Investors' Outlook Bloss keine Kohle zu Weihnachten - Dezember 2021 / Januar 2022 - Vontobel

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Investors' Outlook Bloss keine Kohle zu Weihnachten - Dezember 2021 / Januar 2022 - Vontobel
Investors’
Outlook
Bloss keine Kohle zu Weihnachten

      Dezember 2021 /
      Januar 2022
Investors' Outlook Bloss keine Kohle zu Weihnachten - Dezember 2021 / Januar 2022 - Vontobel
2   Inhalt                                                  Impressum

                             6

                                                            Herausgeber

                                                       12
                                                            Bank Vontobel AG
                                                            Gotthardstrasse 43
                                                            8022 Zürich

                                                            Redaktion
                                                            Martin Gelnar

                                                            Autoren*
                                                            Dr. Reto Cueni
                                                            Chief Economist,
                                                            Vontobel
                                                            Stefan Eppenberger
                                                            Equity & Commodity Strategist,
                                                            Vontobel
                                                            Frank Häusler
                                                            Chief Investment Strategist,
                                                            Vontobel
                                                            Michaela Huber

     3                                                      Economist,
                                                            Vontobel

     Editorial                                              Daniel Maier, CFA
                                                            Head Thematic Investing,
                                                            Vontobel
                                                            Mario Montagnani

     4                                                      Senior Investment Strategist,
                                                            Vontobel

     Anlagestrategie
                                                            Sandrine Perret
                                                            Senior Economist,
                                                            Fixed Income Strategist,
     Wir bleiben bei unserer Positionierung –               Vontobel
                                                            Dr. Sven Schubert
     trotz Inflations- und Energiesorgen                    Senior Investment Strategist,
                                                            Head of Strategy Currencies,
                                                            Vontobel
     6                                                      Dan Scott
                                                            Chief Investment Officer,

     Makro-Highlights                                       Head of Investments & Thematics,
                                                            Vontobel

     Das nächste Jahr wird                                  Erscheinungsweise
     härter, besser, zäher, grüner                          Zehnmal pro Jahr
                                                            (nächste Ausgabe Februar 2022)

     12
                                                            Konzept
                                                            MetaDesign AG

     Viewpoint                                              Gestaltung & Realisation
                                                            Vontobel
     Thematische (Mega-) Trends                             Bilder
     bleiben oft ein Leben lang – wie Freundschaften        Gettyimages,
                                                            Vontobel

     16                                                     Redaktionsschluss
                                                            26. November 2021

     Anlageklassen im Fokus                                 Bemerkungen
                                                            * Siehe Seite 21 «Rechtliche Hinweise»:
                                                              Analystenbestätigung

     20
     Prognosen
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Editorial           3

Bloss keine Kohle zu Weihnachten

Welche Geschenke wird uns der Weihnachtsmann dieses                                   —
Jahr bescheren? Wird sein Schlitten schwer beladen sein                               Dan Scott
                                                                                      Chief Investment Officer,
mit Plastikspielzeug und «Fast Fashion» aus der Ferne?                                Head of Impact & Thematics,
Oder werden seine Rentiere eine leichtere Last zu ziehen                              Vontobel
haben, da die Containerschiffe mit all den guten Gaben
noch im Hafen festsitzen? In jedem Fall wird uns der Rau-
schebart eines wohl nicht bescheren, weil es zunehmend
als toxisch wahrgenommen wird: Kohle. Das gilt auch für
seine Kollegin in Italien, die Hexe Befana, die dieses Jahr
wohl kaum «Carbone»-Stücke verteilen wird.

Kohle, einst willkommener Brennstoff zur Winterzeit, gilt      speicherung können wir es uns nicht leisten, unsere
mancherorts – ähnlich wie die Rute von Knecht Ruprecht         Abhängigkeit von erneuerbaren Energien zu vergrössern.
am Nikolaustag – als Strafe für unartige Kinder, wenn sie      Batterien eignen sich derzeit noch nicht zur Speicherung
zur Bescherung im Weihnachtsstrumpf landet. Und heute,         erneuerbarer Energie im industriellen Massstab. Zwar gibt
vor dem Hintergrund des Ringens um den Kohleausstieg           es andere technische Lösungen wie Pumpspeicherkraft-
auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow, ist sie noch wei-        werke, wie sie in der Schweiz zum Einsatz kommen, oder
ter in der allgemeinen Gunst gesunken.                         Energiespeicherung durch Schwungräder oder Druckluft.
                                                               Aber keine von ihnen ist so effizient wie die herkömmli-
Die Alternativen: erneuerbare Energie oder                     chen (umweltverschmutzenden) Arten der Stromerzeu-
gar Atomstrom?                                                 gung. Wenn wir ernsthaft Klimaneutralität bis 2050 errei-
Der Spruch «Finger weg von Kohle» könnte einer unserer         chen wollen, müssen wir unsere Einstellung zur
Vorsätze für das neue Jahr sein, aber wir wissen, wie es       Kernenergie möglicherweise überdenken – ein umstritte-
um gute Vorsätze oft bestellt ist. Wir alle sind uns bei der   ner Vorschlag, den angesichts der Abkehr von fossilen
Richtung einig: Die Treibhausgasemissionen müssen              Brennstoffen aber viele Länder zunehmend in Betracht
weltweit rasch reduziert werden. Doch wie so viele gute        ziehen.
Vorsätze könnte sich das Ziel der Klimaneutralität bis zum
Jahr 2050 (oder sogar früher) als zu ehrgeizig erweisen.       Ist die Zeit reif für eine «De-Carb-Diät»?
Unsere Stromnetze mögen die Abhängigkeit von Kohle             Nach der Völlerei des industriellen Zeitalters werden wir
verringert haben, sind dafür aber stark auf Gas angewie-       nun hoffentlich auf kohlearme Kost setzen und zum
sen (ca. 60 Prozent). Erneuerbare Energien machen weni-        Wohle des Planeten und unserer Kinder eine «De-Carb-
ger als 30 Prozent aus.                                        Diät» beginnen. Gleichzeitig müssen wir jedoch bei unse-
                                                               ren guten Vorsätzen realistisch bleiben. Falls uns dies
Dies ist ein grosser Schritt in die richtige Richtung.         nicht gelingt, könnten wir auf eine Energiekrise zusteuern,
Gleichwohl wissen wir, wie anfällig unsere Netze sind,         in der viele Haushalte ihre Heizkosten nicht mehr tragen
wenn weder die Sonne scheint noch der Wind weht. Man           können. In diesem Fall würden sich die energiehungrigen
denke auch an den Extremwinter in US-Bundesstaat               Verbraucher wohl Befana mit einem Sack voller Kohle
Texas im letzten Jahr, in dem die Windkraftanlagen buch-       herbeiwünschen oder die Rute von Knecht Ruprecht ver-
stäblich einfroren. Ohne Innovationen bei der Energie-         feuern.

                                                                   Webcast
                                                               Um unseren Webcast zu den neuesten Markt-
                                                               entwicklungen zu sehen, klicken Sie bitte auf
                                                               folgenden Link: vonto.be/macro-de-dec21
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4   Anlagestrategie

     —                              —
     Frank Häusler                  Mario Montagnani
     Chief Investment Strategist,   Senior Investment Strategist,
     Vontobel                       Vontobel

     Wir bleiben bei unserer Positionierung –
     trotz Inflations- und Energiesorgen

     Für gewöhnlich kehrt zur Weihnachtszeit etwas Ruhe ein.        Im Gegensatz zur Nervosität an den Finanzmärkten
     Nach einigen hektischen Monaten täte ein bisschen              bewahren wir eine ruhige Hand bei der Allokation. Nach-
     Entschleunigung gut. Doch die Finanzmärkte sind nicht          dem wir das Subsegment «US-Aktien» im Oktober
     gerade entspannt vor dem Jahreswechsel ins 2022.               hochgestuft hatten, bestätigen wir nun unsere moderate
     Dominierendes Thema bleibt die Inflation – ausser in der       Übergewichtung von Aktien. Einer der Vorteile dieser
     Schweiz, die keinen nennenswerten Preisdruck verspürt.         Anlageklasse ist, dass sie eine höhere Inflation besser ver-
     Dies erklärt sich primär durch den Aufwärtstrend des           kraften kann als festverzinsliche Anlagen. Für letztere
     Schweizer Frankens. Kopfzerbrechen bereitet vielen auch        bleibt unsere seit Langem bestehende Untergewichtung
     die Stagflation. Diese ist nicht Teil unseres Szenarios,       ebenfalls in Kraft. Bei alternativen Anlagen mögen Roh-
     denn unseres Erachtens wird das Wirtschaftswachstum            stoffe als eine interessante Chance erscheinen, doch der
     ausreichen, um eine Stagflation zu vermeiden. Zudem            Einstiegszeitpunkt ist nach der jüngsten Rally nicht
     dürfte sich die Inflation 2022 abschwächen. Auf den            optimal. Gold dient weiterhin als wertvoller Puffer gegen
     nächsten Seiten erfahren Sie mehr zu diesen Themen.            unerwartete negative Entwicklungen. Details finden
                                                                    Sie in der Übersicht auf Seite 5 und in den anlageklassen-
                                                                    spezifischen Kommentaren auf den Seiten 16 bis 19.
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5

                              UNTERGEWICHTET    NEUTRAL   ÜBERGEWICHTET
                              stark   leicht              leicht   stark

1                                                                          Unsere leichte Übergewichtung von Barmitteln bleibt
                                                                           bestehen. Viel Liquidität in einem Niedrig- oder
Liquide Mittel                                                             Negativzinsumfeld empfehlen wir zwar nicht, doch
                                                                           eine gewisse Menge ist angemessen, um Kursrück-
                                                                           schläge als Kaufgelegenheiten nutzen zu können.

