer werden als die Größe, sie
wollen ihren Gegenstand nicht darstellen, sondern verschönern, und darüber verlieren sie sich
in Nebendingen. Ich denke jetzt an alles das, was uns der vielgeliebte Albrecht so oft vorge-
sagt hat, und fühle wie er immer recht und wahr spricht. – Grüße ihn; ich muß hier aufhören,
weil ich müde bin. Morgen komme ich nach einer Stadt, da will ich den Brief schließen und
abschicken. – –
Ich bin angekommen und habe Dir, Sebastian, nur noch wenige Worte zu sagen und auch die-
se dürften vielleicht überflüssig sein. Wenn nur das ewige Auf und Abtreiben meiner Gedan-
ken nicht wäre! [...] Aber kaum habe ich nun die Stadt, diese Mauern, und die Emsigkeit der
Menschen gesehen, so ist alles in meinem Gemüte wieder wie zugeschüttet, ich kann die Plät-
ze meiner Freude nicht wiederfinden, keine Erscheinung steigt auf. Ich weiß nicht mehr, was
ich bin; mein Sinn ist gänzlich verwirrt. Mein Zutrauen zu mir scheint mir Raserei, meine
inwendigen Bilder sind mir abgeschmackt, sie werden mir so unmöglich, als wenn sie sich nie
wirklich fügen würden, als wenn kein Auge Wohlgefallen daran finden könnte. Mein Brief
18

verdrießt mich; mein Stolz ist beschämt. – Was ist es, Sebastian, warum kann ich nicht mit
mir einig werden? Ich meine es doch so gut und ehrlich. – Lebe wohl und bleibe immer mein
Freund und grüße unsern Meister Albrecht.

Ludwig Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen. Eine altdeutsche Geschichte (Berlin 1798), Reclam, Bibliographisch ergänzte
Aufgabe, Stuttgart 1999, S. 30–35

M 3 Franz Sternbald bekommt im Laufe seiner Wanderjahre von dem Fabrikanten Zeuner
eine Stelle als Geschäftsführer angeboten.

„Ich meine es gut mit Euch“, sagte Zeuner, „Ihr seid jung und darum laßt Euch von mir raten.
In meiner Jugend gab ich mich auch wohl zuweilen mit Zeichnen ab, als ich aber älter wurde,
sah ich ein, dass mich das zu nichts führen könne. Ich legte mich daher eifrig auf ernsthafte
Geschäfte und widmete ihnen alle meine Zeit, und seht, dadurch bin ich nun das geworden,
was ich bin. Eine große Fabrik und viele Arbeiter stehn unter mir, zu deren Aufsicht, so wie
zum Führen meiner Rechnungen ich immer treue Leute brauche. Wenn Ihr wollt, so könnt Ihr
mit einem sehr guten Gehalte bei mir eintreten, weil mir grade mein erster Aufseher gestorben
ist. Ihr habt ein sichres Brot und ein gutes Auskommen, Ihr könnt Euch hier verheiraten und
sogleich antreffen, was Ihr in einer ungewissen zukünftigen Ferne sucht. – Wollt Ihr also Eure
Reise einstellen und bei mir bleiben?“ […]
„Ich kann Euren Vorschlag durchaus nicht annehmen“, rief Franz aus.

Ludwig Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen. Eine altdeutsche Geschichte (Berlin 1798), Reclam, Bibliographisch ergänzte
Aufgabe, Stuttgart 1999, S. 37f.

Aufgaben
   Welche Kritik am zeitgenössischen Hintergrund wird deutlich?
   Untersuchen Sie die Rolle der Natur. Welche Bedeutung hat sie in Bezug
     auf menschliche Freiheit?
   Welche Lebenseinstellung eines jungen Menschen aus dem Jahr 1798/99
     wird in den Romanauszügen favorisiert?
   Inwiefern ist das Lebensgefühl der jungen Menschen um 1800 durchaus
     aktuell? Verfassen Sie ein Streitgespräch und stellen Sie in einem Rollen-
     spiel die Positionen dar.
19

4. Das Kunstverständnis der Romantik
4.1 Novalis: Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
        Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
        Sind Schlüssel aller Kreaturen,
        Wenn die so singen oder küssen
        Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
5       Wenn sich die Welt ins freie Leben
        Und in die Welt wird zurückbegeben,
        Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
        Zu echter Klarheit werden gatten
        Und man in Märchen und Gedichten
10      Erkennt die ewgen Weltgeschichten,
        Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
        Das ganze verkehrte Wesen fort.

Novalis: Schriften. Bd. I. Hrsg. Von P. Kluckhohn und R. Samuel, Darmstadt 1960, S. 344

Leitfragen:
1. Welche zwei Formen der Wirklichkeitserfahrung stellt das Gedicht gegeneinander und mit
   welchen Begriffen werden diese konkretisiert?
2. Welche Zeitstruktur beinhaltet das Gedicht? Achten Sie auf die Kausalzusammenhänge!
3. Auf welche Weise soll die Welt erneuert werden?

 Das Romantische drückt sich in der Auffassung aus, dass die Realität sich am deutlichsten
und wahrsten im Medium der Kunst reflektieren und darstellen lässt. Für Novalis spiegelt sich
gerade im Mythos und im Märchen die Weltgeschichte; Dichter und Liebende sind dazu beru-
fen, die Welt aus ihrer rationalistischen Erstarrung zu befreien.

