Ist eine Buddhismus Religion? 3 2014
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EURO 8, – | Österreich: E 8,30 | Schweiz: CHF 12,50 www.buddhismusaktuell.de AUSGABE Juli, August, September 3 2014 Ist Buddhismus eine Religion?
Editorial ten Religionen der Gegenwart ist. Noch mehr wächst in den industrialisierten Ländern anscheinend nur die Zahl der Menschen, die sich als spirituell verstehen, ohne sich noch einer einzigen religiösen Tradition zugehörig zu fühlen. Vielleicht ist das die Religion der Zukunft? S. H. der 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje sagte bei seinem ersten Besuch in Deutschland kürzlich, glaubensbasierte Liebe Leserin, lieber Leser, Religionen, zu denen er auch den Buddhismus zählt, bär- gen immer die Gefahr in sich, dass die Menschen nur den den Religionsstiftern Buddha oder Christus ist es sicher- vorgegebenen Pfaden und Glaubenssätzen folgten. Wich- lich nicht darum gegangen, Religionen zu gründen. Weder tig seien aber eigene spirituelle Erfahrungen. Buddha und war der eine Buddhist noch der andere Christ. Doch ihre Christus waren keine Mitläufer. Sie haben experimen- auf Erfahrungen beruhenden Befreiungswege sind im tiert, selbstständig gedacht, haben sich gegen die herr- Laufe der Geschichte zu (Welt-)Religionen mit Millionen schenden religiösen Strömungen ihrer Zeit gewandt und von Gläubigen geworden. Mit Heilszielen, Wertesyste- sind ihren eigenen Weg gegangen. men, Ritualen, Mythen, Legenden, hierarchischen Macht- Die Frage „Ist der Buddhismus eine Religion?“ wird strukturen und all den Problemen, die solch riesigen vor allem dann zu einer lebendigen, wenn sie zu einer Institutionen innezuwohnen scheinen und denen sich persönlichen Frage wird: Was ist der Buddhismus für religiöse Traditionen heute, im Zeitalter der Globalisie- mich? Wie unterstützt er mich in meinem Leben? Welche rung und Säkularisierung, gegenübersehen. Wahrheit bringt er für mich zum Ausdruck? Welche Be- Während wohl niemand auf die Idee käme, zu fragen, deutung hat Religion in meinem Leben? Habe ich Gefüh- ob das Christentum eine Religion sei, taucht diese Frage le, die ich religiös nennen würde? Die Beiträge in diesem in Bezug auf den Buddhismus immer wieder auf. Und Heft möchten dazu Inspirationen anbieten. Ich empfinde zwar nicht nur vonseiten derer, die den Begriff „Religion“ sie als eine Art Gespräch, in dem unterschiedliche Sicht- auf die monotheistischen Religionen eingrenzen. Auch weisen deutlich werden, als eine Einladung an Sie, liebe von buddhistischer Seite selbst wird diese Frage gestellt. Leserinnen und Leser, die Fäden aufzunehmen und wei- „Buddha-Dharma“ sei die viel angemessenere Bezeich- terzuspinnen. nung für das, was bei uns als Buddhismus fungiert. Doch Dabei mag Ihnen Rainer Maria Rilkes Ratschlag in halt, sagt die Religionsphilosophin Ursula Baatz, so ein- „Über die Geduld“ hilfreich sein: „… Man muss Geduld fach sei das nicht, denn auch der Begriff „Dharma“ habe haben / mit dem Ungelösten im Herzen / und versuchen, es in sich. die Fragen selber lieb zu haben / wie verschlossene Stu- Vor allem unter westlichen Buddhisten gibt es viele, ben / und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache die den Buddhismus lieber als Philosophie oder Lebens- geschrieben sind. / Es handelt sich darum, alles zu leben. hilfe verstehen und praktizieren denn als eine Religion. / Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmäh- Und es gibt eine zunehmende Zahl von Menschen, die lich / ohne es zu merken / eines fremden Tages / in die buddhistische Methoden und Praktiken anwenden, sich Antworten hinein.