Japaner in Lausanne - Konstruktionen aus Stahl und Holz - espazium
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36 Konstruktionen aus Stahl und Holz TEC21 16/2018 H Y BRID AUS HOLZ UND STA HL Japaner in Lausanne Ein weiterer Solitär auf dem Campus der EPFL: Kengo Kuma reduziert mit seinem ArtLab die japanische Architektursprache auf das Formale und setzt es in visuellen Kontrast zum Rolex Learning Center von Sanaa. Text: Mounir Ayoub V on der Esplanade her kommend, lässt vertraut waren. Dazu wurden sie von mehreren in der sich das ArtLab, der neue architekto- Schweiz ansässigen Ingenieuren begleitet. Gemeinsam nische Wurf an der EPFL, schnell in arbeiteten sie vier Jahre lang an der Fertigstellung des seiner Gesamtheit erfassen. Ein langes Projekts, ohne dabei das ursprüngliche Motto des ge- Satteldach überspannt drei Pavillons wonnenen Wettbewerbs aus den Augen zu verlieren: aus Holz. Der erste der Pavillons ent- Under One Roof. Mit ihrem architektonischen Konzept hält zwei Ausstellungssäle, der zweite ein Café und der und der daraus resultierenden Prägnanz in der visuellen dritte ein Musikarchiv. Für das Projekt hat sich der Wirkung des Bauwerks ist das Team diesem Motto treu japanische Architekt Kengo Kuma mit CCHE Architec- geblieben. Aber birgt eine solche Eindeutigkeit nicht ture et Design aus Lausanne zusammengetan, die mit auch das Risiko, die Architektur allein auf ihre Form den rechtlichen und baulichen Anforderungen vor Ort und deren visuelle Wirkung zu reduzieren? Vom Cosan-
TEC21 16/2018 Konstruktionen aus Stahl und Holz 37 Geograf, hätte sich kein besseres Freiluftlabor der «Mesologie» wünschen können1 : In seiner «Wissenschaft der Umgebungen» werden die Wechselwirkungen zwischen Architektur und ihrem räumlichen Umfeld untersucht. Form und visuelle Wirkung Entlang einer Nord-Süd-Achse platzierte Kengo Kuma seinen Bau parallel zur Allée de Savoie und schuf damit eine bebaute Front von über 200 m. Diese definiert deut- lich die westliche Grenze des Cosandey-Platzes, des künftig grössten öffentlichen Platzes auf dem Campus der EPFL. Der Architekt setzte auf sein Bauwerk ein grosses, wie bei einer riesigen Origami-Figur geknicktes Satteldach, das der unebenen Topografie des Bodens folgt. Visuell auffällig: Der First greift die Silhouette des fernen Gebirges auf. Am nördlichen Ende des Ge- bäudes knickt das Dach ab und bildet einen eindrucks- vollen trigonalen Überhang. Mit einer Spitze gräbt er sich scheinbar in den Boden hinein, während die ande- re Spitze ins Leere ragt. Von diesem nördlichen Ende des Bauwerks aus verläuft eine durchgehend überdach- te, lange Blindwand zu den Eingangsbereichen der Aus- stellungsräume. Am südlichen Ende des Baus knickt das Dach ebenfalls in Richtung Boden ab und rahmt dabei den Blick vom Café zum See und zum Bergpanorama ein. Zwei Bauwerke, zwei Gegensätze Mit dem neuen ArtLab von Kengo Kuma und dem ge- Das ArtLab: Die Silhouette des Firsts setzt sich im fernen Gebirge fort. genüberliegenden Rolex Learning Center von Sanaa (vgl. TEC21 26/2010) stehen sich nun an einem Ort zwei Projekte japanischer Architekten gegenüber, die dey-Platz aus erscheint der Bau etwas subtiler: Mit dem in ihrer visuellen Wirkung kaum gegensätzlicher ebenfalls auf dem Campus ansässigen Rolex Learning sein könnten. Bauform und Topograpfie des ArtLab Center von Sanaa auf der linken Seite und den vom reagieren aufmerksam auf die Gegebenheiten vor Ort. Nebel eingehüllten Gipfeln des savoyischen Chablais Das Rolex Learning Center mit seiner autonomen Geo- im Hintergrund erinnert die Szenerie an einen Holz- metrie stellt im Gegensatz dazu ein Bauwerk dar, das schnitt des japanischen Meisters Hiroshige. Selbst Au- völlig losgelöst vom Standort existiert. Beide zitieren gustin Berque, der in Paris lehrende Philosoph und zwar japanische Architektursprache, allerdings ist die Fotos: Alain Her zog, Plan: KK A A ArtLab ArtLab Rolex Learning Center Rolex Learning Center Das ArtLab und das Rolex Learning Center – zwei Gebäude, … und zugleich zwei architektonische Solitäre auf dem hetero- die kaum unterschiedlicher sein könnten … genen Campus der EPFL, ohne Bezug zueinander.
