Ja zur 99%-Initiative Ja zur Ehe für alle - AFGHANISTAN GEHT UNS ALLE AN - SP Schweiz

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Ja zur 99%-Initiative Ja zur Ehe für alle - AFGHANISTAN GEHT UNS ALLE AN - SP Schweiz
JUSO
          Mitgliederzeitung der SP Schweiz
          196 · Ausgabe CH · September 2021
          AZB 3001 Bern

    Ja zur 99%-Initiative
    Ja zur Ehe für alle
­
    AFGHANISTAN GEHT UNS ALLE AN                                     #SP IM AUFBRUCH AM PARTEITAG
    Zehntausende unterschrieben unseren Appell, rasch 10 000 Men­    Wer hat in der SP Schweiz das Sagen? Die neuen Strukturen kurz
    schen aus Afghanistan aufzunehmen. Doch die offizielle Schweiz   erklärt – ab Seite 14.
    schaut tatenlos zu. Seite 13
Ja zur 99%-Initiative Ja zur Ehe für alle - AFGHANISTAN GEHT UNS ALLE AN - SP Schweiz
2     LINKS
      196 ∙ 2021   Aktuell

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Sympathisant:innen                                                                                   INHALT
und alle dazwischen und darüber hinaus

                                                                                                                                           4           Ja zur 99%-Initiative
                               Am Parteitag wird Wichtiges verhandelt. Wir haben am ver-                                                               Was in den Augen von
                               gangenen Wochenende einer neuen Struktur zugestimmt,                                                                    Co-Präsidentin Mattea Meyer
                               die die Partei in die basisnahe Zukunft katapultiert (Seite 14).                                                        und Unternehmer Daniel Sägesser
                               Das Co-Parteipräsidium hielt eine fulminante Grundsatz­                                                                 für die Initiative spricht
                               rede zur Partei der Freiheit (uns!), einsehbar auf unserer
                                                                                                                                           6           Ja zur Ehe für alle
                               Website (sp-ps.ch). Wir haben Parolen gefasst (Ja und Nein).                                                            Auf dass die systematische
                               Und wir haben süsse Ostschweizer Äpfel und Birnen geges-                                                                Diskriminierung von Schwulen
                               sen, die auf den Tischen zum Verzehr auslagen.                                                                          und Lesben endlich ein Ende hat

                    Sie stammten vom St. Galler Genossen Sonderegger, der es                                                               8           Auf zur Demo gegen
                    sich trotz Rollator nicht nehmen liess, persönlich in der                                                                          den Rentenabbau
                    Olma­halle in St. Gallen vorbeizuschauen. Und der mir von                                                                          Demonstriert zahlreich gegen die
                                                                                                                                                       Erhöhung des Frauenrentenalters
seiner zahmen Krähe Loco erzählte, die er verlassen vorgefunden und von Hand                                                                           am 18. September 2021 in Bern –
aufgezogen hatte. Die mit seinem Hund spielt und in jungen Jahren freiwillig im                                                                        wir laufen gemeinsam
Käfig im Auto Platz nahm, wenn sie eine Ausfahrt machten. Und die sich – ganz
loco – nach der Handaufzucht für ein Leben im Wald entschied.                                                                              9 – 12      Berichte aus den Kantonen

Das ist nicht die Freiheit, die Mattea und Cédric meinten. Sie sprachen von der                                                            13          Afghanistan geht uns alle an
Freiheit, ohne Existenzängste von der AHV leben zu können, eine Wohnung zu                                                                             Doch die offizielle Schweiz schaut
                                                                                                                                                       tatenlos zu
mieten ohne Angst vor Kündigung, und von der Freiheit, dass unsere Kinder in
einer intakten Welt aufwachsen.                                                                                                            14          #SPimAufbruch
                                                                                                                                                       Die neuen Strukturen sind
Doch so ganz anders ist diese Freiheit auch wieder nicht. Gerne hätte ich mit Ge-
                                                                                                                                                       beschlossene Sache
nosse Sonderegger noch ein bisschen länger über seine Krähe und ihren Sinn für
Freiheit, über Konrad Lorenz (den er übrigens persönlich kannte) und anderes ge-                                                           16          Kochen fürs Klima
sprochen.                                                                                                                                              Mit Rebecca in den Resten-
                                                                                                                                                       Himmel
Und genau dafür sind Parteitage auch gut, neben weitreichenden Entscheidungen
und Grundsatzreden. Darum: Kommt zahlreich am 5. Februar 2022 zum nächsten                                                                 17          Zum Tod von Carl Miville
Parteitag nach Genf. Gesprächsstoff wird sich mit so vielen interessanten Men-
                                                                                                                                           18          5 Fragen an Neumitglied
schen vor Ort problemlos finden.                                                                                                                       Jörg Pfistner
Es grüsst euch solidarisch
                                                                                                                                           19          Herbsttagung der SP 60+
eure
Pia Wildberger

IMPRESSUM Herausgeberin: SP Schweiz, Theaterplatz 4, 3011 Bern, Telefon 031 329 69 69, Fax 031 329 69 70 | Erscheint 6 Mal pro Jahr, Auflage 37 810 (Wemf) | Abonnements­preise: Für ­Mitglieder der
SP Schweiz gratis | Adressänderungen/Abo: abo@spschweiz.ch | Redaktion: Pia Wildberger (Chefredaktion), Fabian Müller (SO), Livia Diem (BS), Matthias Stöckli (BL), Hannes Rettenmund (BE), Katha­rina
Kerr (AG), Sebastian Dissler (LU), Philipp Wyss (TG), Eva Schmid (Region Bern), Urs Geiser ­(Korrektor) | E-Mail Redaktion: ­links@spschweiz.ch | Gestaltung/Produktion: Atelier Bläuer,
Bern | Druck: AZ Druck Aarau | Anzeigen: Kilian Gasser, Medienvermarktung GmbH, G        ­ itschenstrasse 4, 6460 Altdorf, Tel. 041 871 24 46, kg@kiliangasser.ch | Redaktionsschluss
dieser Ausgabe: 23. August 2021. Redaktionsschluss nächste Ausgabe: 25. Oktober 2021 | Gedruckt auf Recyclingpapier aus der Schweiz
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   Ein amerikanischer Kampfjet? Ohne uns!
   Die Delegierten stimmten am Parteitag            dieser Tarnkappenbomber völlig ungeeig-
   vom letzten Samstag der Lancierung einer         net», sagt Priska Seiler-Graf, Nationalrätin
   Initiative gegen die Beschaffung amerika-        aus Zürich. Mit dem F-35 würden vor allem
   nischer Kampfjets zu. Bereits am Dienstag        Angriffe geflogen.
   startete die SP zusammen mit der GSoA und        Der Bundesrat begründet die Wahl des
   den Grünen die Unterschriftensammlung.           Kampfjets mit den angeblich tiefen Kosten.
                                                    Doch in allen Ländern, die den F-35
   Im Abstimmungskampf zu den Luxuskampf-           beschafften, explodierten die Kosten für
   jets vor einem Jahr standen die luftpolizeili-   Betrieb und Unterhalt. «Die Behauptung
   chen Aufgaben der Flieger sowie der Schutz       des Bundesrats ist unglaubwürdig», stellt
   des Schweizer Luftraums im Vordergrund.          Priska Seiler-Graf klar. Zudem macht
   Bundesrat und Befürworter machten geltend,       die Beschaffung amerikanischer Kampfjets
   sie wollten unsere Unabhängigkeit schützen.      die Schweiz «in unerträglichem Mass»
   Und nun schlägt der Bundesrat ausgerech-         von den USA abhängig, gerade was Aus­            Bitte unterschreibe darum hier:
   net die Beschaffung des amerikanischen           bildung, Ersatzteile, Updates, Unterhalt         ➔ f-35.spschweiz.ch
   F-35 vor. «Für die genannten Aufgaben ist        und Datenschutz betrifft.