2                                                                          Wir bleiben bei unserer leicht negativen Haltung.
                                                                           Das aktuelle Zinsniveau ist ungünstig für Anleihen
Anleihen                                                                   und die Aussicht auf langsamer als erwartet sinkende
                                                                           Inflationszahlen verheisst nichts Gutes für die fixen
                                                                           Zinszahlungen auf Anleihen. In Kombination mit
                                                                           den niedrigen Spreads und den etwas höheren Leit-
                                                                           zinsen, die wir in den nächsten zwölf Monaten er-
                                                                           warten, ist Vorsicht angebracht. Unsere Einschätzun-
                                                                           gen der Subsegmente bleiben unverändert. Einige
                                                                           Schwellenländeranleihen bieten weiter solide Renditen,
                                                                           anders als die meisten Staatsanleihen (diese be­­
                                                                           werten wir aber nach wie vor neutral). Investment-
                                                                           Grade-Unternehmensanleihen bleiben uninteressant.
                                                                           Unsere neutrale Bewertung von Hochzinsanleihen
                                                                           bleibt bestehen.

3                                                                          Wir finden unsere Positionierung immer noch ange-
                                                                           messen. Im sogenannten «Post-peak growth»-
Aktien                                                                     Umfeld dürften die Aktienrenditen zwar geringer, aber
                                                                           dennoch positiv ausfallen. Ferner sind wir überzeugt,
                                                                           dass Aktien noch etwas Luft nach oben haben – trotz
                                                                           der jüngsten Rallys und der Aussicht, dass die Noten-
                                                                           banken ihre aussergewöhnlichen Liquiditätsspritzen
                                                                           reduzieren. Darüber hinaus zeigen die jüngst ver­
                                                                           öffentlichten Quartalszahlen, dass viele Unternehmen
                                                                           ihre Margen zu schützen wissen. Und nicht zuletzt
                                                                           werden hohe Dividendenausschüttungen und er-
                                                                           hebliche Aktienrückkäufe erwartet, besonders im
                                                                           wachstumsorientierten US-Unternehmenssektor. Wir
                                                                           behalten unsere doppelte Übergewichtung von US-
                                                                           Aktien bei. Der US-Aktienmarkt bietet einen attraktiven
                                                                           Sektorenmix und einen klareren Wachstumsfokus
                                                                           als der Aktienmarkt der Eurozone, der stärker auf
                                                                           sogenannte «Old Economy»- und Value-Sektoren
                                                                           ausgerichtet ist. Aktien aus der Eurozone stufen wir
                                                                           weiterhin negativ ein, jene aus der Schweiz, Japan
                                                                           und Schwellenländern neutral.

4                                                                          Wir schätzen Gold weiter leicht positiv ein. Uns ist
                                                                           bewusst, dass das Edelmetall möglichen Gegenwind
Gold                                                                       in Form von höheren Zinsen und insbesondere Real-
                                                                           zinsen zu erwarten hat. Dennoch schätzen wir es für
                                                                           Diversifizierungs- und Absicherungszwecke. Im Fall
                                                                           bewaffneter Konflikte oder ungünstiger Inflationsent-
                                                                           wicklungen wäre Gold ein sicherer Hafen. Auch ein –
                                                                           wenngleich unwahrscheinliches – Stagflations-
                                                                           Szenario wäre günstig für das Edelmetall.

5                                                                          Eine weiterhin neutrale Positionierung scheint uns
                                                                           hier vernünftig. Diese Anlageklasse hat im Zuge der
Rohstoffe                                                                  zyklischen Wiederöffnung der Wirtschaft enorm
                                                                           zugelegt, doch die Preise sind zu schnell und zu stark
                                                                           gestiegen. Die längerfristige Prognose ist weiter
                                                                           günstig, da Rohstoffe von den gewaltigen Investiti-
                                                                           onsplänen im Rahmen diverser Dekarbonisierungs-
                                                                           pläne und dem Ungleichgewicht von Angebot und
                                                                           Nachfrage profitieren dürften.

6                                                                          Unsere moderate Untergewichtung von Hedgefonds
                                                                           bleibt bestehen. Unsere neutrale Haltung zu anderen
Alternative                                                                alternativen Anlagen wie Versicherungsverbriefungen
                                                                           behalten wir ebenfalls bei. Daher ändert sich auch
Strategien                                                                 unsere insgesamt neutrale Haltung gegenüber alter-
                                                                           nativen Anlagen nicht.

Veränderung zum Vormonat:   gleich     erhöht     verringert
Investors' Outlook Bloss keine Kohle zu Weihnachten - Dezember 2021 / Januar 2022 - Vontobel
6   Makro-Highlights

Das nächste Jahr
wird härter, besser,
zäher, grüner
Investors' Outlook Bloss keine Kohle zu Weihnachten - Dezember 2021 / Januar 2022 - Vontobel
7

Unsere Titelwahl lehnt sich an den Song «Harder, Better, Faster, Stronger»
von Daft Punk. Das nächste Jahr wird härter: Die in einigen Bereichen
erforderlichen strukturellen Anpassungen in China dürften sich deutlicher
bemerkbar machen. Das nächste Jahr wird besser: Wir erwarten, dass
die pandemiebedingten Ungewissheiten und Lieferkettenprobleme nach-
lassen, die Inflation sich normalisiert und das Wachstum sich abschwächt,
aber solide bleibt. Das nächste Jahr wird zäher: Es wird bohrende Fragen
danach geben, wer für die durch Covid-19 massiv gestiegenen Staatsschulden
aufkommt. Das nächste Jahr wird grüner: Der Klimawandel und die Mass-
nahmen zu seiner Bekämpfung könnten die Pandemie als dominantes Thema
ablösen.

—                                —                                —                                 —
Dr. Reto Cueni                   Michaela Huber                   Sandrine Perret                   Dr. Sven Schubert
Chief Economist,                 Economist,                       Senior Economist,                 Senior Investment Strategist,
Vontobel                         Vontobel                         Fixed Income Strategist,          Head of Strategy Currencies,
                                                                  Vontobel                          Vontobel

Erwartet uns 2022 ein gutes oder schlechtes Wirt-                         In jedem Fall erwarten wir, dass sich die derzeit noch
schaftswachstum? Das hängt vom Vergleichsjahr ab. Wer                     solide Dynamik bis Ende 2022 auf ein Niveau wie vor der
das Durchschnittswachstum des vergangenen Jahres                          Pandemie abschwächt. Je mehr das Wachstum sich dem
heranzieht, dürfte enttäuscht werden. Wer sich dagegen                    Vorkrisen-Trendwachstum nähert (s. Grafik 1), desto här-
an den Durchschnittswerten des Jahrzehnts vor der Pan-                    ter wird es für die Wirtschaft, glänzen zu können. Doch
demie orientiert, dürfte mit dem Plus zufrieden sein. Der                 eine Rückkehr zu «normalen» Wachstumsraten ist wich-
Konsum wird wohl weiter zu den Haupttreibern der Erho-                    tig, um Druck von Lieferketten und Preisen zu nehmen.
lung zählen und die Unternehmen zu zusätzlichen Investi-
tionen motivieren. Die Gesamtnachfrage wird wahr-                         Die Inflation dürfte zurückgehen, zumal sich mehrere preis-
scheinlich nicht mehr deutlich steigen, aber hoch bleiben,                treibende Basiseffekte in der ersten Jahreshälfte 2022
da die Haushalte ungewöhnlich viel gespart und von                        umkehren werden.1 Dies wird die Inflation wohl nahe an
höheren Vermögenspreisen profitiert haben. Wir rechnen                    oder unter das gängige Zwei-Prozent-Ziel der grossen
nicht damit, dass die Staaten ihre fiskalische Unterstüt-                 Notenbanken drücken (s. Grafik 2). Eine plötzliche, uner-
zung schnell reduzieren. Die Wirtschaft dürfte 2022 also                  wartet schnelle Straffung der Geldpolitik wird so un-
nicht von einer «Fiskalklippe» stürzen. Die insgesamt                     wahrscheinlicher. Allerdings werden die Notenbanken
geringeren Staatsausgaben werden Zweitrundeneffekte                       die Unterstützung in den nächsten Quartalen wohl ent-
wie Entlassungen und sektorspezifische Restrukturierun-                   schlossen reduzieren.
gen (z. B. Insolvenzen) wohl verkraftbar machen. Dies
dürfte sich auch durch wichtige politische Ereignisse wie
die französischen Präsidentschaftswahlen im April und
die US-Kongresswahlen im November 2022 kaum ändern
(siehe die Übersicht unseres makroökonomischen Basis-
szenarios in der Tabelle auf S. 9).

