Kein Mythos! 20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien

 
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Kein Mythos! 20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien
Kein Mythos!
20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien
Kein Mythos! 20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien
I M PR E SSUM

Herausgeberin:                                                 Für alle Augenroll-Einsendungen ein großes Dankeschön –
Abteilung Gleichstellung und Diversität der Universität Wien   insbesondere für die veröffentlichten Beiträge und Fotos von:
                                                               Meike Lauggas, Birgit Sauer, Easter Sauberer-Ouma, Anna Babka,
Für den Inhalt verantwortlich:                                 Eva Kuntschner und anonymen Einsender*innen
Lena Lisa Vogelmann
Nina Krebs                                                     Grafische Gestaltung und Layout:
Waltraud Schlögl                                               Barbara Weingartshofer, www.nau-design.at
Sylwia Bukowska                                                Kastalia-Fotos: Joseph Krpelan, derknopfdruecker.com
                                                               Augenroll-Fotos: privat
Für den Beitrag Dank an:                                       Druck: Druckerei Janetschek
Renée Schroeder
                                                               Wien, Juni 2021                    © 2021 alle Rechte vorbehalten
Kein Mythos! 20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien
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         Zwischen Mythos und Realität
                                                      davon zu geben, was in den 20 Jahren seit der
             Sylwia Bukowska
                                                      Gründung der ­Abteilung Gleichstellung und
                                                      Diversität an der ­Universität Wien die Arbeit in
 Jubiläen haben eine wichtige Funktion: Sie           diesem ­Bereich geprägt hat. Ein Bild von dem
 geben Gelegenheit für einen Rückblick (auf           zu geben, was Freude macht und davon, was
 Vergangenes), einen Einblick (in Gegen-              weniger ­Freude macht.
 wärtiges) und einen Ausblick (auf Angedachtes,
­Gewünschtes und Geplantes). Sie können aber
 auch ganz schön langweilen, weil Bekanntes           Freudvoll
 in verschiedenen Formaten geboten wird.              Eine der größten Quellen an Freude und
 Und so habe ich beschlossen, hier weniger            Motivation für Menschen, die sich mit Gleich-
 trockene Fakten zum Thema Gleichstellung in          stellung beschäftigen, ist die Tatsache, dass es
 den Vordergrund zu stellen, als Ihnen ein Bild       dabei um das Mit-Gestalten gesellschaftlicher ▶
Kein Mythos! 20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien
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                                Rahmenbedingungen für unser Miteinander                   voll-humorvolle Zugang und die Reflexions-
                                geht. Es ist ein kraftvoller Auftrag, diese Kraft         kultur der Team-­Mitglieder sind ein ent-
                                ist im Tun spürbar und erlebbar.                          scheidender ­Bestandteil meiner Freude.
                                Die Vorstellungen bezüglich des »wie und was«
                                dieser Mit-Gestaltung werden immer wieder                  Von Freude geprägt ist die Arbeit für mich
                                neu gedacht, diskutiert und entwickelt. Auch               meist auch, weil und wenn wir auf ver-
                                das ein weiterer Aspekt der Freude: Die Idee/n             schiedenen Ebenen der Organisation, in
                                                der Gleichstellung entwickeln sich         verschiedenen Zusammenhängen und
                                                weiter, sie wachsen, verändern             Konstellationen – mit der Universitäts-
       Sylwia Bukowska ist                      sich, bleiben nicht stehen. Jede*r,          leitung, mit den Kolleg*innen in der Dienst-
       promovierte Juristin und                der*die sich darauf einlässt, be­             leistungseinrichtung, deren Teil wir sind,
       leitet die Abteilung Gleich­            kommt immer wieder die Ge-                  mit den Kolleg*innen in anderen ­Bereichen
       stellung und D  ­ iversität             legenheit mitzuerleben, wie neue            der Universität Wien, so auch an den
       seit ihrer Gründung                     Gedanken entstehen und neue                 ­Fakultäten und Zentren – gemeinsame Ziele
       im Jahr 2000. Sie ist                   Wege beschritten werden können.              ­entwickeln, Neues auf den Weg bringen und
       ­außerdem seit 2018 stell­              Es ist ein lebendiges, dynamisches         ­Entwicklungen mittragen.
        vertretende L­ eiterin der             und oft auch herausforderndes
        DLE Personalwesen und                  Thema. Das macht Freude.
        Frauen­f örderung. Seit                Ebenso wie die Tatsache, dass               Mühevoll
        der Geburts­stunde der                 jene, die sich darauf einlassen,            Was weitaus weniger Freude macht:
        ­Abteilung engagiert sie sich          meist ausgesprochen gern,                   Dass Gleichstellung immer wieder
         mit Freude und Ausdauer               um nicht zu sagen: mit Leiden-              … aufs Neue um Raum und Zeit ringen muss,
         für Themen der Gleich­                schaft, Dinge weiter denken,                … sich »erklären«, die Notwendigkeiten und
         stellung und Diversität.              kritisch hinterfragen und in einen              Dringlichkeiten erläutern muss,
                                               ­größeren, gesellschaftlichen Kon-          … um Anerkennung von ganz Grundlegendem
                                                text stellen.                                  werben muss.
                                 So ist es für mich eine große Freude, seit der            Das manchmal stärker, manchmal ­subtiler
                                Gründung der Abteilung mit vielen s­ pannenden             ­spürbare (innere) Augenrollen beim
                                und bereichernden Menschen zu arbeiten. Die               ­Gegenüber.
                                erste Hälfte der 20 Jahre seit der Gründung                 Die gesellschaftlichen Rückschritte und
                                habe ich die Abteilung gemeinsam mit Evi                  ­Retraditionalisierungen ­unserer Zeit.
                                Genetti geleitet. Es war eine ar­­­beitsintensive
                                und qualitätsvolle Aufbauphase, die den Boden
                                 geschaffen hat für die Entwicklungen der nach-           Synthese
                                 folgenden Jahre. Es ist mir eine große Freude,           Das Freudvolle und das ­Mühevolle – welcher
                                 dass wir 10 Jahre lang diesen Weg gemeinsam              Arbeitsbereich ist nicht von dieser ­Ambivalenz
                                 gegangen sind.                                           geprägt? Die Gleichstellung ist jedenfalls
                                 Das Team der Abteilung hat sich über die Jahre           ein ­Auftrag, bei dem die ­Akteur*innen meist
                                 immer wieder verändert, manche Kolleginnen               ­freudvoll und immer wieder auch mühe-
                                 waren bzw. sind viele Jahre dabei, andere                 voll an etwas ­Großem »dran« sind, zu etwas
                                ­kürzer. Jede Person hat unsere Inhalte und                ­Grundlegendem ­beitragen. Die vergangenen
                                 unsere Themen ein Stück weit geprägt und                   20 Jahre haben mir gezeigt: Das ist kein
                                 lässt sie wachsen. Die Expertise, der respekt-             ­Mythos, das ist Gleichstellung!             •
Kein Mythos! 20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien
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                                     muv on!
                                                       Offene Türen für Studierende zu haben, damit
            Renée S chroeder,
                                                       sie sehen, was man den ganzen Tag macht, und
           Mentorin mit Leidenschaft!
                                                       sie daran teilhaben lassen, ist die beste Lehr-
                                                       methode. Der Beruf einer Universitätsprofessorin
In den letzten 30 Jahren habe ich »Mentoring«           ist sehr vielseitig und man muss sich viele
in der Rolle der Mentorin sehr schätzen gelernt         Spezialitäten aneignen. Aber was mir während
und dessen Notwendigkeit ist mir bewusst ge-            der 40 Jahre an der Universität am besten ge-
worden. Vor allem das »peer mentoring« – wie            fallen hat, war, dass man immer
es an der Uni Wien praktiziert wurde – ist sehr         von jungen Menschen umgeben
wertvoll, weil es professionelle Beziehungen            ist und sie einen wichtigen Teil in             Renée Schröder ist
fürs Leben entstehen lässt. In der Konstella-           ihrem Leben begleiten kann. Diesen             ­emeritierte ­Professorin
tion Mentorin & 3 bis 4 Mentees ist Mentoring           Aspekt möchte ich nicht missen.                 am Zentrum für Mole­
deswegen so besonders und notwendig, weil               Was ich jungen angehenden                       kulare Biologie. Sie ist seit
man im Leben selten mit Menschen zusammen-              Wissenschafterinnen rate, ist, das              Beginn des Mentoring-­
kommt, mit denen man Dinge besprechen kann,             Leben nicht zu sehr zu planen,                  Programms »muv« im Jahr
die sehr entscheidend für ein erfolgreiches             um nicht blind zu werden für                    2001 als Mentorin an der
Berufsleben und ein ausgewogenes Privatleben            eventuelle Gelegenheiten, die sich              Universität Wien tätig.
sind. Man kann seine Träume und Wünsche aus-            unerwartet anbieten. Wer zu sehr                Mit ihrer Leidenschaft
sprechen und mit Gleichgesinnten Wege dorthin           mit fixem Plan einem Ziel zustrebt,             als Wissenschafterin
besprechen. Und das auf eine konstruktive,              dessen Eintreffen ungewiss ist,                 und ihrem E­ ngagement
kreative und wohlwollende Art.                          verpasst vielleicht spannende                   für Nachwuchswissen­
                                                        Möglichkeiten, die viel lohnender               schafterinnen verkörpert
Ich persönlich hatte das Glück, eine Chefin             sein könnten. Daher mag ich die                 sie »muv on«, das Motto
gehabt zu haben, die mir auch den Weg in die            Frage »Wo sehen Sie sich in fünf                des Mentoring-Programms!
Planung meines Berufslebens gezeigt hat.                Jahren?« überhaupt nicht. So eine
  Mein fünfter »Chef« war eine Chefin. Das war          dumme Frage. Wenn man das be-
  eine Erfahrung, die mir Tür und Tor geöffnet          reits festlegt, was in fünf Jahren sein soll, ist man
  hat, um berufliche Beziehungen zu definieren.         auf Überraschungen nicht vorbereitet und lernt
  Bei meinen früheren Chefs wusste ich nicht,           auch nichts dazu. Daher rate ich allen, Augen
was sie hinter ihren Türen gemacht haben,               und Ohren offen zu halten für Gelegenheiten,
außer, dass es sehr wichtig war. Von meiner             die man nicht planen kann. Mein Leben ist viel
­Chefin jedoch lernte ich, wie man ein Labor            besser und aufregender als meine Phantasie
 leitet, Studierende anleitet, eigene Ideen und        ­anfangs war. Das hätte ich nie planen können.
 Fragen zu entwickeln, wie man Wissenschaft
macht, wie man das Geld dafür beantragt und            Ich danke der Universität Wien und dem
eben auch, wie man eine Familie mit Kindern            ­Mentoring Team für ihr nachhaltiges
mit dem Beruf kombinieren kann. Erst Jahre              ­Engagement, viele spannende Ideen und dafür,
  später wird einem bewusst, wie einfluss-               dass ich immer so tolle Mentees kennenlernen
  reich eine Person im Leben war. Wenn man               durfte. Ich wünsche weiterhin viel Erfolg und
  mitten drinnen steckt, hat man nicht den               vor allem, dass eines Tages ein gesundes
  Überblick und erkennt nicht, was wichtig ist.          Geschlechterverhältnis Realität wird und Frauen
  Dazu braucht man eine Mentorin, die ähnliche           ihren Beitrag für Forschung und Bildung leisten
 ­Erfahrungen gemacht hat.                               können, ohne unnötige, künstliche Hürden.      •
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                Mythen
           der Gleichstellung
                                      Kastalia bricht ihr Schweigen
                      und gibt ein Interview zum 20-jährigen Jubiläum
                           der Abteilung Gleichstellung und Diversität