“ aber damit noch lange nicht als Buddhisten verstehen. Diese Position wird auch von großen Lehrern, wie dem In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine inspirierende Dalai Lama oder Thich Nhat Hanh, unterstützt. Sie raten Lektüre und einen schönen Sommer. dazu, in der eigenen Tradition zu bleiben, statt zum Bud- dhismus zu konvertieren, empfehlen aber durchaus, sich in buddhistischen Übungen und Methoden zu schulen. Diese undogmatisch „freigiebige“ Haltung ist sicher ein Ihre Ursula Richard Grund dafür, dass der Buddhismus eine der erfolgreichs- Chefredakteurin 3 | 14 BUDDHISMUSaktuell 3
— IST BUDDHISMUS EINE RELIGION? — DEN UDDHA TÖTEN „Töte den Buddha”, sagt ein altes Zen-Koan. „Töte den Buddhismus“, sagt Sam Harris, der Autor des amerikanischen Bestsellers The End of Faith: Religion,Terror and the Future of Reason. Er vertritt, dass die Philosophie, Einsichtstiefe und praktischen Methoden des Buddhismus mehr Menschen zugute © fotolia | Christopher Wohlberg kämen, wenn sie nicht als eine Religion präsentiert werden würden. 40 BUDDHISMUSaktuell 3 | 14
— IST BUDDHISMUS EINE RELIGION? — VON SAM HARRIS Wenn die Methodologie des Buddhismus (ethische Grundsätze und Meditation) genuine Wahrheiten über den Geist und die Erscheinungswelt aufdeckt, dann sind diese Wahrheiten nicht im Mindesten er buddhistische Meister Lin Chi1 aus dem neunten „buddhistisch“! D Jahrhundert soll gesagt haben: „Triffst Du den Bud- dha unterwegs, töte ihn!“ Wie vieles an der Zen-Leh- re wirkt diese Aussage leicht neunmalklug. Aber trotzdem wird hier eine wertvolle Feststellung getroffen: Den Buddha in einen religiösen Götzen zu verwandeln bedeutet, die Essenz seiner Lehre zu verfehlen. In Anbetracht dessen, was Schlimmer noch – die fortgesetzte Identifikation von Buddhis- der Buddhismus der Welt im 21. Jahrhundert bieten kann, schla- ten mit dem Buddhismus nährt auf eine stillschweigende Weise ge ich vor, dass wir Lin Chis Ermahnung sehr ernst nehmen. Als die religiösen Differenzen in unserer Welt. Das ist in diesem Schüler des Buddha sollten wir ohne „Buddhismus“ auskom- Moment der Geschichte sowohl moralisch als auch intellektu- men. Aber das bedeutet nicht, dass der Buddhismus der Welt ell nicht vertretbar – und zwar besonders unter wohlhabenden, nichts zu bieten hätte. Man kann sicherlich sagen, dass die bud- gebildeten Abendländern nicht, denen heute die größte Verant- dhistische Tradition als Ganzes betrachtet die ergiebigste Quel- wortung für die Verbreitung von Ideen zukommt. Denn Eines le kontemplativer Weisheit darstellt, die irgendeine Zivilisation scheint kaum übertrieben zu sagen: Wenn Sie diesen Artikel jemals hervorgebracht hat. In einer Welt, die seit Langem von lesen, sind Sie in einer besseren Lage, den Lauf der Geschichte brudermörderischen Himmelsgott-Religionen terrorisiert wird, zu beeinflussen, als es bisher in historischer Hinsicht praktisch wäre die Vorherrschaft des Buddhismus gewiss eine willkom- jede andere Person war! Angesichts des Ausmaßes, in dem men zu heißende Entwicklung! Religion gegenwärtig immer noch menschliche Konflikte befeu- Aber das wird nicht geschehen. Es gibt keinerlei Grund zu ert und echte Entwicklung behindert, bin ich der Meinung, der Annahme, dass der Buddhismus mit der unermüdlichen dass von sich selbst zu behaupten, man sei „Buddhist“, bereits Evangelisierung durch das Christentum oder den Islam erfolg- bedeutet, sich mitschuldig an der Gewalt und der Unwissen- reich konkurrieren könnte. Dies sollte er auch gar nicht versu- heit in der Welt zu machen. chen! Die Weisheit des Buddha