Jede einzelne Kilowatt-stunde ist Gold wert - Bulletin.ch

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Jede einzelne Kilowatt-stunde ist Gold wert - Bulletin.ch
E R N E U E R B A R E E N E R G I E N | PA N O R A M A

                                                                                                                                         Windpark in den Alpen.

                                    Jede einzelne Kilowatt-
                                    stunde ist Gold wert
                                    Winterstrom | Texas hat gezeigt, wie wichtig die Versorgungssicherheit ist.
                                    Momentan muss die Schweiz keine solche Situation befürchten. Bezüglich der
                                    Energieperspektiven des Bundes spielen die Fragen zur Importkapazität sowie
                                    zur Weiterentwicklung erneuerbarer einheimischer Energie im Winter aber eine
                                    wichtige Rolle. Keine erneuerbare Energiequelle darf vernachlässigt werden.

                                    VA L É R I E B O U R D I N

                                    D
                                            ie momentanen Frühlingstem-      in Texas zu Stromknappheit geführt           gen zu treffen. Die Schweiz hält sich
                                            peraturen erwärmen Herz und      hat. Könnte eine Krise dieses Ausmas-        also bereit: Die vom VSE gegründete
                                            Gemüt. Sie lassen hoffen, dass   ses auch in der Schweiz eintreten?           Organisation für Stromversorgung in
                                    die Covid-19-Gesundheitskrise bald         Die Schweiz hat bisher keine so            Ausserordentlichen Lagen (Ostral)
                                    vorüber ist, und drängen die Kälte und   schwerwiegende Situation erlebt, unter       nimmt die notwendigen Vorbereitun-
                                    das graue Wetter von Anfang Jahr in      anderem, weil sie sich mitten im Markt       gen vor, um Krisensituationen bewälti-
                                    den Hintergrund. Das Einzige, was        sowie im europäischen Verbundnetz            gen zu können. Bei einer längeren
                                    daran erinnert: die arktische Kaltwet-   befindet und vom Gleichgewicht dieses        Stromknappheit führt Ostral zum ent-
                                    terfront von Mitte Februar in Texas.     grossen Systems profitiert. Es dient ihr     scheidenden Zeitpunkt die vom Bun-
                                    Dieser historische polare Kälteein-      als Sicherheitsnetz, das allfällige natio-   desrat angeordneten Massnahmen aus.
                                    bruch hat den amerikanischen Bundes-     nale Probleme auffangen kann. Aber
Bilder: Jason Blackeye / Unsplash

                                    staat an den Rand einer humanitären      eins ist sicher: Sollte eine bisher noch     Ein europäisches System mitten
                                    Krise gebracht und die Mängel im         nie dagewesene grössere Krise eintre-        im Wandel
                                    Stromversorgungssystem zutage geför-     ten, würde es sich nicht um ein einzel-      Die Auswirkungen einer solchen Krise
                                    dert. Abgesehen von den Produktions-     nes Ereignis in der Schweiz, sondern         – auch wenn diese dank Ostral
                                    verlusten waren die Netzstrukturen       um eine europäische Krise handeln.           beherrscht werden kann – wären ver-
                                    nicht in der Lage, eine übermässige        Da niemand vor einer solchen Ext-          heerend. Daher sind sie um jeden Preis
                                    Energienachfrage zu bewältigen, was      remsituation gefeit ist, sind Vorkehrun-     zu vermeiden. Die Herausforderung ist