         K
                      astalia zog 1910     die beiden sich: Wann ist es so-         Schatten zu werfen, einen Schat-
                      in den Arkaden-      weit? Wann kommt die nächste             ten, an dessen Ende eine geball-
                      hof der Universi-    Frau in den Arkadenhof? Denn             te Faust darauf hinweist, dass es
                      tät Wien ein. Fast   zu zweit ging ihnen langsam der          der Muse reicht. Denn es reichte
                      100 Jahre lang saß   Gesprächsstoff aus.                      ihr tatsächlich. Es war die Zeit
       sie dort stoisch als allegorische   So ging das viele, viele Jahre, in       gekommen, darauf hinzuweisen,
       Quelle der Weisheit und ent-        denen Kastalia müder und mü-             dass Weisheit kein Privileg von
       hielt sich jeglichen Kommentars.    der wurde und sich immer grö-            Männern ist.
       Doch spät in der Nacht, wenn sie    ßere Spinnweben um ihren Kopf
       sich unbeobachtet fühlte, streck-   bildeten. Doch das neue Jahr-            Und so kam es, dass 2016, exakt
       te sie manchmal die Glieder,        tausend sollte die Wende brin-           132 Jahre nach Eröffnung des
       stand auf und ging quer durch       gen: Immer öfter mischten sich           Universitätsgebäudes,     sieben
       den Hof zu Marie Ebner-Eschen-      kritische Wissenschafterinnen,           Wissenschafterinnen zu den
       bach, um kurz zu plaudern. Über     Mitarbeiterinnen und Studentin-          mehr als 150 Wissenschaftern
       ihre bewegte Vergangenheit als      nen unter die Besucher*innen             in den Arkadenhof einzogen:
       griechische Nymphe, über die        des Arkadenhofs und forderten            Charlotte Bühler, Marie Jahoda,
       Flucht vor den Zudringlichkeiten    lautstark mehr Sichtbarkeit ein.         Berta Karlik, Lise Meitner, Grete
       des Gottes Apollo und ihren Sturz   2009 beschloss Kastalia gemein-          Mostny, Elise Richter und Olga
       in die Quelle. Und immer wieder,    sam mit der Künstlerin Iris An-          Taussky-Todd. Nicht viele, aber
       am Ende des Gesprächs, fragten      draschek, ab sofort einen langen         immerhin – ein Anfang.
Kein Mythos! 20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien
· · ·   20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien           · · ·                                ·7·

                                         Gemeinsames Augenrollen
                                          Schon wieder keine Rampe? Schon                  und sie immer
                                          wieder nur zwei Geschlechts-                     ­wieder mit den-
                                           optionen am Anmeldeformular?                      selben Widerständen
                                           Schon wieder gefragt worden,                      konfrontiert sind, wenn sie Ver-
                                           woher du wirklich kommst? Nicht                   änderung erreichen wollen?
                                            schon wieder ein augenrollendes                  Wir haben das 20-jährige Jubiläum
                                            Gegenüber, wenn du dich gegen                    der Abteilung Gleichstellung und
                                             Diskriminierung einsetzt! Die-                 ­Diversität zum Anlass genommen,
                                             ses Phänomen stellt auch die                    um einmal die Rollen zu tauschen
                                             Wissenschafterin und Autorin                    und gemeinsam mit den Augen
                                              Sara Ahmed in ihrem Buch                       zurückzurollen. Kastalia hat dabei
                                              → Feministisch leben! Mani-                    den Anfang gemacht und das Eis
                                               fest für Spaßverderber*innen                  gebrochen. Doch auch Studierende,
                                               (heißer Lesetipp!) fest: »Über-               Mitarbeiter*innen und Freund*innen
                                                all scheinen Menschen mit                    der Universität Wien wurden ein-
Kastalia aber war auf den Ge-                   den Augen zu rollen, wo auch                 geladen, sich zu fotografieren und
schmack gekommen und be-                        immer du hingehst, was auch                  ihre Augenroll-Momente mit uns zu
schloss, weiterhin aktiv zu blei-                immer du sagst. […] Es mag                  teilen. Wir wollten wissen, wann sie
ben, damit keine weiteren 100                     den Anschein haben, als sei                im Alltag bei Gleichstellungsthemen
Jahre vergehen würden, bevor                      Augenrollen ein Ausdruck für               auf Widerstand stoßen und was
sich wieder etwas bewegte. Und                    eine kollektive Verbitterung               ihnen für Gleichstellung und Diversi-
da kamen ihr die Mitarbeiterin-                    darüber, dass du Feminist*in              tät an der Universität Wien wichtig
nen der Abteilung Gleichstellung                   bist.« Ahmed beschreibt hier              wäre. Zugegeben: Es hat vielleicht
und Diversität gerade recht, die                    eindrücklich, wie antidis-               ein paar Anläufe gebraucht, um eine
sich anlässlich des 20-jährigen Ju-                 kriminatorischem Engage-                 passable Augenroll-Aufnahme im
biläums ihrer Abteilung auf die                     ment mit einer gewissen                  Kasten zu haben. Doch wir freuen
Suche nach einer geeigneten Inter-                   Entnervtheit begegnet wird.             uns deshalb umso mehr, dass uns
viewpartnerin gemacht hatten.                        Das zwingt die engagierte               einige Fotos und Statements erreicht
Kastalia beschloss, ihr Schweigen                     Person oft in eine defensive           haben und Eingang in diese Fest-
zu brechen und Frage und Antwort                      Position. Doch sollten nicht           schrift finden konnten.
zu stehen. In einer Reihe von Inter-                  Feminist*innen genervt                 Vielen Dank fürs Mitmachen und
views räumt sie, die Mythenexpertin,                   sein, weil Ungerechtig-               viel Spaß beim Lesen!
mit dem einen oder anderen Mythos                      keiten weiterhin bestehen                           Das Jubiläumsteam
rund um Gleichstellung und Diversi-
tät auf.                                             Alle mit → gekennzeichneten Verweise finden Sie bei den Link- und Lesetipps (S. 29)
Kein Mythos! 20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien
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                       GLEICHSTELLUNG IST SCHON ERREICHT