38 Konstruktionen aus Stahl und Holz TEC21 16/2018 y01 y02 y03 y04 y05 y06 y07 y08 y09 y10 y11 y12 y13 y14 y15 y16 y17 y18 y19 y20 y21 y22 y23 y24 y25 y26 y27 y28 y29 y30 y31 y32 y33 y34 y35 y36 y37 y38 y39 y40 y41 y42 y43 y44 y45 y46 y47 y48 y49 y50 y51 y52 y53 y54 y55 y56 y57 y58 y59 y60 y61 y62 y63 y64 y65 3800 Montreux Montreux Jazz Digital Jazz Digital Project Project Art & Art & Science Science Pavilion Pavilion Datasquare Datasquare Längsschnitt Ausstellungsräume der Nord- und Zentralpavillons, Mst. 1 : 2500. 5 6 9 1 4 10 3 7 8 2 Grundriss Erdgeschoss, Mst. 1 : 2500. Montreux Jazz Digital Project: 1 Café Montreux Jazz, 2 Sitzungszimmer. Art & Science Pavilion: 3 Haupteingang, 4 grosser Ausstellungsraum, 5 Lager, 6 kleiner Ausstellungsraum. LONGITUDINAL SECTION_1:1000 Datasquare: 7 Haupteingang, 8 Ausstellungsfläche,EPFL. 9 Verwaltung, 10 Lager. KKAA / PUBLICATION 9 eux Jazz Digital Project é Montreux Jazz eting Room Science Pavilion n Entrance P l ä n e : K K A A ; F o t o s : J u d i t S o l t , J o ë l Te t t a m a n t i , A l a i n H e r z o g n Exhibition Room ck Entrance age ll Exhibition Room ondary Entrance quare n Entrance ibition Space ce age king N LAB - GROUND FLOOR PLAN_1:1000 EPFL. KKAA / PUBLICATION 3 Brettschichtholzrahmen als Tragkonstruktion , verstärkt mit Auch von innen sind die Rahmen der Konstruktion sichtbar. teils gelochten Stahlblechen. An der Gebäudehülle zeichnet sich das Relief der Tragkonstruktion ab.
TEC21 16/2018 Konstruktionen aus Stahl und Holz 39 Interpretation jeweils sehr unterschiedlich. Während sich das Bauwerk von Sanaa an der auf dem Campusareal allgegenwärtigen städtebaulichen Zersplitterung be- teiligt, bemüht sich das von Kengo Kuma darum, diese zu reduzieren. Dazu bedient sich Kuma architektonischer Elemente, die man üblicherweise eher in einem histori- schen Stadtkern als auf einem Universitätscampus an- trifft: axiale Anordnung, parallele Ausrichtung zur Strassenseite, durchgehendes Dach, Innenhof, Vordach der Eingangsportale. Die Gegensätzlichkeit der beiden Gebäude wird aus der Nähe noch deutlicher. Beim ArtLab bilden die Textur und Farbe des Fassadenholzes, der Schattenwurf des überstehenden Dachs und das Relief der Pfeiler gemeinsam eine edle Haut, die mit der glatten Glashülle des Rolex Learning Centers kontrastiert. Auch im Innern der beiden Gebäude schaffen die Architekten jeweils vollkommen gegensätzliche Stimmungen. Im ArtLab werden die Räume in den Pavillons von ihrer jeweiligen Zweckbestimmung oder von der äusseren Form des Gebäudes definiert. Die beiden Ausstellungssäle er- halten nur an ihren äussersten Enden Tageslicht, und die geschlossenen seitlichen Fassaden verstärken den perspektivischen Schlaucheffekt, der im Innenraum durch den engen Abstand der Pfeiler erzeugt wird. Im Café schränken die Knicke des Dachs und der Fassa- de die Geometrie und Gestaltung der Innenräume stark ein. Demgegenüber schafft im Rolex Learning Center F o t o : J o ë l Te t t a m a n t i das Fehlen einer funktionalen Spezialisierung der Räume eine geradezu ätherische Atmosphäre, die das Innere durchflutet. Es lassen sich hier also zwei radikal widersprüchliche Auffassungen erkennen, zwei meso- logische Definitionen des architektonischen Raums, den