Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...

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Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...
Juli 2020/3 Nr. 122

           Informationsblatt
     der Ärztegesellschaften
der Kantone Luzern, Ob- und
Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug
Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...
IMPRESSUM                                                   INHALTSVERZEICHNIS
«Der Luzerner Arzt» erscheint viermal   Herausforderungen (Herbert Widmer)                                                               4
jährlich (plus Spezialausgabe).
                                        Brief des Co-Präsidenten: Fragen über Fragen: Corona und Standespolitik                          6
Verlag:                                 (Aldo Kramis)
Ärztegesellschaft des Kantons Luzern
Schwanenplatz 7, 6004 Luzern            Die Krise – Nicht, was wir erleben, sondern wie wir empfinden (Andreas Hirth)                    8
Tel. 041 410 88 85
Fax 041 410 80 60                       Die Medizin ist die Schwester der Philosophie (Magdalena Hoffmann)                           10
Redaktionsadresse:                      Lebensqualität durch Mobilität: zeitgemässe Behandlung der peripheren arteriellen            11
Dr. med. Herbert Widmer                 Verschlusskrankheit (PAVK) (Stefan Ockert, Saulius Korsakas)
Sonnbühlstrasse 15, 6006 Luzern
Tel. 041 410 65 81                      Die MPA-Kommission informiert (Infektionsschutz und Impfnachweis)                            16
Redaktion:                              Chancen der sekundären Frakturprävention mittels Fracture Liaison Service (FLS)              17
Dr. med. Herbert Widmer, Luzern         (Sigrid Jehle-Kunz)
  (Redaktor)
Dr. med. Aldo Kramis, Emmenbrücke       Ein Jahr Siegel «Qualitätsgesicherte Hernien Chirurgie» (Anne Lenz)                          20
  (Präsident)
                                        7. Zentralschweizer Kardiologie Symposium                                                    22
Inserate-Verkauf:
Dr. med. Herbert Widmer                 14. Kardiologie-Symposium des Herzzentrums Hirslanden Zentralschweiz                         23
Sonnbühlstrasse 15
6006 Luzern                             Mandatsträger / Sektionen / Fachvereinigungen                                                24
Tel: 041 410 65 81
E-Mail: hcwidmer@bluewin.ch             Adressliste Zentralschweizerische Chiropraktoren-Gesellschaft (ZSCG)                         27
Mitarbeiter dieser Ausgabe:             Der Schwyzer Arzt                                                                            28
Dr. med. Katarzyna Fischmann,            Delegiertenliste Schwyzer Ärzte                                                             28
  Luzern (Corona, «bliib dihei»          Telefon-, Telefax- und E-Mail-Verzeichnis Spital Schwyz                                     30
  und die psychischen Folgen)
Msc Kerstin Heim, Luzern                Der Unterwaldner Arzt                                                                        34
  (Corona, «bliib dihei»                 Vorstand Ärztegesellschaft                                                                  34
  und die psychischen Folgen)
Andreas Hirth, Facharzt Psychiatrie
                                         Telefon- und Telefaxnummern sowie E-Mail-Adressen Kantonsspital Nidwalden                   34
  und Psychotherapie (Die Krise)         Telefon- und Telefaxnummern sowie E-Mail-Adressen Kantonsspital Obwalden                    37
Dr. phil. Magdalena Hoffmann,            Hausärztefortbildung 2020                                                                   38
  Uni Luzern (Die Medizin ist die
  Schwester der Philosophie)            Der Zuger Arzt                                                                               39
Dr. med. Saulius Korsakas, Luzern        Vorstand der Zuger Ärztegesellschaft                                                        39
  (Lebensqualität durch Mobilität)
Prof. Dr. med. Udine Lang, Uni          Der Urner Arzt                                                                               39
  Basel (Psyche und Corona – ein         Vorstand Ärztegesellschaft Uri                                                              39
  Fachaustausch)
Dr. med. Anne Lenz, LUKS Wolhusen       Corona, «bliib dihei» und die psychischen Folgen (Kerstin Heim, Katarzyna Fischmann) 40
  (Qualitätsgesicherte Hernien
  Chirurgie)                            Psyche und Corona – ein Fachaustausch (Udine Lang)                                           42
Prof. Dr. med. Stefan Ockert,
  LUVAS Luzern (Lebensqualität          Digitalisierung im Arztbereich: Quo vadis?                                                   44
  durch Mobilität)
                                        Aus den Reihen der Mitglieder                                                                48

Herstellung:                            KMU fordern: Eigenverantwortung und gute Rahmenbedingungen                                   53
SWS Medien AG Print
Am Viehmarkt 1, 6130 Willisau
info@swsmedien.ch
                                        Wir wünschen Ihnen, Ihren Familien, Ihren Spitalmitarbeiterinnen und -mitarbeitern,
                                        Ihrem Praxisteam und Ihren Patientinnen und Patienten alles Gute, Gesundheit und
                                        physische und psychische Widerstandkraft.

                                        Dr. med. Herbert Widmer, Redaktor «Der Luzerner Arzt» auch im Namen des
                                        Vorstandes und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Geschäftsstelle.

                                        Erscheinungsdatum / Redaktionsschluss für den Luzerner Arzt 2020 / 2021:
                                        Nr. 123 / November 2020                                               25. September 2020
                                        Nr. 123 / Spezialheft / November 2020                                    05. Oktober 2020
Titelbild:
                                        Nr. 124 / Januar 2021                                                  15. Dezember 2020
Sonnenaufgang auf der Rigi
mit Social Distance                     Nr. 125 /April 2021                                                          15. März 2021
(Foto: Susanne Bäurle-Widmer)           Nr. 126 / Juli 2021                                                           25. Mai 2021

                                                                                                               Luzerner Arzt 122 / 2020   3
Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...
EDITORIAL

