Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin

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Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin
01
2021                DEIN     MITGLIEDERMAGAZIN

                                                         LEBENSPHASEN

                                        Jedes Alter
                                      gut gestalten

 CORONA-PANDEMIE               DIGITALISIERUNG             GRUNDSCHULE
 GEW NRW fordert Konzepte        Technostress bei       Vorgehen und Inhalte zu
   für aktuelles Schuljahr     Lehrkräften nimmt zu   neuen Lehrplänen in der Kritik
Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin
Wissenswertes für die
Arbeit in der Schule
nds-verlag.de
               Foto: iStock.com /  TARIK KIZILKAYA, Illustration: slidesgo / Freepik.com

Das geballte Wissen unserer Personalrät*innen gibtʼs in den
GEW-Broschüren und -Flyern beispielsweise zu den Themen
Mehrarbeit, Digitalisierung in Zeiten von Corona, Arbeits- und
Gesundheitsschutz oder Arbeitsplatz Schule.
Die Beiträge basieren auf der jahrzehntelangen Erfahrung aus
der Personalratsarbeit vor Ort, bieten verständliche Erklärungen,
nützliche Tipps und verweisen auf relevante Rechtsquellen.
Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin
Lebensphasen – Jedes Alter gut gestalten

                                           Das wertvollste im
                                           Leben ist die Zeit –
                                           Leben heißt,
                                           mit der Zeit richtig
                                           umzugehen.
                                           Bruce Lee
Quelle: zitatezumnachdenken.com

                                                                             03
Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin
Foto: David Pereiras / shutterstock.com

                                          Lebensphasen – Jedes Alter gut gestalten
                                          Vor welchen Herausforderungen stehen junge Menschen heute? Wie können Leben und Beruf
                                          in Einklang gebracht werden? Was bedeutet es heute, alt zu werden oder alt zu sein? Und wie
                                          lässt sich der Ruhestand gestalten? Antworten auf diese Fragen sind nicht leicht und meistens
                                          individuell – die neue lautstark. nimmt alle Lebensphasen in den Blick und liefert Inspiration.
Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin
VERSTEHEN                              Z U S A M M E N H A LT E N
Gesellschaft und Verantwortung         Arbeitsplatz und Solidarität

08 	Potenziale, Verluste und          28 	Altern bei der Arbeit,
     überzogene Erwartungen                 arbeiten beim Altern
     Älterwerden heute                      Vereinbarkeit von Lebens-
                                            und Berufszeit
12 	Fünf Fragen an das
     eigene Älterwerden                30 	Schieflage im System
     Eine Auseinandersetzung                Jüngeres Lehrer*innenzimmer
     mit der Zukunft                        und drohender Personalmangel

13 	Akteure im Jetzt                  32 	Drahtseilakt mit vielen Chancen
     Kindheit und Jugend                      Altersgemischte Familien-
     im Wandel der Zeit                       gruppen in der Kita

16	Wer bringt sich wie in unsere      36 	Prozedere und Inhalte lassen
    Gesellschaft ein?                         zu wünschen übrig
    Politisches und ehrenamtliches            Neue Lehrpläne an Grundschulen
    Engagement                         38 	Rückkehr in Schule braucht
17 	Baustelle Schulaufsicht                  endlich verlässliche Konzepte
     Öffentliche Debatte nötig                Kommentar zur Corona-Lage

                                       40 	Technostress bei Lehrkräften
INSPIRIEREN                                 Herausforderung digitaler
Ideen und Impulse                            Unterricht

                                       42 	Lösungsansätze bei digitalem
20 	Von alten Hasen lernen                   Stress im Distanzunterricht
     Coachingkonzept für neue
                                              GEW NRW unterstützt Lehrkräfte
     Personalräte
22 	Gesichter der GEW NRW             EINMISCHEN
     Aktiv in der Gewerkschaft         Politik und Veränderung
     in jedem Alter
24	Wir geben keine Ruhe!              45 	Kürzer lernen. Länger arbeiten.
    Senior*innenarbeit in                   Ferngesteuerte Bildungspolitik
    der GEW NRW
                                       46 	Jung, engagiert, nicht
                                            ernst genommen?
                                            Nachwuchs in der Politik

06    Kleine Pause
18    Leser*innenpost
43    Ausschreibung Gewerkschaftstag
50    Ich bin die GEW NRW!
51    Ausblick & Impressum
Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin
Kleine Pause

                              SAV E T H E DAT E! 03/ 03/2 1

                              GE M EI NSAM STARK GEGEN ANTIFEMI NI SMUS –
                              L ANDESFR AUENKONFERENZ
                              Hauptreferat                                             → Kampagnengestaltung und Einsatz von
                              Dr. Heike Mauer, Netzwerk Frauen- und                      Social Media in der feministischen Arbeit
                              Geschlechterforschung NRW:                               → Von weiblichen Formen, Sternchen und
                              Antifeminismus heute. Eine Einführung                      Sprachhandeln – gendersensible Sprache
                              Workshops                                                  im Kontext von Schule und Bildung

                              → Antifeminismus in Bildungskontexten:                   Wann und wo?
                                Bestandsaufnahme und Handlungs-                        Onlinekonferenz für eingeladene Delegierte
                                möglichkeiten                                          und Gastdelegierte, 3. März 2021, ab 08.30 Uhr

                                                                                            LESEPETER IM FEBRUAR FÜR DAS JUGENDBUC H:

                                                                                            SANKT I RGE NDWAS
                                                                                            Tamara Bach
Mock-up: Eka Restu D. Putra

                                                                                            Carlsen Verlag, 2020, 128 Seiten, ab 14 Jahren

                                                                                            Klassenfahrten sind für alle beteiligten Personen eine Besonder-
                                                                                            heit im Schulalltag. Der aussagekräftige Titel des Buches von
                                                                                            Tamara Bach deutet an, dass die Rahmenbedingungen solcher
                                                                                            Reisen eigentlich unwichtig sind. Was zählt, sind die gemeinsamen
                                                                                            Erlebnisse. Sie werden aus Sicht der Jugendlichen in einem aus-
                                                                                            gefallenen Protokollstil kommentiert.
                                                                                            Preis: 13 Euro

                              Nur 5.900 Euro
                              an Grundmitteln erhielten die öffentlichen Hochschulen in NRW 2018
                              für Lehre und Forschung je Studierende*n. Damit bleibt NRW im
                              Ländervergleich Schlusslicht. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 7.300 Euro.

                              Quelle: Statistisches Bundesamt, Bildungsfinanzbericht 2020

                              06
Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin
VERSTEHEN
                       Gesellschaft und Verantwortung

„Der Alternsprozess ist gestaltbar
   und dabei von historischen,
 gesellschaftlichen und sozialen
Rahmenbedingungen beeinflusst.“
 P R O F. D R . A N D R E A S K R U S E & P R O F. D R . H A N S -W E R N E R WA H L
                          Forscher der Universität Heidelberg

                   07 – 17 / Lebensphasen – Jedes Alter gut gestalten
Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin
Älterwerden heute

Potenziale, Verluste und
überzogene Erwartungen
Wie steht es um das Älterwerden in unserer Gesellschaft? Und welche
Merkmale zeichnen das Altern aus? Die Professoren Andreas Kruse
und Hans-Werner Wahl geben Antworten auf diese Fragen und zeigen,
dass der Alternsprozess gestaltbar ist.

   Das höhere Lebensalter ist heute eine facettenreiche Le-        Empirische Befunde unterstützen
bensphase und keinesfalls automatisch die schlechteste im          Potenziale des Älterwerdens
gesamten Lebensverlauf. Die Unterschiede zwischen älteren             Kognitive Entwicklung im Alter wird heute oft mithilfe des
Menschen sind riesig und verbieten jegliche Rede von „den Al-      sogenannten Zwei-Komponenten-Modells der Intelligenz em-
ten“ oder gar „unseren Alten“. Potenziale und Grenzerfahrungen
                                                                   pirisch untersucht, das eine mechanische (fluide Intelligenz)
machen gleichermaßen menschliches Altern aus. Überzogene
                                                                   und eine pragmatische Komponente (kristalline Intelligenz)
Erwartungen gibt es an jedes Alter. Die Auseinandersetzung
                                                                   unterscheidet (siehe Tabelle Seite 10).
mit diesen lohnt sich.
                                                                      Auf der einen Seite ist heute aufgrund von Längsschnittdaten
Potenziale des heutigen Alterns:                                   klar nachgewiesen, dass sich die mechanische Komponente etwa
                                                                   bis zum 30. Lebensjahr zu ihrem Maximum aufbaut und danach
Da geht noch viel                                                  immer stärker abnimmt. Doch zwei gute Nachrichten folgen auf
   Hand aufs Herz: Wer von uns ist nicht schon selbst von          dem Fuße: Diese „Abbauprozesse“ sind bis ins Alter von 70 bis
negativen Altersstereotypen im eigenen Kopf überrascht wor-        80 Jahren meist im Alltagsleben sehr gut auszugleichen, machen
den. Plötzlich sind sie da und schlagen zu: „Kann das nicht mal    also keine gravierenden Verhaltensveränderungen notwendig.
schneller gehen da vorne mit dem älteren Herrn am Bankauto-        Die pragmatische Komponente bleibt zudem im Gegensatz zur
maten?“ Altersstereotype bezeichnen (über-)generalisierende        mechanischen bis ans Lebensende im Mittel relativ stabil.
Vorstellungen über die Gruppe älterer Menschen, die häufig auch       Soziale Beziehungen sind offensichtlich in jeder Lebensphase
von älteren Menschen für sich selbst übernommen werden. Die        von großer Bedeutung für Zufriedenheit, das Erleben von Vertrau-
gute Nachricht lautet dennoch, dass der Anteil älterer Menschen,   en, Zärtlichkeit und Intimität. Ein wesentlicher Befund ist hier,
der auch Gewinne im Alter sieht, in den letzten Jahrzehnten        dass soziale Beziehungen auch im späten Leben gut funktionieren
empirisch nachweisbar zugenommen hat. Die weniger gute             sowie erstaunlich aktiv und zielgerichtet gestaltet werden. Dank
Nachricht: Negative Sichtweisen des Alters haben gleichzeitig      der sogenannten Sozioemotionalen Selektivitätstheorie wissen
nur wenig abgenommen.                                              wir heute, dass, je älter wir werden, uns emotionsbezogene Ziele    >>