1
    Die Inflationsraten sind dieses Jahr gestiegen, teils bedingt durch einen von Energiepreisen ausgehenden Basiseffekt. Die Energie-
    preise brachen ab Februar 2020 massiv ein, blieben im weiteren Jahresverlauf gering und dämpften die Inflation. Deshalb ging
    der Vorjahresvergleich ab Februar von einem sehr niedrigen Referenzwert (einer sehr niedrigen «Basis» 2020) aus, wodurch sich
    die Inflation im Jahr 2021 rein rechnerisch erhöht. Dieser Effekt dürfte sich 2022 umkehren und den Inflationsdruck durch die Energie-
    preise lindern, sofern diese nicht noch deutlich steigen.
Investors' Outlook Bloss keine Kohle zu Weihnachten - Dezember 2021 / Januar 2022 - Vontobel
Makro-Highlights
8

     Was sind die grössten Risiken unseres Basisszenarios?       Grafik 1: USA und Eurozone dürften Vor-Covid-
     Durch den Pandemieverlauf könnte das Wachstum im            Trendwachstum 2022 erreichen; China hinkt hinterher
     Winter wegen neuer Gegenmassnahmen wieder sinken            BIP indexiert auf Vor-Covid-Niveau (Ende 2019)
     und im Sommer zurückschnellen (s. Abschnitt «Euro-          120
     zone»). Zudem könnten härtere Beschränkungen neben          115
     weiteren Faktoren erneut zu Liefer- und Energieeng­         110
     pässen und damit höheren Preisen führen. Diese könnten      105
     dann die Nachfrage drücken (falls die Löhne zu langsam      100
     steigen) oder eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen          95
     (falls die Löhne mit der Inflation steigen) und die hohe      90
     Inflation so verhärten. Eine solche Entwicklung könnte        85
                                                                                                                                   Vontobel-Prognosen

     die Notenbanken zu schnellen Straffungen veranlassen          80
     (s. Abschnitt «USA»). Zudem dürften die chinesischen                 Q4          Q2            Q4         Q2          Q4               Q2       Q4
                                                                         2019        2020          2020       2021        2021             2022     2022
     Immobilien- und sonstigen Wachstumssorgen nicht ein-
     fach verschwinden. Der Erfolg (oder Misserfolg) der                     Eurozone              Trend Eurozone                  Vor-Covid-Niveau
     Regierung bei der Bewältigung dieser Probleme wird                      USA                   Trend USA
                                                                             China                 Trend China
     sich auf die Weltwirtschaft auswirken (s. Abschnitt
     «Emerging Markets»).                                        Quelle: Eurostat, BEA, NBS, Refinitiv Datastream, Vontobel

     Eurozone 2022: Jahr der unsteten Normalisierung
     Eine weitere Runde pandemiebedingter Restriktionen in       Grafik 2: Inflation dürften in Eurozone und USA auf
     mehreren europäischen Ländern könnte die Verbraucher        Notenbankziel zurückgehen
     wieder vom Konsum abhalten. Dies dürfte das Wachstum        Quartalsinflation in % (Veränderung ggü. Vj.)
     in den Wintermonaten dämpfen, im Sommer aber einen          7.0
     weiteren Aufschwung auslösen, sofern sich das saisonale     6.0
     Muster der Covid-Einschränkungen fortsetzt. Die Wirt-       5.0
     schaftsentwicklung hängt davon ab, wie Staaten die          4.0
     Schliessungen und Öffnungen steuern, ob Unternehmen         3.0
     angesichts dieser Steuerung investieren und vorauspla-      2.0
     nen können und wie sich dies auf den Verbrauch der          1.0
     Haushalte auswirkt. Bislang berücksichtigen wir in unse-      0
                                                                                                                                   Vontobel-Prognosen

     rer Prognose für die Eurozone keine Veränderung des          −1
     Konsumklimas und rechnen weiter mit steigendem priva-                Q1   Q2   Q3   Q4   Q1   Q2   Q3   Q4   Q1   Q2   Q3   Q4
                                                                         2020 2020 2020 2020 2021 2021 2021 2021 2022 2022 2022 2022
     tem Konsum, sofern die Einschränkungen das zulassen.
     Ferner erwarten wir, dass die Staatsausgaben 2022 zwar                  Eurozone              USA      China
     hinter jenen von 2021 zurückbleiben, jedoch für eine        Quelle: Eurostat, BLS, NBS, Refinitiv Datastream, Vontobel
     Stützung der Konjunkturerholung ausreichen (insbeson-
     dere wegen der EU-Aufbaufondsmittel für die Peripherie-
     länder) – selbst bei temporär rigorosen Einschränkungen.
     Somit prognostizieren wir ein im Vergleich zu 5 Prozent     Grafik 3: Verbraucher haben noch Kaufkraft dank
     für 2021 weiterhin günstiges Jahreswachstum von             hoher Ersparnisse in der Pandemie
     4,4 Prozent für 2022.                                       Haushaltsersparnisse in % des verfügbaren Einkommens

                                                                   30
     Die Inflation in der Eurozone dürfte im zweiten Halbjahr      25
     2022 unter das Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB)        20
     fallen. Daher rechnen wir nicht mit einer baldigen Straf-     15
     fung der Geldpolitik (erster Zinsschritt nicht vor 2023).     10
     Die Anleihenkäufe der EZB dürften nächsten Sommer              5
     immer noch 20 – 40 Milliarden Euro monatlich betragen,         0
     gegenüber derzeit über 80 Milliarden. Die französischen            00      02     04     06      08     10      12       14      16     18    20

     Wahlen sollten kaum Überraschungen bieten. Laut aktu-                   Eurozone
     ellen Umfragen wird Macron oder ein wirtschaftsfreund-      Quellen: Eurostat, Refinitiv Datastream, Vontobel, Daten per Q2 2021
     licher Kandidat der Konkurrenz-Partei «Les Republicains»
     im zweiten Wahlgang siegen.
Investors' Outlook Bloss keine Kohle zu Weihnachten - Dezember 2021 / Januar 2022 - Vontobel
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Unser ökonomisches Basisszenario für 2022:
Härter, besser, zäher, grüner – und was es gefährden könnte

                              –   Global: Nach überschrittenem Höhepunkt weiter gutes Wachstum, Inflations-
                                  normalisierung im H1, starke, aber weniger üppige fiskalpolitische Unterstützung
                              –   USA: Wachstumsverlangsamung auf Niveau vor der Pandemie, Inflations-
    «Härter, besser,
     zäher, grüner»
     Basisszenario:

                                  n­ormalisierung zum Sommer hin, starke fiskalpolitische Unterstützung
                              –   Eurozone: Langsameres Wachstum, aber über Vorkrisenniveau, abklingende
                                  Inflation im H1, funktionierender Aufbaufonds
                              –   China: Schwaches Wachstum zu Jahresbeginn, stärkere fiskal- und geld­
                                  politische Unterstützung ab Frühjahr
                              –   Notenbanken: Schrittweise Reduzierung der geldpolitischen Unterstützung,
                                  in den USA schneller als in der Eurozone

                              Die folgenden Risiken könnten sich erheblich auf unser Basisszenario
                              auswirken, indem sie eine stärker positive oder negative Entwicklung auslösen:
    die unser Basisszenario

                              – Lieferengpässe könnten sich verschärfen, die Preise antreiben und die Nach-
      gefährden könnten
       Wichtige Risiken,

                                 frage drücken, sofern das Lohnwachstum nicht mithält
                              – Stärkere fiskalpolitische Massnahmen und eine schnellere Umsetzung
                                 könnten Nachfrage und Inflation ankurbeln
                              – Covid-Ungewissheit könnte ausgeprägt bleiben, die Dienstleistungsnach-
                                 frage belasten und die Zweitrundeneffekte eskalieren lassen
                              – Eine eskalierende Immobilienkrise in China und ungeeignete geld- und fiskal-
                                 politische Massnahmen könnten wirtschaftliche Turbulenzen auslösen
                              – Die Notenbanken könnten angesichts der erhöhten Inflation die Geduld ver-
                                 lieren – eine schnelle Straffung der Geldpolitik würde das Wachstum drücken

                              Makrothemen, die wir mit Blick auf 2022 für wichtig halten:
                              – Härter: Erforderliche strukturelle Anpassungen des chinesischen Immobilien-
       Makrothemen

                                sektors belasten das Wachstum und die diplomatischen Beziehungen
         für 2022

                              – Besser: Ungleichgewichte bei Angebot und Nachfrage als Auslöser der
                                starken Inflation und der Energiekrise nehmen 2022 ab
                              – Zäher: Die langfristigen Auswirkungen von Covid-19 treten zutage:
                                weniger fiskalpolitische Unterstützung, höhere Schulden und Steuern
                              – Grüner: Das Bewusstsein für den Klimawandel wächst – wie auch
                                die Dringlichkeit drastischer (weiterer) Massnahmen und Bestimmungen