Herausforderungen
Noch nie seit meiner Praxisübergabe vor                                                       eines durchschnittlichen praktizierenden
einiger Zeit habe ich so viele Telefon-                                                       Psychiaters deutlich bessergestellt. Sie
anrufe aus dem Kreis meiner ehemali-                                                          müssen auch nicht für die Bezahlung von
gen Patientinnen und Patienten, meiner                                                        wichtigen Telefonkonsultationen während
Freunde und Bekannten u.a.m. erhalten                                                         des Lockdowns kämpfen. Flexibilität der
wie in den letzten Wochen. Die Gründe                                                         verantwortlichen Stellen wäre ein hohes,
dafür waren vielfältig, oft war es aber ein                                                   dringend erwünschtes Gut!
mehr oder weniger ausgeprägter Hilferuf,
dem der Wunsch nach mehr Verständnis                                                             Die Spitäler weisen heute grosse finan-
und Zuwendung zugrunde lag. Ursäch-                                                           zielle Probleme aus, mit Löchern in ihren
lich spürte – bzw. spürt – man eine recht                                                     Rechnungen von dutzenden Millionen
grosse Verunsicherung des Einzelnen in                                                        Franken, da sie während längerer Zeit ihre
unserer Zeit mit etlichen Krisen. Oft habe                                                    Leistungen zurückfahren mussten. Dies
ich in der Folge an die Eltern meiner Ge-                                                     führt zu massiven Engpässen bei der Fi-
neration gedacht, welche auch Krisen zu                                                       nanzierung notwendiger Investitionen. Wie
bewältigen hatten und dies mit Bravour                                                        so oft, finden da gewisse Kantone Wege
erfüllten. So wohnten meine Eltern an der                                                     zur Umgehung der gesamtschweizerisch
nördlichen Grenze der Schweiz, praktisch                                                      geltenden Gesetze im Bereich Spitalfinan-
in der Stadt Schaffhausen, deren Bombar-                                                      zierung (SG, SO, GE…?). Man weiss es in
dierung sie miterlebten. Dennoch haben                                                        Bern, tut aber kaum etwas. Ob das lange
sie im letzten Kriegsjahr eine Familie ge-                                                    gut gehen wird?
gründet und einer ersten Tochter das Le-
ben geschenkt. Ihr damaliges monatliches
Budget über 200 Franken mit 5 Franken
                                                                                              Der Vertrauensarzt meint…
für Steuern, für Kleider, für Diverses etc.                                                   Als beratender Arzt der Patientenstelle
war eine gewaltige Herausforderung. Ob                                                        Zentralschweiz erlebe ich immer wieder,
wir heute im Bestehen der damaligen           Das persönliche Umfeld                          dass gewisse Krankenkassen lieber nicht
Herausforderungen ebenso erfolgreich          Uns selbst ist es bewusst, anderen aber         ganz klare Fälle mit dem Einsatz von viel
wären? Ich wage es zu bezweifeln, die         kaum. Auch Ärztinnen und Ärzte haben            Geld ablehnen, statt mit viel weniger Geld
heutigen Probleme sind weniger klar fass-     Familien, Partner, Kinder, für welche sie       eine einvernehmliche Lösung auch zuguns-
bar, in unserem Land – ja auf der ganzen      verantwortlich sind, welche sie schützen        ten des Versicherten zu suchen. Da kom-
Welt – gibt es deutlich mehr Menschen als     wollen bzw. müssen. Gerade in Italien sind      men mir immer wieder die tollen Aussagen
damals, dennoch aber auch viel mehr Ein-      viele Vertreterinnen und Vertreter des          in der TV-Werbung in den Sinn: «Wir sind
samkeit. Recht viele aktuelle «Landes-        Pflege- und Arztberufs erkrankt und haben       für Sie da!». (Mehr darüber später!).
fürsten» lassen mich an Nero denken, an       für ihren Einsatz für die anderen mit Ge-
den selbstverliebten Kaiser des römischen     sundheit oder gar mit dem Leben bezahlt.
Reiches.                                      Ja, man hat vor einiger Zeit auch darüber
                                                                                              Information
                                              gesprochen, dies inzwischen aber wohl           Sie werden vielleicht staunen, wenn ich
Warum berichte ich Ihnen dies? Etwa           wieder weitgehend vergessen.                    Ihnen auf den letzten Seiten dieses Hefts
auch durch «Krisenprobleme» begründet?                                                        die Resultate der Mitgliederumfrage des
Nein, keineswegs! Ende März – nach einer                                                      KGL zur Coronakrise bekannt mache.
viermonatigen Phase mit einem «mehr
                                              Und die Belastung?                              Auch wir sind ja Gewerbetreibende, auch
als Fulltimejob» war auch ich nicht ganz      Für viele war die Belastung gross, sowohl       für uns ist es interessant zu sehen, wie
unverwundbar, was mein Verständnis für        die psychische als auch die physische. Dies     stark Gewerbebetriebe betroffen sind –
andere erhöhte. Vor allem aber wurden         betrifft vor allem die Einzelnen, welche im     1400 Betriebe haben an der Umfrage teil-
mir die Herausforderungen unseres Beru-       Dauereinsatz standen. Gerade diesen ge-         genommen! Haben Sie die Medienberich-
fes, der Ärztinnen und Ärzte sehr bewusst.    genüber wäre es eine Pflicht, sich so zu ver-   te präsent? Es ist doch interessant, dass
Nennen wir doch einige wenige!                halten, dass eine 2. Welle verhindert wer-      über 50% der Antwortenden die Mass-
                                              den kann. Die meisten unter uns sehen das       nahmen zum Schutz der Gesundheit bzw.
                                              ein und verhalten sich entsprechend, eine       der Wirtschaft als ausgewogen betrachten,
Das Berufsbild des Arztes                     aber doch nicht kleine Zahl am Mitbürgern       nur 46.05% dieser Wirtschaftsbetriebe
Ja, die Corona-Krise hat uns zu Ansehen       schert sich aber keinen Deut darum, die         sind der Meinung, dass die Gesundheit zu
verholfen, man hat uns gelobt und für viele   Party-Mails lassen grüssen.                     sehr im Vordergrund stand. Nach meiner
unter uns geklatscht – man war ja auch auf                                                    Ansicht doch eine erfreuliche Haltung mit
die Ärztinnen und Ärzte und auf das Pfle-        Ich weiss, dass auch einige unter uns        viele Verantwortungsgefühl den anderen
gepersonal angewiesen. Dieser «Schub»         Ärzten die verordneten Vorsichtsmassnah-        gegenüber.
scheint wieder weitgehend vorbei zu sein,     men ablehn(t)en, die Meinungsfreiheit ist
man spricht wieder über Kostensenkung,        ja ein grosses Gut. Dennoch gestatte ich          Die Herausforderungen sind noch nicht
Ärzteeinkommen, lehnt die Pflegeinitia-       mir zu bemerken, dass ich persönlich für        vorbei, die Coronakrise ist noch sehr nahe,
tive – u.a. mit besseren Löhnen für das       diese Kritik wenig Verständnis habe – mei-      die finanziellen Probleme des Einzelnen,
Pflegepersonal – ab u.a.m. Von fehlen-        ne Meinungsfreiheit!                            der Gesundheitsbetriebe, unseres ganzen
den wichtigen Medikamenten spricht man                                                        Landes sind noch nicht gelöst, die verschie-
kaum mehr, dafür von hunderten Millionen        Sie kennen die Probleme der Selbststän-       denen «Neros» dieser Welt lassen täglich
Franken, welche bei den Medikamenten          digerwerbenden mit einer kaum existieren-       grüssen. Versuchen wir doch weiterhin, uns
gespart werden könnten. Ob die von vielen     den finanziellen Absicherung von Staates        den Herausforderungen zu stellen!
befürchtete 2. Welle einen neuen «Schub»      wegen. Da sind die Chefs gewisser Kran-
bringen wird?                                 kenkassen mit dem 6-fachen Verdienst            Dr. med. Herbert Widmer, Redaktor