Neuer Newsletter zum                                Deine Stimme bei der                                  Dringender Aufruf
digitalen Kapitalismus                              Bundestagswahl 2021
                                                                                                          Für das laufende Referendum zur
Die erste Ausgabe des neuen Newsletters der                                                               Stempelsteuer fehlen uns noch
AG Wirtschaftsdemokratie beschäftigt sich                                                                 15 000 Unterschriften. Unter-
mit einem brisanten Thema: dem digitalen                                                                  zeichne darum noch heute das
Kapitalismus der Gegenwart. Digitale Platt-                                                               Referendum und bitte auch die
formen wie Amazon, Google oder Facebook                                                                   Nachbarin um ihre Unterschrift –
dringen in immer weitere Bereiche unseres                                                                 und sende den Bogen unbedingt
alltäglichen Lebens vor. Gleichzeitig ist die                                                             sofort ein. Die Sammelfrist läuft
Idee des öffentlichen Guts der digitalen Welt                                                             Anfang Oktober aus. Merci!
weitgehend fremd. Was zeichnet den digitalen                                                              ➔ stempelsteuer-bschiss.ch
Kapitalismus der Gegenwart aus? Mit welchen
unternehmerischen Machtformen haben wir
es zu tun? Welche politischen Regulierungs-
versuche gibt es? Was für mögliche Alterna-         Die Bundestagswahlen von Ende September
tiven eröffnen sich für die Sozialdemokratie?       versprechen einiges an Spannung. Vorne
                  Für alle, die sich mit diesem     liegt derzeit Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der
                  spannenden und wichtigen          SPD, der Schwesterpartei der SP Schweiz.
                  Thema auseinandersetzen           Deutsche Staatsangehörige, die immer
                  und sich für den News­letter      noch in Deutschland gemeldet sind, können
                  anmelden möchten:                 sich noch bis kommenden Montag bei ihrer
                  ➔ wirtschaftsdemokratie.ch        Gemeinde für die Briefwahl anmelden. Viele
                                                    Gemeinden ermöglichen den Briefwahlantrag
                                                    online und akzeptieren eine Schweizer Ad-
                                                    resse. Die Briefwahlunterlagen müssen dann
                                                    bis zum 26. September bei der deutschen
                                                    Stadt oder Gemeinde eingegangen sein. Um
                                                    sicherzugehen, rechne mit Tempo «Schne-
                                                    ckenpost». Auf zur Wahl!
Ja zur 99%-Initiative Ja zur Ehe für alle - AFGHANISTAN GEHT UNS ALLE AN - SP Schweiz
Jonas Zürcher, SP Schweiz
Kapital belasten, Löhne
und Renten entlasten
Die Reichen werden immer reicher. Das reichste                       Soziale Ungleichheit bremsen
Prozent der Bevölkerung besitzt über 40 % des                        Die 99%-Initiative setzt bei dieser    DARUM GEHT ES
Vermögens in der Schweiz – Tendenz steigend.                         Ungerechtigkeit an: Neu sollen Ka-
Gewinne aus Aktien oder Dividendeneinkünfte                          pitaleinkommen ab einer Schwelle
werden heute tiefer besteuert als Einkommen                          von 100 000 Franken anderthalb
aus Arbeit oder Rente. Das ist ungerecht und                         Mal so hoch besteuert werden wie        Menschen, die für ihr Geld
muss sich ändern.                                                    Arbeitseinkommen. Mit den Ein-           arbeiten, werden heute
                                                                     nahmen könnten Steuern auf tiefe         schlechter gestellt als Men­
Wer heute zum exklusiven Club der                                    und mittlere Löhne und Renten ge-        schen, die von Kapitaleinkom­
Superreichen gehört, wird jedes Jahr                                 senkt sowie Krankenkassenprä-            men leben. Lohneinkommen
noch reicher, und zwar aus Kapital-                                  mien oder Kinderkrippen-Beiträge         wird höher besteuert als
einkommen. Deshalb besitzt das                                       reduziert werden. So können die          Einkünfte aus Dividenden.
reichste Prozent in der Schweiz heu-                                 Menschen entlastet werden, die von      Kapitalgewinne über 100 000
te fast die Hälfte des Gesamtvermö-                                  Arbeit oder Rente leben.                 Franken jährlich sollen deshalb
gens. Und die Superreichen wurden                                       Die Superreichen beeinflussen die     mit dem An­dert­halb­fachen
in den letzten zwanzig Jahren steu-                                  Politik mit Lobbying und aufwändi-       des Einkommenssteuersatzes
erlich immer mehr entlastet. Kapi-                                   gen Kampagnen. Das schwächt un-          belastet werden. Dies betrifft
talgewinne sind steuerfrei, Dividen-   Mattea Meyer, Nationalrätin   sere Demokratie. Mit der 99%-Ini-        nur das reichste Prozent der
den werden nur noch teilbesteuert.     und Co-Präsidentin der        tiative können wir hier Gegensteuer      Bevölkerung.
                                       SP Schweiz
Die Steuerausfälle, die so entste-                                   geben. Die 99%-Initiative schafft       Die 99 % der Bevölkerung,
hen, bezahlen wir alle mit höheren                                   mehr Gerechtigkeit zwischen den          deren Einkommen aus Arbeit
Steuern oder Gebühren. Mehrwert-                                     Normalverdienenden und den               oder Rente normal besteuert
steuer, Kinderbetreuungstarife und                                   Reichsten Darum gehört ein über-         wird, können dank den Zusatz­
höhere Lohnnebenkosten sind Bei-                                     zeugtes JA zur 99%-Initiative in die     einnahmen entlastet werden.
spiele dafür.                                                        Urne.
Ja zur 99%-Initiative Ja zur Ehe für alle - AFGHANISTAN GEHT UNS ALLE AN - SP Schweiz
Abstimmung                        LINKS
                                                                                                                                      196 ∙ 2021   5

«Der Wirtschaftsstandort Schweiz
würde profitieren»
                                              Die Initiative gefährdet KMUs, weil die Ei­     Davon ist nicht auszugehen. Der sehr offen
                                              gentümer weniger ins Unternehmen und            formulierte Initiativtext lässt pragmatische
                                              in die Mitarbeitenden investieren können,       Lösungen für solche durchaus sensiblen Si-
                                              sagen die Gegner. Was sagen Sie als Unter­      tuationen explizit zu. Ich bin auch der Mei-
                                              nehmer dazu?                                    nung, dass bei der Umsetzung der Initiative
                                              Die 99%-Initiative erhöht nur die Steuer auf    dieser Thematik Rechnung getragen werden
                                              sehr hohen Kapitaleinkommen. Wer sich zu-       soll. Auch die Initiant:innen wollen das. Es
                                              sätzlich zum normalen Lohn ein so hohes         besteht also weder auf linker noch auf bür-
                                              Kapitaleinkommen auszahlen kann, ist nicht      gerlicher Seite ein Interesse an einer Umset-
                                              darauf angewiesen, weniger zu investieren,      zung, die KMU oder Startups schädigt.
                                              um mit dem Geld private Steuerrechnungen
                                              zu bezahlen.                                    Worin sehen Sie den grössten Gewinn,
                                                                                              wenn die Initiative angenommen würde?
                                              Mit Annahme der Initiative würden Ar­           Ich bin überzeugt, dass für die ganze Gesell-
                                              beitsplätze verloren gehen.                     schaft und somit auch für die Wirtschaft nur
                                              Das glaube ich nicht. Der Wirtschaftsstand-     gut ist, was nachhaltig ist. Neben der ökolo-
                                              ort Schweiz würde von der 99%-Initiative        gischen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit
                                              sogar profitieren. Mit den Mehreinnahmen        gibt es auch noch die soziale Nachhaltigkeit.
                                              sollen tiefe und mittlere Lohneinkommen         Und es ist nicht sozial nachhaltig, wenn die
                                              steuerlich entlastet werden. Dies stärkt        Schere zwischen Arm und Reich immer wei-
                                              deren Kaufkraft, was sich positiv auf den       ter aufgeht. Mit der 99%-Initiative können
                                              Schweizer Wirtschafts- und Investitions­        wir in Sachen sozialer Nachhaltigkeit wieder
                                              standort auswirkt. Auch sollen mit den zu-      etwas zurück­gewinnen, was wir in den ver-
                                              sätzlichen Steuereinnahmen zum Beispiel         gangenen Jahren verloren haben.
                                              Kinderkrippen finanziert werden. Frauen
                                              können so mehr arbeiten – das wäre eine
                                              echte Hilfe gegen den Fach­   kräftemangel!
                                                                                                 *Daniel Sägesser, 33, hat gemeinsam mit Partnern
                                              Denn dieser verhindert heute Investi­tionen.       mehrere Firmen im Cleantech-Bereich gegründet,
Unternehmer Daniel Sägesser* setzt sich für                                                      aufgebaut und am Markt etabliert, darunter Megasol,
die 99%-Initia­tive ein, denn auch für die    Die Übergabe von Unternehmen an Nach­              den grössten Schweizer Solar­modul-Hersteller. Die
                                                                                                 Firmengruppe beschäftigt weltweit 220 Mitarbei-
Wirtschaft ist nur gut, was ökologisch und    fol­ger:innen wird durch die 99%-Initiative        tende, davon über 100 am Hauptsitz in Deitingen SO.
sozial nachhaltig ist.                        erschwert. Stimmt das?                             Sägesser ist SP-Grossrat in Basel-Stadt.

