Jahrbuch 2020 Qualität der Medien Hauptbefunde - Die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise - Foeg.uzh.ch
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Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft Jahrbuch 2020 Qualität der Medien Hauptbefunde Die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise fög – Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich
1 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise Mark Eisenegger Zusammenfassung Die Welt, die Schweiz und die Schweizer Medienöffentlichkeit stehen im Bann der COVID-19-Krise. Die Auswirkungen lassen sich an sämtlichen Untersuchungsdimensionen dieses Jahrbuchs ablesen. Für den Journalismus zeigen diese einerseits mehrere positive Befunde: mehr Interesse an und mehr Nutzung von professionellen Informationsangeboten, zeitweise auch bei jungen Menschen, die ansonsten weniger news- affin sind, oder auch relativ gute Leistungen in der Berichterstattungsqualität. Andererseits aber zeigt sich in aller Deutlichkeit die prekäre finanzielle Lage des Informationsjournalismus in der Schweiz. Der im letz- ten Jahrbuch Qualität der Medien (fög, 2019) als Folge der Tech-Plattformisierung beschriebene Umbau der Schweizer Medienöffentlichkeit hat sich in der Corona-Krise weiter akzentuiert. Zwar verzeichnete Google im laufenden Corona-Jahr erstmals einen leichten Umsatzrückgang, und auch Facebook wuchs etwas lang samer. Angesichts der globalen, rezessiven Lage haben die Tech-Plattformen aber deutlich «outperformt» (Maron, 2020). Dem steht ein Informationsjournalismus gegenüber, der einen markanten Rückgang bei den Werbeeinnahmen verzeichnete, Kurzarbeit einführen und staatliche Unterstützung anfordern musste. Alle grossen Schweizer Medienhäuser haben weitere Kostensenkungsmassnahmen und eine Reduktion des Stel- lenetats angekündigt oder bereits umgesetzt. Informationsmedien wie Micro, CNN Money Switzerland oder Le Régional mussten eingestellt werden, Medien legten Ressorts zusammen oder wollen inskünftig stärker auf die Karte der Automatisierung setzen. Plattform-Leitbilder werden damit auch in journalistischen Orga- nisationen immer mehr zum Massstab der eigenen Zukunftstauglichkeit. Zwar schossen die Nutzerzahlen für journalistische Angebote in die Höhe, und es konnten mehr Digitalabonnements und journalistische In- halte verkauft werden. Dem digitalen Zuwachs auf der Nutzerseite war es jedoch nicht möglich, den Ein- bruch bei den Werbeeinnahmen während der Corona-Krise annähernd zu kompensieren. Die globalen Tech- Plattformen aus dem Silicon Valley haben ihre Marktmacht und Position in der Krise gesamthaft also weiter gefestigt, während die systemrelevanten professionellen Informationsmedien journalistisch zwar gut ge arbeitet, strukturell aber nochmals an Boden verloren haben. Angesichts der aktuellen Situation legt die diesjährige Ausgabe des Jahrbuchs einen Schwerpunkt auf die Corona-Krise, bleibt aber nicht dabei stehen. Von sechs Studien beziehen sich drei unmittelbar auf die Corona-Thematik. Während eine Studie die Qualität der Schweizer Medienberichterstattung während der Corona-Krise bilanziert, befasst sich eine zweite mit der Kommunikationsdynamik zur Pandemie in sozialen Medien, das heisst in der Twitter-Sphäre. Wie das Medien- und Informationsnutzungsverhalten in dieser Ausnahmesituation aussieht, wird in einer dritten Studie untersucht. Die anderen drei Analysen befassen sich mit weiterführenden Themen. Einen traditionellen Schwer- punkt im Jahrbuch bildet die sogenannte Repertoireforschung. Diese gibt darüber Aufschluss, welche In formationsmedien eine Person typischerweise nutzt. In einer qualitativen Untersuchung haben wir uns vertiefend der Gruppe der jungen Erwachsenen angenommen. In dieser vierten Studie beleuchten wir deren mediale Lebenswelten ganz generell und auch speziell während der Corona-Pandemie und zeigen Wege auf, wie diese Nutzerinnen und Nutzer wieder stärker für den Informationsjournalismus gewonnen werden können. Eine fünfte Studie zeigt, wie sich das genutzte Medienmenü auf die Themenwahrnehmung aus- wirkt. Schliesslich haben wir uns in der sechsten Studie mit der Entwicklung und Qualität der Wissen- schaftsberichterstattung befasst. Diese Thematik ist im Kontext der Corona-Pandemie besonders aktuell, hat die Krise doch die Bedeutung des Wissenschaftsjournalismus deutlich vor Augen geführt. Diese Hauptbefunde fassen die zentralen Erkenntnisse der sechs Studien sowie die Erträge des Jahr- buchs zur Entwicklung der Medienqualität, zur Mediennutzung, zu den Einstellungen der Schweizer Be völkerung gegenüber dem Journalismus und den Tech-Plattformen, zur Wahrnehmung der Problematik der Desinformation, zur finanziellen Situation des Schweizer Informationsjournalismus sowie zur Medien konzentration zusammen. Den Abschluss bildet das Fazit mit Handlungsempfehlungen.
2 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise 1 Studien zur Corona-Pandemie den Umgang mit Zahlen und Statistiken. Zwar haben einzelne Redaktionen diesbezüglich gut gearbeitet, 1.1 Qualität der COVID-19-Bericht gesamthaft aber erfolgte der Umgang mit Zahlen zu erstattung – gut, aber mit Mängeln wenig einordnend und zu wenig kritisch-distanziert. Mehrere Medien haben Zahlen und Statistiken oft M edien haben auf die Konstruktion von gesell- schaftlichen Krisen einen entscheidenden Ein- fluss. Sie beeinflussen, wie bedrohlich die Situation «nackt» vermeldet, ohne diese weiter zu erklären oder einzuordnen. Verschiedene Kritikerinnen und Kritiker hatten erscheint, wie gross der politische Handlungsdruck den Medien eine zu wohlwollende Haltung gegen- ist oder inwieweit die Bevölkerung bereit ist, be- über Behörden und Regierungen vorgeworfen. Dies stimmten Massnahmen zu folgen. Angesichts dieser wird durch unsere Studie nicht bestätigt. Gesamt- Bedeutung stellt sich die Frage nach der Qualität der haft hielten die untersuchten Medien durchaus kri Medienberichterstattung in der Krise. Unsere Studie tische Distanz zu den Behörden, die in der Krise mit auf der Grundlage quantitativer Inhaltsanalysen für besonderen Vollmachten ausgestattet wurden. Aller- den Zeitraum bis Ende April 2020 (und mit automa- dings offenbart unsere Untersuchung eine zu un tisierten Verfahren bis Juni 2020) bestätigt: Die Leis- kritische Haltung der Medien in der sensitiven Phase tung der Schweizer Informationsmedien während kurz vor dem Lockdown. Eine kritische Auseinander- der Pandemie war relativ gut (Eisenegger et al., setzung mit der Massnahme, zum Beispiel durch ein- 2020), insbesondere in Anbetracht der erschwerten ordnende Vergleiche mit Ländern wie Italien, in Arbeitsbedingungen und erlittenen Ertragsausfälle. denen der Lockdown deutlich früher verhängt Positiv zu bewerten ist erstens die Relevanz: Die wurde, blieb aus. Die Informationsmedien haben untersuchten Informationsmedien bemühten sich, dadurch mitgeholfen, den Lockdown vorzubereiten nicht bei Einzelfällen und -schicksalen stehen zu und zu legitimieren. bleiben, sondern gesamtgesellschaftliche Folgen ins Zudem war die journalistische Einordnungs- Zentrum zu rücken. Zweitens schlägt auch die thema- leistung während der Krise insgesamt unzureichend. tische Vielfalt positiv zu Buche: Die Schweizer Die Medien beschränkten sich überwiegend auf die Informationsmedien beleuchteten die Pandemie aus Kommentierung der Ereignislage. Eine vertiefte Aus- unterschiedlichen thematischen Perspektiven. Neben einandersetzung mit den Ursachen und Folgen der medizinischen Aspekten wurden auch die politischen Krise sowie den Massnahmen basierend auf gründ oder wirtschaftlichen Implikationen der Krise behan- licher Eigenrecherche blieb ein Randphänomen. delt. Drittens kann man den Medien keinen Alarmis- Auffallend ist weiter die grosse Abhängigkeit von mus vorwerfen: Die Berichterstattung war selbst in externen Expertenstimmen. Mehr als 80% der unter- Boulevard- und Pendlermedien zumeist sachlich ge- suchten Beiträge machten einen Bezug zu einer halten. Eine Panikmache blieb aus. Expertin oder einem Experten. Dies zeigt, dass der Allerdings zeigt unsere Studie auch deutliche Informationsjournalismus viel an Kraft verloren hat, Mängel. Die Corona-Thematik hat wie kein anderes Ereignisse mit den bestehenden Ressourcen eigen- Ereignis die journalistische Berichterstattung domi- ständig einzuordnen. Es rächt sich der Abbau des niert (vgl. Darstellung 1). Bis zu 70% der Bericht Wissenschaftsjournalismus, der sogar während der erstattung machten phasenweise in Haupt- oder Corona-Krise in einzelnen Redaktionen fortgesetzt Nebenschwerpunkten eine Referenz auf das Virus. wurde. Schliesslich muss man auch die Vielfalt der Als Folge davon fielen andere wichtige Themen im Expertinnen und Experten in der Corona-Bericht ersten Halbjahr 2020 aus der Agenda. Der Klima erstattung bemängeln. Die überwiegende Mehrzahl wandel, der das Wahljahr 2019 noch bestimmt hatte, der wissenschaftlichen Expertinnen und Experten, verlor im untersuchten Zeitraum als Thema der die in Medien ihre Einschätzungen abgeben konnten, Berichterstattung deutlich an Aufmerksamkeit. Wäh- stammten aus dem medizinischen Feld der Virologie, rend die Corona-Berichterstattung thematisch recht der Epidemiologie oder der Immunologie. Expertin- vielfältig war, hat die Vielfalt jenseits dieser Thema- nen und Experten aus anderen Disziplinen, zum Bei- tik also deutlich gelitten. Bemängeln muss man auch spiel den Wirtschafts-, Rechts- oder Sozialwissen-
3 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise 1.1.2020 1.2.2020 1.3.2020 1.4.2020 1.5.2020 1.6.2020 30.6.2020 80% 70% 60% 50% 3 40% 1 30% 2 20% 10% 4 0% Phase 1: Phase 2: Phase 3: Phase 4: 1.1. – 27.2.2020 28.2. – 15.3.2020 16.3. – 7.4.2020 8.4. – 30.4.2020 1 Deutschschweiz 2 Suisse romande 3 Svizzera italiana 4 Klimadiskurs Darstellung 1: Täglicher Anteil an Medienberichten mit Referenz zu COVID-19 nach Sprachregionen Die Darstellung zeigt den Anteil der Beiträge mit mindestens einer Referenz zu COVID-19 bzw. zum Coronavirus (n = 100 612) an der gesamten Berichterstattung der untersuchten Medien (n = 308 616) nach Sprachregionen (Mediensample für die automatisierte Inhaltsanalyse). Als Referenzwert wurde der Anteil der Berichterstattung mit Bezug zum Klimadiskurs an der Gesamtberichterstattung verwendet (n = 14 334). Lesebeispiel: In der Svizzera italiana war der Anteil von Beiträgen mit Bezug zu COVID-19 an der Gesamtberichterstattung mit 75% am 21. April 2020 am höchsten. schaften, kamen kaum zu Wort. Das ist bemerkens- zu hörende Vorwurf, der öffentliche Rundfunk be- wert, zeitigt die Corona-Krise doch nicht erst seit richte zu staatsnah, wird durch unsere Studie wider- dem Lockdown gesellschaftliche Konsequenzen weit legt. Zusammen mit den Sonntags- und Wochen über medizinische Aspekte hinaus. Auch unterschei- medien zeigte der öffentliche Rundfunk die grösste den sich die thematisierten Expertinnen und Ex kritische Distanz zu staatlichen Akteuren. In einzel- perten je nach Sprachregion stark. Dies zeigt, dass nen Dimensionen haben auch die Boulevard- und ein Sprachregion-übergreifender Diskurs nur wenig Pendlermedien gut gearbeitet. Unsere Untersuchung stattgefunden hat (vgl. Darstellung 2). belegt das Bemühen um Sachlichkeit. Alarmismus Die Qualität der Corona-Berichterstattung un- und Panikmache blieben auch bei diesen Medien terscheidet sich zwischen den Medientypen. Positiv meistens aus. Interessant sind auch die sprachregio- heben sich die Abonnementszeitungen und der öf- nalen Unterschiede. Die Medien der Suisse romande fentliche Rundfunk mit einer besonders hohen Viel- berichteten etatistischer und zeigten eine geringere falt an Themen, einer höheren Relevanz und mehr kritische Distanz zu den Behörden. Hintergrundberichterstattung ab. Der immer wieder
4 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise –1,5 –1,25 –1 –0,75 –0,5 –0,25 0 0,25 0,5 0,75 1 Stadler 1,4 1,2 Weltwoche 1 Vernazza 0,8 Sax Raoult Eichenberger 0,6 Sturm Aguzzi 0,4 Flahault 20minuten.ch Koch Le Matin Dimanche 0,2 Yazdanpanah Adhanom 20minutes.ch Eggimann lematin.ch Sonntagsblick letemps.ch watson.ch Pittet 24heures.ch Eckerle aargauerzeitung.ch blick.ch 0 rts.ch lenouvelliste.ch Egger Salathé Drosten Fellay Nanshan Streeck Ryan srf.ch nzz.ch –0,2 tagesanzeiger.ch Hodcroft Battegay Neher –0,4 Brunetti bernerzeitung.ch Griot Sonntagszeitung Berger NZZ am Sonntag –0,6 Thiel Widmer Bachmann Althaus –0,8 Darstellung 2: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Berichterstattung zur Corona-Pandemie Die Grafik veranschaulicht die Resonanz der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den einzelnen Medien in Phase 1 bis 4 (ohne Radio und TV- Sendungen). Die Grösse der Kugel zeigt, wie oft die Person in der Berichterstattung insgesamt thematisiert wurde (Anzahl Beiträge). Die Position der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und der Medien in der Grafik zeigt die relative Bedeutung der Person in der Berichterstattung des jeweiligen Mediums. Je näher, desto exklusiver wurde ein Akteur in einem Medium thematisiert. Je weiter eine Beobachtung vom Ursprung des Koordinatensystems entfernt liegt, desto stärker unterscheidet sie sich vom Durchschnitt. Die X-Achse wird durch die Sprachregion bestimmt, die Y-Achse durch die Medien- typen. Die Werte wurden mittels einer Korrespondenzanalyse ermittelt. Lesebeispiel: Beda Stadler erhielt vergleichsweise oft in der Weltwoche Resonanz. Im Vergleich zu den anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- lern wurde er durchschnittlich oft thematisiert.