4  Luzerner Arzt 122 / 2020
Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...
BRIEF DES CO-PRÄSIDENTEN

Fragen über Fragen: Corona und Standespolitik
COVID-19 hat sich in den Sommerschlaf                                                          weiter diskutieren, um möglichst allen im
zurückgezogen? Wann schlägt das Coro-                                                          Herbst vor einer möglichen 2. Ausbruch-
na V19 zurück? Sind wir nun vorbereitet                                                        phase noch besser Entscheidungshilfen
oder lassen wir uns nochmals überraschen?                                                      und Informationen weiter zu vermitteln.
Durchseuchen oder vielleicht doch imp-                                                         Vielleicht hatten wir einfach Glück, dass
fen? Ist es vielleicht doch so harmlos wie                                                     es nicht zu einer grösseren Pandemiewelle
eine Grippe ausser für Ältere Hochbetagte                                                      hier in der Innerschweiz kam und unsere
oder multimorbide adipöse Patienten??                                                          vorsorglichen Entscheide nicht zum Zuge
                                                                                               kamen.
  We don't know? – We just wait and see?–
Alles ist doch weit weg und wird von den                                                          Wir müssen auch die Versorgungswege
Medien mal wieder hochgepusht?                                                                 und die Lagerhaltung hochfahren, damit
                                                                                               wir genügend Schutzmaterial zur Verfü-
Wie so oft in der Medizin, es ist alles doch                                                   gung haben. Die Forderung der Politiker,
viel komplexer als man denkt! Komplexity                                                       alles lokal zu produzieren ist eine Illusion!
und uncertainty waren schon immer Kon-                                                         Wenn wir die Lagerbestände von drei auf
gressthemen und Herausforderungen im                                                           sechs Monate erhöhen, hätten wir sicher
Gesundheitswesen?!                                                                             schon viel erreicht, denn wir brauchen
                                                                                               Schutz-, Test- und ausreichend Versor-
   Wir haben Bilder gesehen, Berichte gele-                                                    gungsmaterial, dazu ausreichend stationäre
sen von Horrorszenarien in Italien, kriegs-     Dr. med. Aldo Kramis                           Betten, damit wir auch in Zukunft jede
ähnlichen Quarantänemassnahmen in Chi-                                                         Pandemie durchstehen können, bis Imp-
na, apres ski = COVID-Party in Skiorten         alles andere wissen alle Beteiligten aus       fungen oder Medikamente zur Verfügung
und ein unbekanntes Virus mit unglaublich       schwieriger persönlicher Erfahrung!! Der       stehen.
schneller Ausbreitung im Flugmodus über         riesige Dank gebührt allen, die durch ihren
die Weltkugel... und wie reagiert man poli-     unermüdlichen und ausdauernden, aufop-           Wir diskutieren weiter und sind auch stolz
tisch – angesichts der vielen unbekannten       fernden Sondereinsatz die Pandemie zum         über das Meistern der 1. COVID-Welle!!
Parameter und der Nähe des Tessins zur          momentan weitgehenden Stillstand ge-
Lombardei? Der Innenminister hat mit            bracht haben!! Merci allen veu mou!!!
dem Lockdown vom 16.3.20 den nationalen
                                                                                               AundS?
Notstand ausgerufen, wie fast in allen eu-                                                     Nicht nur ein allgemeiner Lockdown, son-
ropäischen Staaten auch! – Keiner möchte
                                                Lesson to learn?                               dern ein Verbot von Routinekontrollen
einen Fehler machen, auch Politiker wollen      Pandemiepläne 2018 waren vorhanden             und Eingriffen wurde erlassen und trieb
COVID überleben? Die Ärzteschaft und            aber nicht zu Ende gedacht. So tauchten        viele Praxen in die Kurzarbeit oder sogar
Kliniker resp. die Infektiologen sind initial   viele Versorgungsprobleme mit Schutzma-        zu Schliessungen aufgrund der Risikokon-
nicht im lead. Es sind hochspezialisierten      terialien auf! – Desinfektionsmittel, Mas-     stellation der Mitarbeiter oder Ausbleiben
Zentren / Intensivstationen, die Landesver-     ken, Schutzanzüge, Brillen etc. fehlten und    von Patienten? Wie man zu staatlicher Hil-
sorgungszentralen, die Epidemiologen, die       wer ist für den Nachschub verantwortlich?      fe für einige Praxen mit Kurzarbeit kommt,
Medienverantwortlichen, die Grossisten          Wo beziehen, wenn der Bundesrat respek-        haben die FMH und wir kommuniziert.
und Herr Koch vom BAG, die vor einem            tive der Notstand dies fordert? Adressen       Aber als Selbstständigerwerbende sehen
Kollaps des Gesundheitssystems warnen           aus der Schublade ziehen, gibt es nicht, auf   die staatlichen Bezuschussungen sehr be-
und entsprechende Schlüsse ziehen.              dem Schwarzmarkt oder über den Kan-            scheiden aus!
                                                tonsapotheker, in den Destillerien den des-
   So wie in Schweden gab es auch hier          infizierenden Alkohol organisieren? Auch          Zum Glück gibt es die äusserst gut funk-
Infektiologen und besorgte Kollegen, die        der Nachschub an speziell benötigten Me-       tionierende ambulante Praxistätigkeit von
vor sekundären Auswirkungen warnen.             dikamenten war plötzlich gefährdet!            Hausärzten und Spezialisten. Trotz Aus-
Aber angesichts der vielen Unbekannten,                                                        blieben von Patienten (viele hatten einfach
Ängsten und gefährdeten Mitmenschen                Es gibt keine Patentrezepte! Alle Insti-    Angst sich in den Praxen anzustecken und
waren fast alle Schweizer mit diesem Vor-       tutionen und Praxen mussten eigene             wussten nicht, ob genügend Schutzmateri-
gehen einverstanden und das ist auch gut        Schutzkonzepte für das Praxispersonal          al vorhanden war?!) blieben die meisten
so. Zu viele Probleme in der Versorgung,        ausarbeiten. Auch gab es viele Informatio-     Praxen IMMER offen. Dies trug entschei-
im Gesundheitspersonalbestand, in Beat-         nen auf verschiedensten Plattformen, aber      dend zur Entlastung der Spitäler bei. Die
mungsplätzen und Altersheimen waren             oft liessen die Anweisungen der Selbsti-       MPA und Ärzte haben Hunderte von Te-
nicht abzuschätzen ….                           solation oder Quarantäne resp. Risikoein-      lefonaten beantwortet, sehr viele Patienten
                                                schätzungen einen Spielraum offen? Jeder       beraten, Zeugnisse ausgestellt und zu Be-
   Auch waren die Pandemiepläne schön           musste sich anpassen und kreativ sein, um      ginn oft zwischen Erkältungssymptomen
in Schubladen versorgt und nicht definitiv      für den Schutz des Personals und der Pati-     und möglicher COVID-Ansteckung diffe-
ausgedacht und auch die Krisenstäbe muss-       enten in den Praxen die «wirksamsten und       renzieren müssen. Schwierig war der Man-
ten sich zuerst finden. Auch Gemeinden          sichersten» Massnahmen zu treffen. Viele       gel an Testmaterial, um klare Ansteckungs-
brauchen Pandemiepläne, denn Pflegein-          haben klare Direktiven erwartet. Wir ha-       herde identifizieren zu können.
stitutionen, Schulen sind Gemeindeange-         ben uns bemüht mit updates, Zusammen-
legenheiten. Der Kanton musste Rollen           fassungen und Informationen jeglicher             Aber auch viele Nachkontrollen wur-
übernehmen, auf die man in dieser Form          Art den aktuellen Stand des Irrtums wei-       den von den Spitälern oder Spezialisten
kaum vorbereitet war. Die Spitäler stellen      terzuvermitteln. Aber es war auch für uns      an die Hausarztpraxen delegiert. Dies hat
auf reine COVID-Stationen um – und nur          schwierig, die korrekten Massnahmen und        vielleicht gezeigt, dass Nachkontrollen
absolut dringliche Notfälle wurden auf den      Fragen zu beantworten. Wir werden sicher       gezielter eingesetzt werden? Durch die
entleerten Notfallstationen behandelt...        die lesson to learn in einer Arbeitsgruppe     Ängste der Patienten kam es aber auch zu

61  Luzerner
    Luzerner Arzt
             Arzt122/2020
                  122 / 2020
Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...
kritischen Gesundheitszuständen, indem         doch nur genehmigen müsste. Doch wie die       Abbruch der MAS-Dateneingabe, etwas
Diagnosen erst verzögert gestellt wurden.      Entscheide ausfallen und wie das BAG zu-       über 60%.
Es bleibt die Erkenntnis: ambulante und        handen des BR dies interpretiert, ist offen.
stationäre Versorgung (AundS) bekämp-          Wir rechnen nicht vor Ende Jahr mit einer         Im Hinblick auf die kommende Kos-
fen eine Pandemie und für jeden Patienten      Stellungnahme. Auch ein weiterer Knack-        tenneutralität TARDOC werden die Leis-
muss der korrekte Zugang ins Gesund-           punkt im Tardoc konnte gelöst werden. Es       tungsdaten zu Tarmed 1.09 und die Infra-
heitssystem gefunden werden und dies ha-       gibt nur eine Tarifstruktur und eine Um-       strukturdaten des Praxisnavigator/ Med-
ben wir in unserem äusserst kompetenten        setzung der Kostenneutralität. FMH und         key entscheidend sein, damit dieser EF
und sehr gut organisierten Gesundheitswe-      CURAFUTURA haben sich auf einen                (external factor) auch in Zukunft jederzeit
sen geschafft!                                 zusätzlichen externen Faktor geeinigt, der     angepasst und verändert und bei TPW-
                                               zusätzlich zu jedem TPW (Taxpunktwert)         Verhandlungen angepasst werden kann.
   Aber NACH COVID heisst auch wieder          x EF (external Faktor) multipliziert wird,     Wir werden euch laufend informieren,
VOR COVID! Damit ist gemeint, dass wir         damit die Kostenneutralität bei Einfüh-        noch bleibt sehr vieles unklar. Aber es gibt
viele Probleme vor uns hergeschoben ha-        rung einer neuen Tarifstruktur eingehalten     Veränderungen!!
ben, entschleunigt sind und nicht denken       werden kann. Momentan beträgt dieser
können, die Probleme hätten sich im Win-       EF einen Wert von deutlich unter 0.9. Der
de verweht…                                    Wert einer Tarifposition wurde für ärztli-
                                                                                              Qualität
                                               che Leistungen höher bewertet, da für vie-     Auch hier geht es momentan um die Um-
                                               les mehr Zeit benötigt wird. Aber nach der     setzung des Qualitätsartikels und der Qua-
Zulassungsstopp                                Multiplikation von Tarifposition x TPW x       litätskommission, die im Frühling 2021 ge-
Der Zulassungsstopp ist in den Räten er-       EF wird leider kaum mehr als bisher ver-       wählt werden soll. Die Versicherer und die
freulicherweise, so wie es die FMH woll-       rechnet werden können. Die Tarifpositio-       Leistungserbringer müssen bis Ende 2021
te, umgesetzt worden. Die Sprachprüfung        nen sind sicher sachgerechter als Tarmed       sog. Qualitätsverträge abschliessen. Als
ist nur nötig ohne Maturitätsnachweis,         1.09. Aber die Verrechnung der Position        Pilotprojekte haben vier Fachgesellschaf-
resp. ausländische Bewerber müssen eine        wird kaum mehr Einkommen generieren.           ten mit den Umfragen zu den Qualitätspa-
Sprachprüfung ablegen. Zudem gilt, dass        Das sind die momentanen Tatsachen (mög-        rametern bei den Mitgliedern begonnen.
man mind. drei Jahre im entsprechenden         licher Verrechnungssatz: Tarifposition x       Die SGAIM legt z. Bsp. folgende Kriterien
Fachgebiet, in welchem man sich nieder-        0.82 x EF 0.86?)!                              fest: Teilnahme an einem QZ, Umsetzung
lassen will, in der Schweiz gearbeitet haben                                                  eines Hygienekonzepts, Teilnahme an ei-
muss. Kantone können und müssen nicht             Für die Sante Suisse gibt es momen-         nem CIRS-Programm und Umsetzung von
Höchstzahlen an Ärzten in der freien Pra-      tan nur die Lösung über Pauschalen oder        smarter Medicine-Empfehlungen. Nach
xis festlegen. Den Kontrahierungszwang         Teilpauschalen, die soeben für 67 Eingrif-     jahrelangem hin und her müssen wir den
gibt es nicht und die Versicherer haben        fe zusammen mit der FMCH eingegeben            Artikel 58a umsetzen… Der COVID-Win-
kein Mitspracherecht. Die Ärzteschaft hat      wurden. Pauschalen und Tardoc-Einzelleis-      terschlaf ist vorbei und wir müssen wieder
diese schon lange geforderten Massnah-         tungen schliessen sich nicht aus! Wir wer-     arg in der Standespolitik mitstrampeln,
men einbringen können.                         den sehen, wie sich der BR im Umgang mit       sonst definitiv über unseren Köpfen ent-
                                               Pauschalen und Tardoc entscheidet!             schieden !!
Tarife – TARDOC                                                                                 Wir wünschen euch allen e schöne Som-
Die Tarifautonomie war auch für die
                                               Datensammlung                                  mer und nochmals VIELEN Dank für euren
SWICA der entscheidende Grund, sich            Die MAS-Daten 2018 werden erst am              Einsatz in diesen wirklich schwierigen, un-
CSS und Curafutura anzuschliessen und          22.10.20 publiziert. Aber wir wissen, dass     vorhersehbaren Zeiten! Bis bald im Herbst.
somit mit 53% der Versicherten eine Mehr-      die 2018-Daten weniger gut sind für den
heit zu bilden, damit der Bundesrat Tardoc     Kanton Luzern; nach dem vorzeitigen            Co-Präsident Aldo Kramis