                 Für Gleichstellung haben wir
                       noch viel zu tun

       Kastalia, vielen Dank, dass Sie      ten im Thema Mythen. Erstens:            stellung sind Gesetze oft zu grobe
       sich für das Gespräch bereit         Gleichberechtigung ist nicht             Werkzeuge, um die spezifischen
       erklärt haben.                       Gleichstellung. Im Gesetz sind           Probleme gut lösen zu können.
       Kastalia: Hin und wieder müssen      Frauen in vielen Dingen gleichbe-        Wir haben aus meiner Sicht die
       wir den Sterblichen unter die Arme   rechtigt mit Männern. Aber auch          Gleichberechtigung nicht erreicht,
       greifen, das ist schon in Ordnung.   hier gibt es noch Lücken – abge-         geschweige denn Gleichstellung.
                                            sehen davon, dass schon im anti-
       Sie konnten die Dinge an             ken Griechenland klar war, dass          Werfen wir einen Blick in den
       der Universität Wien lange           es auch Menschen gibt, die weder         Bildungsbereich: In vielen
       beobachten. Im historischen          Männer noch Frauen sind. Zwei-           Studiengängen erleben wir,
       Vergleich drängt sich die            tens: Nur, weil etwas im Gesetz          dass mehr Frauen als Männer
       Frage auf: Sind Frauen nicht         steht, heißt das noch nicht, dass es     vertreten sind …
       inzwischen gleichberechtigt?         auch so gelebt wird. Insbesondere        Kastalia: Das stimmt, wenn ich mir
       Kastalia: Da sind wir schon mit-     in Bezug auf das Thema Gleich-           die erwartungsvollen Erstsemes-
Kein Mythos! 20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien
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trigen jedes Jahr im Arkadenhof            Vollzeit ausgeschrieben und sind           Frauen seltener erkannt und sind
ansehe, dann sind deutlich mehr            damit für Männer attraktiver. As-          deswegen häufiger tödlich, weil sie
Frauen als Männer dabei. Aber je           sistenzstellen sind dafür Teilzeit         anders aussehen als bei Männern.
weiter die Karrieren voranschrei-          und für Frauen interessanter, weil         Andererseits stecken auch im Kli-
ten, desto weniger Frauen bleiben          sie weiterhin die meiste private           mawandel oder im Coronavirus
übrig. Ich sehe hier zwei Drittel          Betreuungsarbeit machen. Wenn              Geschlechterfaktoren. Gerade bei
weibliche Studierende, aber nur            man das angehen will, fühlen sich          Corona haben wir gesehen, dass
ein Drittel Professorinnen. Das hat        viele angegriffen, weil sie nicht          Schlüsselkräfte, welche die ge-
viel damit zu tun, welches Bild wir        diskriminieren wollen. Das Wol-            sellschaftliche Grundversorgung
von Männern und Frauen haben.              len hat nur leider nicht immer et-         erhalten, meist weiblich sind –
Buben sind in unseren Köpfen wild          was mit dem Ergebnis zu tun. Da            Pflegekräfte, Supermarktmitarbei-
und ziehen ihr eigenes Ding durch,         spielt der Gender Bias eine große          terinnen, Sozialarbeiterinnen. Das
für die Schule schwierig. Mädchen          Rolle – eine Voreingenommenheit            sind noch dazu vergleichsweise
sehen wir als brav und fleißig, ideal      gegenüber Personen aufgrund ih-            schlecht bezahlte Berufe. Zusätz-
für die Schule. Wenn sie dann älter        res Geschlechts, die bewusst oder          lich waren es vor allem Frauen, die
werden, dreht sich der Spieß um:           unbewusst sein kann und auch in            die Kinderbetreuung aufgefangen
Wilde Männer sind geniale Inno-            institutionellen Strukturen veran-         haben, was teilweise zu einer ver-
vatoren und die fleißigen Frauen           kert ist.                                  alteten Rollenverteilung zurück-
sind eh ganz nett. Aber bitte, im-                                                    geführt bzw. diese verstärkt hat.
merhin dürfen Frauen inzwischen            Eine vielleicht etwas provokante           Und die häusliche Gewalt, die vor
zur Schule gehen und studieren!            Frage: Ist Gleichstellung in               allem von Männern gegen Frauen
Tatsächlich ist es schön zu sehen,         Zeiten von Klimakatastrophe                ausgeht, hat während der sozia-
dass in den letzten Jahren viele           und Coronavirus nicht ein                  len Distanzierung zugenommen.
Professorinnen dazugekommen                Luxusproblem?                              Klingt für mich nicht nach Luxus-
sind, auch wenn die Verhältnisse           Kastalia: Nein, und zwar aus zwei          problemen.
noch nicht ausgewogen sind.                Gründen: Einerseits ist Gleichstel-
                                           lung ein existenzielles Thema. Es          Also ist es ein Mythos, dass
Insgesamt höre ich aber eine               geht um Lebensgrundlagen wie               wir uns nicht mehr um
gewisse Ungeduld heraus, oder?             ökonomische Absicherung und                Gleichstellung kümmern
Kastalia: Ich schau mir das jetzt          Gesundheit. Frauen werden bei-             müssen?
schon seit langer Zeit an und ich          spielsweise immer noch schlech-            Kastalia: Als Mythenexpertin kann
sehe das ehrliche Bemühen vieler           ter bezahlt als Männer – in Ös-            ich nur sagen: ja! Auch außer-
Menschen, gerecht zu sein. Aber            terreich im Schnitt etwa um ein            halb der Philologien halten sich
es dauert alles ewig. Da steckt viel       Fünftel. Das führt zu einem er-            manche Mythen hartnäckig. Für
in den Strukturen, zum Beispiel            höhten Armutsrisiko von Frauen.            Gleichstellung haben wir noch
werden technische Jobs oft nur             Oder: Herzinfarkte werden bei              viel zu tun.
Kein Mythos! 20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien
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                BEI GLEICHSTELLUNG GEHT’S NUR UM GESCHLECHT