Quelle: Datastream, Vontobel
Investors' Outlook Bloss keine Kohle zu Weihnachten - Dezember 2021 / Januar 2022 - Vontobel
10 Makro-Highlights

    USA 2022: Nachlassende Inflation, steigende Zinsen           Japan 2022: Erholung zuerst, Normalisierung später
    Die USA werden stärker ins Jahr 2022 starten: Die Wirt-      Wegen Covid-19 und einer Reihe von Notfallmassnahmen
    schaft dürfte im vierten Quartal 2021 wieder kräftiger       war Japan ein später Gast auf der «Erholungsparty».
    anziehen, nachdem sie im dritten mit 2,1 Prozent annuali-    Unserer Meinung nach sollte sich das jüngst verkündete
    siert schwächer gewachsen war. Die erwartete Rate von        Konjunkturpaket positiv auf die Konsumentenstimmung
    vier Prozent für 2022 insgesamt würde bedeuten, dass         und den Konsum auswirken. Zudem dürften viele der
    das Wachstum stärker bleibt als vor der Pandemie. Wir        angebotsseitigen Belastungen der heimischen Produzen-
    erwarten weiter steigende Dienstleistungsausgaben und        ten in den kommenden Monaten nachlassen.
    eine anhaltend solide, aber nachlassende Güternach-
    frage. Eine schwächere Verbrauchernachfrage dürfte           Was könnte unser Basisszenario gefährden? Einerseits
    durch den Nachholbedarf bei den Lagerbeständen von           würde etwa eine Konjunktureintrübung in den USA oder
    Endprodukten kompensiert werden. Dies dürfte die             in China dem exportabhängigen Japan schaden. Ande-
    Produktion des verarbeitenen Gewerbes durch das Jahr         rerseits muss der frisch gewählte Premierminister Fumio
    hindurch stützen.                                            Kishida noch zeigen, dass er die Öffentlichkeit überzeu-
                                                                 gen kann. Scheitert er, könnte seine Amtszeit so kurz
    Die US-Gesamtinflation hat mit 6,2 Prozent im Oktober        ausfallen wie die seines Vorgängers. Zu beobachten
    im Vorjahresvergleich ein 30-Jahres-Hoch erreicht. Der       bleibt auch das unerwartet grosse Konjunkturpaket,
    Preisdruck wird mindestens bis zum zweiten Quartal           durch das die Wirtschaft überhitzen könnte. Naturkatast-
    2022 erhöht bleiben. Dann werden negative Basiseffekte       rophen wie Erdbeben sind ein weiteres japanspezifisches
    und nachlassende angebotsseitige Probleme zur schritt-       Risiko.
    weisen Dämpfung der Inflation beitragen. Die Inflation
    könnte hartnäckiger sein als gedacht. Dennoch rechnen        Emerging Markets / China 2022: Mehr statt weniger
    wir nicht mit exorbitanten Preissteigerungen oder sich       Konjunkturmassnahmen
    eintrübenden Verbrauchererwartungen. Die US-Noten-           Nach einem zu erwartenden kräftigen Plus von 6,6 Pro-
    bank Fed scheint indes entschlossen, die Anleihenkäufe       zent 2021 dürfte sich das Wachstum der Schwellenländer
    bis Mitte 2022 einzustellen und dann in der zweiten Jah-     2022 abschwächen. Die geldpolitische Straffung in vielen
    reshälfte mit Leitzinserhöhungen zu beginnen. Joe Biden      Ländern, die im ersten Halbjahr 2021 begann, dürfte
    hat Jerome Powell für eine zweite Amtszeit als Fed-Vor-      nächstes Jahr ihren Tribut fordern. Zudem könnten einige
    sitzender und Lael Brainard als Vize-Vorsitzende nomi-       EM-Anlagen angesichts wahrscheinlich steigender Leit-
    niert. Dies wird für Kontinuität an der Fed-Spitze und für   zinsen in den Industrieländern für Anleger an Attraktivität
    einen reibungslosen Ausstieg aus der expansiven Geld-        verlieren, was der regionalen Konjunktur schaden würde.
    politik sorgen. Das Risiko steigender Inflation impliziert   Dennoch rechnen wir für die Schwellenländer 2022 mit
    aber, dass die Notenbank notfalls restriktiver agieren       einer soliden Wachstumsrate von mindestens 4,4 Prozent.
    könnte. Dies würde unerwartet frühe und kräftige Zinser-     Die Inflation dürfte nächstes Frühjahr ihren Höhepunkt
    höhungen bedeuten – vielleicht schon Ende des zweiten        erreichen, wenn steigende Temperaturen den Brennstoff-
    Quartals. Mit einem solchen Szenario rechnen wir nur,        bedarf und damit die Rohstoffpreise unter Kontrolle brin-
    wenn schneller wieder Vollbeschäftigung herrscht und         gen. Ferner ist auch bei den Lieferengpässen (Container,
    die Lohnsteigerungen breitere Schichten erreichen.           Halbleiter) mit Besserung zu rechnen.

    Die demokratische Partei von Biden könnte bei den Kon-       Die Unwägbarkeiten bei unserer Prognose gehen auf den
    gresswahlen im November 2022 ihre knappe Mehrheit in         üblichen Verdächtigen China zurück. Die überschuldeten
    einer oder beiden Kammern des US-Kongresses verlie-          chinesischen Immobilienentwickler könnten in der
    ren. Dies wäre ein weiteres Problem für den Präsidenten,     Finanzbranche immer noch Wellen schlagen und die
    der derzeit geringe Zustimmung geniesst – trotz eines        Haushalte belasten. Die Folgen würden über die Schwel-
    ersten legislativen Erfolgs durch sein Gesetz über Infra-    lenländer hinausgehen. Allerdings haben die chinesi-
    strukturinvestitionen in Höhe von USD 1.2 Billionen. Seine   schen Behörden schon reagiert. Weitere Schritte zur Sta-
    künftige Beliebtheit hängt stark davon ab, ob er dieses      bilisierung des Immobiliensektors könnten folgen. Die
    Jahr oder Anfang nächsten Jahres zusätzlich das USD          chinesische Notenbank hat ihre Politik Anfang des Jahres
    1,75 Billionen schwere «Build-Back-Better»-Gesetz über       bereits von Normalisierung und Schuldenabbau auf
    Investitionen in Gesellschaft und Klimaschutz durchsetzt.    moderate Lockerung umgestellt. Es sind wohl weitere
                                                                 Massnahmen nötig, damit das von uns für 2022 prognos-
                                                                 tizierte chinesische Wachstum von 5,5 Prozent erreicht
                                                                 werden kann, doch wir bleiben optimistisch.
11

Je nach Umfang der Konjunkturmassnahmen könnte sich
die Lage schnell aufhellen. Vielleicht bietet dies nach
einem düsteren Jahr 2021 eine Kaufgelegenheit für EM-
Anlagen. Anleger und Ökonomen könnten 2022 zudem
von gelockerten Covid-19-Einschränkungen überrascht
werden – ermöglicht durch intensive Impfprogramme in
vielen Schwellenländern. Südostasien und Lateinamerika
würden so womöglich zu attraktiven Zielen für die wich-
tige Tourismusbranche. Abzuwarten bleibt, ob China
seine Null-Covid-Strategie nach der Winterolympiade in
Peking aufgibt.

Grafik 4: Anfang 2022 starker Dienstleistungssektor                                          Grafik 5: Immer noch weit entfernt von ihrem Inflations-
erwartet, später dann Normalisierung in Sicht                                                ziel hat Japans Notenbank wenig Spielraum
Index (Non-Manufacturing ISM und Komponenten)                                                Inflation in % (ggü. Vj.)                                     In Bio. Yen

  90                                                                                          4                                                                   800
  80                                                                                          3                                                                   600
  70                                                                                          2
                                                                                                                                                                  400
  60                                                                                          1
                                                                                                                                                                  200
  50                                                                                          0
                                                                                                                                                                     0
  40                                                                                         −1
  30                                                                                         −2                                                                   −200
  20                                                                                         −3                                                                   −400
           2016           2017           2018          2019       2020           2021             2008        2010       2012         2014   2016   2018   2020

           Non-Manuf. ISM gesamt                       Auftragseingang                                Japanische Gesamtinflation
           Beschäftigung                               Gezahlte Preise                                Jap. Kerninflation (ohne frische Nahrungsmittel)
           Geschäftsaktivität                          Lieferungen                                    Jap. «Kern-Kern»-Inflation (ohne fr. Nahrungsm./Energie)
                                                                                                      Bilanz der Bank of Japan (rechte Skala)
Quelle: Refinitiv Datastream, Institute for Supply Management (ISM), Vontobel
                                                                                             Quelle: Refinitiv Datastream, Vontobel

Grafik 6: Chinesischer Immobilienmarkt vor scharfer
Korrektur
Veränderung ggü. Vj. in %, 3-Monats-Durchschnitt

120
100
  80
  60
  40
  20
   0
−20
−40
       2005       2007    2009     2011         2013    2015   2017      2019     2021

         4-jähr. Zyklus     3-jähr. Zyklus   3-jähr. Zyklus     5-jähr. Zyklus      1 Jahr

           Immobilienfläche im Bau
           Immobilienfläche im Verkauf

Quelle: Refinitiv Datastream, Vontobel
12 Viewpoint

    Thematische (Mega-) Trends
    bleiben oft ein Leben lang –
    wie Freundschaften
    Es heisst: «The trend is your friend». Doch wie unterscheidet man als Anleger
    kurzfristige Trends von solchen, die Jahrzehnte Bestand haben? Wir sind
    der Auffassung, dass unser auf «Megatrends» ausgerichteter Anlageansatz
    eine Antwort auf diese Frage liefert. Bei einer Freundschaft zählen die inneren
    Werte – bei Megatrends sind es die eingebetteten Themen, die potenzielle
    Anlagechancen bieten.