5 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise 1.2 Etablierte Akteure bestimmen nötig. So gibt es Anzeichen, dass Messengerdienste den Diskurs über die Corona- wie WhatsApp in der Verbreitung von Desinformation Pandemie in sozialen Medien eine durchaus ernstzunehmende Rolle spielen (Eisen- egger, 2019; Reuters Institute, 2019). Dies auch deshalb, W ie die journalistischen Leitmedien hat die weil es sich hier um private Kommunikation handelt, Corona-Pandemie auch die sozialen Medien in die sich dem kritischen Zugriff von aussen entzieht. den Bann gezogen. Dies bestätigt unsere Studie zur Kommunikationsdynamik in der Schweizer Twitter- Sphäre auf der Grundlage von 1,7 Millionen Tweets 1.3 Behörden und der öffentliche Rund- im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. April 2020 funk: die wichtigsten Informations- (Rauchfleisch et al., 2020). Von den aktiven Schwei- quellen in der Krise zer Twitter-Nutzerinnen und -Nutzern haben sich knapp 60% mehr oder weniger stark am öffentlichen Diskurs zur Corona-Thematik beteiligt, das heisst, D ass der traditionelle Informationsjournalismus während der Corona-Krise gut gearbeitet hat, sich selbst geäussert oder auf Inhalte zum Thema legt auch die Studie zum Mediennutzungsverhalten reagiert. In e iner Studie des letztjährigen Jahrbuchs während der Krise nahe (Friemel et al., 2020). Am hat sich herausgestellt, dass auf Twitter die Hier grössten stufen die Befragten aus der Deutsch- archie der b estimmenden Meinungsführerinnen und schweiz die Bedeutung der Informationskanäle des Meinungsführer teilweise auf den Kopf gestellt wird Bundes ein, gefolgt von den Informationsangeboten (Vogler et al., 2019). Zivilgesellschaftliche Akteure des öffentlichen Rundfunks und den Angeboten der und Privatpersonen sowie politische Interessen privatwirtschaftlich organisierten Schweizer Medien- gruppen prägen die Agenda in der Twitter-Sphäre in häuser. Den sozialen Medien wie Facebook, Instagram der Regel stärker als der Journalismus. Dieser Befund und Twitter wird von den befragten Schweizerinnen bestätigt sich aber während der Corona-Krise nicht. und Schweizern eine klar untergeordnete Bedeutung Die klassischen Meinungsführerinnen und Meinungs- zugesprochen. Es bestätigt sich somit auch hier der führer, das heisst der professionelle Informations- Befund, dass in Zeiten der Krise herkömmliche Infor- journalismus s owie die Behörden (zum Beispiel das mationsquellen verstärkt nachgefragt werden. Analog Bundesamt für Gesundheit BAG oder der Bundesrat) zu den Befunden der inhaltlichen Berichterstattungs- prägen den Diskurs während der Krise am stärksten. qualität konstatieren aber auch die befragten Mängel In Zeiten grosser Verunsicherung und erhöhten In in Bezug auf die Thematisierung der Corona-Krise. formationsbedarfes machen auf sozialen Medien die Eine grosse Mehrheit der Schweizerinnen und traditionellen, journalistischen Informationsanbieter Schweizer findet bereits zu Beginn des Lockdowns, sowie die etablierten (politischen) Akteure wieder dass die Pandemie zu viel thematisiert wurde (vgl. Boden gut (vgl. Darstellungen 3–5). Darstellung 6). Die Wahrnehmung eines «Over- Im Corona-Diskurs spielte Desinformation load» deckt sich mit dem exorbitanten Wert von bis zwar bei Schweizer Twitter-Nutzerinnen und -Nut- zu 70% der Medienberichterstattung, die sich an ein- zern eine Rolle, jedoch keine prominente. Das belegt zelnen Tagen auf die COVID-19-Thematik beziehen. die vertiefende Untersuchung von Twitter-Diskursen Der Ton der journalistischen Corona-Berichterstat- mit desinformativer Tendenz, so zum Beispiel die tung wird von einer Mehrheit der Befragten für ange- Diskussion über 5G-Antennen, die angeblich zur messen beurteilt. Demgegenüber fällt das Urteil ge- Verbreitung von COVID-19 beitragen würden, oder genüber sozialen Medien kritischer aus: Die Hälfte über COVID-19 als biologische Waffe, die in einem der Befragten gibt an, soziale Medien würden drama- Labor in Wuhan entwickelt worden sei. Die Analyse tisieren, während gleichzeitig 14% der Meinung sind, belegt, dass die Schweizer Twitter-Community auf dass in sozialen Medien verharmlost werde. Hier be- solche desinformativen Inhalte zurückhaltend re- stätigt sich der Befund, dass der Diskurs auf sozialen agiert und sie kaum weiterverbreitet. Plattformen im Vergleich zu demjenigen in her- Zur valideren Einschätzung des Problems der kömmlichen journalistischen Medien insgesamt emo- Desinformation sind jedoch weiterführende Studien tionaler und polarisierender ist (Papacharissi, 2016).
6 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise Darstellungen 3–5: Retweet-Repertoires pro Sprachregion Die Darstellungen zeigen die Retweet-Repertoires für die Mainstream-Communitys der einzelnen Sprachregionen. Dazu wurden für jede der drei Grup- pen die 90 Accounts, die am meisten retweetet wurden, über ein Netzwerk visualisiert. Je grösser die Labels, desto öfter wurde ein Account retweetet. Je näher die Accounts sind, desto öfter werden sie von den gleichen Nutzerinnen und Nutzern retweetet.