                           Gleichstellung ist mehr als
                          ­Geschlechtergleichstellung
           Wir haben jetzt über Frauen­          des-Gleichbehandlungsgesetzes            auch Koordinationsstellen für
           anteile und Gender Bias               (B-GlBG) gespielt, das ein Gleich-       Frauenförderung und Geschlech-
           gespro­chen. Heißt das, bei           behandlungsgebot von Frauen              terforschung vorgeschrieben.
           Gleich­stellungarbeit geht es         und Männern und ein Frauenför-           Daraus sind zu Beginn der 2000er
           vor allem darum, Unterschiede         derungsgebot vorschreibt. Auch           Jahre die Vorläufer vom → »Re-
           zwischen Männern und Frauen           an der Uni Wien gibt es seit 2005        ferat Genderforschung« und der
           auszubügeln?                          einen Frauenförderungsplan, der          → »Abteilung Gleichstellung und
           Kastalia: Nein, Gleichstellung ist    2019 in Frauenförderungs- und            Diversität« entstanden. Auch die
           mehr als Geschlechtergleichstel-      Gleichstellungsplan umbenannt            verschiedenen Referate der Öster-
           lung. Aber im letzten Jahrhundert     wurde und noch umfangreicher             reichischen Hochschüler*innen-
           ist es vor allem gelungen, die Dis-   geworden ist. Das B-GlBG legt            schaft unterstützen Studierende
           kriminierung von Frauen deutlich      zudem fest, dass Menschen mit            vielseitig bei Gleichstellungsfra-
           zu verringern. Deshalb können         unterschiedlicher ethnischer Zu-         gen. Es gibt inzwischen wirklich
           wir in diesem Bereich schon auf       gehörigkeit, Religion, Weltan-           viele Anlaufstellen, an die sich
           viele rechtliche Errungenschaf-       schauung, sexueller Orientierung         Universitätsangehörige im Falle
           ten zurückblicken und Frauen-         oder unterschiedlichem Alter             einer Diskriminierung wenden
           förderung ist in der Arbeitswelt      gleichbehandelt werden müssen.           können. Ich kann hier gar nicht
           angekommen. Eine wichtige Rolle                                                alle aufzählen. Schaut doch auf
           hat dabei die Einführung des Bun-     Und was hat das Gesetz konkret           die → ­Diversitätshomepage!
                                                 an der Uni Wien bewirkt?
                                                 Kastalia: Abseits der offiziellen        Und warum wird jetzt von Ihnen
      Der → Arbeitskreis für Gleich­             Stellen gab und gibt es immer            nicht die Gleichstellung von
      behandlungsfragen berät und                schon Einzelkämpfer*innen für            Behinderten genannt?
      unterstützt zum einen bei                  Gleichstellungsthemen. Das Ge-           Kastalia: Also, ich sage lieber be-
      ­Diskriminierung, Mobbing oder             setz hat die institutionelle Veran-      hinderte Menschen oder Men-
       sexueller Belästigung.                    kerung bewirkt. Die ist – für mei-       schen mit Behinderung und/oder
       Zum anderen ist es seine A ­ ufgabe,      nen Blick auf die Zeit – nur einen       chronischer Erkrankung. Denn
       Personaleinstellungs- oder                Wimpernschlag her. Anfang der            Menschen werden zwar behindert
       Habilitations­verfahren auf               1990er-Jahre wurde zum Beispiel          durch Barrieren, wie nicht-roll-
     ­Chancengleichheit zu ­prüfen.              der »Arbeitskreis für Gleichbe-          stuhlgerechte Gebäude oder Prü-
         Die → Beratungsstelle Sexuelle          handlungsfragen« eingeführt, der         fungsformate, die für blinde oder
     ­Belästigung & ­Mobbing bietet              bei Diskriminierung, Mobbing             hörbehinderte Studierende nicht
       ­psychologische Beratung für              oder sexueller Belästigung aktiv         passend sind, aber eine Behinde-
        ­Mitarbeitende und Studierende an.       wird oder Personalentscheidun-           rung ist ja keine Charaktereigen-
                                                 gen auf Chancengleichheit prüft.         schaft. Zurück zu Ihrer Frage: Für
                                                 Das Universitätsgesetz 2002 hat          die Gleichbehandlung von Men-
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                                                                                       Ich stoße auf Augenrollen (oder
                                                                                       Schimpftiraden), wenn ich mich
                                                                                        dagegen wehre, dass Frauen in ein
                                                                                        bestimmtes Eck gestellt werden.
                                                                                         Wenn ich darauf aufmerksam
                                                                                         mache, dass das Männliche nicht
                                                                                         die Norm ist. Oder wenn ich mich
                                                                                         dafür einsetze, dass Texte – auch
                                                                                          interne – g­ eschlechterinklusiv
schen mit Behinderung und/oder              gesehen werden. Für sogenann-                 formuliert werden. Ich rolle
chronischer Erkrankung gibt es ei-          te Mehrfachdiskriminierung hat                 selbst mit den Augen, wenn ich
gene → wichtige Gesetze, die zum            Crenshaw den Begriff »Intersekt-               in der Präambel zum Frauen­
Teil schon älter als das B ­ -GlBG          ionalität« (→ Crenshaw 1989) ge-                förderungs- und Gleichstellungs-
sind. Daraus sind u. a. die Behin-          prägt. Intersektionale Gesetze                  plan der Universität Wien lesen
dertenvertrauenspersonen für das            oder Förderungsmaßnahmen wer-                    muss: »Die Universität Wien
Universitätspersonal entstanden,            den wohl noch Thema bleiben.                     bekennt sich [...] zu einer aktiven
oder das → »Team Barrierefrei«,                                                              Gleichstellung von Frauen und
das Studierende mit Behinderung             Kann man also zusammen­                           Männern«. S ­ päter im Text steht
und generell bei der Umsetzung              fassend sagen, dass bei dem                       auch etwas von »einem respekt-
von Barrierefreiheit unterstützt.           Wort »Gleichstellung« oft zuerst                  vollen Umgang mit Trans-,
                                            an jene zwischen Männer und                        intergeschlechtlichen und
Lassen sich Gesetze oder                    Frauen gedacht wird, aber                          nichtbinären P ­ ersonen«. Aber
Gründe, aus denen ich potenziell            eigentlich geht es um mehr?                         gleichgestellt sollen nur Män-
ungleich behandelt werde, denn              Kastalia: Ja, da stimme ich zu.                     ner und Frauen sein. Warum
so voneinander trennen? Was                 Diese erste Assoziation hat damit                    bekennt sich die Uni Wien
ist, wenn ich eine Muslima mit              zu tun, dass, wie gesagt, auf dem                    noch immer nicht zur Gleich-
Behinderung bin?                            Gebiet der Geschlechtergleich-                       stellung aller M
                                                                                                                ­ enschen?
Kastalia: Das ist eine gute Frage. Die      stellung schon sehr viel passiert                     Anonym, Mitarbeiter*in
US-amerikanische Juristin Kim-              ist. Es ist auch eine Frage der Be-
berlé Crenshaw, die an der UCLA             deutung von »Gleichstellung«.
und der Columbia University lehrt,          Geschlechtergleichstellung      be-        dem ist es wichtig, dass ihre Per-
hat das am Beispiel von Gerichts-           inhaltet ja häufig die Forderung           spektive eingebracht wird und sie
fällen von schwarzen Frauen ver-            nach Geschlechterparität, also             bei Entscheidungen mitsprechen
anschaulicht, die aufgrund ihres            zahlenmäßiger Gleichheit – sagen           können. Gleichstellung heißt
Geschlechts und ihrer Hautfarbe             wir auf Führungsebene oder auf             dann zum Beispiel: gleicher Zu-
am Arbeitsplatz diskriminiert wor-          einem Podium. Bei anderen Grup-            gang zu Universitätsgebäuden, das
den sind. Sie sagt, aus mehreren            pen verhält sich die Zusammen-             Recht auf das richtige Geschlecht
Gründen diskriminiert zu werden,            setzung der Bevölkerung aber               im Zeugnis oder das Recht darauf,
ergibt eine eigene Form von Dis-            nicht 50:50. Beispielsweise stellen        nicht rassistisch diskriminiert zu
kriminierungserfahrung, die als             behinderte, intergeschlechtliche           werden. Da ist noch ein weiter
solche auch anerkannt werden                oder Schwarze Menschen in Öster-           Weg zu gehen, denn im Vergleich
muss. Es kann also nicht einfach            reich eine zahlenmäßige Minder-            zur    Geschlechtergleichstellung
eine Diskriminierung zur ande-              heit dar. Da geht es dann weniger          fangen wir in einigen Bereichen
ren hinzuaddiert werden, sondern            um eine ausgewogene Besetzung              überhaupt erst an, etwas an Un-
muss in ihrem Zusammenspiel                 von Kommissionen, aber trotz-              gleichheitsstrukturen zu ändern.
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                     GLEICHSTELLUNGSPROGRAMME SIND NUTZLOS