Die Argumente der Gegner:innen im Faktencheck
«Die Initiative gefährdet in Familienunter-   «Unternehmensgründer:innen verzichten           Etwa 1,4 Prozent der Bevölkerung besitzt so
nehmen Nachfolgeregelungen, weil neue         anfangs auf anständigen Lohn. Mit der           viel Geld. Daher ist davon auszugehen, dass
Eigentümer:innen oft grosse Summen aus        Initiative wird ihnen später die Belohnung      nicht mehr als ein Prozent der Bevölkerung
dem Unternehmen abziehen müssen, um           in Form von Dividenden genommen.»               von der Initiative betroffen ist.
Erben auszuzahlen.»                           Gemäss Firmenchefs sind die mit Abstand
Der Verkauf von Unternehmen wird durch die    wichtigsten Standortfaktoren die Verfügbar-     «Ungleichheit ist in der Schweiz kein
99%-Initiative nicht erschwert. Die Gegner    keit von qualifizierten Arbeitskräften sowie    Problem.»
behaupten, Eigentümer:innen würden den        gute überregionale Verkehrsverbindungen         Während die Einkommens-Ungleichheit in
Verkaufspreis ihres Unternehmens wegen        (Avenir Suisse). Für diese Standortfaktoren     der Schweiz tatsächlich geringer ist als in vie-
der drohenden Steuerlast erhöhen, was         ist eine Stärkung des Service Public zentral.   len Ländern, ist die Vermögensverteilung sehr
Nachfolgelösungen erschwere. Dies ist reine   Die 99%-Initiative ermöglicht einen solchen     ungleich. Das reichste Prozent besitzt über
Spekulation. Expert:innen von Schweizer       Ausbau durch zusätzliche Steuereinnahmen.       42 Prozent der Gesamtvermögen, Tendenz
Banken orten die grössten Schwierigkeiten                                                     steigend. Am meisten profitierten die 300
bei Unternehmensübergaben in einer zu         «Nur 100 000 Franken Freibetrag – das           Reichsten: Sie konnten ihre Vermögen seit
späten Planung oder im emotionalen Bereich.   betrifft doch viel mehr als nur 1 Prozent!»     2003 auf 707 Milliarden Franken verdoppeln.
Die meisten Länder kennen eine Kapitalge-     Um ein Kapitaleinkommen von 100 000 Fran-       Gleichzeitig stagnieren die Löhne, Kranken-
winnsteuer, ohne dass dies Unternehmens­      ken zu erzielen, sind bei einer durchschnitt­   kassenprämien und Mieten steigen. Acht
über­gaben erschweren würde.                  lichen Rendite von 3 Prozent mehr als           Prozent der Bevölkerung verdient zu wenig
                                              3 Millionen angelegtes Kapital notwendig.       zum Leben.
Ja zur 99%-Initiative Ja zur Ehe für alle - AFGHANISTAN GEHT UNS ALLE AN - SP Schweiz
6   LINKS
    196 ∙ 2021   Abstimmung

Ja zur Ehe für
Die Diskriminierung von homosexuellen Paaren muss endlich ein Ende haben.                        Mit Blick auf das Diskriminierungs-
Auch gleichgeschlechtliche Paare sollen sich künftig das Jawort geben dürfen                     verbot stellt sich heute die Frage, ob
und rechtlich den heterosexuellen Paaren gleichgestellt sein.                                    die Unterscheidung zwischen hete-
                                                                                                 rosexuellen und gleichgeschlecht-
Der Wortlaut von Artikel 14 der Bun-                         Rechtlich betrachtet ist die Ehe    lichen Paaren haltbar ist. Das Dis-
desverfassung ist klar und gilt be-                       eine einvernehmliche Verbindung        kriminierungsverbot         verbietet
reits heute für alle: «Das Recht auf                      zweier Menschen, die mit gegensei-     die unterschiedliche Behandlung
Ehe und Familie ist gewährleistet.»                       tigen Rechten und Pflichten einher-    verschiedener Personen nicht. Die
Welche Bedingungen erfüllt sein                           geht. Im täglichen Leben wirken sich   Unterscheidung muss sich jedoch
müssen, damit zwei Personen die                           diese Rechte und Pflichten in den      sachlich rechtfertigen lassen. Ist die
Ehe eingehen können, regelt jedoch                        verschiedensten Bereichen aus, bei-    Unterscheidung zwischen gleichge-
das Zivilrecht. Dieses beschränkt                         spielsweise im Erbrecht oder beim      schlechtlichen und heterosexuellen
die Ehe auf heterosexuelle Paare.                         Recht auf Adoption. Im früheren        Paaren bei der Eheschliessung be-
Mit der Vorlage «Ehe für alle» soll    Daniel Jositsch,   klassischen Verfassungsverständ-       gründet? Ein sachlicher Grund ist
dies geändert und die Ehe damit        Rechtsprofessor    nis war die Ehe jedoch auf hetero-     nicht erkennbar.
                                       und Ständerat ZH
auch für gleichgeschlechtliche Paare                      sexuelle Paare beschränkt. Das hat        Auch inhaltlich ergibt der feh-
geöffnet werden.                                          sich verändert.                        lende Zugang gleichgeschlechtli­
Ja zur 99%-Initiative Ja zur Ehe für alle - AFGHANISTAN GEHT UNS ALLE AN - SP Schweiz
STAND
                                                                                                                     PUNKT

alle                                                                           Undemokratische
                                                                                                       Mustafa Atici,
                                                                                                       Nationalrat BS,
                                                                                                       Präsident SP Migrant:innen

cher Partner:innen zur Ehe keinen
Sinn. Immer wieder wird von den
                                       erhalten, dass sie schon seit Jahr-
                                       hunderten bestehe. Es dauerte sehr      Stimmrechts­verteilung
Gegnerinnen und Gegnern ins Feld       lange, bis sich die Gesellschaft in
geführt, die auf jahrhundertelanger    Fragen der sexuellen Orientierung       Die demografische Entwicklung unseres Landes
Tradition beruhende Ehe leide, wenn    öffnete, unzählige Menschen wur-        beschäftigt mich. Künftig werden in einigen
sich auch gleichgeschlechtliche Paa-   den deshalb lange Zeit benach-          Städten Personen ohne Wahl- und Stimmrecht
re das Jawort geben können. Dieses     teiligt. Doch eine «traditionelle»      die Mehrheit bilden. Schon heute ist das in
Argument ist unhaltbar: Die Öff-       Diskriminierung rechtfertigt keine      Kreuzlingen der Fall. Dort entscheidet eine
nung der Ehe für gleichgeschlechtli-   weitere Benachteiligung, im Gegen-      knappe Minderheit über politische Anliegen.
che Paare nimmt niemandem etwas        teil! Eine sofortige und vollständige   Damit diese antidemokratische Entwicklung
weg. Wer in einer heterosexuellen      Gleichstellung gleichgeschlechtli-      nicht zur Norm wird, wurden in den letzten
Beziehung die Ehe eingehen möchte,     cher Partnerschaften ist darum un-      20 Jahren mit Unterstützung der SP in vielen
kann dies weiterhin tun.               abdingbar.                              Kantonen und Gemeinden Initiativen für das
                                                                               Stimm- und Wahlrecht für Ausländer:innen
Traditionelle Diskriminierung ade                                              eingereicht.
Es ist zynisch, eine Diskriminierung
                                                                               Nächstes Jahr wird auch in Basel darüber ab­
mit der Begründung aufrechtzu-
                                                                               gestimmt. Unsere parlamentarische Initiative
                                                                               fordert, dass Einwohner:innen ohne Schweizer
                                                                               Bürgerrecht spätestens nach fünf Jahren mit
 DARUM GEHT ES                                                                 Wohnsitz in der Schweiz die vollen politischen
                                                                               Rechte in kommunalen Angelegenheiten erhalten.
                                                                               Wir sind stolz auf unsere Demokratie. Doch
                                                                               andere Länder weiteten die politischen Rechte
  Lesbische und schwule                                                       lange vor uns aus, beispielsweise für Frauen.
   Paare sollen heiraten                                                       Und die Europäische Union führte mit dem
   können und damit hetero­                                                    Vertrag von Maastricht auf kommunaler Ebene
   sexuellen Ehepaaren                                                         für alle Unionsbürger:innen die vollen politi­
   gleichgestellt werden.                                                      schen Rechte ein.
  Die Ehe für alle ist ein
                                                                               In der Schweiz haben 605 Gemeinden in sie­
   historischer Schritt für die
                                                                               ben Kantonen das Stimm- und Wahlrecht für
   Gleichstellung. Die einge­
                                                                               Mitbürger:innen ohne Schweizer Pass einge­
   tragene Partnerschaft ist
                                                                               führt, einige Kantone auch auf kantonaler Ebe­
   der Ehe nicht ebenbürtig.
                                                                               ne. Wo das Stimmrecht für alle besteht, zeigt
   Benachteiligungen beste­
   hen etwa bei Einbürgerun­           «Die Schweiz ist                        sich: Partizipationsmöglichkeiten und Mitbe­
                                                                               stimmungsrechte auf kommunaler Ebene tragen
   gen oder Adoptionen.
  Wie heterosexuelle Ehe­             das zweitletzte                         zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft bei.
   paare sollen verheiratete                                                   Aus Gründen der Rechtsgleichheit sollten diese
   Frauen­paare in der Schweiz         west­europäische                        politischen Rechte auch in den übrigen 1590
   Zugang zur Samenspende                                                      Gemeinden zum Tragen kommen, ohne Verwir­
   erhalten. Beide Mütter gel­         Land, das die Ehe für                   kung beim Umzug in eine andere Gemeinde oder
   ten von Geburt an als Eltern                                                einen anderen Kanton. Die Wohnsitzfrist von
   des Kindes, was das Baby            gleich­geschlechtliche                  fünf Jahren, die in den Kantonen Freiburg
   und die Eltern rechtlich                                                    und Neuenburg gilt, hat sich bewährt. Sie be­
   absichert. Entscheidend für         Paare noch nicht                        ginnt jedoch in allen Kantonen, die das Stimm-
   das Kindeswohl ist die Liebe                                                und Wahlrecht für Zugezogene kennen, bei
   der Eltern, nicht deren             ermöglicht hat.                         einem Wohnortswechsel neu, was den heutigen
   Geschlecht.                                                                 Mobilitätsbedürfnissen entgegensteht.
  In Ländern, in denen die            Es ist höchste Zeit!                    Wer von einem Entscheid betroffen ist, soll an
   Ehe für alle eingeführt
   wurde, sank unter den               Denn es ist genug                       diesem Entscheid auch teilhaben können: Das ist
                                                                               unsere Grundüberzeugung. Deshalb haben die
   Betrof­fenen die Selbst­
   mordrate, und Vor­urteile           Ehe für alle da!»                       SP Migrant:innen eine Petition lanciert. Danke,
                                                                               dass Ihr hier dafür unterschreibt:
   nahmen ab.
                                       TAMARA FUNICIELLO, NATIONALRÄTIN, BE    stimmrechtfueralle.ch
Ja zur 99%-Initiative Ja zur Ehe für alle - AFGHANISTAN GEHT UNS ALLE AN - SP Schweiz
8   LINKS
    196 ∙ 2021   AHV21