08         Verstehen / Thema
Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin
09
     Foto: iStock.com / Geber86
Jedes Alter gut gestalten - lautstark. Magazin
immer wichtiger werden. Alte Menschen optimieren                 Versorgungselemente wird dazu beigetragen, das
regelrecht ihr soziales Netzwerk im Hinblick auf den             Auftreten von Krankheiten beziehungsweise deren
Erhalt solch persönlich bedeutsamer Kontakte. Die                Verschlimmerung und schließlich eine Pflegebedürf-
weniger gute Nachricht ist dennoch, dass sich etwa               tigkeit zu vermeiden. Die Potenziale der Geriatrie
jede siebte Frau und etwa jeder zehnte Mann über                 wie auch der Rehabilitation und der rehabilitativen
80 Jahre in Deutschland als einsam beschreibt, was               Pflege dürfen hier keinesfalls unterschätzt werden.
aber nur wenig über den Häufigkeitswerten jüngerer
                                                                 Wachsen in Grenzsituationen ist möglich
Altersgruppen liegt.
   In Bezug auf das Wohlbefinden zeigen Studien                     Und doch nimmt im neunten, vor allem im zehn-
sehr übereinstimmend, dass es bis ins hohe Alter                 ten Lebensjahrzehnt der Grad an körperlicher, nicht
erstaunlich stabil bleibt. Ältere Menschen schaffen es           selten auch an kognitiver Vulnerabilität zu. Mehr
ziemlich gut, auch angesichts von sich einstellenden             und mehr gesundheitliche Grenzsituationen bilden
Verlusten ein hohes Maß an Zufriedenheit mit dem                 sich aus, deren innere Verarbeitung und äußere
eigenen Leben zu bewahren. Allerdings scheint es                 Bewältigung mit hohen Anforderungen sowohl an
immer schwerer zu werden, ein hohes Maß an Zufrie-               den alten Menschen selbst als auch an seine An-
denheit auch im sehr hohen Alter aufrechtzuerhalten.             gehörigen und das Versorgungssystem verbunden
                                                                 sind. Es ist bedeutsam, dass unsere Gesellschaft diese
Grenzen und Verlusterfahrungen:                                  Verletzlichkeit als Teil der Conditio humana deutet
Da geht immer noch was                                           und jene Menschen, die mit dieser Verletzlichkeit
                                                                 konfrontiert sind, nicht abwertet (diskriminiert). Dies
   Das Alter aus einer Entwicklungs- und Verände-                wäre auch deswegen hochproblematisch, weil damit
rungsperspektive zu begreifen, wie in den voran-                 a) die seelisch-geistigen Entwicklungspotenziale des
gehenden Abschnitten geschehen, bildet dann eine                 Menschen auch in Phasen erhöhter Verletzlichkeit
besondere wissenschaftliche und praktische Heraus-               vernachlässigt würden und zudem b) die Möglich-
forderung, wenn die Verletzlichkeit des Individuums              keiten produktiver Anpassung des Menschen an die
mehr und mehr in das Zentrum tritt. Wenn von Ver-                gegebene Situation ungenutzt blieben.
letzlichkeit gesprochen wird, dann ist damit noch                   Ad a): Gerontologische Forschung zeigt auf, wie sehr
nicht das Auftreten, sondern nur das erhöhte Risiko              es Menschen gelingen kann, auch in Grenzsituationen
von Erkrankungen beziehungsweise von Gebrech-                    zu „reifen“, das heißt zu neuen Verarbeitungs- und
lichkeit gemeint. Fundierter Prävention, Diagnostik              Bewältigungsformen zu finden sowie neue seelisch-
und Therapie sowie Rehabilitation kommt gerade                   geistige und existenzielle Entwicklungsperspektiven
hier eine herausragende Rolle zu. Denn durch diese               zu erarbeiten und umzusetzen.

Zwei-Komponenten-Modell der Intelligenz:
Unterscheidung zwischen Mechanik und Pragmatik der Intelligenz

                                                  Mechanik                                      Pragmatik
 Wichtige Prozesse             Basale Informationsverarbeitung: Verarbei-      Erlerntes Wissen: Lese- und Schreibfähigkeit,
                               tungsgeschwindigkeit, -genauigkeit, Koordina-   Ausbildung, alltägliches Problemlösen, selbst-
                               tion elementarer Verarbeitungsprozesse          bezogenes Wissen, Lebensführung
 Inhaltsgebundenheit           Inhaltsarm                                      Inhaltsreich
 Genetisch-biologisch oder Stark genetisch bestimmt und auf biolo-             Stark erfahrungsabhängig und umwelt-
 umweltbezogen             gischem Substrat aufbauend                          informiert

10           Verstehen / Thema
Auch das Lebensende ist ein gestaltbarer
Teil des Älterwerdens
   Und auch im Angesicht des herannahenden Todes
können Menschen – trotz aller Belastungen – zu er-
weiterten Verantwortungsbezügen finden (Memento-                   L I T E R AT U R T I P P S
mori-Struktur des Erlebens und Verhaltens): Die
                                                                   Andreas Kruse, Hans-Werner Wahl
erlebte und praktizierte Sorge gilt nun nicht mehr
                                                                   Zukunft Altern. Individuelle und gesellschaftliche
oder primär einem selbst, sondern auch anderen
                                                                   Weichenstellungen.
Menschen, so zum Beispiel Angehörigen nachfolgen-                  Heidelberg, 2010.
der Generationen. Deutlich wird hier die Plastizität
der Psyche beziehungsweise deren (dynamisch zu                     Deutscher Bundestag

interpretierende) Resilienz.                                       Achter Bericht zur Lage der älteren Generation
   Ad b): Gerade in Phasen bleibender Einschrän-                   in der Bundesrepublik Deutschland: Ältere
kungen der Selbstständigkeit stellt sich die Aufgabe,              Menschen und Digitalisierung – und Stellung-
Wohnumwelten und Teilhabestrukturen zu schaffen,                   nahme der Bundesregierung.
                                                                   Drucksache 19/21650 vom 13. August 2020, Berlin.
die diese Einschränkungen zu kompensieren ver-
mögen. Hier kommt der digitalen Technologie wie                    Laura L. Carstensen
auch digital vermittelten Teilhabeangeboten große                  The Influence of a Sense of Time on Human
Bedeutung zu. Vielen alten Menschen gelingt es,                    Development.
diese Innovation zu nutzen sowie den Verhaltens-                   in: Science 30, 2006, S. 1913-1915. doi:10.1126/science.1127488.
und Handlungsradius erkennbar zu erweitern: ein
Beispiel für Verhaltens- und kognitive Plastizität.

Überzogene Erwartungen
an Altern und „Jungbleiben“:                            Alternsprozess:
Muss da was gehen?                                      Es geht um Gestaltung
   Aufgrund von Längsschnittstudien wissen wir             Der Alternsprozess ist gestaltbar und wird dabei
heute, dass positivere Sichtweisen des eigenen Äl-      von historischen, gesellschaftlichen und sozialen
terwerdens und auch ein subjektiv jüngeres Alter        Rahmenbedingungen beeinflusst. In dem Maße, in
längerfristig mit weniger Krankheiten und Funktions-    dem Menschen in einer entwicklungsförderlichen,
einbußen, besserer kognitiver Leistung und sogar mit    teilhabefreundlichen und anregenden Umwelt leben,
einer im statistischen Mittel höheren Lebensdauer       sind Bedingungen für eine aktive, vom Individuum
einhergehen. Die Potenziale des Älterwerdens zum        selbst ausgehende Gestaltung von Entwicklung gege-
Klingen zu bringen, setzt positive Sichtweisen gegen-   ben; dies gilt ausdrücklich auch für die Lebensphase
über dem eigenen Älterwerden voraus! Aber: Sollen       Alter. Ein Gestaltungspotenzial, das in medialen
wir uns nun alle jünger fühlen? Wir haben da unsere     Darstellungen des Alters sowie im gesellschaftlichen
Zweifel, denn man kann dies auch als Ablehnung des      Diskurs zu Altern ausdrücklich zu betonen ist. //
eigenen Älterwerdens, gewissermaßen als Altersdis-
                                                                                              Prof. Dr. Andreas Kruse
kriminierung (ageism), verstehen. Wir sehen aber
                                                                 Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg
auch etwas durchaus Positives in derartigen Fragen,
denn eigene Standortbestimmungen sind gefordert:                                         Prof. Dr. Hans-Werner Wahl
Übernehme ich einfach kritiklos für mich selbst, dass     Netzwerk Alternsforschung der Universität Heidelberg und
sich jünger zu fühlen etwas Gutes für mich ist? Wir                 Abteilung für Psychologische Alternsforschung,
raten zu bewusster Auseinandersetzung mit der-                      Psychologisches Institut, Universität Heidelberg
artigen Fragen des Älterwerdens.