ist aktuell in der Religion des Es ist richtig, dass viele Vertreter des Buddhismus, allen Buddhismus gefangen. Selbst im Westen, wo gegenwärtig Wis- voran der Dalai Lama, erstaunlich gewillt sind, ihre eigene senschaftler und buddhistische Kontemplative zusammenarbei- Sicht der Welt durch den Dialog mit der modernen Wissen- ten, um die Wirkungen von Meditation auf das Gehirn zu erfor- schaft zu bereichern (und sogar einzuschränken). Aber diese schen, bleibt der Buddhismus vollständig auf das Interesse Tatsache, dass der Dalai Lama regelmäßig mit westlichen Wis- einer „Gemeinde“ beschränkt. senschaftlern zusammentrifft, um über die Natur des Geistes Obwohl die von vielen buddhistischen Praktizierenden ver- zu diskutieren, bedeutet Eines nicht – dass der Buddhismus tretene Aussage „Der Buddhismus ist keine Religion“ zutreffen oder auch bloß der tibetische Buddhismus oder innerhalb die- mag, praktizieren ihn viele Buddhisten weltweit genau so – in ser Form auch bloß die Traditionslinie des Dalai Lama nicht vielen der naiven, bittenden und abergläubischen Weisen, in von religiösem Dogmatismus infiziert wäre. denen alle Religionen praktiziert werden! Natürlich verstehen In der Tat gibt es Vorstellungen innerhalb des Buddhis- alle Nichtbuddhisten den Buddhismus als eine Religion – und mus, die so hanebüchen sind, dass im Vergleich dazu das Dog- außerdem sind sie sich ziemlich sicher, dass es die falsche Reli- ma der Jungfrauengeburt sogar noch plausibel erscheint. Aber gion sei. Das Sprechen über „den Buddhismus“ vermittelt ande- niemandem ist heute durch eine Herangehensweise gedient, ren zwangsläufig einen irreführenden Begriff von der Lehre des die solche vorschriftlichen Ideen als wesentlich für unsere Buddha. Insofern wir weiterhin als „Buddhisten“ argumentie- sich entwickelnde Auseinandersetzung über die Natur des ren, sorgen wir unbewusst dafür, dass die Weisheit des Buddha menschlichen Geistes betrachtet. Unter westlichen Buddhis- kaum etwas dazu beitragen wird, die Entwicklung der Mensch- ten gibt es in der Tat akademisch gebildete Männer und Frau- heit im 21. Jahrhundert zu prägen. en, die anscheinend glauben, dass Guru Rinpoche2 tatsächlich 3 | 14 BUDDHISMUSaktuell 41
— IST BUDDHISMUS EINE RELIGION? — ein wesentlicher Ausgangspunkt von Gewalt wie zu jeder Zeit in der Vergangenheit! Die jüngsten Konflikte in Palästina (Juden gegen Muslime), auf dem Balkan (orthodoxe Serben gegen katholische Kroaten; orthodoxe Serben gegen bosnische und albanische Muslime), Nordirland (Protestanten gegen Katholiken), Kaschmir (Muslime gegen Hindus), Sudan (Musli- me gegen Christen und Animisten), Nigeria (Muslime gegen Christen), Sri Lanka (singhalesische Buddhisten gegen tamili- sche Hindus), Indonesien (Muslime gegen timoresische Chri- sten), Iran und Irak (schiitische gegen sunnitische Muslime) sowie auf dem Kaukasus (orthodoxe Russen gegen tschet- schenische Muslime, muslimische Aserbaidschaner gegen katholische und orthodoxe Armenier) sind lediglich einige ein- schlägige Fälle.3 Es gibt Gegenden, wo die Religion in den letz- ten Jahrzehnten die eindeutige Ursache von buchstäblich Mil- © Werner Steiner lionen von Toten gewesen ist. Warum ist die Religion solch eine wirkmächtige Quelle der Gewalt? Es gibt keinen anderen Bereich der Auseinanderset- zung, in dem Menschen ihre Unterschiede voneinander so von einer Lotosblume geboren wurde. Das ist nicht der spiritu- uneingeschränkt zum Ausdruck bringen oder diese Unterschie- elle Durchbruch, auf den die Menschheit seit so vielen Jahr- de in Begriffe von ewigen Belohnungen oder Strafen gießen. hunderten