Hände weg
von den Frauenrenten!
Mit der AHV21 die Frauen schlechterstellen? Sicher nicht! Am 18. September                                     mit Gleichstellung zu tun: Bei der
demonstrieren wir darum alle gemeinsam in Bern – kommt zahlreich!                                              Diskussion der AHV-Revision im
                                                                                                               Parlament ignorierten sie den Gen-
Frauen, die ihr ganzes Leben lang                                     men zur Bekämpfung des Gender-           der-Pension-Gap völlig. Stattdessen
gearbeitet haben, ohne auf familien­                                  Pay-Gaps. Darunter verstehen wir         verschlechterten sie die Situation
ergänzende Betreuung zurückgrei-                                      mehr Lohngleichheit, eine systema-       der Frauen und verwässern Lösungs-
fen zu können, unzählige Stunden                                      tische Erhöhung der Löhne im Care-       ansätze bei der Bekämpfung der Ur-
unbezahlter Care-Arbeit leisten, in                                   Bereich, unentgeltliche familiener-      sachen, etwa bei der Lohn-Ungleich-
schlecht bezahlten Teilzeitjobs ar-                                   gänzende Betreuungsangebote und          heit. So wurde die parlamentarische
beiten oder nach einer Scheidung                                      eine Elternzeit.                         Debatte über den Rentenabbau denn
wenig berufliche Perspektive haben:                                      Die vorliegende AHV-Revision          auch im Eiltempo durchgezogen,
Ihnen allen gebührt Anerkennung.                                      bezahlen die Frauen, wenn wir uns        trotz vielen kritischen Stimmen aus
Das gilt für die Generation meiner      Virginia Köpfli,              nicht wehren. Dabei wäre es nicht nö-    der Bevölkerung und einem Appell
Mutter, das gilt für die vorangegan-    Geschäftsleitung SP Frauen*   tig, Finanzierungsprobleme auf Kos-      von Frauenstreikkomitees und Ge-
genen Generationen und für alle                                       ten der Frauen zu «lösen»: Sie liessen   werkschaften, die innert kürzester
Generationen, die noch kommen                                         sich beispielsweise auch mit einer       Zeit über 300 000 Unterschriften
mögen.                                                                Dividendenbesteuerung angehen.           gegen eine Erhöhung des Rentenal-
   Die AHV anerkennt dies zumin-                                                                               ters zusammenbrachten.
dest zu einem kleinen Teil über das                                   Wo Gleichstellung draufsteht, ist           Am 18. September, vor der
tiefere Rentenalter 64. Doch wie                                      nicht immer Gleichstellung drin          Schlussabstimmung zur AHV-Revi-
lange noch? Das nationale Parla-                                      Die Bürgerlichen behaupten oft, die      sion im Parlament, demonstrieren
ment möchte das Frauenrentenalter                                     Erhöhung des Rentenalters sei ein        wir darum in Bern. Kommt zahl-
erhöhen. Einmal mehr sind Frauen                                      Akt der Gleichstellung. Doch die         reich! Gemeinsam wollen wir ein
die ersten Opfer der asozialen Ab-                                    Poli­tik der Bürgerlichen hat nichts     Zeichen setzen gegen die Erhöhung
baupolitik. So, wie auch Kantone                                                                               des Frauenrentenalters.
mit ihren Sparpaketen als Erstes im                                                                               Als Tochter, Feministin und jun-
Care-Sektor sparen. Einmal mehr                                                                                ge Frau werde ich am 18. September
wird unbezahlte Care-Arbeit zu we-                                                                             auf die Strasse gehen. Es kann nicht
nig mitgedacht. Einmal mehr wird                                                                               sein, dass unseren Müttern einmal
Vereinbarkeit von Familie und Beruf                                                                            mehr jener Respekt verwehrt wird,
als umgesetzt betrachtet.                                                                                      für den sie ihr ganzes Leben lang
   In der neuen AHV21 läuft aus fe-                                                                            gekämpft haben. Es kann nicht sein,
ministischer Sicht vieles falsch. Die                                                                          dass sich die Rentensituation für zu-
Gleichstellung wird als gegeben be-                                                                            künftige Generationen verschlech-
trachtet, und wenn es in der Realität                                                                          tert. Zeigen wir feministische Soli-
nicht funktioniert, handelt es sich                                                                            darität und kämpfen gemeinsam für
um das individuelle Versagen von                                                                               ein gerechteres, soziales Rentensys-
Frauen – nach gut liberaler Traditi-                                                                           tem und gegen den Abbau! Hände
on. Dem müssen wir eine feminis-                                                                               weg von den Frauenrenten!
tische Politik entgegenstellen: den
Ausbau der AHV sowie Massnah-

 WIR LAUFEN
 GEMEINSAM!
 Gemeinsam sind wir stark:
 Alle Demonstrant:innen der
 SP Frauen, der SP Migrant:innen
 und der SP 60+ treffen sich am
 18. September um 13.15 Uhr auf
 der Schützenmatte, Ecke Lor­
 rainebrücke/Hodler­strasse. Halte
 Ausschau nach unseren Fahnen!
Ja zur 99%-Initiative Ja zur Ehe für alle - AFGHANISTAN GEHT UNS ALLE AN - SP Schweiz
LINKS REGIOBE
GEMEINDEABSTIMMUNG VOM 26. SEPTEMBER 2021