                                                                                                                                      11
Eine Auseinandersetzung mit der Zukunft

Fünf Fragen an das
eigene Älterwerden
Was ist heute gutes Altern? Fest steht,
dass die Erfahrungs- und Erlebens-
möglichkeiten des Älterwerdens noch
nie so reichhaltig waren wie heute.

     1   Kann ich mich auf das
         Älterwerden freuen?

                                                   4
         Wenn wir uns all die Dinge vor Augen
                                                       Muss ich im Alter aktiv sein?
         führen, die weiterhin im höheren Alter
         möglich sind, so entsteht ein facetten-       Aktivitäten müssen zu den eigenen
         reiches Bild, in dem auch Verluste die        Lebenszielen passen und was ist schon
         Farbgebung deutlich bestimmen, aber           Passivität? Ein gutes Buch, ein gutes
         nicht dominieren. JA. //                      Gespräch, das Nachdenken über das
                                                       eigene Leben, die Welt mit Aufmerksam-
                                                       keit an sich vorüberziehen zu lassen –
     2   Bin ich meines Alterns Schmied*in?
         Bei vielen Älteren sind heute die mate-
                                                       das alles können sehr anregende Aktivi-
                                                       täten sein. NEIN. //
         riellen, gesundheitlichen und geistigen

                                                   5
         Voraussetzungen für das „Schmieden“           Soll ich vorausdenken an das, was das
         des eigenen Älterwerdens gut, aber Al-        Älterwerden noch bringen könnte?
         tern ohne kaum beeinflussbare Verluste
         ist nicht denkbar. JEIN. //                   Warum sich nicht frühzeitig über die
                                                       beste Behandlung von Demenz küm-
                                                       mern? Warum nicht auch an die Gestal-
     3   Kann ich meine Gesundheit spät
         im Leben mitgestalten?
                                                       tung des Lebensendes denken? Solche
                                                       Vorausschau kann das Gefühl des
         Alle heute verfügbare Längsschnitt-           bewussten Alterns anreichern. JA. //
         evidenz zeigt, dass Verhalten und die
         Vermeidung von ungesunden Lebens-
         stilen direkt mit Gesundheit und damit                                                        Prof. Dr. Andreas Kruse
         auch der Bewahrung der eigenen Selbst-                            Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg
         ständigkeit zusammenhängen. JA. //                                                       Prof. Dr. Hans-Werner Wahl
                                                                    Netzwerk Alternsforschung der Universität Heidelberg und
                                                                              Abteilung für Psychologische Alternsforschung,
                                                                              Psychologisches Institut, Universität Heidelberg

12    Verstehen / Thema
Kindheit und Jugend im Wandel der Zeit

Akteure im Jetzt
Wie und wodurch lassen sich die heutige Kindheit und Jugend
definieren? Und vor welchen spezifischen Herausforderungen
stehen Heranwachsende und warum? Sozialisationsforscher
Baris Ertugrul gibt Antworten auf diese Fragen.

   Generationsdiagnosen sind bekanntlich ein de-       Möglicherweise ist gerade diese Veränderungsdyna-
likates Unterfangen. Sie lassen wissenschaftlichen     mik der Umwelt das Signum, dass das Aufwachsen
Erkenntnissen oft allzu starke feuilletonistische      einer gegenwärtigen Generation auf verschiedenen
Züge angedeihen. Zu versuchen, ein vielgestalti-       Ebenen (Krisen, Digitalität, Politik) bestimmt – und
ges Phänomen auf einen bestimmten Punkt hin            im Bildungsbereich im Umgang damit auf Sicht ge-
auszurichten, verlangt, sehr viel Heterogenität zu     fahren wird.
verneinen. Das wird nicht einfacher mit Blick auf
                                                       Krisen
die aktuelle Forschung. Denn jüngst war die Jugend-
forschung wieder damit beschäftigt, die flexiblen         Ins kollektive Gedächtnis werden sich die ersten
Grenzen ihres Gegenstands neu zu (ver-)messen –        beiden Dekaden dieses Jahrtausends womöglich
mit dem Ergebnis, dass er eben vielgestaltig und       als Krisenjahre ablagern. Ein Ende dieses Zustands
mitunter entgrenzt ist.                                scheint nicht in Sicht. Wirtschaft, Migration, Demo-
   Der Preis solcher beabsichtigten Pointierungen      kratie, Ökologie – all diese Bereiche sind von Krisen
erscheint also sehr hoch. Daher ist die Beschreibung   betroffen und werden demnach auch entsprechend
einer Generation über den Umweg der Beschreibung       im öffentlichen Diskurs behandelt. Zudem haben
ihrer Bedingungen eine Möglichkeit, einige Kenn-       sie vielerorts – das heißt global – krisenhafte Wir-
zeichen freizulegen, die sich strukturell für eine     kungen erzielt.
bestimmte Generation manifestieren. Die Bedingun-         Die 20-jährige Krisenerfahrung, die Beschallung
gen des Aufwachsens in den vergangenen zwei Jahr-      mit und das Erleben von Krisen geht nicht an Heran-
zehnten erscheinen demnach transformationswütig.       wachsenden vorbei. Sie sind Teil dieser Welterfahrung.   >>

                                                                                                                     13
Foto: Ehimetalor Akhere Unuabona / unsplash.com

Und sie sensibilisieren sie für Gesellschaft, Ordnun-              insbesondere Semantiken des Sozialverlusts und der
gen und ihre (Un-)Möglichkeiten. Die Corona-Krise                  digitalen Überformung bemüht. Als „digitale Einwan-
wirkt dabei wie ein historischer Höhepunkt: Wenn                   derer“ möge sich noch eine letzte Elterngeneration
Alltagsroutinen verändert werden, wird sichtbar,                   echauffieren, in deren Kindheit der gesellige Spiel-
in welchen Konstruktionen wir leben, und welchen                   platz oder Park bestimmender war als YouTube oder
Zwang sie ausüben. Und dies bewirkt auch bei Her-                  TikTok. Hier zeigt die Forschung zur Corona-Krise,
anwachsenden, nicht nur theoretisch, sondern quasi                 wie die JuCo-Studie und andere aktuelle Studien,
gesellschaftsnatürlich neue Perspektiven auf Selbst-               dass soziale Plattformen, digitale Echokammern und
verständlichkeiten zu kultivieren.                                 Kommunikationskanäle den analogen Vergesellschaf-
                                                                   tungsdrang zwar abfedern, keinesfalls aber ablösen.
Digitalität
                                                                   Politik
   Wurde der Prozess der Digitalisierung anfangs
                                                                      Aufwachsen im vergangenen Jahrzehnt bedeutet,
mit Aufbruchsstimmung und Ermöglichungsden-
                                                                   einer autoritär-populistischen Politik kaum ent-
ken verbunden, so stehen heute unter anderem Be-
                                                                   weichen zu können. Aufgefallen im hiesigen Raum
schreibungen wie Unbehagen und Unsicherheit im                     sind alternative Ideologeme, entlang von Euro- und
Vordergrund. Das hat mit dem paradoxen Umstand zu                  Migrationskritik, angereichert unter anderem mit
tun, dass wir sehr viel mehr wissen und im gleichen                Geschichtsrevisionismus und einer Rückbesinnung
Maße auch das Unwissen über unsere digitale Praxis                 auf alte Rollenvorstellungen. Das sind umkämpfte
und ihre Folgen steigt.                                            Themen, die im gesellschaftlich-politischen Diskurs
   In Diskussionen rund um das Thema Digitalisie-                  weiterhin zur Disposition stehen werden.
rung und Umgang mit digitalen Medien wird Kindern                     Jugendliche dagegen bildeten in der medialen
und Jugendlichen dabei stets eine besondere Rolle                  Stilisierung weithin ein liberales Gegengewicht. Be-
zugewiesen. Hierbei werden für das Kindesalter                     wegung wie Fridays for Future stehen emblematisch