                                                                                                                                                   bulletin.ch 4 / 2021      27
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            gross, denn die von der Kernenergie
            sichergestellte Kapazität wird gemäss
            der Energiestrategie 2050 schrittweise
            zurückgefahren. Diese Strategie zeich-
            net im Gegenzug den Weg vor, um die
            Produktion von erneuerbarem Strom
            zu pushen, die die Kernkraft ablösen
            soll. Allerdings bleibt der Winter aus
            Sicht der Versorgung eine besonders
            schwierige Jahreszeit. Die momentane
            Entwicklungsgeschwindigkeit der
            erneuerbaren Energien reicht noch
            nicht aus, damit sich die Schweiz von
            einer zunehmenden Abhängigkeit von
            Stromimporten befreien kann.
               Ist diese Situation ein Einzelfall und
            typisch für die Schweiz? Nein. Denn
            ihren europäischen Nachbarn geht es
            genau gleich. Frankreich möchte seine        PV-Anlage auf dem Lac des Toules.
            Kernkraftwerke bis 2035 beträchtlich
            reduzieren, und Deutschland hat mit
            dem Ausstieg aus Kern- und Kohlekraft
            ebenfalls eine Umstellung seiner Pro-
            duktion in Angriff genommen.
               Kann sich die Schweiz also für ihre
            Versorgung künftig blind auf ihre euro-
            päischen Nachbarn verlassen? Das steht
            in den Sternen. Frankreich fürchtet
            schon heute um seine eigene Versor-
            gung. Im Februar 2021 wäre es dort zu
            einer äusserst heiklen Situation gekom-
            men, falls eine Kältewelle eingetreten
            wäre. Das war nicht der Fall, aber die
            französische Bevölkerung wurde seit
            letztem Sommer vor allfälligen Ver-
            brauchsbeschränkungen gewarnt (öko-
            logisches Verhalten, unterbrechbare
            Verbrauchseinrichtungen oder als letzte      Die Albigna-Staumauer.
            Möglichkeit gar eine Abschaltung).

            Selbstversorgung im Winter hat               Sie empfiehlt übrigens, eine Importab-     – des jährlichen Produktionsportfolios.
            Priorität                                    hängigkeit von 10 TWh (oder 20 % des       Bei der Windenergie soll eine Produk-
            Mit der geplanten Ausserbetriebnahme         Verbrauchs) im Winter nicht zu über-       tion von 4 TWh angestrebt werden mit
            vieler garantierter Kapazitäten in           steigen. Um das zu erreichen, sind mas-    einer Steigerung von 0,2 auf fast 5 % der
            Europa steht ein grosses Fragezeichen        sive Investitionen in die Selbstversor-    gesamten Stromproduktion.
            hinter den Stromimporten. Doch die           gung notwendig.                               Diese Zahlen zeigen, wie ehrgeizig
            Abhängigkeit der Schweiz von Impor-             Mit der Verfolgung des Ziels, die       das Ziel ist. Um es zu erreichen, kann die
            ten wird sich im Winter noch verschär-       Treibhausgasemissionen bis 2050 auf        Schweiz auf ihre natürlichen Ressour-
            fen. Die Prognosen des Bundes gehen          null zu reduzieren, wird sich die Dekar-   cen zählen, indem sie auf Wasserkraft,
            von einem Versorgungsdefizit aus, das        bonisierung der Schweizer Energiewirt-     Windkraft und Photovoltaik setzt (sei es
            2035 fast 40 % betragen könnte.              schaft noch intensivieren. Und Dekar-      mit Anlagen auf Gebäudedächern oder
                                                                                                                                                 Bilder: Romande Energie / Hans-Peter Thoma

              Diese Tatsache rückt einmal mehr           bonisierung heisst Elektrifizierung.       in höheren Lagen). Das Potenzial ist da,
            die Fragen zu den Importen und zur           Elektrifizierung bedeutet wiederum         doch man muss es nutzen.
            Stromversorgungssicherheit in den            einen erhöhten Bedarf an erneuerbarem
            Mittelpunkt der Debatten. Sowohl die         Strom. Um diesen Bedarf bis 2050 zu        Wenn es kalt ist und die Sonne
            Branche als auch die Eidgenössische          decken, setzen die Energieperspekti-       nicht scheint
            Elektrizitätskommission (ElCom) wei-         ven 2050+ des Bundes auf eine Steige-      Aber wie kann die Versorgungssicher-
            sen auf diese grosse Herausforderung         rung der Wasserkraft um 10 % auf           heit am Ende des Winters gewährleis-
            für die Schweiz hin. Die ElCom hat           45 TWh. Gleichzeitig muss die Produk-      tet werden, wenn die Reserven in den
            bereits mehrmals vor den Risiken einer       tion von Solarenergie verzehnfacht wer-    Speicherseen knapp werden – bei
            Abhängigkeit von Importen gewarnt.           den, von rund 3 auf 40 % – oder 34 TWh     einem Kälteeinbruch und bedecktem