gewartet hat. Tatsache ist, dass eine Person die Leh- Die Religion ist das Unterfangen, bei dem das „wir-sie“-Denken re des Buddha annehmen und sogar ein authentischer bud- eine transzendente Bedeutung bekommt! dhistischer Kontemplativer werden kann (und, wie anzu- Wenn Sie tatsächlich glauben, dass Gott bei seinem richti- nehmen ist, ein Buddha), ohne an irgendetwas zu glauben, das gen Namen zu nennen den Unterschied zwischen ewigem nicht ausreichend evident ist. Das Gleiche kann jedoch nicht Glück und ewigem Leiden ausmachen kann, erscheint es ganz über die Lehren der glaubensbasierten Religion gesagt wer- angemessen, Häretiker und Ungläubige schlecht zu behandeln. den! In vieler Hinsicht gleicht der Buddhismus somit stark der Die Einsätze sind bei unseren religiösen Unterschieden dra- Wissenschaft: Man beginnt mit der Hypothese, dass der Ein- stisch höher als diejenigen, die sich aus einem bloßen Tribalis- satz von Aufmerksamkeit in der vorgeschriebenen Weise mus, Rassismus oder der Politik ergeben. Religion ist der ein- (Meditation) sowie das Aufnehmen oder Vermeiden bestimm- zige Bereich der zwischenmenschlichen Interaktion, in dem ter Verhaltensweisen (Ethik) das zugesicherte Resultat her- die Beteiligten systematisch vor der Anforderung behütet wer- beiführen wird (Weisheit und psychisches Wohlergehen). Die- den, die Nachweise zur Verteidigung ihrer eindringlich vertre- ser Geist des Empirismus belebt den Buddhismus in einer ein- tenen Glaubensvorstellungen zu liefern! Dabei bestimmen die- zigartigen Weise. Deshalb könnte die Methodologie des se häufig, wofür sie leben, wofür sie sterben und – allzu häufig Buddhismus, wenn sie ihrer religiösen Lasten entkleidet wird, – wofür sie töten werden. Das ist ein Problem. Denn wenn die eine unserer größten Ressourcen sein – im Ringen darum, Einsätze hoch sind, haben Menschen eine einfache Wahl zwi- unser wissenschaftliches Verständnis der menschlichen Inner- schen Gespräch und Gewalt. Auf der Ebene der nationalen lichkeit weiterzuentwickeln. Gemeinschaften lautet die Wahl dann zwischen Gespräch und Krieg. Es gibt nichts außer der grundsätzlichen Bereitschaft, vernünftig zu sein – die eigenen Glaubensvorstellungen über Das Problem der Religion die Welt durch neue Beweise und neue Argumente revidieren Unvereinbare religiöse Glaubensvorstellungen haben unsere zu lassen –, was gewährleisten kann, dass wir weiter miteinan- Welt in abgeschottete moralische Gemeinschaften balkanisiert; der sprechen. Gewissheit ohne Beweis ist notwendig spalte- und diese Spaltungen sind zu einer andauernden Quelle des risch und entmenschlichend! Blutvergießens geworden. In der Tat ist Religion heute ebenso 42 BUDDHISMUSaktuell 3 | 14
— IST BUDDHISMUS EINE RELIGION? — ger Irrationalität sein! Alle Beteiligten am überkonfessionellen Alle Beteiligten am überkonfessionellen religiösen religiösen Dialog haben still vereinbart, auf leisen Sohlen über Dialog haben still vereinbart, auf leisen Sohlen all diejenigen Punkte hinwegzugehen, bei denen ihre Weltan- über all diejenigen Punkte hinwegzugehen, schauungen anderenfalls zusammenstoßen würden. Freilich bleiben aber dessen ungeachtet genau diese Punkte fort- bei denen ihre Weltanschauungen anderenfalls währende Quellen von Verunsicherung und Intoleranz für ihre zusammenstoßen würden. Glaubensgenossen. Denn politische Korrektheit bietet einfach keine dauerhafte Grundlage für menschliche Zusammenarbeit. Wenn Religionskriege für uns jemals undenkbar werden sollen, ähnlich wie es für die Sklaverei und den Kannibalismus zutrifft, Deshalb lautet eine der größten