14     Verstehen / Thema
für eine ökologisch gestaltungswillige Jugend, die die   Reproduktion von Ungleichheit bleibt stabil
Welt „besser“ machen will. Die letzte Shell Jugend-         Bei allem dargestellten Wandel muss – und das
studie zeigte gleichwohl, dass Jugendliche populisti-
                                                         nicht zuletzt – notiert werden, dass wir sehr stabile
schen Haltungen nicht abgeneigt sind. Zwischen der
                                                         Momente und Muster haben. Die Reproduktion von
Generation Greta und der Generation Populismus
                                                         Ungleichheit, das wird beständig in neueren Unter-
formieren sich Kräfte, ebenso wie über ihre Ränder
                                                         suchungen aktualisiert, bleibt mindestens stabil – mit
hinaus. Jugendliche sind nicht nur revolutionsbereit,
                                                         immensen, wenn auch veränderten Konsequenzen
sondern auch regressionsorientiert – zwischen die-
                                                         für das subjektive Erleben von Kindheit und Jugend.
sen Polen liegt ein weites Feld, das in Bewegung ist.
                                                         Gegenwärtig gehört die Corona-Krise zu den größten
Zukunftsbildung?                                         die Ungleichheit verstärkenden Momenten. Menschen,
   Die großen und komplexen Veränderungsschübe           die sozial-vulnerabel sind und ohnehin in einer Art
sorgen noch gegenwärtig – bei Jung und Alt – sicht-      Dauerkrise leben, erfahren die Corona-Krise als be-
bar für Ambivalenzen und Irritationen. Es braucht        sondere Belastung; für Schüler*innen kommt der
ein „wertiges Rüstzeug“, um die gesellschaftlichen       Distanzunterricht dazu. Besonders spannend wird
Zumutungen auszuhalten und die daraus resultie-          zu beobachten sein, ob und in welcher Weise junge
renden Veränderungen auf Basis der Demokratie            politische Kräfte das Thema der sozialen Ungleichheit
mitzugestalten. Von hier aus ist der Sprung zu Be-       für sich entdecken. Also jene, die gerade am Anfang
griffen wie Bildung nicht groß. Schule, in der Bildung   des bewussten Prozesses der Verteilung von Lebens-
„geschehen“ soll, erscheint besonders (heraus-)ge-       chancen und Karriereentwicklung stehen.
fordert, einen konstruktiven Umgang mit Krisen und          Der verbindende Erfahrungszusammenhang jener
ihren Diskursen, mit Digitalisierung und politischer     frappierenden Transformationen ebnet Generations-
Persönlichkeitsbildung zu ermöglichen. Und so muss       fragen in Gesellschaftsfragen ein. In diese Diagno-
gefragt werden: Sehen wir Schule handlungsfähig?         sen gehen dann auch generische Überlegungen von
Und mehr noch: Ist sie es?                               Ist- und Idealzustand ein. Hier geht es demnach um
   Schule erschien in der Vergangenheit keinesfalls      normative Vorstellungen, also um die Frage, was sein
als verlässlicher Partner, um auf soziale Krisen und     soll. Dass dieser der Geruch einer generationalen
Umbrüche zu reagieren. Sie hat sich als Zauberformel     Ordnung anhaftet, in der die Erwachsenenperspektive
kaum bewährt und hat stattdessen sehr viel bewahrt.      mehr gilt als die der Jüngeren, ist in der Forschung
Ungleichheitsreproduktion ist hier nicht erst seit der
                                                         ein bekanntes Datum. In der Pandemie aktualisierte
PISA-Studie das wohl bekannteste Beispiel. Dass der
                                                         sich der Umstand des Auskühlens der Mitbestimmung
Umgang mit Digitalisierung in Schulen aus verschie-
                                                         eindrucksvoll. Das Plädoyer hierfür wäre, ebenjene
denen Gründen unzureichend ist, weiß man auch
                                                         als Akteure im Jetzt und nicht nur als Handelnde in
nicht erst seit Corona. Die Gründe dafür liegen sehr
                                                         der Zukunft zu sehen. Das kann der Fluchtpunkt sein,
häufig nicht innerhalb der Bildungseinrichtungen,
                                                         um den man sich politisch und institutionell anders
sondern bei ihren politischen Gestalter*innen. Und
                                                         formiert, damit Generation X, Y, Z oder Greta das
dennoch: als Sozialisationskontext, in dem Heran-
                                                         Rüstzeug garantiert werden kann, einzugreifen. //
wachsende den größten Teil ihrer Vergesellschaftung
erfahren, vermittelt Schule Zukunft. Was muss erfüllt                                                    Baris Ertugrul
sein, dass wir jenen Ort imstande sehen, Menschen-         wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für Prävention
bildung im emphatischen Sinne zu betreiben, neben          und Intervention im Kindes- und Jugendalter an der Univer-
Wissen auch Persönlichkeit anzuregen, auf einer            sität Bielefeld und am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher
Ebene, in der Bildung nicht Lernen ist? In Zeiten von     Zusammenhalt. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich
                                                          der empirischen Forschung und Theoriebildung zu Sozialisa-
Kompetenz-, Vergleichs- und Output-Orientierung
                                                                                        tion und Gesellschaftsanalyse.
tritt realschulisch der Aspekt der Menschenbildung
als abschattiertes Thema auf.

                                                                                                                          15
Politisches und ehrenamtliches Engagement

      Wer bringt sich wie in
      unsere Gesellschaft ein?
      Veränderung der Engagementquoten 1990 bis 2017                                                        Digitales Engagement* gibt es in allen Altergruppen
      Bevölkerung bundesweit ab 17 Jahren

                                                                                                             14- bis 19-Jährige
                                                                                                              33 %                            17 %            52 %
                      +16,5 %
                            gesamt                                                                           25- bis 29-Jährige
                                                                                                              15 %          24 %                     40 %

                                                                                                             35- bis 39-Jährige

      +69,6 %                                 +71,8 %
                                                                                                              19 %              27 %                        48 %
       Rentner*innen
                                                Schüler*innen                                                45- bis 49-Jährige
                                                                                                              17 %            31 %                            50 %

                                                                                                             55- bis 59-Jährige
                                                                                                              17 %            27 %                        45 %

                                                                                                             65- bis 69-Jährige
                                                                                                              17%             25 %                     44 %

                                                                                                             über 75-Jährige
                                                                                                              18 %            8%       26 %

                                                                                                                  Online-Engagement (mindestens überwiegend)
                                                                                                                  Online-Engagement (nur teilweise)
                                                                                                                  Engagement vor Ort
                                                                                                             Quelle: Katrin Matuschek und Valerie Lange: Engagement im digitalen
Quelle: Luise Burkhardt und Jürgen Schupp, Wachsendes ehrenamtliches                                         ZeitalterTrends, Chancen und Herausforderungen, 2018.
Engagement: Generation der 68er häufiger auch nach dem Renteneintritt aktiv,
DIW Wochenbericht, 42/2919.                                                                                  *D as kann beispielsweise das Erstellen von Inhalten auf digitalen
                                                                                                               Plattformen sowie von Online-Petitionen sein sowie Kommunikation,
                                                                                                               Lehre und Beratung via Internet.

                                   54,5 % 70,2 %
      Wahlbeteiligung
      Landtagswahl
      NRW 2017
                                    Wahlbeteiligung 18- bis 21-Jährige                     Wahlbeteiligung 60- bis 70-Jährige

      Quelle: Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Landtagswahl 2017: Ergebnisse nach Alter und Geschlecht in Nordrhein-Westfalen.

      16             Verstehen / Thema
Öffentliche Debatte nötig

Baustelle Schulaufsicht
Die Neustrukturierung der Schulaufsicht in NRW ist dringend not-
wendig. CDU und FDP wollen die Reform noch vor der Landtagswahl
2022 abschließen. Die GEW NRW nennt Themen, bei denen sie den
größten Handlungsbedarf sieht.