man in Japan gern «Umwelt» nennt: Den von Kuma klar bestimmten und spezialisierten Räumen steht eine von Sanaa durchgehend und generisch gezeichnete Umgebung gegenüber. Stahlbleche als Notlösung Beim ArtLab haben die speziellen und anspruchsvollen Bautechniken, die zur Anwendung kamen, kaum noch etwas mit dem von Kengo Kuma geäusserten Wunsch zu tun, das traditionelle Handwerk wiederzuentdecken («Sehnsucht nach japanischer Tradition», S. 40). Die statischen Berechnungen der Ingenieure zwangen die Handwerker, perforierte Stahlbleche in das Holz des Tragwerks einzubauen (vgl. Abb. S. 38). Der Traum von der Einfachheit lässt sich nur schwer mit den zahlrei- chen Anforderungen vereinbaren, die sich aus einer komplexen öffentlich-privaten Partnerschaft am Bau ergeben. Die Verbindung zur überlieferten japanischen Bautradition ist abgebrochen. Es bleibt lediglich das typisierende Bild, das der Bau, so wie er ausgeführt wurde, vermittelt: ein grosses Satteldach, das mehre- re Holzpavillons überdeckt. Bei vielen Projekten von Kuma ist solch eine prägnante Formensprache ein ef- fizientes Mittel, um mehr oder weniger explizit ein vereinfachtes Bild der japanischen Architektur zu zeichnen. Beim Lausanner Projekt erkennt man aber Das ArtLab hat eine Länge von über 200 m.
40 Konstruktionen aus Stahl und Holz TEC21 16/2018 Sehnsucht nach japanischer Tradition Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat die japani- sche Architektur in Europa einen kontinuierlichen Einfluss ausgeübt. So war sie für den französischen Jugendstil eine gern kopierte Vorlage. Die Pioniere der modernen Architektur sahen in ihr ein weit entferntes und idealisiertes Vorbild. Später sollten die japanischen Metabolisten, die in ihren Anfängen vom europäischen Brutalismus inspiriert waren, ihrerseits schöne Mega- strukturen in Europa entwerfen. 2 Auch heute genügt es, den Blick durch die Regale der Bibliotheken von Archi- tekturausbildungsstätten schweifen lassen, um fest- zustellen, dass die gegenseitige Vorbild funk tion zwi- schen Japan und dem alten Kontinent nie aufgehört hat. Die Arbeit von Kuma, die seit einigen Jahren in vielen westlichen Metropolen so sehr geschätzt wird, ist be- zeichnend für die derzeitigen architektonischen Trends und Bemühungen. Im Vorwort einer Monografie über ihn 3 führt Kuma mit einem Plädoyer für die traditionelle japani- sche Architektur in seine Arbeit ein. Er beginnt seine Ausstellungsräume der Nord- und Zentralpavillons. Ausführungen mit einer Ode an die Handwerker, Land- schaft und Baukunst von Tohoku und Shikoku, zwei Regionen, die vom schrecklichen Erdbeben und vom Tsunami im Jahr 2011 weggefegt wurden. Das eindring- auch ein weiteres traditionelles architektonisches Ele- liche Vorwort bekommt dogmatische Züge, als er erklärt, dass «Gott die Sintflut schickte, um die Menschen zu be- ment, auf das sich der Architekt – und dieses Mal sehr strafen», und dass «der Tsunami mit der Sintflut Noahs explizit – beruft: Die Verwendung von Schiefer auf dem vergleichbar ist», die «diese Häuser und Autos im ameri- Dach lässt sich mit einem Verweis auf das Schweizer kanischen Stil wegfegen wird». Im zweiten Teil seiner Argumentation setzt Chalet erklären.5 Dies ist ebenso überraschend wie