                      Gleichstellungsprogramme
                            zeigen Wirkung

                                                                                         Mich wundert es immer wieder, wie
                                                                                         gereizt Menschen reagieren, wenn man
                                                                                         über Gleichstellung spricht. Schließ-
                                                                                         lich geht es doch darum,
                                                                                          die Welt ein bisschen
                                                                                          gerechter zu machen –
         Bleiben wir noch einen Moment          Wirken Gleich­stellungs­                   und ich habe noch
         beim Geschlecht. Es gibt doch          programme überhaupt?                       ­niemanden getroffen,
         schon so viele Gleichstellungs-        Kastalia: Nachweislich. Im Gro-             der eine ­gerechte
         programme, wie kann es sein,           ben können wir zwei Arten von               Welt nicht auch besser findet als
         dass nicht schon alles erreicht        Programmen        unterscheiden:             eine ­ungerechte. Ich würde mir
         wurde?                                 Maß­nahmen, die auf die Verän-               ­wünschen, dass Gleichstellung so
         Kastalia: Gleichstellung lässt sich    derung der diskriminierenden                  verstanden wird, wie sie gemeint
         nicht von heute auf morgen erle-       Strukturen abzielen und Maß-                  ist: nicht ein nerviger Nachtrag,
         digen. Dazu wirkt sie auf zu vielen    nahmen, die einzelnen Men-                    sondern ein essentieller Auftrag für
         Ebenen, die alle miteinander ver-      schen in den betroffenen Grup-                 uns alle. Dafür setze ich mich an
         schränkt und verwoben sind. Lei-       pen auf einer individuellen Ebene              der Universität Wien ein.
         der hat bisher noch niemand den        helfen. Beide Arten stützen sich                Lena Lisa Vogelmann,
         Gleichstellungsknopf gefunden,         gegenseitig und nur zusammen                    Mitarbeiterin der Abteilung
         der sich drücken lässt und alles ist   können sie Gleichstellung wirk-                 ­Gleichstellung und Diversität
         gut.                                   lich langfristig verankern. Haben                und Lehrende
· · ·   20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien     · · ·                           · 13 ·

                                                                                  Als Coach in Frauen*förderprogrammen
                                                                                  an Universitäten rolle ich mit den Augen,
                                                                                  wenn minimaler Nachteilsausgleich z. B. für
                                                                                   Frauen* an Universitäten verdreht
                                                                                   wird in eine vermeintliche Be-
                                                                                    vorzugung. Mich nerven die
                                                                                    Kommentare jener Menschen,
wir nur individuelle Maßnahmen,            res Beispiel: Männer gehen               die auf ihrem Weg mit großer
besteht das Risiko, dass die profi-        mittlerweile häufiger, wenn               Wahrscheinlichkeit auf gewisse
tierenden Menschen zum Beispiel            auch nach wie vor kurz, in                Hindernisse nicht stoßen (weil sie
als »Quotenfrauen« oder »diversity         Elternkarenz. → Im wissen-                 aus einem entsprechenden Haushalt
hires« abgetan und nicht ernst ge-         schaftlichen Personal lag der              kommen, keine rassistische Abwertung
nommen werden. Haben wir nur               Männeranteil unter den El-                 erleben, nicht antisemitisch ausgegrenzt
strukturelle Maßnahmen, fehlt es           ternkarenzen 2018 schon bei                 oder sexistisch eingeschüchtert werden
an den qualifizierten Personen, die        40 Prozent, im allgemeinen                  uvm.) und daraus schließen, allen
diese neugestalteten Strukturen in         Personal bei 25 Prozent. Da                  ginge es so. Und dann gehen sie davon
Anspruch nehmen können.                    sehen wir, dass Männern ihre                 aus, sie selbst würden benachteiligt
                                           Vaterrolle wichtiger geworden                und ignorieren, auf welcher Basis
Und lassen sich in beiden                  ist und dass es nicht mehr als                solche Förderprogramme überhaupt
Bereichen Fortschritte erkennen?           unüberwindbares Karrierehin­                   notwendig wurden. Ich wünsche mir
Kastalia: Wenn wir auf die Zahlen          dernis gesehen wird, wenn                      die Öffnung der Universitäten für die
schauen, zeigt sich sehr schnell,          man(n) in Karenz geht.                         Wissensproduktion von den vielen
dass sich vor allem in den letzten                                                         verschiedenen Menschen in unserer
beiden Jahrzehnten viel getan hat.         Das ist jetzt aber nur                          Gesellschaft.
2003 hatten von insgesamt 302 Pro-         die ­Wirksamkeit auf der                        Meike Lauggas,
fessuren nur 34 Frauen inne, 268           ­strukturellen Ebene. Wie                        Lehrende und Coach
hingegen Männer. 17 Jahre später            schaut es denn mit den indivi­
haben wir 160 Professorinnen und            duellen Förderungen aus?
345 Professoren. Der Frauenanteil           Kastalia: Individuelle Förderung
an den Professuren hat sich alleine         gibt es auf ganz unterschiedliche           Verlauf ihrer Karriere – ob an der
zwischen 2008 und 2018 fast ver-            Arten. Die Abteilung Gleichstel-            Universität Wien oder anderswo.
doppelt. Bei den Fakultäts- und             lung und Diversität bietet zum
Zentrumsleitungen springt der               Beispiel seit vielen Jahren Men-            Also, Gleichstellungs­programme
Frauenanteil im selben Zeitraum             toringprogramme für Wissen-                 verändern etwas?
von sechs Prozent auf 42 Prozent.           schafterinnen an. Die Evaluierung           Kastalia: Ganz offensichtlich. Sie
Da zeigt sich sehr deutlich, dass           dieser Programme zeigt, dass die            reichen nur nicht alleine aus. Es
die Menschen lernen umzudenken              Teilnehmerinnen lernen, ihre Kar-           braucht einen Kulturwandel, der
und inzwischen mehr Frauen in               rierechancen besser einzuschät-             von der gesamten Organisation
ihrer Karriere weiterkommen als             zen und berufliche Ziele klarer zu          und auch der Gesellschaft mitzu-
früher. Aber es zeigt sich auch, dass       setzen, aber auch, dass sie Selbst-         tragen ist. Ohne dieses Commit-
noch ein Stückchen des Weges vor            vertrauen gewinnen und selbst-              ment, wie man inzwischen so
uns liegt, bis wir wirklich ausgewo-        sicherer auftreten. Davon profitie-         schön sagt, bleibt Gleichstellung
gene Verhältnisse haben. Ein ande-          ren sie natürlich auch im weiteren          ohne Breitenwirkung.
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                             FRAUEN WOLLEN KEINE KARRIERE MACHEN

                   Frauen wollen Karriere machen
            Kastalia, jetzt mal ehrlich: Hat     je höher die Positionen sind – wie
            dieser Kulturwandel nicht schon      aus einem tropfenden Rohr ver-
            längst stattgefunden? Sind           schwinden die Frauen langsam,
            Frauen nicht tatsächlich schon       aber stetig. Das ist übrigens auch
            gleichberechtigt, aber viele         in der Wissenschaft allgemein und
            wollen einfach keine Karriere        an der Universität Wien so.
            machen?
            Kastalia: Ein weiterer Mythos, mit   Und woran liegt das?
            dem gerne argumentiert wird,         Kastalia: Das kommt zum Beispiel
            dass es jetzt mal genug ist mit      durch einen Gender Bias in Per-
            den Forderungen nach Gleich-         sonalentscheidungen zustande,
            stellung! Aber wir müssen uns        oder dadurch, dass Frauen in den
            nur das Phänomen der gläsernen       eher männlich dominierten Netz-
            Decke genauer anschauen. Die-        werken an der Spitze eine Außen-
            ses Bild beschreibt, dass Frauen     seiter*innenposition haben. Aber
            zwar auf dem Papier alle Karriere­   ein großer Brocken ist immer
                                                 noch die Frage nach Kindern und
                                                 wie Familien organisiert sind. Es
      2020 waren lt. → Statistik                 wird nach wie vor selbstverständ-
     ­Austria 72 % der 25 – 49-jährigen          lich davon ausgegangen, dass sich
      ­erwerbstätigen Frauen, aber nur           daheim eher die Frauen um die
       7 % der gleichaltrigen erwerbs­           Kinder kümmern. Frauen müs-
       tätigen Männer mit Kindern                sen sich also zumeist immer noch
       unter 15 Jahren teilzeit­b eschäftigt.    entscheiden, ob sie Kinder oder
       Ohne Kinder bzw. mit Kindern              Karriere haben wollen. Beides be-
       über 15 Jahren waren in der               deutet in der Regel eine enorme
       gleichen A­ ltersgruppe 38 Prozent        Doppelbelastung und ein Aufge-
       der e­ rwerbstätigen Frauen und           riebenwerden zwischen den un-            Es sollte aber doch auch
       11 ­Prozent der erwerbstätigen            terschiedlichen Anforderungen.           jeder Frau freistehen, mit den
     ­Männer teilzeitbeschäftigt.                Auch wenn immer mehr Väter               Kindern zuhause zu bleiben,
                                                 in Karenz gehen, tun sie das nor-        und anschließend Teilzeit zu
                                                 malerweise sehr kurz – nur etwa          arbeiten, oder?
            möglichkeiten haben, aber an         → fünf Prozent der Kinderbetreu-         Kastalia: Natürlich. Es geht hier
            einem Punkt auf ihrem Weg nach       ungstage werden in Österreich            nicht um einzelne Frauen, die
            oben an eine gläserne Decke sto-     von Vätern in Anspruch genom-            ihre individuellen Entscheidun-
            ßen: Diese hindert Frauen häufig     men. Und anschließend arbeiten           gen treffen, sondern darum, wie
            daran, weiter aufzusteigen. Damit    Männer Vollzeit weiter, während          die Strukturen beschaffen sind.
            verwandt ist die sogenannte Leaky    Frauen in Teilzeit wechseln und          Und wenn wir hier einen genau-
            Pipeline. Die beschreibt, dass die   damit auf Karrieremöglichkeiten          eren Blick darauf werfen, sehen
            Frauenanteile geringer werden,       verzichten.                              wir, dass Frauen oft in einer Ent-
· · ·   20 Jahre Gleichstellung und Diversität an der Universität Wien   · · ·                      · 15 ·