   Spätestens seit Jörg Bogumil, Reiner M. Fahlbusch und Hans-      → eine Gleichsinnigkeit in der Orientierung und im fachlichen
Jürgen Kuhn im Juli 2016 das Gutachten Weiterentwicklung der          Agieren zu erlangen, die sich an zentralen Richtgrößen aus-
Schulverwaltung des Landes NRW im Auftrag des nordrhein-              richten, wie sie für das Schulwesen gelten, zum Beispiel Re-
westfälischen Finanzministeriums vorgelegt hatten, nahm die           ferenzrahmen Schulqualität, interne und externe Evaluation.
Fachdiskussion – von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen           → auf eine berufsvorbereitende und berufsbegleitende Aus- und
– über eine Reform der Schulaufsicht in NRW wieder Fahrt auf.         Fortbildung für Schulaufsichtsbeamt*innen hinzuwirken.
Die Gutachter sollten untersuchen, wie die Schulaufsicht mit        → „Backoffices“ zur Ökonomisierung vieler Arbeitsfelder einzu-
dem Ziel einer Effizienzsteigerung weiterentwickelt werden            fordern.
kann – unter der Nebenbedingung, dass „durch das Gutachten          → ein ausgewogenes Maß an systemischer Beratung und Unter-
keine Stellenmehrbedarfe in der Verwaltung begründet werden,          stützung sowie eines effektiven Controllings zur Begleitung
die nicht durch Umschichtungen gedeckt werden können, und             eigenverantwortlicher Schulen anzustreben.
insgesamt keine Mehrkosten entstehen“. Schwierige Prämisse!
                                                                    → ein durchdachtes und zukunftsfähiges Personalkonzept für das
Projektgruppe soll Prozess vorantreiben                               Zusammenspiel hauptamtlicher Schulaufsichtsbeamt*innen
                                                                      und pädagogischer Mitarbeiter*innen zu entwickeln.
   Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP findet sich im Kapitel
                                                                    → Rolle und Funktion der pädagogischen Mitarbeiter*innen und
Gute Bedingungen für unsere Lehrkräfte der lapidare Satz: „Die
                                                                      Fachberater*innen in der Schulaufsicht zu schärfen und sie
Schulaufsicht wird weiterentwickelt.“ Nach der Regierungsüber-
                                                                      zu einem systemischen Element einer tragfähigen Personal-
nahme wurde im Januar 2019 eine Projektgruppe gebildet, um den
                                                                      struktur werden zu lassen.
Prozess zur Weiterentwicklung der Schulaufsicht zu intensivieren.
Themen im Arbeitsprozess lauten: Aufgaben und Rollenverständ-          Oftmals erfolgt eine unzulässige Verkürzung der Reformdis-
nis der Schulaufsicht, Struktur der unteren Schulaufsicht, Obere    kussion auf die Frage der Struktur der Schulaufsicht. Klar ist aber
Schulaufsicht, Personalbemessung und Personalentwicklung.           in jedem Fall, dass die 2007 von CDU und FDP aus sachfremden
                                                                    Gründen eingeführte Trennung von Fach- und Dienstaufsicht
GEW NRW benennt Reformbedarfe                                       für die Haupt- und die Förderschulen korrigiert werden muss. //
  Für die GEW NRW ist im Reformprozess entscheidend,                                                                   Michael Schulte
→ eine stringente Klärung der Aufgaben und Rollen in schulauf-                                              Geschäftsführer der GEW NRW
  sichtlichen Handlungsfeldern einzufordern.
→ ein Zuständigkeitskonzept zu entwickeln, das den arbeits- und
  zeitintensiven Querschnittaufgaben wie Inklusion, Integration
  und Fortbildung, Rechnung trägt.
→ ein angemessenes und funktionales Maß an Zentralisierung                                                                   G EW
  sowie Regionalisierung der Schulaufsichtsstruktur einzufordern.         Gebt bei der Wahl zur Schulaufsicht
                                                                        im Frühjahr 2021 Kanditat*innen von
                                                                                 GEW und ver.di Eure Stimme!
                                                                                                       gew-nrw.de            NRW

                                                                                                                                    17
Leser*innenpost

       DA G M A R B R A N D T                                                            KARL H. GÜNTHER
Ich bin 63 Jahre alt und hatte das Glück, dass meine Eltern (bei-                 [...] Leider umgeht die Redaktion die Auseinandersetzung mit den
de selbstständig) mir schon vor 47 Jahren gesagt haben: Was?                      versteckten Barrieren in Schule, Berufsausbildung und Berufsaus-
Erzieherin? Da bist du ja immer auf einen Mann angewiesen.                        übung […] Dann hätte auch die Chance bestanden, eine Diskussion
Das mit dem Weniger-Verdienen und Noch-weniger-Rente-Be-                          mit Behinderten zu Kontroversen (zum Beispiel Förderschule oder
kommen weiß frau also schon sehr lange. Toll, dass Sie dieses                     Regelschule, Berufsausbildung in Schule/ Berufsförderungswerk
Thema angesprochen haben. Sonst wird ja immer nur auf die                         oder Betrieb) im Zusammenhang mit der Inklusion zu initiieren.
bösen Männer geschimpft. Persönlich habe ich mich gegen die                       Die aus Fürsorge entstandenen Sonderstrukturen stehen häufig
Wirtschaft und für die Grundschule entschieden und das war gut                    der selbstbestimmten gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen
so. Aber beschweren, dass ich woanders mehr verdienen würde,                      mit Behinderungen entgegen und widersprechen damit dem
auf die Idee käme ich nicht.                                                      Inklusionsverständnis der UN-Behindertenrechtskonvention.
                    zu lautstark. 07/2020: Wenn es im Leben später eng wird       […] Trotzdem kann man die Fürsorgegedanken auch heute noch
                                                                                  hinter vielen Regelungen entdecken, die Behinderte in die passive
                                                                                  Rolle von Leistungsempfänger*innen zwängen, die mit einem
       J Ü R G E N K RU S E                                                       Leben am Existenzminimum zufrieden sein sollten. Gerade in
                                                                                  Corona-Zeiten, [...] ist es um so befremdlicher für Behinderte für
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie steht die GEW in NRW selbst
                                                                                  die Folgen unverschuldeter Nachteile mit eigenem Einkommen
zu den Inhalten dieses Artikels? Sind das die Gerechtigkeitsaspekte
                                                                                  und Vermögen aufzukommen. [...]
für eine Gewerkschaft angesichts der ökologischen Vielfach-
                                                                                                                     zu lautstark. 07/2020: Barrieren im Alltag
katastrophe (unter anderem: bedrohliches Artensterben und sich
beschleunigende Klimakatastrophe ...)? Steckt hinter dem Artikel
nicht eine verhängnisvolle neoliberale Sicht der Rolle des Staates
und des Individuums? Nach Jahrzehnten der Privatisierung der                             J E N S K AU L I S C H
Gemeingüter und eines zunehmenden Abbaus des Sozialstaates                        Dann fangt doch auch mal mit der Einforderung von Gerechtig-
(auch gegen den Willen aufgeklärter Teile der Gewerkschafts-                      keit an. Ich denke da insbesondere an gleichen Lohn für gleiche
bewegung) gibt es für die GEW eine „soziale Marktwirtschaft“, in                  Arbeit. Da wird vonseiten der GEW nicht genügend Druck auf-
der die Bildungspolitik nun ihre Rolle einnehmen soll, damit der                  gebaut, um die institutionellen Ungerechtigkeiten in den Lehrer-
Einzelne „Arbeitsmarkterfolge“ verbuchen kann? Dazu passt dann                    zimmern aufzuheben.
ja auch das Foto, das eben nicht die Fähigkeiten repräsentiert, die                                 zu lautstark. 07/2020: Für Gerechtigkeit müssen alle sorgen
Menschen angesichts der ökologischen Krisen und der bevorste-
henden Automatisierungswelle brauchen. Haben Sie sich einmal
die politischen und forschungstheoretischen Schwerpunkte des
ifo Instituts angesehen? Vielleicht wäre es besser, wir würden uns
zeitnah um die Diskussion zu einer Postwachstumsgesellschaft
[…] bemühen! [...]
               zu lautstark. 07/2020: Gleiche Chancen? Je früher, desto besser!

                                                                                                                              Mail uns deine Meinung!
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18
INSPIRIEREN
                                  Ideen und Impulse

Anzahl junger Delegierter hat sich auf
  unserem Gewerkschaftstag 2019
im Vergleich zu 2016 von 8 % auf 16 %
                                    erhöht.
Dieses Ergebnis wurde durch die Aktion „1+1 – Zusammen zum Gewerkschaftstag“ erzielt,
                mit der die GEW NRW den Generationenwechsel fördert.

                     19 – 26 / Lebensphasen – Jedes Alter gut gestalten
Coachingkonzept für neue Personalräte

Von alten Hasen lernen
Personalratswahlen bieten immer auch eine Chance des Generationen-
wechsels innerhalb der Gewerkschaftsarbeit. Doch viele junge Kolleg*innen
fühlen sich der wichtigen Aufgabe nicht gewachsen. Die GEW NRW
erarbeitet derzeit ein Coachingkonzept für die Personalräte im Schulbe-
reich, um den „Neuen“ mehr Unterstützung zu bieten.