                                                        Kindheitstraum?
                                                        Rufen Sie uns an,
                                                        wir begleiten Sie
                                                        bei der Praxisübernahme
                                                        und beim Neuaufbau!

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                                                     Friedentalstrasse 43, CH-6004 Luzern
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                                                                                                                     LuzernerArzt
                                                                                                                    Luzerner  Arzt122
                                                                                                                                   122/2020
                                                                                                                                      / 2020   27
Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...
PRÄSIDENT DES DELEGIERTENRATES

Die Krise
«Nicht, was wir erleben, sondern wie wir empfinden,
was wir erleben, macht unser Schicksal aus.»
                                                                                  M. von Ebner-Eschenbach

                                                  Vor allem stellte sich aber auch für vie-     Und Menschen mit ängstlich-vermeiden-
                                                  le die Frage nach dem Tod, der eigenen        dem Verhalten empfanden sich nunmehr
                                                  Sterblichkeit, die biologische Verletzlich-   als weniger «gestört», weil sich nun alle um
                                                  keit des Menschen wurde sichtbar. In ei-      sie herum ebenfalls ängstlich-vermeidend
                                                  nem Interview mit dem Deutschlandfunk         oder zwanghaft verhielten, auch wenn bei
                                                  sagte Margot Käßmann, die ehemalige           manchen Angstpatienten die Krankheits-
                                                  Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche      symptome deutlich zunahmen. Menschen
                                                  Deutschlands: «Es geht im Moment auch         mit autistischen Verhaltensweisen erleb-
                                                  darum, dass viele in ihrem Denken das         ten die ruhigen Strassen und die soziale
                                                  erste Mal mit dem Gedanken konfrontiert       Distanz wohltuend, da sie ihrem eigenen
                                                  sind, auch ich könnte sterben. Das allge-     Naturell entsprachen. Andere fühlten sich
                                                  meine Wissen, dass der Mensch sterblich       leer, einsam, isoliert, erfuhren sich selbst
                                                  ist, wird dann durch so eine Viruserkran-     zunehmend antriebslos und niederge-
                                                  kung zu einer persönlichen Botschaft. Und     schlagen. Wieder andere waren aufgrund
                                                  das irritiert, schockiert und erschüttert     ihrer gesundheitlichen Kondition gezwun-
                                                  viele, denke ich».                            gen, sich mit der Möglichkeit des eigenen
                                                                                                Todes auseinanderzusetzen. Und manch
                                                     Sicher haben viele von uns in unserer      einer genoss die Ruhe am Himmel und
                                                  Praxistätigkeit all diese Verschiedenheit     auf den Strassen und hoffte, dass die Men-
                                                  wahrgenommen, wir mussten damit umge-         schen nun in sich gehen, sich vom Kon-
                                                  hen und weitergehen. Die Praxistätigkeit      sumzwang distanzieren lernten und zum
                                                  musste fortgeführt werden, offen stehen       Wesentlichen im Leben zurückfänden –
                                                  für Notfälle und Dringliches oder bereit      bis hin zur Hoffnung auf eine neue, ökolo-
                                                  sein für die vermutete Welle an Covid-        gische Ausrichtung der Industrie. Schüler
                                                  19-Erkrankten. Dabei fehlte es an vielem,     und Lehrer hingegen waren verunsichert,
Die Pandemie, die wir derzeit erleben,            nicht zuletzt am erforderlichen Schutz-       das digitale Lernen Neuland: finden Prü-
wurde vielfach, unter anderem von der             material. Zum Teil dann leere Betten und      fungen statt – oder nicht? Ich habe Fami-
deutschen Bundeskanzlerin Merkel, zur             Sprechzimmer, fehlende Erträge. Zugleich      lien erlebt, die die Zeit genossen, sich Zeit
grössten Bedrohung seit dem zweiten               Unsicherheit auf allen Ebenen. Wir erleb-     füreinander nehmen konnten, sich näher
Weltkrieg erklärt. Der französische Prä-          ten etwas, das die meisten von uns in ihrer   kamen, aber auch Familien, die sich ent-
sident Macron erklärte Covid-19 den               ärztlichen Tätigkeit noch nicht erfahren      fremdeten. Konflikte, die aufflammten,
Krieg. Und tatsächlich erlebten wir eine          hatten, und mussten vernunftgemäss han-       eskalierten. Es ist bekannt, dass häusliche
«Mobilmachung»: Soldaten standen in               deln bei unsicherem Wissensstand. Wir alle    Gewalt in solchen Situationen zunimmt.
der Schweiz im Einsatz, Grenzen wurden            in Praxis und Spital haben in den letzten
geschlossen, Supermarktregale leerten             Monaten viel geleistet und dürfen stolz          Am verwundbarsten waren in dieser
sich aufgrund von Hamsterkäufen. Das              darauf sein. Die Belastungen waren gross,     Zeit deswegen auch vor allem die Kinder,
Gesundheitswesen richtete sich nach den           die Unwägbarkeiten und auch die existen-      die nicht in die Schule gehen konnten –
Erfordernissen des Gemeinwohls im Rah-            zielle Bedrohung für uns Helfende und für     vor allem jene, die zuhause keinen heilen
men der Notverordnung neu aus. Aus-               unsere Patienten greifbar. Letztlich waren    und sicheren Ort besitzen – und die alten
nahmslos die ganze Gesellschaft unseres           wir Helfende ja ebenfalls bedürftig: von      Menschen, die durch die soziale Distanz,
Landes war betroffen, viele Staaten welt-         unserem Alltag abgeschnitten, von unseren     die zu ihrem Schutz geschaffen worden
weit operierten mit Notrecht. Jeder ein-          sozialen Kontakten oder sogar von der ei-     war, zugleich auch zum Teil gegen ihren
zelne hatte sich der Bedrohung zu stellen,        genen Familie im Ausland.                     Willen eingeengt wurden. Viele psycho-
reagierte mit Ignoranz oder Furcht, muss-                                                       soziale Folgen werden sich auch in Anbe-
te sich neu im Leben einrichten. Die täg-            In der Arbeit mit meinen Patienten         tracht der wirtschaftlichen Probleme, die
lichen Gewohnheiten – der Kinobesuch,             erlebte ich in der letzten Zeit allerdings    wir auf einen längeren Zeitraum hin zu
mit Kollegen ein Bier trinken, das Fitness-       Unterschiedliches, teils Unerwartetes:        erwarten haben, erst in den nächsten Mo-
Studio – waren uns verschlossen und da-           Menschen mit einer schweren psychischen       naten zeigen.
mit schien das Leben selbst still zu stehen.      Erkrankung und eingeschränkten finan-
Pläne und Ideen, Ziele und Möglichkeiten,         ziellen und sozialen Möglichkeiten hielten      «Wenn ich höre, alles andere habe vor
die uns im Alltag eine sinnstiftende Identi-      dem Druck stand, wuchsen über sich hin-       dem Schutz von Leben zurückzutreten,
tät zu geben scheinen, ausgebremst – statt-       aus oder wurden sogar aktiv, indem sie an-    dann muss ich sagen: Das ist in dieser Ab-
dessen: Leere, Unsicherheit, ungläubige           dere unterstützten. Bei anderen verfestigte   solutheit nicht richtig», sagte Wolfgang
Angst oder auch Gleichgültigkeit. Und             sich die Überzeugung, dass es in Wirklich-    Schäuble, Präsident des deutschen Bun-
überhaupt: der Mensch ist zuallererst ein         keit den Mächtigen nur darum gehe, eine       destags, dem «Tagesspiegel». Wenn über-
soziales Wesen und braucht persönliche            Weltwirtschaftskrise zu inszenieren, um       haupt gehe es um die Würde des Men-
Kontakte zu anderen Menschen, damit es            einen Umsturz zu erreichen, mit Hilfe des-    schen, die unantastbar sei. Diese schliesse
ihm gut geht. Nur, weil er sozial denkt und       sen Bill Gates durch Zwangsimpfung die        aber nicht aus, dass wir sterben müssen.
fühlt, ist er bereit, die persönliche Freiheit,   Weltherrschaft erreicht könne. Erfolgrei-
die in unserer Gesellschaft ein sehr hohes        che, selbständige Unternehmer im Event-         Obwohl die Relativierung des CDU-
Gut ist, einzuschränken.                          bereich standen plötzlich vor dem Nichts.     Politikers kontrovers betrachtet wurde,