                                    Wenn ich erkläre, dass ich mich für
                                    Gleichstellung einsetze, ­begegne
                                    ich immer wieder einem Augen-
                                    rollen mit dem Zusatz, dass wir
                                     doch »eh schon lange in der                    auch in der Wissenschaft dazu,
                                     Gleichberechtigung angekommen                  dass Frauen ihre ursprünglichen
                                      sind«, »Frauenförderung Männern               Karrierepläne im Laufe der Zeit
                                      gegenüber ungerecht ist« und es               ändern.
                                       an der Uni »die Besten sowieso
                                       ganz nach oben ­schaffen, egal               Dann wollen Frauen also doch
                                        welchen Geschlechts«. Ich finde,            Karriere machen?
                                        dabei wird übersehen, dass                  Kastalia: Davon bin ich über-
                                        Benachteiligungen                           zeugt. Viele Frauen wollen in ih-
                                        aufgrund von Ge-                            rem Beruf aufgehen. Wir haben
                                         schlecht – aber auch                       an der Universität Wien Maßnah-
                                          von an­deren sozialen                     men entwickelt, um Strukturen
                                          Kategorien – nach wie                     aufzuweichen, die Frauen am
                                          vor in die Strukturen des Systems          Karrieremachen hindern. Dafür
                                           »Wissenschaft« eingeschrieben             gibt es zum Beispiel Karriereför-
                                           sind. Ich würde mir wünschen,              derungsmaßnahmen, die extra
                                            dass das Hinterfragen dieser              für Wissenschafterinnen ange-
                                            Normen und Strukturen selbstver-          boten werden. Die sind nicht
                                             ständlich und OHNE Augenrollen            dazu da, um Defizite von Frau-
                                             von allen Akteur*innen im Wissen-         en auszugleichen, sondern
                                              schaftsbetrieb mitgetragen wird.          die für Männer günstigere
                                              Kerstin Tiefenbacher,                     Ausgangslage: Mentoringpro-
                                               Mitarbeiterin der Abteilung              gramme, Trainings für Habi-
                                               ­Gleichstellung und Diversität            litation, Berufung oder auch
                                                                                         die Stärkung von Führungs-
                                                                                          kompetenzen, um die wich-
weder-oder-Entscheidung      ste-        halt verbessert sich somit auch            tigsten zu nennen. Außerdem
cken. Das fängt damit an, dass           nicht. Da beißt sich die Katze in          gibt es Möglichkeiten, die sowohl
Frauen im Schnitt ja immer noch          den Schwanz. Aber es kommen                dem wissenschaftlichen als auch
weniger verdienen als Männer.            auch noch andere, eher kultu-              dem allgemeinen Universitäts-
Das heißt, Familien entscheiden          relle Umstände dazu, die nicht             personal offenstehen, wie flexib-
oft aus ökonomischen Gründen,            in Zahlen zu fassen sind. Frau-            le Arbeitszeiten oder das Hand-
dass besser die Frau mit den Kin-        en, die Karriere machen, wer-              buch Karenzmanagement, dass
dern zuhause bleibt und nicht            den genauso wie Mütter oft sehr            dafür sorgen soll, dass eine Ka-
der Mann. Damit wird natür-              streng beurteilt und können es             renz möglichst komplikationslos
lich die Annahme, dass Frauen            kaum richtig machen – schon                für alle Beteiligten funktioniert.
ihre Karriere unterbrechen, um           gar nicht, wenn sie versuchen,             So trägt die Universität Wien hof-
sich um Kinder zu kümmern,               beides zu vereinen. Auch das hat           fentlich einen Teil dazu bei, dass
wieder bestätigt. Sie steigen in         Einfluss auf die Entscheidungen            Frauen aus dem Entweder-oder
der Arbeit nicht auf und ihr Ge-         von Frauen und führt gerade                herauskommen.
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                           ES GIBT KEINE GEHALTSUNTERSCHIEDE
                                 ZWISCHEN MÄNNERN UND FRAUEN,
                           UND WENN, DANN SIND SIE ERKLÄRBAR