zivilisatorischen Herausforde- wird das davon abhängen, ob wir uns vom Dogma des Glau- rungen im 21. Jahrhundert, dass die Menschen lernen, über bens gelöst haben. ihre tiefsten persönlichen Anliegen – über Ethik, spirituelle Erfahrung und die Unausweichlichkeit menschlichen Leidens – Eine kontemplative Wissenschaft auf nicht offensichtlich irrationale Weisen zu sprechen. Aber nichts steht diesem Projekt mehr im Wege als der Respekt, den Was die Welt aktuell am meisten braucht, ist ein Mittel, um wir gemeinhin dem religiösen Glauben zollen! Obwohl es keine Menschen zu überzeugen, die ganze Gattung als ihre morali- Garantie gibt, dass sich die rational Gesinnten immer einig sche Gemeinschaft anzunehmen. Aus diesem Grund brauchen werden, trifft es zweifellos zu, dass die irrational Gesinnten wir eine völlig nichtsektiererische Weise, um über das ganze durch ihre Dogmen gespalten werden. Es scheint zutiefst Spektrum der menschlichen Erfahrung und des menschlichen unwahrscheinlich, dass wir die Spaltungen in unserer Welt hei- Strebens zu sprechen. Wir brauchen also eine Auseinanderset- len können, indem wir die Gelegenheiten für den interreligiö- zung über Ethik und Spiritualität, die mindestens genauso sen Dialog vervielfachen. Denn unser zivilisatorischer Gipfel- unabhängig von Dogmen und kulturbedingten Vorurteilen wie punkt kann nicht die wechselseitige Toleranz von offenkundi- der wissenschaftliche Diskurs ist. Wir brauchen im Grunde © fotolia 3 | 14 BUDDHISMUSaktuell 43
— IST BUDDHISMUS EINE RELIGION? — eine kontemplative Wissenschaft – einen modernen Ansatz, die solcher Prozesse. Aber wir wissen bereits genug, um viele äußersten Enden des psychischen Wohlbefindens zu erfor- falsche Auffassungen auszuschließen. Ohne Zweifel wissen wir schen! Dabei sollte es selbstverständlich sein, dass wir solch zum jetzigen Zeitpunkt genug, um sagen zu können, dass der eine Wissenschaft nicht entwickeln werden, indem wir versu- Gott Abrahams nicht alleine der Grenzenlosigkeit der Schöp- chen, einen „amerikanischen Buddhismus“ oder „westlichen fung nicht würdig ist. Er ist sogar des Menschen nicht würdig! Buddhismus“ oder „engagierten Buddhismus“ zu verbreiten. Es gibt noch viel mehr über die Natur des menschlichen Geis- Wenn die Methodologie des Buddhismus (ethische Grundsätze tes zu entdecken. Insbesondere gibt es noch viel mehr für uns und Meditation) genuine Wahrheiten über den Geist und die zu begreifen, wie sich der Geist aus einem bloßen Reservoir Erscheinungswelt aufdeckt – nämlich Wahrheiten wie Leerheit, von Gier, Hass und Verblendung in ein Instrument der Weisheit Selbstlosigkeit und Vergänglichkeit –, dann sind diese Wahrhei- und des Mitgefühls transformieren kann. ten nicht im Mindesten „buddhistisch“! Schüler des Buddha bringen die besten Voraussetzungen Kein Zweifel – die meisten ernsthaften Praktizierenden der mit, unser Verständnis in dieser Hinsicht voranzubringen. Meditation verstehen es. Aber die meisten Buddhisten verste- Aber die buddhistische Religion steht uns dabei gegenwärtig hen es nicht. Deshalb kann sich eine Person wohl der zeitlosen im Wege! und nicht beliebigen Natur meditativer Einsichten bewusst sein, die in der buddhistischen Literatur beschrieben werden. Der Beitrag erschien unter dem Titel „Killing the Buddha“ im März 2006 in der Shambhala Sun und ist unter www.samharris.org/media/killing- Ihre Identität als Buddhist dürfte jedoch den Sachverhalt für the-buddha.pdf frei verfügbar. Abdruck und Übersetzung von Hans andere verwirrend erscheinen lassen. Es gibt einen guten Gruber mit freundlicher Genehmigung von Sam