    —                          —
    Daniel Maier, CFA          Dan Scott
    Head Thematic Investing,   Chief Investment Officer,
    Vontobel                   Head of Impact & Thematics,
                               Vontobel
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Für uns verbinden Megatrends enorme Beständigkeit, die
an die Verschiebung tektonischer Platten erinnert, mit der
Flexibilität, auf tiefgreifende Veränderungen einzugehen.
Sie bleiben jahrzehntelang aktuell und haben das Poten-
zial, unseren Alltag zu beeinflussen. Ein Beispiel für eine
Verschiebung dieser Art ist der Übergang vom Industrie-
zum Informationszeitalter, den der Autor und Futurist
John Naisbitt1 in den 1980er Jahren voraussagte, und die
damit verbundenen technischen Errungenschaften wie
PC, Internet und Mobiltelefon. Als Vermögensverwalter
mit einer Megatrend-Strategie sind wir bestrebt, Ver-
schiebungen zu antizipieren, die unser Leben verändern
können. Vier solcher Megatrends stehen derzeit auf unse-
rer Liste:

–   Nachhaltige Wertschöpfung
    Die Nachfrage der Anleger nach Unternehmen mit
    hohen Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards
    wächst. Solche Unternehmen sind in Bereichen wie
    Energieerzeugung, Mobilität und Recycling zu finden.

–   Eine multipolare Welt
    Der Aufstieg Chinas und anderer Schwellenländer hat
    die Weltwirtschaftsordnung auf den Kopf gestellt.
    Angesichts neuer Wettbewerber und Verbraucher, die
    international auf den Plan treten, werden Computer-
    netzwerke und die Verfügbarkeit und Sicherheit von
    Daten immer wichtiger.

–   Demografische Entwicklung und Verstädterung
    Heute leben mehr Menschen in Städten als je zuvor.
    Sie entwickeln neue Konsumgewohnheiten und nut-
    zen neue Unterhaltungsformen wie E-Sport. Gleich-
    zeitig kommt es in Industrieländern zu einer raschen
    Alterung der Gesellschaft, wodurch die Zahl der
    Arbeitskräfte zurückgeht und das Gesundheitswesen
    unter Druck gerät.

–   Technologiekonvergenz
    Die Digitalisierung macht der analogen Welt zuneh-
    mend Konkurrenz, und die Art und Weise, in der wir
    Geschäfte oder Zahlungen tätigen, verändert sich
    rasant. Neben E-Commerce, autonomen Fahrzeugen
    und Robotertechnik gibt es zahlreiche weitere Berei-
    che, in denen Konnektivität und künstliche Intelligenz
    eine wichtige Rolle spielen.

1
    «Megatrends: Ten New Directions Transforming our Lives»,
    1982 von John Naisbitt nach fast zehn Jahren Forschung
    veröffentlicht, wurde ein internationaler Erfolg.
14 Viewpoint

    Aus Megatrends resultierende Themen …

                                                                           Wasser

                  Intelligentes Gesundheitswesen                                                               Cloud Computing

                  Smart Farming und
                                                                                                                               Disruptoren
             Lebensmitteltechnologie

                                                        Demografische Ent-
                                                        wicklung und Ver-
      Nachhaltige Infrastruktur                         städterung              Technologiekonvergenz                                 E-Commerce

                                                        Multipolare Welt        Nachhaltige Wertschöp-
                                                                                fung

     Marken der neuen Generation                                                                                                    Energiewende

           Förderung guter Entwicklungen                                                                                Ära der Robotertechnik

                                                   Fintech                                            E-Sport & Gaming

    … und die entsprechenden Wachstumsraten

    In %
                                              E-Commerce                                                                                               19.8

                                          Cloud Computing                                                                                  17.2

                            Intelligentes Gesundheitswesen                                                                              16.4

                                         E-Sport & Gaming                                                                               16.3

                                                    Fintech                                                             11.7

                                             Energiewende                                                               11.5

                                                Disruptoren                                                      10.5

                                        Die Ära der Robotik                                                      10.4

                            Förderung guter Entwicklungen                                                        10.2

                              Marken der neuen Generation                                                       9.5

      Intelligente Landwirtschaft u. Lebensmitteltechnologie                                    6.3

                                   Nachhaltige Infrastruktur                                    6.2

                                                    Wasser                                    5.8

                                               Globales BIP                             4.3

                                                               0                    5                     10                   15                 20          25

    *	Erwartete durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (CAGR) von Unternehmen im thematischen Anlageuniversum ggü.
       globalen Wachstumsprognosen (CAGR 2021 – 2023 für alle Kennzahlen, BIP-Daten des IWF per 19. November 2021)

    Quelle: Bloomberg, MSCI, Internationaler Währungsfonds, Vontobel
15

Angesichts einer an Tempo verlierenden Weltkonjunktur        Thematische Anlagen können, müssen aber nicht
erscheint uns die aufmerksame Suche nach Marktni-            nachhaltig sein
schen mit hohem Wachstumspotenzial als vernünftiger          Thematisches Investieren liegt immer mehr im
Ansatz. Viele Unternehmen in diesen Bereich kommen für       Trend und ist eng mit der Popularität «nachhaltiger»
unser Megatrends-Portfolio infrage. Die Themenfelder, für    Anlagen verbunden. Man muss sich jedoch vor
die sie stehen, warten nur darauf, bestellt zu werden        Augen halten, dass thematische Anlagen nicht
(vgl. Grafik).                                               immer nachhaltig sind. Viele Themen wie Cloud
                                                             Computing, Robotertechnik, E-Sports und Mobile
Die Macht der Schnittmengen                                  Gaming haben kaum etwas mit positiven ökologi-
Die thematische Übersicht zeigt den hohen Grad an            schen oder sozialen Veränderungen zu tun. Demge-
Diversifizierung unserer Megatrends-Strategie: Risiken,      genüber fügt sich das sogenannte «Impact Inves-
die während bestimmter Marktphasen mit einigen The-          ting» – ein weiterer zunehmend populärer
men einhergehen, stehen Chancen im Bereich anderer           Anlageansatz – passgenau in die Nachhaltigkeits-
Themen gegenüber, die sie im Idealfall mehr als ausglei-     kategorie. Was also unterscheidet thematische von
chen. Die Risikominderung geht also mit dem Ziel der         nachhaltigen Anlagen oder Impact Investing? Kurz
Renditesteigerung Hand in Hand. Wahre Schätze lassen         gesagt: Thematische Anlagen konzentrieren sich
sich häufig in Bereichen finden, in denen sich mehrere       auf Chancen im Zusammenhang mit einem oder
Megatrends überschneiden. Ein Beispiel ist «Smart Far-       mehreren Themen im Kontext globaler Megatrends.
ming und Lebensmitteltechnologie». Dieses Thema ver-         Im Fokus nachhaltiger Anlagen stehen unterdessen
eint alle unsere vier Megatrends. Die Herausforderung        Nachhaltigkeitsprinzipien, d. h. ein Portfolio aus
besteht hierbei in der begrenzten Verfügbarkeit von          Unternehmen, die Umwelt-, Sozial- und Gover-
Ackerland und natürlichen Ressourcen, um die wach-           nance-Standards (ESG) einhalten. Impact Investing
sende Weltbevölkerung zu ernähren. Neue Technologien         geht noch einen Schritt weiter und verfolgt konkrete
helfen uns, die Produktion nachhaltig effizienter zu         ökologische und/oder soziale Ziele. Impact-Anleger
gestalten und der Nahrungsmittelverschwendung entge-         erwarten nicht nur solide Renditen. Sie wollen
genzuwirken.                                                 genau nachvollziehen, wie die positiven Beiträge
                                                             der Unternehmen im Portfolio gemessen und
Natürlich können Sie sich als Anleger auf eins oder          gemeldet werden.
mehrere der von uns genannten Themen konzentrieren
und selbst eine Titelauswahl für Ihre thematischen Port-     Mangels Benennungskonventionen kann sich die
folios treffen. Wir sind jedoch der Ansicht, dass unsere     Einordnung eines Finanzprodukts als thematisch,
multithematische Lösung den Zugang zu einem breiten          nachhaltig oder Impact-Produkt schwierig gestal-
Spektrum hochmoderner Industrien und wegweisender            ten. Insbesondere in der Europäischen Union
Unternehmen eröffnet, die von strukturellen Wachstums-       bemüht man sich derzeit darum, nachhaltige Anla-
treibern und Themenreinheit profitieren. Das Portfolio       gen transparenter zu machen – ein Vorreiterprojekt
bietet einen gesunden Mix aus etablierten Titeln und wenig   bei der Kodifizierung «grüner» Produkte. Produkte
bekannten Neulingen. Das sorgt nicht nur für einen hohen     nach «Artikel 9», die die strengsten Auflagen der EU
aktiven Anteil, sondern auch für eine Diversifikation, um    erfüllen, werden zur Verdeutlichung mit zwei dun-
auch unter schwierigen Marktbedingungen bestehen zu          kelgrünen Blättern gekennzeichnet. Vermögensver-
können.                                                      walter mit einem entsprechenden Angebot, das
                                                             zumeist an saubere Technologie, erneuerbare Ener-
Der kanadischen Eishockey-Legende Wayne Gretzky              gien oder andere Impact-Ziele geknüpft ist, müssen
zufolge ist ein guter Spieler dort, wo auch der Puck ist –   nachweisen, inwiefern ihre Produkte dem Nachhal-
ein hervorragender Spieler positioniert sich hingegen        tigkeitsanspruch gerecht werden und die soge-
dort, wo der Puck sein wird. Wir sind überzeugt, dass        nannte «EU-Taxonomie» einhalten – ein von der EU
diese Philosophie auch bei der Anlagetätigkeit den ent-      eigens für diese Initiative eingeführter Begriff. Für
scheidenden Unterschied macht.                               Vermögensverwalter bedeutet dies gründliche Ana-
                                                             lysen und aktiven Kontakt mit den Portfoliounter-
                                                             nehmen.
16 Anleihen