7 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise 0% 20 40 60 0% 20 40 60 0% 20 40 60 Redaktionelle Medienangebote 2,5% 41,7% 55,8% Umfang Interpersonale Kommunikation 3,8% 47,4% 48,8% Soziale Medien 7,2% 32,8% 60,0% Redaktionelle Medienangebote 3,4% 52,0% 44,5% Ton Interpersonale Kommunikation 10,2% 58,5% 31,3% Soziale Medien 13,5% 36,0% 50,5% zu wenig thematisiert / zu viel thematisiert / angemessen verharmlosend dramatisierend Darstellung 6: Bewertung der Thematisierung (Umfang und Ton) der Corona-Krise Die Darstellung zeigt für die Bewertung des Umfangs und des Tons die verschiedenen Anteile in Prozent. Datengrundlage sind die jeweils gültigen Ant- worten (redaktionelle Medienangebote: n = 990; interpersonale Kommunikation: n = 937; soziale Medien: n = 430). Für diese Auswertung wurden die Antworten der 7er-Skala jeweils wie folgt zusammengefasst: 1 bis 3 («zu wenig thematisiert / verharmlosend»), 4 («angemessen») und 5 bis 7 («zu viel thematisiert / dramatisierend»). Lesebeispiel: Über die Hälfte der Befragten findet bezüglich des Umfangs, dass die Corona-Krise in den redaktionellen (55,8%) und sozialen Medien (60,0%) zu viel thematisiert wird. 2 Weiterführende Studien richten gelangen in der Regel zufällig zu dieser Nutzergruppe, und zwar mittels Social-Media-Platt- 2.1 Junge nicht verloren für den formen, die auf dem Smartphone nebenher genutzt Informationsjournalismus werden. Zentral für die Informationsverarbeitung ist das eigene soziale Netzwerk. Auf Nachrichten wird Z wischen 2009 und 2020 ist die Gruppe der so genannten News-Deprivierten von 21% auf 37% gewachsen. Mit 54,6% ist ihr Anteil in der Alters- die junge Nutzergruppe fast ausschliesslich dann aufmerksam, wenn «Friends» oder Bekannte einen Beitrag teilen. Auch das Elternhaus spielt in diesem gruppe der jungen Erwachsenen besonders hoch. Da- Zusammenhang eine wichtige Rolle: Face-to-Face- bei handelt es sich um Nutzerinnen und Nutzer, die Gespräche zu Hause über News sind ein wichtiger journalistische Informationsangebote unterdurch- Faktor, situativ über gesellschaftliche Themen infor- schnittlich nutzen und einer höheren Gefahr der miert zu werden und das Interesse an Nachrichten Unterversorgung mit Nachrichten ausgesetzt sind. zu wecken. Dies war Grund genug, im Rahmen einer qualitativen Das Interesse an Nachrichten ist stark von per- Studie das Medien- und Informationsnutzungsver- sonalisierten Faktoren beeinflusst: Nachrichten halten von 19 Schweizerinnen und Schweizern im werden vor allem dann rezipiert, wenn im persön Alter zwischen 20 und 25 Jahren vertieft zu unter lichen Netzwerk – sowohl online wie auch offline – suchen (Schwaiger, 2020). Ziel der Studie war es, darauf hingewiesen wird, sei es durch Personen des den Ursachen für das spezifische Informations- und öffentlichen Lebens (Influencerinnen und Influen- Mediennutzungsverhalten nachzuspüren und kon- cer) oder aus dem privaten Umfeld. Es handelt sich krete Ansatzpunkte aufzuzeigen, wie das Interesse dann um B eiträge, welche die Jungen in ihrer per für Informationsjournalismus bei der Zielgruppe der sönlichen Lebenswelt berühren. Allgemeiner stossen Jungen wieder verstärkt werden kann. News auf Interesse, wenn sie ein Mittel der eigenen Die Resultate zeigen, dass die Studienteil Identitäts- und Gemeinschaftspflege darstellen. Ge- nehmenden eine präzise Vorstellung davon haben, nutzte und geteilte News sollen zur eigenen Identi- was «Nachrichten» bedeuten, nämlich relevante In- tät, zur eigenen Community, mit der man sich iden- formationen zum aktuellen Weltgeschehen. Nach- tifiziert, passen. News haben Nachrichtenwert, wenn
8 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise suchte Gruppe der jungen Erwachsenen situativ durchaus stark zum Newskonsum animieren. Das 7 Interesse an News steigt auch dann, wenn das Gefühl 2 wächst, etwas in der eigenen Community verpasst zu haben oder nicht mitreden zu können. 1 Eine Bindung an herkömmliche Medienmarken 12 ist allerdings kaum noch vorhanden. Es zeigen 5 sich bei dieser Zielgruppe klare Tendenzen eines 6 8 emergenten Medienkonsums (fög, 2020). Spezi 10 fische Medientitel werden nicht mehr gesamthaft Ich 9 genutzt oder angesteuert. Stattdessen wird auf 14 4 sozialen Plattformen ein hochdynamisches persön 11 liches Nachrichtenbündel aus unterschiedlichsten Quellen rezipiert. Entscheidend dafür, ob ein einzel- 15 ner Nachrichten artikel in die T iefe gelesen wird, 13 3 sind – neben dem individuellen Interesse – Titel und Bild. Die untersuchten Nutzerinnen und Nutzer reagieren also auf Formen der Nachrichtenaufbe reitung, wie beispielsweise «Clickbaiting». Die Studie bestätigt eine geringe Zahlungs bereitschaft für News. Bezahlschranken werden von 1 Facebook 6 Google 11 Online-News den jungen Erwachsenen auch stark kritisiert. Ein 2 Twitter 7 TV 12 Radio kostenloser Zugang zu gesellschaftlich relevanten 3 Snapchat 8 Blogs 13 Netflix 4 WhatsApp 9 Print Qualität 14 Instagram Beiträgen wird von den Studienteilnehmenden quasi 5 YouTube 10 Spotify 15 Print Boulevard als Grundrecht bezeichnet. Eine gewisse Zahlungs- bereitschaft würde nur bestehen, wenn eine Platt- Darstellung 7: Nutzungshäufigkeit von Medienkanälen form journalistische Inhalte aus unterschiedlichsten Quellen auf der Grundlage einer kostengünstigen Die Darstellung zeigt die Nutzungshäufigkeit unterschiedlicher Medien kanäle unter den 20- bis 25-jährigen Studienteilnehmerinnen und -teilneh- Flatrate anbieten würde. Die untersuchte Zielgruppe mern. Je näher ein Kanal in der Kreismitte platziert ist, umso häufiger wird orientiert sich beim Bezahlverhalten somit stark an er genutzt. gebündelten Diensten wie Spotify. Lesebeispiel: Die Plattformen YouTube, Instagram, WhatsApp und Google werden von den Jungen besonders häufig genutzt. Eine grosse Bedeutung hat bei den untersuch- ten jungen Erwachsenen die «Messengerisierung» (Eisenegger, 2019, S. 12): Häufig gelangen News beiträge über Messengerdienste wie WhatsApp zu sie in sozialen Medien auf Aufmerksamkeit stossen den jungen Erwachsenen. Bei der untersuchten können, sie also das Potenzial haben, soziales Netz- jungen Nutzergruppe macht sich somit eine Verlage- werkkapital zu vergrössern. Trifft dies zu, macht sich rung des gesellschaftlichen Diskurses weg von öf- die junge Nutzergruppe durchaus auch einmal aktiv fentlichen hin zu privaten Plattformen bemerkbar. auf die Suche nach zusätzlichen Informationen. In- Für den Newskonsum am wichtigsten b leiben aber sofern sind junge Erwachsene, insbesondere die, die zurzeit noch die auf Bild, Video und Ton setzenden den «News-Deprivierten» zugerechnet werden kön- Social-Media-Plattformen YouTube und Instagram. nen, für den Informationsjournalismus keineswegs Eine audiovisuelle Aufbereitung ist für die Nutzer- verloren. Kommunika tionsereignisse mit Mobili gruppe ein wichtiges Kriterium der Vermittlungs- sierungscharakter (z.B. «Fridays for Future» oder qualität und steigert das Interesse. Obwohl weniger #MeToo), die das Potenzial haben, die eigenen Com- häufig genutzt, werden die traditionellen journalis munity zu bewegen, oder auch personalisierte The- tischen Medienkanäle TV, Radio und Presse deutlich men mit Identifikationspotenzial können die unter- glaubwürdiger eingeschätzt als die häufig genutzten