   Bei der Personalratswahl im Bereich Schule im vergange-            Die Entscheidung, Personalrät*in zu werden, falle vie-
nen Herbst wurden einige neue Mitglieder gewählt, darunter         len jüngeren Kolleg*innen allerdings schwer, weiß Lea
Grundschullehrerin Lea Becker. Sie hatte zunächst über eine        Becker. „Da gibt es Zweifel, ob man der Aufgabe gewachsen ist.“
Freundin mehr über die Tätigkeiten des Personalrats erfah-         Sie selbst hatte diese Bedenken nicht: „Ich habe mich gefreut,
ren, den sie selbst schon bei Versetzungsanträgen zurate ge-       dass ich neben der Schule noch etwas anderes machen kann. Ich
zogen hatte. Vor vier Jahren übernahm sie vertretungsweise         organisiere gerne und beschäftige mich damit, wie man etwas
Aufgaben in dem Gremium und konnte so schon ein bisschen           verändern oder verbessern kann.“
Personalratsluft schnuppern. Für die Wahlen 2020 ließ sie sich
                                                                   Personalräteschulungen bieten Unterstützung
schließlich als Kandidatin auf die Wahlliste der GEW NRW für
den Personalrat Grundschule im Oberbergischen Kreis setzen –          Gerade zu Beginn der Tätigkeit bestehe für die neuen Mitglie-
mit Erfolg, wie das Ergebnis zeigt. Mit 34 Jahren ist sie nun      der des Personalrats die Gefahr, „ins kalte Wasser“ geschmissen
eines der jüngsten Mitglieder in ihrem Personalrat und Teil        zu werden, erklärt Volker Maibaum. Mit diesem Problem sehen
eines Generationenwechsels.                                        sich alle neu gewählten Personalrät*innen, egal ob jung oder
                                                                   alt, konfrontiert. Wie groß die Herausforderung beim Einstieg
Beschäftigtenspektrum im Personalrat abbilden                      in den Personalrat ist, hänge weniger vom Alter ab, so Volker
   Nicht jedes neue Personalratsmitglied ist automatisch jün-      Maibaum. Die Frage sei viel mehr, welche schulische Erfahrung
ger als die anderen Mitglieder. Doch bei der letzten Wahl sei es   Kolleg*innen über den Lehrerrat oder andere Gremien in den
erklärtes Ziel gewesen, mehr junge GEW-Mitglieder im Perso-        Personalrat einbringen und wie die Kolleg*innen in der GEW
nalrat unterzubringen. Damit möchte die GEW NRW möglichst          verankert sind.
das gesamte Spektrum der Beschäftigten auch im Personalrat            Den „Neuen“ bietet ein GEW-internes modulares Schulungs-
selbst repräsentieren. Dazu gehöre neben Geschlecht, Migra-        programm beispielsweise zum Thema „Neu im Personalrat“
tionshintergrund und fachlicher Profession auch das Alter.         Orientierung und Unterstützung. Diese Erfahrung hat auch Lea
„Heute sind die Kolleginnen und Kollegen teilweise 25, wenn        Becker gemacht. Sie lobt das Programm: „Dabei konnten viele
sie an einer Schule anfangen“, berichtet Volker Maibaum, der       Fragen, die uns ,Neue‘ betreffen, geklärt werden. Außerdem hat
erst mit 43 Jahren in den Schuldienst kam und zwölf Jahre lang     es den Austausch untereinander gefördert.“ Weitere interne
für die GEW im Personalrat aktiv war. „Das muss sich in den        Schulungen für „die Neuen“ behandeln rechtliche Grundlagen
Personalräten widerspiegeln. Diese Kolleginnen und Kollegen        zum Personalvertretungsrecht, zum Beamt*innenrecht und zum
bringen ganz andere Sichtweisen mit, wenn sie sich beispiels-      Arbeitsrecht. Diese Themen werden auch anhand von praktischen
weise in der Familiengründung befinden.“                           Einzelfällen behandelt und von erfahrenen Personalrät*innen

20         Inspirieren / Thema
sowie juristischen Referent*innen vermittelt. All diese internen
                                                                Schulungen bieten eine wichtige Grundlage für den Einstieg in
                                                                die Personalratsarbeit, erklärt Volker Maibaum: „Dort geht es um
                                                                die gesetzlichen Arbeitsgrundlagen und Rahmenbedingungen.“ Es
                                                                gebe aber auch Punkte, mit denen man sich intensiver befassen
                                                                müsse. „Wenn es aber um die konkreten Fragen der Kolleginnen
                                                                und Kollegen geht, hilft – überspitzt gesagt – der Gesetzestext
                                                                alleine nicht weiter.“ Manchmal komme also der Austausch über
                                                                Alltagserfahrungen in der Personalratsarbeit zu kurz.

                                                                Neues Coachingkonzept für mehr Austausch
Foto: Emanuel Heine

                                                                   Diese Lücke könnte ein Coachingkonzept füllen, das Volker
                                                                Maibaum angeregt hat. Ein wichtiger Teil dieses Konzepts sieht
                                                                vor, den individuellen Fragen der neuen Personalrät*innen mehr
                                                                Raum zu geben. Über das Coaching soll eine Gesprächsgruppe
                                                                geschaffen werden, die von einem erfahrenen Personalrats-
                                 VOLKER MAIBAUM                 mitglied „moderiert“ wird. Den neuen Personalrät*innen –
                                                                unabhängig vom Alter – soll dabei unter anderem vermittelt
                      war viele Jahre Personalrat und möchte    werden, welche Rolle sie in der alltäglichen Personalratsarbeit
                      die „Neuen“ im Gremium unterstützen.      einnehmen müssen und auch was das mit der GEW zu tun hat.
                                                                „Die Personalrät*innen sind teilweise auch so was wie eine
                                                                ‚Telefonseelsorge‘ für ihre Kolleg*innen“, so Volker Maibaum.

                                                                Generationenwechsel sollte nach und nach erfolgen
                                                                   Das Konzept müsse jetzt innerhalb der Gewerkschaft auf
                                                                den Prüfstand gestellt werden, beschreibt Volker Maibaum den
                                                                weiteren Weg. In einer ersten Videokonferenz der neuen Per-
                                                                sonalratsmitglieder sei der Entwurf bereits gut angekommen,
                                                                berichtet Lea Becker. Sie sieht das Konzept sehr positiv: „Von
                                                                wem kann man denn besser lernen als von den ‚alten Hasen‘?“
                                                                Zudem sei es wichtig, dass der Generationenwechsel stückweise
                                                                erfolge, damit in den Personalräten eine Mischung aus jüngeren
                                                                und älteren Kolleg*innen erhalten bleibe, findet die 34-Jährige.
                                                                Beide Seiten würden so bestmöglich voneinander profitieren.
                                                                   Volker Maibaum sieht es ähnlich: „Personalräte leben immer
                                                                auch von der Erfahrung und die alten Hasen sollen kein Herr-
                                                                schaftswissen bunkern, sondern teilen.“ Berufseinsteiger*innen
                                                                sollten deshalb versuchen, sich zuvor schon im Lehrerrat oder
Foto: Lina Somemr

                                                                ähnlichen Gremien, vor allem in der Gewerkschaft, zu engagie-
                                                                ren. Außerdem setze ein Generationenwechsel im Personalrat
                                                                voraus, dass es zuvor einen Generationenwechsel innerhalb
                                                                der GEW selbst geben müsse, betont das langjährige Gewerk-
                                                                schaftsmitglied. //
                                          LEA BECKER                                                                 David Peters
                                                                                                                  freier Journalist
                          ist mit 34 Jahren eine der jüngsten
                            Personalrätinnen der GEW NRW.

                                                                                                                                21
Gesichter der GEW NRW – Aktiv in der Gewerkschaft in jedem Alter

1993 Carolin Hohmann ist im Leitungsteam                                                 1950 Theodor Wahl-Aust ist Ruheständler und in
der jungen GEW in Münster.                                                               der Kommission „GEW NRW stärken“.

                                                  1957 Elisabeth Keim ist Sonderpädao-                                                          1999 Julia Nüßmann studiert
                                                  gin in der Grundschule.                                                                       Deutsch und Latein auf Lehramt.

                                    1959 Cordula Bahn ist Vorsitzende                    2001 Marvin Strick ist Erzieher in Aus-   1973 Marion Appold ist Grundschullehrerin und
                                    im Bezirkspersonalrat in Münster.                    bildung und Betriebsratskandidat.         in der Schwerbehindertenvertretung.

1977 Susanne Boland ist im Hauptpersonalrat für                                          1972 Michael Ladeur ist Mitglied im Personalrat für
Förderschulen und Schulen für Kranke.                                                    Gesamt-, Sekundar- und PRIMUS-Schulen.

                                                  1978 Florian Beer ist in der Kommis-                                                          1958 Karin Distler ist Personalrätin
                                                  sion Generationenwechsel.                                                                     und seit 32 Jahren GEW-Mitglied.

1945 Jürgen Gottmann ist aktiver    1986 Jana Koch ist stellvertretende Vorsitzende      1981 Hanna Tuszynski ist im Leitungs-     1975 Hakan Varol ist Personalrat für Ge-
Rechtsschützer.                     der GEW-Oberberg und im Bezirk Köln.                 team Fachgruppe Gymnasium.                samt-, Sekundar- und PRIMUS-Schulen.

          22           Inspirieren / Thema
Fotos: Silvia Bins, Fotostudios Barth GmbH, Das mechanische Auge, Annette Etges, Sabine Klöckner, Roger Koerner, Sebastian Petermann,
                                                                                        David Peters, Michael Rasch, Beate Sonnenschein, Alex Waltke, Thomas Willemsen, Alena Wischolek und Privat.

1963 Reiner Hohl ist Schulleiter und im                                                              1990 Pia Rojahn ist Promovendin und arbeitet in der
Hauptpersonalrat Gymnasium.                                                                          Lehrkräftebilung.

                                                       1986 Andreas Dietrich ist Realschul-                                                                         1969 Kerstin Salchow ist
                                                       lehrer, Lehrerrat und Personalrat.                                                                           Personalrätin in Köln.