    Potenziell raues Fahrwasser trotz
    wirtschaftlicher Normalisierung
                                                                                   —                                                                                                                            betrachten wir eine relative Bevorzugung von EM-Anlei-
                                                                                   Sandrine Perret                                                                                                              hen gegenüber IG-Unternehmensanleihen weiter als
                                                                                   Senior Economist,
                                                                                   Fixed Income Strategist,                                                                                                     angemessen.
                                                                                   Vontobel
                                                                                                                                                                                                                Geringe oder negative Realrenditen für 2022 erwartet
                                                                                                                                                                                                                Wie schon 2021 dürfte die Aussicht auf auslaufende
                                                                                                                                                                                                                geldpolitische Unterstützung Anleihen auch im kommen-
                                                                                                                                                                                                                den Jahr belasten. Gekoppelt mit den immer noch sehr
                                                                                                                                                                                                                hohen Inflationszahlen Anfang 2022 dürften die erwarte-
                                                                                                                                                                                                                ten Realrenditen für die meisten Niedrigzins-Schuldtitel
    Für die Fixed-Income-Märkte war 2021 durchwachsen.                                                                                                                                                          negativ bleiben. Wir gehen von steigenden Realrenditen
    Vor dem Hintergrund überschrittener Inflationsziele und                                                                                                                                                     für Unternehmensanleihen im Jahresverlauf 2022 aus, da
    der Normalisierung von Renditen verzeichneten High-                                                                                                                                                         die Rekordinflationserwartungen langsam abflauen. Die
    Yield-Anleihen die solidesten Resultate. Ausgehend von                                                                                                                                                      Nominalrenditen dürften ihren moderaten Aufwärtstrend
    Prognosen sinkender Inflation im kommenden Jahr dürf-                                                                                                                                                       zudem fortsetzen: Unsere Drei- und Zwölf-Monats-Prog-
    ten sich die Renditen weiter normalisieren. Aufgrund                                                                                                                                                        nosen für zehnjährige US-Renditen liegen bei 1,7 bzw.
    anhaltend günstiger Finanzierungsbedingungen dürften                                                                                                                                                        1,9 Prozent (vgl. Grafik 2)
    Anleihen auch bei schwindender geldpolitischer Unter-
    stützung stabil bleiben.                                                                                                                                                                                    Da einige Industrienationen mit verhaltenen Zinsanhe-
                                                                                                                                                                                                                bungen beginnen, dürften sich die Renditekurven 2022
    Einen Monat vor dem Jahresende 2021 weisen High-                                                                                                                                                            grösstenteils abflachen. Doch da der Markt eine stärkere
    Yield-Anleihen die besten Renditen im Fixed-Income-                                                                                                                                                         Straffung einpreist, als sie einige der Zentralbanken sig-
    Bereich auf, während Staats- und EM-Unternehmensan-                                                                                                                                                         nalisieren, gehen wir davon aus, dass der Anleihenmarkt
    leihen mit einem Minus schliessen dürften (vgl. Grafik 1).                                                                                                                                                  steigende Zinsen recht gut verkraften wird. In den USA
    Nach dem Stand des ICE BofAML Move Index von                                                                                                                                                                sollte auch die Ernennung von Jerome Powell für eine
    80 Punkten Mitte November zu schliessen (der höchste                                                                                                                                                        zweite Amtszeit als Fed-Chef zur allgemeinen Beruhi-
    Wert seit Beginn der Pandemie), sind die Märkte nervös                                                                                                                                                      gung beitragen (siehe auch unseren Artikel «Makro-High-
    und die Volatilität ist erhöht. Ein Grund sind die Absichten                                                                                                                                                lights» auf Seite 6). Bei den Unternehmensanleihen dürf-
    diverser Zentralbanken, die im Zuge der Pandemie ergrif-                                                                                                                                                    ten sich die Rendite-Spreads 2022 angesichts des
    fenen Notfallmassnahmen auslaufen zu lassen. Darüber                                                                                                                                                        derzeit sehr engen Niveaus und der hohen Bewertungen
    hinaus nimmt das Risiko weiter zu, dass höhere Inflations-                                                                                                                                                  leicht ausweiten. Allerdings dürften günstige Finanzie-
    zahlen Zentralbanken wie die Fed zu einer vorzeitigen                                                                                                                                                       rungsbedingungen die Auswirkungen auf diesen Teil des
    Straffung veranlassen könnten. Im Wesentlichen behalten                                                                                                                                                     Marktes begrenzen und die Ausfallquote niedrig halten,
    wir unsere weitgehend negative Prognose für den Anlei-                                                                                                                                                      da die Realrenditen auf einem Niveau knapp über ihren
    henmarkt jedoch bei. Innerhalb der Anlageklasse                                                                                                                                                             historischen Tiefstständen verharren werden.

    Grafik 1 High-Yield- und EM-Unternehmensanleihen mit                                                                                                                                                        Grafik 2: Renditeanstieg 10-j. US-Staatsanleihen auf
    höchsten Renditen 2021                                                                                                                                                                                      2 % bis Ende 2022 erwartet
    Gesamtrendite in Lokalwährung, in %                                                                                                                                                                         Rendite in %

     6                                                                                                                                                                                                          3,5
            4,2               4,2
     4                                                                                                                                                                                                          3,0
     2                                          1,0                                                                                                                                                             2,5
                                                                      0,3
     0                                                                                                                                                                                                          2,0
    −2                                                                                  −1,2                                                                                                                    1,5
                                                                                                 −1,7             −2,0                  −2,1
    −4                                                                                                                                                                                                          1,0
                                                                                                                                                                   −3,6                   −3,8
    −6                                                                                                                                                                                                          0,5
             US-HY-Anleihen

                                                                                                 US-IG-Anleihen

                                                                                                                  EM-Hartwährungsanl.

                                                                                                                                        10-j. dt. Bundesanleihen

                                                                                                                                                                   EM-Lokalwährungsanl.
                              EUR-HY-Anleihen

                                                                      EUR-IG-Anleihen

                                                                                                                                                                                          10-j. US-Treasuries
                                                EM-Unternehmensanl.

                                                                                        US-MBS

                                                                                                                                                                                                                0,0
                                                                                                                                                                                                                          2016      2017     2018        2019   2020   2021   2022   2023

                                                                                                                                                                                                                         10-jährige US-Staatsanleihen
                                                                                                                                                                                                                         3-Monats- / 12-Monats-Prognosen

                                                                                                                                                                                                                Quelle: Refinitiv Datastream, Vontobel

    Quelle: Refinitiv Datastream, Bloomberg Barclays, JP Morgan, Vontobel
    Stand: 22.11.2021
Aktien 17

Keine Angst vor hohen
Bewertungen bei Aktien
                                    —                                        Anlass zur Sorge gibt die Tatsache, dass der Buffett-
                                    Stefan Eppenberger                       Indikator jüngst ein neues Allzeithoch erreicht hat (vgl.
                                    Equity & Commodity Strategist,
                                    Vontobel                                 Grafik 1), das sogar den Stand kurz vor dem Platzen der
                                                                             Dotcom-Blase im Jahr 2000 übertrifft. Allerdings be-
                                                                             rücksichtigt der Indikator die Zinsen nicht. Und die sind
                                                                             derzeit so niedrig, dass risikoreiche Anlageklassen wie
                                                                             Aktien zu den wenigen mit solidem Renditepotenzial
                                                                             gehören.