Gemeindeinitiative
«Bezahlbares Wohnen
in Muri-Gümligen»
Am 26. September geht ein langer Weg zu Ende. Die Stimmbevölkerung                                 verschiedenen Quartieren haben vor allem
der Gemeinde Muri b. Bern entscheidet über die Gemeinde­initiative                                 Sanierungen den Wohnraum weiter verteu-
«Bezahlbares Wohnen in Muri-Gümligen», die im Jahr 2019 von der                                    ert. Die Tiefsteuerpolitik der Gemeinde heizt
SP und den Grünen eingereicht wurde. Bei grösseren Überbauungen –                                  die Preise zusätzlich an. Eine Vier-Zimmer-
wenn circa 40 neue Wohnungen in einem zusammenhängenden Areal                                      Wohnung unter 2000 Franken ist daher nur
entstehen – soll mindestens ein Fünftel davon «preisgünstig»                                       sehr schwer zu bekommen.
im Sinne der Wohnraumförderungsverordnung des Bundes sein.                                            Angesichts der Argumente der Bürgerli-
                                                                                                   chen gegen unsere Initiative werde ich rasch
Dass wir es bis zur Abstimmung geschafft         allmählich in Muri b. Bern sichtbar wird,         emotional. Oft sind es sehr wohlhabende
haben, verdanke ich insbesondere zwei Per-       nachdem die bürgerliche Dominanz bei den          Personen mit grossen Eigenheimen, die un-
sonen: Im Frühling 2018, am Parteitag der SP     letzten Wahlen gebrochen wurde.                   sere Initiative ablehnen. Das ist für mich un-
Region Bern-Mittelland, motivierten mich                                                           verständlich. Denn mit der Gemeindeinitia-
Jürg Sollberger vom Regionalverband Bern-        Warum es in Muri-Gümligen unbedingt               tive nehmen wir niemandem etwas weg. Ich
Solothurn der gemeinnützigen Wohnbau-            mehr bezahlbaren Wohnraum braucht                 selbst lebe mit meiner Frau und unseren zwei
träger und Tanja Bauer mit ihrem Erlebnis-       Braucht es überhaupt mehr bezahlbaren             kleinen Söhnen in einer bestehenden Wohn-
bericht über das gleiche Anliegen in Köniz       Wohnraum in Muri b. Bern? Ja, unbedingt!          baugenossenschaft im Melchenbühlquar-
entscheidend dazu, im stockbürgerlichen          Eine Analyse der Gemeinde hat ergeben,            tier. Wir bezahlen für eine Vier-Zimmer-
Muri b. Bern eine Gemeindeinitiative für         dass die Mieten in unserer Gemeinde im regi-      Wohnung eine Monatsmiete von gerade mal
bezahlbares Wohnen zu lancieren. Zu Be-          onalen Vergleich sehr hoch sind. Alleinerzie-     1350 Franken. Hätten wir nicht das Glück ge-
ginn wurden wir offen belächelt. Spätestens      hende, junge Familien und ältere Personen         habt, diese bezahlbare Wohnung zu finden,
als wir die notwendigen Unterschriften in        haben bei einem Wohnungswechsel Mühe,             wären wir wohl aus Muri b. Bern weggezogen
knapp der Hälfte der Zeit zusammenhatten,        etwas Bezahlbares in unserer Gemeinde zu          – worüber vielleicht einige meiner Gegner
war unseren Gegnern das Lachen vergan-           finden. Nicht wenige verlassen deshalb Muri       froh gewesen wären. Mit unserer Initiative
gen. Wer zuletzt lacht, ist aber offen.          b. Bern. Das ist bedenklich und weckt in mir      wollen wir – gemeinsam mit einem überpar-
   Die Debatte ist ideologisch geprägt, und      die Befürchtung, unsere Gemeinde könnte           teilichen Komitee und einer kreativen Kam-
die Meinungen sind grösstenteils schon ge-       zu einem «Reichenghetto» verkommen. Mit           pagne – dafür sorgen, dass nicht allein das
macht. Die Mobilisierung des linken Lagers       der Initiative stellen wir sicher, dass Muri      Portemonnaie darüber entscheidet, wer in
wird daher von entscheidender Bedeutung          b. Bern eine für alle offene Gemeinde bleibt.     Muri-Gümligen wohnen kann und wer nicht.
sein. Immerhin, Gemeinderat und Parla-           Die Bürgerlichen argumentieren, unsere Ini-
ment befürworten – wenn auch mit knap-           tiative sei überflüssig, da auch ohne «Staats-       Raphaël Racine, Parlamentsmitglied Muri b. Bern,
pem Mehr – unsere Initiative. Hier zeigt sich    zwang» genügend preisgünstige Wohnun-                Präsident Initiativkomitee «Bezahlbares Wohnen
                                                                                                      in Muri-Gümligen»
zum ersten Mal der politische Wandel, der        gen entstünden. Das ist Wunschdenken. In

Das Initiativkomitee setzt auf eine kreative Kampagne. Viele Velos sind mit Wimpeln geschmückt und Balkone mit Fahnen versehen (links:
Raphaël Racine, Präsident des Initiativkomitees). Mit bunten Velos wird im öffentlichen Raum ein weiterer «Teaser» für die Initiative gesetzt.
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      196 ∙ 2021        LINKS SO
                   Seitentitel

Neues Format am kantonalen
SP-Parteitag in Olten
Die Geschäftsleitung der SP hat am letzten      vorstellen und Informationsmaterial vertei-           rissenen 81-Millionen Luxusstrasse»; Willi-
Parteitag ein neues Format eingeführt. Nach     len können. Dieses Format soll zu Diskus­             Ritschard-Bildungswerkstatt; Komitee «Ehe
der Eröffnungsrede von Co-Präsident Hardy       sionen unter den Parteimitgliedern anregen,           für Alle»; JUSO, 99%-Initiative; Junge SP
Jäggi gab es erstmals einen Polit­markt mit     aber auch den Zusammenhalt innerhalb der              Region Olten, Volksinitiative «Erweiterung
Verpflegung und Getränken. An diesen Polit­     Partei stärken.                                       der Gemeindeautonomie»; «Vertreter:innen
markt sollen jeweils verschiedene Gruppie-         Am ersten Politmarkt der SP Kanton                 der Pflegeinitiative».
rungen und Komitees eingeladen werden,          Solothurn waren folgende Gruppierungen                   Über Rückmeldungen zum neuen Format
damit sie den SP-Mitgliedern ihre Anliegen      vertreten: «Thaler Komitee NEIN zur über-             würden wir uns sehr freuen.

Vergewaltigungsmythen
In den vergangenen Wochen sind
                                       Es ist also offenbar in vielen Köp-
                                       fen nach wie vor so, dass es die Op-
                                                                               MEIN                          ze im Nachhinein als «missglückte
                                                                                                             Kommunikation» schönreden zu
in den Medien verschiedene Arti-       fer selbst in der Hand haben, ob sie    STAND-                        wollen, macht die Sache nicht bes-
kel zum Urteil im Vergewaltigungs-
fall von vor eineinhalb Jahren in
                                       vergewaltigt werden oder nicht. Wir
                                       werden die Dunkelziffer bei sexuel-
                                                                               PUNKT                         ser. Vergewaltigungsmythen hal-
                                                                                                             ten sich in der Gesellschaft hart-
Basel erschienen. Zu reden und         len Gewaltverbrechen nie reduzie-       Nadine Vögeli,                näckig. Wenn sich aber nicht mal
schreiben gab nicht in erster Linie,   ren können, wenn die Opfer immer        Co-Parteipräsidentin          Richter:innen kritisch damit ausei-
                                                                               SP Kanton Solothurn
dass die zweite Instanz das Straf-     noch damit rechnen müssen, dass                                       nandersetzen, kommen wir bei die-
mass reduzierte, sondern die Be-       ihnen die Schuld an der Gewalttat                                       sen Themen nie weiter.
gründung, weshalb das Gremium          zugeschoben wird.
so entschieden hatte. Die Frau, die       Völlig daneben ist auch, dass
nach dem Ausgang im Hauseingang        die Richter:innen offenbar wissen,
ihres Wohnhauses vergewaltigt          wie man sich als Opfer nach einer
wurde, habe «mit dem Feuer ge-         Gewalttat zu verhalten hat. Aus
spielt», da sie zuvor mit einem an-    der Tatsache, dass sich ein Opfer
deren Mann intim geworden sei. Zu-     nicht in Therapie befindet, wird
dem habe die Vergewaltigung nur 11     abgeleitet, dass es offenbar nicht so
Minuten gedauert, und das Trauma       schlimm war. Es hat ja auch «nur
sei offenbar nicht so gross, da sich   11 Minuten gedauert». Als ob die
das Opfer nicht in Therapie befinde.   Länge eines Erlebnisses zwingend
Nur zur Erinnerung: Wir befinden       mit dem Grad des Traumas zusam-
uns im Jahr 2021. Und noch immer       menhängen würde. Aus meiner
halten sich uralte Vergewaltigungs-    Sicht sind die Begründun-
mythen in der Gesellschaft. Viel       gen im höchsten Mass
schlimmer ist aber, dass sogar ein     unprofessionell und
Richter:innengremium sich diesen       dürften so nie von ei-
Mythen nicht entziehen kann oder       nem Richter:innen­
will und mit dieser Begründung des     gremium genannt
Urteils das Ganze noch zementiert.     werden. Das Gan-
Alain Duss, unsplash.com

                                                                                                                                LINKS  BE
                                                                                                                                   Seitentitel                       LINKS
                                                                                                                                                                     196 ∙ 2021   11