    28      bulletin.ch 4 / 2021
Jede einzelne Kilowatt-stunde ist Gold wert - Bulletin.ch
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Himmel? Die Antwort auf die Selbst-       Lösungen für die Versorgungssicher-        Akzeptanz im Zusammenhang mit
versorgung mit Strom liegt definitiv in   heit im Winter darstellt.                  erneuerbaren Energien verzögern den
der Weiterentwicklung aller Einspei-                                                 Fortschritt. Einsprachen gegen Wind-
seprofile für erneuerbare Energien, die   Nun ist es Zeit, die Hindernisse           kraftanlagen, den Ausbau der Wasser-
alle im Verlauf der Jahreszeiten ihr      abzubauen                                  kraft und die Netzerweiterungen sind an
Potenzial aufweisen. In Anbetracht der    Mit Blick auf die prekäre Situation in     der Tagesordnung oder haben gar Sys-
heutigen Gesetzgebung, der techni-        Texas sowie die Befürchtungen Frank-       tem. Im Wissen, dass die Zeit bis 2035
schen Entwicklung und der sozialen        reichs für seine eigene Stromversor-       drängt: Wie lässt sich objektiv rechtfer-
Realität wird sich die Entwicklung in     gung in diesem Winter – wie steht es       tigen, dass die Umsetzungsprojekte so
der Schweiz hauptsächlich auf Photo-      denn künftig effektiv um die Stromver-     grosse Probleme haben, die Hürde für
voltaikanlagen konzentrieren. Diese       sorgungssicherheit in der Schweiz? Mit     die Bewilligungen zu nehmen?
und die Wasserkraft werden in der         grösseren Unsicherheiten in Bezug auf         Zwar stellt die Winterproduktion der
Schweiz voraussichtlich als wichtigste    die Importe braucht es eine einheimi-      erneuerbaren Energien eine Priorität
Technologien zur Stromerzeugung           sche Versorgung, die in allen Jahreszei-   der Energiestrategie dar und ist jede
fungieren.                                ten ausreicht. Dieses Ziel kann nur mit    Kilowattstunde, die im Winter erzeugt
   Solche Ereignisse sind ja keine Aus-   einem diversifizierten und intelligen-     wird, Gold wert. Doch nun ist es Zeit,
nahme. Der Januar 2021 wies zu wenige     ten Energiemix erreicht werden. Daher      den Worten Taten folgen zu lassen.
Sonnenstunden auf, war zu kalt (mit       ist es Zeit, bei der Entwicklung aller     Dank Sonne, Wasser und Wind verfügt
einigen Eistagen) und von häufigen        erneuerbaren Energien einen Gang           die Schweiz über ein reales Potenzial.
Schneefällen geprägt. Gleichzeitig hat    hochzuschalten, insbesondere bei           Doch es braucht einen Konsens und
Suisse Eole 2020 ein Rekordjahr ver-      Wind- und Wasserkraft.                     einen gemeinsamen Effort, um dieses
zeichnet, als die Produktion der Wind-       Doch momentan gibt es bei der Ent-      Potenzial für eine sichere und klima-
parks die Prognosen, die bei ihrer        wicklung dieser Energien kaum Fort-        freundliche Versorgung zu nutzen.
Errichtung gestellt wurden, um durch-     schritte. Abgesehen von der Solarener-
schnittlich 14 % übertraf. Die Windrä-    gie, die in Form von Photovoltaikanlagen   Autorin
der drehten auf Hochtouren, was bestä-    auf den Dächern sichtbar wird, haben       Valérie Bourdin ist Redaktorin VSE.
                                                                                     J VSE, 1003 Lausanne
tigt, dass die Windkraft eine der         die meisten Projekte Probleme. Admi-       J valerie.bourdin@electricite.ch
wirksamsten und vernünftigsten            nistrative Hindernisse und mangelnde

                                                                                                                     bulletin.ch 4 / 2021   29
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