1955 Helmut Robertz betreut die           1962 Karola Brukamp-Mahn ist                               1990 Linda Engels ist Expertin für             1954 Michael Backhaus hat einen schul-
Internetseite der GEW-Wesel.              Förderschullehrerin und Personalrätin.                     Frühkindliche Bildung.                         politischen Stammtisch gegründet.

1971 Karsten Haarmann ist Berufskolleglehrer und                                                     1963 Friederike Deeg ist im Leitungsteam
im Referat Arbeits- und Gesundheitsschutz.                                                           der GEW-Oberhausen.

                                                       1949 Renate Aust genießt
                                                       den Ruhestand.

1941 Regina von Oppenkowski               1966 Karin Wamba ist im Bezirkspersonalrat Müns-           1996 Lenny Liebig ist Vorsitzender der         1981 Sebastian Jensen ist Gesamtschul-
genießt den Ruhestand.                    ter und Kassiererin bei der GEW-Warendorf.                 DGB-Stadtjugend Münster.                       lehrer in Detmold und Personalrat.

                                                                                                                                                                                     23
Senior*innenarbeit in der GEW NRW

Wir geben keine Ruhe!
Auch nach 40 Jahren anstrengender beruflicher Tätigkeit
wollen Menschen ihr Leben aktiv gestalten und suchen dafür
die Gemeinschaft Gleichgesinnter. Im Interview haben die
Vorsitzenden des Ausschusses für Ruheständler*innen der
GEW NRW mit uns darüber gesprochen, warum Engagement
auch im Rentenalter wichtig bleibt und was die GEW NRW
Senior*innen bietet.

Was treibt euch an, nach vielen Jahren           auch noch gelten kann. Der Ruhestand      auch und gerade während der Corona-
ehrenamtlicher Arbeit in der GEW                 gefällt mir gut, aber ich habe festge-    Krise – kann es sehr dringend sein, dass
NRW im Ruhestand noch weiter aktiv               stellt, dass im politischen Raum die      viele die Forderungen von DGB und
für die Gewerkschaft zu sein?                    Rentenpolitik Probleme und Fragen         ver.di unterstützen, damit der politische
     Annegret Caspers: Im Stadtverband           aufwirft, zum Beispiel die Kostenfrage.   Druck erhöht wird. Die Angebote der
     Essen habe ich jahrelang die Fachgrup-      Und wer, wenn nicht wir selbst, sollte    GEW sind vielfältig, aber lückenhaft. In
     pe Grundschule geleitet und an den          sich da einmischen? Also habe ich mich    manchen Stadt- und Kreisverbänden
     Vorstandssitzungen teilgenommen.            wieder engagiert, um die Interessen       gibt es zahlreiche Angebote für Se-
     Anneliese Bader hat zu jener Zeit die       der Ruheständler*innen lautstark zu       nior*innen, in anderen gar nichts. Vor
     Ruheständler*innen im Stadtverband          vertreten! Das geht nicht ohne ehren-     Corona haben wir uns im Kreis Wesel
     betreut. Auf einer Feier habe ich im        amtliche Arbeit und auch nicht ohne       monatlich zu zwei Stammtischen ge-
     Scherz zu Anneliese gesagt: „Wenn du        Engagement an verantwortlicher Stelle.    troffen; regelmäßige kulturelle Angebo-
     die Arbeit nicht mehr machen willst,                                                  te wahrgenommen, vom Museums- bis
                                               Warum sollten Mitglieder auch im
     übernehme ich deine Aufgaben.“ So                                                     zum Theaterbesuch, sowie gemeinsa-
                                               Ruhestand in der GEW NRW bleiben?
     fing es an.                                                                           me Kaffeerunden und einmal im Jahr
     Franz Woestmann: In den 40 Jahren,          Franz Woestmann: Die Gewerkschaft         einen Restaurantbesuch organisiert.
     in denen ich gewerkschaftlich aktiv         kann ein wichtiges Forum sein, sich zu    Auch politische Veranstaltungen ha-
     war, wollte ich immer meine berufliche      betätigen, Kontakte zu erhalten oder      ben wir angeregt. Voraussetzung: Die
     Situation verbessern, indem ich mich        neue zu knüpfen, Interessen zu for-       Senior*innen müssen im Stadtverband
     mit Kolleg*innen zusammenschloss,           mulieren und nach draußen zu tragen.      aktiv werden!
     die das Gleiche anstrebten. Und so habe     Wenn wir uns zum Beispiel die Misere      Annegret Caspers: Die GEW bietet auch
     ich mich gefragt, ob das im Ruhestand       der Pflegeheime vor Augen führen –        im Ruhestand Rechtsschutz und an

24           Inspirieren / Thema
erstrittenen Erhöhungen der Alters-            Franz Woestmann: Für die Klärung ma-         schaftliche Teilhabe der Senior*innen
  bezüge durch Tarifkämpfe partizipieren         terieller und rechtlicher Fragen gibt es     vor Ort, und sich auch für den Frieden
  wir ebenfalls. Außerdem bin ich der            ein recht umfangreiches Fortbildungs-        sowie in Bündnissen und Netzwerken
  Meinung, dass man eine Solidargemein-          angebot. Hilfreich sind Seminare, die        gegen Rechts engagieren.
  schaft, der man jahrelang angehört,            auf die neue Lebensphase vorbereiten
                                                                                            Welche Angebote macht der Ausschuss
  auch im Ruhestand unterstützen soll.           und die die GEW anbietet.
                                                                                            für Ruheständler*innen den Pensio-
                                                 Wichtig ist natürlich auch die Wahl
Wie bereitet die GEW NRW ihre                                                               när*innen in der GEW NRW?
                                                 von Obleuten der Senior*innen in den
Mitglieder auf den Ruhestand vor? Was                                                         Annegret Caspers: Wir organisieren
                                                 Untergliederungen, die eine Vertretung
könnte da noch verbessert werden?                                                             jedes Jahr eine eineinhalbtägige Veran-
                                                 der Ruheständler*innen im Vorstand
  Annegret Caspers: Bei letzterem Punkt          gewährleisten. Wir brauchen die vie-         staltung mit interessanten Themen wie
  ist noch viel Luft nach oben. Zur Vor-         len langjährigen Funktionär*innen in         Beihilfe, richtig Vererben, Bewegung
  bereitung auf den Ruhestand erstel-            der Ruhestandsarbeit. Und sie sollten        im Alter, Neue Medien, Verhalten im
  len wir gerade einen Brief, der an alle        nicht nur Kaffeekränzchen organisie-         Pflegefall, Mitwirkung. Aber nicht nur
  60-jährigen Kolleg*innen verschickt            ren, sondern aktiv die Interessen der        die Themen sind für die Kolleg*innen
  werden soll – gemeinsam mit der Neu-           Ruheständler*innen vertreten, bei-           wichtig, sondern auch der Austausch
  auflage unseres Flyers Willkommen im           spielsweise bei den Themen wie Pfle-         beim Zusammensein am Abend oder
  Ruhestand.                                     genotstand und politische und gesell-        in den Pausen.                            >>

                                 ANNEGRET CASPERS
                          71 Jahre, ehemals Leiterin einer Grundschule
                          in Essen in einem „Stadtteil mit besonderem
                        Erneuerungsbedarf“, Mitglied der ÖPR in Essen

           SAVE THE DATE

   Für alle, die sich vorausschauend

                                                                                                                                             Foto: Alexander Schneider
   mit dem Thema Ruhestand be-
   fassen möchten, bietet die GEW
   NRW Fortbildungen an.

   → 19. und 20. März 2021:
     Vorsorge treffen –
     bereits in jungen Jahren
   → 23. und 24. April 2021:
     Wege in den Ruhestand
   Infos & Anmeldung
   www.gew-nrw.de/fortbildungen

                                                                                                                                  25
FRANZ WOESTMANN
                                                                                     72 Jahre, seit 48 Jahren aktives Mitglied der GEW,
                                                                                     ehemals Vorsitzender des Ortsverbands Dinslaken/
                                                                                     Hünxe/Voerde, Mitglied im Leitungsteam des
                                                                                     Bezirksausschusses Düsseldorf, Leiter von Referat C
                                                                                     (Schulrecht, Bildungsfinanzierung und -statistik)
                                                                                     sowie Listenführer und Vorsitzender des Bezirks-
Foto: Gisela Sachse-Diemer