                                                                             Anleger sollten sich nicht auf einen einzigen, wenn auch
In den Augen vieler Anleger sind Aktien derzeit ent-                         wichtigen Indikator wie den «Buffett» verlassen. Wir etwa
weder zu teuer in absoluten Zahlen oder so hoch be-                          ziehen diverse Kennzahlen zu Rate, die das einfache
wertet, dass sie absturzgefährdet sind – oder beides.                        Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das zyklisch bereinigte
Im Gegensatz dazu spiegelt unsere Übergewichtung                             KGV und Aktienrisikoprämien nachverfolgen. Aktuell
von Aktien unsere Ansicht, dass starke Unternehmens-                         gehen fünf von zehn Indikatoren (den Buffett-Indikator
gewinne den Nachteil leicht überhöhter Bewertungen                           eingeschlossen) von übermässig hohen Aktienkursen, die
ausgleichen werden.                                                          übrigen von angemessenen Bewertungen aus. Hier greift
                                                                             unsere erste Faustregel: Die langfristigen Renditeerwar-
Im Hinblick auf die Bewertung, die den Gewinn je Aktie                       tungen sollten in den kommenden Jahren gegenüber den
ins Verhältnis zum aktuellen Kurs setzt, befolgen wir zwei                   Vorjahren tatsächlich leicht nach unten korrigiert werden.
Faustregeln. Erstens: je höher die Bewertung, desto
geringer das langfristige Renditepotenzial. Zweitens: je                     Einige Kennzahlen sind zurückgegangen
höher der Leitzins, desto stärker gehen die Bewertungen                      Interessanterweise sind drei Kennzahlen trotz des Höhen-
tendenziell zurück. Entsprechend sollte die Einschätzung                     flugs der Aktienmärkte in den letzten sechs Monaten
der Bewertungen langfristige Renditeerwartungen                              deutlich zurückgegangen, beispielsweise das einfache
berücksichtigen.                                                             KGV (vgl. Grafik 2). Das liegt daran, dass Unternehmen
                                                                             die hohen Markterwartungen an künftige Gewinne nicht
Um zu ermitteln, ob eine Aktie zu teuer ist, ziehen viele                    nur erfüllt, sondern übertroffen haben. Die Abwärtsbe­
Anleger den Buffett-Indikator herbei – benannt nach                          wegung spiegelt allerdings auch veränderte Erwartungen
Warren Buffett, einem der erfolgreichsten Aktienanleger                      in Bezug auf die nächsten Schritte der grossen Zentral-
aller Zeiten. Dieser Wert vergleicht den Gesamtwert                          banken und die zweite Faustregel. Gleichwohl halten wir
aller globalen Aktien im MSCI World Index (d. h. die soge-                   weiter daran fest, dass der durch eine straffere Geldpolitik
nannte Marktkapitalisierung) mit dem globalen BIP. Die                       entstehende Druck auf Aktien im nächsten Jahr durch
Überlegung dahinter: Der Wert aller Unternehmen dürfte                       solides Gewinnwachstum ausgeglichen werden dürfte.
relativ eng an die Wirtschaftsleistung gekoppelt sein.

Grafik 1: Aktuelles Hoch des Buffett-Indikators bereitet                     Grafik 2: Aktien mit Blick auf KGV fair bewertet
einigen Anlegern Sorge
In %                                                                         Verhältnis

140                                                                           35
120                                                                           30
100                                                                           25
 80                                                                           20
 60                                                                           15
 40                                                                           10
 20                                                                             5
   0                                                                            0
       1982       1987       1992        1997   2002   2007    2012   2017          1973    1978     1983    1988     1993   1998   2003   2008   2013   2018

           Marktkapitalisierung des MSCI World Index gemessen am BIP                    KGV globaler Aktien

Quelle: Refinitiv Datastream, Vontobel                                       Quelle: Refinitiv Datastream, Vontobel
18 Rohstoffe

    Knappe Lagerbestände könnten
    künftig höhere Preise bedeuten
                                       —                                               Es gilt zu beachten, dass die Ölvorräte sich derzeit ihrem
                                       Stefan Eppenberger                              Tiefstand von 2015 annähern (vgl. Grafik 1). Das nährte
                                       Equity & Commodity Strategist,
                                       Vontobel                                        Spekulationen, die USA könnten einen Teil ihrer strategi-
                                                                                       schen Ölreserven freigeben – was Ende November tat-
                                                                                       sächlich geschah. Die Vorräte an Kupfer und anderen
                                                                                       Metallen sind noch geringer als vor der Finanzkrise (vgl.
                                                                                       Grafik 2). Obwohl knappe Lagerbestände nicht automa-
                                                                                       tisch höhere Preise bedeuten, könnten sie im Fall eines
                                                                                       positiven Nachfrage- (z. B. mehr fiskalische Impulse in
                                                                                       China) oder negativen Angebotsschocks (z. B. Spannun-
    Das rückläufige Wachstum in China verheisst nichts                                 gen im Nahen Osten) die Vorbedingung für eine Preis-
    Gutes für Rohstoffe, weshalb wir die Anlageklasse trotz                            spitze sein – vergleichbar mit der aktuellen Situation bei
    starker Preisschübe nicht übergewichten. Auch wenn                                 Computerchips oder Öl- und Gaspreisen (siehe Novem-
    die rekordverdächtig niedrigen Lagerbestände den                                   ber-Ausgabe des Investors’ Outlook). Eine Rohstoff-Posi-
    Markt anfällig für externe Schocks machen, sind sie                                tion erscheint uns daher als ratsam.
    einer der Gründe, warum unsere Portfolios ein gewisses
    Rohstoff-Engagement aufweisen.                                                     Allgemein sind wir der Auffassung, dass die Aussichten
                                                                                       für diese Anlageklasse kurz- wie langfristig günstig blei-
    In der ersten Jahreshälfte profitierten wir von unserer                            ben. Obwohl die Rohstoffnachfrage erhöht bleiben wird,
    Rohstoff-Übergewichtung, gaben diese Positionierung                                zeigt sich die Angebotssituation aufgrund jahrelangen
    dann aber zu früh auf. Allerdings machte unser verstärkter                         Investitionsmangels infolge geringer Preise nun labil. Dar-
    Aktienfokus später das, was uns in puncto Rohstoffe                                über hinaus haben viele Anleger mit der Finanzierung
    entgangen war, mehr als wett.                                                      nachhaltigkeitsbezogener Projekte begonnen, statt ihr
                                                                                       Kapital in die alte Schwerindustrie zu stecken.
    Die Rückkehr zu einer Rohstoff-Übergewichtung er-
    scheint uns derzeit nicht sinnvoll. Die globale Nachfrage                          Dekarbonisierung als Rohstoff-Preistreiber
    wächst schleppender als Anfang 2021 und die Abküh-                                 Der weltweite Trend zur Dekarbonisierung schafft neue
    lung der rohstoffhungrigen chinesischen Konjunktur –                               Nachfrage, doch eher für andere Teile des Rohstoffspekt-
    besonders im Immobiliensektor – ist ein schlechtes                                 rums. Daher gehen wir nicht von einem künftigen Preis-
    Omen für Metallpreise. Einstweilen dürfte die Ölnach-                              zerfall aus. Allerdings werden wir warten, bis der Kon-
    frage zum Winter hin unter einem erneuten Covid-19-                                junkturzyklus vielversprechend aussieht, bevor wir ein
    Lockdown leiden. Zudem steigert die Organisation erdöl­                            stärkeres Rohstoff-Engagement erwägen.
    exportierender Länder (OPEC) derzeit die Fördermenge
    monatlich um 400 000 Barrel pro Tag.

    Grafik 1: Globale Ölspeicher leeren sich rasant                                    Grafik 2: Kupfervorräte auf tiefstem Stand seit Jahren

    In Mio. Barrel                                                                     In Tsd. Tonnen

     3500                                                                              1.000
     3250                                                                                800
     3000                                                                                600
     2750                                                                                400
     2500                                                                                200
     2250                                                                                   0
             1993          1999         2002          2008          2014        2020            2007      2009      2011        2013   2015   2017   2019   2021

                 Rohölvorräte der OECD-Mitglieder                                                   Globale Kupfervorräte, saisonbereinigt, laut London
                 (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit                                   Metal Exchange, New York Mercantile Exchange
                 und Entwicklung)                                                                   und Shanghai Metal Exchange

    Quelle: Energy Information Administration, Refinitiv Datastream, Vontobel          Quelle: Refinitiv Datastream, Vontobel
Währungen 19