18  Luzerner
    Luzerner Arzt
             Arzt120/2020
                  122 / 2020
Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...
sollte sie uns Ärzten nicht fremd sein. Wir                wir aber darüber nach, was für Schlüsse                      sind, die weiter reichen als zum medizi-
sollten sie unterstützen. Es geht letztlich                aus den durchgemachten Erfahrungen zu                        nisch Nötigen und doch auf die Gesund-
um den Unterschied zwischen purer Le-                      ziehen sind, um auf allen Ebenen gewapp-                     heit des einzelnen zurückwirken. Stellen
bensverlängerung und Erhalt einer «le-                     net zu sein, was auch immer kommt.                           wir als Ärzte die Würde des Menschen in
benswerten» Lebensqualität, eine Diffe-                                                                                 den Mittelpunkt unseres Diskurses und
renzierung, die ärztliches Handeln immer                      Die Folgen der Pandemie und der ge-                       sehen die Krise als möglichen Wende-
bestimmen sollte. Darum sollten wir uns                    troffenen Massnahmen werden uns noch                         punkt.
auch als Ärzte zu Wort melden. Armut und                   lange beschäftigen, unabhängig davon,
wirtschaftliche Not sind zudem ein idea-                   ob wir eine zweite Welle erleben werden.                        Eine Krise ist nach Hippokrates der
ler Nährboden für das Virus. Es geht aus                   Aufgrund der wirtschaftlichen Folgen ist                     Moment, wenn sich die Krankheiten ver-
meiner Sicht nicht darum, die seit März in                 aus psychiatrischer Sicht mit einer Zunah-                   stärken, nachlassen, in eine andere Krank-
vielen Ländern getroffenen Massnahmen                      me an häuslicher Gewalt aber wahrschein-                     heit umschlagen oder aufhören.
des Lock-Down zu relativeren oder zu                       lich auch vermehrten Suiziden zu rechnen.
kritisieren. Wir alle hatten zu diesem Zeit-               Die Diskussion unter uns Ärzten, die wir                     Andreas Hirth
punkt Angst vor einer Entwicklung, wie                     weiterhin führen sollten, sind wichtig, weil                 Facharzt für Psychiatrie und Psycho-
sie in Italien, Frankreich oder den USA                    es im Umgang mit der Pandemie keine                          therapie, Kinder- und Jugendpsychatrie
sichtbar wurde. Gehen wir davon aus, dass                  einfache Wahrheit gibt und neben den rein                    Präsident Delegiertenrat
die Massnahmen dazu geführt haben, dass                    medizinischen Fragen eben auch ökono-                        Ärztegesellschaft des Kt. Luzern
das Schlimmste verhindert wurde. Denken                    mische und soziale Fragen zu beantworten

                                          210. Generalversammlung 2020                                                    Unsere Inserenten im Jahre 2020
                                                                                                                          Ärztekasse, Urdorf
                                          der kantonalen Ärztegesellschaft                                                Contrust Finance AG, Luzern
                                          des Kantons Luzern                                                              Galexis AG, Niederbipp
                                                                                                                          Gelbart AG, Luzer
                                          Mittwoch, 11. November 2020, 17.00 Uhr                                          Hirslanden Klinik St. Anna, Luzern
                                                                                                                          Luzerner Kantonsspital, Herzzentrum
                                          SPZ Nottwil                                                                     +medkey Trustcenter, Luzern
                                                                                                                          Pfizer AG, Zürich
                                          Wir erwarten auch Sie!                                                          Universität Luzern
                                          In Ihrer Agenda eintragen!                                                      Viollier AG, Allschwil

Weiterbildungsprogramm
«Philosophie + Medizin»

Medizin + Mind               24.9.20 / 22.10.20 / 19.11.20 / 10.12.20
                             Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Freier Wille/Determinismus, Sprache und Schmerz
                             Prof. Dr. Christiane Schildknecht / Prof. Dr. Markus Wild / Dr. phil. Emmanuel Baierlé
                             Mentale Eigenschaften und Aktivitäten werden dem Gehirn zugeordnet und u.a. von der Medizin empirisch
                             untersucht. Dabei bleibt die Frage nach dem angemessenen Verhältnis von Gehirn und Geist
                             unberücksichtigt, die in diesem Modul anhand ausgewählter Themen philosophisch diskutiert wird.

Methodikseminar 5.11.20
                Tom Beauchamp und James Childress: 'Principles of biomedical Ethics'
                             Dr. phil. Magdalena Hoffmann
                             Bei diesem Werk handelt es sich um den Klassiker der Medizinethik schlechthin. Aufbauend auf vier
                             medizinethischen Grundprinzipien (Autonomie des Patienten, Schadensvermeidung, Fürsorge und
                             Gerechtigkeit) propagieren die beiden Autoren einen Ansatz, der bei zahlreichen (klinischen)
                             Entscheidungsfindungen angewendet wird. Im Seminar wird der Ansatz vorgestellt und seine Praktikabilität
                             wie auch Vor- und Nachteile diskutiert.

Vorschau Module 2021

Medizin + Zukunft                              Medizin + Forschung                           Medizin + Literatur                            Orientierung für
Januar – März 2021                             April – Juli 2021                             September – November 2021                      die Praxis
Die Zukunft der Medizin hat bereits            Die medizinische Forschung befindet sich im   Literarisch lassen sich Empfindungen wie
begonnen: Es ist absehbar, dass sich           Umbruch: Big Data eröffnet ganz neue          Leid, Todesangst und die verstörende
Entwicklungen wie die Ökonomisierung und       Perspektiven – ebenso neue Technologien.      Erfahrung, wenn man sich abhanden
Digitalisierung noch akzentuieren werden.      Dieses Modul dient der Reflexion von          kommt, oft besser ausdrücken als in
                                                                                                                                            Weitere Informationen
Dieses Modul dient der kritischen Diskussion   Medizin als Wissenschaft sowie aktueller      medizinischen Begriffen. Dieses Modul          und Anmeldung:
dieser Veränderungen.                          und ethischer Fragen von medizinischer        thematisiert Literatur als Ressource für die   www.philomedizin.ch
                                               Forschung.                                    Medizin.                                         LuzernerArzt
                                                                                                                                             Luzerner  Arzt122 / 2020 2
                                                                                                                                                            120/2020  9
Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...
PHILOSOPHIE FÜR DIE GEGENWART

«Die Medizin ist die Schwester der Philosophie»
(Tertullian, De anima)
Eine kurze Reflexion dessen, was die Philosophie der Medizin zu bieten hat anlässlich des zehnjährigen
Bestehens des Weiterbildungsprogramms Philosophie + Medizin an der Universität Luzern