                                                                                     personalrats Düsseldorf für Gesamtschulen

                             Meldet euch bei                      Der Obleutetag, einmal im Jahr, ist ein         dem Antrag, einen lokalen Ausschuss
                             Fragen und Anregungen:               wichtiger Bestandteil unserer Arbeit,           für Ruheständler*innen gründen zu
                             annegret.caspers@gew-nrw.de          weil wir dort nach den Bedürfnissen             wollen, an den Vorstand des Stadt- be-
                             franz-josef.woestmann@gew-nrw.de     für Veranstaltungen und deren Themen            ziehungsweise Kreisverbandes wenden
                                                                  fragen. Wir versuchen dann, die ent-            oder das Thema auf die Tagesordnung
                                                                  sprechenden Referent*innen zu finden.           der Jahreshauptversammlung setzen
                             Broschüre der GEW NRW
                                                                  Für 2020 war ein landesweiter Seni-             lassen. Eines der Gründungsmitglieder
                             Willkommen im Ruhestand
                                                                  or*innentag geplant, er fiel wie alle           sollte bereit sein, im Vorstand mit-
                             tinyurl.com/gew-ruhestand
                                                                  anderen Veranstaltungen Covid-19 zum            zuarbeiten; mindestens ein Mitglied
                                                                  Opfer, auch die geplante Reise nach             sollte gegenüber dem Landesverband
                                                                  Lille. Das ist schade, denn für diese           als Obfrau*mann firmieren.
                                                                  Reisen meldeten sich auch Kolleg*in-            Gibt es vor Ort Senior*innenarbeit,
                                                                  nen an, die nicht an unseren anderen            kann man sich an den Vorstand wenden
                                                                  Veranstaltungen teilnehmen.                     und um Adressen der entsprechenden
                                                                                                                  Ansprechpartner*innen bitten oder
                                                                Und was können Interessierte tun,
                                                                                                                  darum, zu Veranstaltungen eingeladen
                                                                um sich aktiv einzubringen?
                                                                                                                  zu werden.
                                                                  Franz Woestmann: Da gibt es verschie-           Annegret Caspers: Wer Interesse an der
                                                                  dene Möglichkeiten. Gibt es noch keine          Mitarbeit im Ausschuss für Ruheständ-
                                                                  Senior*innenarbeit im Stadt- bezie-             ler*innen oder Ideen für Aktivitäten hat,
                                                                  hungsweise Kreisverband, kann man               kann sich bei mir oder Franz melden. //
                                                                  sich mit einem oder mehreren Inter-
                                                                  essierten zusammentun und sich mit                            Die Fragen stellte Fritz Junkers.

                             26        Inspirieren / Thema
Z U S A M M E N H A LT E N
               Arbeitsplatz und Solidarität

„Während wir arbeiten, altern wir.
   Die Arbeit verändert sich,
aber genauso verändern wir uns.“
                     MAIKE FINNERN
                    Vorsitzende der GEW NRW

        27 – 42 / Lebensphasen – Jedes Alter gut gestalten
Vereinbarkeit von Lebens- und Berufszeit

Altern bei der Arbeit,
arbeiten beim Altern

Ob Berufseinstieg, Familiengründung oder
Berufsausstieg – die verschiedenen Lebensphasen

                                                                    Foto: Alena Wiescholek
von Arbeitnehmer*innen erfordern eine flexiblere
Gestaltung des Arbeitslebens. Das Thema der
Vereinbarkeit von Leben und Beruf und die zent-
rale Frage nach Lösungsansätzen rücken
zunehmend in den Fokus.
   Wer heute 15 Jahre alt ist, muss durchschnittlich 38,7 Jahre
arbeiten, bevor sie*er in Rente gehen kann. Die wenigsten
Menschen fangen heute so jung an zu arbeiten, insofern be-
deutet das nicht zugleich, dass der Durchschnitt der Menschen
mit 53,7 Jahren aus dem Berufsleben ausscheidet. In Anbe-
tracht dessen, dass die durchschnittliche Lebenserwartung bei
81 Jahren liegt, zeigt sich rein quantitativ die große Bedeutung,
die Arbeit über unsere Lebenszeit hinweg einnimmt. Während
wir arbeiten, altern wir. Die Arbeit verändert sich, aber genauso
verändern wir uns.
Jede Lebensphase erfordert andere Berufszeiten
   Aus diesem Grund ist es wichtig, Arbeit und Alter(n) zusam-
men zu betrachten. Verschiedene Lebensphasen wie Berufswahl,
Berufseinstieg, Familiengründung, Karriere oder Berufsausstieg
stellen unterschiedliche Anforderungen an die Arbeitszeit. Vor
diesem Hintergrund ist es nötig, die Zeitsouveränität der Be-
schäftigten zu stärken, dazu gehören neben der Diskussion um
Lebensarbeitszeitkonten auch Homeoffice-Regelungen. Das darf

28         Zusammenhalten / Thema
aber auf keinen Fall bedeuten, dass das aktuelle Arbeitsgesetz         müssen sinnvoll und individuell gestaltet werden. Auch hier geht
aufgeweicht wird, wie es zum Teil diskutiert wird.                     es um Arbeitszeit. Eine Ermäßigung für den Berufseinstieg ist
   Die Möglichkeit, im Berufsleben eine gewisse Souveränität           genauso notwendig wie die Altersermäßigung ohne Kürzung der
über die Arbeitszeit zu haben, ist ein wesentlicher Punkt zur          Bezüge in den Schulen. Das Sabbatjahr ist eine gute Variante,
Attraktivitätssteigerung von Berufsfeldern. Zudem ist es ein           Teilzeit individuell zu gestalten – bei in der Summe gleichen
wichtiger Schritt zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie        Bezügen. Die Bedürfnisse der Beschäftigten sind gänzlich unter-
zur Trennung von Beruflichem und Privatem. Je nach Lebens-             schiedlich, gerade deshalb braucht es generelle Spielräume, um
lage sind Wünsche an die eigene Arbeitszeit jedoch gänzlich            Arbeit und die Lebenssituation zu vereinbaren, ohne zwingend
verschieden: Während des Berufseinstiegs ist die Trennung              Gehalts- oder Pensions-/Renteneinbußen zu haben.
zwischen Arbeits- und Privatleben eventuell noch nicht wichtig,           Die Frage nach der Vereinbarkeit von Leben und Arbeit ist
weil vorher sowieso der Schreibtisch und die Studienunterlagen         ein zentrales gewerkschaftliches Thema, das zukünftig noch
immer im Schlafzimmer standen. Bei der Familiengründung kann           an Bedeutung gewinnen wird. Deshalb müssen wir hier einen
sich das gänzlich verschieben. Die Zeit mit Lebenspartner*in und       breiten Diskurs über Grenzen und Anforderungen im Sinne der
Kind gewinnt an Bedeutung, da sind Anrufe von Kolleg*innen             Arbeitnehmer*innen führen. Dabei ist eins klar: Ein weiteres
und des Arbeitgebers kurz nach Feierabend genauso lästig wie           Verschieben des Rentenalters nach hinten lehnen wir Gewerk-
Arbeitszeiten, die beispielsweise mit den Abholzeiten der Kita         schaften ab! //
kollidieren. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, die Arbeitszeit                                                      Maike Finnern
an die verschiedenen Lebensphasen der Arbeitnehmer*innen                                                        Vorsitzende der GEW NRW
anzupassen. Zugegeben: Das erscheint im pädagogischen und
sozialen Berufsfeld einigermaßen schwierig, aber auch hier ist
es nötig und möglich.
Möglichkeiten für mehr Flexibilität
   Ideen und Forderungen gibt es genug: Weg mit der 41-Stun-
den-Woche, Senkung der Unterrichtsverpflichtung, festgelegte
Erholungszeiten ohne Korrekturen und Vorbereitungen und vieles
mehr. Die Möglichkeit, die Arbeitszeit zum Beginn eines Halbjahres                          BERUFSLEBEN UND ALTER
zu reduzieren oder aufzustocken, Entlastung von Verwaltungsauf-                      Das Thema Alter spielt im Berufsleben nicht
gaben und auch die Frage nach Überstunden und dem Abbau eben-                        nur bei der Arbeitszeit eine Rolle. Auch die
dieser muss angegangen werden. Das sind nur einige Maßnahmen                         Diskriminierung verschiedener Altersgruppen
für den Bereich Schule, aber auch in den Kindertagesstätten,                         oder die leistungsorientierte Berücksichtigung
den Hochschulen und der Weiterbildung müssen individuelle                            von Erfahrungszeiten bei der Besoldung sind
Einlassungen möglich sein. Dort, wo die Arbeit nicht flexibler                       Themen, die diskutiert werden müssen.
gestaltet werden kann – etwa durch Vorgaben wegen Öffnungs-
zeiten –, sollten Möglichkeiten geschaffen werden, dennoch auf                       Weitere Infos gibt es hier:
persönliche Bedürfnisse einzugehen. Arbeitszeitkonten könnten                        Antidiskriminierungsstelle des Bundes
hier ein zentrales Instrument sein. Mit der Möglichkeit, auf                         tinyurl.com/altersdiskriminierung
individuelle Zeitwünsche einzugehen, kann die Arbeitszeit der
jeweiligen Lebenssituation angepasst werden – das brauchen                           Erfahrungszeiten DGB Rechtsschutz GmbH
alle Altersgruppen. Das schafft Zufriedenheit und reduziert                          tinyurl.com/erfahrungszeiten
Belastungen und Sorgen.
Übergänge sinnvoll und individuell gestalten
   Dabei darf nicht vergessen werden, dass Übergänge aktiv ge-
staltet werden müssen. Der (Wieder-)Einstieg in den Beruf, aber
insbesondere auch der Ausstieg aus dem Erwerbsleben stellen
besondere Herausforderungen an die Arbeitszeit. Diese Phasen

                                                                                                                                    29
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