                           Bezahlbare Massnahmen
                           für mehr Klimaschutz
                           Die extremen Wettersituationen im Sommer 2021 führen uns in aller                                    sprechende Vorschrift. Nur so werden solche
                           Deutlichkeit vor Augen, dass sich das Klima rasant verändert. Wie                                    Anlagen in genügend grosser Anzahl gebaut
                           die Wissenschaft bereits vor 50 Jahren voraussagte, bewirken die seit                                und schaffen wir die Energiewende. Dank der
                           der Industrialisierung ausgestossenen Treibhausgase neben dem                                        deutlichen Annahme im Grossen Rat und den
                           Abschmelzen von Gletschern und Eisschilden vermehrt Stürme,                                          Bemühungen unseres Energie- und Umwelt-
                           Trockenheitsperioden und Überschwemmungen.                                                           direktors Christoph Ammann wird diese Vor-
                                                                                                                                schrift sicher in die nächste Energiegesetz­
                           Gemäss Umfragen befürwortet eine deutli-          tragen. Wenn beispielsweise der Kanton das         revision einflies­sen.
                           che Mehrheit der Berner Bevölkerung Mass-         Autofahren verteuert, dann muss im Gegenzug           Nicht durchdachter Klimaschutz zu Las-
                           nahmen zum Schutz unserer Umwelt und zur          der öffentliche Verkehr ausgebaut werden. Der      ten der Armen und Schwächeren führt zu
                           Verminderung der Klimaerwärmung. Den-             Kanton Bern braucht somit eine ÖV-Offensive,       sozialen Konflikten. Moralische Appelle und
                           noch steht die Schweiz nach der verlorenen        insbesondere in den ländlichen Regionen und        eine Verteuerung der fossilen Brennstoffe al-
                           Abstimmung vom 13. Juni 2021 ohne griffiges       in den Agglomerationen, damit die Menschen         leine reichen nicht aus. Es braucht vielmehr
                           CO2-Gesetz da, und der Kanton Bern hat nach       eine umweltschonende Alternative erhalten.         sozialverträgliche Massnahmen und die För-
                           dem Nein vom 19. Februar 2019 immer noch          Oder wenn Öl-Heizungen verboten werden,            derung von bezahlbaren Alternativen. Dann
                           kein zeitgemässes Energiegesetz. Nun bietet       dann muss der Kanton erneuerbare Energien          finden sich auch wieder Mehrheiten für mehr
                           sich die Chance für eine Trendwende: Am           zusätzlich subventionieren und den Ausbau          Klimaschutz. Als Grundlage dafür braucht es
                           26. September stimmen wir im Kanton Bern          der Fernwärmenetze vorantreiben. So werden         aber unbedingt eine deutliche Annahme des
                           über die Einführung eines Klimaschutzar-          die Massnahmen für mehr Klimaschutz be-            Klimaschutzartikels am 26. September.
                           tikels in der Kantonsverfassung ab. Die SP        zahlbar und damit auch mehrheitsfähig.
                           empfiehlt überzeugt ein Ja! Wir müssen dem           Ein ganz aktuelles Beispiel für die Umwelt-       Ueli Egger, Co-Präsident SP Kanton Bern
                                                                                                                                  und Grossrat, Hünibach
                           Klimaschutz die richtige Bedeutung zumes-         politik der SP ist ein überparteilicher Vorstoss
                           sen und ihm den gebührenden Platz in der          von Christian Bachmann und mir, der in der
                           Kantonsverfassung gewähren.                       vergangenen Sommersession im Grossen Rat             «Der Kanton Bern
                              Ein klares Ja zum Klimaschutzartikel wird      klar überwiesen wurde. Er fordert, dass bei
                           uns alle dazu verpflichten, gemeinsam nach        Neubauten und Dachsanierungen alle geeig-            braucht eine ÖV-
                           konkreten Lösungen zu suchen, die den Kan-        neten Dachflächen mit Solarenergieanlagen
                           ton Bern bis 2050 klimaneutral machen.            ausgerüstet werden müssen. SP-Umweltpoli-            Offensive, insbeson-
                              Für die SP ist klar, dass die daraus folgen-   tik bedeutet konkrete Lösungen für bestehen-
                           den Massnahmen sozialverträglich sein müs-        de Herausforderungen: Obschon die Technik            dere in den ländlichen
                           sen. Die Ablehnung des eidgenössischen CO2-       ausgereift ist, Solarenergieanlagen subventi-
                           Gesetzes hat gezeigt, dass gerade Menschen        oniert werden und die Mehrkosten gegenüber           Regionen und in den
                           mit kleinem Einkommen zusätzliche Kosten          konventionellen Dächern mittlerweile kaum
                           fürchten. Dem müssen wir stärker Rechnung         mehr ins Gewicht fallen, braucht es eine ent-        Agglomerationen.»
MEIN STANDPUNKT            LINKS LU
Stadt gegen Land?
Von wegen!
                                 Seit kurzem bewirtschaftet
                                 die SVP ein neues Feindbild:
                                 Die Stadtbevölkerung, be-
                                 stehend aus «Luxus-Lin-
                                 ken», die den Menschen im

                                                                  «Wir sind
                                 Land vorschreiben, wie sie
                                 denken und leben sollten.
                                 Das idealisierte Bild eines

                                                                  als Gesellschaft
                                 landwirtschaftlichen Berg-
Anja Meier (23) ist Kantonsrätin  volkes, das die «echte»
aus Willisau.                     Schweiz ausmacht, ist
                                  schlicht­
                                          weg falsch. Die
Schweiz ist städtischer, als es die SVP wahrhaben will.
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lebt oder
                                                                  gefordert
arbeitet in den Städten und der Agglo. Enge Verflechtun-
gen zwischen Stadt und Land prägen uns, sei es bei der
Arbeit, im Freundes- und Familienkreis oder im Freizeit-
                                                                  hinzuschauen»
verhalten. Von den diversen Transferzahlungen – etwa
in den Bereichen Infrastruktur oder Landwirtschaft –
profitieren insbesondere die ländlichen Regionen. Und           Grossstadträtin Maria Pilotto (35) hat einen Vorstoss mit dem
bei Abstimmungen hat mal die Stadt, mal das Land die            Titel «Für ein Luzern ohne Gewalt – gemeinsam gegen Sexismus,
Oberhand.                                                       Homo- und Transfeindlichkeit» eingereicht. Interview: Sebastian Dissler
Die polemischen Brandreden der SVP entpuppen sich
nicht nur als falsch: Nein, sie bezwecken allein die poli-      Liebe Maria, um was geht es bei dei­       von «Luzern schaut hin» werden und
tische Spaltung. Progressive gesellschaftliche Entwick-         nem Vorstoss?                              sich für mehr Sicherheit einsetzen.
lungen, die ihren Ursprung zumeist in der Stadt haben,          Studien und Umfragen zeigen immer
werden als arrogant und unschweizerisch verunglimpft.           wieder, dass mehr Menschen im öf-          Wie schätzt du generell die Situa­tion
Nicht ausklammern lassen sich jedoch die unterschiedli-         fentlichen Raum physische oder psy-        betreffend Gewalt und Belästigun­
chen politischen Mehrheitsverhältnisse, auch im Kanton          chische Gewalterfahrungen machen,          gen in der Stadt Luzern ein?
Luzern. Die Landbevölkerung per se als «hinterwäld­             als die Polizeistatistiken auch tatsäch-   Die Stadt Luzern möchte laut Gemein-
lerisch» zu betiteln, greift jedoch ebenfalls zu kurz.          lich abbilden. Auch wenn es zu keinem      destrategie eine sichere und saubere
Erstens gibt es auf der Luzerner Landschaft viele und zu-       Verfahren kommt, sind die Erlebnisse       Stadt sein und setzt darauf, dass sich
nehmend mehr Menschen, die sich für eine soziale und            trotzdem gravierend und auch trau-         die Bevölkerung auch tatsächlich si-
nachhaltige Politik engagieren, auch bei der SP.                matisierend. Mit einem an Zürich an-       cher fühlt. Konkrete Zahlen haben wir
Zweitens führen die unterschiedlichen Lebensrealitä-            gelehnten Online-Tool unter dem Titel      wenige, jedoch stellen wir bei Bewe-
ten legitimerweise zu anderen Bedürfnissen, etwa bei            «Luzern schaut hin» gibt die Stadt die-    gungen wie #aufschrei fest, dass viele
der Mobilität. Auch die kantonale Politik kann und muss         sen Erfahrungen Raum und informiert        Menschen im persönlichen Umfeld Er-
hier dazu beitragen, dass sich der politische Graben nicht      Betroffene niederschwellig über mög-       fahrungen mit Sexismus, Homo- oder
vergrössert. Die Landschaft braucht einen gesicher-             liche Schritte. Zudem soll der Aufbau      Transfeindlichkeit haben. Es braucht
ten Service Public in geeigneter Form. Die Menschen             des Tools mit Weiterbildungen beglei-      jetzt eine Plattform, die diese Erleb-
sind auf Bildungsmöglichkeiten, den öV oder Betreu-             tet werden, um Fachpersonen der Ver-       nisse sichtbar macht und den Leuten
ungsdienstleistungen angewiesen. Ebenso braucht es              waltung und weiterer Institutionen zu      niederschwellig hilft. Betroffene sind
nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten, die der Land-            sensibilisieren.                           nicht allein damit und wir sind als
bevölkerung wirtschaftliche Perspektiven bieten. Im                                                        Gesellschaft gefordert hinzuschauen.
Kanton Luzern kommt erschwerend hinzu, dass sich                Heute können Opfer von Gewalt              Das trägt auch dazu bei, billige Schuld­
der Kantonshauptort geografisch nicht im Zentrum be-            Strafanzeige bei der Polizei einrei­       zuschreibungen an die Opfer abzu­
findet, wes­    wegen infrastrukturell gut ausgestattete        chen. Wieso braucht es zusätzlich          bauen.
Regionalzentren unabdingbar sind. Ganz zu schweigen             eine Online-Plattform?
von der Wichtigkeit der medizinischen Grundversor-              Das Image der Polizei beispielswei-          Maria Pilotto arbeitet als wissenschaftliche
gung: Die von der Luzerner Regierung ins Spiel gebrach-         se im Falle von sexueller Belästigung        Mitarbeiterin und Verantwortliche Nachhal-
                                                                                                             tigkeit bei der Hochschule Luzern. Sie ist auch
te Einschränkung der Medizin und Chirurgie am Spital            auf der Strasse ist gerade bei jungen        bei den SP Frauen* Kanton Luzern und beim
Wolhusen würde diese Grundversorgung sowie deren Er-            Frauen nicht gut. Dies zeigen meine          Kollektiv des Frauen*streiks engagiert.
reichbarkeit für viele Menschen massiv verschlechtern.          Erfahrungen aus der Frauen*streik-
Dass der Stadt-Land-Graben in der Schweiz nicht so tief         Bewegung. Auch besteht das Bedürf-
ist wie anderswo, verdanken wir insbesondere einem              nis, genauer zu wissen, was bei einer
starken Service Public, für den sich die SP stets einge-        Anzeige passiert oder welche Chancen         «Es braucht eine
setzt hat. Gleichzeitig ist unbestritten, dass die grossen      man hat. Mit der Online-Plattform sol-
Fragen unserer Zeit – die soziale Ungleichheit oder der         len diese Informationen niederschwel-        Plattform, die
Klimawandel – uns alle angehen, egal ob in der Stadt oder       liger werden. Die gesamte Projektum-
auf dem Land zuhause. Es braucht ein Zusammenspan-              setzung sollte wie in Zürich breit abge-     diese Erlebnisse
nen sämtlicher fortschrittlichen Kräfte, um die besten          stützt sein, damit beispielsweise auch
Antworten für alle statt für wenige zu finden.                  Kultur- oder Gastronomiebetriebe Teil        sichtbar macht.»
Pia Wildberger
  U.S. Central Command Public Affairs
                                                                                                                 Afghanistan               LINKS
                                                                                                                                           196 ∙ 2021   13