                      Männer erhalten mehr Lohn
                              als Frauen
          Beim Karriere machen geht’s ja         Männer erhalten bei uns durch-           Kastalia: In Österreich lag der (un-
          nicht zuletzt auch ums Geld-           schnittlich immer noch mehr              bereinigte) Gender Pay Gap 2019 →
          verdienen. Kastalia, Sie haben         Lohn für gleiche oder gleichwer-         bei knapp 20 Prozent. Das heißt,
          vorhin erwähnt, dass Frauen im         tige Arbeit als Frauen, das heißt,       Frauen verdienen im Schnitt pro
          Durchschnitt weniger verdienen         hier gibt es eine Differenz. Der         Stunde brutto um ein Fünftel we-
          als Männer. Können Sie uns dazu        Gender Pay Gap (GPG) drückt aus,         niger als Männer. Damit liegt Ös-
          noch mehr erzählen?                    wie groß diese Differenz ist.            terreich fast fünf Prozentpunkte
          Kastalia: Der Gender Pay Gap führt     Der unbereinigte GPG gibt die            über dem europäischen Gender
          dazu, dass Frauen im Laufe ihres       Differenz der Stundenlöhne ohne          Pay Gap. Anders ausgedrückt
          Erwerbslebens einkommensmä-            weitere Differenzierung zum Bei-         arbeiten Frauen im Vergleich zu
          ßig immer weiter hinter Männer         spiel nach nach Berufsgruppen            Männern mehr als zwei Monate
          zurückfallen und deshalb deutlich      oder Bildungsstand an. Der be-           im Jahr unbezahlt. Immerhin se-
          stärker armutsgefährdet sind als       reinigte GPG hingegen berück-            hen wir aber eine → Reduktion des
          Männer.                                sichtigt auch Branchen- und Hie-         Unterschiedes in den letzten zwei
                                                 rarchieunterschiede und andere           Jahrzehnten.
          Was genau ist eigentlich der           Variablen, die nur indirekt mit
          Gender Pay Gap?                        dem Geschlecht zu tun haben.             Frauen arbeiten doch auch viel
          Kastalia: Der Gender Pay Gap ist                                                öfter Teilzeit als Männer.
          der Unterschied in der Bezah-          Und wie groß ist der Gender Pay          Kastalia: Richtig. Aber wir haben
          lung zwischen den Geschlechtern.       Gap jetzt bei uns?                       bisher vom Stundenlohn gespro-
                                                                                          chen, da ist es egal ob Teilzeit
                                                                                          oder Vollzeit gearbeitet wird.
      Entsprechend der letzten in          Der → Equal Pay Day wird jedes                 Würden wir das Beschäftigungs-
      ­Österreich von der → ­Statistik     Jahr berechnet und b­ ezeichnet                ausmaß gar nicht berücksichti-
       Austria durchgeführten Zeit­        den Tag im Jahr, bis zu dem                    gen, dann läge der Gender Pay
       verwendungserhebung (2008/2009)     Frauen – im Vergleich zu                       Gap 2019 sogar bei → 36 Prozent
       arbeiten Frauen zwei D ­ rittel     Männern – unbezahlt arbeiten.                  (im Median).
       ­unbezahlt und ein Drittel          2021 war das der 21. Februar
        ­b ezahlt, bei Männern ist es      (nur bezogen auf die Vollzeit­                 Frauen arbeiten aber auch
     ­genau ­umgekehrt.                    beschäftigten).                                öfter in schlechter bezahlten
                                                                                          Branchen und niedrigeren
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Positionen. In der IT wird zum            wohl aktuell gerade sichtbar wird,         Männer weniger fürsorglich
Beispiel besser bezahlt als im            dass viele davon nicht nur wich-           sind. In Wahrheit ist es so, dass
Sozialbereich. Löst sich der              tig, sondern sogar systemrelevant          wir alle das so lange gesagt be-
Gender Pay Gap nicht auf, wenn            sind.                                      kommen, bis wir es glauben.
wir nicht Äpfel mit Birnen                                                           Dann kommt noch dazu, dass
vergleichen?                              Haben Sie Theorien dazu?                   Arbeitsfelder, die von Frauen er-
Kastalia: Nein, auch wenn man             Kastalia: Vieles ist schon erklärt:        obert werden, oft ziemlich rasch
den Gender Pay Gap um diese               Frauen sind bei uns immer noch             an Einkommen und Ansehen ver-
Faktoren bereinigt, ist er weiter-        diejenigen, die hauptsächlich für          lieren. Wenn wir auf den Sekretär
hin da, wenn auch ein bisschen            Kinderbetreuung und Haushalt               zurückschauen, sehen wir, dass
kleiner: → 2018 lag dieser Unter-         zuständig sind. Daneben geht               es eine wichtige Position war. Ein
schied in Österreich bei 14 Pro-          sich einfach oft kein Vollzeitjob          kleiner Rest davon ist noch beim
zent. Das heißt, Frauen verdienen         aus. Selbst wenn Frauen Vollzeit           Status von Generalsekretären
für gleiche Arbeit weiterhin weni-        arbeiten:      Männerdominierte            und Staatssekretären zu finden.
ger als Männer. Ganz abgesehen            Branchen sind besser bezahlt               Je mehr Frauen aber angefangen
davon sollten wir uns die Frage           und gerade dort haben es Frauen            haben, als Sekretärin zu arbeiten,
stellen, warum Frauen eigentlich          besonders schwer. Es gibt einfach          desto geringer wurden Ansehen
mehr Teilzeit arbeiten als Männer.        immer noch zu viele Stereotype             und Bezahlung. Oder umgekehrt:
Oder warum sie die Jobs machen,           in unseren Köpfen: dass Frauen             Anfangs war das Programmieren
die schlechter bezahlt werden, ob-        weniger technisch begabt oder              von Computern Frauenarbeit,
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               Ich rolle meine Augen laut
               und offensichtlich, wenn
                ich wieder mal in einer
                 ­Berufungskommission darauf
                  hinweisen muss, dass die weib-
                  lichen Kandidatinnen auch
                   gleich qualifiziert sind. Ich
                   rolle meine Augen, wenn ich                   so wäre, dass Frauen für              Und wie ist es an der Universität
                    in Berufungskommissionen                      die gleichen Jobs gleich             Wien?
                     darauf hinweisen muss, dass                  bezahlt werden wie Män-              Kastalia: An der Universität Wien
                     Geschlechterforschung State                  ner, blieben doch diese              haben alle Mitarbeiter*innen die
                     of the Art und kein Seiten-                   Tatsachen: Frauen ma-               Möglichkeit, Einsicht in die Ge-
                      strang der Forschung ist. Ich                chen mehr Teilzeitjobs,             haltsunterschiede in ihrer Ge-
                      muss mit den Augen rollen,                   arbeiten in schlechter              haltsgruppe zu nehmen. Außer-
                       wenn ich erfahre, dass es an                 bezahlten Branchen und             dem wird der Gender Pay Gap
                       der Universität Wien bei der                 sind seltener in höheren           bei den kollektivvertraglichen
                       ­Bestellung von Professuren                  Positionen zu finden.              Professuren veröffentlicht. Dieser
                        einen Gender Pay Gap gibt.                   Das bedeutet, dass Frau-          lag 2019 bei neun Prozent – also
                        Augenrollend verfolge ich                    en in absoluten Zahlen            schon besser als der österreichi-
                         ­paternalistische Besserwisserei            einfach weniger im Bör-           sche Durchschnitt, aber leider ist
                          in Habilitationskommissionen.               serl haben als Männer,           dennoch ein Gehaltsunterschied
                           Birgit S auer,                             obwohl sie insgesamt             vorhanden. Da müssen wir noch
                           Professorin für Politikwissen-             gleich viel Arbeit ver-          dranbleiben!
                           schaft mit dem Schwerpunkt                  richten, nur eben deut-
                            auf ­Governance und G ­ eschlecht          lich mehr unbezahlte            Das klingt allerdings nach
                                                                        Arbeit. Das klingt für         viel Arbeit, die hier noch
                                                                        mich nicht besonders           zu tun ist …
                                                                        gerecht. In weiterer           Kastalia: Da haben Sie recht. Der
                                                                         Folge heißt das auch,         Gender Pay Gap ist ein Parade-
         auch weil es als rein unterstüt-                  dass sie immer noch von den Ge-             beispiel dafür, dass Gleichbe-
         zende Tätigkeit wahrge­nommen                     hältern ihrer Männer abhängig               rechtigung nicht automatisch
         wurde. Inzwischen ist es eine an-                 sind oder dass Frauen geringere             zu Gleichstellung führt, weil be-
         gesehene – und sehr gut bezahl-                   Pensionen bekommen – weswe-                 stimmte Ungleichheitsstrukturen
         te – Tätigkeit, die von Männern                   gen sie auch deutlich öfter von Al-         sehr beständig sind. Und diese
         dominiert wird.                                   tersarmut betroffen sind als Män-           Strukturen sind auch deshalb so
                                                           ner. Im Schnitt erhalten Frauen             beständig, weil die Bilder und
         Es gibt also viele Erklärungen                    in Österreich knapp → 40 Prozent            Vorurteile in unseren Köpfen
         für den Gender Pay Gap …                          weniger Pension als Männer, wir             dazu führen, dass wir auch selbst
         Kastalia: Ja, Erklärungen gibt es.                liegen damit an viertletzter Stelle         immer wieder diskriminieren,
         Aber selbst, wenn wir alle Erklä-                 im EU-Vergleich. (→ Mayrhuber               auch wenn uns das gar nicht be-
         rungen berücksichtigen und es                     u. Mairhuber 2020)                          wusst ist.
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                         ICH HAB’S NICHT SO GEMEINT,
           DESHALB IST DAS KEINE DISKRIMINIERUNG