„Die Romantik war kein Stil, sie war Weltanschauung.“ (Kleßmann)
Die Romantik, die parallel zum europäischen Klassizismus verlief, wandte sich gegen die
rationalistische Geisteshaltung der Aufklärung und der Klassizisten. Die Künstler der
Romantik setzten sich mit den neu aufgeworfenen Problemen des Jahrhunderts auseinander,
da sie sich des Verlustes bewusst wurden, den die Kunst durch den Wegfall des sie bisher
tragenden Systems des christlichen Weltbildes erfahren hatte.
Sie empfanden „...einen ursächlichen Zusammenhang ... zwischen dem Verlust der Religion,
die einst selbstverständliche Lebensgrundlage war, und der ihnen fragwürdig gewordenen
richtungslosen Gegenwart“ (Heilmann). Aus der Sehnsucht, das infolge des neuen Bewusst-
seins zerstörte harmonische Weltbild wieder als ein organisches Ganzes zu sehen, bemüh-
ten sie sich um eine neue Durchdringung des Weltempfindens und um eine Erneuerung der
Religion.
Sie wollten eine Kunst, die in Übereinstimmung mit den aktuellen philosophischen, naturwis-
senschaftlichen und historischen Erkenntnissen neu war im Lebens- und Naturgefühl.
20

4.2 Joseph von Eichendorff, Wünschelrute

                          „Wünschelrute“

            Schläft ein Lied in allen Dingen,
             Die da träumen fort und fort,
            Und die Welt hebt an zu singen,
            Triffst du nur das Zauberwort.
                                                      Joseph von Eichendorff

= ein Gedicht über das Gedicht

Das wahre Leben ist der Traum.

Die Welt ist verzaubert, denn nur in der Verzauberung ist es möglich, dem All-
täglichen und Zufälligen einen Sinn zu geben und dadurch zum göttlichen Ur-
sprung zu gelangen.

Das Gedicht/die Poesie ist die „Wünschelrute“ für die Verzauberung der Welt.
August Wilhelm Schlegel: „Der Dichter ist vor allen anderen Sterblichen ein
begünstigter Liebling der Natur, ein Vertrauter und Bote der Götter, deren Of-
fenbarungen er jenen überbringt.“ (WELTSEELE)
In der frühromantischen philosophischen Ästhetik bilden Gattungstheorie, Poe-
tologie, Geschichtsphilosophie und Metaphysik eine spekulative Einheit:
Ein Gedicht ist dann vollendet, wenn es den erhabenen Geist aus dem Umgang
mit Göttern ausdrückt, wenn die poetische Sprache die Unendlichkeit des Ge-
fühls so vollkommen mitteilt, wie die Natur geheimnisvoll und unendlich ist.

 Poesie vermag die Sprache der Natur zu entziffern: Einheit von Natur und
  Subjekt!

 Die Romantik möchte die Grenzen des Verstandes überschreiten, indem sie
den Traum bzw. menschliche Ahnungen erkundet: Kunst kann und will das Irra-
tionale enträtseln, Absolutes erfahren, Unbewusstes erhellen. Ihr Ziel ist es, die
Natur mit dem Geist zu durchdringen.
 Poetische Sprache ist nicht wie irdische Sprache, sondern sie ist Gesang, eine
   Tochter der unsterblichen Harmonie.  zentrale Bedeutung der Musik!
 mystisch-religiöses Welt- und Naturverständnis
21

4.3 Novalis: „Die Poesie ist das echt absolut Reelle.“
Der rastlose, kreative und reflektierte Friedrich von Hardenberg alias Novalis wollte die Welt
verändern: „Wir sind auf einer Mission: Zur Bildung der Erde sind wir berufen“. Den Kern
seines literarischen Schaffens machen das Streben nach der „Romantisierung der Welt“ und
die Suche nach der Verbindung von Wissenschaft und Poesie aus. Das Ergebnis sollte eine
„progressive Universalpoesie“ sein.

Arbeitsaufträge: Übersetzen Sie die Begriffe „progressiv“ und „universal“.

Lesen Sie die Zitate und erklären Sie mit eigenen Worten, was eine „Romantisierung der
Welt“ sein könnte!

Inwiefern haben die Menschen des 21. Jahrhunderts auch diese Sehnsucht nach einer „Ro-
mantisierung der Welt“?

Was an Hardenbergs Philosophie ist bis heute „progressiv“ und „universal“?

Zitate:
„Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. […]
Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn,
dem Bekannten die Würde des Unbekannten dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe,
so romantisiere ich es – Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische,
Unendliche – dies wird durch diese Verknüpfung logarithmisiert – es bekommt einen geläufi-
gen Ausdruck. Romanische Philosophie. Lingua romana. Wechselerhöhung und Erniedri-
gung.“

„Man sucht mit der Poesie, die gleichsam nur das mechanische Instrument dazu ist, innre
Stimmungen, und Gemälde oder Anschauungen hervorzubringen – vielleicht auch geistige
Tänze etc.“

„Poesie = Gemüterregungskunst.“

„Poesie ist Darstellung des Gemüts – der innern Welt in ihrer Gesamtheit.“

„Poesie ist die große Kunst der Konstruktion der transzendentalen Gesundheit. Der Poet ist
also der transzendentale Arzt.“
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