                                               Geistes das Verhältnis von Gehirn und          Interessant an den eingangs erwähnten
                                               Geist, was für die Neurowissenschaften         Bestrebungen, philosophische Inhalte
                                               unmittelbar relevant ist. Die Epistemo­        stärker in der Medizin zu verankern, ist
                                               logie und die Wissenschaftstheorie wie-        der Zeitpunkt. Warum erhalten solche In-
                                               derum liefern zentrale Inhalte für die         itiativen seit einigen Jahren immer mehr
                                               Reflexion der Medizin als Wissenschaft.        Auftrieb? Dies dürfte – so meine Vermu-
                                               Existentielle Fragen von Leben und Tod,        tung – daran liegen, dass sich die Medizin
                                               mit denen Ärztinnen und Ärzte regelmä-         gerade sehr im Wandel befindet und in vie-
                                               ssig konfrontiert sind, haben freilich nicht   lerlei Spannungsfeldern steht: Zwischen
                                               nur eine ethische Dimension, sondern           hochspezialisierter Technologie und ganz-
                                               berühren darüber hinaus Grundthemen            heitlichem Mensch, zwischen nach Exakt-
                                               der Metaphysik. Die Anthropologie wie-         heit strebenden Diagnoseverfahren und
                                               derum stellt die Grundfrage schlechthin:       diffusen Krankheitsbildern, zwischen öko-
Die Verbindung von Medizin und Philo-          «Was ist der Mensch?» Eine Frage, die          nomischen Erwägungen und individuel-
sophie ist alles andere als neu, wenn man      auch für die Medizin von eminenter Be-         len Bedürfnissen von Patienten, zwischen
sich Tertullians Ausspruch vor Augen           deutung ist, wenn man bedenkt, dass sie        rechtlichen Vorgaben und der Bewahrung
führt. Insofern kann man das Weiterbil-        den Menschen in seiner leiblichen und          eigener Handlungsfreiheiten. Diese diver-
dungsprogramm Philosophie + Medizin            auch seelischen Verfasstheit ins Zentrum       gierenden Erwartungen verstärken den
an der Universität Luzern, das seit nun-       ihres Wirkens stellt.                          Wunsch nach Orientierung wie auch nach
mehr 10 Jahren existiert, als eine Art                                                        Selbstvergewisserung – bei beidem kann
‚Renaissance’ dieser engen Beziehung              Methodisch zeichnet sich die Philoso-       die Philosophie behilflich sein.
von Philosophie und Medizin verstehen.         phie durch Strenge, Präzision und men-
Die Tatsache, dass sich dieses Programm        tale Beweglichkeit gleichermassen aus.
auf dem hart umkämpften medizinischen          Logische Strenge ist beispielsweise beim
Weiter- und Fortbildungsmarkt etab-            Argumentieren gefordert, Präzision bei
liert hat, spricht dafür, dass nicht wenige    der Verwendung von Begriffen und men-
Ärztinnen und Ärzte dieser Verbindung          tale Beweglichkeit bei den in der Philoso-                        Magdalena Hoffmann
wieder viel abgewinnen können. Damit           phie oft geforderten Perspektivwechseln                           Dr. phil., Studien­
sind sie nicht allein; mit Interesse verfol-   und Gedankenexperimenten. Indem die                               leiterin des Weiter­
ge ich die Anstrengungen – insbesondere        Philosophie also den Intellekt in den ge-                         bildungsprogramms
im süddeutschen Raum – das Medizin-            nannten Hinsichten schult, stellt sie eine                        Philosophie + Medizin
studium mit philosophischen Themen zu          wichtige Ressource auch für Ärztinnen                             an der Universität
ergänzen. Auch in der Schweiz gibt es          und Ärzte dar, die tagtäglich im Umgang                           Luzern
Stimmen aus der Ärzteschaft, die ein Phi-      mit PatientInnen Therapien begründen
losophicum im Medizinstudium fordern           und Diagnosen erstellen müssen sowie
wie etwa der ehemalige Chefarzt am Kan-        sich mit KollegInnen im Diskurs befinden
                                                                                               Im Weiterbildungsprogramm Philoso­
tonsspital Luzern, Peter Stulz, oder jüngst    oder sich zu den heterogenen Forderun-
                                                                                               phie + Medizin können insgesamt zehn
der pensionierte Hausarzt Beat Gerber in       gen verschiedener Anspruchsgruppen
                                                                                               thematische Module einzeln oder im
seinem 2020 erschienenen Buch «Warum           verhalten müssen.
                                                                                               Format eines CAS/MAS absolviert
die Medizin die Philosophie braucht».
                                                                                               werden. Jedes Modul besteht aus vier
Das wirft die Frage auf: Was genau hat            Persönlich stellt die Philosophie eine
                                                                                               Kurstagen. Zusätzlich gibt es Methodik-
denn die Philosophie der Medizin zu bie-       grosse Einladung zum Selberdenken und
                                                                                               seminare, die der methodischen Aus-
ten? Sehr viel, und zwar in vielerlei Hin-     zur Selbstreflexion dar – und stellt damit
                                                                                               bildung und ergänzenden Inhalten ge-
sichten wie ich im Folgenden skizzenhaft       auch immer die philosophierende Person
                                                                                               widmet sind. Die Module werden von
ausführen möchte.                              in ihr Zentrum. Die Philosophie ist in
                                                                                               ausgewiesenen ExpertInnen aus der
                                               diesem Sinne nicht nur eine akademische
                                                                                               Philosophie bzw. Medizin durchgeführt.
   Inhaltlich dürfte es kaum eine Disziplin    Wissenschaft, sondern auch eine Praxis,
der Philosophie geben, die für die Medizin     insofern sie ihren Zweck nur durch ihre         Mehr Informationen erhalten Sie unter
nicht von grosser Relevanz wäre. Diese         Ausübung entfalten kann. Oder anders            www.philomedizin.ch oder
Aussage mag überraschen, insofern man          formuliert: Beim Philosophieren kann            magdalena.hoffmann@unilu.ch.
dies heutzutage allenfalls für die Ethik       man sich selbst nicht ausweichen und dies
behaupten würde, nicht aber für weitere        macht, denke ich, einen grossen Teil ihrer
philosophische Disziplinen. Dies ist aller-    Faszination, aber auch Anstrengung aus.
dings ein Trugschluss. Zwar ist die Ethik      Für Ärztinnen und Ärzte, die sich tagtäg-
zweifellos eine sehr wichtige Disziplin der    lich intensiv und mit viel Engagement um
Philosophie, die gerade für heikle Kon-        ihre PatientInnen kümmern und ihre eige-
fliktsituationen zahlreiche Hilfestellun-      nen Bedürfnisse dabei mitunter vergessen,
gen bietet. Dabei darf aber nicht verges-      kann die Philosophie also eine Form des
sen gehen, dass die Philosophie inhaltlich     Zu-sich-selber-Kommens darstellen – so-
noch weit mehr anzubieten hat. So behan-       wohl in menschlicher wie auch in berufli-
delt etwa die sogenannte Philosophie des       cher Hinsicht.

10  Luzerner Arzt 122 / 2020                                                                                        Luzerner Arzt 122/2020   9
Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...
Lebensqualität durch Mobilität: zeitgemässe Behandlung
der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK)
Prof. Dr. med. Stefan Ockert, LUVAS Gefässchirurgie Luzern / Dr. med. Saulius Korsakas, Angiologie Luzern