9 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise Social-Media-Kanäle. Begründet wird dies mit der 0% 2 4 6 8 10 12 höheren Qualität und dem besseren Einhalten jour- nalistischer Standards. Dies ist ein weiterer Beleg für News-Deprivierte 1 2 die Reflektiertheit der untersuchten Nutzergruppe. Global Surfer Da die Studie während der Corona-Pandemie Intensivnutzer/innen durchgeführt wurde, lassen sich Erkenntnisse zum Homeland Oriented Mediennutzungsverhalten während der Krise ab Old World & Onlinependants leiten. Der in der Literatur beschriebene «Corona- Old World Boulevard Bump» kann auch durch unsere Studie bestätigt werden (Kalogeropoulos et al. 2020). Die untersuch- 1 Mittel 2 Hoch te Nutzergruppe hat sich während der Corona-Krise vermehrt traditionellen, journalistischen Angeboten Darstellung 8: Kommunikationsereignisse mit Bewegungsc harakter in den Themenagenden der Repertoiretypen zugewendet. Dieser Effekt ist aber nicht von Dauer. Aus der Wahrnehmung einer Informationsflut zur Die Darstellung zeigt, wie stark bei den wahrgenommenen Kommunika Corona-Thematik resultiert schon bald wieder ein tionsereignissen auf der persönlichen Themenagenda ein Bewegungs unterdurchschnittliches Newsinteresse. charakter vorhanden ist (n = 41 118 Befragte in den Jahren 2009 bis 2020). Aufgrund der Vorauswahl von 20 resonanzstarken Kommunikations ereignissen des jeweiligen Vorjahres ist die Varianz der Anteilswerte beschränkt. Umso mehr sind selbst geringe Anteilsunterschiede bedeut- 2.2 «News-Deprivierte»: Themen sam und statistisch signifikant. mit Bewegungscharakter prominenter Lesebeispiel: «News-Deprivierte» haben auf ihrer Agenda mit 10,5% den höchsten Anteil von Kommunikationsereignissen mit mittlerem und hohem auf dem Bildschirm Bewegungscharakter. E ine weitere Studie interessierte sich für die Frage, wie sich das persönliche Medienmenü unter- schiedlicher Nutzergruppen, die sogenannten News- repertoires, auf die Themenwahrnehmung auswirkt womöglich auf Resonanz stossen (vgl. Darstellung 8). (Schneider & Eisenegger, 2020). Mit Blick auf das Es handelt sich bei den «News-Deprivierten» also Repertoire der «News-Deprivierten», das durch einen keineswegs um bewusste News-Verweigerinnen und unterdurchschnittlichen Newskonsum mit starkem -Verweigerer. Voraussetzung für das Interesse an Fokus auf soziale Medien geprägt ist, zeigen sich Nachrichten ist aber, dass die journalistischen In- klare Muster: Komplexe, gesellschaftspolitische halte lebensweltlich anschlussfähig sind und in so Themen sind bei dieser Nutzergruppe weniger auf zialen Netzwerken für das eigene Identitäts- und der Agenda. Softnews, emotionalisierte und bedroh- Beziehungsmanagement vorteilhaft erscheinen. liche Themen dafür umso mehr. Kommunikations- Auch zu anderen Repertoiretypen hat die ereignisse mit Bewegungscharakter wie die #MeToo- Studie wichtige Befunde herausdestilliert. Die Ana Debatte oder die «Fridays for Future»-Thematik fin- lyse belegt, dass sich «Global Surfer», die gebildet den überdurchschnittliche Beachtung. Das steht im sind, berufliche Verantwortung tragen und in den Einklang mit den Resultaten der qualitativen Studie digitalen Medienwelten kritisch-reflektiert unter- (vgl. Kapitel 2.1), dass junge Erwachsene mit über- wegs sind, trotz ihrer Affinität für politische und wiegender S ocial-Media-Nutzung diese Themen ver- wirtschaftliche Themen weit unterdurchschnittlich gleichsweise intensiv verfolgen. Damit unterstreicht mit schweizerischen Themen, wie zum Beispiel auch diese Studie auf der Grundlage einer quantita Abstimmungen, beschäftigen. Das stellt ein demo- tiven, standardisierten Bevölkerungsumfrage, dass kratiepolitisches Problem dar, zumal die «Global die Gruppe der «News-Deprivierten» durchaus mit Surfer» zusammen mit den «News-Deprivierten» zu journalis tischen Inhalten erreicht werden kann. den Repertoires zählen, die in den letzten Jahren am Nämlich dann, wenn die Themen Mobilisierungs stärksten gewachsen sind. Im Jahr 2020 sind mehr potenzial aufweisen, Identifikationsmöglichkeiten als 60% aller erfassten Nutzerinnen und Nutzer bieten und in den jeweiligen sozialen Netzwerken einem dieser beiden Repertoires zuzurechnen.
10 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise Jahr Anteil an einordnender Anteil an emotional aufgeladener Anteil des Bezugs zur Schweiz Berichterstattung Berichterstattung in der Berichterstattung 2015 36,4% 2,4% 38,1% 2016 21,4% 4,4% 32,7% 2017 18,0% 1,9% 31,2% 2018 10,9% 5,2% 34,0% 2019 13,5% 5,4% 36,3% Total 20,0% 3,9% 33,7% Tabelle 1: Inhaltliche Qualitätsaspekte der Wissenschaftsberichterstattung im Jahresvergleich Die Tabelle zeigt, wie sich die inhaltlichen Qualitätsaspekte Einordnungsleistung, Emotionalität und Bezug zur Schweiz (Bezugsraum regional und n ational) über die Jahre entwickelt haben. Lesebeispiel: Im Jahr 2019 sind 13,5% der Beiträge einordnend. 2015 betrug dieser Wert noch 36,4%. 2.3 Wissenschaftsberichterstattung – nimmt es zu, wobei das Mehr an Wissenschafts wichtig, aber vernachlässigt berichterstattung im Onlinesegment hauptsächlich mit Agenturmeldungen bestritten wird. W issenschaftliches Wissen prägt die heutige Ge- sellschaft mehr denn je. Das hat die Corona- Krise deutlich vor Augen geführt. Dabei sind journa- Mit Blick auf die in der Wissenschaftsbericht erstattung vermittelte Medienqualität fällt über die Jahre eine signifikante Abnahme der Einordnungs- listische Informationsmedien für die Schweizer Be- leistung auf. Während 2015 noch 36,4% der Beiträge völkerung die wichtigste Quelle für wissenschaftliches als einordnend eingestuft waren, sind es im Jahr 2019 Wissen. Trotz seiner Bedeutung ist der Wissen- nur noch 13,5% (vgl. Tabelle 1). Am stärksten einord- schaftsjournalismus jedoch ein Nischenressort. Er nend ist die Wissenschaftsberichterstattung in den kämpft mit sinkenden Ressourcen und einer zuneh- Medienangeboten des öffentlichen Rundfunks (34%), menden Abhängigkeit von der Hochschulkommuni- der Sonntagszeitungen und Magazine (32%) sowie in kation. Vor diesem Hintergrund untersucht unsere den Onlineausgaben der Abonnements zeitungen Studie die Bedeutung und Qualität der Wissen- (23%). Umgekehrt weisen die Onlineausgaben der schaftsberichterstattung in Schweizer Medien der Boulevard- (9%) und Pendlermedien (8%) tiefe An- Gattungen Online, Presse, Radio und Fernsehen im teile an einordnender Berichterstattung auf, obwohl Zeitraum 2015 bis 2019 – also vor der Corona-Krise – sie überdurchschnittlich viel Wissenschaftsbericht- anhand der Qualitätsindikatoren des Jahrbuchs erstattung aufweisen. Dasselbe gilt für die Webange- ( Vogler & Schäfer, 2020). bote der SRG SSR, die wissenschaftliche Themen am Die Analyse bestätigt den geringen Stellenwert wenigsten einordnen. der Wissenschaftsberichterstattung in Schweizer Die Mängel im Bereich der Einordnungs Medien. Der Anteil jener Beiträge, die sich schwer- leistung und die generelle Ausdünnung des Wissen- punktmässig auf Wissenschaft beziehen, bleibt über schaftsjournalismus sind problematisch. Nicht erst die fünf Untersuchungsjahre zwar stabil, beträgt die Corona-Krise hat aufgezeigt, dass wissenschaft durchschnittlich aber nur 2,1% der Gesamtbericht liches Wissen elementar ist. Auch das Wissenschafts- erstattung. Zu diesem geringen Stellenwert passt, system bedarf einer kritischen, kompetenten Be dass nur noch wenige qualitätsstarke Medienmarken obachtungsinstanz von aussen. Der Wissenschafts- über eine ausdifferenzierte Wissenschaftsrubrik journalismus ist unverzichtbar für die Vermittlung verfügen. Der Stellenwert der Wissenschaftsbericht- wissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft, aber erstattung unterscheidet sich zudem nach Gattung. auch für seine kritische Einordnung. Diese journalis- Im Printbereich nimmt das Berichterstattungsvolu- tische Funktion ist aufgrund der wachsenden Res- men wissenschaftlicher Beiträge ab, in den Rund- sourcenknappheit im Journalismus zunehmend in- funkmedien bleibt es stabil, und im Onlinebereich frage gestellt.