                                        Afghanistan
                                        geht uns alle an
Nach dem Rückzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan werden dort die                                           ständigen Bundesrätin Karin Keller-
Menschenrechte buchstäblich mit Füssen getreten. Die Schweiz kann und soll                                           Suter war bis vor drei Wochen be-
mehr tun!                                                                                                            reit, Geflüchtete nach Kabul zurück-
                                                                                                                     zuschicken. Obwohl die Lage schon
Einen Tag nachdem die Taliban auch                                          sen haben, weil sie den Vater abho-      damals dramatisch war.
Kabul eingenommen hatten, habe                                              len wollten.
ich fünf junge Frauen getroffen, die                                                                                 Die offizielle Schweiz: Tatenlos
aus dem Iran, aus Syrien und dem                                            Was tun?                                 statt tatkräftig
Irak geflohen sind. Sie haben mir                                           Diese Nachrichten und Bilder von         Die erneute Tatenlosigkeit macht
davon erzählt, wie sie in die Schweiz                                       verzweifelten Menschen aus Afgha-        fassungslos. Niemand behauptet,
gekommen sind. Wie sie sich danach                                          nistan machen tief betroffen. In die-    weitere Evakuierungen seien ein-
sehnen, in Sicherheit zu leben und                                          ser dramatischen Situation stellt sich   fach machbar. Im Gegenteil: Die
arbeiten zu können. Wie sie Deutsch                                         die Frage: Was kann die Schweiz tun?     Lage ist unübersichtlich, unsicher,
gelernt haben und sich freiwillig             Mattea Meyer, Nationalrätin      Geht es nach dem Bundesrat, soll      gefährlich. Aber wir können vom
engagieren. Und wie sie, allen Hin-           und Co-Präsidentin der        sich das unmittelbare Engagement         Bundesrat erwarten, dass er das
                                              SP Schweiz
dernissen zum Trotz, hartnäckig                                             der Schweiz darauf beschränken,          Mögliche versucht, im Verbund mit
ihre Lebensträume verfolgen. Ein-                                           die Schweizer:innen vor Ort sowie        anderen Staaten weitere gefährdete
mal mehr wurde mir bewusst: Was                                             das lokale Deza-Personal und zuge-       Menschen zu retten.
mich von ihnen unterscheidet, ist                                           hörige Familien zu evakuieren. Das          Doch der Bundesrat ist nicht
das Glück, in einem der sichersten                                          ist ihm zur grossen Erleichterung        einmal bereit, dort zu handeln, wo
Länder der Welt geboren zu sein. Ich                                        aller gelungen.                          er ganz alleine entscheiden kann:
hätte ebenso gut auch eine der ge-                                             Mehr will der Bundesrat nicht         Bei Afghan:innen, die bereits in der
flüchteten Frauen sein können. Wir                                          tun. Diese Abwehrhaltung hat leider      Schweiz leben. Er könnte von sich
könnten heute ebenso gut nicht auf                                          System: Das Departement der zu-          aus abgewiesenen Geflüchteten, die
unserem Sofa in der Stube sitzen.                                                                                    in Notunterkünften leben, ein Auf-
Sondern in einem Keller in Kabul.                                                                                    enthaltsrecht erteilen. Er könnte
Nur der Zufall der Geburtslotterie                                                                                   den hier lebenden Asylsuchenden
hat anders entschieden.                           VIELE UNTERSCHRIFTEN                                               unverzüglich einen sicheren Auf-
   Ich hatte in den vergangenen Wo-                                                                                  enthaltsstatus mit einer Perspektive
chen viel Kontakt mit Menschen,                   Die Nachrichten und Bilder aus Afghanistan machen                  ermöglichen und versuchen, hu-
die weniger Glück hatten als ich.                 uns tief betroffen. Das zeigt die rekordhohe Anzahl an             manitäre Visa für ihre Familienan-
Afghan:innen in der Schweiz, die                  Unterschriften, die wir innert Kürze gesammelt haben –             gehörigen auszustellen. Er könnte
aus Angst um ihre Eltern und Ge-                  als Aufforderung an den Bundesrat, 10 000 Menschen aus             dem Flüchtlingshilfswerk der UNO
schwister nicht mehr schlafen kön-                Afghanistan Zuflucht zu bieten. Bis Redaktionsschluss              garantieren, im Rahmen von Re-
nen. Die täglich in Sorge sind, ob die            unterzeichneten 47 000 Leute die Petition. Die zuständi-           settlement-Programmen besonders
unverheiratete Schwester am nächs-                                ge Bundesrätin Karin Keller-Suter zeigte           verletzlichen Geflüchteten Zuflucht
ten Tag das Telefon noch abnimmt                                  sich jedoch bislang unbeeindruckt.                 zu bieten. Er könnte Kredite für hu-
oder ob sie entführt worden ist. Ge-                                                                                 manitäre Hilfe vor Ort aufstocken.
flüchtete, die mir erzählen, dass die                               Du kannst immer noch unterschreiben:                Stattdessen tut man einfach
Taliban schon mehrfach Drohzettel                                   ➔ afghanistan-appell.ch                          nichts. Dafür fehlt mir das Ver-
an den Türen ihrer Eltern hinterlas-                                                                                 ständnis.
14    LINKS
      196 ∙ 2021   Strukturreform

#SPimAUFBRUCH: Parteitag
zu umfassender Strukturref
Letzten Herbst wählten wir ein neu-            Von Rebekka Wyler,                 zeugung des Präsidiums, sollte die         direkt in die politischen Diskussio-
es Parteipräsidium. Eines der ersten           Co-Generalsekretärin, und          SP zum spannendsten Ort werden,            nen auf nationaler Ebene einzube-
                                               Claudio Marti, rechts­
grossen Projekte der neuen Leitung             politischer Fachsekretär           an dem gemeinsam Antworten auf             ziehen. Dieser Parteirat soll sowohl
bestand darin, die Strukturen der              der SP Schweiz, die im             die drängenden Fragen der Zukunft          die Delegiertenversammlung als
SP Schweiz umfassend neu zu ge-                Zentralsekre­t ariat die           entwickelt werden.                         auch Geschäftsleitung und Koor-
                                               Strukturreform betreuen.
stalten und auf die Höhe der Zeit                                                    Die Parteileitung prüfte seither        dinationskonferenz ersetzen. Die
zu bringen. Die Mitbestimmung der                                                 mehrere Varianten und unterbreite-         thematische Vernetzung soll sich
Parteibasis sollte gestärkt, die Kan-                                             te Ende März 2021 ihren Vorschlag          verbessern, indem Themenkommis-
tonalparteien, thematischen Grup-                                                 zur Diskussion und späteren Be-            sionen, Foren und Arbeitsgruppen
pen und parteiinternen Strömungen                                                 schlussfassung am Parteitag von            neu aufgestellt beziehungsweise neu
besser verankert und miteinander                                                  Ende August 2021: Neu soll ein Par-        geschaffen und in den Statuten ver-
vernetzt werden, und die einzelnen                                                teirat geschaffen werden, um die           ankert werden. Und schliesslich soll
Mitglieder sollten sich besser ein-                                               Kantonalparteien, Organe und wei-          ein neues Parteiorgan «SP queer»
bringen können. Damit, so die Über-                                               teren parteiinternen Gruppierungen         entstehen, wo sich queere Men-