Einleitung
Der demographische Wandel führt zu            von Behandlungsoptionen zur Verfügung.        le ein fortgesetzter oder zumindest in der
einer erhöhten Lebenserwartung in der         Neben einem konservativen Therapiean-         Vergangenheit stattgehabter Nikotina-
Gesamtbevölkerung. Ein höheres Le-            satz und etablierten gefässchirurgischen      busus. Zusätzliche Risikofaktoren stellen
bensalter ist jedoch nur erstrebenswert,      Techniken (z.B. Bypasschirurgie) konn-        ein Hypertonus, die Hypercholesterinä-
wenn die Lebensqualität (LQ) in ausrei-       ten die Behandlungsoptionen durch die         mie, Übergewicht und insbesondere ein
chendem Mass erhalten bleibt. Negative        Einführung der endovaskulären Therapie        Diabetes mellitus dar (5).
Auswirkungen auf die Lebensqualität           (perkutane Angioplastie/PTA) erweitert
haben beispielsweise chronische Schmer-       werden. Zusätzlich besteht die Möglich-
zen und eine eingeschränkte Mobilität.        keit der Kombination von chirurgischen        Stadien-Einteilung
Die Wichtigkeit der uneingeschränkten         und endovaskulären Verfahren, der soge-
Aktivität und die Auswirkung auf die in-      nannten Hybrid-Therapie. Der vorliegen-       nach Fontaine
dividuelle Lebensqualität wird aktuell im     de Artikel gibt einen Überblick über die
Rahmen der Corona-Pandemie deutlich.          aktuellen Behandlungsmöglichkeiten der        Die PAVK zeigt sich in der hausärztlichen
                                              PAVK unter Berücksichtigung der aktu-         Praxis mit unterschiedlichen Symptomen.
   Die Prävalenz der PAVK steigt mit dem      ellen Leitlinien und Behandlungsempfeh-       Klassisch ist die Claudicatio intermittens
Lebensalter erheblich an und liegt aktuell    lungen der Fachgesellschaften (3,4).          (Schaufensterkrankheit) als Zeichen ei-
bei 10 – 20% beim >65 Jährigen (1). Somit                                                   ner eingeschränkten peripheren Durch-
leidet nahezu jeder 5. ab einem Alter von                                                   blutungssituation (Fontaine Stadium
70 Jahren an einer relevanten PAVK mit        Anamnese/Risikofaktoren                       I-IIa/b). Ab Stad. IIb besteht eine Be-
eingeschränkter Gehstrecke oder chroni-                                                     handlungsindikation zur Vermeidung von
schen Schmerzen. Die Anzahl der Hos-          Hinweise auf eine PAVK ergaben sich           Folgeschäden und Wiederherstellung ei-
pitalisierungen stiegt bei der kritischen     aus dem Patientenalter, der Anamnese          ner ausreichenden Gehstrecke (Tab. 1).
Extremitätenischämie entsprechend im          und nach Abklärung von Risikofaktoren.
letzten Jahrzehnt relevant um >30% an (2).    Beim klassischen Gefässpatienten mit
Bei der PAVK stehen aktuell eine Reihe        PAVK zeigt sich in der Mehrzahl der Fäl-

Stadium        klinisches Bild                Behandlung
I              asymptomatisch                 konservativ
IIa            Gehstrecke 200m               endovaskulär/operativ*          Tab. 1: Einteilung der PAVK nach Fontaine
                                                                               * Behandlungsindikation relativ abhängig
III            Ruheschmerz                    endovaskulär/operativ**            von beruflicher/sozialer Beeinträchtigung
IV             Ulkus/Gangrän/Nekrose          endovaskulär/operativ**         ** Behandlungsindikation absolut zur Vermeidung
                                                                                 von Extremitätenverlust

Häufig klagen Patienten mit fortgeschrit-     unverzüglichen vaskulären Diagnostik          sind Zeichen einer fortgeschrittenen Er-
tener PAVK über Ruheschmerzen in den          und Therapie, um weitere Folgeschäden         krankung (Stad. IV).
Beinen, insbesondere in der Nacht, was        bis hin zur Amputation zu vermeiden (6).
ein erholsames Durchschlafen unmöglich                                                         Eine fachärztliche gefässmedizinische
macht. Hier liegt bereits eine kritische                                                    Vorstellung kann durch nichtinvasive ap-
Durchblutungssituation vor (Stad. III).       Diagnostik der PAVK                           parative Untersuchungstechniken eine
                                                                                            schnelle Klärung und insbesondere den
   Eine noch ausgeprägtere Manifesta-         In der hausärztlichen Praxis ergibt die       Ausschluss einer relevanten Gefäss-
tion der PAVK stellen chronische Wunden       Inspektion/Untersuchung erste Hinweise        beteiligung erbringen. Mittels Doppler-
oder lokale infizierte Läsionen an den Ext-   auf eine arterielle Verschlusskrankheit.      verschlussdruckmessung (Ankle-Brachial-
remitäten dar (Stad. IV). Insbesondere bei    Weniger weit fortgeschrittene Stadien         Index: ABI) und einer ergänzenden Dup-
therapieresistenten Wunden in der ambu-       (Stad. I-IIb) erkennt man klinisch teil-      lexsonographie (Bild 1) der Becken-Bein
lanten Behandlung sollte an die Möglich-      weise an fehlenden peripheren Pulsen, an      Strombahn wird innerhalb kürzester Zeit
keit einer eingeschränkten Durchblutung       einem ungewollten Fehlen der Beinbe-          eine definitive Diagnose gestellt. So liegt
gedacht werden. Prinzipiell zeigen sich       haarung und verzögerter Kapillarfüllung       beispielsweise bei einem ABI
Informationsblatt der Ärztegesellschaften der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri, Zug - Juli 2020/3 Nr. 122 - Vereinigung ...
Bild 1: farbcodierte Duplexsonographie mit Stenosenachweis
                                                                      (Pfeil) der Leistenarterie (AFC)

Bei komplexen Fragestellungen oder zur        oder MR-Angiographie als bildgebende         schenkelgefässe zur Verfügung. Hier be-
Planung der weiterführenden Therapie          Diagnostik hilfreich sein. An invasiver      steht neben der Diagnostik zusätzlich die
insbesondere bei Beteiligung der Becken-      Diagnostik steht die arterielle Angiogra-    Möglichkeit zur direkten endovaskulä-
strombahn kann ergänzend die Durch-           phie (Bild 3) als hochselektive Diagnostik   ren Therapie in gleicher Sitzung (Angio-
führung einer CT-Angiographie (Bild 2)        insbesondere zur Beurteilung der Unter-      graphie in PTA-Bereitschaft).

Bild 2: CTA-Rekonstruktion bei stark ver-
kalktem langstreckigen Ober-und Unter-        Bild 3a: Angiographie bei langstreckigem Oberschenkel-Arterien-Verschluss
schenkelarterien-Verschluss bds. (Bildnach-   (A. Femoralis Superficialis)
weis: Institut für Radiologie und Nuklear-    Bild 3b: Kontroll-Angiographie nach endovaskulärer Rekanalisation
medizin Hirslanden Klinik St. Anna)           (PTA und Stentimplantation)

212Luzerner Arzt
     Luzerner    122/2020
              Arzt 122 / 2020
Therapie der PAVK

Konservative Therapie                         Statintherapie. Bei Patienten mit Diabetes     bei der Behandlung der PAVK rasant ent-
Primäres Ziel der konservativen Be-           mellitus bedarf es einer strengen Blut-        wickelt. In Abhängigkeit der Lokalisation
handlung ist die Einstellung / Optimie-       zuckereinstellung und Kontrolle (3,4).         und Verschlusslänge ist die interventionel-
rung der Risikofaktoren, wie der Raucher-                                                    le Therapie insbesondere bei Patienten, bei
entwöhnung, Gewichtsreduktion, Blut-                                                         denen eine primär induzierte Operation
druckeinstellung, Behandlung der Hyper-       Invasive Therapie                              aufgrund bestehender Begleiterkrankun-
cholesterinämie und eines Diabetes mel-       Erfreulicherweise liegen von den nationa-      gen nicht möglich ist (fehlende Operati-
litus. Im Falle nicht kritischer Durchblu-    len und internationalen Fachgesellschaften     onsfähigkeit: unfit for surgery), Mittel der
tungsstörungen (PAVK I-IIa) wird ein          bei der Behandlung der PAVK evidenzba-         Wahl (Bild 3) (7). Im Bereich der Unter-
regelmässiges medizinisch begleitetes Be-     sierte interdisziplinäre Behandlungsemp-       schenkelläsionen ist die endovaskuläre der
wegungsprogramm empfohlen (Gefäss-            fehlungen vor (3,4). Zur besseren Über-        chirurgischen Therapie im langfristigen
sportgruppe) (3,4).                           sicht und Orientierung für die Praxis wird     Verlauf bei langstreckigen Stenosen zwar
                                              in vorliegendem Artikel auf die exakte         unterlegen. ein primärer endovaskulärer
                                              Klassifikationsbeschreibung (Evidenzle-        Therapieansatz kommt jedoch bei multi-
Medikamentöse Therapie                        vel/Empfehlungsgrad) verzichtet und die        segmentalen oder längeren Stenosen / Ver-
Durch die Einleitung einer Sekundär-          Standardempfehlung        (First-Line-Treat-   schlüssen insbesondere beim Vorliegen re-
prophylaxe kann beim Nachweis einer           ment) aufgeführt (3,4,7).                      levanter Co-Morbiditäten und fehlendem
PAVK das Fortschreiten und der Verlauf                                                       Venenmaterial zum Einsatz (3,4,7) (Tab. 2).
der Erkrankung positiv beeinflusst wer-
den. Hierzu zählen insbesondere eine an-      Endovaskuläre Therapie
tihypertensive Therapie, die Behandlung       Durch die Einführung neuer Techniken
mit Thrombozytenaggregationshemmern           und Materialien (Ballon- und Stentsyste-
(Acetylsalicylsäure) sowie eine angepasste    me) hat sich die endovaskuläre Therapie