11 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise 0 1 2 4 5 6 7 8 –2 –1 0 1 2 3 –2 –1 0 1 2 3 –2 –1 0 1 2 3 –2 –1 0 1 2 3 Öffentliches Radio 7,7 Öffentliches Fernsehen 7,4 SRG SSR-Online 6,7 Abonnementszeitungen 6,5 Sonntagszeitungen/Magazine 6,2 Abonnementszeitungen-Online 6,2 Privatfernsehen 5,3 Pure-Online 5,0 Pendlerzeitungen-Online 4,9 Boulevardzeitungen-Online 4,6 Boulevardzeitungen 4,6 Pendlerzeitungen 4,4 Qualitätsscore Relevanz Vielfalt Einordnungsleistung Professionalität Darstellung 9: Qualitätsscores der Medientypen Die Darstellung zeigt die Qualitätsscores für zwölf Medientypen. Die Typen sind absteigend rangiert. Für jeden Typ ist zudem angegeben, ob er in den vier Qualitätsdimensionen Relevanz, Vielfalt, Einordnungsleistung und Professionalität positiv oder negativ vom Typendurchschnitt abweicht. Daten- grundlage bilden alle Beiträge der Qualitätsanalyse aus der Zufallsstichprobe 2019 (n = 21 324, 58 Medientitel). Lesebeispiel: Die Newsportale der SRG SSR nehmen im Qualitätsranking der Medientypen mit 6,7 Scorepunkten den drittbesten Platz ein. In der Quali- tätsdimension Einordnungsleistung schneiden sie aber unterdurchschnittlich ab. 3 Weitere Befunde aus dem Jahrbuch redaktionen haben diese inhaltliche Medienkonzen Qualität der Medien tration auf eine neue Stufe gehoben (Vogler et al., 2020). Wir beobachten also einen doppelten Viel- 3.1 Medienqualität – Professionalität faltsverlust. bleibt stabil, Vielfalt und Einordnungs- Zudem nehmen auch die Einordnungsleistun- leistung sinken gen ab, wenn auch nicht so stark wie in der Vielfalts- dimension. Die auf Hintergründe und Recherche G esamthaft zeigen sich im Zeitraum 2015–2019 Qualitätsverschlechterungen bei zwei von vier Qualitätsdimensionen (fög, 2020). Die deutlichste konzentrierte Berichterstattung verliert wohl als Folge der Ressourcenknappheit an Gewicht. Dem gegenüber nimmt die Interpretationsleistung zu, das Abnahme messen wir in der Vielfaltsdimension. Die heisst, Medien stützen sich vermehrt auf eigene untersuchten Medien decken ein immer kleineres Berichte statt auf Agenturmaterial und teilweise Spektrum an Themen und geografischen Räumen in kommentieren sie auch öfter (vgl. Darstellung 9). ihrer Berichterstattung ab. Dies ist problematisch, Partiell zeigt sich eine Tendenz, das Weniger an Ein- weil die Vielfalt nicht nur innerhalb der einzelnen ordnung durch ein Mehr an Meinungsjournalismus Medientitel abnimmt, sondern auch in der Medien zu ersetzen. Im Bereich der Professionalität verbes- arena insgesamt. Medien versuchen vor dem Hinter- sern sich die Informationsmedien. Die Berichterstat- grund ihrer Ressourcenengpässe Synergien zu nut- tung ist überwiegend sachlich gehalten und orien- zen, indem sie in wachsendem Ausmass Beiträge tiert sich zumeist an professionellen journalistischen teilen (vgl. Kapitel 3.5). Die eingeführten Zentral Standards. Auch das Qualitätsniveau der Relevanz,
12 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise das heisst der Fokus auf bedeutsame Hardnews, kann 3.2 Mediennutzung – kein Zuwachs über die Jahre gehalten werden. der «News-Deprivierten» Bei fünf Medientypen bleibt die gemessene Qualität relativ stabil. Nur bei den gedruckten Boule- vardzeitungen verbessert sie sich signifikant. Die Medienqualität sinkt ausgerechnet bei mehreren M it Blick auf die Entwicklung der Medien nutzung zeigt sich, dass jene Newsrepertoires weniger wichtig werden, die ihr Medienmenü vor Medientypen, die im Vergleich eine überdurch- allem auf traditionelle Nachrichtenmedien abstützen schnittliche Medienqualität aufweisen: bei gedruck- (fög, 2020). Zusammengenommen erreichen diese ten Abonnementszeitungen, Sonntags- und Wochen- Repertoires der «Old World» 2020 noch einen Nut- medien sowie bei den Informationssendungen des zeranteil von 26%, während dieser 2009 noch fast öffentlichen Rundfunks (vgl. Darstellung 9). 50% betrug. Demgegenüber sehen wir kontinuierliche Der sprachregionale Vergleich der erfassten Zuwächse der Repertoiretypen der «New World», die Medienqualität offenbart interessante Muster. In vor allem Newssites, Social-Media-Plattformen und allen drei Sprachregionen tragen erstens die Medien- weitere Onlineangebote für ihren Newskonsum typen des öffentlichen Rundfunks, die gedruckten nutzen. Die Anteile der «News-Deprivierten» und Abonnementszeitungen und teilweise auch die der «Global Surfer» nehmen über die Jahre stark Newssites der Abonnementszeitungen zu einer über- zu, während jene der «Intensivnutzer» stagnieren. durchschnittlichen Qualität bei. In der Suisse ro- Im Vorjahresvergleich bleibt der Anteil der «News- mande existiert zweitens im Bereich der Sonntags- Deprivierten» jedoch stabil (siehe Darstellung 10). presse und Wochenmagazine kein Titel, der an die Social Media gewinnen als Informationsquellen Qualität der Angebote in der Deutschschweiz (v.a. an Bedeutung. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen NZZ am Sonntag) und in der Svizzera italiana (Il sind sie die wichtigste Informationsquelle. Im Ver- Caffè) heranreicht. In der Suisse romande und vor gleich zum Vorjahr hat in dieser Altersgruppe der allem in der Svizzera italiana fehlen drittens Medien- Anteil derjenigen, die soziale Medien als Hauptquelle typen, die in der Deutschschweiz eine unterdurch- angeben, um 9 Prozentpunkte zugenommen. 26% schnittliche Qualität haben. So gibt es in der Svizze- konsumieren News sogenannt emergent: Medien- ra italiana keine täglichen Boulevardmedien und in marken werden nicht mehr direkt angesteuert, der Suisse romande erscheint die Boulevardzeitung stattdessen werden Nachrichtenbündel aus unter- Le Matin seit 2018 nur noch digital. Die Medientypen schiedlichsten Quellen, die über Algorithmen oder innerhalb der Svizzera italiana unterscheiden sich Empfehlungen zu den Nutzerinnen und Nutzern viertens viel weniger voneinander als die Medien gelangen, genutzt. Dies ist insofern problematisch, typen innerhalb der Deutschschweiz. Dies gilt mit weil dadurch das Markenbewusstsein für journalis Einschränkungen auch für die Suisse romande: Zwar tische Angebote geschwächt werden kann und die ist dort die untersuchte Pendlerzeitung qualitativ Zahlungsbereitschaft abnimmt (fög, 2019). schlechter als ihre sprachregionalen Pendants, aber Bei allen Nutzergruppen wächst die Bedeutung die anderen Medientypen unterscheiden sich nicht von WhatsApp. Die Messengerisierung (Eisenegger, so stark voneinander, wie sie dies in der Deutsch- 2019) schreitet demnach in der Schweiz voran und schweiz tun. Vor allem erreichen in der Suisse ro- hat in der Corona-Krise nochmals an Fahrt aufge- mande auch die qualitativ besseren Medientypen nommen. Dies ist nicht unproblematisch, weil sich nicht die gleich hohe Qualität wie in der Deutsch- der gesellschaftliche Diskurs damit zunehmend in schweiz. Zugespitzt formuliert: In der Svizzera itali- private Foren verschiebt, die sich – zum Beispiel bei ana und teilweise in der Suisse romande wird die desinformativen Tendenzen – einem kritischen Qualität des Angebots «gemittelt», während in der Zugriff von aussen entziehen. Bereits 16% der Deutschschweiz der grössere Markt ein differen Schweizerinnen und Schweizer geben an, Messen- zierteres Angebot mit einem grösseren Spektrum gerdienste zum Teilen von Nachrichtenbeiträgen zu an verschiedenen Medienqualitäten hervorbringt nutzen. (Udris et al., 2020).