Kuma seine nostalgischen Verweise auf die traditionel- schwierig zu fassen. Indem er seine Arbeit auf die ja- F o t o : J o ë l Te t t a m a n t i le japanische Architektur fort, indem er von der Reise panische Architektur oder gar auf ein Schweizer Kli- von Bruno Taut im Jahr 1933 zur kaiserlichen Kat sura- Villa in Kyoto berichtet. Er zeigt sich gerührt von den schee zurückführt, scheint Kengo Kuma um jeden Preis Tränen Tauts angesichts der einfachen Schönheit einer an traditionellen Paradigmen festhalten zu wollen. Von simplen Bambuspalisade des Palasts. Gleich darauf der Architektur bleibt nur die Formensprache übrig. geisselt er die vermeint liche Gering schätzung, die Le Corbusier bei seinem Besuch desselben Orts im Jahr Auf dem Cosandey-Platz hat sich die imaginä- 1955 zum Ausdruck gebracht haben soll. Gegen die re Szenerie einer Landschaft von Hiroshige in Luft Schrecken der Gegenwart verteidigt Kuma die verges- aufgelöst. Zurück bleiben zwei architektonische Soli- senen Werte der Tradition. Das ist also die Schlacht, die er überall dort täre, die einander gleichgültig sind. Hartnäckig hält führen will, wo er baut. Seit seinen ersten postmoder- sich der urbane Zustand mit seinen heterogen verstreu- nen Werken in den 1990er-Jahren 4 war diese schwarz- ten Bauwerken, der für den Campus der EPFL so cha- weisse und etwas moralisierende Opposition stets die Motivation für seine Arbeit. In seinen Argumentationen rakteristisch ist. • für Projekte bevorzugt er immer eine «Architektur der Beziehungen» gegenüber dem, was er als «Formalismus» Mounir Ayoub, architecte DE, HMONP, Redaktor TRACÉS; anprangert. Er schlägt sich auf die Seite des Hand- mounir.ayoub@revue-traces.ch werkers und des altüberlieferten Könnens gegen die Dieser Text erschien in erstmals in TRACÉS 22/2016. «arroganten und korrupten Menschen». Und schliess- Übersetzung aus dem Französischen: deepl.com, Viola John lich be vorzugt er die «Wärme» des Holzes gegenüber Stahl oder Glas. • Mounir Ayoub Anmerkungen: 1 Die Mesologie wird definiert als die Wissenschaft der Umgebungen. Augustin Berque, Geograf und Philosoph, unterrichtet Mesologie an der Hochschule für Sozial- wissenschaften in Paris (EHESS). Über Kuma äussert sich Augustin Berque in «De terre en monde, la poétique Bauherrschaft Holzbau de l’écoumène» in «L’habiter dans sa poétique première», EPFL, Lausanne JPF Ducret, Bulle Beiträge des Kolloquiums von Cerisy-la-Salle, veröffent- Architektur Gebäudetechnik licht bei Donner Lieu, Paris, 2008, S. 231–247. Kengo Kuma and Asso- BG Ingenieurs Conseils, 2 Über die japanische metabolistische Bewegung in Europa ciates KKAA, Tokio, Lausanne und den Plan von Kenzo Tange für Skopje von 1965 findet mit CCHE Architecture Wärmeschutz und Akustik man einen Artikel in TRACÉS Nr. 10, 2016. et Design, Lausanne AAB, Carouge 3 Kengo Kuma, Complete Works, London, 2012, Generalunternehmung Lichtdesign Thames & Hudson Ltd, Vorwort von Kengo Kuma, S. 7– 9. Marti Construction, L’Observatoire Inter- Lausanne 4 Beispielsweise das Gebäude M2, 1991 in Tokio gebaut. national, New York Statik 5 Siehe hierzu Cedric van der Poel, «L’art de la simplicité», Ingphi, Lausanne TRACÉS Nr. 13–14/2013.
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