        Diskriminierung passiert auch
                ­unabsichtlich

Aber Kastalia, wenn Menschen              dass Menschen auf der Basis von            etwas Technisches studieren und
nicht bewusst diskriminieren              ganz wenigen ähnlichen Momen-              daraus schließe, dass alle Männer
wollen – wieso passiert es                ten sehr schnell verallgemeinern           gerne etwas Technisches studie-
trotzdem?                                 können. Ein banales Beispiel:              ren. Ergo: Alle Männer sind tech-
Kastalia: Zum Teil liegt es daran,        Wenn man in drei verschiedenen             nikaffin! Und weil wir Geschlecht
wie der Mensch psychologisch              Supermärkten gewesen ist, dann             gesellschaftlich als sehr gegen-
funktioniert. Menschen sind               erwartet man auch im vierten Su-           sätzlich denken, legt das auch den
grandios darin, Muster zu finden.         permarkt, dass das Gemüse gleich           Umkehrschluss nahe, dass Frauen
Sie erkennen sehr schnell, wo sich        nach dem Eingang kommt. Diese              dann eben nicht technikaffin sind.
Dinge entsprechen und es Ähn-             Fähigkeit, Muster zu finden und            So schnell sind wir bei Stereoty-
lichkeiten gibt. Diese Fähigkeit          zu verallgemeinern, kann aber              pen, die schon ab dem Kleinkind-
hilft ihnen, Situationen einzu-           auch nach hinten losgehen. So              alter greifen, und die dann in der
schätzen und Entscheidungen zu            kann es passieren, dass ich zum            Folge zu Diskriminierung führen
treffen. Im Endeffekt heißt das,          Beispiel viele Männer sehe, die            können.
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                                                               Viele Leute glauben           Haus. Die Feuerwehr kommt nicht zu
                                                                bei »Black Lives             allen, weil es nicht überall brennt. Daher
                                                                Matter«, dass Gleich-        sagen wir in diesem Kontext nicht »All
                                                               stellung zwischen             Houses Matter«, sondern »My House
                                                             ­Weißen und Schwarzen           Matters«. Keine Angst, dein Haus ist
                                              bedeutet, dass Schwarze höher-                 genauso viel wert, nur in dem Augen-
                                              gestellt werden als Weiße. Die                 blick braucht mein brennendes Haus
         Sie haben gesagt, dass es            Schwarzen wollen nicht höher als               Unterstützung, denn das Feuer kann
         zum Teil daran liegt.                 die Weißen gestellt werden. Nein,             sich sehr schnell verbreiten. Daher
         Woran liegt es noch?                  sie wollen gleichgestellt wer-              ­solltest du auch gleich mithelfen.
         Kastalia: Zu diesem psycho-           den, auf der gleichen Stufe, mit             Die weißen Menschen brauchen keine
         logischen Element kommt                gleichen Chancen und Rechten.               Angst vor der »Black Lives Matter«-­
         ein eher soziologisches. Wir           Denn in »All Lives Matter« ist das          Bewegung haben. Sie können nur
         leben in einer Gesellschaft            ­Schwarze Leben nicht inkludiert.           davon profitieren. Keiner nimmt
         voll sozialer Ungleichheit.             Es gibt immer noch Menschen,               ihnen die Macht weg. Der Weiße kann
         Das erscheint uns oft so nor-            die umgebracht werden, die                seine ­weißen Privilegien einsetzen,
         mal, dass uns diese Ungerech-            täglich ­rassistisch beleidigt            um ­Rassismus Seite an Seite mit den
         tigkeit gar nicht auffällt. Wir          werden, denen Bildung oder                Schwarzen zu bekämpfen.
         sind also an eine diskriminie-            eine ­Wohnung verweigert wird –          Rassismus geht uns alle an, ob weiß,
         rende Welt gewöhnt und ha-                nur, weil sie Schwarz sind. Eine         blau, grün oder schwarz. Zuhören,
         ben sie bis zu einem gewissen              Hautfarbe, die sie sich nicht           ­lernen und mithelfen.
         Grad verinnerlicht. Dann sagen             ­ausgesucht haben.                       Mögen wir lernen, mit dem Herzen zuzu-
         oder tun wir Dinge, von denen               Ein Beispiel: wenn mein Haus            hören, zu respektieren und zu lieben.
         wir gar nicht merken, dass sie              brennt, kommt die Feuerwehr             Easter S auberer-Ouma ,
         diskriminieren. Das heißt, Dis-              nur zu mir und löscht mein           Freundin der Universität Wien
         kriminierung passiert auch un-
         absichtlich – aber nicht nur! Es
         gibt auch Menschen, die bewusst
         diskriminieren und die sich die-
         se Diskriminierung mit wissen-          Also, selbst wenn jeder einzelne             Österreich gefragt werden, wo-
         schaftlich bereits lang widerleg-       Mensch nicht diskriminiert, ist              her sie kommen. Und wenn sie
         ten Begründungen wie »Männer            damit Diskriminierung in unse-               antworten, dass sie aus Öster-
         sind von Natur aus die besseren         rer Gesellschaft noch nicht ab-              reich sind, wird nachgehakt:
         Mathematiker, natürlich haben           geschafft.                                   Nein, woher sie wirklich kom-
         sie deswegen mehr Erfolg in                                                          men. Das ist normalerweise
         der Mathematik« schönreden.             Können Sie das noch ein                      nett gemeint, aber damit wird
         Dazu kommt noch, dass ein gu-           bisschen genauer erklären?                   nahegelegt, dass sie als nicht-
         ter Teil der Diskriminierung,           Kastalia: Nehmen wir Rassismus               Weiße keine «richtigen» Öster-
         die tagtäglich passiert, gar nicht      als Beispiel. Es gibt auch eine              reicher*innen sein können. Das
         von individuellen Einstellun-           subtile Form – zum Beispiel,                 ist individuelle Diskriminierung.
         gen oder Handlungen abhängt.            wenn nicht-weiße Menschen in                 Aber es gibt auch die sogenann-
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te strukturelle Diskriminierung.         dierte Konsequenzen und diese              Was kann ich mir darunter
Da geht es darum, dass Regeln,           sollten dann im Vordergrund ste-           vorstellen?
die für alle gelten, so gemacht          hen – weniger das Beteuern der             Kastalia: Sprache prägt unsere
sind, dass manche Menschen               guten Absicht. Fehler (dürfen)             Vorstellungen von der Welt und
davon benachteiligt werden und           passieren. Und dann sind wir               von unseren Beziehungen. Wenn
andere nicht. Ein Beispiel dafür         alle in der Pflicht zu lernen. In          ich bestimmte Begriffe verwen-
ist die automatische Gesichts-           den meisten Fällen unabsichtli-            de, die als diskriminierend er-
erkennung: Die Programme                 cher Diskriminierung geht es vor           kannt wurden, verweise ich die
funktionieren nach demselben             allem darum, sich zu entschuldi-           so bezeichneten Menschen im-
Schema, um ein weißes oder               gen und zu lernen, wie man es              mer wieder auf ihren marginali-
Schwarzes Gesicht zu erkennen.           beim nächsten Mal besser ma-               sierten und abgewerteten Platz.
Aber weil diese Programme                chen kann, um diese nicht-in-              Und wenn immer nur ein Teil
überwiegend mit Weißen getes-            tendierten Konsequenzen in Zu-             der Menschheit, nämlich Män-
tet werden, ist es bei der Erken-        kunft zu vermeiden.                        ner, in der Sprache vorkommt,
nung von Schwarzen Gesichtern                                                       dann bleiben alle anderen Ge-
fehleranfälliger. Das führt dazu,        Wir hören ja in letzter Zeit               schlechter unsichtbar. Das ist
dass innovative Techniken für            auch immer wieder, dass über               diskriminierend und festigt
Schwarze oft kaum verwendbar             Sprache diskriminiert wird.                Machtstrukturen.
sind.

Aber, wenn ich nicht
­ iskriminieren will und es
d
trotzdem so schnell passieren                  Ich stoße auf Augenrollen, wenn      ­ ender S
                                                                                    G           ­ tudies und -Forschung
kann, wie merke ich das dann                   ich Leuten erzähle, dass ich         verstärkt gefördert wird. Im Sinne
überhaupt und was kann ich                    ­Gender Studies studiert habe:          der Third Mission sollte das
tun?                                         »Lernt man da G   ­ endern?«                   Wissen daraus auch viel
Kastalia: Ganz wichtig ist erst              Für viele ist das Wort                            mehr in die Gesellschaft
mal, dass den Betroffenen zu-               »­Gender« schon ein rotes                          ­kommuniziert werden,
gehört wird – sie wissen am                 Tuch und sie n  ­ ehmen                             um den Mythos »Gender
allerbesten, was diskriminie-
­                                           das Fach nicht als Wissen-                       ­Studies = subjektiv und
rend wirkt und was nicht. Ob               schaft ernst bzw. wahr.                       ­ideologisch« zu bekämpfen.
etwas gut gemeint war, ist nicht           Für ­Gleichstellung & Diversität         Nina Krebs,
mehr relevant. Unsere Hand-                an der Universität Wien wäre              Mitarbeiterin der Abteilung
lungen haben oft nicht-inten-             ­wichtig, dass intersektionale            ­Gleichstellung und Diversität
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