13 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 20 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 20 40% 40% 35% 35% 30% 30% 25% 2 25% 20% 20% 3 1 2 15% 15% 1 10% 3 10% 5% 5% 0% 0% 1 Old World Boulevard 3 Homeland Oriented 1 Intensivnutzer/innen 3 News-Deprivierte 2 Old World & Onlinependants 2 Global Surfer Darstellung 10: Abnahme der Old World-Newsrepertoires und Zunahme der New World-Newsrepertoires Die Darstellung zeigt die Anteilsentwicklungen der sechs Repertoiretypen im Zeitraum von 2009 bis 2020 (n = 41 118). Von 2016 auf 2017 wurde das Set der zugrundeliegenden Medienkategorien erweitert. Lesebeispiel: Der Anteil der «News-Deprivierten» nimmt von 21% im Jahr 2009 auf 37% im Jahr 2020 zu. 3.3 Einstellungen – Bedenken gegenüber zichtbare Voraussetzung für das Funktionieren der Desinformation nehmen zu Gesellschaft ein. Die Bedenken der Schweizer Bevölkerung, V on den befragten Schweizerinnen und Schwei- zern können 30% der Aussage, man könne den Medien vertrauen, weder zustimmen noch diese ab- Falschmeldungen in Onlinenachrichten nicht erken- nen zu können, haben im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Am kritischsten wird Facebook in Be- lehnen (fög, 2020). 26% verneinen die Aussage ganz. zug auf das Problem der Desinformation einge- Das zeigen Daten des Reuters Institute for the Study schätzt. Am grössten ist die Sorge, dass Regierungen, of Journalism, mit dem das fög als Schweizer Länder- Politikerinnen und Politiker oder Parteien aus der partner eine Kooperation unterhält. Trotzdem reiht Schweiz (23%) oder dem Ausland (21%) Falschinfor- sich die Schweiz mit diesen Werten im internatio mationen verbreiten. Demgegenüber ist die Sorge, nalen Vergleich immer noch im vorderen Drittel ein. dass der Journalismus oder einfache Bürgerinnen Das Medienvertrauen ist hierzulande also vergleichs- und Bürger desinformative Inhalte in Umlauf brin- weise hoch. Auch ist das Medienvertrauen in her- gen, deutlich geringer. Dies kann als Indiz gewertet kömmliche journalistische Informations medien werden, dass die Schweizer Bevölkerung die Fakten- deutlich höher als in Tech-Plattformen wie Google treue der journalistischen Informationsmedien in und Facebook, wobei eine Diskrepanz zwischen den der Schweiz relativ hoch einstuft. Suchmaschinen und Social Media deutlich wird. Wäh- rend 29% der Nutzerinnen und Nutzer angeben, dass sie Informationen aus Suchmaschinen überwiegend 3.4 Finanzierung – Zahlungsbereitschaft und stark vertrauen, sind es für Social Media weniger, verbessert sich bei jungen Erwachse- nämlich nur 19%. Die öffentlichen Diskussionen über nen leicht Fake News und Hatespeech dürften auf die Vertrau- enswerte der sozialen Medien drücken. Gleichzeitig stuft eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schwei- zer die U D ie Corona-Krise hat die Finanzierungskrise des Informationsjournalismus weiter akzentuiert nabhängigkeit des Journalismus als unver- (fög, 2020). Bereits davor waren die Werbeeinnah-
14 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise 0% 5 10 15 20 25 30 35 40 45 2 42,3% Norwegen 1 26,5% 26,8% Schweden 20,2% 17,0% Dänemark 14,5% 14,3% Niederlande 11,6% 13,4% Schweiz 10,1% 12,2% Spanien 9,6% 12,0% Irland 9,0% 11,5% Belgien 12,2% 10,6% Österreich 6,6% 10,3% Frankreich 10,8% 10,1% Italien 16,3% 9,8% Deutschland 8,3% 6,9% UK 6,5% 1 2016 2 2020 Darstellung 11: Entwicklung der Zahlungsbereitschaft für Onlinenews im internationalen Vergleich Die Darstellung zeigt für die Schweiz und die Referenzländer den Anteil der Befragten, die angeben, im letzten Jahr für Onlinenews bezahlt zu haben (Quelle: Reuters Institute, 2020). Lesebeispiel: Im Jahr 2020 geben in der Schweiz 13% der Befragten an, im vergangenen Jahr für Onlinenews bezahlt zu haben. 2016 betrug dieser Wert 10%. men der Schweizer Medienanbieter anhaltend und Google, Facebook) in der Schweiz im Jahr 2019 rund stark rückläufig. 2019 verloren gedruckte Zeitungen 1,6 Milliarden Franken Onlinewerbeeinnahmen zu- nochmals 8% ihrer Werbeerlöse und lagen erstmals flossen. Die Plattformisierung der M edienwelt ent- unter 1 Milliarde Schweizer Franken. Auch die Werbe zieht damit dem Informationsjour nalismus an einnahmen des Fernsehens sind rückläufig (–8%) und haltend finanzielle Ressourcen, und dies in substan- betragen 2019 noch rund 700 Millionen Franken. Der zieller Höhe. Onlinewerbemarkt ist demgegenüber leicht gewach- Vor dem Hintergrund der starken Einnahme- sen (+4%), kann den Einnahmeschwund aber nicht ausfälle im Werbemarkt gewinnen Bezahlmodelle für kompensieren. Das Medienforschungsunternehmen den Informationsjournalismus an Bedeutung. Aller- Publicom kommt auf der Basis einer Expertenbefra- dings bleibt die Zahlungsbereitschaft in der Schweiz gung zum Schluss, dass den Tech-Plattformen (u.a. tief. Nur gerade 13% der Schweizerinnen und Schwei-