                                                                 PRÄSIDIUM              operative Führung

                                                                                                                                                Co-General­
      Co-Präsidium                      VP            VP                VP             VP             VP                VP     VP                sekretariat

                             Aufträge                                                                                               Anträge

                                                               PARTEIRAT               strategische Führung
                                                                                                                                                          Stadt-
                                                                                                                             Kantonalparteien            parteien

                      SP           SP        Migrant*        SP
     JUSO          Frauen*        60+         ­innen        queer
                                                                             weitere    Organe

   Soziales/                       Wirt-                                                Themenkommissionen
   Gesund-         Umwelt                     Frieden/       Land­
                                  schaft/                                    weitere
     heit                                    Sicherheit    wirtschaft                   (Debatte verschoben auf 2022)
                                 Finanzen

   Gewerk-          KMU           Hilfs­     Reform­        weitere          weitere
                                                                                        Foren
   schaften                       werke      plattform                                  (Debatte verschoben auf 2022)

                             Aufträge                                                                                               Anträge

                                                                               PARTEITAG

VP: Vizepräsidentin oder Vizepräsident. Der Parteirat umfasst ca. 75 Personen, der Parteitag ca. 1100 Personen.
sagt deutlich Ja                                                                   Danke, Barbara!
                                                                                   Herzlich willkommen,
                                                                                   David!
orm                                                                                                               Barbara Gysi wurde
                                                                                                                  zeitgleich mit mir in den
                                                                                                                  Nationalrat gewählt, zu­
 schen organisieren und ihre Anlie-       einzelner Gruppierungen verzich-                                        mindest fast. Sie durfte
 gen diskutieren können.                  tet, um nicht neue Ausgrenzungen                                        nämlich zu Beginn der
                                          zu produzieren. Diese Formulierung                                      Legislatur 2011 – 2015
 40 oder 50 Prozent?                      fand dann die Zustimmung einer                                          nach wenigen Tagen für
 Das Echo war grösstenteils positiv:      Mehrheit der Delegierten.                                               Paul Rechsteiner nachrü­
 Die Rückmeldungen aus der Partei-                                                                                cken, der den Sprung in
 basis unterstützten die Stossrich-       Vier Mal oder mehr?                                                     den Ständerat schaffte.
 tung der Strukturreform im Grund-        Kontrovers diskutiert wurden auch                                       Danach sassen wir vier
 satz fast einhellig. Am kontrover-       die Anzahl Sitzungen des Partei-                                        Jahre zusammen in der
 sesten diskutiert wurde die Sitz-        rats und die Frage, ob dieser grund-                                    Finanzkommission.
 verteilung im neu zu schaffenden         sätzlich öffentlich oder unter Aus-      Schnell wurde mir klar, was Barbara auszeichnet:
 Parteirats, die Anzahl Sitzungen des     schluss der Öffentlichkeit tagen         Grosse Präzision, eine enorme Leistungsbereitschaft
 Gremiums und die Aufteilung der          soll: Die Parteitagsdelegierten ent-     für die Partei, eine Gabe, auch die versteckten Dinge
 Kompetenzen zwischen Parteirat           schieden sich für mindestens vier        zu finden, und sehr viel menschliches Gespür. Genau
 und Parteitag.                           Sitzungen pro Jahr und entgegen          so hat sie ab 2012 auch ihr Amt als Vize-Präsidentin
    Auch während der zweiten An-          dem Vorschlag der Geschäftslei-          der SP Schweiz ausgeführt. Kaum jemand hat derart
 tragsfrist gingen zahlreiche An-         tung für grundsätzlich öffentliche       viele Aufgaben wahrgenommen, die nicht immer
 träge ein. Über 70 wurden bis zum        Parteiratssitzungen. Und schliess-       direkt ins Scheinwerferlicht führten, die aber für
 Parteitag aufrechterhalten. In einer     lich entschied der Parteitag mit         das Funktionieren der Partei unerlässlich sind. Dazu
 mehrstündigen, äusserst engagiert        bloss einer Stimme Unterschied,          gehört beispielsweise das Präsidium der Vorsorge­
 geführten Diskussion unterstütz-         dass künftig der Parteirat – und         kommission der SP Schweiz. Mattea und ich sind sehr
 ten die Parteitagsdelegierten die        nicht wie beantragt der Parteitag        dankbar, dass Barbara bereit war, im Übergang zur
 Grundpfeiler der Strukturreform          – einen Vorschlag zur Nomination         neuen Präsidentschaft die Kontinuität zu gewähr­
 sehr deutlich. Ein Antrag für die Bei-   der Bundesratskandidat:innen zu          leisten. Und wir freuen uns auf die anstehenden,
 behaltung der Delegiertenversamm-        Handen der Fraktion beschliessen         gemeinsamen Kämpfe – von der Verteidigung unserer
 lung wurde schliesslich gar zurück-      soll.                                    Altersvorsorge bis zum Einsatz für die Prämien-Ent­
 gezogen.                                     Die Behandlung der weiteren An-      lastungs-Initiative!
    Am intensivsten wurde über die        träge zu Vorgaben bei der Zusam-
 Einführung einer Vertretung von          mensetzung des Parteipräsidiums                                         Mit David Roth rückt für
 mindestens 50 Prozent Frauen in          sowie die formelle Verankerung von                                      die Gewerkschafterin
 den Parteigremien, Kommissionen          Themenkommissionen, Foren und                                           Barbara Gysi ebenfalls
 (und auf Wahllisten) diskutiert. Ent-    Arbeitsgruppen in den Statuten der                                      ein Gewerkschafter
 sprechende Anträge wurden knapp          SP Schweiz mussten aus Zeitgrün-                                        ins Vize-Präsidium der
 abgelehnt und damit die bisherige        den auf den Parteitag vom Februar                                       SP Schweiz nach. Als
 Regelung in den Statuten belassen.       2022 verschoben werden. In der Ge-                                      Zentralsekretär der
 In der neuen Formulierung heisst         samtabstimmung wurde die berei-                                         Gewerkschaft Syndicom
 es nun, dass statt «beide Geschlech-     nigte Statutenrevision schliesslich                                     kämpft er gerade in
 ter» neu «Frauen und Männer» in          sehr deutlich angenommen. Damit                                         der Pandemie für gute
 Parteigremien und Kommissionen           kann der Startschuss für die neu                                        Arbeitsbedingungen in
 zu je mindestens 40 Prozent ver-         aufgestellten Strukturen auf Anfang                                     der Logistik. Als ehema­
 treten sein sollten, womit auch an-      2022 erfolgen. Am 5. Februar 2022                                       liger Präsident der JUSO
 dere Geschlechter zu ihrem Recht         findet der nächste Parteitag statt,      Schweiz ist es für David sogar eine Rückkehr, er nimmt
 kommen. Um die Diversität in den         an dem dann beispielsweise die frei      bereits zum zweiten Mal Einsitz im Vize-Präsidium.
 Parteigremien sicherzustellen und        gewählten Mitglieder des Parteirats      David kennt die Parteiarbeit von der Pike auf. Er hat
 eine angemessene Vertretung aller        gewählt werden. Der Parteirat wird       sich lange politisch in der Stadt Luzern engagiert, sitzt
 gesellschaftlichen Gruppen zu ga-        seine Arbeit im März 2022 aufneh-        seit zehn Jahren im Kantonsparlament und präsidiert
 rantieren (in Sachen Geschlecht, Mi-     men.                                     seit 2015 die Kantonalpartei. Unter der Führung von
 grationshintergrund, Behinderung,            Wir möchten uns an dieser Stel-      David und seinem Team eilt die SP Luzern von Erfolg
 sozialer Herkunft, Alter usw.), hat      le sehr herzlich bei allen Beteiligten   zu Erfolg und wächst stetig. Mit David Roth setzt
 die Parteileitung eine umformulier-      für die intensive, gehaltvolle und en-   die SP Schweiz ein klares Zeichen, dass für uns der
 te Version des entsprechenden Arti-      gagierte Diskussion zu dieser Struk-     gewerkschaftliche Einsatz und die Bewegungs­arbeit
 kels vorgelegt, die auf die Nennung      turreform bedanken.                      ausserhalb des Parlaments im Zentrum stehen.

                                                                                   Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP Schweiz
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