Harris. Grund, dass wir nicht über „christliche Physik“ oder „muslimi- In einem ergänzenden Beitrag belegt und erweitert Hans Gruber die Perspektive von Sam Harris buddhismuskundlich: Die Praxislehre sche Algebra“ sprechen, obwohl Christen die Physik, wie wir des Buddhas über das Gesetz „Dharma“ im Unterschied zum „Buddhis- sie kennen, und Muslime die Algebra erfunden haben. Heute mus“: www.buddha-heute.de/blog. würde jeder, der die christlichen Wurzeln der Physik oder die Hans Gruber ist Indologe, Fachreferent PR und Experte zum Thema der muslimischen Wurzeln der Algebra betont, als jemand daste- Achtsamkeits- bzw. Einsichtspraxis Vipassana (www.buddha-heute.de, hen, der von diesen Disziplinen überhaupt nichts versteht! In mit verknüpftem Blog). ähnlicher Weise wird der kontemplative Pfad, wenn wir eine wissenschaftliche Beschreibung von ihm entwickeln, vollstän- dig seine religiösen Assoziationen überschreiten. Sobald solch ANMERKUNGEN: eine konzeptuelle Revolution stattgefunden hat, wird ein Spre- 1 Der chinesische Begründer des Rinzai-Zen. Er starb im Jahre 866 chen über „buddhistische“ Meditation gleichbedeutend mit (Anm. d. Übersetzers). dem Scheitern sein, die Wandlungen aufzunehmen, die dann in 2 Guru Rinpoche: „Wertvoller Großer“. Ein anderer Name für den Alt- unserem Verstehen des menschlichen Geistes mittlerweile inder Padmasambhava (8. Jh.), der den Buddhismus als Erstes in Tibet stattgefunden haben. eingeführt hat. Deshalb gilt er neben Shantarakshita den Tibetern voller Verehrung als die Urgestalt des tibetischen Buddhismus. In Es ist gegenwärtig noch ungeklärt, was es heißt, Mensch dessen ältester Richtung, der Nyingma-Schule, die auf Padmasambhava zu sein. Denn jede Facette unserer Kultur – und sogar unsere zurückgeht, heißt er sogar der „zweite Buddha“ (Anm. d. Übersetzers). Biologie selbst – bleibt offen für Neuerung und Einsicht. Wir 3 Der Beitrag ist im März 2006 erschienen. Für die wenigen Jahre seit- wissen nicht, was wir in tausend Jahren von jetzt sein werden – dem müsste man dieser Aufzählung heute etwa noch hinzufügen: oder, in der Tat, ob wir noch sein werden –, angesichts der töd- Syrien (Dschihadisten und stark mehrheitliche Sunniten gegen die regierenden Alawiten), Pakistan und Afghanistan (Sunniten und lichen Absurdität vieler unserer Glaubensvorstellungen. Aber Taliban gegen Schiiten), Zentralafrikanische Republik (Muslime gegen welche Veränderungen auch immer uns erwarten, ein Punkt Christen), Myanmar (Buddhisten gegen Muslime) Für die Geschichte wird sich kaum jemals verändern: Solange persönliche Erfah- des Christentums mit dessen früherem gewaltsamen Vorgehen gegen Andersdenkende genügt der Hinweis auf die zehn umfassenden Bände rung andauert, wird der Unterschied zwischen Glück und Leid Die Kriminalgeschichte des Christentums von Dr. Karl-Heinz Deschner, unsere höchste Priorität sein! Aus diesem Grunde werden wir mit einem Zusatzband Die Politik der Päpste. Bei all diesen Konflikten jene Prozesse – biochemischer, verhaltensmäßiger, ethischer, kommt außer der religiösen Dimension sicherlich noch das Motiv der politischer, ökonomischer und spiritueller Art – verstehen wol- Konkurrenz um Macht, Einfluss, Territorium oder Rohstoffe und Reichtum mit ins Spiel. Aber trotzdem spielen dabei die religiösen len, die für diesen Unterschied verantwortlich sind. Wir verfü- Polaritäten im Sinne von Sam Harris eine wesentliche und nicht selten gen heute noch keineswegs über ein endgültiges Verständnis die Hauptrolle (Anm. d. Übersetzers). 44 BUDDHISMUSaktuell 3 | 14
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