Zwei wichtige sichere Häfen
trotzen dem Risikoappetit
                                    —                                            Schweizer Währung kurzfristig keine Parität mit dem Euro
                                    Dr. Sven Schubert                            erreichen – die SNB würde das nicht zulassen –, doch in
                                    Senior Investment Strategist,
                                    Head of Strategy Currencies,                 den kommenden Jahren könnte dies der Fall sein.
                                    Vontobel
                                                                                 Den Euro halten unterdessen neuerliche Lockdowns in
                                                                                 einigen europäischen Ländern zurück, welche die Kon-
                                                                                 junktur bremsen. Dagegen scheint sich die Wachstums-
                                                                                 dynamik in den USA vor dem Hintergrund gelockerter
                                                                                 Covid-19-Massnahmen (vgl. Grafik 2) und des umfangrei-
                                                                                 chen vom Kongress verabschiedeten Infrastrukturgeset-
Abseits der zunehmenden Risikobereitschaft zählen                                zes zu verbessern. Dies schürte die Erwartung einer vor-
neuerdings zwei Safe-Haven-Währungen zu den                                      zeitigen Straffung der US-Geldpolitik – ein weiterer
Lieblingen des Devisenmarktes. Droht dem US-Dollar                               Grund für die jüngste starke Rally des Dollars gegenüber
potenziell auch eine kurzfristige Schwäche, könnte                               dem Euro. Doch da die Märkte für das kommende Jahr
er sich 2022 durch die Straffung der US-Geldpolitik                              bereits drei Zinserhöhungen in den USA einpreisen,
erholen. Der Schweizer Franken dürfte aufgrund                                   erscheint das weitere Aufwärtspotenzial gegenüber dem
niedriger Binneninflation stabil bleiben.                                        Euro kurzfristig begrenzt. Sollte zudem die neue Pande-
                                                                                 miewelle die USA erreichen (z. B. durch mehr europäische
Die robuste Gesundheit des Frankens unter Aufsicht der                           Touristen), dürfte der Euro einen kurzfristigen Anstieg
nervösen Schweizerischen Nationalbank (SNB) resultiert                           verzeichnen, bevor der Straffungszyklus der US-Noten-
aus dem langfristigen Leistungsbilanzüberschuss der                              bank ihn gegenüber dem Dollar erneut sinken lässt – auf
Schweiz und dem eher verhaltenen Inflationsdruck. Die-                           unser seit Langem bestehendes Zwölf-Monats-Ziel von
ser zweite Faktor macht das Land (dank einer Verbesse-                           1.12.
rung der Schweizer Kaufkraft) wettbewerbsfähiger im
Vergleich mit den USA und Europa, wo die Inflation höher                         Lohnen Yuan-Anlagen die Aufmerksamkeit?
ist. Unser «Wave»-Konjunkturzyklusmodell deutet seit                             Die Schwellenländer sind weit solider aufgestellt als vor
einiger Zeit auf eine Stärkung des Schweizer Frankens                            dem US-Straffungszyklus 2015. So verzeichnen viele von
hin, da die Schweiz unter den 50 von uns beobachteten                            ihnen rekordverdächtige Leistungsbilanzüberschüsse.
Ländern die stärkste Wachstumsdynamik aufweist.                                  Allerdings bedeutet ein Jahr geldpolitischer Normalisie-
                                                                                 rung in den USA (steigende US-Renditen) und abflauenden
Deshalb könnte bei steigenden Zinsen ausserhalb der                              Wachstums in vielen Schwellenländern keinen nachhalti-
Schweiz eine Abwanderung aus Franken-Anlagen aus-                                gen Aufwärtstrend für die entsprechenden Währungen.
bleiben. Natürlich ist die Nominalrendite in Ländern wie                         Anleger müssen also selektiv vorgehen. Auf Yuan lautende
den USA und sogar der Kern-Eurozone gestiegen. Das                               Anlagen dürften einen Blick wert sein, sofern China seine
gilt jedoch auch für die Inflation. Die beiden Entwicklun-                       Wachstumsprobleme in der ersten Jahreshälfte 2022
gen gleichen einander aus (vgl. Grafik 1). Zwar dürfte die                       überwinden kann.

Grafik 1: Historisch niedrige Rendite-Spreads zwischen                           Grafik 2: USA lockern Lockdown, Europa verschärft ihn
Eurozone und Schweiz stützen Franken
Wechselkurs                                                  In Prozentpunkten   Wechselkurs                                                                    Index

1.20                                                                       2,2   1.29                                                                             32
1.18                                                                       1,6   1.26                                                                             24
1.16                                                                       1,0   1.23                                                                             16
1.14                                                                       0,4   1.20                                                                              8
1.12                                                                      −0,2   1.17                                                                              0
1.10                                                                      −0,8   1.14                                                                             −8
1.08                                                                      −1,4   1.11                                                                            −16
1.06                                                                      −2,0   1.08                                                                            −24
                                                                                               Strengerer Lockdown in Eurozone als in den USA
1.04                                                                      −2,6   1.05                                                                            −32
1.02                                                                      −3,2   1.02                                                                            −40
       03.15     03.16      03.17        03.18   03.19   03.20   03.21                  01.2020      05.2020     09.2020      01.2021       05.2021   09.2021

          EUR / CHF                                                                         EUR/USD
          Realer 10-j. Swap-Spread (Eurozone ggü. Schweiz,                                  Relativer Oxford Stringency Index (Eurozone ggü. USA,
          rechte Skala)                                                                     rechte Skala)

Quelle: Refinitiv Datastream, Vontobel                                           Quelle: Refinitiv Datastream, Oxford Economics, Vontobel
20 Prognosen

    Konjunktur und Finanzmärkte 2019 – 2022
    Die folgende Liste zeigt für Bruttoinlandsprodukt (BIP), Inflation/Inflationserwartung, Notenbankzinsen,
    zehnjährige Staatsanleihen, Wechselkurse und Rohstoffe die effektiven Werte, Wechselkurse und
    Preise für die Jahre 2019 und 2020 sowie die Vontobel-Prognosen für die Jahre 2021 und 2022.

                                                                                                                                        PROGNOSE    PROGNOSE
    BIP (IN %)                                                                         2019                2020            AKTUELL           2021        2022
    Eurozone                                                                             1,6                −6,5                  3,7         5,0          4,4
    USA                                                                                  2,3                −3,4                  4,9         5,5          4,0
    Japan                                                                                0,0                −4,7                  7,7         2,3          2,5
    Grossbritannien                                                                      1,7                −9,7                  6,6         6,7          5,2
    Schweiz                                                                              1,3                −2,5                  7,7         3,5          2,8
    China                                                                                6,0                 2,3                  4,9         7,7          5,5

    INFLATION (IN %)
    Eurozone                                                                             1,2                 0,3                  4,1         2,5          2,2
    USA                                                                                  1,8                 1,2                  6,2         4,5          3,6
    Japan                                                                                0,5                 0,0                  0,2        −0,1          0,4
    Grossbritannien                                                                      1,8                 0,9                  3,1         2,4          3,1
    Schweiz                                                                              0,4                −0,7                  1,2         0,6          0,7
    China                                                                                2,9                 2,5                  1,5         1,0          1,8

                                                                                                                                        3-MONATS-   12-MONATS-
    NOTENBANKZINSEN (IN %)                                                             2019                2020            AKTUELL      PROGNOSE     PROGNOSE
    EUR                                                                               −0,50                −0,50                −0,50       −0,50        −0,50
    USD                                                                                1,75                 0,25                 0,25        0,25         0,50
    JPY                                                                               −0,10                −0,10                −0,10       −0,10        −0,10
    GBP                                                                                0,75                 0,10                 0,10        0,25         0,75
    CHF                                                                               −0,69                −0,76                −0,75       −0,75        −0,75
    CNY                                                                                4,35                 4,35                4,35         4,35         4,35

    RENDITEN 10-JÄHRIGER STAATSANLEIHEN (IN %)
    EUR (Deutschland)                                                                  −0,2                 −0,6                 −0,3        −0,2          0,0
    USD                                                                                  1,9                 0,9                  1,6         1,7          1,9
    JPY                                                                                  0,0                 0,0                  0,1         0,1          0,1
    GBP                                                                                  0,8                 0,2                  0,9         1,1          1,3
    CHF                                                                                −0,5                 −0,5                 −0,1        −0,1          0,1

    WECHSELKURSE
    CHF je EUR                                                                         1.09                 1.08                 1.05        1.07         1.05
    CHF je USD                                                                         0.97                 0.88                 0.92        0.92         0.94
    CHF je 100 JPY                                                                     0.89                 0.86                 0.81        0.84         0.87
    CHF je GBP                                                                         1.28                 1.21                 1.23        1.24         1.21
    CHF je AUD                                                                         0.68                 0.68                 0.67        0.67         0.66
    USD je EUR                                                                         1.12                 1.22                 1.14        1.16         1.12
    JPY je USD                                                                          109                  103                 114          110          108
    USD je AUD                                                                         0.70                 0.77                 0.73        0.73         0.70
    CNY je USD                                                                         6.95                 6.51                 6.86        6.45         6.50

    ROHSTOFFE
    Rohöl (Brent, USD/Barrel)                                                            66                   52                  83           80          80
    Gold (USD/Feinunze)                                                               1 521                1 898                1 862       1 800        1 800
    Kupfer (USD/Tonne)                                                                6 149                7 749                9 841      11 000       12 000

    Quelle: Thomson Reuters Datastream, Vontobel; Schlusskurse für alle Daten: 12.11.2021, Prognosen mit Stand vom 18.11.2021
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