15 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise zer geben an, für Onlinenews zu bezahlen. Immerhin men 84%, in der Svizzera italiana 86%. Dem steht ein hat die Zahlungsbereitschaft von 2016 auf 2019 um Anteil in der Deutschschweiz von immer noch hohen 3 Prozentpunkte zugenommen (vgl. Darstellung 11). 69% gegenüber (vgl. Darstellung 12). Sowohl im Die Zahlungsbereitschaft für Onlinenews hängt in Presse- wie im Onlinemarkt ist die TX Group der be- der Schweiz von der Sprachregion, vom Alter und deutendste Akteur. vom Geschlecht ab. In der Suisse romande (16%) ist Neben der strukturellen Medienkonzentration die Zahlungsbereitschaft höher als in der Deutsch- fördert die grossflächige Einführung von Verbund- schweiz (12%). Allerdings ist der Anteil der Zah- systemen die inhaltliche Medienkonzentration. Die- lungsbereiten in der Suisse romande seit 2016 weni- se bemisst sich am Ausmass, wie stark gleiche Me ger stark angestiegen (+1 Prozentpunkt) als in der dienbeiträge in verschiedenen Medientiteln geteilt Deutschschweiz (+4 Prozentpunkte). Bei älteren werden. Für das Jahrbuch wurde die inhaltliche Menschen, die ganz generell weniger oft digitale, Medienkonzentration im Deutschschweizer Presse- sondern traditionelle Newsquellen nutzen, ist die markt von 2017 bis 2019 untersucht. Also genau für Zahlungsbereitschaft für Onlinenews weniger aus jene Jahre, in denen TX Group und CH Media ihre geprägt, ebenso bei Frauen. Allerdings hat bei jungen Zentralredaktionen einführten bzw. ausbauten. Die Frauen im Alterssegment von 18 bis 24 Jahren die geteilten Medienbeiträge wurden über automati Zahlungsbereitschaft am meisten zugenommen sierte Textvergleiche ermittelt. (+12%) und beträgt aktuell 19%. Die wachsende Die Untersuchung bestätigt, dass die inhalt Zahlungsbereitschaft bei jüngeren Menschen macht liche Medienkonzentration im Untersuchungszeit- Hoffnung, dass eine Generation heranwächst, die raum deutlich zunimmt. Von 2017 auf 2019 erhöht wieder vermehrt bereit ist, für News im Web zu be- sich der Anteil an geteilten Beiträgen in der gesamten zahlen. Wie unsere qualitative Studie zur medialen Medienarena von 10% auf 21%. Im Verbundsystem Lebenswelt junger Erwachsener gezeigt hat (vgl. der TX Group wächst der Anteil geteilter Beiträge Kapitel 2.1), wäre die junge, an Spotify und Netflix von 2017 auf 2019 um 21 Prozentpunkte auf 37%. Dies gewohnte Nutzergruppe unter bestimmten Bedin- ist eine Folge der Eingliederung der Basler Zeitung gungen bereit zu zahlen – z.B. für gebündelte An und der Berner Zeitung ins Verbundsystem. Im Ver- gebote aus unterschiedlichen Quellen auf ein und bundsystem der CH Media führt die Zusammen derselben Plattform und dies zu einer kostengünsti- legung der Redaktionen im Jahr 2019 zu einer Steige- gen Flatrate. rung der inhaltlichen Medienkonzentration von 12% auf 20%. Eine besonders hohe inhaltliche Medien- konzentration besteht im demokratiepolitisch sen 3.5 Die inhaltliche Medienkonzentration sitiven Bereich der nationalen Politikbericht schreitet fort erstattung. Sie hat zwischen 2017 und 2019 um 20 Prozentpunkte zugenommen und beträgt 2019 D ie Finanzierungskrise des Informationsjournalis- mus treibt die strukturelle und die inhaltliche Medienkonzentration in der Schweiz voran (fög, hohe 41%. Der regionale Blick auf das nationale Ge- schehen hat dadurch merklich gelitten. Auch im Be- reich der aus demokratietheoretischer Sicht beson- 2020). Die strukturelle Medienkonzentration – fest- ders sensitiven, meinungsbetonten Artikel nimmt gemacht an den Besitzverhältnissen und an der An die inhaltliche Medienkonzentration zu. Die Anzahl gebotsvielfalt journalistischer Medientitel – ist be- geteilter Leitartikel, Kommentare und Rezensionen reits weit fortgeschritten (fög, 2020). 2019 betragen ist im Untersuchungszeitraum um 8 Prozentpunkte in der Deutschschweiz die Anteile der drei grössten gestiegen. Eine Folge ist, dass zunehmend gleiche Medienhäuser (Konzentrationsrate CR3) am Presse- Abstimmungsempfehlungen ausgespielt werden. markt 82%, jene für die Suisse romande und die Aber auch im Bereich der Organisationsbericht Svizzera italiana 89% bzw. 68%. Im Onlinemarkt ist erstattung ist die inhaltliche Medienkonzentration die Medienkonzentration in den kleineren Sprach in meinungsbetonten Beiträgen ein Problem: Die regionen erheblich grösser: In der Suisse romande gleichförmige Skandalisierungstendenz wird da- beträgt der Anteil der drei grössten Medienunterneh- durch intensiviert.
16 Hauptbefunde – die Schweizer Medienöffentlichkeit im Bann der Corona-Krise Konzentrationsrate (CR3) Konzentrationsrate (CR3) 0% 20 40 60 80 100 Kontrolleure Titel 0% 20 40 60 80 100 Kontrolleure Titel 1 79% 11 17 1 56% 28 33 Presse 2 89% 7 13 Presse 2 83% 11 35 3 89% 7 13 3 82% 28 34 81% 5 9 60% 8 11 Online 87% 6 10 Online 71% 9 16 84% 6 11 69% 9 16 1 2001 2 2018 3 2019 1 2001 2 2018 3 2019 Suisse romande Deutschschweiz Svizzera Italiana Konzentrationsrate (CR3) 0% 20 40 60 80 100 Kontrolleure Titel 1 64% 6 6 Presse 2 67% 6 6 3 68% 6 6 89% 4 5 Online 85% 4 5 86% 4 5 1 2001 2 2018 3 2019 Darstellung 12: Konzentration im Presse- und Onlinemarkt Die Darstellung zeigt die Marktanteile der drei grössten Kontrolleure (Konzentrationsrate CR3) pro Sprachregion sind und wie sich die Anteile im Zeit- verlauf verändert haben. Zudem ist die Zahl der Kontrolleure und Titel vermerkt (Quelle: WEMF, NET-Metrix). Berücksichtigt wurden alle Presse- und Onlinetitel, die mehr als 0,5% der sprachregionalen Bevölkerung erreichen. Lesebeispiel: In der Suisse romande kontrollieren die drei grössten Medienhäuser (TX Group 68%; Editions Suisses Holding 12%; media f sa 8%) im Jahr 2019 89% des gesamten Pressemarktes. Im Referenzjahr 2001 war dieser Anteil noch deutlich geringer, und die Top-3-Kontrolleure setzten sich aus anderen Medienhäusern zusammen.
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