 Lokalisation                                 Pathologie                Länge /Ausmass                    Therapie
 Intraabdominal       Aorto-Iliakal           Verschluss/Stenose        5 – 15 cm / multisegmental        PTA/Stentimplantation
 Oberschenkel         Femoro-Popliteal        Verschluss/Stenose        < 25 cm / multisegmental          PTA/Stentimplantation
 Unterschenkel        Crural/Pedal            Verschluss/Stenose        kurz / mittel / multisegmental    PTA*
Tab. 2: Endovaskuläre First-Line-Behandlung nach Lokalisation und Pathologie (PTA=perkutane transluminale Angioplastie)
*Operationsfähigkeit nicht gegeben (unfit for surgery), fehlendes Bypassmaterial, Lebenserwartung 25 cm und stark verkalk-                                                                    LUVAS Praxis für
ten Gefässen ihre Indikation mit besseren                                                                 Gefässchirurgie
Langzeitergebnissen als die Intervention                                                                  Lützelmattstrasse 3
(Bild 4). Die Indikationen zur gefässchir-                                                                6006 Luzern
urgischen Therapie bei kurzstreckigen/                                                                    www.luvas.ch
mittelstreckigen Läsionen im Oberschen-                                                                   luvas@hin.ch
kelbereich ist seit Etablierung der endo-
vaskulären Techniken deutlich seltener
geworden. Sie ist aber unverzichtbar ins-
besondere beim Therapieversagen nach
vorangegangener endovaskulärer Tech-
nik. Die Gefässchirurgie hat darüber hin-
aus ihren Stellenwert bei der Behandlung
zentraler Verschlüsse (AortoIliakal) und
langstreckiger Läsionen in der Peripherie                                                                 Dr. med.
(Femoro-Popliteal/Crural) (3,4,7) (Tab. 3).                                                               Saulius Korsakas

                                                                                                          Kontaktadresse:
                                                                                                          Angiologische Praxis
      Bild 4: Kniegelenks-überschreitender                                                                Lützelmattstrasse 1
      Femoro-Poplitealer Venenbypass                                                                      6006 Luzern
      Proximale und distale Anschlussstelle                                                               www.angiologie-luzern.ch
      /Anastomose (Pfeile rot)                                                                            angiologie-luzern@hin.ch

                                                                                                                    Luzerner
                                                                                                                  Luzerner   Arzt
                                                                                                                           Arzt 122122/2020 3
                                                                                                                                    / 2020 13
Lokalisation                                        Pathologie                Länge /Ausmass                Therapie
 Intrabdominal                 Aorto-Iliakal         Verschluss/Stenose        >5 cm                         Bypass/Y-Prothese
 Leiste                        Femoral               Verschluss/Stenose        unabhängig                    Femoralis-TEA
 Oberschenkel                  Fem-Popliteal         Verschluss/Stenose        >25 cm                        Fem-Pop PI Bypass
 Ober/Unterschenkel            Fem-Popliteal         Verschluss/Stenose        >25 cm                        Fem-Pop PIII Bypass
 Ober/Unterschenkel            Fem-Crural            Verschluss/Stenose        >25 cm / multiseg.            Fem-Cruraler Bypass*
Tab. 3: Gefässchirurgische First-Line-Behandlung nach Lokalisation und Pathologie (TEA=Thrombendartiektomie=Ausschälplastik)
*Operationsfähigkeit (fit for surgery), Vorhandensein Bypassmaterial; Lebenserwartung >2 Jahre

Hybrid-Verfahren
Häufig liegt bei der PAVK ein «Mehr-              somit weniger belastend für den Patien-           der Leiste mit zusätzlicher Intervention
Etagen-Problem» vor. Durch die Kombi-             ten durchzuführen. Den klassischen Fall           (Angioplastie/Stent) im Becken kann
nation endovaskulärer mit offen-gefäss-           stellt die Stenose oder der Verschluss            häufig eine grössere abdominelle Opera-
chirurgischen Techniken besteht die               der Beckenarterie kombiniert mit einer            tion vermieden werden (3,4,7) (Tab 4).
Möglichkeit simultan oder auch zeitlich           Stenose der Leistenarterie/AFC dar.
versetzt die Therapie weniger invasiv und         Durch die lokal begrenzte Operation in

 Lokalisation                                        Pathologie               Länge /Ausmass                 Therapie
 Intraabdominal+Leiste Iliako-Femoral                Verschluss/Stenose       5 – 15cm / multisegmental Femoralis TEA+Stent Iliakal
 Leiste+Oberschenkel           Femoro-Femoral        Verschluss/Stenose       2x / Jahr) nach endovaskulärer         Morphologische     Unregelmässigkeiten            zerstören.

Kooperation und Interdisziplinarität
Wesentlich für das frühzeitige Erkennen           optimale und individuell an den Patien-           Aus gefässmedizinischer Sicht ist jedoch
und die daraus abgeleitete Diagnostik             ten angepasste Therapie (konservativ/en-          gerade diese vertrauensvolle Zusammen-
und Therapie sind die vertrauensvolle             dovaskulär/operativ). Die «real-world»            arbeit das wesentliche Rezept zum lang-
Zusammenarbeit der beteiligten Ärz-               Situation einer solch vertrauensvollen            fristigen Erfolg. Sie stellt sicher, dass für
te und Spezialisten. Als primärem An-             Zusammenarbeit von Spezialisten ist in            den Patienten ein breites Spektrum an
sprechpartner des Patienten kommt dem             Zeiten von DRG, TARMED und ökono-                 Therapieoptionen zur Verfügung steht
Hausarzt die Schlüsselrolle in der Erken-         mischen Zwängen, unabhängig von der               und eine massgeschneiderte optimale Be-
nung und Behandlungsorganisation zu.              Organisationsstruktur komplex und nicht           handlung entsprechend dem Prinzip «so-
Auf fachärztlicher Ebene (Angiologie/             selbstverständlich. Der vielbemühte Be-           wenig wie möglich, aber so viel wie nötig»
Gefässchirurgie) hat sich eine enge Ko-           griff der «Interdisziplinarität» ist daher in     gewährleistet wird.
operation auf Vertrauensbasis als un-             vielen Fällen mehr ein theoretisches Kon-
verzichtbar erwiesen. Sie garantiert eine         strukt als gelebte Realität.

14  Luzerner Arzt 122 / 2020
Nachkontrolle
Ein Gefässpatient bleibt unabhängig von              behandlungsbedürftiger subklinischer und            xität vorangegangener Behandlungen. In
der durchgeführten Behandlung lebens-                klinischer Verschlechterungen. Eine zeit-           der Regel liegen die Kontrollen bei 6 –12
lang ein Gefässpatient, da der Erfolg/das            gerechte elektive Behandlung kann in der            Monatsabständen (1– 2x / Jahr). Zu häufig
Ergebnis aller Therapien zeitlich limitiert          Regel das Ausmass und die Invasivität im            durchgeführte Nachuntersuchungen oder
ist und die Erkrankung mit dem Alter                 Vergleich zur Notfallversorgung deutlich            auch Therapieintervalle innerhalb kurzer
kontinuierlich fortschreitet. Gefässpati-            reduzieren. Kontrollen mittels Verschluss-          Zeit (>3x/Jahr) an derselben Extremität
enten bedürfen daher einer regelmässigen             druckmessung (ABI) und Duplexsono-                  müssen insbesondere unter dem Aspekt
und lebenslangen gefässmedizinischen                 graphie sind hier meist ausreichend. Die            der Verfahrensauswahl und Behandlungs-
Nachkontrolle. Ziel dieses konsequenten              Nachkontrollintervalle orientieren sich             qualität kritisch beurteilt werden (3,4,7).
«Follow-up» ist das frühzeitige Erkennen             primär an der Pathologie oder Komple-

Fazit für die Praxis
• Demographische Zunahme der PAVK                    • Pathologischer ABI 2x / Jahr)
  Verfahren (ABI-Bestimmung /
  Duplexsonographie)

Referenzen
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   mie Gefässchirurgie 2015 20:182                      schlusskrankheit DÄB 2016 Okt (43):729-736          handlung der peripheren arteriellen Verschluss-
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   gnosis and Treatment of Peripheral Arterial          arterial Disease in the elderly: The Rotterdam

                                                                                     Blick in eines der neuen
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                                                                                                                                          Arzt 122122/2020 5
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